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Jugendliche mit einer starken gesundheitlichen Beeinträchtigung, die nicht in der Lage sind, eine Ausbildung nach Berufsbildungsgesetz (BBG) zu absolvieren, erhalten die Möglichkeit einer niederschwelligen ein- oder zweijährigen IV-Anlehre oder einer praktischen Ausbildung nach INSOS. Bedingung ist jedoch, dass eine solche Ausbildung geeignet ist, um der Person eine ihren Fähigkeiten entsprechende Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Das BSV hatte jedoch festgestellt, dass ein beträchtlicher Anteil Absolventinnen und Absolventen auch nach Abschluss der zweijährigen Ausbildung eine ganze IV-Rente benötigte. Es legte in der Folge in einem IV-Rundschreiben im Mai 2011 fest, dass den betroffenen Jugendlichen generell nur noch einjährige Ausbildungen zugesprochen werden sollen. Nur unter der Voraussetzung von guten Aussichten für eine rentenbeeinflussende Eingliederung respektive für eine Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt soll ein zweites Ausbildungsjahr möglich sein.
Diese neue Praxis kritisierten Behindertenorganisationen stark; die Organisationen Insieme Schweiz, Cerebral Schweiz und Procap Schweiz reichten eine Petition mit 107'675 Unterschriften für eine «Berufsbildung für alle – auch für Jugendliche mit Behinderung» ein. Unterstützung erfuhren sie 2015 von einem Rechtsgutachten, das in Artikel 16 IVG keine genügende rechtliche Grundlage für das entsprechende IV-Rundschreiben ausmachte.
Im Dezember 2016 bestätigte das Bundesgericht diese Einschätzung. Daraufhin gab das BSV bekannt, das Rundschreiben mit sofortiger Wirkung aufzuheben und IV-Anlehren und praktische Ausbildungen nach INSOS wieder generell für die Dauer von zwei Jahren zuzusprechen.
In der Zwischenzeit hatten Christian Lohr (cvp, TG; Po. 13.3615) und Christine Bulliard-Marbach (cvp, FR; Po. 13.3626) je ein Postulat eingereicht, die diese Problematik beinhalteten.

IV-Ausbildungen werden wieder zweijährig
Dossier: Praktische Ausbildung nach INSOS

Nachdem die Kleine Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Schweiz im Februar 2016 wegen ihrer Praxis der Invaliditätsbeurteilung bei Teilzeitangestellten gerügt hatte, wurde ein Weiterzug an die Grosse Kammer abgelehnt, womit das Urteil gültig ist und umgesetzt werden muss. Gemäss der Anwältin der erfolgreichen Beschwerdeführerin wäre eine Änderung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung für eine Anpassung der Berechnungspraxis ausreichend. Der Bundesrat blieb jedoch bei seiner früheren Haltung, eine Berechnung auf Basis einer hypothetischen vollen Erwerbstätigkeit würde zu einer Ausweitung der Deckung der IV führen und Mehrkosten im Rahmen von jährlich CHF 35 bis 40 Mio. verursachen, weshalb man an der gemischten Methode grundsätzlich festhalten und lediglich kleine Änderungen vornehmen wolle. Dies schrieb er auch in einem Rundschreiben an die IV-Stellen Ende Oktober. In ähnlich gelagerten Fällen wie jenem der Beschwerdeführerin solle die umstrittene gemischte Methode dagegen nicht mehr angewandt werden. Davon betroffen sind Rentenbezügerinnen oder -bezüger, die aus familiären Gründen ihr Arbeitspensum reduzieren – dies soll nicht mehr zu einer Neubeurteilung der Invalidität führen und die betroffene Person entsprechend den bisherigen Status behalten. Am 20. Dezember 2016 entschied das Bundesgericht über das Revisionsgesuch der Beschwerdeführerin und bestätigte darin die soeben beschriebene Übergangsregelung. Bei Personen, die aus anderen Gründen als der Betreuung von Kindern im entsprechenden Alter Teilzeit arbeiten, wird der Invaliditätsgrad somit weiterhin mit der gemischten Methode berechnet.

Diskriminierung von Teilzeitangestellten

Im Oktober 2016 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) über den Fall einer Schweizer Bezügerin einer Unfallrente zu entscheiden, die von Privatdetektiven observiert worden war. Beauftragt worden waren die Privatdetektive von der Unfallversicherung, die den Verdacht hegte, dass die Rentnerin ihre Arbeitsunfähigkeit nur vortäusche. Aufgrund eines in der Folge unter Miteinbezug der Resultate der Observierung erstellten Gutachtens waren die Versicherungsleistungen der Rentnerin gekürzt worden – ein Vorgehen, das 2010 auch vom Bundesgericht gestützt worden war. Der Gerichtshof in Strassburg urteilte jedoch, dass dieses Vorgehen das Recht auf Achtung von Privat- und Familienleben verletzt habe. Ferner sei die Gesetzesgrundlage in der Schweiz – in Betracht gezogen wurden das ATSG und das UVG – bezüglich der Observierung von Versicherten nicht ausreichend. Die Rahmenbedingungen seien nicht klar geregelt, so sei zum Beispiel fraglich, wann und wie lange Observationen durchgeführt werden dürfen und was mit den erhobenen Daten geschehe.
Dieser Entscheid des EGMR dürfte gemäss Experten Auswirkungen auf die Überwachung von Leistungsbeziehenden durch die UV im Allgemeinen, aber auch durch die IV haben, da vermutlich auch die Bestimmungen im IVG nicht ausreichten. Die Suva gab in der Folge bekannt, bis auf Weiteres auf den Einsatz von Detektiven zu verzichten. Der Behindertenverband Agile.ch kritisierte, IV-Bezügerinnen und -Bezüger würden unter Generalverdacht gestellt. In Bundesbern wurden noch im November 2016 zwei parlamentarische Initiativen (Pa.Iv. SGK-SR, Pa.Iv. SVP-Fraktion) eingereicht, mit denen die gemäss EGMR für Observationen nötige Gesetzesgrundlage geschaffen werden soll.

Entscheid des EGMR zur Überwachung von IV-Rentnern
Dossier: Überwachung von Versicherten (2016-2019)

Bereits im Juli 2015 hatte der Bundesrat in Beantwortung eines Postulats einen Bericht vorgelegt, in dem er einen „Optimierungsbedarf" bei der Bemessung von IV-Renten für Personen, die zuvor in einem Teilzeitpensum arbeiteten, ausmachte. Zum überwiegenden Teil sind davon Frauen betroffen. Im Februar 2016 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil zur IV-Berechnung bei Teilzeitangestellten und rügte die gängige Praxis als diskriminierend gegenüber Frauen. Beschwerde eingereicht hatte eine Mutter mit einem Rückenleiden, deren Invaliditätsgrad nach der Geburt ihrer zwei Kinder gesenkt worden war, was in einem Verlust der Rente resultierte. Die IV hatte die so genannte gemischte Methode zur Berechnung angewandt, die für Teilzeit erwerbstätige Personen mit Haushaltspflichten gilt und die Arbeitsfähigkeit im Beruf und bei der Hausarbeit separat berücksichtigt. Der so berechnete Invaliditätsgrad wird jedoch nur entsprechend dem Teilzeitpensum berücksichtigt, womit es zu einer doppelten Gewichtung des Teilpensums kommt und der resultierende Invaliditätsgrad oft unter den minimalen 40% für eine Teilrente liegt. Entsprechende Fälle sind gemäss Aussage der Behindertenorganisation Procap häufig. Das Bundesgericht hatte dazugehörige Entscheide wiederholt mit dem Argument gestützt, nicht nur invalide, sondern auch gesunde Menschen würden nach der Geburt von Kindern Einkommenseinbussen erleiden, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit einschränken oder aufgeben – diese gesellschaftliche Realität auszugleichen, sei nicht Aufgabe der IV, auch wenn davon primär Frauen betroffen sind. Die Teilzeitarbeit komme einem freiwilligen Verzicht auf einen Teil des Lohns gleich, womit auch Einbussen bei den Sozialversicherungen verbunden sind. Das Strassburger Gericht dagegen urteilte, es liege klar eine Diskriminierung vor, die Betroffenen würden in ihrem Recht auf Familienleben beeinträchtigt. Die gemischte Methode betreffe – dies gemäss Angaben des Bundesrates – zu 98% Frauen. Sie benachteilige damit einen grossen Teil der Mütter, die nach der Geburt eines Kindes ihre Erwerbstätigkeit reduzieren, und sei nicht mehr zeitgemäss. Trotz des knappen Entscheids des Gerichts von vier zu drei Stimmen wird dem Urteil eine Signalwirkung zugeschrieben.

Diskriminierung von Teilzeitangestellten

Bereits seit den 1990er-Jahren beschäftigen sich Politik, Justiz und medizinische Fachkreise mit der Frage, ob Schmerzen ohne nachweisbare körperliche Ursachen die Betroffenen zu einer Rente der Invalidenversicherung berechtigen. Seit 1991 und bis 2004 hatte das Bundesgericht die Frage bejaht, dann folgte ein Grundsatzurteil, wonach bei Schmerzstörungen ohne medizinisch belegte Ursache grundsätzlich keine IV-Rente gesprochen wird. Mit entsprechender Willensanstrengungen seien die Symptome in der Regel überwindbar. In der Folge weitete das Bundesgericht die entsprechende Rechtsprechung auch auf andere unklare Beschwerdebilder aus, zum Beispiel auf das chronische Erschöpfungssyndrom, Fibromyalgie und 2010 in einem viel beachteten Urteil auch auf Schleudertraumata. Die Betroffenen leiden an Kopfschmerzen, anderen Schmerzen, Schwindel, Übelkeit, ständiger Müdigkeit oder weiteren Symptomen, was bisweilen als „buntes Beschwerdebild" beschrieben wird. Verschiedene Urteile waren seither an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR weitergezogen worden, dieser hatte jedoch noch keinen der Fälle behandelt.
Mitte 2014 hatte ein renommierter Münchner Professor und Experte für psychosomatische Medizin ein Gutachten vorgelegt, das als wegweisend betrachtet wurde. Es hielt fest, dass die bundesrichterliche Praxis auf veralteten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhe. Gemäss dem aktuellen Wissensstand seien zwar manche Beschwerden nicht durch Messungen belegbar und damit nicht objektiv beweisbar, dies gelte jedoch auch bei anerkannten psychischen Störungen wie schweren Depressionen, welche zu einer Rentenberechtigung im Rahmen der IV führen. Auch seien chronische Schmerzen und ähnliche Störungen nicht, wie es das Bundesgericht annimmt, weniger gravierend und leichter zu überwinden als schwere psychische Krankheiten, weshalb eine Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt sei. Das Bundesgericht verkenne zudem den Einfluss sozialer Faktoren auf den Krankheitsverlauf, obwohl dieser wissenschaftlich belegt ist. Als Folge des in der Fachwelt auf hohen Anklang stossenden Gutachtens wurde die Vermutung laut, das Bundesgericht könnte seine Praxis anpassen. Mehrere medizinische Fachgesellschaften begannen gemeinsam die Erarbeitung von Leitlinien für die so genannten somatoformen Störungen. An genau solchen medizinischen Richtlinien hatte es dem Bundesgericht bei seinem Urteil 2004 gefehlt, worauf es die Kriterien für eine Invalidität kurzerhand selbst festgelegt hatte.
In einem im Juni 2015 veröffentlichten Urteil milderte das Bundesgericht seine Praxis tatsächlich ab. Insbesondere gab es die Annahme auf, wonach die Versicherten ihre unklaren Symptome in der Regel mit einer zumutbaren Willensanstrengung überwinden könnten. Damit solle den gemachten Erfahrungen und der Kritik aus Medizinkreisen Rechnung getragen werden. Anstelle der Vermutung der grundsätzlichen Überwindbarkeit soll ein neues strukturiertes Beweisverfahren zur Anwendung kommen, mit dem das tatsächliche Leistungsvermögen der Versicherten gesamthaft und „ergebnisoffen" überprüft wird. Dazu soll ein weites Set an Indikatoren herangezogen werden, das auch die neuen Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften berücksichtigt. Eine Rente wird weiterhin nur bei so genannt objektiver Erwerbsunfähigkeit gesprochen. Vorerst blieb noch offen, wie sich die veränderte Bundesgerichtspraxis auf die Anzahl der Rentengewährungen durch die IV und damit auch auf die Kosten der IV auswirken würde. Vonseiten des Bundesamtes für Sozialversicherungen hiess es, die IV-Stellen müssten ihre Abläufe nun rasch anpassen. Es sei möglich, dass in Zukunft bei unklaren Beschwerdebildern vermehrt Teilrenten gesprochen würden, wodurch die Anzahl der Neurenten ansteigen könnte.
Im Dezember 2015 machte das Bundesgericht klar, die neue Beurteilungspraxis gelte nur für neue IV-Gesuche, nicht für bereits abgelehnte Fälle. Eine Neubeurteilung sei nicht vorgesehen, die Aussichten auf eine IV-Rente seien für Betroffene nicht grundsätzlich angestiegen. Die Forderung der Änderungen beim Nachweis vom Invalidität im Urteil vom Juni führe nicht dazu, dass nach den alten Kriterien getroffene Entscheide der IV rechtswidrig oder nicht vertretbar gewesen wären.

IV-Rente für Schmerzpatienten

Viertelsrenten der IV müssen dem Empfänger auch nach einem Wegzug in ein EU-Land ausgerichtet werden. Laut Eidg. Versicherungsgericht unterliegen sie wie ausserordentliche AHV-Renten der Exportpflicht. Das IVG bestimmte bisher, dass Invalidenrenten, die einem Invaliditätsgrad von weniger als 50% entsprechen, nur an Versicherte ausgerichtet werden, die ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz haben. Die Luzerner Richter verwiesen in ihrem Grundsatzentscheid auf das Freizügigkeitsabkommen mit der EU, welches auf den 1. Juni 2002 in Kraft trat. Dieses verbietet eine Rentenkürzung, wenn sich ein Anspruchsberechtigter im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates niedergelassen hat.

Entscheid des eidgenössischen Versicherungsgericht zu Viertelsrenten
Dossier: Fünfte IV-Revision (2004-2009)

Das Eidg. Versicherungsgericht (EVG) entschied in einem neuen Grundsatzurteil, dass sich eine Person, die durch Alkohol- oder Tabakmissbrauch zum Invaliden wird, inskünftig keine IV-Rentenkürzung mehr gefallen lassen muss. Das EVG berief sich dabei auf zwei internationale Abkommen, welche die Kürzung einer Invalidenrente nur zulassen, wenn jemand seine Gesundheit absichtlich geschädigt hat. Nach Auffassung des EVG ist äusserst fraglich, ob bei chronischem Missbrauch von Alkohol und Tabak überhaupt je von absichtlichem Selbstverschulden die Rede sein kann.

Keine IV-Rentenkürzungen mehr bei Alkohol- oder Tabakmissbrauch (1993)

Im Vorjahr hatte sich das BSV geweigert, den privaten Institutionen, welche zur Beherbergung AIDS-Kranker geschaffen worden waren, Beiträge aus der Invalidenversicherung auszurichten, da es sich hier um eigentliche Sterbe-Heime handle, eine soziale und berufliche Eingliederung, wie sie die IV anstrebt, also nicht mehr gegeben sei. Das Basler «Light-House», die erste Einrichtung dieser Art in der Schweiz, reichte umgehend Beschwerde beim Eidgenössischen Versicherungsgericht ein. Dieses gab ihm Recht und befand, der Invaliditätsbegriff, wie ihn das Gesetz umschreibt (gesundheitlich bedingte bleibende oder länger dauernde Erwerbsunfähigkeit), sei durchaus auf AIDS-Kranke anzuwenden, weshalb AIDS-Wohnheime weiterhin Anspruch auf Betriebsbeiträge aus der IV hätten. Zudem handle es sich bei den AIDS-Sterbeheimen um Stätten der sozialen Integration, da ohne Institutionen wie das «Lighthouse» AIDS-Kranke im Endstadium in Spitäler eingeliefert werden müssten, wo sie – abgesehen von Phasen stationärer Behandlung – nicht angemessen untergebracht wären.

AIDS-Wohnheime haben Anspruch auf Betriebsbeiträge aus der IV (1992)