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Jahresrückblick 2023: Aussenpolitik

Die schweizerische Aussenpolitik war im Jahr 2023 stark von der Reaktion auf internationale Konflikte und Krisen geprägt, wobei der mediale und politische Fokus auf dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine lag. Auch im Jahr 2023 übernahm der Bundesrat Sanktionen der EU gegen Russland, insbesondere Dienstleistungsverbote gegen Unternehmen oder die russische Regierung, Kontrollen und Beschränkungen für die Ausfuhr von Dual-Use-Gütern sowie Finanzsanktionen und Reisebeschränkungen gegen einzelne Personen. Die Medien berichteten zwar auch 2023 häufig über die Sanktionen, jedoch nicht mehr im selben Ausmass wie 2022 (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse). Die Abbildung zeigt auch, dass sich die Medien intensiv mit der Neutralität der Schweiz auseinandersetzten. Diese wurde insbesondere in Zusammenhang mit der Wiederausfuhr von Kriegsmaterial diskutiert, aber auch bezüglich finanzieller und humanitärer Hilfen, beispielsweise in Form von Ambulanzfahrzeugen. Im Juni fand in London die zweite «Ukraine Recovery Conference» statt. Bei dieser Gelegenheit betonte Aussenminister Ignazio Cassis, dass die Schweiz beim Wiederaufbau der Ukraine insbesondere auf die Bereiche Diplomatie, Wirtschaft und Good Governance fokussiere. Mit dem Wiederaufbau beschäftigte sich auch der Nationalrat; dieser bekräftigte durch Annahme fünf gleichlautender Motionen seinen Willen, dass durch Sanktionen eingefrorene staatliche und staatsnahe Vermögenswerte Russlands zum Wiederaufbau in der Ukraine verwendet werden sollen. Ob der Ständerat dieser Forderung ebenfalls zustimmt, blieb im Berichtsjahr noch offen.

Ab Herbst 2023 prägte ein weiterer Konflikt die schweizerische Aussenpolitik. Anfang Oktober eskalierte der seit Jahrzehnten schwelende Nahostkonflikt mit einem Überfall der Hamas auf israelisches Gebiet. Der Bundesrat reagierte auf den Angriff, indem er zur sofortigen Freilassung der Geiseln aufrief und die Einstufung der Hamas als terroristische Organisation befürwortete. Er berief eine Taskforce ein, um rechtliche Optionen für ein Verbot der Organisation zu prüfen. Bis Ende Februar 2024 will er einen entsprechenden Entwurf erarbeiten. National- und Ständerat stützten diesen Entscheid in der Wintersession, in dem sie Motionen ihrer Sicherheitspolitischen Kommissionen mit der Forderung nach einem Verbot der Hamas annahmen.

Eine grosse humanitäre Krise wurde im Februar auch durch ein starkes Erdbeben in der Grenzregion Türkei/Syrien hervorgerufen. Die Folgen des Erdbebens lösten in der Schweiz eine grosse Welle der Solidarität aus; in privaten Aktionen wurden Sachspenden für die Betroffenen gesammelt. Auch die offizielle Schweiz engagierte sich, indem die Abteilung für Humanitäre Hilfe der DEZA die Schweizer Rettungskette mit 80 Expertinnen und Experten sowie acht Suchhunden in das Gebiet schickte. Die Medien berichteten ausführlich über diese Katastrophe und ihre Auswirkungen, was sich in einem Peak bei der Berichterstattung zur humanitären Hilfe zeigt (vgl. Abbildung 1).

Die Beziehungen der Schweiz zur EU bildeten auch im Jahr 2023 einen Schwerpunkt der Schweizer Aussenpolitik, wobei das Dossier wieder etwas an Fahrt aufnahm. Anfang Juni publizierte der Bundesrat die lange erwartete Lagebeurteilung zu den Beziehungen mit der EU, welche vier mögliche zukünftige Handlungsoptionen umfasste, von denen der Bundesrat die Fortsetzung des bilateralen Weges präferierte. Ende Juni verabschiedete er sodann die Eckwerte für ein neues Verhandlungsmandat mit der EU. Nach Abschluss der Sondierungsgespräche mit Brüssel und der Gespräche mit Kantonen, Sozialpartnern und Wirtschaftskreisen legte der Bundesrat Ende Jahr seinen Entwurf für ein neues Mandat mit den Leitlinien für die Verhandlungen vor. Dieser beinhaltete den Abschluss neuer Abkommen in den Bereichen Strom, Lebensmittelsicherheit und Zusammenarbeit im Gesundheitswesen sowie die Teilnahme der Schweiz an Horizon Europe und weiteren EU-Programmen. Es umfasste auch die Aufnahme institutioneller Lösungen für die bestehenden Marktzugangsabkommen, etwa zur Streitbeilegung mittels paritätischem Schiedsgericht, sowie von Regeln für staatliche Beihilfen und der regelmässigen Zahlung der Schweiz an ausgewählte EU-Mitgliedsstaaten. Zum Chefunterhändler wurde der Leiter der Abteilung Europa des EDA, Patric Franzen, ernannt, zuvor hatte Alexandre Fasel die abtretende Livia Leu als Staatssekretär des EDA ersetzt. Auf der parlamentarischen Ebene entschied sich der Nationalrat im September für die Einsetzung einer ständigen Subkommission der APK-NR für Europafragen. Schliesslich wurde im Oktober 2023 mit der Unterschriftensammlung für die Volksinitiative «Für den wirksamen Schutz der verfassungsmässigen Rechte» begonnen, die verlangt, dass die Schweiz zukünftig keine internationalen Abkommen mehr abschliesst, die in die Grundrechte der Schweizerinnen und Schweizer eingreifen oder die Schweizer Behörden verpflichten, sich an die Rechtssprechung inter- oder supranationaler Organisationen zu halten – mit Ausnahme des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Strafgerichtshofs.

Die Schweiz nahm in den Jahren 2023 und 2024 auch das erste Mal Einsitz als nicht-ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat, wobei sie im Mai gar den Vorsitz des Sicherheitsrates übernahm. Aussenminister Ignazio Cassis und Bundespräsident Alain Berset präsidierten je eine Sitzung zu den Themen nachhaltiger Frieden respektive Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten.

Jahresrückblick 2023: Aussenpolitik
Dossier: Jahresrückblick 2023

Jahresrückblick 2023: Rechtsordnung

Das Jahr 2023 war im Bereich Rechtsordnung stark von straf- und zivilrechtlichen Fragen geprägt. Die in den vergangenen Jahren immer wieder virulent geführte Debatte über die terroristische, vor allem islamistisch motivierte, Gefährdung der Schweiz rückte angesichts des fortdauernden Kriegs in der Ukraine sowie des Kriegsausbruchs im Nahen Osten weiter in den Hintergrund. Stattdessen beschäftigten eher Cyberangriffe und die Angst vor russischer Spionage die Schweizer Sicherheitspolitik. (Für Cybersicherheit vgl. Jahresrückblick zur Landesverteidigung.)

Zudem nahm der Diskurs um Grund- und Menschenrechte in der Öffentlichkeit wieder mehr Raum ein, angetrieben unter anderem vom zunehmenden Augenmerk auf den Antisemitismus infolge des Nahostkonflikts (vgl. Jahresrückblick zu Kultur, Kirchen und religionspolitische Fragen sowie Jahresrückblick zur Aussenpolitik). Nach dem Angriff der Hamas Anfang Oktober kam es in den grossen Schweizer Städten zu Kundgebungen mit antiisraelischen Parolen, worauf in der Öffentlichkeit debattiert wurde, inwiefern an propalästinensischen Friedenskundgebungen antisemitisches und rechtsextremes Gedankengut verbreitet werde. Aus Sorge vor einer gewaltsamen Eskalation verhängte die Stadt Bern bis Weihnachten ein Demonstrationsverbot, was wiederum zu Protesten aufgrund der Grundrechtseinschränkung führte. In der Medienberichterstattung spiegelte sich diese Entwicklung in einem Anstieg in den Themenbereichen «Bürgerrechte» sowie «innere Konflikte und Krisen» gegen Ende Jahr wider (vgl. Abb. 1 der APS-Zeitungsanalyse). Auch über das ganze Jahr gesehen vereinnahmten diese beiden Themen einen höheren Anteil der Zeitungsberichterstattung als im Vorjahr (vgl. Abb. 2). Die gestiegene Sensibilität für die Antisemitismus-Thematik zeigte sich ebenso im Parlament, das im Laufe des Jahres eine Handvoll Vorstösse für ein Verbot von Nazisymbolen in der Öffentlichkeit behandelte und diese Forderung im Grundsatz unterstützte. Als «historischen Moment» bezeichnete der Bundesrat die Gründung der Nationalen Menschenrechtsinstitution im Mai 2023, das Resultat eines zwanzigjährigen Prozesses zur Förderung der Menschenrechte in der Schweiz.

Unter anderem von Menschenrechts- und Frauenorganisationen gefeiert wurde die Verabschiedung des revidierten Sexualstrafrechts durch die beiden Räte. Begleitet von einer lebhaften gesellschaftlichen Debatte rangen die Räte bei der Revision des Sexualstrafrechts insbesondere um eine neue, zeitgemässe Definition von Vergewaltigung, die sie letztlich in der sogenannten erweiterten Widerspruchslösung fanden. Damit sind sexuelle Handlungen künftig strafbar, wenn sie gegen den Willen – aber im Unterschied zur Zustimmungslösung nicht «ohne Einwilligung» – einer Person vorgenommen werden oder wenn ein Schockzustand für sexuelle Handlungen ausgenutzt wird. Dass das Opfer nachweisbar zur sexuellen Handlung genötigt wurde, ist mit der neuen Regelung indes nicht mehr erforderlich. Im Unterschied zum alten Recht, wonach nur Frauen Opfer einer Vergewaltigung sein konnten, spielt das Geschlecht des Opfers im revidierten Sexualstrafrecht keine Rolle mehr. Mit Verabschiedung der Sexualstrafrechtsrevision brachten die eidgenössischen Räte im Sommer 2023 eines der grössten Gesetzgebungsprojekte der 51. Legislatur zum Abschluss: die unter dem Titel «Harmonisierung der Strafrahmen» durchgeführte Revision des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches (BT). Ziel der Strafrahmenharmonisierung war es, die aus den 1940er-Jahren stammenden Strafen mit den heutigen Werthaltungen in Einklang zu bringen und deren Verhältnis zueinander neu auszuloten. Noch während das Sexualstrafrecht zu Ende debattiert wurde, traten die ersten beiden Vorlagen des BT-Revisionsprojekts, die in erster Linie die Strafen für Gewaltdelikte erhöhten, am 1. Juli 2023 bereits in Kraft.

Als weiteres Grossprojekt schloss das Parlament im Frühling 2023 die Revision der Zivilprozessordnung ab. Mit einer Vielzahl punktueller Anpassungen sollten festgestellte Schwachstellen der 2011 in Kraft getretenen Zivilprozessordnung ausgebessert und insgesamt deren Praxistauglichkeit verbessert werden. Ein von der Einigungskonferenz vorgeschlagener Kompromissvorschlag wurde schliesslich in beiden Räten breit mitgetragen. Nachdem im Sommer auch die Referendumsfrist ungenutzt verstrichen ist, wird das revidierte Zivilprozessrecht planmässig am 1. Januar 2025 in Kraft treten können.

Weiter stand 2023 im Zivilrecht das Erbrecht auf der politischen Agenda. Mit der Überarbeitung des sechsten Kapitels des IPRG über das internationale Erbrecht sollten Kompetenzkonflikte mit ausländischen Behörden minimiert und sich widersprechende Entscheidungen in internationalen Erbrechtsfällen verhindert werden. Zwischen den Kammern entbrannte ein erbitterter Streit über einige Punkte, so etwa um die Frage, ob Schweizer Doppelbürgerinnen und -bürger wählen können sollen, dem Recht welches ihrer Heimatstaaten sie ihren Nachlass unterstellen wollen. Nach erfolgreicher Kompromissfindung konnte die Vorlage in der Wintersession 2023 schliesslich verabschiedet werden. Im Hinblick auf das innerstaatliche Erbrecht trat am 1. Januar 2023 die erste Etappe der laufenden Erbrechtsrevision in Kraft, die in erster Linie die Pflichtteile reduzierte und damit die Verfügungsfreiheit der Erblasserinnen und Erblasser erhöhte. Die zweite Etappe zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge kam im Sommer 2023 ins Parlament, wobei der Ständerat im Unterschied zum Nationalrat nicht auf den Entwurf eintreten wollte.

Darüber hinaus trieben Bundesrat und Parlament 2023 die Digitalisierung in der Justiz voran. Mit der Verabschiedung des Bundesgesetzes über die Digitalisierung im Notariat ebneten die eidgenössischen Räte den Weg für die elektronische Ausfertigung von Urkunden und Beglaubigungen. Damit muss das Originaldokument künftig nicht mehr in Papierform erstellt werden. Zur sicheren Aufbewahrung der elektronischen Originaldokumente wird ein nationales Urkundenregister geschaffen. Um den elektronischen Rechtsverkehr generell zu ermöglichen, war im Parlament zudem das Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz hängig, wo es vom Erstrat positiv aufgenommen wurde.

Nach der grossen gesellschaftlichen Kontroverse um das Verbot zur Verhüllung des Gesichts, die rund um die 2021 angenommene Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» ausgefochten worden war, ging die Umsetzung der Initiative geradezu ereignisarm vonstatten. Beide Parlamentskammern verabschiedeten den Entwurf zum Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot unverändert und mit grossen Mehrheiten. Auch in der Gesellschaft war kein grösserer Widerstand mehr vernehmbar, sodass die im Januar 2024 endende Referendumsfrist wohl ungenutzt verstreichen wird.

Für neue Kontroversen sorgen dürfte hingegen die im Mai 2023 lancierte Volksinitiative «für ein modernes Bürgerrecht». Die sogenannte Demokratie-Initiative fordert, dass Ausländerinnen und Ausländer schweizweit Anspruch auf Einbürgerung haben, wenn sie sich seit fünf Jahren rechtmässig in der Schweiz aufhalten, zu keiner längeren Freiheitsstrafe verurteilt wurden und über Grundkenntnisse einer Landessprache verfügen. Die hinter der Initiative stehende «Aktion Vierviertel» sieht in der tiefen Einbürgerungsquote ein Demokratiedefizit, weil rund ein Viertel der zur Schweizer Gesellschaft gehörenden Menschen politisch nicht mitbestimmen darf.

Jahresrückblick 2023: Rechtsordnung
Dossier: Jahresrückblick 2023

In der Wintersession 2023 hiess der Ständerat mit 23 zu 16 Stimmen bei 3 Enthaltungen eine Motion der RK-SR für ein Verbot der öffentlichen Verwendung von rassendiskriminierenden, gewaltverherrlichenden oder extremistischen, wie beispielsweise nationalsozialistischen, Symbolen gut. Diese wurde von der Rechtskommission als Reaktion auf die Motion Binder-Keller (mitte, AG) lanciert, die zum Ziel hatte, Nazisymbolik im öffentlichen Raum ausnahmslos zu verbieten. Im Unterschied zur Motion Binder wollte die Kommissionsmotion den Wirkungsbereich des Verbotes auf weitere extremistische, gewaltverherrlichende und rassendiskriminierende Symbole ausweiten und es der Regierung überlassen, ob das Verbot in einem Spezialgesetz oder im Strafgesetzbuch umzusetzen sei. Die Mehrheit der Ständekammer gab diesem breiter gefassten Ansatz den Vorzug, während die Mitte-Links-Minderheit lieber die Motion Binder-Keller überweisen wollte und die Kommissionsmotion daher ablehnte.

Verbot der öffentlichen Verwendung von rassendiskriminierenden, gewaltverherrlichenden oder extremistischen, wie beispielsweise nationalsozialistischen Symbolen (Mo. 23.4318)
Dossier: Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen

In der Wintersession 2023 lehnte der Ständerat die Motion Binder-Keller (mitte, AG) ab, die zum Ziel hatte, Nazisymbolik im öffentlichen Raum ausnahmslos zu verbieten. Er folgte damit, anders als der Nationalrat, der Empfehlung des Bundesrates und nahm stattdessen eine Kommissionsmotion der RK-SR an, die den Wirkungsbereich des Verbotes auf weitere extremistische, gewaltverherrlichende und rassendiskriminierende Symbole ausweiten und es der Regierung überlassen will, ob das Verbot in einem Spezialgesetz oder im Strafgesetzbuch umzusetzen sei. Die Motionärin plädierte vergeblich dafür, beide Motionen anzunehmen und so dem Verbot von nationalsozialistischer Symbolik konkret Schub zu verleihen sowie den vorangegangenen Bericht des Bundesrates gebührend zu berücksichtigen. Die enge Umsetzungsvorgabe der Motion sei zudem bewusst gewählt, um die nach Artikel 1 StGB erforderliche klare Definition zu gewährleisten. Eine Mehrheit war jedoch davon überzeugt, dass der Antrag der Kommission die genannte Forderung genügend mit einschliesse und hiess die Kommissionsmotion mit 23 zu 16 Stimmen bei 3 Enthaltungen gut. Die Gegenstimmen stammten von Mitte-Links, welche die Motion Binder-Keller überweisen wollten.

Keine Verherrlichung des Dritten Reiches. Nazisymbolik im öffentlichen Raum ausnahmslos verbieten (Mo. 21.4354)
Dossier: Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen

Der Nationalrat gab in der Wintersession 2023 einer parlamentarischen Initiative Bendahan (sp, VD) mit der Forderung, das Recht auf digitale Unversehrtheit in die Verfassung aufzunehmen, mit 118 zu 65 Stimmen bei 3 Enthaltungen keine Folge. Gemäss dem Initianten sollte die digitale Unversehrtheit die Kontrolle und das Wissen darüber garantieren, welche Daten im digitalen Leben durch eigene Aktivität sowie Dritte gesammelt, berechnet und weitergegeben werden. Aufgrund der fehlenden Verfassungsgrundlage sei diese heute unzureichend geschützt, argumentierte Bendahan. Mit seinem ablehnenden Entscheid folgte der Nationalrat dem Mehrheitsantrag seiner SPK, die eine Verfassungsänderung als nicht angezeigt ansah. Die Anhörung von Expertinnen und Experten habe ergeben, dass der bestehende Grundrechtskatalog – insbesondere das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 BV) und das Recht auf Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) – ausreiche, um die digitale Identität zu schützen. Die Kommission wolle sich dem Thema dennoch annehmen und an einer nächsten Sitzung besprechen, ob eine Überprüfung angezeigt sei und gegebenenfalls Gesetzeslücken bestünden, versicherte Kommissionssprecherin Barbara Steinemann (svp, ZH). Vergeblich hatte Minderheitssprecherin Céline Widmer (sp, ZH) für das Anliegen argumentiert, dass sich gesellschaftliche Veränderungen im Grundrechtskatalog niederschlagen müssten. Die parlamentarische Initiative Bendahan ist somit definitiv abgelehnt.

Leerer Artikel 15

Ende November 2023 beschloss der Bundesrat weitere Schritte in Sachen Hamas-Verbot. Er beauftragte das EJPD und das VBS, in Zusammenarbeit mit dem EDA ein spezifisches Gesetz über ein Verbot der Hamas auszuarbeiten. Damit sollen die Behörden ein Mittel erhalten, um allfälligen Aktivitäten oder der Unterstützung der Hamas in der Schweiz Einhalt zu gebieten. Des Weiteren habe der Bundesrat nach einer Analyse der Zusammenarbeit mit sämtlichen palästinensischen Partner-NGO beschlossen, die Verträge mit drei von elf Partnern nicht weiterzuführen, da bei diesen Unregelmässigkeiten hinsichtlich der Einhaltung des Verhaltenskodex und der vertraglichen Antidiskriminierungsklausel festgestellt worden seien.
Die Medien befanden, dass der Beschluss, ein Verbot auszuarbeiten, einem Paradigmenwechsel gleichkomme, da sich die Schweiz bis dahin eng an die Beschlüsse der UNO gehalten habe; in diesem Falle habe die Schweiz jedoch autonom gehandelt. Die Schweiz habe ausserdem des Öfteren den Standpunkt vertreten, dass ein solches Verbot faktisch keine Wirkung entfalten werde sowie die guten Dienste und die Vermittlerrolle der Schweiz in Frage stellen könne. Wie der Liberté entnommen werden konnte, war für Aussenminister Cassis die Schwere der Taten, die durch die Hamas ausgeführt wurden, ausschlaggebend für das Verbot. Ausserdem habe Cassis argumentiert, dass die Schweiz sich nicht mehr einfach den Entscheiden des UNO-Sicherheitsrats anschliessen könne. Dieser sei vor dem Hintergrund einer multipolaren, fragmentieren Weltordnung nicht mehr in der Lage, über solche Konflikte klar zu urteilen.

Reaktion des Bundesrates auf die Terroranschläge der Hamas gegen Israel
Dossier: Hamas

Mitte Oktober 2023 gab die Bundeskanzlei bekannt, dass der Unterschriftenbogen für die Volksinitiative «Für den wirksamen Schutz der verfassungsmässigen Rechte» (Souveränitätsinitiative) gültig ist und somit mit der Unterschriftensammlung begonnen werden kann. Diese Initiative, eingereicht von einem Komitee rund um den Präsidenten von Mass-voll, Nicolas Rimoldi, und den Co-Präsdidenten der «Freunde der Verfassung», Roland Bühlmann, verlangte, dass die Schweiz keine völkerrechtlichen Verträge abschliessen darf, welche die Grundrechte tangieren. Ebenfalls verboten wären Staatsverträge, bei denen sich die Schweiz an die Rechtsprechung anderer Staaten oder supranationaler Organe halten müsste – mit Ausnahme des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Strafgerichtshofs. Bereits bestehende rechtliche Verpflichtungen sollen zudem darauf überprüft werden, ob die genannten Erfordernisse eingehalten werden. Im Initiativkomitee nahmen auch Mitglieder der SVP-Nationalratsfraktion Einsitz, so etwa Lukas Reimann (svp, SG) oder Andreas Glarner (svp, AG). Die Sammelfrist für die 100'000 Unterschriften dauert bis April 2025.

Für den wirksamen Schutz der verfassungsmässigen Rechte (Souveränitätsinitiative)

Im Oktober 2023 befasste sich die RK-SR mit mehreren Vorstössen für ein Verbot von extremistischen, insbesondere nationalsozialistischen, Symbolen in der Öffentlichkeit, darunter auch mit der parlamentarischen Initiative Barrile (sp, ZH). Die Kommission begrüsste ein Verbot für entsprechende Symbole, erachtete den Weg über eine Motion allerdings als zielführender als jenen über eine parlamentarische Initiative. Sie lancierte daher eine eigene Kommissionsmotion (Mo. 23.4318) und gab der parlamentarischen Initiative Barrile keine Folge.

Verbot der öffentlichen Verwendung von extremistischen, gewaltverherrlichenden und rassistischen Symbolen (Pa.Iv. 21.524)
Dossier: Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen

Im Oktober 2023 befasste sich die RK-SR mit mehreren Vorstössen für ein Verbot von extremistischen, insbesondere nationalsozialistischen, Symbolen in der Öffentlichkeit, darunter auch mit der parlamentarischen Initiative ihrer Schwesterkommission für ein spezialgesetzliches Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen, rassendiskriminierenden, gewaltverherrlichenden und extremistischen Symbolen. Die Kommission begrüsste ein Verbot für entsprechende Symbole, erachtete den Weg über eine Motion allerdings als zielführender als jenen über eine parlamentarische Initiative. Sie lancierte daher eine eigene Kommissionsmotion (Mo. 23.4318) und gab der parlamentarischen Initiative der RK-NR keine Folge.

Spezialgesetzliches Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen (Pa.Iv. 23.400)
Dossier: Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen

Der Bundesrat hielt wenige Tage nach dem Angriff der Hamas auf Israel Anfang Oktober 2023 in einer Medienmitteilung fest, dass er diese Terroranschläge der Hamas aufs Schärfste verurteile, forderte die sofortige Freilassung der festgehaltenen Geiseln und vertrat die Ansicht, dass die Hamas als terroristische Organisation eingestuft werden solle. Er schuf sodann eine bundesrätliche Taskforce, welche den Auftrag erhielt, «die rechtlichen Optionen für ein Verbot der Hamas zu prüfen». Der Bundesrat liess ausserdem verlauten, dass er keine Kenntnis davon habe, dass offizielle Schweizer Gelder der Hamas zu Gute gekommen wären. Das EDA werde jedoch präventiv eine detaillierte Analyse der entsprechenden Finanzflüsse vornehmen. Weiter wies die Regierung darauf hin, dass die Schweiz stets zur Verfügung stehe, um eine Deeskalation in der Region voranzubringen.

Reaktion des Bundesrates auf die Terroranschläge der Hamas gegen Israel
Dossier: Hamas

Nachdem der Ständerat den Entwurf zum Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot im Sommer 2023 ohne Änderungen gutgeheissen hatte, beantragte die RK-NR ihrem Rat mehrheitlich, dasselbe zu tun. Eine Minderheit Gysin (gp, TI) beantragte Nichteintreten, weil sie durch die Umsetzung auf Bundesebene den Föderalismus und das Subsidiaritätsprinzip verletzt sah, fand in der Herbstsession 2023 aber ausserhalb der Grünen und der FDP-Fraktion keine Unterstützung. Mit 135 zu 32 Stimmen bei 2 Enthaltungen trat der Nationalrat als Zweitrat auf den Entwurf ein. Die Mehrheit erachtete den Vorschlag des Bundesrates, der sich auf die Strafrechtskompetenz in Artikel 123 BV stützt, als verfassungskonform und betonte darüber hinaus, dass sich gemäss Vernehmlassung auch die Kantone eine Umsetzung auf Bundesebene wünschten. Auch in der Detailberatung folgte die grosse Kammer überall den Anträgen ihrer Kommissionsmehrheit. Dieselben Änderungsvorschläge, die bereits im Ständerat erfolglos gewesen waren, fanden auch im Nationalrat keine Mehrheit. Schliesslich stimmte die Volkskammer dem unveränderten Entwurf mit 151 zu 29 Stimmen bei 6 Enthaltungen zu.

Damit kam das Geschäft noch in derselben Session in die Schlussabstimmungen. Dort nahm der Nationalrat das Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot mit 163 zu 31 Stimmen bei 2 Enthaltungen an, wobei sich die geschlossen stimmende Grüne Fraktion sowie ein Mitglied der FDP-Fraktion dagegen aussprachen. Der Ständerat verabschiedete die Vorlage mit 35 zu 4 Stimmen bei 5 Enthaltungen. Hier stammte die Skepsis aus dem links-grünen Lager.

Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot (BRG 22.065)
Dossier: Nationales Burkaverbot

En septembre 2023, le Conseil fédéral a publié son message relatif à la loi sur les biens utilisés pour la torture. Ce projet est en conformité avec la recommandation du Conseil de l'Europe visant à réguler les biens pouvant être employés dans le cadre de la peine de mort ou de la torture. La nouvelle loi tire largement parti du règlement de 2005 de l'Union Européenne (UE).
Les principales dispositions de cette nouvelle loi comprennent l'interdiction de l'importation, du transit et de l'exportation de biens dont l'unique usage pratique est celui d'infliger la peine capitale, la torture, ou d'autres formes de traitements cruels, inhumains ou dégradants. De plus, la fourniture d'une assistance technique pour ces biens, ainsi que la promotion de ces produits, seront également interdites. Les biens ayant d'autres utilisations pratiques seront soumis à une autorisation pour leur exportation et leur courtage, tout comme la fourniture d'une assistance technique associée. Notamment, la nouvelle loi intègre le contrôle de l'exportation de médicaments pouvant être utilisés pour exécuter des êtres humains, actuellement régi par la loi sur les produits thérapeutiques (LPTh). Le transfert de cette compétence dans la nouvelle loi implique que le courtage et la fourniture d'une assistance technique pour ces médicaments seront également soumis à autorisation. Ces mesures visent à renforcer la responsabilité et la surveillance dans le commerce de biens susceptibles de porter atteinte aux droits fondamentaux et à la dignité humaine, conformément aux normes internationales en vigueur.
La proposition de loi a été transmise au Parlement pour examen.

Loi sur les biens utilisés pour la torture

Der Ständerat befasste sich in der Herbstsession 2023 mit der Motion der APK-NR zur Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft (Mo. 22.4278), nachdem er eine ähnliche Motion seiner eigenen APK (Mo. 22.4274) bereits abgelehnt hatte.
Daniel Jositsch berichtete für die Mehrheit der vorberatenden APK-SR, dass diese die Motion zur Annahme beantrage, jedoch noch eine Änderung vornehmen möchte: Der Bundesrat solle weiterhin beauftragt werden, «soweit sinnvoll und angemessen Massnahmen zu ergreifen, um die iranische Zivilgesellschaft in ihrem Kampf für Frauen- und Menschenrechte zu unterstützen». Die Forderung, die Sanktionen der EU gegen den Iran vollständig zu übernehmen, soll jedoch gestrichen werden. Die Kommissionsmehrheit ziehe es vor, wenn der Bundesrat im Rahmen des Schutzmachtmandats für den Iran versuche, die Menschenrechtssituation zu stabilisieren. Marco Chiesa (svp, TI) vertrat die Minderheit der Kommission, die die gesamte Motion zur Ablehnung beantragte. Chiesa warnte davor, die guten diplomatischen Beziehungen mit dem Iran aufs Spiel zu setzen. Der Bundesrat solle lieber wie bis anhin in diesem Rahmen die Menschenrechtslage sowie die immer noch existierende Todesstrafe ansprechen. Aussenminister Cassis erläuterte, dass der Bundesrat das Anliegen unterstütze, der iranischen Zivilbevölkerung zu helfen. Die Schweiz versuche bei allen möglichen Gelegenheiten, die Unterdrückung der Zivilgesellschaft und insbesondere der Frauen zu diskutieren und zu verurteilen. Man müsse jedoch vorsichtig agieren, denn jede direkte Unterstützung iranischer Menschenrechtsorganisationen könne diese in Gefahr bringen. Die Schweiz habe aufgrund der verschiedenen Schutzmachtmandate und aufgrund der eigenständigen und differenzierten Aussenpolitik jedoch einen privilegierten Zugang zum Iran. Diesen Zugang gelte es nun auf intelligente und sinnvolle Weise zu nutzen, um einen «maximalen impact» zu erzielen. Der Aussenminister schloss mit der Bemerkung, dass der Bundesrat die abgeänderte Motion unterstütze. Die kleine Kammer nahm den abgeänderten Vorstoss mit 29 zu 8 Stimmen bei 2 Enthaltungen an.

Kommissionsmotionen zur Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft (Mo. 22.4278 & Mo. 22.4274)

Der Rahmenkredit 2024–2027 für drei Genfer Zentren im Bereich der Sicherheitspolitik war im Ständerat unbestritten. Die kleine Kammer folgte in der Herbstsession 2023 dem Nationalrat sowie ihrer Kommission und nahm den Kredit einstimmig an.

Rahmenkredit 2024–2027 für drei Genfer Zentren (BRG 22.081)
Dossier: Internationales Genf

Auch im Jahr 2023 führte der Bundesrat seine Sanktionspolitik gegen Russland aufgrund des anhaltenden Aggressionskriegs gegen die Ukraine fort. Im Januar gab der Bundesrat bekannt, neue Reisedokumente aus den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine und den abtrünnigen Regionen Georgiens fortan nicht mehr zur Visumserteilung und zum Überschreiten der Schengen-Aussengrenzen zu akzeptieren. Damit übernahm die Schweiz eine für sie verpflichtende Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes, da die EU die Einbürgerungspraxis Russlands in diesen Regionen für völkerrechtswidrig hielt.

Ende Januar folgte die Übernahme des neunten EU-Sanktionspakets, welches verschiedene Dienstleistungsverbote gegenüber russischen Unternehmen und der russischen Regierung sowie Kontrollen und Beschränkungen für die Ausfuhr einer Reihe von Dual-Use-Gütern, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können, beinhaltete. Gewisse bestehende Sanktionen wurden angepasst, unter anderem schuf man beim Rüstungsembargo eine Ausnahmeklausel für den Export von Minenräumungsgeräten an die Ukraine.

Am 22. Februar, ein Jahr nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine, hielt der Bundesrat sein bisheriges Engagement in einer Art Jahresrückblick fest. Nebst den umfangreichen humanitären Hilfeleistungen fasste die Landesregierung auch den Stand der übernommenen Sanktionspakete zusammen. Gemäss Medienmitteilung hatte die Schweiz seit Kriegsbeginn gezielte Massnahmen gegen mehr als 1'300 Personen und 170 Einrichtungen ergriffen, darunter Sperrungen von Vermögenswerten, diverse Finanzmassnahmen, Handelsverbote für bestimmte Güter, Einreiseverbote und das Verbot, gewisse Dienstleistungen für die russische Regierung oder russische Unternehmen zu erbringen. Der Bundesrat verwies auch auf die Wiederaufbaubemühungen, an denen sich die Schweiz beispielsweise durch die Ukraine Recovery Conference im Juli 2022 in Lugano beteiligte.

Anfang März teilte der Bundesrat mit, dass er weiterhin an seiner Position in Bezug auf die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial durch Drittstaaten festhalte. Somit beharrte er weiterhin auf die Ablehnung derartiger Gesuche aus dem Ausland, wie zuletzt aus Deutschland, Dänemark und Spanien. Er begründete seine Ablehnung nicht nur mit dem Kriegsmaterialgesetz, sondern auch mit der Neutralität, der Tradition der humanitären Hilfe, den Verpflichtungen gegenüber dem Völkerrecht sowie den Genfer Konventionen und der Rolle der Schweiz als Friedensvermittlerin. Die Regierung ergänzte jedoch, dass sie die Diskussionen im Parlament verfolgen werde und sich im Rahmen von Stellungnahmen zu den hängigen parlamentarischen Initiativen erneut äussern werde.

Wenige Wochen später folgte das zehnte EU-Sanktionspaket, das Ende März auch in der Schweiz in Kraft trat. Auch in diesem Massnahmenpaket fanden sich Dienstleistungsverbote, neue Meldepflichten im Finanzbereich und weitere Verschärfungen im Güterbereich für Dual-Use-Produkte. Der Bundesrat beschloss aber auch Ausnahmen im Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen an russische Organisationen im Rahmen der humanitären Hilfe. Zudem führte er die Möglichkeit ein, sanktionierten natürlichen Personen, Unternehmen oder Organisationen Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen bereitzustellen, wenn es die Wahrung der schweizerischen Interessen erforderte.

Zur Jahresmitte im Juni 2023 nahm die EU die Schweiz in die Liste der Partnerländer im Zusammenhang mit den Sanktionen gegenüber Russland auf. Um als Partnerland zu gelten, muss ein Staat eine Reihe von Ausfuhrkontrollmassnahmen anwenden, die gleichwertig zu jenen der EU sind. Der Entscheid hatte keine juristische Wirkung, hob jedoch die enge Zusammenarbeit mit der EU hervor. Konkrete Auswirkungen hatten hingegen die gezielten Sanktionen des Bundesrats gegen Russland vom 28. Juni nach mehrfachen «Destabilisierungsversuchen in Moldau», wie es der Bundesrat ausdrückte. Die Schweiz schloss sich erst auf Bitten von Moldau den diesbezüglichen EU-Massnahmen an, die unter anderem Finanzsanktionen und Reisebeschränkungen gegen fünf Personen beinhalteten. Damit solle auf die zunehmende Untergrabung der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Stabilität und Sicherheit in Moldau reagiert und die amtierende Regierung gestärkt werden, gab der Bundesrat bekannt. Gleichentags weitete das WBF die Finanz- und Reisesanktionen der Schweiz auf weitere Personen und Organisationen aus, die unter anderem die illegale Deportation von ukrainischen Kindern nach Russland unterstützt hätten, aber auch auf russische Streitkräfte, Medienvertretende und Mitglieder der Söldnergruppe «Wagner». Damit glich die Schweiz ihre Sanktionsliste wieder an diejenige der EU an. Ebenfalls am 28. Juni lehnte die Schweizer Regierung ein Gesuch der Ruag AG für den Handel mit 96 Leopard-Kampfpanzern ab, die in der Ukraine zum Einsatz kommen sollten. Die Panzer, welche in Italien gelagert wurden, sollten in Deutschland repariert und anschliessend in die Ukraine exportiert werden. Der Bundesrat argumentierte, dass dies aufgrund der geltenden Rechtslage nicht möglich sei, da dadurch nicht nur das Kriegsmaterialgesetz verletzt würde, sondern auch die Neutralitätspolitik der Schweiz angepasst werden müsste.

Mitte August 2023 beschloss der Bundesrat zur Übernahme des elften EU-Sanktionspakets weitere Sanktionsmassnahmen gegen Russland. Auch dieser Beschluss betraf ein Exportverbot von Dual-Use-Gütern und Gütern zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands für 87 zusätzliche Unternehmen. Auch der Verkauf von Rechten des geistigen Eigentums oder von Geschäftsgeheimnissen nach Russland wurde verboten, um zu verhindern, dass Russland nicht-lieferbare Güter selbst produzieren kann. Im Finanzbereich wurden bestehende Verbote erweitert, ausserdem übernahm die Schweiz die von der EU geschaffenen Möglichkeiten, Ausnahmen im humanitären Bereich und zum Zweck des Abzugs von schweizerischen Investitionen aus Russland zu gewähren. Der Bundesrat kündigte zudem an, eine neue Rechtsgrundlage für ein Instrument zur Verhinderung von Sanktionsumgehungen zu prüfen, welche die EU bereits geschaffen habe. Damit könnten auch Exporte von Dual-Use-Gütern und Gütern zur militärischen und technologischen Stärkung in Drittländer verboten werden. Die im Januar 2023 eingeführten Einschränkungen für russische Reisedokumente wurden zudem präzisiert. So definierte der Bundesrat verschiedene Ausstellungsdaten, ab denen die Schweiz die Pässe, Aufenthaltsgenehmigungen, Rückkehrbescheinigungen und Ausweise für Seeleute aus den unterschiedlichen besetzten ukrainischen Gebieten nicht mehr akzeptierte.

Ende August richteten sich die von der EU übernommenen Sanktionen für einmal nicht gegen Russland, sondern gegen Belarus. Nachdem bereits am 15. August mehr als 40 belarussische Personen und Organisationen auf die Sanktionsliste aufgenommen worden waren, wurden am 30. August 38 weitere Personen und 3 Organisationen ergänzt. Ausserdem führte das WBF ein Exportverbot für Güter und Technologien zur Verwendung in der Luft- oder Raumfahrtindustrie ein. Die bereits existierenden Ausfuhrverbote für Güter zur militärischen oder technologischen Stärkung sowie von Dual-Use-Gütern wurden zudem erweitert.

Die Schweiz übernimmt die EU-Sanktionen gegen Russland
Dossier: Schweizer Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine (ab 2014)
Dossier: Die Schweizer Neutralität

Rückblick auf die 51. Legislatur: Aussenpolitik

Autorinnen und Autoren: Amando Ammann und Marlène Gerber

Stand: 17.08.2023

Zwei Ereignisse prägten die Debatten in der Schweizer Aussenpolitik der 51. Legislatur in besonderem Masse. Das erste war der Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen, den der Bundespräsident nach einem Treffen mit der EU-Kommissionspräsidentin im April 2021 bekannt gab. Für zentrale substantielle Differenzen in den Bereichen Lohnschutz, Unionsbürgerrichtlinie und staatliche Beihilfen hatten die beiden Parteien keine Einigung erzielen können. Der Verhandlungsabbruch führte unter anderem zu einer Blockierung der Teilnahme am EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe» (siehe auch den Legislaturrückblick zur Bildung). Die daraufhin erfolgte Freigabe der zweiten Kohäsionsmilliarde durch die Schweiz trug nicht wesentlich zur Entspannung der Beziehungen bei. Nach mehreren Sondierungsgesprächen signalisierte der EU-Kommissar bei einem Besuch in der Schweiz in gewissen Punkten Entgegenkommen von Seiten der EU. Im Juni desselben Jahres verabschiedete der Bundesrat die Eckwerte für ein neues Verhandlungsmandat mit der EU.

Wie ein Damoklesschwert über den bereits belasteten Beziehungen mit der EU hing zuvor auch das Referendum gegen die Beteiligung der Schweiz am Ausbau von Frontex, da ein Nein an der Urne den Ausschluss aus Schengen hätte nach sich ziehen können. Im Mai 2022 sprachen sich indes sieben von zehn Abstimmenden für den Frontex-Ausbau aus. Auch im Jahr 2020 hatte das Parlament bereits intensiv über mögliche Folgen der Ablehnung einer Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands diskutiert: Zu Beginn hatte sich der Nationalrat geweigert, auf den Ausbau des Schengener Informationssystems (SIS) einzutreten, änderte seine Meinung nach den vom Ständerat eingefügten Änderungen jedoch, woraufhin die Weiterentwicklung genehmigt wurde.

Mit sofortiger Wirkung stellte der Ausbruch des Kriegs in der Ukraine in der zweiten Hälfte der Legislatur andere aussenpolitischen Themen in den Schatten und prägte die Schweizer Aussenpolitik der 51. Legislatur fortan in aussergewöhnlichem Masse. In noch nie dagewesenem Ausmass übernahm die Schweiz Sanktionen der EU gegen Russland. Der Erlass und die Übernahme von Sanktionen führten auch im Parlament zu mehreren intensiven Debatten, insbesondere im Rahmen der Revision des Embargogesetzes, dessen Anpassung ursprünglich angegangen worden war, als der Bundesrat während der Krim-Krise 2014 beschlossen hatte, die EU-Sanktionen gegen Russland nicht zu übernehmen. In Zusammenhang mit den aktuellen Aggressionen wurden indes Kommissionsinitiativen lanciert, mit denen das für andere Staaten geltende Wiederausfuhrverbot von in der Schweiz erworbenen Rüstungsgütern gelockert werden soll. Direkt verknüpft wurden die Debatten um die Sanktionen und die Wiederausfuhr mit denjenigen zur Schweizer Neutralitätspolitik.

Ebenfalls Anlass für Diskussionen rund um das Neutralitätsverständnis bot der Umstand, dass die Schweiz im Juni 2022 und somit elf Jahre nach Ankündigung ihrer Kandidatur als nichtständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats gewählt wurde.

Eine weitere aussenpolitische Premiere ereignete sich mit der Volksabstimmung über das Freihandelsabkommen mit Indonesien, denn zum ersten Mal in der Schweizer Geschichte war ein fakultatives Referendum zu einem Freihandelsabkommen zustande gekommen. Im März 2021 befürworteten knapp 52 Prozent der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmberechtigten das Freihandelsabkommen, das zwar erstmals Nachhaltigkeitskriterien einschloss, aber auch Zollerleichterungen für Palmöl beinhaltete.

Eine bedeutende Neuerung stellte nicht zuletzt auch die Aussenpolitische Strategie 2020-2023 dar, die zur Verbesserung der Kohärenz zwischen Innen- und Aussenpolitik erstmals in einem interdepartementalen Prozess erarbeitet worden war. Ebenfalls durften sich die Räte erstmals zur Aussenpolitischen Strategie äussern. Als weitere Folge der Praxisänderung erarbeitete der Bundesrat in der Folge Substrategien für verschiedene geographische Regionen, wobei die China-Strategie am meisten zu reden gab.

Im Bereich der Entwicklungspolitik führte die während Beginn der Corona-Pandemie im Rahmen der Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021-2024 diskutierte Frage zum prozentualen Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe am Bruttonationaleinkommen für intensive Debatten im Parlament. Die finanzielle Belastung der Schweiz durch die Corona-Pandemie wurde auch als Argument vorgebracht, um die Beteiligung der Schweiz an den Kapitalerhöhungen der Weltbankgruppe und der Afrikanischen Entwicklungsbank zu verhindern. Die beiden Kammern nahmen die Krediterhöhungen jedoch an.


Zu den Jahresrückblicken:
2020
2021
2022

Rückblick auf die 51. Legislatur: Aussenpolitik
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Nach den anfänglichen humanitären Hilfeleistungen im ersten Halbjahr 2022 setzte die Schweiz ihr Engagement mit weiteren Hilfszahlungen und Hilfsgüterlieferungen an die Ukraine in der zweiten Hälfte 2022 und darüber hinaus fort.

Im August 2022 gab der Bundesrat bekannt, dass das EDA Konvois mit rund 100 Tonnen sanitärem und medizinischem Material organisiert habe. Damit habe das Aussendepartement seit März 2022 gemeinsam mit dem VBS mehr als 5'300 Tonnen Hilfsgüter in die Ukraine und deren Nachbarländer geliefert.
Eine weitere Lieferung kündigte die Schweizer Regierung zwei Monate später, Anfang Oktober, an. Auf Ersuchen der ukrainischen Behörden werde die Schweiz Material zur Brandbekämpfung, zur Aufbereitung von verunreinigtem Wasser und zur Beseitigung von Schutt und Trümmern liefern. Die Hilfsgüter werden vom VBS und der Stadt Basel gespendet, den Transport finanziere die DEZA. Die Maschinen und die weitere Ausrüstung werden den ukrainischen Behörden übergeben, die nach einer Schulung durch Spezialisten des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe den Weitertransport übernehmen. Laut SECO ist der Transport mit den Massnahmen der Verordnung über Massnahmen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine von März 2022 vereinbar.

Ende des gleichen Monats nahm Bundespräsident Cassis auf Einladung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in Berlin an der «Internationalen Expertenkonferenz zum Wiederaufbau der Ukraine» teil. Den Rahmen für die Gespräche über den nachhaltigen und inklusiven Wiederaufbau des Landes bildete die «Lugano-Deklaration», die 2022 im Zuge der Ukraine Recovery Conference in Lugano erarbeitet worden war. Aussenminister Cassis unterstrich, dass sich die Schweiz unter strikter Einhaltung ihrer Neutralität entschieden engagiere und erwähnte in diesem Kontext auch die Gespräche, welche er mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj, Premierminister Schmyhal und Aussenminister Kuleba geführt habe. Er erklärte, dass sich die humanitäre Hilfe der Schweiz nach den Bedürfnissen der ukrainischen Bevölkerung richte, insbesondere im Hinblick auf den anstehenden Winter.

Wenige Tage später beschloss der Bundesrat einen Aktionsplan für die Winterhilfe der Schweiz in der Ukraine. Für die Finanzierung von Projekten zur Instandstellung der Energie-Infrastruktur gab der Bundesrat zusätzlich zum bereits bestehenden humanitären Engagement rund CHF 100 Mio. frei. Der bevorstehende Wintereinbruch drohe aufgrund der beschädigten Energie-Infrastruktur und dem fehlenden Zugang zu Trinkwasser rund sechs Millionen weitere Menschen auf Hilfeleistungen angewiesen zu machen. Bundespräsident Cassis habe bei den Gesprächen mit der ukrainischen Regierung, an denen auch Vertreterinnen und Vertreter der DEZA und des SECO anwesend waren, Abklärungen vorgenommen, wie den Menschen in der Ukraine am besten geholfen werden könne. Der Bundesrat gab bekannt, dass er dem Parlament einen Nachtragskredit für zusätzliche Mittel im Umfang von CHF 76 Mio. beantragen werde. Nachdem das Parlament den Betrag in der Wintersession 2022 bewilligt hatte, lieferte die Schweiz Ende Dezember als Teil des umfassenden Aktionsplans des Bundesrates weitere Hilfsgüter an den ukrainischen Zivilschutz. Die DEZA und das EDA stellten hierfür siebzig Stromgeneratoren und vierzig Heizgeräte zur Verfügung.

Im Februar 2023, ein Jahr nach Beginn der russischen Militäraggression gegen die Ukraine, zog der Bundesrat Bilanz über sein bisheriges Engagement. Er hielt fest, dass die Schweiz seither über 1'000 Tonnen Hilfsgüter in die Ukraine geliefert habe und 4'765 Tonnen Nahrungsmittel in der Ukraine verkauft worden seien. Zudem hätten seit dem 11. März 2022 über 75'000 Menschen den Schutzstatus S in der Schweiz erhalten. Aus finanzieller Sicht habe die Schweiz bis anhin rund CHF 1.3 Mrd. für die Hilfsmassnahmen zugunsten der Ukraine bereitgestellt, wobei CHF 1.035 Mrd. auf die Aufnahme von Schutzsuchenden aus der Ukraine in der Schweiz entfielen. Die Regierung zeigte sich jedoch überzeugt, dass auch weiterhin Hilfe vonnöten sein werde, um die Situation der ukrainischen Bevölkerung zu verbessern, und beantragte dem Parlament daher ein neues Nothilfepaket über CHF 140 Mio. für die Ukraine (CHF 114 Mio.) und Moldawien (CHF 16 Mio.). Die mit diesem Paket vorgesehene Hilfe ziele auf die Bedürfnisse und Anfragen der beiden Staaten in Bereichen ab, in denen die Schweiz über spezifische Expertise verfüge, beispielsweise Schutzunterkünfte, Minenräumungen oder Reparaturen an der Infrastruktur. Die Umsetzung werde von den zuständigen Departementen EDA und WBF übernommen, wobei diese auch CHF 48 Mio. aus den bereits bestehenden Krediten bereitstellten. Das Parlament genehmigte im Nachtrag I zusätzliche CHF 92 Mio.

Im April 2023 setzte die Schweiz die humanitären Hilfslieferungen fort, indem die Kantone Basel-Stadt und Zürich einer NGO in Kiew fünf Ambulanzfahrzeuge spendeten. Eine weitere Lieferung sei für Sommer 2023 geplant, gab das EDA bekannt, wobei die DEZA in beiden Fällen für den Transport besorgt sei. Das VBS werde dem ukrainischen Rettungsdienst zudem drei Löschfahrzeuge und fünf Tonnen Löschschaum liefern und die Einsatzkräfte vor Ort ausbilden.
Drei Monate später, Anfang Juli 2023, stockte die Schweiz ihre Finanzierung für den Wiederaufbau und die Einrichtung von ukrainischen Schulen um zusätzliche CHF 5.5 Mio. auf. Damit fördere man die Wiederherstellung des Bildungsbereichs und die Rückkehr der Kinder in die Schule, ein bedeutendes Ziel des ukrainischen Ministeriums für Bildung und Wissenschaft. Die Unterstützung im Schulbereich sei Teil des Hilfspakets im Umfang von CHF 140 Mio., die der Bundesrat im Februar 2023 beantragt habe, liess das EDA in seiner Medienmitteilung verlauten.

Die Schweiz übernimmt die EU-Sanktionen gegen Russland
Dossier: Schweizer Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine (ab 2014)
Dossier: Die Schweizer Neutralität

Im Januar 2023 kündigte der Bundesrat an, dass die Ukraine Recovery Conference für den politischen Wiederaufbauprozess in der Ukraine, deren erste Ausgabe im Juli 2022 in der Schweiz stattgefunden hatte, 2023 in London weitergeführt werde. Am WEF 2023 übergab Aussenminister Cassis dem britischen Minister für Wirtschaft, Energie und Industriestrategie, Grant Shapps, daher offiziell die Federführung für die Vorbereitung der nächsten Konferenz. Cassis rief anlässlich der Übergabe die beschlossenen «Prinzipien von Lugano» in Erinnerung und bezeichnete diese als Kompass für die dunklen Zeiten des Krieges. Im Juni des gleichen Jahres gab der Gesamtbundesrat dann bekannt, dass Ignazio Cassis in London an einem Panel zur humanitären Minenräumung teilnehmen werde und aufgrund seiner Rolle als Mitorganisator 2022 auch eine Rede an der Schlussveranstaltung halten werde. Die Schweiz habe den Wiederaufbauprozess der Ukraine vor und seit der Konferenz in Lugano eng begleitet, unter anderem habe Bundesrat Cassis an zwei weiteren Konferenzen zu dieser Thematik in Berlin und Paris teilgenommen und die Organisation einer weiteren Konferenz zur Dezentralisierung und Stärkung der lokalen Verwaltung im Rahmen des Wiederaufbau- und Reformprozesses in der Ukraine unterstützt, erläuterte das EDA in einer Medienmitteilung.
In seiner Rede an der Konferenz in London warb Bundesrat Cassis unter anderem dafür, den politischen Wiederaufbauprozess des Landes gemeinsam fortzusetzen, wobei die Prinzipien von 2022 als Grundlage dienen sollten. Er kündigte an, dass die Schweiz im Rahmen der IZA-Strategie 2025–2028 Mittel in der Höhe von rund CHF 1.5 Mrd. zugunsten der Ukraine reservieren werde, zuzüglich zu den für die Jahre 2023–2024 vorgesehenen CHF 300 Mio. Dieses Vorgehen kritisierte in der Folge aber beispielsweise die Aargauer Zeitung, da so «sämtliche Gelder, die aufgrund der Teuerung in die IZA-Kasse fliessen», für die Ukraine reserviert und zudem Mittel von anderen IZA-Projekten umgeleitet würden. Damit nehme man anderen Krisenregionen im Süden Gelder weg, monierte die Zeitung.
Zum Abschluss der Geberkonferenz unterzeichnete die Schweiz zusammen mit weiteren Staaten eine Absichtserklärung zur Absicherung privater Investitionen in der Ukraine gegen Kriegsrisiken. Ziel der Erklärung sei es, Private zu Investitionen in der Ukraine zu ermutigen und die damit zusammenhängenden Risiken zumindest teilweise auf die unterzeichnenden Staaten und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung zu übertragen. Die Weltbank schätzte die seit Februar 2022 entstandenen Schäden auf über CHF 400 Mrd. und betonte, dass auch der Privatsektor einen Teil zu deren Behebung beitragen müsse.

Ukraine Recovery Conference 2023 in London
Dossier: Schweizer Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine (ab 2014)

Nachdem der Bundesrat im Juni 2022 den erfüllenden Bericht veröffentlicht hatte, schrieb der Nationalrat in der Sommersession 2023 das Postulat Reynard (sp, VS) betreffend die Datenlage zu Diskriminierungen von LGBTI-Personen ab, wie es die Regierung im Bericht über Motionen und Postulate der eidgenössischen Räte im Jahr 2022 beantragt hatte.

Datenerhebung zu Diskriminierungen, die auf sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität beruhen, mit Augenmerk auf Mehrfachdiskriminierungen (Po. 16.3961)

Ein Postulat von Andrea Caroni (fpd, AR) zur rechtlichen Ungleichbehandlung von Frauen und Männern im Bundesrecht wurde in der Sommersession 2023 vom Ständerat stillschweigend abgeschrieben. Mit der Veröffentlichung eines entsprechenden Berichts im Dezember 2021 hatte der Bundesrat das Postulat als erfüllt erachtet und dessen Abschreibung beantragt.

Rechtliche Ungleichbehandlung von Frauen und Männern im Bundesrecht (Po. 19.4092)

Beim Schweizerischen Anwaltsverband (SAV) wurde im Juni 2023 einstimmig Matthias Miescher zum neuen Präsidenten gewählt. Miescher, der davor neun Jahre lang Vorsitzender des Solothurnischen Anwaltsverbands gewesen war, löste beim SAV die Genferin Birgit Sambeth ab. Sambeth war die zweite Frau im Präsidium des 125-jährigen Verbands gewesen. Die Amtszeit als SAV-Präsident beträgt zwei Jahre, den Aufwand schätzte Miescher gegenüber der Presse auf ein 50-Prozent-Pensum.
Einen inhaltlichen Schwerpunkt wollte Miescher beim Zugang aller Menschen zum Recht setzen: Obwohl dieser grundsätzlich garantiert sei, werde er aus «angeblich guten politischen Gründen» immer wieder attackiert, etwa mit Bestrebungen zur Aushöhlung der unentgeltlichen Rechtspflege oder mit Angriffen auf das Klientinnen- und Klientengeheimnis. Des weiteren nahm er sich vor, den von seiner Vorgängerin eingeschlagenen Kurs zur Steigerung der Diversität im Berufsstand der Anwältinnen und Anwälte fortzuführen, etwa bezüglich der Geschlechteranteile.
Der SAV ist die Berufsorganisation der freiberuflich tätigen Anwältinnen und Anwälte in der Schweiz und zählt rund 11'000 Mitglieder in 24 Kantonalverbänden. Sein Engagement gilt nach eigenen Angaben nicht nur dem Ansehen und den Interessen des Anwaltsstandes sowie der Weiterbildung seiner Mitglieder, sondern auch der «Vervollkommnung des Rechts und der Rechtspflege [...] im Interesse der Rechtsuchenden und des Rechtsstaats», wozu er auch in den Gesetzgebungsverfahren des Bundes seine Stimme erhebe.

Präsidium des Anwaltsverbands

Der Bundesrat legte im Dezember 2022 den Rahmenkredit 2024–2027 für drei Genfer Zentren im Bereich der Sicherheitspolitik vor. Dieser Rahmenkredit war mit CHF 130 Mio. in etwa gleich hoch wie derjenige der vorangegangenen Periode und entsprach im Übrigen inflationsbereinigt dem Betrag, der bereits für die Periode 2016 bis 2019 gutgeheissen worden war. Bei den Zentren handelt es sich um das Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP), das Genfer internationale Zentrum für humanitäre Minenräumung (GICHD) sowie das Genfer Zentrum für die Gouvernanz des Sicherheitssektors (DCAF). Der Bundesrat führte in der Botschaft aus, dass der Bund mit der Unterstützung dieser Zentren drei Ziele verfolge: Erstens möchte er eine friedliche internationale Ordnung fördern, zweitens soll das internationale Genf als Standort für friedens- und sicherheitspolitische Organisationen gestärkt werden und schliesslich soll das Fachwissen im Bereich der Aussen- und Sicherheitspolitik weiterentwickelt werden.
Der Nationalrat beugte sich in der Sommersession 2023 über die Botschaft. Kommissionssprecherin Doris Fiala (fdp, ZH) erläuterte für die SiK-NR, die dem Rahmenkredit einstimmig zugestimmt hatte, dass sich die drei Genfer Zentren zu weltweit anerkannten und geschätzten Kompetenzzentren für die Aussen-, Friedens- und Sicherheitspolitik entwickelt hätten. Kommisssionssprecher Fabien Fivaz (gp, NE) ergänzte, dass die Arbeit der drei Zentren der humanitären Mission der Schweiz entspreche und zur Entwicklung des Friedens und der internationalen Beziehungen beitrage. Die beiden Mitglieder der FK-NR, Laurence Fehlmann Rielle (sp, GE) und Lars Guggisberg (svp, BE), riefen ebenso dazu auf, den Rahmenkredit gutzuheissen. Sie berichteten, dass es in der Kommission zu einer Diskussion gekommen war, ob der Kredit angesichts der aktuellen Finanzlage des Bundes nicht etwas gekürzt werden sollte. In der Abstimmung sei der entsprechende Antrag auf Kürzung jedoch deutlich mit 22 zu 3 Stimmen abgelehnt worden. Gelobt wurde von den beiden Kommissionssprechenden der Fakt, dass die Zentren in den letzten Jahren den Anteil an Drittmitteln hatten steigern können.
Nach diesen Voten schritt die grosse Kammer zur Abstimmung. Sie stimmte der Vorlage mit 156 zu 23 Stimmen (1 Enthaltung) zu. Die ablehnenden Stimmen stammten aus den Reihen der SVP-Fraktion sowie von einem SP-Mitglied.

Rahmenkredit 2024–2027 für drei Genfer Zentren (BRG 22.081)
Dossier: Internationales Genf

In der Sommersession 2023 beriet der Ständerat als Erstrat das Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot, mit dem die 2021 angenommene Volksinitiative für ein Verhüllungsverbot umgesetzt werden sollte. Nachdem die kleine Kammer im März entgegen dem Antrag ihrer SPK auf den Entwurf eingetreten war, hatte die Kommission sich erneut mit der Vorlage beschäftigt und beantragte ihrem Rat nun die Zustimmung zum Entwurf des Bundesrates. Im Ständeratsplenum blieb die SVP-Fraktion mit ihren Anträgen für eine Verschärfung der Bestimmungen ebenso erfolglos wie das links-grüne Lager mit Anträgen für eine Lockerung. So sprach sich die Ständekammer dagegen aus, dass das Verhüllungsverbot auch in Gemeinschaftsräumen von Mietshäusern gelten soll, wie es eine Minderheit Minder (parteilos, SH) beantragte. Wie vom Bundesrat angedacht, soll die Gesichtsverhüllung nur an öffentlichen oder der Öffentlichkeit zugänglichen Orten verboten werden. Das Verbot schütze das gesellschaftliche Zusammenleben, erklärte Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider, es garantiere nicht das Recht, im Privatleben nie auf eine verschleierte Person zu treffen. Ebenso lehnte es die Kantonskammer ab, das Bewilligungsverfahren für Gesichtsverhüllungen strenger zu reglementieren, wie es eine weitere Minderheit Minder vorschlug. Damit würde zu stark in die kantonale Organisation eingegriffen, argumentierte Kommissionssprecher Mathias Zopfi (gp, GL). Andererseits wollte der Ständerat die Ausnahmebestimmungen auch nicht erweitern, wie es eine Minderheit Stöckli (sp, BE) forderte. Durch eine Ausnahme für «achtenswerte Gründe» – wie sie die Kantone Bern und St. Gallen bereits kennen – wollte die linke Minderheit sicherstellen, dass Demonstrantinnen und Demonstranten sich verhüllen dürfen, um ihre Persönlichkeitsrechte zu schützen, etwa bei Demonstrationen gegen häusliche Gewalt oder Kundgebungen der Anonymen Alkoholiker. Obwohl auch der Bundesrat den Vorschlag unterstützte, fand er in der Ständekammer keine Mehrheit. Letztere war der Ansicht, dass die Ergänzung nicht nötig sei, weil die Verhüllung aus Sicherheitsgründen auch die Sicherheit vor Repressionen umfasse, wie Berichterstatter Zopfi ausführte. Zuletzt stimmte die bürgerlich geprägte Mehrheit in der Kantonskammer gegen einen Antrag Mazzone (gp, GE), der die Maximalbusse von CHF 1000 auf CHF 200 senken wollte. In der Gesamtabstimmung verabschiedete der Ständerat den unveränderten Entwurf mit 36 gegen 8 Stimmen. Letztere stammten aus dem links-grünen Lager.

Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot (BRG 22.065)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Entgegen dem Antrag des Bundesrates nahm der Nationalrat in der Sondersession vom Mai 2023 eine Motion Binder-Keller (mitte, AG) mit dem Ziel an, Nazisymbolik im öffentlichen Raum ausnahmslos zu verbieten. Seine Ablehnung begründete der Bundesrat unter anderem damit, dass das geltende Recht die öffentliche Verwendung von nationalsozialistischen und anderen rassistischen Symbolen zu Propagandazwecken bereits verbiete. Ohne Propagandaabsicht würden die Menschenwürde und der öffentliche Frieden indes nur «mittelbar» beeinträchtigt. Die Meinungsfreiheit gelte zwar nicht absolut, aber gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts sei «hinzunehmen, dass auch stossende Ansichten vertreten werden, selbst wenn sie für die Mehrheit unhaltbar sind», so die Regierung in ihrer Stellungnahme vom Februar 2022.
Wie die Motionärin ein gutes Jahr darauf im Ratsplenum schilderte, habe diese «seltsame Antwort» des Bundesrates einigen «Aufruhr» verursacht, sodass sich dieser veranlasst gesehen habe, einen Bericht zum Thema in Auftrag zu geben. Dieser sei dann zum Schluss gekommen, dass ein Verbot von Nazisymbolik machbar sei, weshalb sie den Rat ersuche, «ein solches Verbot auf den Weg zu schicken», so Binder-Keller. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider bestätigte diese Folgerung und merkte an, dass die Diskussion um ein einschlägiges Verbot bei Weitem noch nicht abgeschlossen sei. Deren Fortführung werde schon durch die zwei hängigen parlamentarischen Initiativen der RK-NR (Pa.Iv. 23.400) und Barrile (sp, ZH; Pa.Iv. 21.524) garantiert, weshalb die vorliegende Motion abgelehnt werden könne. Die Mehrheit in der grossen Kammer sah dies jedoch anders und hiess den Vorstoss mit 141 zu 42 Stimmen bei 4 Enthaltungen gut. Die Gegenstimmen stammten aus den Fraktionen der SVP und der FDP.

Keine Verherrlichung des Dritten Reiches. Nazisymbolik im öffentlichen Raum ausnahmslos verbieten (Mo. 21.4354)
Dossier: Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen

In der Sondersession vom Mai 2023 nahm der Nationalrat mit 142 zu 23 Stimmen bei 7 Enthaltungen eine Motion von Falkenstein (ldp, BS) an, die wirksame Massnahmen gegen Zwangsverheiratungen forderte. Konkret sollen Zwangsverheiratungen künftig mit strafrechtlichem Landesverweis sanktioniert werden können. Die Motionärin ersuchte den Bundesrat um eine entsprechende Anpassung des Bundesgesetzes über Massnahmen gegen Zwangsheiraten. Zusätzlich soll die Regierung die zuständigen interkantonalen Konferenzen – die KKJPD, die EDK und die SODK – zur Verstärkung der Präventionsmassnahmen auffordern. Der Bundesrat hatte die Ablehnung der Motion beantragt, da er keinen Handlungsbedarf sah. Der Straftatbestand der Zwangsheirat (Art. 181a StGB) gelte bereits heute als Anlasstat zur obligatorischen Landesverweisung. Weiter argumentierte er, er habe gegenüber den Kantonen keine Weisungsbefugnis, was den Nationalrat – mit Ausnahme der meisten Grünen und grünliberalen Stimmen – aber offenbar nicht überzeugte.

Wirksame Massnahmen gegen Zwangsverheiratungen (Mo. 21.4541)