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  • Flach, Beat (glp/pvl, AG) NR/CN
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Im März 2021 reichten die Nationalrätinnen und Nationalräte Marionna Schlatter (Pa. Iv. 21.436; gp, ZH), Beat Flach (Pa. Iv. 21.437; glp, AG), Anna Giacometti (Pa. Iv. 21.438; fdp, GR), Nik Gugger (Pa. Iv. 21.439; evp, ZH) und Jon Pult (Pa. Iv. 21.440; sp, GR) fünf gleichlautende parlamentarische Initiativen mit dem Titel «Recht auf gesunde Umwelt und Rechte der Natur» ein. Sie forderten damit nicht weniger als die Revision der Bundesverfassung (BV), mit dem Ziel, das Recht des Menschen auf eine gesunde Umwelt als Grundrecht festzuhalten sowie der Natur zumindest partiell den Status eines Rechtsobjekts zu verleihen.
Die RK-NR befasste sich im Mai 2022 mit den fünf Initiativen. Eine Mehrheit der Kommission (14 zu 11 Stimmen) kam dabei zum Schluss, dass den Initiativen keine Folge zu geben sei. Die Mehrheit vertrat die Ansicht, dass die Begriffe «gesunde Umwelt» sowie «Natur» zu unpräzise seien, um sie als grundrechtlichen Anspruch respektive als Rechtssubjekt in der BV zu verankern. Eine Minderheit vertrat hingegen die Ansicht, dass die Initiativen die Chance bieten, um über Grundsatzfragen rund um den Schutz der Natur zu debattieren, und wollte ihnen daher Folge geben.

Fünf gleichlautende parlamentarische Initiativen mit dem Titel "Recht auf gesunde Umwelt und Rechte der Natur"

Mit einer parlamentarischen Initiative forderte Nationalrat Lukas Reimann (svp, SG) eine Anpassung der Staatshaftungsrechte. Konkret sollte der Artikel 146 BV, laut welchem der Bund für Schäden haftet, die er widerrechtlich verursacht hat, dahingehend ergänzt werden, dass der Bund auch für rechtmässig verursachte Schäden haften und bei einer unbegründeten, schweren Einschränkung der persönlichen Freiheit oder bei Enteignungen Schadenersatz leisten muss. Der Initiant verwies in seiner Begründung auf die Covid-19-Pandemie und argumentierte, dass im Notrecht die meisten staatlichen Handlungen rechtens seien und somit keine Staatshaftung bestehe. Die vorberatende RK-NR sprach sich mit 18 zu 7 Stimmen gegen die Initiative aus. Wie Kommissionssprecher Beat Flach (glp, AG) im Ratsplenum erklärte, war die Kommissionsmehrheit der Meinung, dass die bestehende Ausgestaltung der Staatshaftung ausreichend und angemessen sei. Bezogen auf die Covid-19-Pandemie führte Flach aus, dass Massnahmen wie Geschäftsschliessungen, die nach Reimanns Vorschlag unter die Staatshaftung fallen könnten, vom Parlament besprochen worden und somit rechtmässig und tragbar gewesen seien. Im Allgemeinen befürchtete die Kommissionsmehrheit, dass eine Ausweitung der Staatshaftung zu einer Flut von Klagen führen würde, was das Rechtssystem überfordern könnte. Im Fall von Enteignungen und Eigentumseinschränkungen bestehe bereits eine angemessene Entschädigung. Eine Minderheit Schwander (svp, SZ) unterstützte die Initiative mit der Begründung, dass mit der bestehenden Gesetzgebung die Staatshaftung zu wenig breit angelegt sei und dass die Hürden für die Einforderung der Staatshaftung zu hoch seien. Der Nationalrat lehnte die parlamentarische Initiative in der Frühjahrssession 2022 mit 135 zu 50 Stimmen ohne Enthaltung ab. Über die SVP-Fraktion hinaus fand sie keine Unterstützung.

Anpassung der Staatshaftungsrechte (Pa. Iv. 20.477)

In der Sommersession 2020 befasste sich der Nationalrat als Zweitrat mit dem Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT). In der langen Eintretensdebatte wurden die grundsätzlichen Fragen erörtert, ob die vorgesehenen Massnahmen mit den Menschenrechten vereinbar seien und ob es sie überhaupt brauche. Während die Fraktionen der Grünliberalen, der Grünen und der Sozialdemokraten beide Fragen entschieden verneinten, zeigte sich die bürgerliche Ratsseite sowohl von der Notwendigkeit als auch von der Völkerrechtskonformität des Gesetzes vollkommen überzeugt. GLP-Nationalrätin Katja Christ (glp, BS) beantragte Nichteintreten, weil die Gesetzesvorlage die Schweiz nicht sicherer mache, sondern den Rechtsstaat untergrabe. «Rund achtzig Nichtregierungsorganisationen sowie namhafte Straf- und Völkerrechtler» seien sich darin einig, dass mit den geplanten Massnahmen «eine Grenze überschritten» werde, nahm Christ auf die mediale Diskussion im Vorfeld der Ratsdebatte Bezug und warnte pathetisch: «Die Freiheit stirbt mit Sicherheit». Ins gleiche Horn blies Grünen-Vertreterin Marionna Schlatter (gp, ZH), die das Geschäft an den Bundesrat zurückweisen wollte. Sie forderte, die unklare Definition des Gefährders müsse überarbeitet werden, «denn weder Sie noch sonst jemand kann das Gegenteil beweisen, wenn ihr oder ihm vorgeworfen wird, potenziell gefährlich zu sein.» Gerade die Grundrechte seien «unser stärkstes Schutzschild» im Kampf gegen den Terrorismus und sie hoffe deshalb, dass die öffentliche Kritik der Menschenrechtsbeauftragten des Europarats sowie der UNO-Sonderberichterstatter «in diesem Saal etwas bewegt» habe. Dasselbe postulierte die Sozialdemokratin Franziska Roth (sp, SO), die ebenfalls einen Rückweisungsantrag stellte. Das Gesetz gefährde «das, was wir eigentlich vor Terrorismus schützen wollen, und das ist, gelinde gesagt, Stumpfsinn», polterte sie. Der Bundesrat müsse die vorgeschlagenen Massnahmen – insbesondere jene, die Kinder und Jugendliche betreffen, was «der Schweiz nicht würdig» sei – deshalb auf Vereinbarkeit mit der Bundesverfassung und mit dem Völkerrecht sowie auf ihre Notwendigkeit prüfen und einen Mitbericht der RK-NR einfordern. Kommissionssprecher Mauro Tuena (svp, ZH) plädierte dagegen für Eintreten und gegen die Rückweisungen, denn die Verschärfungen seien angesichts der terroristischen Bedrohungslage dringend notwendig. «Mit diesen Präventivmassnahmen können Menschenleben gerettet werden», appellierte er an das Ratsplenum. SVP-Fraktionssprecher Jean-Luc Addor (svp, VS) erklärte, die Schweiz befinde sich gegenüber dem Terrorismus in einer «Situation der legitimen Selbstverteidigung» und dass Kinder von Terrorgruppen benutzt würden, sei «eine traurige Realität». Dass internationale Menschenrechtsinstitutionen die Schweiz öffentlich kritisiert hatten, oder in seinen Worten sich «mit mindestens zweifelhafter Legitimität» für «berechtigt» gehalten hätten, den Volksvertretern eines souveränen Staats «eine Predigt zu halten» und ihnen zu «erklären», was sie tun dürften und was nicht, bezeichnete er indes als «einigermassen originell». FDP-Sprecher Rocco Cattaneo (fdp, TI) hob hervor, dass mit diesem Gesetz die kantonalen und kommunalen Polizeikorps «endlich» die Möglichkeit erhielten, schnell zu reagieren. Alois Gmür (cvp, SZ) legte die Position der Mitte-Fraktion so dar, dass es eben «gewisse Opfer» brauche, «wenn man tatsächlich mehr Sicherheit will», worauf ihm SP-Nationalrat Fabian Molina (sp, ZH) die rhetorische Frage stellte, ob es dann nicht am sinnvollsten wäre, «dass man alle Männer von 15 bis 50 Jahren präventiv unter Hausarrest stellen würde, um die Anzahl der Delikte gegen Leib und Leben auf nahezu null zu reduzieren». Mit vielen Fragen konfrontiert wurde auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter, die in ihrem Votum die Notwendigkeit der Vorlage betonte und mehrfach bekräftigte, der Bundesrat habe die Grundrechtsfragen «vertieft und sorgfältig geprüft». Die international geäusserten Bedenken teile sie nicht und erachte sie als «unbegründet», erläuterte sie. Es handle sich dabei um «eine politische Stellungnahme», die aber «rechtlich nicht sehr präzis» und eher «Ausdruck einer allgemeinen Sorge» gewesen sei.
Nach einem langen, veritablen Schlagabtausch zwischen dem befürwortenden und dem ablehnenden Lager trat der Nationalrat schliesslich mit 107 zu 84 Stimmen bei einer Enthaltung auf das Geschäft ein. Die beiden Rückweisungsanträge wurden mit 85 zu 106 Stimmen (1 Enthaltung) respektive 85 zu 105 Stimmen (2 Enthaltungen) abgelehnt. Es standen sich dabei das links-grün-grünliberale und das bürgerliche Lager jeweils geschlossen gegenüber. In der Detailberatung brachte das links-grüne Lager etliche Minderheitsanträge zur Abschwächung der Vorlage ein, die allesamt scheiterten. Ebenso erfolglos blieb der einzige Änderungsantrag der Kommissionsmehrheit, die einen neuen Artikel zur sogenannten gesicherten Unterbringung von Gefährdern (GUG) einbringen wollte. Mit diesem Artikel könnten «klar Leben gerettet werden», argumentierte Kommissionssprecher Tuena, während die Kommissionsminderheit um Beat Flach (glp, AG) betonte, diese Massnahme sei nicht EMRK-konform. Auch nach Ansicht des Bundesrates gehe eine solche Präventivhaft – im Gegensatz zum Hausarrest als ultima ratio – «tatsächlich zu weit», weshalb der Bundesrat trotz Bitten der Kantone ausdrücklich auf die GUG verzichtet habe, wie die Justizministerin ausführte. Mit 113 zu 78 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgte der Nationalrat der Minderheit und lehnte die Präventivhaft ab – dies, weil sich hier zusätzlich zur links-grünen Ratsseite auch die grosse Mehrheit der FDP-Fraktion sowie eine Minderheit der Mitte-Fraktion zum Nein-Lager gesellten. Somit nahm die grosse Kammer die inhaltlich unveränderte Vorlage – es wurden jedoch einige redaktionelle Anpassungen vorgenommen – in der Gesamtabstimmung mit 111 zu 86 Stimmen ohne Enthaltungen an. Abgelehnt hatten das Gesetz die geschlossenen Fraktionen der SP, der Grünen und der Grünliberalen sowie SVP-Nationalrat Pirmin Schwander (svp, SZ).

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; 19.032)
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung
Dossier: PMT und damit umgesetzte Vorstösse
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Der Ständerat hatte in der Frühjahrssession 2020 die vom Bundesrat vorgeschlagenen polizeilichen Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) weitgehend unverändert übernommen. Damit sollen terroristische Gefährderinnen und Gefährder als letztes Mittel unter Hausarrest gestellt werden können, auch wenn sie noch minderjährig sind. Daran entzündete sich nachfolgend eine öffentliche Debatte über die Rechtsstaatlichkeit solcher Massnahmen. Wer ein Gefährder oder eine Gefährderin ist, sei nur «äusserst schwammig» definiert, monierte die WOZ, und es sei beängstigend, «wie sorglos die ParlamentarierInnen mit den Grundrechten umgehen». Weiter lastete die Zeitung der Kantonskammer «Arbeitsverweigerung» an, weil sie sich nicht mit diesen grundlegenden Fragen auseinandergesetzt habe. Kritisch ausgefallen ist, wie die Presse im Mai berichtete, auch ein Rechtsgutachten, das vom Bund und den Kantonen in Auftrag gegeben worden war. Darin warnte Rechtsprofessor Andreas Donatsch vor einer Verletzung der EMRK – dass ein Mensch als gefährlich eingestuft werde, genüge nicht, um ihn einzusperren. Zum selben Schluss kamen sowohl das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte als auch die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović. Man befürchte, «dass die Anwendung dieses Gesetzes zu erheblichen Verletzungen der Menschen- und Grundrechte führt», zitierte beispielsweise der «Sonntags-Blick» aus dem Schreiben an den Bundesrat, das fünf UNO-Sonderberichterstatter unterzeichnet hatten. Die unpräzisen Formulierungen bzw. das vage Konzept des «potenziellen Terroristen» bereiteten das Feld für willkürliche Freiheitsentzüge und die vorgesehenen Massnahmen seien so weder mit der EMRK noch – da zum Teil schon ab 12 Jahren angedacht – mit der UNO-Kinderrechtskonvention vereinbar, lautete die internationale Schelte. Europaratskommissarin Mijatović forderte die Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier zudem in einem Brief auf, «ihr Vorhaben zu revidieren», wie «Le Temps» berichtete.
Die SiK-NR goss unterdessen munter Öl ins Feuer, als sie ungeachtet der Kritik am bundesrätlichen Entwurf diesen noch verschärfte. In ihrer Sitzung Mitte Mai 2020 ergänzte sie die polizeilichen Massnahmen mit 11 zu 10 Stimmen bei 4 Enthaltungen um eine sogenannte gesicherte Unterbringung von Gefährdern (GUG), d.h. eine Präventivhaft für Personen, die keine Straftat begangen haben, denen der Nachrichtendienst dies aber zutraut. Sie wolle damit eine vom Nationalrat 2018 angenommene entsprechende Motion 16.3673 umsetzen, war ihrer Medienmitteilung zu entnehmen. Die Aargauer Zeitung kommentierte diesen Entscheid in Anbetracht der Debatte um die Rechtsstaatlichkeit des – im Vergleich zur Haft weniger einschneidenden – Hausarrests als «überraschend». Als Anführer der starken Minderheit, die sich in der Kommission gegen die Präventivhaft stellte, liessen die Medien Nationalrat Beat Flach (glp, AG) zu Wort kommen: Ein liberaler Rechtsstaat müsse andere – auch «verrückt andere» – Meinungen zulassen, denn wenn wir unsere Grundwerte über Bord würfen, hätten die Terroristen uns «in die Knie gezwungen», so Flach gegenüber der Aargauer Zeitung. Relativierend äusserte sich in derselben Zeitung dagegen Kommissionspräsidentin Ida Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU): «Damit man in der Schweiz als Gefährder eingestuft wird, braucht es mehr als eine extreme Meinungsäusserung.»
Bevor sich in der Sommersession 2020 der Nationalrat mit dem Geschäft befassen wird, sprachen sich in der Presse Vertreterinnen und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen sowie Kinder- und Grundrechtsexperten noch einmal vehement gegen die umstrittenen Massnahmen aus. Bei der Terrorbekämpfung dürften die Menschenrechte nicht aussen vor bleiben, forderten sie unisono. Ausserdem habe die Schweiz mit Genf als «UNO-Menschenrechtshauptstadt» durchaus einen Ruf zu verlieren, gab eine Vertreterin von Amnesty International gegenüber dem «Corriere del Ticino» zu bedenken.

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; 19.032)
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung
Dossier: PMT und damit umgesetzte Vorstösse
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Als Zweitrat befasste sich in der Herbstsession 2016 der Ständerat mit der Wiedergutmachungsinitiative und dem indirekten Gegenentwurf des Bundesrates. Die vorberatende Kommission beantragte Eintreten und Zustimmung zum Beschluss des Nationalrates in allen Punkten. Dennoch hatte die kleine Kammer zuerst über einen Nichteintretensantrag zu befinden; Werner Hösli (svp, GL) war der Ansicht, man solle besser das Volk über die Initiative abstimmen lassen als hier ohne Volksbefragung zu legiferieren. Mit seiner Argumentation konnte er jedoch kein anderes Ständeratsmitglied überzeugen und so wurde Eintreten mit 36 zu 1 Stimme beschlossen. Mit dem gleichen Stimmenverhältnis stimmte der Ständerat auch der Gesetzesvorlage zu. Wie schon der Nationalrat nahm auch der Ständerat den Bundesbeschluss über die Finanzierung der Solidaritätsbeiträge diskussionslos an und empfahl die Volksinitiative zur Ablehnung. In der Schlussabstimmung wurde das Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 im Nationalrat mit 149 zu 47 Stimmen bei 2 Enthaltungen und im Ständerat mit 39 zu 1 Stimme bei 4 Enthaltungen angenommen. Wie sich in den Debatten schon gezeigt hatte, stammte sämtliche Opposition aus dem rechtsbürgerlichen Lager.

Bei den Initianten war die Freude über diesen Parlamentsentscheid gross: Es sei ein „grosser Moment nicht nur für die Betroffenen, sondern für die Schweiz“, werden die Mitinitianten Joachim Eder (fdp, ZG) und Matthias Aebischer (sp, BE) im Tages-Anzeiger zitiert. Hauptinitiant Guido Fluri sprach von einem „historischen Tag“ und liess verlauten, er sei „stolz, Bürger dieses Landes zu sein“. Wie angekündigt zog das Initiativkomitee nach der Annahme des Gegenvorschlags durch das Parlament sein Begehren zurück. Die Referendumsfrist für das Gesetz läuft bis am 26. Januar 2017; verstreicht sie ungenutzt, wird es im April 2017 – nur gut zwei Jahre nach Einreichung der Initiative – in Kraft treten. Ab dann werden die Betroffenen ein Jahr Zeit haben, um ein Gesuch für einen Solidaritätsbeitrag zu stellen. Fluri zeigte sich optimistisch, dass die ersten Auszahlungen bereits 2018 erfolgen könnten. Wichtiger als das Geld sei jedoch die Anerkennung des Unrechts, betonte er.

Wiedergutmachung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen (Volksinitiative und indirekter Gegenvorschlag; 15.082)
Dossier: Wiedergutmachung für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen

Die Wiedergutmachungsinitiative und der indirekte Gegenentwurf des Bundesrates in Form des Bundesgesetzes über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 waren in der Aprilsession 2016 Gegenstand der Beratung im Nationalrat. Der Bundesrat hatte dem Nationalrat drei Entwürfe vorgelegt: den Bundesbeschluss über die Volksinitiative, das Bundesgesetz als indirekten Gegenvorschlag und einen Bundesbeschluss über die Finanzierung der Solidaritätsbeiträge. Da im Fall der Volksinitiative Eintreten obligatorisch ist, drehte sich die Eintretensdebatte um die beiden letztgenannten Vorlagen. Die Mehrheit der RK-NR beantragte ihrem Rat Eintreten. Sie unterstütze die Ziele der Initiative, bevorzuge aber den indirekten Gegenvorschlag, da dieser rascher umgesetzt werden könne und schnelle Hilfe in Anbetracht des fortgeschrittenen Alters und des Gesundheitszustands vieler Opfer sinnvoll sei. Eine Kommissionsminderheit stellte einen Nichteintretensantrag. Sie war der Meinung, der Staat dürfe nicht einfach so ohne rechtliche Grundlage Geld verteilen, da Grundlage und Schranke staatlichen Handelns eben das Recht sei. Die rechtlichen Ansprüche der Opfer seien bereits verjährt und auch die Verjährung sei eine „Errungenschaft des Rechtsstaates“, führte Claudio Zanetti (svp, ZH) aus. Im Rat sprach sich nur aus der SVP-Fraktion eine Mehrheit für Nichteintreten aus. Fraktionssprecher Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) erklärte, er gehe davon aus, dass alle Vorfahren nach bestem Wissen und Gewissen das für sie Richtige getan hätten und man sie dafür nicht verurteilen dürfe, nur weil die heutige Gesellschaft andere Anschauungen entwickelt habe. Mit einer deutlichen Mehrheit von 142 zu 28 Stimmen bei 10 Enthaltungen trat die grosse Kammer schliesslich auf die beiden Vorlagen ein.

In der Detailberatung ergänzte der Nationalrat das Bundesgesetz um zwei Bestimmungen. Erstens beschränkte er die Solidaritätszahlungen auf höchstens 25'000 Franken pro Opfer. Zweitens sollen Forderungen, die ihren Rechtsgrund unmittelbar in einer fürsorgerischen Zwangsmassnahme oder einer Fremdplatzierung haben und sich gegen die Opfer oder deren Angehörige richten, beispielsweise Heimkosten, mit Inkrafttreten des Gesetzes automatisch erlöschen. Die so abgeänderte Vorlage wurde mit 143 zu 26 Stimmen bei 13 Enthaltungen gutgeheissen. Matthias Aebischer (sp, BE) versprach, sich im Initiativkomitee für den Rückzug der Initiative stark zu machen, sollte der indirekte Gegenvorschlag im Parlament angenommen werden. Die beiden anderen Entwürfe wurden von der grossen Kammer diskussionslos angenommen. Damit schloss sich der Nationalrat dem Bundesrat an und empfahl die Initiative zur Ablehnung.

Wiedergutmachung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen (Volksinitiative und indirekter Gegenvorschlag; 15.082)
Dossier: Wiedergutmachung für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen