Wie schon vor zwei Jahren gaben die Wahlen für das Präsidium und Vizepräsidium am Bundesgericht (für die Amtsperiode 2023-2024) Anlass für einige mediale Diskussionen. Dabei ging es insbesondere um den amtierenden Vizepräsidenten Yves Donzallaz, der nach dem angekündigten Rücktritt von Bundesgerichtspräsidentin Martha Niquille für das höchste Richteramt kandidierte. Der 2008 für die SVP ans Bundesgericht gewählte Walliser war bereits 2020 von seiner eigenen Partei für die Gesamterneuerungswahlen des Bundesgerichts für die Amtsperiode 2021-2026 nicht zur Wiederwahl empfohlen worden, weil er laut seiner Partei deren Gedankengut nicht mehr vertrete. Nachdem Donzallaz dann Mitte Oktober 2022 vom Bundesgericht zum Präsidenten empfohlen worden war, trat Donzallaz aus der SVP aus und setzte damit einen «Schlussstrich unter eine seit Jahren tief zerrüttete Beziehung», wie die NZZ urteilte. Dies sei in einem Gespräch mit Fraktionspräsident Thomas Aeschi (svp, ZG) und Parteipräsident Marco Chiesa (svp, TI) so vereinbart worden, gab Donzallaz in den Medien zu Protokoll, damit sein Verhältnis zur SVP während seines Präsidiums beruhigt werde und eine konstruktive Zusammenarbeit möglich bleibe. Die Aargauer Zeitung erinnerte daran, dass die «Justizposse» auch im Rahmen der Abstimmung über die «Justiz-Initiative» eine Rolle gespielt habe. Je nach Lesart sei Donzallaz einerseits Beweis dafür, dass ein Richter oder eine Richterin durchaus auch anders entscheide, als dies die Parteifarbe erwarten liesse, das System also funktioniere. Andererseits zeige das Verhalten der SVP, dass es mit der Unabhängigkeit von der eigenen Partei wohl nicht immer weit her sei. Der Sonntags-Blick goss unmittelbar vor den Wahlen des Bundesgerichtspräsidiums zusätzlich Öl ins Feuer. Die Empfehlung des Bundesgerichts, Donzallaz als obersten Richter zu wählen, sei lediglich mit 20 zu 15 Stimmen (3 Enthaltungen) gefallen. Das Misstrauen gegen den Kandidierenden rühre von der stark kritisierten Aufsichtsarbeit der Verwaltungskommission des Bundesgerichts bezüglich der Vorkommnisse am Bundesstrafgericht her, in der Donzallaz neben Martha Niquille und dem damaligen Bundespräsidenten Ulrich Meyer gesessen habe, wusste der Sonntagsblick zu berichten. Aber auch der Umstand, dass der Vollzeitrichter Zeit finde, um ein Buch «mit insgesamt 4'418 Seiten» zu schreiben, sei wohl in Lausanne auf Argwohn gestossen, so die Zeitung.
In der Wintersession 2022 wählte die Vereinigte Bundesversammlung den auch von der GK in ihrer Wahlempfehlung explizit neu als parteilos geführten Donzallaz mit 156 von 165 gültigen Stimmen. Von den 213 ausgeteilten Wahlzetteln wurden 3 nicht zurückgegeben. Von den restlichen 210 blieben ganze 41 leer, 4 waren ungültig und 9 entfielen auf Diverse. Weniger umstritten war die Wahl des neuen Vizepräsidenten: Der seit 2011 am Bundesgericht amtende und der FDP angehörende François Chaix erhielt 207 Stimmen; 6 der 213 eingelangten Wahlzettel blieben leer.
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative