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Die GK empfahl Marc Thommen zum Nachfolger von Rolf Grädel als Fachperson in der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA). Die siebenköpfige AB-BA umfasst neben Richterinnen oder Richtern aus dem Bundesgericht und dem Bundesstrafgericht (je eine Person) zwei Anwältinnen oder Anwälte und drei Fachpersonen, die weder in einem eidgenössischen Gericht tätig noch in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragen sein dürfen. Marc Thommen erfülle diese Bedingungen, verfüge über umfangreiche Kenntnisse im Strafrecht und habe die GK an seiner Anhörung sehr überzeugt. Parteipolitische Überlegungen spielten bei der AB-BA keine Rolle – so der Kommissionsbericht. Die Wahl eines neuen Mitglieds der AB-BA war nicht umstritten und die Vereinigte Bundesversammlung wählte Thommen mit 235 von 241 eingelangten Stimmen zum Nachfolger von Grädel. Sechs Stimmzettel waren leer geblieben.

Ersatzwahl für ein Mitglied der AB-BA (2020)
Dossier: Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA)

Nachdem die Immunität von Michael Lauber von den beiden zuständigen Kommissionen aufgehoben worden war, hatte das Parlament zu bestimmen, wer die Strafuntersuchung gegen den mittlerweile aus dem Amt ausgeschiedenen Bundesanwalt, dem Amtsmissbrauch, Amtsgeheimnisverletzung und Begünstigung vorgeworfen wurden, führen soll. Die Vereinigte Bundesversammlung musste hierfür in der Herbstsession 2020 einen Sonderstaatsanwalt wählen – ein Novum in der Geschichte der Schweiz. Die GK schlug dem Parlament einstimmig Stefan Keller vor, der bereits von der AB-BA als ausserordentlicher Bundesanwalt für die Voruntersuchung eingesetzt worden war. Der Obwalder Jurist war entsprechend mit dem Fall bestens vertraut und die GK traute ihm zu, eine «lückenlose Fortsetzung des Verfahrens» zu gewährleisten, wie sie in ihrem Bericht Anfang September 2020 darlegte. Ein Vorteil von Keller sei zudem seine Unabhängigkeit.
In den Medien wurde Keller als «unorthodox» bezeichnet (Tages-Anzeiger). Der Blick zitierte Beat Flach (glp, AG), der die Wahl Kellers als «Hochrisikospiel» bezeichnete. Kellers Eignung für das «schwierige Amt des Sonderermittlers» sei von der GK nur sehr oberflächlich abgeklärt worden, behauptete der Blick.
Im Parlament war die Wahl freilich unbestritten. GK-Präsident Andrea Caroni (fdp, AR) kritisierte in seinem Votum die medialen Versuche, «Herrn Keller in ein schiefes Licht zu rücken», und ärgerte sich darüber, dass erneut ein vertrauliches Dokument der Gerichtskommission an die Medien gelangt sei. Mit 220 von 223 gültigen Stimmen (von den 241 Wahlzetteln waren 237 eingegangen und 14 leer geblieben) wurde Keller deutlich zum ausserordentlichen Bundesanwalt bestimmt.

Sonderstaatsanwalt für den «Fall Lauber»

In der Herbstsession wurde der Geschäftsbericht des Bundesgerichts 2019 von den Räten zur Kenntnis genommen und gutgeheissen. Die Sprecherin und der Sprecher der GPK und der Subkommissionen Gerichte – Manuela Weichelt-Picard (al, ZG) und Philippe Nantermod (fdp, VS) – empfahlen dem Nationalrat, den Bericht zu genehmigen, und fassten die wichtigsten Elemente zusammen.
Die Geschäftslast sei – vor allem in der strafrechtlichen, der zweiten zivilrechtlichen und den beiden öffentlich-rechtlichen Abteilungen – nach wie vor sehr hoch, habe aber trotz Pensionierung und Ersatz von 6 von 38 ordentlichen Bundesrichterinnen und Bundesrichtern im Verlauf des Berichtjahres bewältigt werden können. Insgesamt seien 7'937 Fälle behandelt worden (2018: 8'041). Die Personalstrategie sei angepasst worden und man habe noch vor Corona Home-Office für die Gerichtsschreibenden eingeführt sowie mit der Beteiligung an einer Institution mit Krippenplätzen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesorgt.
Die Digitalisierung schreite auch im Rahmen des Projekts «Justitia 4.0» voran, wenn auch nicht so rasch wie gewünscht. 2019 sei die Revision des Bundesgerichtsgesetzes zwar gescheitert, Bundesgerichtspräsident Ulrich Meyer (sp) ersuche die Räte aber, die nicht strittigen Punkte aus der Revision möglichst rasch wieder aufzunehmen. Weichelt-Picard berichtete auch über die Aufsichtsaufgaben, welche das Bundesgericht gegenüber den anderen eidgenössischen Gerichten hat. Das Bundesgericht sei 2019 gebeten worden, die Probleme beim Bundesstrafgericht zu untersuchen. In den Medien waren Führungsschwäche und Mobbing vermutet worden. Der Bundesgerichtspräsident habe sich zuerst zwar noch verhalten optimistisch zur Lage am Bundesstrafgericht geäussert, allerdings seien Ende 2019 neue Vorwürfe aufgetaucht, denen das Bundesgericht nun zusätzlich nachgehen müsse. Der Nationalrat nahm den Bundesbeschluss über den Geschäftsbericht in der Folge diskussionslos an.

Der Ständerat verspürte grössere Lust zur Diskussion über den Bericht. Carlo Sommaruga (sp, GE) erinnerte daran, dass der Jahresbericht des Bundesgerichts in der Regel im ersten Semester und nicht erst drei Monate vor Ende des Jahres debattiert werde. Covid-19 habe aber nun zu dieser Verschiebung geführt und er behalte sich deshalb vor, neben seinem Bericht für die Kommission auch ein paar Bemerkungen zu aktuellen Ereignissen einfliessen zu lassen. Auch er ging auf die Fallzahlen ein: 2019 seien 7'884 neue Fälle ans Bundesgericht gelangt, 86 mehr als im Vorjahr. Die Zahl pendenter Fälle habe im Vergleich zum Vorjahr hingegen marginal abgenommen. Im Schnitt habe die Zeit für die Erledigung eines Falls 140 Tage betragen.
Sommaruga hob aus dem Bericht weiter hervor, dass die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts noch immer nicht in einem anderen Gebäude untergebracht sei, wie dies eigentlich geplant gewesen war.
Das Bundesverwaltungsgericht habe 2019 mit 6'965 neuen Fällen ebenfalls eine hohe Geschäftslast gehabt, führte Sommaruga weiter aus; mit 7'157 erledigten Prozessen und einer Verringerung der Dauer eines Falls (von 2018 durchschnittlich 284 auf 264 Tage) hätten die Pendenzen aber abgebaut werden können.
Auch im Ständerat war die Untersuchung der Vorkommnisse beim Bundesstrafgericht Thema. Leider – so Sommaruga – sei der Untersuchungsbericht gleichzeitig bei der GPK und bei der Presse gelandet, was viel Ärger ausgelöst habe. Die Geschichte sei aber noch nicht zu Ende.
In der Folge nahm Bundesgerichtspräsident Ulrich Meyer als Gast der kleinen Kammer Stellung zu diesem «Fall Bellinzona». Man habe bereits im Januar 2020 mit der Untersuchung begonnen und dann den Abschlussbericht im April 2020 gleichzeitig im Internet aufgeschaltet und der GPK abgegeben. Dies entspreche der eigenen Praxis und sei mit der Subkommission Gerichte abgesprochen gewesen. Nach acht Jahren Tätigkeit in der Aufsichtsbehörde des Bundesgerichts wolle er die Empfehlung abgeben, dass die GPK und die Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten und nicht Gegensätze suchen sollten. Ziel müsse es sein, sicherzustellen, dass die Gerichte ordnungsgemäss funktionierten. Dass dies der Fall sei, könne er garantieren. Carlo Sommaruga insistierte in der Folge, dass die Veröffentlichung des Berichts im Internet mit Namensnennung nicht abgesprochen gewesen sei.
Ebenfalls bezugnehmend auf ein aktuelles Ereignis stellte in der Folge Beat Rieder (cvp, VS) «unverblümt eine direkte Frage an den Herrn Bundesgerichtspräsidenten», nämlich wie er zu Gesuchen auf Verschiebung der Bundesrichterwahlen stehe. In der Tat standen am folgenden Tag die Gesamterneuerungswahlen des Bundesgerichtes an, bei denen aufgrund der Forderung der SVP, einen Bundesrichter nicht zu bestätigen, ein Verschiebungsgesuch der SP diskutiert werden sollte. Meyer argumentierte, dass er sich als Bundesrichter nicht in parlamentarische Geschäfte einmischen wolle. Dies sei gelebte Gewaltenteilung. Seine persönliche Meinung, nachdem er zwölfmal gewählt und wiedergewählt worden sei, sei aber, dass man mit einer Verschiebung keine Probleme lösen würde.
Auch der Ständerat nahm den Bundesbeschluss schliesslich ohne Diskussion an.

Geschäftsbericht 2019 des Bundesgerichts
Dossier: Geschäftsberichte des Bundesgerichts

Ende Juli 2020, nur wenige Tage nach der Rücktrittsankündigung Michael Laubers, entschied der ausserordentliche Bundesanwalt Stefan Keller, dass gegen Lauber, gegen Fifa-Präsident Gianni Infantino und gegen den Walliser Staatsanwalt Rinaldo Arnold Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch, Amtsgeheimnisverletzung und Begünstigung beziehungsweise wegen Anstiftung zu Begünstigung eingeleitet werden sollen. Die mutmasslichen Strafhandlungen sollen während vier geheimen und nicht protokollierten und von Arnold organisierten Treffen zwischen dem Bundesanwalt und dem Fifa-Präsidenten geschehen sein. Der Antrag Kellers hatte zwei konkrete Folgen für das Parlament: Erstens mussten die zuständigen Kommissionen entscheiden, ob die Immunität Laubers aufgehoben werden soll. Nur in diesem Fall konnte ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet werden. Zweitens musste das Parlament eine ausserordentliche Bundesanwältin oder einen ausserordentlichen Bundesanwalt wählen und diese oder diesen mit der Strafuntersuchung betrauen.

Mitte August entschied sich die Kommission für Rechtsfragen des Ständerats mit 10 zu 1 Stimmen, die Immunität Laubers aufzuheben. Zwar war Lauber kurz zuvor zurückgetreten, seine Immunität hätte jedoch ohne Aufhebung auch weiterhin Bestand. Laut des Kommissionsberichts sei Lauber angehört worden, er habe die Zweifel am Verdacht, dass bei besagten Treffen strafbare Handlungen ausgeführt wurden, aber nicht entkräften können. Lauber hatte vergeblich darauf hingewiesen, dass weder die AB-BA noch das Bundesverwaltungsgericht Anzeichen auf strafbare Handlungen gefunden hätten und dass lediglich Vermutungen, aber keine konkrete Vorwürfe bestünden.
Die Kommission entschied, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der amtlichen Stellung Laubers und den ihm vorgeworfenen Handlungen bestehe – dies gilt als Voraussetzung für die Aufhebung der Immunität: Es sei unbestritten, dass Lauber in seiner Funktion als Bundesstaatsanwalt an den Treffen teilgenommen habe. Das rechtsstaatliche Interesse überwiege zudem dem institutionellen Interesse, also dem Schutz der Bundesanwaltschaft gegen mögliche haltlose Anschuldigungen. Es sei letztlich im «Interesse der Glaubwürdigkeit der Institution Bundesanwaltschaft selbst», dass der Sachverhalt geklärt werde. Zudem sei damit wohl auch Lauber selber gedient, weil er seinen Ruf im Rahmen eines Strafverfahrens verteidigen könne, schloss die ständerätliche Kommission ihren Bericht.

Am 24. August beschloss auch die für die Aufhebung zuständige nationalrätliche Kommission, die Immunitätskommission (IK-NR), mit 8 zu 1 Stimmen, die Immunität des Bundesanwaltes aufzuheben. Auch die IK-NR hörte Lauber noch einmal an, beurteilte den Zusammenhang zwischen amtlicher Stellung und Handlung als gegeben und befand ebenfalls, dass der Schutz der Institutionen weniger wichtig sei als die rechtsstaatlichen Interessen. Im vorliegenden Fall habe die Öffentlichkeit ein hohes Interesse an Aufklärung. Wie ihre Schwesterkommission betonte auch die IK-NR, dass es im Interesse der Institution Bundesanwaltschaft sei, «dass man nach jahrelanger medialer Diskussion jetzt [...] genau hinschaue.»

Damit war die Aufhebung der Immunität Laubers also beschlossene Sache. Das Parlament hatte freilich noch die ausserordentliche Bundesanwältin oder den ausserordentlichen Bundesanwalt zu wählen, der die Strafverfahren in Angriff nehmen sollte.

Strafverfahren gegen Lauber
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Kurz bevor das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Beschwerde Michael Laubers gegen die Verfügung der AB-BA publik wurde, reichte der Bundesanwalt Ende Juli 2020 mittels persönlicher Stellungnahme ein Rücktrittsangebot ein. Er verwahrte sich dort gegen den Vorwurf, gelogen zu haben. Die AB-BA hatte Lauber in ihrer Disziplinaruntersuchung vorgeworfen, über die informellen und nicht dokumentierten Treffen mit Fifa-Präsident Gianni Infantino nicht die Wahrheit gesagt zu haben, eine Einschätzung, die vom Bundesverwaltungsgericht schliesslich bestätigt worden war. In seiner Erklärung betonte Lauber, dass es letztlich der Institution Bundesanwaltschaft schade, wenn man ihm persönlich nicht glaube, weshalb er der GK seinen Rücktritt anbiete und mit ihr die entsprechenden Modalitäten besprechen werde.

In den Medien stiess die Stellungnahme Laubers auf einiges Unverständnis. In der NZZ erklärte GK-Präsident Andrea Caroni (fdp, AR), dass es ein Rücktrittsangebot formell nicht geben könne. Entweder müsse das Parlament den Bundesanwalt absetzen – ein entsprechendes Amtsenthebungsverfahren gegen Lauber war in der Tat am Laufen – oder Lauber müsse eine Kündigung einreichen. Lauber habe ihm aber eine schriftliche Erklärung zugesichert, mit der er erläutern wolle, was er mit seinem Angebot bezwecke und was er unter den Modalitäten verstehe. Das «Adieu auf Umwegen» (NZZ) stiess den meisten Medien sauer auf. Er wolle sich einen ehrenvollen Abgang sichern, urteilte Le Temps. Dieses Verhalten sei «inacceptable», befand Carlo Sommaruga (sp, GE) und in der gleichen Zeitung gab auch Sibel Arslan (basta, BS) zu Protokoll, die GK sei kein Basar, auf dem man Abgangsmodalitäten verhandeln könne. Er hoffe wohl, er könne die Bedingungen für seinen Rücktritt aushandeln, vermutete Yves Nidegger (svp, GE). Die Medien begrüssten freilich den baldigen Abgang Laubers. Die Aargauer Zeitung urteilte, dass Lauber «von Anfang an der falsche Mann» gewesen sei, der nur seine eigene Person in den Vordergrund gestellt habe. Dass er das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts «respektiere» und nicht «akzeptiere», wie das in seiner Erklärung stehe, sei ein beredtes Zeichen dafür, so die Aargauer Zeitung weiter. Das Parlament sei nun gefordert, «die Missstände endlich zu beheben». Auch die Tribune de Genève urteilte, dass Lauber eine geschwächte Bundesanwaltschaft hinterlasse. Von einem «Scherbenhaufen» sprach derweil der Blick. Das Rücktrittsangebot im Interesse der Institution sei «zynisch» und mit dem «Rücktritt in Unehren» komme Lauber «bloss der totalen Schmach einer Amtsenthebung zuvor».

Ende Juli wurden besagte Modalitäten publik. Lauber hatte seine definitive Kündigung per Ende Januar 2021 eingereicht. Da er sein Ferienguthaben einziehen werde, sei sein letzter Arbeitstag freilich bereits der 31. August 2020. In den Medien wurde diskutiert, ob Lauber überhaupt ein solches Ferienguthaben geltend machen könne, da er in einer Lohnklasse eingeteilt sei, in der Vertrauensarbeitszeit obligatorisch sei und entsprechend keine Überstunden erfasst würden. Auch wenn Lauber also bis Ende Januar 2021 – zwischen September 2020 und Januar 2021 würden die beiden stellvertretenden Bundesanwälte die Bundesanwaltschaft leiten – Lohn beanspruchen werde, sei mit der Kündigung wenigstens eine Abgangsentschädigung ausgeschlossen, urteilte die NZZ. Für Diskussionen sorgte freilich auch der Umstand, dass Lauber trotz Ferien noch einige Monate «Schatten-Bundesanwalt» bleibe, wie dies Andrea Caroni (fdp, AR) im Tages-Anzeiger nannte, und allenfalls versucht sein könnte, das gegen ihn angestrengte Strafverfahren zu behindern. Es brauche deshalb einen «sofortigen Schlussstrich», forderte die NZZ.

Diesen Schlussstrich zog dann die GK, die Mitte August über den Rücktritt Laubers diskutierte und sich für ein vorzeitiges Ausscheiden per 31. August 2020 entschied. Lauber hatte zwischenzeitlich angeboten, die normalerweise 6-monatige Kündigungsfrist um fünf Monate, bzw. auf einen Monat, zu verkürzen. Die bestehenden Ferienguthaben sollten ausbezahlt werden. Das laufende Amtsenthebungsverfahren werde damit gegenstandslos, so die GK in ihrer Medienmitteilung. Der Blick rechnete vor, dass der schnelle Abgang teuer werde: Rund CHF 120'000 dürfte Lauber an «Feriengeld» erhalten. Die mögliche Nachfolgerin oder der mögliche Nachfolger müsse den von Lauber verursachten Scherbenhaufen nun aber «radikal aufräumen».

Rücktrittsangebot von Michael Lauber
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Mitte August 2020 legte der Bundesrat seine Botschaft zur Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)» vor. Er empfahl das Begehren – ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag – zur Ablehnung, da das Losverfahren systemfremd sei. Richterinnen oder Richter würden in der Schweiz von der Bevölkerung (verschiedene Kantone) oder vom Parlament (Kantons- und Bundesebene) gewählt. Die demokratische Legitimation würde geschwächt, wenn das Los über die Besetzung von Gerichten entscheiden würde. Dem Anliegen sei aber einiges abzugewinnen, so der Bundesrat. Es sei ein «gewisses Spannungsverhältnis» zwischen dem aktuellen Parteienproporz (Richterinnen und Richter müssen faktisch Parteimitglied sein und ihrer Partei Mandatssteuern abgeben) und der Idee der Unabhängigkeit der Judikative feststellbar. Zudem sei es in der Vergangenheit bei Bestätigungswahlen (vgl. 20.212; 20.204) zu Druckversuchen von Parteien gekommen, die Richterinnen und Richtern mit Nichtwiederwahl gedroht hätten, was sich ebenfalls negativ auf die richterliche Unabhängigkeit auswirken könne. Der Vorschlag einer einmaligen Amtsdauer ohne Wiederwahl, wie er von der Initiative gemacht werde, könne dem entgegenwirken. Zudem würde es das Losverfahren auch Parteilosen ermöglichen, an den Bundesgerichten zu amten. Die Nachteile des Zufallsverfahrens seien aber gravierender als dessen Vorteile. Nicht die besten Kandidierenden, sondern jene, die vom Los begünstigt würden, würden gewählt. Das Los schwäche nicht nur die Stellung von Parlament und Parteien, sondern berge die Gefahr, dass Gerichtsurteilen geringere Akzeptanz entgegengebracht werden könnte. Zudem werde die demokratische Legitimation der Justiz untergraben, auch wenn die Initiative ein Abberufungsverfahren durch das Parlament vorsehe. Verschiedene Punkte lasse die Initiative schliesslich offen. So werde etwa nicht bestimmt, wie das Losverfahren genau abzulaufen habe oder wie eine «ausgewogene Zusammensetzung des Gerichts [...] hinsichtlich Geschlecht, regionaler Herkunft sowie politischer Grundhaltung» gewährleistet würde.
Auf die Bedeutung der ideologischen Ausgewogenheit wies auch ein Kommentar in der NZZ hin: Auch Richterinnen und Richter seien Menschen mit Überzeugungen und Haltungen. Der freiwillige Parteienproporz – aber nicht das Los – garantiere, dass ein «möglichst breites Spektrum dieser Überzeugungen vertreten» sei und «die Weltanschauungen der einzelnen Richterinnen und Richter transparent» seien.
Nicht gänzlich einverstanden mit dem Vorschlag des Bundesrates war in der Folge die RK-NR, die eine parlamentarische Initiative (Pa.Iv. 20.480) einreichte, die sie als Gegenvorschlag zur Justizinitiative verstand: Eine Fachkommission solle in Zukunft die Kandidierenden vorselektieren und zur Wiederwahl vorschlagen, die in diesem Fall automatisch erfolgen würde. Ein ähnliches Verfahren kennt der Kanton Freiburg. Zudem reichte Beat Walti (fdp, ZH) eine parlamentarische Initiative (Pa.Iv. 20.468) ein, mit der er die Mandatssteuern verbieten will, um damit die richterliche Unabhängigkeit zu stärken.

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Ende April 2020 reichte Bundesanwalt Michael Lauber Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht gegen die Disziplinaruntersuchung der AB-BA gegen ihn ein. In der Mitte Mai vom Tages-Anzeiger publik gemachten rund 70-seitigen Begründung für die Beschwerde warf Lauber der Aufsichtsbehörde Voreingenommenheit und Parteilichkeit vor. Die Untersuchung zeichne sich «durch Mutmassungen, Spekulationen und konsequente Missachtung aller tatsächlichen Gegebenheiten und entlastender Umstände aus». Lauber wehrte sich gegen die «vorverurteilende Medienkampagne», die vor allem Folge von «abschätzigen» Äusserungen des AB-BA-Präsidenten Hanspeter Uster gewesen sei. Die Aufseher selber seien nicht unbefangen, sondern auf einem eigentlichen «Rachefeldzug».

In den Medien wurde die Kritik an der Person Lauber zunehmend heftiger. In der NZZ vermutete der Strafrechtsprofessor Mark Pieth, dass Lauber aufgrund der Anschuldigungen der AB-BA in den USA wohl wegen Missachtung einer richterlichen Behörde ins Gefängnis kommen würde. Auch der Umstand, dass Laubers Anwaltskosten von der Bundesanwaltschaft getragen wurden, war Gegenstand von empörten Medienreaktionen. Der Griff in die Staatskasse, um eine persönliche Verteidigung zu bezahlen, gehe gar nicht, war etwa in der NZZ zu lesen. Die Zeitung wusste auch zu berichten, dass Lauber zuvor zwar beim Eidgenössischen Personalamt angefragt hatte, ob seine Anwaltskosten von der Bundesanwaltschaft übernommen werden können, dieses habe ihn aber an die FinDel verwiesen, welche freilich bis dato keine Anfrage erhalten habe. In der Aargauer Zeitung meldete sich Regula Rytz (gp, BE) zu Wort und sprach von «Selbstbegünstigung». Das Parlament müsse verhindern, dass Lauber mit Steuergeldern seine persönlichen Interessen verteidige.
Wasser auf die Mühlen der Kritikerinnen und Kritiker war auch die Verjährung des Strafverfahrens im Zusammenhang mit der Fussball-WM in Deutschland Ende April 2020. Die Verantwortung für diese «Schlappe für die Schweizer Strafjustiz», wie sie in der NZZ bezeichnet wurde, wurde insbesondere dem obersten Strafverfolger selber zugerechnet.
Zudem tauchten Ende April 2020 neue Dokumente auf, mit denen Michael Lauber die Geheimtreffen mit Fifa-Chef Gianni Infantino, an die sich Lauber laut eigener Aussage nicht mehr erinnern konnte, nachgewiesen wurden. Die «undurchsichtige Affäre», wie sie die NZZ bezeichnete, war Stein des Anstosses für die Disziplinaruntersuchung der AB-BA gewesen. Die Kritik war verbunden mit Rücktrittsforderungen. «Zum Wohle der Schweizer Justiz» müsse das Parlament Lauber «aus dem Amt hieven», forderte etwa der Tages-Anzeiger. Die WoZ erinnerte daran, dass Lauber vor seiner Wiederwahl das Versprechen abgegeben habe, zurückzutreten, «wenn im Disziplinarverfahren etwas an ihm hängen bleibe». Und auch die NZZ begrüsste, dass die Gerichtskommission in der Zwischenzeit laut über ein Amtsenthebungsverfahren nachzudenken begann, das sie dann am 20. Mai effektiv lancierte. Eine Freistellung sei «längst überfällig», so die NZZ. Nicht in diese Kritik einstimmen mochte die Weltwoche. Die Argumente gegen Lauber seien dürftig, die Untersuchung atme «den Geist von Kleinkariertheit» und der Bundesanwalt verfüge im Vergleich zu seinen Vorgängern «über einen respektablen Leistungsausweis», was laut Weltwoche auch die Justiz- und Polizeidirektoren und die kantonalen Staatsanwälte «unisono» bestätigten.

Am 22. Juli legte das Bundesverwaltungsgericht sein Urteil zur Beschwerde Laubers gegen die Verfügung der AB-BA vor. Teilweise wurde die Anfechtung Laubers gutgeheissen: Die Richter verlangten vor allem, dass die von der AB-BA verfügte Lohnkürzung von 8 auf 5 Prozent reduziert werden musste. Das Gericht urteilte zudem, dass die AB-BA etwas weit gehe, wenn sie Lauber im Kern ein falsches Berufsverständnis vorwerfe. Allerdings bestätigte das Gericht einige zentrale Beanstandungen der AB-BA. Insbesondere habe Lauber seine Amtspflicht mehrfach verletzt. Er habe zudem vorsätzlich gelogen, was das ominöse dritte Treffen mit Fifa-Präsident Infantino betreffe. In einer Stellungnahme verwahrte sich Michael Lauber gegen den Vorwurf der Lüge, bot aber gleichentags seinen Rücktritt an. In der NZZ wurde das Gerichtsurteil als «vernichtend» bezeichnet, als «die letzte und damit entscheidende Schlappe für Lauber». Nicht vom Tisch war damit allerdings das Strafverfahren, das in der Zwischenzeit gegen Lauber angestrengt worden war.

Disziplinaruntersuchung gegen Michael Lauber (2019-2020)
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Die viel diskutierten informellen und nicht protokollierten Treffen zwischen Bundesanwalt Michael Lauber und Fifa-Präsident Gianni Infantino hatten nicht nur zu einer Disziplinaruntersuchung gegen den Bundesanwalt und letztlich zum Rücktritt Laubers geführt, sondern auch drei Strafanzeigen ausgelöst, in denen Lauber Amtsmissbrauch, Amtsgeheimnisverletzung und Begünstigung vorgeworfen wurden. Infantino wurde der Anstiftung zu Begünstigung bezichtigt. Da zwei der besagten Treffen in Bern stattgefunden hatten, wurden die Strafanzeigen Anfang Juni 2020 bei der Staatsanwaltschaft in Bern eingereicht. Diese leitete die Anzeigen allerdings an die Bundesbehörden weiter, da es sich bei Lauber um ein Mitglied der Bundesbehörden handle und deshalb ein ausserordentlicher Bundesanwalt dafür zuständig sei. Strafanzeige gegen Lauber könne zudem nur eingereicht werden, wenn seine Immunität aufgehoben werde, die er als von der Bundesversammlung gewähltes Behördenmitglied geniesse.

Mitte Juni forderten die Präsidentin und der Präsident der eidgenössischen Räte – Isabelle Moret (fdp, VD) und Hans Stöckli (sp, BE) – die AB-BA entsprechend auf, eine ausserordentliche Bundesanwältin oder einen ausserordentlichen Bundesanwalt zu ernennen, der die drei Strafanzeigen prüfen und entscheiden solle, ob eine Strafuntersuchung eingeleitet werden und ein Antrag auf Aufhebung der Immunität Laubers gestellt werden soll. Für eine allfällige folgende Untersuchung müsste das Parlament aber vorgängig eine ausserordentliche Bundesanwältin oder einen ausserordentlichen Bundesanwalt wählen.

Ende Juni ernannte die AB-BA Stefan Keller zum ausserordentlichen Bundesanwalt. Der promovierte Jurist amtete teilzeitlich als Präsident des Ober- und Verwaltungsgerichts des Kantons Obwalden sowie als Dozent an verschiedenen Hoch- und Fachhochschulen.

Strafverfahren gegen Lauber
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Wie gut funktioniert die Überwachung der Bundesanwaltschaft? Diese Frage stand auch aufgrund einer Untersuchung der GPK im Raum. 2010 hatte das Parlament im Rahmen der Reform des Strafbehördenorganisationsgesetzes beschlossen, nicht nur den Bundesanwalt in Zukunft selber zu wählen, sondern auch ein Gremium zu bestimmen, das für das Parlament die Aufsicht über die oberste Strafverfolgungsbehörde übernehmen solle: die AB-BA. Bis anhin waren Wahl und Aufsicht Aufgabe des Bundesrats gewesen. Ziel der Reform war eine Stärkung der Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft gewesen.
Die Ereignisse rund um den amtierenden Bundesanwalt Michael Lauber – die Disziplinaruntersuchung gegen Lauber, dessen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und das von der GK gegen ihn angestrengte Amtsenthebungsverfahren – deckten nun aber auf, dass dieses neue Konstrukt mit Bundesanwaltschaft und Aufsichtsbehörde einige Mängel aufweist. Eine Frage, die sich dabei etwa stellte, war, ob sich die GK mit ihrem Amtsenthebungsverfahren über den Entscheid der AB-BA hinweggesetzt habe, hatte Letztere ja lediglich eine Lohnkürzung und keine Empfehlung für eine Amtsenthebung vorgesehen. Allerdings kann nur das Parlament und nicht die AB-BA über eine Amtsenthebung entscheiden.

Auch in den Medien wurde die Ambivalenz zwischen politischer Entscheidung und juristischen Einschätzung diskutiert. Die NZZ urteilte, dass «der Balanceakt zwischen einer unabhängigen Strafverfolgung und einer wirksamen Kontrolle [..] wegen der Gewaltenteilung immer delikat» sei, und die Aargauer Zeitung bemerkte, dass das «Drama» sich nicht auflöse, «wenn Politiker weiter auf Juristen hören». Die WoZ machte ebenfalls einen Konstruktionsfehler aus, weil die Bundesanwaltschaft nicht wirklich unabhängig sei: Bundesanwältinnen und Bundesanwälte seien in der Schweiz «Fliehkräften politischer Interessen ausgesetzt, müssen sich regelmässig einer Wahl stellen und werden von einem Milizgremium beaufsichtigt, das ebenfalls vom Parlament gewählt wird». Die Zeitung zitierte Dick Marty (fdp, TI), der den Schutz der Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft von der Legislative als nicht gegeben betrachtete. Die Unabhängigkeit könne gar nicht gewährt werden, wenn alle reinredeten. Die WoZ forderte Reformen, befürchtete aber, dass mit dem uneinigen Parlament nicht so rasch Ruhe in die Bundesanwaltschaft einkehren werde.

In den Medien geriet freilich auch die Aufsichtsbehörde in den Fokus. Nicht nur das schwierige Verhältnis zwischen der AB-BA und der Bundesanwaltschaft, sondern auch die Differenzen innerhalb der AB-BA sowie der Führungsstil von Hanspeter Uster, der das Gremium seit 2019 präsidierte, wurden kritisiert. Uster «beisse als Aufseher am richtigen Ort zu, aber er verbeisse sich dabei», urteilte etwa die Aargauer Zeitung.

Die AB-BA selber wird von den Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat (GPK) kontrolliert. Die wachsende Kritik sowohl an der Bundesanwaltschaft als auch an der AB-BA hatte die GPK Mitte Mai 2019 veranlasst, eine Untersuchung zum Aufsichtsverhältnis zwischen Bundesanwaltschaft und AB-BA einzuleiten. Der entsprechende Bericht wurde Ende Juni 2020 veröffentlicht und hielt fest, dass die GPK «in den Jahren 2011 bis 2018 [...] grossmehrheitlich positive Rückmeldungen» zur Zusammenarbeit zwischen der AB-BA und der Bundesanwaltschaft erhalten habe, dass sich das «Zusammenarbeitsverhältnis» im Jahr 2019 aber «markant» verändert habe. Im ausführlichen Bericht waren Aussagen der Protagonisten detailliert festgehalten. Laut Bericht habe Michael Lauber seit der Übernahme der Präsidentschaft der AB-BA durch Hanspeter Uster der Dialog gefehlt. Zudem stelle er die Fachkompetenz der Behörde in Frage. Auch hinsichtlich personalrechtlicher Konsequenzen habe es in der Beziehung zwischen Bundesanwaltschaft und Aufsichtsbehörde einen «fundamentalen Wechsel» gegeben. Die AB-BA verstehe sich neu als «Arbeitgeber des Bundesanwalts». Hauptgrund der Zerrüttung sei laut dem Bundesanwalt aber vor allem das Disziplinarverfahren. Er wisse nicht, was man ihm überhaupt vorwerfe. Hanspeter Uster wiederum wurde im Bericht mit der Aussage zitiert, dass er nicht das Gefühl habe, dass es eine Änderung gegeben habe. Er selber habe wohl eher ein Aufsichtsverständnis, während seine Vorgänger «eher ein coachendes Verständnis der Aufsicht gehabt» hätten. Fakt sei aber, dass die AB-BA bei ihrer Aufsichtstätigkeit auf «klare Anzeichen von Amtspflichtverletzungen» gestossen sei, was eine Disziplinaruntersuchung angezeigt habe. «Persönliche Befindlichkeiten» dürften dabei keine Rolle spielen – so Uster laut Bericht.
Ziel der GPK-Untersuchung hätten auch mögliche vertrauensbildende Massnahmen sein sollen. Während Michael Lauber eine Mediation vorgeschlagen habe – etwa in dem Sinne, dass künftig ein Mitglied der GPK bei den gemeinsamen Sitzungen von AB-BA und Bundesanwaltschaft anwesend sein solle –, befürchtete Hanspeter Uster laut Bericht, dass mit einer Mediation «das Fuder überladen» würde. Die GPK lehnte eine solche Mediation schliesslich ab, «da ein solches Verfahren in der Regel den Willen und das Einverständnis beider Seiten voraussetzt, was nicht gegeben war». Eine Entspannung des Verhältnisses würde wohl erst mit Abschluss der Disziplinaruntersuchung einsetzen können, so der Bericht.
In ihren Schlussfolgerungen stellte die GPK fest, dass das Disziplinarverfahren das Verhältnis zwischen Aufsichtsbehörde und Bundesanwaltschaft stark negativ beeinträchtige, dass der Bundesanwalt deshalb die AB-BA nicht mehr als Aufsicht akzeptiere und es deshalb zu mangelnder Kooperation seitens der Bundesanwaltschaft komme. Es sei zwar wünschenswert, dass ein Vertrauensverhältnis herrsche, es sei aber unerlässlich, dass der Bundesanwalt der AB-BA den nötigen Respekt entgegenbringe, was im Moment nicht der Fall sei. Es sei die AB-BA und nicht der Bundesanwalt, die entscheide, ob und wo Einsichtnahme in Akten angezeigt sei; die Ansicht des Bundesanwalt diesbezüglich entspreche «einem falschen Aufsichtsverständnis». Die Einflussnahme der AB-BA sei vielmehr vom Gesetzgeber gewünscht. Der Bericht hielt weiter fest, dass es mit Hanspeter Uster nicht zu einem Paradigmenwechsel gekommen sei.
In den Schlussfolgerungen wurde allerdings auch die AB-BA für Informationspannen gerügt, «die den Bundesanwalt persönlich getroffen» hätten. Kritisiert wurde auch die unglückliche Medienkommunikation beim Disziplinarverfahren. Zudem seien Inspektionen der Aufsichtsbehörde bisher «ungenügend ausgewertet und in schriftliche Berichte gefasst» worden. Der Bericht der GPK folgerte, dass das System einer unabhängigen Bundesanwaltschaft mit unabhängiger Fachaufsicht grundsätzlich funktionieren könnte, sich jedoch mit dem vorliegenden Fall als «nicht krisenfest» erwiesen habe. Die GPK werde deshalb den «Status quo plus» im Sinne einer Beibehaltung des Systems mit einigen Verbesserungen, aber auch einen Umbau der Institutionen prüfen und in einem weiteren Bericht darlegen.

In den Medien wurde der Bericht als weitere «Niederlage für den Bundesanwalt» bewertet (NZZ). Auch die GPK schlage sich auf die Seite der Aufpasser Laubers, urteilte der Blick und die Aargauer Zeitung verstand den Bericht als «vernichtendes Zeugnis» der GPK gegenüber Lauber.

GPK untersucht Verhältnis zwischen AB-BA und BA
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt
Dossier: Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA)

Weil der Ständerat Mitte Juni 2020 die gleichlautende Motion 19.4391 seiner eigenen RK-SR annahm, galt auch die Motion der RK-NR für die Änderung der Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht als angenommen. Der Bundesrat wird entsprechend eine Gesetzesrevision vorlegen müssen, mit der geregelt wird, dass für nebenamtliche Richterinnen und Richter lediglich für das Bundesstrafgericht ein Verbot berufsmässiger Vertretung Dritter besteht.

Änderung der Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht (Mo. 19.4377)

Die beiden Rechtskommissionen (RK-NR und RK-SR) hatten im November 2019 je eine gleichlautende Kommissionsmotion eingereicht, mit der die Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht neu geregelt werden sollen. Der Nationalrat hatte die Motion seiner Kommission (Mo. 19.4377) bereits in der Wintersession 2019 angenommen, der Ständerat folgte mit der Annahme der Motion der RK-SR im Juni 2020. Kommissionssprecher Beat Rieder (cvp, VS) führte aus, dass die Bestimmungen gelockert werden sollen, um die Suche nach geeigneten nebenamtlichen Richterinnen und Richtern am Bundesstrafgericht zu erleichtern. Für dieses Amt, das ein Arbeitspensum von 10 bis 20 Prozent umfasse, würden sich kaum Kandidierende melden, da die bisherigen Unvereinbarkeitsregelungen das Verbot einer berufsmässigen Vertretung Dritter vor sämtlichen Gerichten vorsehen und somit für viele potentielle Amtsträgerinnen und Amtsträger zu starke berufliche Einschränkungen bedeuteten. Die ursprüngliche Idee war, dass alle Mitglieder des Bundesstrafgerichts vollständig von forensischer Anwaltstätigkeit ausgeschlossen werden, um Risiken von Interessenkonflikten von Beginn weg zu vermeiden. Neu soll ein solches Verbot für nebenamtliche Strafrichterinnen und Strafrichter nur noch vor Bundesgericht gelten. Justizministerin Karin Keller-Sutter warnte zwar, dass es mit der Umsetzung der Motion allenfalls zu Zweifelsfällen bezüglich Ausstandspflicht kommen könne. Da die Änderung aber nur für nebenamtliche Mitglieder des Bundesstrafgerichts gelte, empfehle der Bundesrat die Annahme der Motion trotzdem. Dieser Empfehlung folgte der Ständerat stillschweigend und hiess damit gleichzeitig auch die Kommissionsmotion des Nationalrats gut.

Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht (Mo. 19.4391)

Mit Sonja Koch und Beatrice van de Graaf waren im Herbst 2019 zwei nebenamtliche Richterinnen zu ordentlichen Richterinnen am Bundesgericht berufen worden. Diese beiden Nebenämter galt es nun wieder zu besetzen. Die Wahl durch die Vereinigte Bundesversammlung wäre eigentlich für die Frühjahrssession vorgesehen gewesen, wurde aber aufgrund des Covid-19-bedingten Sessionsabbruchs auf die Sommersession verschoben. Die beiden Frauen wurden durch zwei Männer ersetzt. Die GK hatte sich für Christoph Hurni und Christian Kölz entschieden, die aus insgesamt 31 Bewerbungen (davon 8 Frauen) hervorgestochen seien, so die GK in ihrem Bericht. Beide gehörten zudem Parteien an, die am BGer untervertreten sind, nämlich der GLP und der GP. Bei den nebenamtlichen Gerichtsstellen sei die Geschlechterverteilung zudem mit der Wahl der beiden neuen ausgeglichen (9 Frauen und 8 Männer). Bei der Wahl der zwei nebenamtlichen Richter ans Bundesgericht durch die Vereinigte Bundesversammlung entfielen von den 218 eingelangten Wahlzetteln 209 auf Christoph Hurni und 207 auf Christian Kölz.

Wahl von zwei nebenamtlichen Richter.innen

Nicht wie vorgesehen in der Frühjahrssession 2020, sondern wegen des Sessionsabbruchs aufgrund der Corona-Pandemie erst in der Sommersession wählte die Vereinigte Bundesversammlung Laurent Merz für den Rest der Amtsperiode 2015 bis 2020 zum ordentlichen Bundesrichter. Die Ersatzwahl war nötig geworden, weil Bundesrichter Jean Fonjallaz per Ende Juni 2020 in Pension gehen wird. Die GK empfahl Merz aus zwölf Bewerbungen (je sechs Frauen und Männer), da er nicht nur die Arbeitsweise des BGer kenne, wo er dreizehn Jahre als Gerichtsschreiber tätig gewesen, sondern auch weil er zweisprachig (französisch/deutsch) sei und der Grünen Partei angehöre, die am Bundesgericht stark untervertreten sei. Merz erhielt 203 Stimmen; von den 217 eingelangten Wahlzetteln – 221 waren ausgeteilt worden – blieben 14 leer.

Wahl ordentlicher Richter.innen am Bundesgericht

Lediglich 158 gültige Stimmen erhielt Alberto Fabbri (cvp) bei seiner Wahl zum ordentlichen Richter am Bundesstrafgericht. Damit übersprang er zwar das absolute Mehr (85) bei weitem, die 43 leeren und die 3 ungültigen Stimmen sowie die 11 Stimmen, die auf Diverse entfielen, sind aber für Wahlen ans Bundesstrafgericht eher eine Seltenheit. Üblicherweise erhalten Kandidierende für Ämter am Gericht in Bellinzona im Schnitt der letzten rund 20 Jahre jeweils mehr als 200 gültige Stimmen.
Fabbri, Staatsanwalt von Basel-Stadt und Mitglied der CVP, war jedoch ins Fadenkreuz der SVP geraten, weil er 2007 «aktenkundig Teil einer Verschwörung gegen den damaligen Justizminister Christoph Blocher» gewesen sei, wie die Volkspartei mit Verweis auf die «Roschacher-Affäre» bekannt gab. Fabbri habe damals mitgeholfen, die sich später als haltlos erweisenden Vorwürfe gegen den ehemaligen SVP-Bundesrat zu verbreiten, wonach dieser ein Komplott zur Absetzung von Bundesanwalt Roschacher geschmiedet habe. Er sei nicht nur deshalb für die SVP nicht wählbar, führte SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (svp, ZG) vor dem Wahlakt in der Vereinigten Bundesversammlung aus, sondern auch aufgrund zahlreicher anderer Verfehlungen, «handwerklicher Fehler» und «charakterlicher Mängel», die Aeschi in der Folge aufführte. Andrea Gmür-Schönenberger (cvp, LU), die als Sprecherin für die CVP auf Aeschi folgte, bezeichnet die Vorwürfe als haltlos. Die Mitte-Fraktion habe sämtliche Anschuldigungen überprüft und Alberto Fabbri habe sich «nie, nicht ein einziges Mal, irgendetwas zuschulden kommen lassen». Besonders stossend empfand die CVP-Ständerätin die Anschuldigungen, zumal die GK den Kandidaten bereits geprüft und als Nachfolger für den zurücktretenden Emmanuel Hochstrasser (svp) für den Rest der Amtsperiode 2016-2021 empfohlen habe, was von sämtlichen Fraktionen – inklusive der SVP-Fraktion – bestätigt worden sei. Erst nach Ablauf der Fristen sei seitens der SVP Kritik lauf geworden, betonte Gmür-Schönenberger.

Bundesstrafgericht. Wahl eines ordentlichen Richters

Eigentlich hätte der Rücktritt des Bundesverwaltungsrichters Jean-Pierre Monnet nicht kompensiert und dessen Stelle nicht ausgeschrieben werden dürfen, hatte der Parlamentsbeschluss vom März 2017 doch vorgesehen, dass die kurzfristige Aufstockung der Stellen am BVGer – zwecks Abbau hängiger Asylgesuche – ab 31. August 2019 mit Nichtersetzung scheidender Gerichtspersonen kompensiert werden müsse. Allerdings hatte die BVGer-Präsidentin Marianne Ryter deutlich gemacht, dass der Bestand an Gerichtspersonen mit französischer Muttersprache nicht ausreichend sei. Die GK entschied sich deshalb, die Stelle für eine Richterin oder einen Richter mit französischer Muttersprache und guten Italienischkenntnissen auszuschreiben. Da Pensionierungen anstünden, könnten die Vollzeitstellen in nächster Zeit trotzdem abgebaut werden. Da die GLP und die Grünen am Bundesverwaltungsgericht untervertreten waren, sollten die Kandidierenden idealerweise einer dieser beiden Parteien angehören. Camilla Mariéthoz Wyssen erfülle die Bedingungen unter den neun Bewerbenden am besten, befand die GK. Zudem könne mit der «Sympathisantin der Grünen» nicht nur die Untervertretung der Partei, sondern auch jene der Frauen (45.2%) etwas kompensiert werden.
Der Empfehlung der GK folgten bei der Wahl eines Mitglieds ans Bundesverwaltungsgericht 202 Mitglieder der Vereinigten Bundesversammlung. Von den 221 ausgeteilten Wahlzetteln waren 217 eingelangt, von denen 14 leer blieben und ein Wahlzettel auf eine andere Person entfiel.

Wahl eines Mitglieds ans Bundesverwaltungsgericht

Weil es seit dem Rücktritt von Rosa Maria Cappa keine italienischsprachige nebenamtliche Gerichtsperson an der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts mehr gab – Cappa musste aufgrund der im Parlament in der Zwischenzeit diskutierten Unvereinbarkeitsregelung betreffend die berufsmässige Vertretung von Dritten an Gerichten ihr Amt niederlegen –, hatte die GK seit Herbst 2019 versucht, mittels zweier Ausschreibungen Kandidierende für das Amt zu finden. Eingegangen waren vier Bewerbungen, darunter jene von Maria-Antonella Bino (fdp) und Katharina Giovannone-Hofmann (gp), die beide von der GK als «unbescholtene Person» zur Wahl empfohlen wurden. Beide gehörten zudem Parteien an, die am BStGer untervertreten sind. Die Vereinigte Bundesversammlung wählte die zwei neuen nebenamtlichen Richterinnen am Bundesstrafgericht in der Sommersession 2020 mit 210 (Bino) bzw. 202 Stimmen (Giovannone-Hofmann). Eingelegt worden waren total 217 Wahlzettel.

Zwei neue nebenamtliche Richterinnen am Bundesstrafgericht

Am 20. Mai 2020 hörte die GK Michael Lauber zu den in der Verfügung der AB-BA geäusserten Vorwürfen sowie zu den aktuellen Geschehnissen im «Fifa-Fall» an. Anscheinend konnte der Bundesanwalt die Bedenken gegen ihn nicht ausräumen, beschloss die Kommission doch im Anschluss an die Anhörung mit 13 zu 4 Stimmen, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Bundesanwalt zu eröffnen. Die Minderheit hätte mit der Eröffnung noch einmal zuwarten wollen, bis der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts zur Beschwerde Laubers gegen die Verfügung vorlag. Die Eröffnung des Verfahrens sieht freilich vor, dass weitere Abklärungen zu den aktuellen Geschehnissen veranlasst werden und dass der Bundesverwaltungsgerichtsentscheid zu gegebener Zeit analysiert werden wird. Sollte dies zur Feststellung vorsätzlicher und grob fahrlässiger Amtspflichtverletzungen führen, so werde die GK der Bundesversammlung Antrag auf Amtsenthebung stellen, war der Medienmitteilung der Kommission zu ihrem Entscheid zu entnehmen.

In den Medien wurde die GK kritisiert. Es sei unverständlich, weshalb Lauber nicht direkt freigestellt worden sei, kritisierte etwa die Aargauer Zeitung. Auch im Tages-Anzeiger wurde Lauber aufgefordert, sein Amt nun ruhen zu lassen.Die «SonntagsZeitung» forderte eine Suspendierung Laubers, wenn er sein Amt während der Untersuchungen nicht freiwillig ruhen lasse. Laut verschiedener Medien nahm die Bundesanwaltschaft selber schriftlich Stellung zum Amtsenthebungsverfahren: Die Eröffnung eines Amtsenthebungsverfahrens habe keine Auswirkungen auf die operative Tätigkeit. Lauber werde «seine ihm vom Parlament übertragene Führungsverantwortung weiterhin wahrnehmen».

Da das Bundesverwaltungsgericht am 22. Juli 2020 die von der AB-BA beanstandeten Amtspflichtverletzungen mehrheitlich bestätigte und Lauber in der Folge seinen Rücktritt einreichte, wurde das Amtsenthebungsverfahren schliesslich obsolet. Allerdings war Ende Juni gegen Lauber auch noch ein Strafverfahren angestrengt worden.

Amtsenthebungsverfahren gegen Lauber (2020)
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Aufgrund des Berichts der AB-BA zur Disziplinaruntersuchung gegen den amtierenden Bundesanwalt wurden von politischer Seite schon bald Forderungen für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Michael Lauber laut. Die Grüne Partei, die sich bereits bei der Bestätigungswahl Laubers sehr kritisch gezeigt hatte, verlangte Anfang April 2020 in der Person von Parteipräsidentin Regula Rytz (gp, BE), dass die GK ein entsprechendes Verfahren einleite, damit die Glaubwürdigkeit der Institution wiederhergestellt werden könne. Das Fass zum Überlaufen gebracht habe Laubers Weigerung, die Verfügung der AB-BA zu akzeptieren, und seine Beschwerde dagegen, so Rytz in der Aargauer Zeitung. Auch Elisabeth Schneider-Schneiter (cvp, BL) forderte, dass sich die GK möglichst rasch der Frage annehme, wie es mit dem Bundesanwalt weitergehen solle. Der Präsident der GK, Andrea Caroni (fdp, AR), sah indes keinen Grund zur Eile, weil es gelte, zuerst den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts zur Beschwerde Laubers abzuwarten, um eine Basis für eine allfällige Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens zu haben.

Die Forderungen für eine solche Amtsenthebung eines Bundesanwalts, die ein Novum in der Geschichte der Bundesanwaltschaft darstellte, wurden lauter, als Mitte April weitere Ungereimtheiten im «Fifa-Fall» publik wurden – auch wenn Teile davon verjährt waren. Laut NZZ weckten die Ereignisse «die Politik aus ihrer Corona-Lethargie»: Verschiedene Mitglieder der GK – darunter Sibel Arslan (basta, BS), Mathias Aebischer (sp, BE), Nicolo Pagani (cvp, SG) oder Pirmin Schwander (svp, SZ) – liessen im Tages-Anzeiger verlauten, zum äussersten Mittel greifen zu wollen, sollte Lauber nicht von sich aus zurücktreten. Auch die SP- und die Mitte-Fraktion sprachen sich für ein Amtsenthebungsverfahren aus. Zudem wendeten sich immer mehr «Verbündete» von Lauber ab, wie die Aargauer Zeitung zu berichten wusste. Dazu zählte sie vor allem Parlamentsmitglieder der FDP und der SVP, aber auch Teile der SP, die Lauber bei der Bestätigungswahl 2019 noch unterstützt hätten. Ein Entscheid bezüglich eines Amtsenthebungsverfahrens müsse bereits in der Sommersession 2020 gefällt werden, forderte die Zeitung.

Die GK beugte sich in ihrer Sitzung vom 13. Mai über die Frage einer Amtsenthebung. Diskutiert wurde, ob die GK – wie ursprünglich von Andrea Caroni vorgeschlagen – noch zuwarten und mehr Informationen einholen oder aber in der Tat ein Verfahren einleiten sollte. Die 17-köpfige Kommission entschied sich schliesslich einstimmig, den Entscheid zu vertagen und an ihrer nächsten Sitzung den Bundesanwalt selber noch einmal anzuhören. Eine Anhörung sei ein notwendiger erster Schritt hin zu einem Amtsenthebungsverfahren, liess die GK in ihrer Medienmitteilung verlauten. Sie könne nämlich von Amtes wegen nur über die Eröffnung eines Amtsenthebungsverfahrens entscheiden, wenn die fachliche und persönliche Eignung des obersten Staatsanwalts in Frage gestellt sei. Dies sei mit der Verfügung der AB-BA zwar gegeben, vor einem endgültigen Entscheid müsse die betroffene Person laut Reglement aber noch einmal angehört werden. GK-Präsident Caroni informierte die Medien allerdings auch, dass ein solches Verfahren Neuland sei und sich die Kommission deshalb mit dem Bundesamt für Justiz (BJ) und der Staats- und Verwaltungsrechtsprofessorin Regina Kiener abgesprochen habe. Auch eine Delegation der AB-BA – Präsident Hanspeter Uster und die Untersuchungsleiterin Alexia Heine – sei nochmals angehört worden.
Kiener habe dabei für Verunsicherung gesorgt, wusste die Aargauer Zeitung tags drauf zu berichten, da sie ausgeführt habe, dass eine Amtsenthebung kein politischer Entscheid sein dürfe und Prozessrechte berücksichtigt werden müssten, damit der Entscheid nicht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beanstandet werden könne. Zudem dürfe sich das Parlament eigentlich nicht über die Verfügung der AB-BA hinwegsetzen, die ja lediglich eine Lohnkürzung und nicht eine Amtsenthebung als Sanktion für die Verfehlungen Laubers gefordert habe. Es sei wohl deshalb doch klüger, auf den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts zur Beschwerde Laubers zu warten, urteilte der Sonntags-Blick. Andrea Caroni mahnte in der Aargauer Zeitung, dass der Bundesanwalt wie jeder Bürger und jede Bürgerin ein Recht auf ein korrektes Verfahren habe und es deshalb angezeigt sei, den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts und allenfalls sogar einen juristisch möglichen neuerlichen Rekurs Laubers vor Bundesgericht abzuwarten. Ein Rücktritt Laubers würde zwar einiges erleichtern, aber letztlich gehe es um die Institution und nicht um die Person des Bundesanwalts, weshalb man als Kommission und Parlament den rechtsstaatlichen, wenn auch langsameren Weg gehen müsse, so Caroni.
Zurückhaltende Stimmen waren in den Medien kaum mehr auszumachen. In den meisten Kommentarspalten wurde Lauber aufgefordert, nun endlich zugunsten der Institution zurückzutreten. Eine kleine Lanze brach einzig der Sonntags-Blick für den Bundesanwalt, der ehemalige Weggefährtinnen und Weggefährten Laubers zu Wort kommen liess. Die Medien hätten die Person Laubers zur Institution gemacht, war dort etwa zu lesen; er sei jedoch besser, als er dargestellt werde. David Zollinger – ehemaliges Mitglied der AB-BA – fand es «erstaunlich, dass jemand, der intern, bei Politikern, Medien und Partnerbehörden so beliebt war, derart schnell fallen gelassen wird». Wer freilich «von Politikern mit einer politischen Absicht gewählt wurde, der kann von diesen auch wieder abgesetzt werden, da sind politische Motive dann stärker als juristische Gründe».

Amtsenthebungsverfahren gegen Lauber (2020)
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Anfang März 2020 legte die AB-BA ihren Tätigkeitsbericht für das Jahr 2019 vor. Den Schwerpunkt im «intensivsten Arbeitsjahr seit der Aufnahme ihrer Tätigkeit» habe das Disziplinarverfahren gegen Bundesanwalt Michael Lauber gebildet, aufgrund dessen sich die Zusammenarbeit mit der obersten Strafbehörde erschwert habe. Man sei aufgrund der Untersuchung auch zum Schluss gekommen, dass die Aufsichtstätigkeit funktioniere, aber noch verstärkt werden müsse. Im Rahmen des Verfahrens habe man zudem intensiven Kontakt mit verschiedenen parlamentarischen Kommissionen und Fraktionen gehabt. Laut Bericht ist die Behörde zum Schluss gekommen, dass der Bundesanwalt über einen grossen Gestaltungs- und Ermessensspielraum verfüge und es deshalb nicht nur punktuelle Kontrollen, sondern eine systemische Fachaufsicht durch die AB-BA brauche. In ihrer Medienmitteilung stellte sich die Aufsichtsbehörde auch explizit gegen die Idee einer Kontrolle der Bundesanwaltschaft durch die Exekutive, wie das bis 2010, also vor der Reform des Strafbehördenorganisationsgesetzes noch der Fall gewesen war: Eine «Kontrolle der Bundesanwaltschaft durch Bundesrat und Bundesverwaltung könnte die Unabhängigkeit der Strafjustiz des Bundes gefährden, zu einer unerwünschten Verpolitisierung und zu einer deutlichen Schwächung der Aufsicht führen». In der Tat waren im Rahmen der verschiedenen Ereignisse rund um Michael Lauber immer wieder politische Forderungen laut geworden, die eine Rückkehr zum alten System befürworteten, als der Bundesrat für Wahl und Aufsicht der Bundesanwaltschaft zuständig gewesen war.

Jahresbericht 2019 der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt
Dossier: Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA)

Wenig überraschend folgte der Nationalrat einstimmig der kleinen Kammer und seiner ebenfalls geschlossenen RK-NR und versenkte die Revision des Bundesgerichtsgesetzes definitiv. Es handle sich eher um einen Nachruf als um eine Berichterstattung, kommentierte Kommissionssprecher Beat Flach (glp, AG). Die Vorlage, die auf ein 2007 eingereichtes Postulat Pfisterer (fdp, AG; Po. 07.3420) zurückgehe und verschiedene Motionen (Mo. 17.3357; Mo. 17.3353 und Mo. 17.3354) sowie eine parlamentarische Initiative Nidegger (svp, GE; Pa.Iv. 16.461) hätte umsetzen sollen, werde nun «sittlich beerdigt». Letztlich sei die Vorlage an der Frage gescheitert, ob die subsidiäre Verfassungsbeschwerde durch eine neue Beschwerdemöglichkeit ersetzt werden solle. Man habe hier keine befriedigende Lösung gefunden, weshalb es letztlich besser sei, die Vorlage zu versenken. Die RK-NR sei aber der Meinung, dass die unbestrittenen Verbesserungen, welche die Vorlage ebenfalls vorgesehen habe, wieder angegangen werden müssten. Deshalb beantragte sie auch eine Fristverlängerung der parlamentarischen Initiative Nidegger.

Revision des Bundesgerichtsgesetzes (BRG 18.051)
Dossier: Revision des Bundesgerichtsgesetzes

Die Disziplinaruntersuchung gegen Michael Lauber war verzögert worden, weil das Bundesverwaltungsgericht im Sommer 2019 entschieden hatte, dass kein externes Untersuchungsmandat vergeben werden darf, sondern dass jemand aus der AB-BA selber die Untersuchung leiten müsse. Gegen dieses Urteil hatte die AB-BA Beschwerde eingereicht, es wurde aber Anfang 2020 vom Bundesgericht bestätigt. Die AB-BA habe generell kein Beschwerderecht, urteilte das Bundesgericht, was im Tages-Anzeiger als «Etappensieg für Michael Lauber» bewertet wurde.
In der Folge übernahm AB-BA-Mitglied Alexia Heine die Leitung der Disziplinaruntersuchung. Konkret ging es darum, herauszufinden, ob eine Amtspflichtverletzung vorlag, weil sich Lauber bei nicht protokollierten Geheimtreffen mit Fifa-Präsident Gianni Infantino abgesprochen und diesbezüglich gelogen haben soll. Heine galt als «sehr effiziente Person», wie die Aargauer Zeitung zu berichten wusste. Die gleiche Zeitung vermeldete freilich auch, dass Lauber nicht kooperiere, Informationen verweigere und die «gleiche Verteidigungstaktik wie US-Präsident Donald Trump in seinem Amtsenthebungsverfahren» wähle: «Stonewalling».

Anfang März 2020 legte die AB-BA dann die Resultate der Disziplinaruntersuchung vor und hielt darin schwerwiegende Amtspflichtverletzungen fest. Neben der Verletzung der Protokollierungspflicht fanden sich in der Liste der Vorwürfe etwa auch eine «Verweigerungshaltung gegenüber den Auskunfts- und Editionsaufforderungen der AB-BA», «Übernahme der eigenen Anwaltskosten durch die Bundesanwaltschaft» – ein Punkt der im Blick besondere Empörung hervorrief –, «Verletzung der Treuepflicht», «Erstattung unwahrer Angaben gegenüber der AB-BA», «Illoyales Handeln» oder «Behinderung der Untersuchung». Als Sanktion verfügte die AB-BA eine einjährige Lohnkürzung von 8 Prozent, was insgesamt einer Reduktion des Jahreslohns um rund CHF 24'000 entsprach. Damit wählte die Aufsichtsbehörde allerdings nicht das schärfste Mittel, das ihr zur Verfügung stand, wären doch eine maximale Lohnkürzung von 10 Prozent oder aber ein Antrag auf Amtsenthebung möglich gewesen. Man habe keine Hinweise darauf gefunden, dass Lauber unrechtmässige Leistungen empfangen habe, was das mildere Urteil rechtfertige, so die AB-BA in ihrem Bericht.

Die Reaktionen auf den Untersuchungsbericht waren unterschiedlich. Verschiedene Parlamentsmitglieder äusserten sich konsterniert. Lorenz Hess (bdp, BE), Mitglied der Gerichtskommission (GK), sprach in der Aargauer Zeitung von einer «untragbaren Situation» und Matthias Aebischer (sp, BE) befürchtete einen «Reputationsschaden für die Schweiz». Es wurde allerdings auch darauf hingewiesen, dass Lauber die Möglichkeit habe, die Verfügung vor Bundesverwaltungsgericht anzufechten. Es sei deshalb zu früh für ein politisches Urteil über die Amtsführung des Bundesanwalts, gab Christian Lüscher (fdp, GE) zu Protokoll.
Die NZZ zeigte sich über die eher zurückhaltenden Stellungnahmen verwundert: Die «Schelte» gegen den Bundesanwalt verhalle im Parlament wohl auch deswegen, weil man Lauber ja erst kürzlich im Amt bestätigt habe. Die Aargauer Zeitung forderte den Rücktritt Laubers. Damit könne er «eine Art Grösse zeigen». Die NZZ wies darauf hin, dass die Politik eigentlich nur die Möglichkeit der Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens habe, weshalb Lauber als einziger mit einem Rücktritt dafür sorgen könne, dass die Bundesanwaltschaft wieder zur Ruhe komme. Der Tages-Anzeiger sah hingegen neben dem Rücktritt Laubers eine andere Möglichkeit: Würde nämlich das Bundesverwaltungsgericht als Berufungsinstanz zum Schluss kommen, dass die Aufsichtsbehörde übertrieben habe, dann müsste die Berechtigung derselben und vor allem ihres Präsidenten, Hanspeter Uster, in Frage gestellt werden. Christian Levrat schlug in der Tribune de Genève gar vor, dass am besten beide Protagonisten zurücktreten sollten. Er beurteilte die Arbeit von AB-BA-Präsident Uster als zu «brutal». Dieser unwürdigen Auseinandersetzung («match assez indigne») an der Spitze einer so wichtigen Institution müsse ein Ende bereitet werden, so Levrat. Diese Ansicht wurde auch in der Weltwoche vertreten. Man gewinne beim Lesen des Disziplinarberichts den Eindruck, dass sich die AB-BA – «Hanspeter Uster und seine sechs Kollegen» – nicht an den Pflichtverletzungen Laubers störten, sondern «am unbotmässigen Verhalten des Bundesanwalts ihnen gegenüber». Die AB-BA habe sich in den ersten Jahren zu grosszügig gezeigt, der «furiore Uster» überschiesse nun aber in die andere Richtung, so das Wochenblatt.

Michael Lauber selber behielt sich rechtliche Schritte vor. In einer Ende März im Rahmen des «Fifa-Falls» ans Bundesstrafgericht gerichteten Stellungnahme, die der Aargauer Zeitung vorlag, wehrte sich der Bundesanwalt gegen die «unrechtmässig erstellte wie publizierte» Verfügung, die «einen persönlichkeitsverletzenden Inhalt» aufweise. Die Vorwürfe seien «konstruiert» und die Verfügung habe keine Rechtsgrundlage. Er werde sie deshalb anfechten und eine Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht einreichen. Dafür hatte Lauber aufgrund des im Rahmen der Covid-19-Massnahmen getroffenen Fristenstillstands bis Ende April 2020 Zeit.

Disziplinaruntersuchung gegen Michael Lauber (2019-2020)
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Jahresrückblick 2019: Institutionen und Volksrechte

Der Bundesrat stand aus mindestens vier Gründen 2019 im Fokus der politischen Debatte. Zuerst gab die Departementsverteilung im Nachgang der Bundesratsersatzwahlen vom Dezember 2018, bei denen Doris Leuthard (cvp) und Johann Schneider-Ammann (fdp) durch Viola Amherd (cvp) und Karin Keller-Sutter (fdp) ersetzt worden waren, zu reden (vgl. auch den entsprechenden Peak bei der Medienberichterstattung). Nicht nur, dass mit Viola Amherd zum ersten Mal in der Geschichte der Schweiz eine Frau das VBS übernahm, sondern auch der Wechsel von Guy Parmelin ins WBF und von Simonetta Sommaruga ins UVEK wurden in den Medien diskutiert. Kommentiert wurde dabei insbesondere, dass die Verteilung offenbar erst nach einem Mehrheitsbeschluss innerhalb des Gremiums zustande gekommen war, was als schlechter Start und Herausforderung für die künftige Konkordanz interpretiert wurde. Mit der Wahl von zwei Frauen in die Landesregierung wurde der Debatte um die verfassungsmässige Festschreibung einer Frauenquote im Bundesrat der Wind aus den Segeln genommen. Ein entsprechender Vorstoss, der vom Ständerat noch angenommen worden war, wurde vom Nationalrat versenkt. Auch die Idee einer Karenzfrist, also das Verbot für ehemalige Magistratspersonen, Mandate von Unternehmen anzunehmen, die in Beziehung zu ihrem Regierungsamt stehen, wurde – wie schon 2015abgelehnt. Die Gesamterneuerungswahlen für den Bundesrat Ende Jahr lösten eine breite und medial stark begleitete Debatte um Zauberformel, Konkordanz, Systemstabilität und die Ansprüche der bei den Wahlen 2019 sehr erfolgreichen Grünen Partei auf einen Bundesratssitz aus. Die Mehrheit des Parlaments entschied sich, Regula Rytz, die Sprengkandidatin der Grünen, nicht anstelle von Ignazio Cassis in die Exekutive zu wählen.

Auch die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament war im Berichtjahr Gegenstand parlamentarischer Arbeit. Beraten wurde dabei insbesondere die Idee eines Verordnungsvetos. Die auf eine parlamentarische Initiative Aeschi (svp, ZG; Pa.Iv. 14.422) zurückgehende, 2014 eingereichte Idee sieht vor, dass ein Drittel der Mitglieder eines Rates gegen die Veröffentlichung einer bundesrätlichen Verordnung ein Veto einlegen kann, wenn die Stossrichtung der Verordnung nicht dem Willen des Parlaments entspricht. Während sich eine Mehrheit des Nationalrats davon eine präventive Wirkung erhoffte, lehnte die Mehrheit des Ständerats die Vorlage als zu kompliziert ab. Ein weiteres Mal abgelehnt wurde – ebenfalls nach längeren Diskussionen – die Idee einer Neuorganisation der Legislaturplanung. Das Parlament debattiert in schöner Regelmässigkeit seit der 2002 eingeführten Änderung, ob die Diskussionen um die zahlreichen Änderungsanträge an der Legislaturplanung zielführend seien. Der Antrag, die Planung wie vor 2002 einfach zur Kenntnis nehmen zu können und eben nicht als Bundesbeschluss behandeln zu müssen, stiess aber im Parlament erneut auf taube Ohren. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die Diskussion nach den eidgenössischen Wahlen 2019 erneut losgehen wird.

Im Nationalrat wurde 2019 die Frage erörtert, wie politisch die Verwaltung sei. Während eine Motion Bigler (fdp, ZH; Mo. 17.4127), die eine Offenlegung der Interessenbindungen von Kaderangestellten verlangt, von der grossen Kammer angenommen wurde, lehnte diese ein Postulat Burgherr (svp, AG; Po. 17.3423) ab, mit dem hätte untersucht werden sollen, wann und wie die Verwaltung effektiv politischen Einfluss ausübt. Dauerbrenner im Parlament waren auch 2019 Sparmassnahmen bei den Personalkosten in der Verwaltung. Diese sollten, wäre es nach dem Nationalrat gegangen, mit Hilfe von Digitalisierung oder durch einen Ausgabenstopp in den Griff bekommen werden – der Ständerat verweigerte aber jeweils seinen Segen dazu.

Im letzten Jahr der 50. Legislatur kam es im Parlament noch zu fünf Mutationen. Insgesamt wurden in der 50. Legislatur 26 Nationalrats- und zwei Ständeratsmandate ersetzt; rund ein Drittel der Mutationen war durch die SP-Fraktion zu verantworten. Das Büro-NR will sich in einem Bericht auf ein Postulat Feri (sp, AG; Po. 18.4252) der Vereinbarkeit der Parlamentsarbeit mit Familie und Beruf annehmen, einem Thema, das in den letzten Jahren immer virulenter zu werden scheint, wie verschiedene Vorstösse zeigen. Nicht einig wurde man sich in den Räten über verschiedene Spesenregelungen. Die SPK-NR entschloss sich deshalb, mit einer Kommissionsinitiative (Pa.Iv. 19.431) wenigstens die Übernachtungsentschädigungen einheitlicher zu organisieren. Diskutiert wurde im Parlament auch 2019 wieder über Regeln für transparenteres Lobbying. Die seit Langem schwelende Debatte, die spätestens 2015 mit der sogenannten «Kasachstan-Affäre» viel Fahrt aufgenommen hatte, wurde allerdings stark abgebremst: Fast wäre auch der letzte, ziemlich zahnlose Vorstoss in diese Richtung versandet, wenn nicht der nach den eidgenössischen neu zusammengesetzte Nationalrat den Nichteintretensentscheid auf einen Vorschlag der SPK-SR sozusagen in letzter Minute zurückgenommen hätte.

Etwas stärker in den Fokus als auch schon geriet 2019 die Judikative, was sich auch in der Medienkonjunktur zu diesem Thema zwischen März und September 2019 beobachten lässt. Dies hatte einerseits damit zu tun, dass im Nationalrat über die Revision des ziemlich umstrittenen Bundesgerichtsgesetzes debattiert wurde – insbesondere die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird wohl auch 2020 noch zu reden geben, auch wenn der Ständerat kurz vor Ende Jahr beschloss, nicht auf die Vorlage einzutreten. Andererseits standen einige Ersatzwahlen an, die jedoch in aller Regel geräuschlos über die Bühne gehen. Beinahe wäre jedoch eine Ersatzwahl ans Bundesgericht zur Ausnahme dieser Regel geworden, da die GK entgegen den Gepflogenheiten nicht die am stärksten untervertretene SVP, sondern die CVP berücksichtigte, was beinahe zu einer noch nie vorgekommenen Kampfwahl geführt hätte. Dafür, dass das Gerichtswesen auch in Zukunft im Gespräch bleibt, wird wohl auch die 2019 zustande gekommene Justizinitiative sorgen, die vorschlägt, oberste Richterinnen und Richter per Losverfahren zu bestimmen, um eben diese starke, dem Proporzgedanken geschuldete Verbindung zwischen Judikative und Parteien zu verhindern. Viel zu schreiben gab zudem die Bundesanwaltschaft. Nach langen und stark medial begleiteten Diskussionen zu einer Disziplinaruntersuchung um den amtierenden Bundesanwalts Michael Lauber wurde dieser erst nach einer Verschiebung der Wahl von der Sommer- in die Herbstsession und äusserst knapp für eine dritte Amtsperiode bestätigt.

Im Wahljahr 2019 trat die Nutzung der direkten Demokratie ein wenig in den Hintergrund. An zwei Abstimmungswochenenden wurde lediglich über drei Vorlagen abgestimmt. Dabei folgte die Mehrheit der Stimmbevölkerung sowohl bei den beiden Referenden (STAF und Waffenschutzrichtlinie) als auch bei der Zersiedelungsinitiative der Empfehlung von Parlament und Bundesrat. Die Ablehnung der Zersiedelungsinitiative bedeutet zudem, dass in der 50. Legislatur kein einziges Volksbegehren Erfolg hatte. Die wahlbedingte Abstimmungspause wird wohl in den folgenden Jahren zu einigen Abstimmungswochenenden mit mehreren Vorlagen führen, sind doch Ende 2019 ganze 16 Volksinitiativen im Unterschriftenstadium und 19 abstimmungsreif oder beim Bundesrat oder im Parlament in Beratung. Dafür, dass in Zukunft die direkte Demokratie umfassender genutzt werden könnte, sorgte das Parlament zudem mit seiner Entscheidung zur Kündigung von Staatsverträgen, die zukünftig nicht mehr dem Bundesrat, sondern der Legislative und im Falle eines Referendums der Stimmbevölkerung obliegt. Eines der anstehenden Volksbegehren ist die Transparenzinitiative, für die die SPK-SR 2019 einen indirekten Gegenentwurf in die Vernehmlassung gab, mit dem die Offenlegung der Finanzierung von Wahl- und Abstimmungskampagnen im Gesetz geregelt werden soll und der in der Wintersession vom Ständerat mit Anpassungen gutgeheissen wurde.

Einen herben Dämpfer erlitt 2019 die Idee des elektronischen Wählens und Abstimmens. Nachdem der Kanton Genf bereits Ende 2018 sein E-Voting-System eingestellt hatte und das System der Post in einem öffentlich ausgeschriebenen Stresstest den Anforderungen nicht standgehalten hatte, bestanden keine brauchbaren technischen Angebote mehr für die effektive Durchführung von «Vote électronique». Daher entschied sich der Bundesrat, sein Ziel, E-Voting als ordentlichen Stimmkanal einzuführen, vorläufig zu sistieren. Gegenwind erhielt der elektronische Stimmkanal zudem von einer Anfang 2019 lancierten Volksinitiative für ein E-Voting-Moratorium. Immerhin entschied sich der Nationalrat für eine Motion Zanetti (svp, ZH; Mo. 19.3294) mit dem Ziel, die Abstimmungsunterlagen elektronisch zustellen zu können.

Jahresrückblick 2019: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Jahresrückblick 2019

Die Vereinigte Bundesversammlung hatte in der Wintersession 2019 eine Ersatzwahl ans Bundesverwaltungsgericht vorzunehmen. Zwar hatte sich das Parlament selber die Vorgabe gemacht, am BVGer ausscheidende Richterinnen und Richter so lange nicht zu ersetzen, bis nur noch 65 Vollzeitstellen besetzt sind – um die Zahl hängiger Asylrekurse abzubauen, hatte die Legislative 2017 eine Aufstockung auf 69 Vollzeitstellen beschlossen, die nach August 2019 wieder hätten abgebaut werden sollen. Allerdings zeichnete sich mit aktuellen und angekündigten Rücktritten eine Knappheit an französischsprachigen Richterinnen und Richtern ab, was Marianne Ryter (sp), Präsidentin des BVGer, zum Anlass nahm, bei der GK zu insistieren. Diese hiess entsprechend die Ausschreibung einer Stelle für eine Richterin oder einen Richter mit französischer Muttersprache trotz eigentlich beschlossenen Anstellungsstopps gut.
Aus den eingegangenen sechs Bewerbungen entschied sich die GK für Deborah D'Aveni, die bereits als Gerichtsschreiberin am BVGer tätig ist und der am Verwaltungsgericht untervertretenen SP angehört. Mit 212 von 234 eingelangten Stimmen wurde D'Aveni gewählt. 22 Stimmzettel waren leer geblieben.

Ersatzwahl am Bundesverwaltungsgericht

Aufgrund des Rücktritts von Andreas Brunner (sp) und Bernard Abrechts (sp) Wahl zum ordentlichen Richter ans Bundesgericht im Sommer 2019, wurde in der Wintersession 2019 die Wahl zweier nebenamtlicher Gerichtspersonen ans Bundesgericht nötig. Es bestand Bedarf an zwei Personen mit französischer Muttersprache und Kenntnissen im Zivilrecht. Die GK empfahl Sarah Bechaalany und Yann Hofmann zur Wahl.
Mit 28 Jahren wurde Bechaalany mit 199 von 234 eingelangten Stimmzetteln (4 wurden leer eingereicht und auf 31 standen andere Namen) zur jüngsten Bundesrichterin aller Zeiten gewählt. Weil sie der am BGer untervertretenen grünen Partei angehört, kommentierte die Sonntagszeitung, dass die grüne Welle nach den Wahlen nun auch die Judikative erreicht habe. Nicht nur die GP, sondern auch die CVP war am BGer untervertreten, wogegen die Kandidatur von Hofmann wirken sollte, der den Christdemokraten angehört und dessen Name auf 230 von 234 eingelangten Wahlzetteln stand (4 leere Wahlzettel).

Wahlen ans Bundesgericht

Mit dem Ordnungsantrag der Sozialdemokratischen Fraktion, die Wahl des Präsidiums und des Vizepräsidiums am Bundesstrafgericht zu verschieben, wurden Richterwahlen nach der umstrittenen Ersatzwahl ans Bundesgericht im Sommer bereits zum zweiten Mal im Jahr 2019 entgegen der normalen Routine zu einem stark debattierten Geschäft. Die Sprecherinnen und Sprecher aller Fraktionen – mit Ausnahme der GLP-Fraktion – meldeten sich vor der Abstimmung über den Ordnungsantrag der SP-Fraktion zu Wort. Zwei Elemente wurden in den Voten hervorgehoben: Erstens wurde kritisiert, dass sowohl die für die Wahl zur BStGer-Präsidentin vorgeschlagene aktuelle Vizepräsidentin Sylvia Frei als auch der für die Wahl zum BStGer-Vizepräsidenten vorgeschlagene aktuelle Präsident Stephan Blättler der SVP angehören, und zweitens stiess man sich daran, dass beide deutschsprachig waren. Bereits bei ihrer ausserordentlichen Wahl zu Präsident und Vizepräsidentin in der Frühjahrssession 2019 hatten diese beiden Umstände zu reden gegeben und die GK hatte damals betont, dass dies nur eine vorübergehende Lösung sein könne. Nun habe aber das BStGer mit grosser Mehrheit (16 der 19 anwesenden Richterinnen und Richter) der GK den Antrag gestellt, das damals gewählte Präsidium für die Amtsperiode 2020-2021 zu bestätigen, so die GK in ihrem Bericht. Im Dreiergremium werde zudem mit Olivier Thormann ab 2020 ein französischsprachiges FDP-Mitglied sitzen – mit Andrea Blum fand sich aktuell ein drittes deutschsprachiges SVP-Mitglied im Gerichtspräsidium. Die GK bedauere zwar «ausserordentlich», dass das Gericht nicht auf ihre Kritik bezüglich einer zu einseitigen Auswahl eingegangen sei. In Anbetracht der starken Gerichtsmehrheit, die den Antrag stütze, und weil es keine anderen Kandidaturen gebe, schlage sie Frei und Blättler trotzdem zur Wahl vor. Die Nichtberücksichtigung der Mehrsprachigkeit und die einseitige Parteivertretung wurde von allen Fraktionssprecherinnen und -sprechern – mit Ausnahme von Thomas Aeschi (svp, ZG) – angeprangert. Zu reden gab freilich noch ein zweites Element. Tags zuvor war nämlich in der Aargauer Zeitung über einen «Sittenzerfall in Bellinzona» berichtet worden. Die Gerichtsleitung des Bundesstrafgerichts leiste einer «Privilegien- und Günstlingswirtschaft» Vorschub, gegen die sich niemand zu wehren traue. Die «Dominanz einer Partei, der SVP», habe dafür gesorgt, dass die Gewaltenteilung nicht mehr eingehalten würde. Die Zeitung zitierte einen Kritiker mit folgenden Worten: «Wir machen uns ernsthaft Sorgen um die Institution. Die Unabhängigkeit des Gerichts ist nicht mehr gegeben.» Eben diese Sorge um die Institution wurde auch in den Fraktionsvoten zum Ausdruck gebracht. Während die einen dafür plädierten, den Problemen vor der Wahl nachgehen zu müssen und diese deshalb verschieben zu wollen, warnten die anderen davor, das BStGer bei einer Verschiebung führungslos zu lassen. Das Prozedere rund um den Ordnungsantrag führte dazu, dass die Wahlen noch stärker in die Länge gezogen wurden, mussten doch die Ständerätinnen und -räte, die für die Vereinigte Bundesversammlung jeweils an der Rückwand des Nationalratssaals Platz nehmen, einzeln durch Zuruf Stellung nehmen, während die Nationalrätinnen und -räte elektronisch abstimmen konnten. Den Ordnungsantrag der SP-Fraktion unterstützten 94 vorwiegend links-grüne Mitglieder (14 aus dem Ständerat und 80 aus dem Nationalrat), dagegen sprachen sich 140 Mitglieder (30 aus dem Ständerat und 110 aus dem Nationalrat) aus.
Bei der anschliessenden Wahl fielen dann die zahlreichen leeren Stimmen auf. Sylvia Frei wurde mit 117 von 234 eingelangten Stimmen gewählt, wobei deren 116 leer blieben und 1 ungültig war. Auf Stephan Blättler entfielen 119 von 120 gültigen Stimmen. Bei ihm waren von den 234 eingelangten Stimmzetteln 114 leer geblieben und einer enthielt einen anderen Namen. In den Medien wurde kommentiert, dass die Vorkommnisse in Bellinzona nun wohl genauer unter die Lupe genommen würden.

Präsidium und Vizepräsidium am Bundesstrafgericht
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative