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  • Organisation der Bundesrechtspflege

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  • Keller, Stefan
  • Stöckli, Hans (sp/ps, BE) SR/CE

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Nach dem Rücktritt von Stefan Keller dauerte es ein halbes Jahr, bis seine Stelle des ausserordentlichen Bundesanwalts wieder besetzt wurde. Zwar hatte die AB-BA Ende Mai 2021 den ehemaligen Zürcher Staatsanwalt Ulrich Weder ad interim für die Stelle bestimmt, trotzdem brauchte die GK lange Zeit, um eine neue Leitung für das von Keller eröffnete Verfahren gegen Michael Lauber zu bestimmen. Sie begründete dies in ihrem Kommissionsbericht mit der schwierigen Kandidierendensuche. Zwar habe die AB-BA bereits im Juni aus rund 30 Bewerbungen fünf Personen ausgesucht, diese hätten sich aber alle zurückgezogen. Auch nachdem sowohl die Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz (SSK) als auch die Konferenz der Kantonalen Justiz und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) für die Kandidierendensuche beigezogen worden seien, habe man Mitte November zur Kenntnis nehmen müssen, dass keine einzige Bewerbung eingegangen sei. Die GK habe sich deshalb entschlossen, die Übergangslösung mit Ulrich Weder zur fixen Lösung zu machen. Neben Ulrich Weder schlage die Kommission zudem die Wahl von Hans Maurer vor, der – ebenfalls ehemaliger Zürcher Staatsanwalt – Weder bei den laufenden Untersuchungen zur Seite gestanden habe. Die Kommission betonte, dass es sich hier nicht um die Wahl von Bundesanwälten handle, sondern dass hier ausserordentliche Personalressourcen eingesetzt würden, um «die unabhängige Abklärung eines Einzelfalls bereitzustellen». Man sei der Meinung, dass dies nach wie vor angezeigt sei. Die Wahl zweier gleichberechtigter ausserordentlicher Bundesanwälte helfe zudem, das Verfahren zu beschleunigen und effizienter zu machen. Zwar hätten die beiden vorgeschlagenen Weder und Maurer die Alterslimite für ordentliche Bundesanwälte bereits überschritten – Ulrich Weder hat Jahrgang 1951, Hans Maurer Jahrgang 1952 – die GK sei aber der Ansicht, dass für dieses «ad-hoc-Untersuchungsmandat» die Altersgrenze nicht angewendet werden müsse. Die GK betrachte die beiden Personen als «Idealbesetzung».
Dies sah offensichtlich auch eine Mehrheit der Vereinigten Bundesversammlung so: Maurer (189 Stimmen) und Weder (189 Stimmen) erhielten fast alle 192 gültigen Stimmen. Allerdings blieben von den 235 eingelangten Wahlzetteln 43 leer.

Sonderstaatsanwalt für den «Fall Lauber»

Einen neuen Anlauf zur Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit forderten zwei gleichlautende Motionen von Stefan Engler (mitte, GR; Mo. 21.3689) und von Mathias Zopfi (gp, GL; Mo. 21.3690). Seit der letzten diesbezüglichen Diskussion seien mittlerweile zehn Jahre vergangen. In der Zwischenzeit habe es verschiedene Beispiele gegeben, aufgrund derer die Frage nach einer Stärkung des Rechtsstaates durch Einführung einer richterlichen Kontrolle von Bundesgesetzen neu diskutiert werden müsse, so die identische Begründung beider Vorstösse. Zudem würde der Föderalismus gestärkt, wenn auch die Kantone ein Gericht anrufen könnten, das prüfe, ob die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Kantonen verfassungskonform sei.
In seinen identischen Stellungnahmen verwies der Bundesrat auf die bisher gescheiterten Versuche, ein Bundesverfassungsgericht einzuführen (Pa.Iv. Müller-Hemmi und Pa.Iv. Studer; Mo. Caroni). Die Bestrebungen seien damals «nicht zuletzt am klaren Widerstand des Ständerats» gescheitert. Der Bundesrat sehe überdies keine Notwendigkeit für neuerliche Diskussionen und beantrage deshalb die Ablehnung beider Motionen. Dies sah die kleine Kammer, die beide Motionen gleichzeitig behandelte, hingegen leicht anders. Sie hiess einen Ordnungsantrag von Hans Stöckli (sp, BE) gut, der die beiden Motionen der SPK-SR zur Vorprüfung zuweisen wollte. Sie solle die Veränderung der Praxis beleuchten und insbesondere auch die Frage einer Verfassungsgerichtsbarkeit bei Notrechtskompetenzen wie im Falle der Covid-19-Pandemie betrachten.

Ein neuer Anlauf zur Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit (Mo. 21.3689 und Mo. 21.3690)
Dossier: Verfassungsgerichtsbarkeit

In der Herbstsession hiessen sowohl der Nationalrat als auch der Ständerat gleichlautende Motionen der RK-SR (Mo. 21.3970) und der RK-NR (Mo. 21.3972) für eine Reform der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsicht gut. Damit soll der Bundesrat, der das Anliegen ebenfalls unterstützte, auf der Basis des Schlussberichts der beiden GPK zum «Aufsichtsverhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsichtsbehörde», den Erfahrungen der GK im Rahmen der Vorkommnisse in der Bundesanwaltschaft sowie den bereits getätigten Arbeiten im Rahmen des Postulats von Daniel Jositsch (sp, ZH) neue Rechtsgrundlagen vorlegen.
Im Ständerat legte Andrea Caroni (fdp, AR) für die Kommission dar, dass man hier Handlungsbedarf sehe. Man sei übereingekommen, hier keine parlamentarische Initiative, sondern eine Motion einzureichen, weil «dieses hochkomplexe Thema unsere Kommission beim Gesetzgebungsprozess an die Grenzen bringen würde». Fast einig seien sich die Kommissionsmitglieder zudem gewesen, dass man beim bestehenden System bleiben wolle – die GPK hatte in ihrem Bericht vom «Status Quo plus» geschrieben. Die Bundesanwaltschaft solle also weiterhin vom Parlament und nicht wieder von der Exekutive bestimmt werden. Auch das Bundesstrafgericht als weitere Bundesstrafbehörde solle nicht in die Reform mit einbezogen werden. Eine von Carlo Sommaruga (sp, GE) diesbezüglich angeregte klarere Trennung von Berufungs- und Strafkammer werde deshalb hier nicht weiterverfolgt. Die entsprechende parlamentarische Initiative sei zugunsten der vorliegenden Motion zurückgezogen worden. Hans Stöckli (sp, BE) bekräftigte im Namen der GPK, dass die Stossrichtung der Motion den Überlegungen des GPK-Berichts entspreche. Er sei froh, dass beide Vorstösse in den Kammern behandelt würden, damit man «innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens eine Verbesserung der Situation herbei[...]führen» könne. Ohne Diskussion nahm die kleine Kammer die Motion einstimmig an.

Mehr zu reden gab es einige Tage später im Nationalrat. Dafür sorgte nicht zuletzt eine Kommissionsminderheit aus SVP-Fraktionsangehörigen, die die Motion zur Ablehnung empfahl. Pirmin Schwander (svp, SZ) führte deren Argumente für eine «Status Quo ante»-Lösung aus: Die SVP wolle eine «richtige» Reform und keine «Minireform», welche die Probleme nicht löse, sondern nur vertusche. Der «grösste Justizskandal seit 1848» – Schwander spielte damit auf die Verjährung des Fifa-Falls an und erwähnte im gleichen Atemzug die Absetzung des ausserordentlichen Staatsanwalts Stefan Keller sowie die Vorkommnisse am Bundesstrafgericht – könne mit dem jetzigen System nicht gelöst werden. Die SVP sei aber durchaus auch offen für andere Reformen als die Rückkehr zum alten System – entsprechende Vorschläge hatte die Partei bereits in der abgelehnten parlamentarischen Initiative 19.479 vorgebracht. Sie biete aber nicht Hand für eine «Scheinlösung», so Schwander. Justizministerin Karin Keller-Sutter schloss die Debatte mit dem Hinweis, dass die Kantone signalisiert hätten, dass sie zwar Korrekturbedarf sähen, aber am bestehenden System festhalten wollten. Ausser der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion stimmten alle Fraktionen für die Überweisung des Auftrags an den Bundesrat. Durch die Annahme der Motion (mit 128 zu 45 Stimmen) galt auch die konnexe Motion der ständerätlichen Kommission als überwiesen.

Reform der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsicht (Mo. 21.3972 und Mo. 21.3970)
Dossier: Reformen der Bundesanwaltschaft
Dossier: Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA)

Hauptsächlicher Gegenstand der Berichterstattung zum Geschäftsbericht des Bundesgerichts 2020 waren in der Sommersession 2021 in beiden Räten die steigenden Fallzahlen an allen eidgenössischen Gerichten. So rechnete im Nationalrat Manuela Weichelt (al, ZG) als GPK-Kommissionssprecherin vor, dass die 38 Stellen für ordentliche Bundesrichterinnen und Bundesrichter auf total rund 7'400 Fälle pro Jahr ausgerichtet seien. Allerdings sei diese Fallzahl lediglich in den Jahren 2010 und 2011 nicht überschritten worden. 2020 sei die Fallzahl zum zweiten Mal seit der Einführung des Bundesgerichtsgesetzes 2005 auf über 8'000 Fälle angestiegen (laut Bericht: 8'024 Fälle; 2019: 7'881). Die Revision ebendieses Bundesgerichtsgesetzes war 2020 gescheitert, so dass die Bundesgerichte intern Massnahmen beschlossen hätten, um die Arbeitslast zu verteilen, was trotz der Covid-19-Pandemie gelungen sei. Der Pendenzenberg sei daher nur geringfügig angewachsen, berichtete Manuela Weichelt. Isabelle Pasquier-Eichenberger (gp, GE), die Kommissionssprecherin französischer Sprache, informierte die grosse Kammer zudem darüber, dass die GPK daran sei, die Transparenz bei der Spruchkörperbildung zu untersuchen. Auch das Dossier zu den Vorkommnissen im Bundesstrafgericht sei nach wie vor im Fokus der GPK.
Auch die neue Bundesgerichtspräsidentin und erste Frau an der Spitze des Bundesgerichts, Martha Niquille, meldete sich zu Wort und betonte, dass die Covid-19-Pandemie gut habe gemeistert werden können: «Die Arbeit der Juristinnen und Juristen eignet sich auch sehr gut, um von zuhause aus arbeiten zu können.» Der leichte Anstieg der Pendenzen sei deshalb nicht der Pandemie, sondern den «wirklich sehr hohen Fallzahlen» zuzuschreiben. Dies könne so nicht mehr weitergehen. Wenn immer mehr Fälle ans Gericht gelangten, aber nicht mehr Personal zur Verfügung stehe, leide die Qualität und die Rechtssicherheit. Man habe nach dem Scheitern der Revision des Bundesgerichtsgesetzes versucht, intern die Belastung besser zu verteilen. Die Gerichte hätten also gehandelt, sie seien aber «darauf angewiesen, dass auch vonseiten des Parlamentes Massnahmen ergriffen werden». In der Folge nahm der Nationalrat den Bundesbeschluss über den Geschäftsbericht des Bundesgerichtes 2020 diskussionslos an.

Auch der Ständerat hiess den Bundesbeschluss noch in der Sommersession diskussionslos gut. Hans Stöckli (sp, BE) berichtete in der kleinen Kammer. Die GPK habe sich den Satz «Das Bundesgericht erachtet die Situation als kritisch im Hinblick auf die Erfüllung seiner ihm von der Verfassung zugedachten Aufgabe» angestrichen und man müsse diesem Beachtung schenken. Der Pendenzenberg sei zwar nur geringfügig, aber doch auf total 2'862 Fälle angewachsen. Die GPK habe die beiden Rechtskommissionen aufgefordert, die unbestrittenen Punkte der Bundesgerichtsgesetzrevision in eine neue Vorlage aufzunehmen. Dies wünschte sich auch die Bundesgerichtspräsidentin, die auch bei der Beratung in der kleinen Kammer zugegen war. Wenn man aber wirklich eine Entlastung wolle, müsse man gewillt sein, den Zugang zum Bundesgericht einzuschränken, so Martha Niquille.

Geschäftsbericht 2020 des Bundesgerichts
Dossier: Geschäftsberichte des Bundesgerichts

Die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) hat die Rechtmässigkeit, die Ordnungsmässigkeit, die Zweckmässigkeit, die Wirksamkeit und die Wirtschaftlichkeit der Tätigkeiten der Bundesanwaltschaft zu prüfen und zu unterstützen. Wie sie diese Aufgabe genau wahrnimmt, muss sie jährlich in einem Tätigkeitsbericht zuhanden der Bundesversammlung darlegen.
Diesen Bericht für das Jahr 2020 legte die AB-BA Anfang März 2021 vor. Das Berichtsjahr sei äusserst intensiv gewesen, was vor allem den Ereignissen rund um die Disziplinaruntersuchung des mittlerweile zurückgetretenen Bundesanwalts Michael Lauber geschuldet gewesen sei. In der Zwischenzeit sei der zum Sonderstaatsanwalt ernannte Stefan Keller daran, die Strafanzeige gegen Lauber zu überprüfen. Ein weiterer Schwerpunkt der AB-BA sei der Inspektionsbericht über das Generalsekretariat der Bundesanwaltschaft gewesen, aus dem Empfehlungen für Umstrukturierungen an den noch zu bestimmenden Nachfolger Laubers gerichtet würden. Schliesslich habe die AB-BA eine Stellungnahme zur GPK-Untersuchung zum Verhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und der Aufsichtsbehörde abgegeben: Man sehe den Handlungsbedarf für gesetzliche Reformen, die AB-BA müsse aber möglichst unabhängig bleiben.

Jahresbericht 2020 der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt
Dossier: Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA)

Nachdem die Immunität von Michael Lauber von den beiden zuständigen Kommissionen aufgehoben worden war, hatte das Parlament zu bestimmen, wer die Strafuntersuchung gegen den mittlerweile aus dem Amt ausgeschiedenen Bundesanwalt, dem Amtsmissbrauch, Amtsgeheimnisverletzung und Begünstigung vorgeworfen wurden, führen soll. Die Vereinigte Bundesversammlung musste hierfür in der Herbstsession 2020 einen Sonderstaatsanwalt wählen – ein Novum in der Geschichte der Schweiz. Die GK schlug dem Parlament einstimmig Stefan Keller vor, der bereits von der AB-BA als ausserordentlicher Bundesanwalt für die Voruntersuchung eingesetzt worden war. Der Obwalder Jurist war entsprechend mit dem Fall bestens vertraut und die GK traute ihm zu, eine «lückenlose Fortsetzung des Verfahrens» zu gewährleisten, wie sie in ihrem Bericht Anfang September 2020 darlegte. Ein Vorteil von Keller sei zudem seine Unabhängigkeit.
In den Medien wurde Keller als «unorthodox» bezeichnet (Tages-Anzeiger). Der Blick zitierte Beat Flach (glp, AG), der die Wahl Kellers als «Hochrisikospiel» bezeichnete. Kellers Eignung für das «schwierige Amt des Sonderermittlers» sei von der GK nur sehr oberflächlich abgeklärt worden, behauptete der Blick.
Im Parlament war die Wahl freilich unbestritten. GK-Präsident Andrea Caroni (fdp, AR) kritisierte in seinem Votum die medialen Versuche, «Herrn Keller in ein schiefes Licht zu rücken», und ärgerte sich darüber, dass erneut ein vertrauliches Dokument der Gerichtskommission an die Medien gelangt sei. Mit 220 von 223 gültigen Stimmen (von den 241 Wahlzetteln waren 237 eingegangen und 14 leer geblieben) wurde Keller deutlich zum ausserordentlichen Bundesanwalt bestimmt.

Sonderstaatsanwalt für den «Fall Lauber»

Ende Juli 2020, nur wenige Tage nach der Rücktrittsankündigung Michael Laubers, entschied der ausserordentliche Bundesanwalt Stefan Keller, dass gegen Lauber, gegen Fifa-Präsident Gianni Infantino und gegen den Walliser Staatsanwalt Rinaldo Arnold Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch, Amtsgeheimnisverletzung und Begünstigung beziehungsweise wegen Anstiftung zu Begünstigung eingeleitet werden sollen. Die mutmasslichen Strafhandlungen sollen während vier geheimen und nicht protokollierten und von Arnold organisierten Treffen zwischen dem Bundesanwalt und dem Fifa-Präsidenten geschehen sein. Der Antrag Kellers hatte zwei konkrete Folgen für das Parlament: Erstens mussten die zuständigen Kommissionen entscheiden, ob die Immunität Laubers aufgehoben werden soll. Nur in diesem Fall konnte ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet werden. Zweitens musste das Parlament eine ausserordentliche Bundesanwältin oder einen ausserordentlichen Bundesanwalt wählen und diese oder diesen mit der Strafuntersuchung betrauen.

Mitte August entschied sich die Kommission für Rechtsfragen des Ständerats mit 10 zu 1 Stimmen, die Immunität Laubers aufzuheben. Zwar war Lauber kurz zuvor zurückgetreten, seine Immunität hätte jedoch ohne Aufhebung auch weiterhin Bestand. Laut des Kommissionsberichts sei Lauber angehört worden, er habe die Zweifel am Verdacht, dass bei besagten Treffen strafbare Handlungen ausgeführt wurden, aber nicht entkräften können. Lauber hatte vergeblich darauf hingewiesen, dass weder die AB-BA noch das Bundesverwaltungsgericht Anzeichen auf strafbare Handlungen gefunden hätten und dass lediglich Vermutungen, aber keine konkrete Vorwürfe bestünden.
Die Kommission entschied, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der amtlichen Stellung Laubers und den ihm vorgeworfenen Handlungen bestehe – dies gilt als Voraussetzung für die Aufhebung der Immunität: Es sei unbestritten, dass Lauber in seiner Funktion als Bundesstaatsanwalt an den Treffen teilgenommen habe. Das rechtsstaatliche Interesse überwiege zudem dem institutionellen Interesse, also dem Schutz der Bundesanwaltschaft gegen mögliche haltlose Anschuldigungen. Es sei letztlich im «Interesse der Glaubwürdigkeit der Institution Bundesanwaltschaft selbst», dass der Sachverhalt geklärt werde. Zudem sei damit wohl auch Lauber selber gedient, weil er seinen Ruf im Rahmen eines Strafverfahrens verteidigen könne, schloss die ständerätliche Kommission ihren Bericht.

Am 24. August beschloss auch die für die Aufhebung zuständige nationalrätliche Kommission, die Immunitätskommission (IK-NR), mit 8 zu 1 Stimmen, die Immunität des Bundesanwaltes aufzuheben. Auch die IK-NR hörte Lauber noch einmal an, beurteilte den Zusammenhang zwischen amtlicher Stellung und Handlung als gegeben und befand ebenfalls, dass der Schutz der Institutionen weniger wichtig sei als die rechtsstaatlichen Interessen. Im vorliegenden Fall habe die Öffentlichkeit ein hohes Interesse an Aufklärung. Wie ihre Schwesterkommission betonte auch die IK-NR, dass es im Interesse der Institution Bundesanwaltschaft sei, «dass man nach jahrelanger medialer Diskussion jetzt [...] genau hinschaue.»

Damit war die Aufhebung der Immunität Laubers also beschlossene Sache. Das Parlament hatte freilich noch die ausserordentliche Bundesanwältin oder den ausserordentlichen Bundesanwalt zu wählen, der die Strafverfahren in Angriff nehmen sollte.

Strafverfahren gegen Lauber
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Die viel diskutierten informellen und nicht protokollierten Treffen zwischen Bundesanwalt Michael Lauber und Fifa-Präsident Gianni Infantino hatten nicht nur zu einer Disziplinaruntersuchung gegen den Bundesanwalt und letztlich zum Rücktritt Laubers geführt, sondern auch drei Strafanzeigen ausgelöst, in denen Lauber Amtsmissbrauch, Amtsgeheimnisverletzung und Begünstigung vorgeworfen wurden. Infantino wurde der Anstiftung zu Begünstigung bezichtigt. Da zwei der besagten Treffen in Bern stattgefunden hatten, wurden die Strafanzeigen Anfang Juni 2020 bei der Staatsanwaltschaft in Bern eingereicht. Diese leitete die Anzeigen allerdings an die Bundesbehörden weiter, da es sich bei Lauber um ein Mitglied der Bundesbehörden handle und deshalb ein ausserordentlicher Bundesanwalt dafür zuständig sei. Strafanzeige gegen Lauber könne zudem nur eingereicht werden, wenn seine Immunität aufgehoben werde, die er als von der Bundesversammlung gewähltes Behördenmitglied geniesse.

Mitte Juni forderten die Präsidentin und der Präsident der eidgenössischen Räte – Isabelle Moret (fdp, VD) und Hans Stöckli (sp, BE) – die AB-BA entsprechend auf, eine ausserordentliche Bundesanwältin oder einen ausserordentlichen Bundesanwalt zu ernennen, der die drei Strafanzeigen prüfen und entscheiden solle, ob eine Strafuntersuchung eingeleitet werden und ein Antrag auf Aufhebung der Immunität Laubers gestellt werden soll. Für eine allfällige folgende Untersuchung müsste das Parlament aber vorgängig eine ausserordentliche Bundesanwältin oder einen ausserordentlichen Bundesanwalt wählen.

Ende Juni ernannte die AB-BA Stefan Keller zum ausserordentlichen Bundesanwalt. Der promovierte Jurist amtete teilzeitlich als Präsident des Ober- und Verwaltungsgerichts des Kantons Obwalden sowie als Dozent an verschiedenen Hoch- und Fachhochschulen.

Strafverfahren gegen Lauber
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Das Postulat Jositsch (sp, ZH), mit dem der Bundesrat beauftragt werden soll, Struktur, Organisation, Zuständigkeit und Überwachung der Bundesanwaltschaft zu überprüfen, wurde auf Antrag des Büro-SR von der kleinen Kammer in der Herbstsession 2019 stillschweigend an die GPK-SR zur Vorprüfung überwiesen. Der Zürcher Sozialdemokrat fragte sich, weshalb die Kritik an der Bundesanwaltschaft trotz personeller Anpassungen nicht abnehme, und schlug vor, zu untersuchen, ob dies allenfalls strukturelle Gründe habe.
Da die GPK beider Räte eine Überprüfung des Aufsichtsverhältnisses zwischen der Bundesanwaltschaft und deren Aufsichtsbehörde (AB-BA) beschlossen habe und die RK-NR gesetzgeberischen Handlungsbedarf prüfe – nicht ohne die Resultate der GPK abzuwarten –, sei es sinnvoll, das Postulat der GPK zuzuweisen, damit diese die Forderungen des Postulats mit ihren Bemühungen koordinieren könne, so der Ordnungsantrag des Büros. Ein Bericht der GPK sei im November 2020 zu erwarten und mit der Überweisung könnten Mehrspurigkeiten vermieden werden, begründete Hans Stöckli (sp, BE) als Sprecher des Büros den Antrag.

Bundesanwaltschaft - Überprüfung von Struktur, Organisation, Zuständigkeit und Überwachung (Po. 19.3570)
Dossier: Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA)

In der Sommersession 2018 nahmen die Räte den Geschäftsbericht des Bundesgerichtes 2017 zur Kenntnis. Die Kommissionssprecherinnen und -sprecher – im Ständerat Hans Stöckli (sp, BE) und im Nationalrat Corina Eichenberger-Walther (fdp, AG) sowie Philippe Nantermod (fdp, VS) – hoben verschiedene Elemente des Berichts hervor. So wurde etwa die Einführung des elektronischen Gerichtsdossiers nach «einem harzigen Start» (Stöckli) oder der rege Austausch von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern mit Kolleginnen und Kollegen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erwähnt, wobei man habe erwirken wollen, dass letzterer weniger stark ins nationale Recht eingreife. Stark hervorgehoben wurde freilich insbesondere, dass 2017 mit total 8’029 Fällen erneut ein Rekordjahr war (2016: 7'743), wobei die Zunahme vor allem bei der strafrechtlichen und der Ersten öffentlich-rechtlichen Abteilung zu verzeichnen war. Sie stehe auch in Verbindung mit dem in der Strafprozessordnung installierten Ausbau der Verteidigungsrechte im Staatsanwaltsmodell, das einen grösseren Spielraum für die Anfechtung von Entscheiden erlaube. Die Anzahl erledigter Fälle (7'782; 2016: 7'811) und die durchschnittliche Verfahrensdauer (144 Tage; 2016: 140 Tage) entsprechen den Werten des Vorjahres. Es wurde betont, dass diese Zahlen eine Zielverfehlung anzeigten: Die Totalrevision des Bundesgerichtsgesetzes, die nun seit 12 Jahren in Kraft sei, hätte die Entlastung der Gerichte bewirken sollen, was aber klar nicht erreicht worden sei. Die anstehende Teilrevision dieses Gesetzes sei deshalb wichtig. Dies sehe auch das Bundesgericht selber so, wie dessen Vizepräsidentin Martha Niquille in der ständerätlichen Debatte betonte: Es brauche unbedingt eine Entlastung, wenn die Qualität der Rechtsprechung gewahrt werden solle. Man sei im Prinzip mit der Vorlage, wie sie jetzt bereits vorliege, einverstanden – so die Vizepräsidentin weiter. Allerdings warnte sie vor der Idee der subsidiären Verfassungsbeschwerde. Dieses Auffangrechtsmittel sei eher eine Zusatzbelastung und die Erfolgsquote sei derart bescheiden – von den 427 im Jahr 2017 eingegangenen subsidiären Verfassungsbeschwerden seien lediglich 8 gestützt worden –, dass man es getrost streichen könne. Auch Ulrich Meyer, der Präsident des Bundesgerichtes, der in der nationalrätlichen Debatte zugegen war, verwies auf die Bedeutung der Revision. Zwar könne man dank grosser interner Flexibilität und Zu- und Umteilungen von Fällen auf andere Abteilungen die Arbeitslast einigermassen bewältigen, dieses Vorgehen sei aber auf Dauer nicht möglich.
Beim Bundesverwaltungsgericht war die Anzahl neuer Fälle (7’365) im Vergleich zum Vorjahr (8102) etwas zurückgegangen; allerdings seien auch etwas weniger Fälle abgeschlossen worden (7'385; 2016: 7’517) womit sich auch die Erledigungsdauer von 212 auf 268 Tage erhöht habe. Die Zunahme sei vor allem der komplexer werdenden Fälle im Kartell- und Wettbewerbsrecht geschuldet. Erfreulich sei hingegen, dass dank der temporären Aufstockung der Richterstellen im Asylbereich die dortigen Rückstände abgebaut werden könnten.
Im Geschäftsbericht des Bundesstrafgerichtes wurde ausgewiesen, dass mehr Fälle erledigt werden konnten (852; 2016: 787) als eingegangen waren (805; 2016: 901).
Das Bundespatentgericht schliesslich hatte 34 neue Fälle zu verzeichnen (2016: 27) und konnte 2017 deren 24 erledigen (2016: 24).
Die Kommissionssprecherin und die Kommissionssprecher betonten, dass verschiedene Umfragen unter Anwälten und Prozessparteien gezeigt hätten, dass man mit der Arbeit der verschiedenen Gerichte sehr zufrieden sei. Die Schweiz habe eine «gut funktionierende Gerichtsbarkeit» (Stöckli); die «Zusammenarbeit und der Betrieb» liefen gut (Eichenberger-Walther).
Der Geschäftsbericht wurde von beiden Kammern zur Kenntnis genommen und mit Annahme des Bundesbeschlusses über den Geschäftsbericht des Bundesgerichtes für das Jahr 2017 genehmigt.

Geschäftsbericht 2017 des Bundesgerichts
Dossier: Geschäftsberichte des Bundesgerichts

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Zusammenfassung
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Dossier: Bundesanwalt Michael Lauber

Michael Lauber war der erste Bundesanwalt, der vom Parlament gewählt wurde (28. September 2011), zuvor war der Bundesrat für die Wahl des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin zuständig gewesen. Michael Lauber erhielt zuerst sowohl von den Medien wie auch von der Aufsichtsbehörde AB-BA viel Lob und wurde 2015 glanzvoll für weitere vier Jahre im Amt bestätigt. Der Wind drehte sich allerdings im Jahr 2018, als die Bundesanwaltschaft insbesondere auch aufgrund des sogenannten «Fifa-Falls» stärker in den medialen Fokus geriet. Auch im Jahresbericht 2018 der AB-BA, die in der Zwischenzeit mit Hanspeter Uster einen neuen Präsidenten erhalten hatte, wehte Lauber ein steiferer Wind entgegen. Ende April 2019 leitete die AB-BA gar ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Dem Bundesanwalt wurde vorgeworfen, sich mit dem Fifa-Präsidenten Gianni Infantino im Geheimen getroffen, diese Treffen aber nicht protokolliert und diesbezüglich gelogen zu haben. Eigentlich hätte Michael Lauber in der Sommersession 2019 für neuerliche vier Jahre im Amt bestätigt werden sollen, die letztlich knapp erfolgreiche Wiederwahl erfolgte dann allerdings erst in der Herbstsession. Die Presse äusserte sich trotz Wiederwahl zusehends negativer gegenüber Lauber, was nicht zuletzt auf die gescheiterten Strafverfolgungen im Fifa-Fall, aber auch auf die ab März 2020 vorliegenden Resultate der Disziplinaruntersuchung, in der Lauber schwerwiegende Amtspflichtverletzungen vorgeworfen wurden, zurückgeführt wurde. Dies führte nicht nur zu einer Untersuchung der GPK zum Verhältnis zwischen Bundesanwaltschaft und AB-BA, die GK leitete im Mai 2020 auch ein Amtsenthebungsverfahren gegen Lauber ein. Doch es sollte für Lauber gar noch heftiger kommen: Mitte Juni 2020 wurde ein ausserordentlicher Staatsanwalt eingesetzt, der untersuchen sollte, ob die in der Zwischenzeit eingegangenen Strafanzeigen wegen Amtsmissbrauch haltbar sind. Da das Bundesverwaltungsgericht am 22. Juli 2020 die Beschwerde Laubers, das dieser gegen die Resultate des Disziplinarverfahrens eingereicht hatte, zum grössten Teil abwies, reichte der Bundesanwalt kurz darauf seinen Rücktritt ein, den die GK Mitte August per 31. August 2020 bestätigte. Kurz darauf hoben die beiden zuständigen Kommissionen die Immunität Laubers auf, damit ein Strafverfahren eingeleitet werden konnte. Dieses wurde von Stefan Keller geleitet, der in der Herbstsession 2020 von der Vereinigten Bundesversammlung zum Sonderstaatsanwalt gewählt worden war. Die mit dem Rücktritt Laubers nötig gewordene Wahl einer neuen Bundesanwältin oder eines neuen Bundesanwalts gestaltete sich in der Folge als äusserst schwierig.

Chronologie
2011: Wahl von Michael Lauber; erster vom Parlament gewählter Bundesanwalt
2015: Glanzvolle Wiederwahl
2019: Disziplinarverfahren gegen Michael Lauber; knappe Wiederwahl in der Herbstsession
2020: Vorwurf der Amtspflichtverletzung; Amtsenthebungsverfahren und Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch; Rücktritt

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Michael Lauber - Dossierübersicht
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt