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  • Organisation der Bundesrechtspflege

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  • Keller-Sutter, Karin (fdp, plr) BR EJPD / CF DFJP
  • Rieder, Beat (cvp/pdc, VS) SR/CE

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Nachdem die beiden Kammern in der Sommersession 2021 einen Gegenvorschlag verworfen und die Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)» fast einstimmig zur Ablehnung empfohlen hatten, setzte der Bundesrat den Termin für die Abstimmung über das Volksbegehren auf den 28. November 2021 fest.

Das Ziel der Initiative war eine Reform des Wahlsystems der Bundesrichterinnen und Bundesrichter. Am aktuellen Vorgehen wurde kritisiert, was in der Zeitung «Republik» als «Unheilige Dreifaltigkeit» bezeichnet wurde: Parteizugehörigkeit, Mandatssteuer und Wiederwahl. In der Tat bedingt die Idee des Parteienproporz, also die Verteilung der Sitze an den höchsten eidgenössischen Gerichten entsprechend der Stärke der Parteien im Parlament, dass Kandidierende für höchste Richterämter einer Partei angehören sollten, um gewählt werden zu können. Alle Parteien fordern zudem von ihren Mandatsträgerinnen und -trägern eine Abgabe, die Mandatssteuer. In den Medien wurden zu diesem Obolus von Gerichtspersonen verschiedene Zahlen herumgereicht: Eine Befragung der CH-Medien bei den Parteien wies ein Total aller Abgaben von allen Richterinnen und Richtern aus allen Bundesgerichten zwischen CHF 30'000 bei der GLP und CHF 265'000 bei der SP aus (FDP: CHF 35'000; Grüne: CHF 100'000; Mitte: CHF 65'000; SVP: CHF 172'000). Das aktuelle Wahlsystem sieht schliesslich vor, dass Bundesrichterinnen und -richter nicht nur vom Parlament gewählt, sondern alle sechs Jahre bestätigt werden müssen. Das Initiativkomitee kritisierte, dass diese drei Elemente letztlich die Unabhängigkeit der Judikative gefährdeten, und forderte deshalb mit seinem Begehren, dass ein vom Bundesrat ernanntes Fachgremium Kandidierende nach fachlicher Eignung auswählt und dass die Bundesrichterinnen und Bundesrichter aus einem mit diesen Kandidierenden gefüllten Pool per Losverfahren gezogen werden. Die Gewählten sollen zudem keiner Amtszeitbeschränkung mehr unterliegen, sondern bis maximal fünf Jahre nach Pensionsalter in ihrem Amt verbleiben dürfen, falls sie nicht mittels eines neu einzuführenden Abberufungsverfahrens aufgrund von Fehlverhalten abgesetzt würden. Beim Losverfahren würde einzig eine sprachliche Repräsentation berücksichtigt.

Das Initiativkomitee – neben dem «Vater» der Initiative, dem Multimillionär und Unternehmer Adrian Gasser, sassen der Politikwissenschafter Nenad Stojanovic und die Mitte-Politikerin Karin Stadelmann (LU, mitte) federführend im Komitee – lancierte den Abstimmungskampf am 30. September 2021. An einer Pressekonferenz und in späteren Interviews betonten die Initiantinnen und Initianten, dass mit Annahme ihres Begehrens der Pool an geeigneten Richterinnen und Richtern vergrössert würde: Auch Parteilose könnten am Bundesgericht Einsitz nehmen und es müssten zukünftig nicht mehr zahlreiche geeignete Kandidierende hintanstehen, wenn eine Partei – wie aktuell etwa die Grünen nach ihren Wahlerfolgen 2019 – stark untervertreten sei und deshalb bei Vakanzen lediglich Kandidierende dieser Partei berücksichtigt würden. Adrian Gasser strich in mehreren Interviews das in seinen Augen grosse Problem der Parteiabhängigkeit und der Mandatssteuer hervor: «Die politischen Parteien haben sich die Macht angeeignet, diese Ämter unter sich aufzuteilen, dafür Geld zu verlangen und eine opportun erscheinende Gesinnung einzufordern [...] Vorauseilender Gehorsam ist garantiert», klagte er etwa in einem NZZ-Meinungsbeitrag. In Le Temps behauptete er, dass die fehlende Unabhängigkeit der Gerichte dazu führe, dass in 95 Prozent der Fälle Individuen vor Gericht verlieren würden, wenn sie gegen den Staat antreten müssten.

Obwohl keine einzige etablierte Partei und kein Verband das Begehren unterstützte, wollte keine Organisation die Federführung für eine Nein-Kampagne übernehmen. Ende September gründete deshalb Andrea Caroni (fdp, AR) ein «überparteiliches Nein-Komitee». Weil er wie bereits 2014 bei der sogenannten «Pädophileninitiative» den liberalen, demokratischen Rechtsstaat bedroht sehe, wolle er sich wehren, betonte der FDP-Ständerat im Sonntags-Blick. Im Komitee sassen Mitglieder aller grossen Parteien: Heidi Z’graggen (mitte, UR); Laurence Fehlmann Rielle (sp, GE), Nicolas Walder (gp, GE), Beat Flach (glp, AG) und Yves Nidegger (svp, GE). In den Medien tat sich freilich vor allem Andrea Caroni mit Stellungnahmen hervor. Mit dem Slogan «Wählen statt würfeln, Demokratie statt Lotterie» griff er vor allem das Losverfahren an, das auf Glück beruhe und deshalb nicht geeignet sei, fähige Kandidierende auszuwählen. Darüber hinaus habe sich das bestehende System, das eine repräsentative Vertretung unterschiedlicher politischer Grundhaltungen in der Judikative garantiere, bewährt. Im Verlauf der Kampagne warf Andrea Caroni den Initiantinnen und Initianten zudem auch vor, «falsch und verleumderisch» zu argumentieren.

Am 11. Oktober erörterte Karin Keller-Sutter an einer Pressekonferenz die Position des Bundesrats, der die Initiative zur Ablehnung empfahl. Das Volksbegehren sei «zu exotisch» und stelle das politische System und die demokratische Tradition der Schweiz «auf fundamentale Weise» in Frage, so die Justizministerin. Die Wahl durch das Parlament würde durch Losglück ersetzt, womit die demokratische Legitimation Schaden nehme. Das Losverfahren sei zudem ein «Fremdkörper im institutionellen Gefüge», so die Bundesrätin. Mit dem heute angewandten Parteienproporz werde hingegen gewährleistet, dass politische Grundhaltungen, aber auch das Geschlecht und die regionale Herkunft am Bundesgericht «transparent und ausgewogen» vertreten seien, war in der Medienmitteilung zu lesen. Die Praxis zeige zudem, dass die Unabhängigkeit gewährleistet sei und kein Druck von Parteien auf die Bundesrichterinnen und Bundesrichter ausgeübt werde. Noch nie in der jüngeren Geschichte sei ein Richter oder eine Richterin aus politischen Gründen abgewählt worden, so Karin Keller-Sutter, was zeige, dass der von den Initiantinnen und Initianten kritisierte Konformitätsdruck aufgrund der Angst vor einer Wiederwahl gar nicht bestehe. Es sei zudem falsch anzunehmen, dass parteilose Richterinnen und Richter nicht ebenfalls Werte vertreten würden, die allerdings nicht so transparent seien, wie bei Parteimitgliedern. Die Justizministerin nahm schliesslich auf die aktuelle Pandemie-Diskussion Bezug: Viele Stimmen kritisierten momentan demokratisch nicht legitimierte Gremien aus Expertinnen und Experten. Mit Annahme der Initiative würde mit der vorgesehenen Fachkommission aber ein weiteres solches Gremium geschaffen.

In den Medien wurde laut APS-Analyse und FöG-Abstimmungsmonitor nur selten über die Justizinitiative berichtet. Dies war einerseits dem Umstand geschuldet, dass vor allem das Referendum gegen die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes sehr viel Platz in der medialen Berichterstattung einnahm, andererseits ist dies aber wohl auch der Komplexität des Themas zuzuschreiben. In der Tat kamen in den Printmedien neben Adrian Gasser und Andrea Caroni vor allem Expertinnen und Experten, aber auch ehemalige Richterinnen und Richter zu Wort.
Auffällig war, dass die meisten dieser Expertinnen und Experten der Initiative relativ wohlwollend gegenüberstanden. So wurden etwa Studien zitiert, die zeigten, dass eine längere Amtszeit zu mehr richterlicher Unabhängigkeit führe. Kurze Amtszeiten und vor allem die Wiederwahl könnten hingegen als Disziplinierungsmöglichkeit von Parteien erachtet werden, mit der Linientreue von Richterinnen und Richtern erzwungen werde, so etwa der Politikwissenschafter Adrian Vatter in der NZZ. Die Wiederwahl sichere Bodenhaftung der Richter und trage dazu bei, dass «sich die Justiz nicht verselbständigt» und dass Richterinnen und Richter nicht zu einer «Elite ohne Legitimation» würden, meinte hingegen Katharina Fontana, ehemalige Mitarbeiterin im BJ und NZZ-Journalistin für das Themengebiet Recht und Gesellschaft. Bemängelt wurde zudem der Umstand, dass parteilose Kandidierende aktuell keine Chance hätten, gewählt zu werden. Wenn wirklich Repräsentation das Ziel sei, dann dürften in den Gerichten nicht nur Parteimitglieder sitzen, da die grosse Mehrheit der Bevölkerung keine Parteibindung aufweise, so die Argumentation. Adrian Vatter schlug entsprechend ein Modell mit 50 Prozent Parteilosen und 50 Prozent Parteimitgliedern vor. Debattiert wurde auch über die Frage, ob Richterinnen und Richter überhaupt ideologisch neutral sein könnten oder ob Gerichte eben nicht auch genuin politische Institutionen seien. In diesem Falle wäre aber der Parteienproporz folgerichtig, so die NZZ. Auch das Losverfahren erhielt einige Aufmerksamkeit – einige Expertinnen und Experten erachteten es als geeignetes Mittel zur Auswahl von Richterinnen und Richtern. Es sei schliesslich schon von Aristoteles als «Grundlage wahrer Demokratie» betrachtet worden, warb der Ökonom Bruno S. Frey. Das Los sei über längere Frist ebenso repräsentativ wie das momentane Auswahlverfahren, funktioniere aber wesentlich unabhängiger, argumentierte die Ökonomin Margit Osterloh, die zudem betonte, dass das Losverfahren nicht einfach eine Lotterie sei, sondern dass durch das qualitative Losverfahren mit Vorselektion letztlich geeignetere Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt würden als von menschlichen Expertinnen und Experten, die in ihrer Wahl eben nicht frei seien von Beeinflussung. Die anfänglich wohl geringere Akzeptanz des Losverfahrens würde rasch zunehmen und das Vertrauen in die Judikative dadurch gar noch verstärkt, so die Ökonomin. In den medialen Kommentaren stand hingegen die Fachkommission, die gemäss der Justizinitiative vom Bundesrat zusammengestellt werden müsste, eher in der Kritik. Die Diskussion um eine optimale Besetzung würde sich von der Richterinnen- und Richterwahl auf die Bestellung dieser Fachkommission verschieben. Es sei nicht klar, wie diese zusammengesetzt werden solle und ob diese eben nicht auch wiederum politisch agieren würde, so der Tenor der Kritikerinnen und Kritiker. Die Weltwoche sprach gar von einer «brandgefährlichen Illusion», zu meinen, es könne ein Gremium eingesetzt werden, das «objektive Qualifikationsmerkmale» bestimmen könne. Andrea Caroni warnte vor «einer obskuren, bundesratsnahen Kommission [...], die weder Qualität noch Vielfalt noch demokratische Legitimation gewährleisten kann». Allerdings stand auch die Frage im Raum, ob die parlamentarische Gerichtskommission (GK), die momentan mit der Auswahl der Kandidierenden betraut ist, fachlich wirklich dafür geeignet sei. Ein eher pragmatisches Argument gegen die Initiative wurde schliesslich von Rechtsprofessor Lorenz Langer vorgebracht: Da sich die Initiative auf das Bundesgericht beschränke, stelle sich die Frage, woher bei Annahme der Initiative die Kandidierenden kommen sollen, da Bewerbende für einen Bundesgerichtsposten in der Regel an anderen Bundesgerichten (Bundesstrafgericht, Bundesverwaltungsgericht, Bundespatentgericht) oder an kantonalen Gerichten tätig seien, wo aber meist noch nach Parteienproporz gewählt würde. Es gäbe somit nicht mehr viele der verlangten «objektiven», also eben parteiunabhängigen Kandidierenden.

In der medialen Diskussion wurde von Seiten der Befürworterinnen und Befürworter auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das aktuelle System – auch im internationalen Vergleich – sehr gut funktioniere. Die Geschichte zeige, dass Richterinnen und Richter unabhängig seien und sich nicht vor einer Wiederwahl fürchteten. In der Tat wurden bisher lediglich drei Bundesrichter abgewählt – zwei aus Altersgründen zu Beginn der modernen Schweiz sowie Bundesrichter Martin Schubarth 1990, der freilich sofort wiedergewählt worden war.
Diskutiert wurde zudem der «Fall Donzallaz»: Die SVP hatte «ihren Bundesrichter» nicht mehr zur Wiederwahl empfohlen, weil er in einigen Urteilen nicht mehr die Parteilinie verfolgt habe. Yves Donzallaz wurde aber in der Folge von allen anderen Fraktionen bei seiner Wiederwahl unterstützt und schliesslich gar zum Bundesgerichtspräsidenten gewählt. Dies zeige, dass sich Richterinnen und Richter nicht von den eigenen Parteien unter Druck setzen liessen. Die Aargauer Zeitung kritisierte freilich, dass sich bei Yves Donzallaz das Problem der Parteifarbe besonders gut zeige: Um Bundesrichter zu werden, habe er einen Parteiwechsel von der CVP zur SVP vorgenommen. Dies komme häufig vor, so die Zeitung: Kandidierende wechselten ihre «Parteifarbe wie Chamäleons», um ihre Wahlchancen zu steigern.
Der einzige Nationalrat, der die Initiative unterstützt hatte, kam ebenfalls in den Medien zu Wort. Lukas Reimann gab zu Protokoll, dass er die Arbeit der GK als deren Mitglied als wenig seriös erlebt habe, da die Kandidierendenauslese eher eine politische als eine fachliche Frage gewesen sei. Einmal habe die Kommission einem sehr geeigneten, aber parteilosen Kandidaten gar offen empfohlen, der GLP oder der BDP beizutreten, damit er zur Wahl eingeladen werden könne.

Für Gesprächsstoff sorgten zudem einige pensionierte Richterinnen und Richter, die den Medien Red und Antwort standen. Praktisch unisono gaben alt-Bundesstrafrichter Bernard Bertossa sowie die alt-Bundesrichter Jean Fonjallaz, Karl Hartmann, Ulrich Meyer und Hans Wiprächtiger, aber auch die Luzerner alt-Oberrichterin Marianne Heer (fdp) zu Protokoll, von ihrer Partei nie auch nur irgendeinen Druck verspürt zu haben – auch ihre Kolleginnen und Kollegen nicht. Angesprochen auf die Angst vor einer Nicht-Wiederwahl erzählte Hans Wiprächtiger, dass sich das Bundesgericht viel mehr vor schlechter Presse als vor dem Parlament fürchte. Zur Sprache kam auch die von der Greco kritisierte Mandatssteuer. Man müsse die Parteien unterstützen, damit die Demokratie in der Schweiz funktioniere, äusserte sich Jean Fonjallaz hierzu. Er habe vielmehr das Gefühl, dass die Partei mehr von ihm als Beitragszahlendem abhängig sei als er von ihr, so der alt-Bundesrichter. Von Ämterkauf könne nur die Rede sein, wenn Höchstbietende einen Posten kriegten; die Abgaben seien aber innerhalb einer Partei für alle gleich.
Eine gegenteilige Meinung vertrat einzig der Zürcher alt-Oberrichter Peter Diggelmann. Es gebe zwar keine offenen Drohungen, den Druck der Parteien spüre man aber etwa an Fraktionsausflügen oder Parteianlässen. Er selber sei zudem zu einer Mandatssteuer gezwungen worden und wäre wohl nicht mehr nominiert worden, wenn er der entsprechenden Mahnung nicht nachgekommen wäre. Im Gegensatz zu Kolleginnen und Kollegen, die momentan im Amt seien und deshalb aus Angst keine öffentliche Kritik anbrächten, sei es ihm als pensioniertem Richter und aufgrund seines Parteiaustritts möglich, Kritik zu äussern. Das Interview von Peter Diggelmann im Tages-Anzeiger blieb nicht unbeantwortet. Andrea Caroni sprach tags darauf in der gleichen Zeitung von «verleumderischen Unterstellungen». Er kenne keinen Richter und keine Richterin, die sich unter Druck gesetzt fühlten.

Beliebtes Mediensujet war auch der Kopf der Initiative, Adrian Gasser. Der Multimillionär und Chef der Lorze Gruppe, einem Firmenkonglomerat mit Sitz in Zug, habe sich seit seiner Jugendzeit für richterliche Unabhängigkeit interessiert. Als Wirtschaftsprüfer habe er einige Fälle erlebt, bei denen diese Unabhängigkeit nicht gegeben gewesen sei, sagte er in einem Interview. 1987 habe Adrian Gasser im Kanton Thurgau erfolglos für den National- und 1999 für den Ständerat kandidiert – als Parteiloser. Erst 40 Jahre nach diesen Erlebnissen könne er sich nun aber die Finanzierung einer Volksinitiative leisten. In der Tat soll Adrian Gasser laut Medien rund CHF 1 Mio für die Sammlung der Unterschriften aufgeworfen haben. «Andere haben ein Motorboot in Monaco, ich habe mir eine Initiative im Interesse der Schweiz geleistet», so Gasser bei der Einreichung seiner Initiative im St. Galler Tagblatt.

Auch für die Abstimmungskampagne schien das Initiativkomitee einiges an Geld aufgeworfen zu haben. Im Sonntags-Blick wurde vermutet, dass Adrian Gasser für die Kampagne kaum weniger aufgewendet haben dürfte als für die Unterschriftensammlung, was Andrea Caroni in derselben Zeitung zum Vorwurf verleitete, dass sich «eine Einzelperson [...] praktisch eine Initiative gekauft und die Schweiz zuplakatiert» habe. Der Gegnerschaft fehle es hingegen an spendablen Geldgebenden. Bei der APS-Inserateanalyse zeigt sich zwar in der Tat ein Ungleichgewicht zugunsten der Befürwortenden, allerdings finden sich von beiden Lagern kaum Inserate in den grössten Schweizer Printmedien.

Bei den Abstimmungsumfragen im Vorfeld des Urnengangs vom 28. November zeigte sich ein für Initiativen typisches Bild. Hätten Mitte Oktober noch 48 Prozent der Befragten Ja oder eher Ja zur Initiative gesagt, lag dieser Anteil rund zwei Wochen vor der Abstimmung noch bei 37 Prozent. Für eine inhaltlich komplexe Vorlage ebenfalls gängig war der hohe Anteil Befragter, die sich zu Beginn der Kampagne noch keine Meinung gebildet hatten (Anteil «weiss nicht» am 15.10.2021: 19%; 17.11.2021: 7%).

Wie aufgrund der Umfragewerte zu vermuten, wurde die Initiative am Abstimmungssonntag deutlich verworfen. Bei einer wohl vor allem dem gleichzeitig stattfindenden Referendum gegen das Covid-19-Gesetz, aber auch der «Pflegeinitiative» geschuldeten aussergewöhnlich hohen Stimmbeteiligung von fast 65 Prozent lehnten mehr als zwei Drittel der Stimmberechtigten eine Reform des geltenden Systems der Wahlen von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern ab.


Abstimmung vom 28. November 2021

Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)»
Beteiligung: 64.7%
Ja: 1'382'824 Stimmen (31.9%) / 0 Stände
Nein: 2'161'272 Stimmen (68.1%) / 20 6/2 Stände

Parolen:
-Ja: Piratenpartei
-Nein: EDU, EVP, FDP, GLP (2), GPS (2), Mitte, PdA, SD, SP, SVP; SGV
-Stimmfreigabe: BastA
* in Klammern Anzahl abweichende Kantonalsektionen


Die Medien sprachen am Tag nach der Abstimmung von einer deutlichen Niederlage. Das Resultat zeige, dass die Stimmberechtigten mit dem System zufrieden seien, liessen sich die Gegnerinnen und Gegner vernehmen. «Das Volk hält den Wert der Institutionen hoch», interpretierte Justizministerin Karin Keller-Sutter das Resultat. Die Initiative habe zwar einige wunde Punkte aufgezeigt, sei aber zu extrem gewesen, um diese Probleme zu lösen, meinte Matthias Aebischer (sp, BE) in La Liberté. Die Initiantinnen und Initianten erklärten sich die Niederlage mit der zu wenig gut gelungenen Information der Bürgerinnen und Bürger über die Probleme des jetzigen Systems. Adrian Gasser machte zudem die einseitige Information durch die Bundesbehörden und die öffentlich-rechtlichen Medien, welche die Meinungsbildung beeinträchtigt habe, für das Scheitern der Initiative verantwortlich. Er kündigte zudem noch am Abend des Abstimmungssonntags einen weiteren Anlauf an. Innert zwei bis drei Jahren könne die Bevölkerung für die Fehlfunktionen im Justizsystem besser sensibilisiert werden. Er wolle deshalb bald mit der Sammlung von Unterschriften für eine identische Initiative beginnen.
Diskutiert wurden in den Medien freilich auch noch einmal die Schwachstellen des Systems, die nun angegangen werden sollten. Die Justizinitiative habe eine «Debatte rund um das Schweizer Justizsystem ausgelöst und uns zu Verbesserungen angespornt», lobte etwa Andrea Caroni im St. Galler-Tagblatt. So dürften die Diskussionen um mehr Transparenz bei den Parteienfinanzen zu einer Offenlegung der Mandatssteuern führen. Im Parlament hängig war zudem die in einer parlamentarischen Initiative von Beat Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468) aufgeworfene Frage, ob diese Mandatssteuern nicht gänzlich abgeschafft werden sollen. Mit der Ablehnung eines Gegenvorschlags zur Justizinitiative schien hingegen die Frage einer Amtszeitverlängerung der Bundsrichterinnen und Bundesrichter vom Tisch, wie sie von der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richtern am Tag nach der Abstimmung erneut gefordert wurde. Eine mögliche Professionalisierung der Kandidierendenauswahl bzw. die Ergänzung der GK durch eine Fachkommission, die Bewerbungen für Richterinnen- und Richterämter mitsichten soll, war ebenfalls Gegenstand einer noch hängigen parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 21.452).

Die VOX-Analyse fand nur schwache Muster, mit denen das Abstimmungsverhalten bei der Justizinitiative erklärt werden könnte. Personen mit einer Berufsbildung sagten etwas stärker Nein als andere Bildungskategorien. Sympathisantinnen und Sympathisanten der Grünen sagten mehrheitlich Ja – im Gegensatz zu den Anhängerinnen und Anhänger aller anderer Parteien. Hohes Vertrauen in die Judikative ging zudem eher mit einem Nein einher. Bei den Motiven für ein Ja zeigte sich der Wunsch nach Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern von den Parteien sowie nach einem System, das auch für Parteilose Chancen einräumt, als zentral. Ein Nein wurde hingegen laut VOX-Analyse eher mit der Skepsis gegenüber dem Losverfahren und der Meinung, dass das bisherige System gut funktioniere, begründet.

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

In der Herbstsession 2021 beugte sich der Nationalrat über die Vorlage zur Erhöhung der Altersschwelle in der Bundesanwaltschaft, welche die RK-NR mit 20 zu 4 Stimmen empfehle, wie dies ihr Kommissionssprecher Philipp Mathias Bregy (mitte, VS) berichtete. Die Kommission sei der Überzeugung, dass diese «moderne» Anpassung helfe, qualifizierte und mit einem gewissen Alter auch erfahrene Bundesanwältinnen und Bundesanwälte zu finden. Zudem würde damit Gleichberechtigung mit Bundesrichterinnen und Bundesrichtern geschaffen, da diese ebenfalls bis ins 68. Lebensjahr im Amt bleiben dürften. Ein Minderheitsantrag auf Nichteintreten wurde zurückgezogen. Der Minderheitensprecher Baptiste Hurni (sp, NE) begründete dies damit, dass die Kommission glaubhaft versichert habe, dass die Erhöhung der Alterslimite erstens nicht als Zeichen einer Erhöhung des Rentenalters generell betrachtet werde, sondern ganz spezifisch auf das Amt der Bundesanwaltschaft bezogen sei und zweitens nicht auf eine besondere Person zugeschnitten sei. Im Vorfeld der Kommissionsinitiative hatte es Vorwürfe gegeben, die Altersgrenze werde nur deshalb erhöht, weil ein Kandidat für die freie Bundesanwaltschaftsstelle bereits älter als 65 sei. Da das neue Gesetz erst per 1. Januar 2022 in Kraft trete und der neue Bundesanwalt noch in der Herbstsession gewählt werde, könne dies jedoch ausgeschlossen werden, gab auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter zu Protokoll. In der Folge wurde Eintreten ohne Gegenantrag beschlossen und die Verordnungsänderung mit 146 zu 1 Stimme (2 Enthaltungen) angenommen.
Die Schlussabstimmungen passierte die Vorlage im Ständerat einstimmig (44 zu 0 Stimmen) und im Nationalrat mit 189 zu 3 Stimmen (bei 3 Enthaltungen).

Anpassung der Altersschwelle in der Bundesanwaltschaft (Pa.Iv. 20.485)

In der Herbstsession hiessen sowohl der Nationalrat als auch der Ständerat gleichlautende Motionen der RK-SR (Mo. 21.3970) und der RK-NR (Mo. 21.3972) für eine Reform der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsicht gut. Damit soll der Bundesrat, der das Anliegen ebenfalls unterstützte, auf der Basis des Schlussberichts der beiden GPK zum «Aufsichtsverhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsichtsbehörde», den Erfahrungen der GK im Rahmen der Vorkommnisse in der Bundesanwaltschaft sowie den bereits getätigten Arbeiten im Rahmen des Postulats von Daniel Jositsch (sp, ZH) neue Rechtsgrundlagen vorlegen.
Im Ständerat legte Andrea Caroni (fdp, AR) für die Kommission dar, dass man hier Handlungsbedarf sehe. Man sei übereingekommen, hier keine parlamentarische Initiative, sondern eine Motion einzureichen, weil «dieses hochkomplexe Thema unsere Kommission beim Gesetzgebungsprozess an die Grenzen bringen würde». Fast einig seien sich die Kommissionsmitglieder zudem gewesen, dass man beim bestehenden System bleiben wolle – die GPK hatte in ihrem Bericht vom «Status Quo plus» geschrieben. Die Bundesanwaltschaft solle also weiterhin vom Parlament und nicht wieder von der Exekutive bestimmt werden. Auch das Bundesstrafgericht als weitere Bundesstrafbehörde solle nicht in die Reform mit einbezogen werden. Eine von Carlo Sommaruga (sp, GE) diesbezüglich angeregte klarere Trennung von Berufungs- und Strafkammer werde deshalb hier nicht weiterverfolgt. Die entsprechende parlamentarische Initiative sei zugunsten der vorliegenden Motion zurückgezogen worden. Hans Stöckli (sp, BE) bekräftigte im Namen der GPK, dass die Stossrichtung der Motion den Überlegungen des GPK-Berichts entspreche. Er sei froh, dass beide Vorstösse in den Kammern behandelt würden, damit man «innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens eine Verbesserung der Situation herbei[...]führen» könne. Ohne Diskussion nahm die kleine Kammer die Motion einstimmig an.

Mehr zu reden gab es einige Tage später im Nationalrat. Dafür sorgte nicht zuletzt eine Kommissionsminderheit aus SVP-Fraktionsangehörigen, die die Motion zur Ablehnung empfahl. Pirmin Schwander (svp, SZ) führte deren Argumente für eine «Status Quo ante»-Lösung aus: Die SVP wolle eine «richtige» Reform und keine «Minireform», welche die Probleme nicht löse, sondern nur vertusche. Der «grösste Justizskandal seit 1848» – Schwander spielte damit auf die Verjährung des Fifa-Falls an und erwähnte im gleichen Atemzug die Absetzung des ausserordentlichen Staatsanwalts Stefan Keller sowie die Vorkommnisse am Bundesstrafgericht – könne mit dem jetzigen System nicht gelöst werden. Die SVP sei aber durchaus auch offen für andere Reformen als die Rückkehr zum alten System – entsprechende Vorschläge hatte die Partei bereits in der abgelehnten parlamentarischen Initiative 19.479 vorgebracht. Sie biete aber nicht Hand für eine «Scheinlösung», so Schwander. Justizministerin Karin Keller-Sutter schloss die Debatte mit dem Hinweis, dass die Kantone signalisiert hätten, dass sie zwar Korrekturbedarf sähen, aber am bestehenden System festhalten wollten. Ausser der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion stimmten alle Fraktionen für die Überweisung des Auftrags an den Bundesrat. Durch die Annahme der Motion (mit 128 zu 45 Stimmen) galt auch die konnexe Motion der ständerätlichen Kommission als überwiesen.

Reform der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsicht (Mo. 21.3972 und Mo. 21.3970)
Dossier: Reformen der Bundesanwaltschaft
Dossier: Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA)

Im Ständerat stiess die Umsetzung der parlamentarischen Initiative der RK-SR auf keinerlei Widerstand. Kommissionssprecher Beat Rieder (mitte, VS) führte aus, dass nicht nur die RK-NR der parlamentarischen Initiative mit 23 zu 0 Stimmen Folge gegeben habe, mit der in der Verordnung der Bundesversammlung über die Richterstellen am Bundesstrafgericht eine Erhöhung der Vollzeitstellen am Bundesstrafgericht von bisher maximal drei auf maximal vier festgehalten wird, sondern in der Zwischenzeit auch der Bundesrat. Karin Keller-Sutter ergänzte im Namen der Regierung, dass auch die Verwaltungskommission des Bundesgerichtes das Gesuch für eine Aufstockung der Stellen unterstütze. Ohne Gegenantrag wurde zuerst Eintreten beschlossen, anschliessend passierte der Entwurf die kleine Kammer mit 30 zu 0 Stimmen (keine Enthaltungen).

Anpassung der Ressourcen des Bundesstrafgerichts (Pa.Iv. 21.401)
Dossier: Anzahl Richterinnen- und Richterstellen an den eidgenössischen Gerichten

In der Sommersession 2021 beriet der Ständerat die Justiz-Initiative. Im Vorfeld hatte die RK-SR die Initiative einstimmig zur Ablehnung empfohlen. Allerdings lag – wie bereits in der Frühjahrssession im Nationalrat – ein Minderheitenantrag auf einen direkten Gegenentwurf vor, mit dem die Möglichkeit für eine stille Wiederwahl von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern geschaffen werden sollte. Diesen Antrag empfahl die Kommission mit 9 zu 3 Stimmen bei 1 Enthaltung zur Ablehnung.
In der Ratsdebatte führte der Präsident der RK-SR, Beat Rieder (mitte, VS), als Kommissionssprecher die Argumente aus, mit welcher seine Kommission ihre Ablehnung gegen das Begehren begründete. Mit dem Losverfahren würde ein direktdemokratisches Wahlverfahren durch ein «aleatorisches» ersetzt, was der Tradition der Schweiz widerspreche. Ein solches Verfahren würde nicht nur die Legitimation der Gerichte untergraben, sondern auch die Vereinigte Bundesversammlung eines ihrer Rechte berauben und sie so schwächen. Darüber hinaus sehe die Initiative zwar eine angemessene sprachliche Verteilung vor, eine Repräsentation der Geschlechter oder verschiedener Landesteile und Regionen sei aber nicht vorgesehen und würde durch das Los wohl kaum abgedeckt. Eine möglichst repräsentative Vertretung sei aber eben Bedingung für eine hohe Akzeptanz der Judikative. Auch eine Expertenkommission, die gemäss der Initiative anstelle der Gerichtskommission (GK) die geeigneten Richterinnen und Richter bestimmen soll, die dann zum Losverfahren zugelassen würden, bestehe aus Mitgliedern, die «persönliche und gesellschaftspolitische Ansichten» hätten. Politische Neutralität, wie sie vom Begehren angestrebt werde, sei auch von einem solchen Gremium nicht zu erwarten. Zudem hätten auch ausgeloste Richterinnen und Richter politische Grundhaltungen, die per Los aber nicht unbedingt ausgewogen verteilt wären. Nicht das Los, sondern der freiwillige Parteienproporz sorge eben dafür, dass unterschiedliche politische Werthaltungen möglichst ausgewogen vertreten seien. Zwar könne ein Expertengremium nach objektiven Kriterien wohl über fachliche Eignung und Qualität von Gerichtspersonen befinden. Innerhalb dieser Qualifikationen dürfte es aber Unterschiede geben und mit dem Losverfahren würden dann eben wahrscheinlich nicht die Personen mit der besten Eignung gewählt. Allerdings sei die Idee, mehr Expertise in die Auswahl der Richterinnen und Richter aufzunehmen, gut. Die RK-SR habe deshalb eine parlamentarische Initiative für einen Fachbeirat eingereicht, der die GK beim Auswahlverfahren unterstützen solle. Ein weiteres Problem der Justizinitiative sei, dass sie keine Wiederwahl, sondern lediglich eine Amtsenthebung von Richterinnen und Richtern durch Bundesrat und Parlament vorsehe. Auch hier gebe es viel Potenzial für Misstrauen und Legitimationsverlust. Das jetzige System habe sich bewährt, schloss Rieder sein Plädoyer gegen die Initiative; das «Schweizerische Bundesgericht kann als eines der weltweit besten angesehen werden».
Lisa Mazzone (gp, GE) warb für den Gegenvorschlag. Einen solchen brauche es nur schon, um der Initiative möglichst viel Unterstützung zu entziehen. Jedes Ja-Prozent sei nämlich ein Zeichen für schädliches Misstrauen gegen die Judikative. Das Parlament dürfe nicht so tun, als gäbe es keine Probleme. Ein solches Problem stelle die Wiederwahl der Richterinnen und Richter dar, die immer wieder von unschönen Tönen begleitet werde und stark politisiert sei. Der Gegenvorschlag, der freilich im Nationalrat abgelehnt worden sei und deshalb von der Kommission noch verbessert werden müsste, müsse ein Verfahren anstreben, mit dem die Wiederwahl durch das Parlament und die damit verbundenen, in der Bevölkerung Misstrauen schürenden, politischen Spielchen vermieden werden. Andrea Caroni (fdp, AR) nahm den Ball auf und erwähnte, dass es in der Geschichte lediglich in drei Fällen zu Abwahlen gekommen sei. Im 19. Jahrhundert sei dies aufgrund des Alters zweier Richter geschehen. Dem sei mit der gesetzlich geregelten Alterslimite – Amtsausübung bis längstens fünf Jahre nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters – begegnet worden. «Das institutionelle Immunsystem» habe aber auch im dritten Fall, bei der «persönlich motivierten» Abwahl von Bundesrichter Schubarth 1990, funktioniert, weil dieser anschliessend sofort wiedergewählt worden sei. Das System sei nicht perfekt, aber sehr gut und es brauche entsprechend auch keinen Gegenvorschlag. In der Debatte wurden weitere Analogien zur Geschichte gezogen: Heidi Z'graggen (mitte, UR) führte die ausgelosten Richter ins Feld, die Sokrates zum Tod verurteilt hatten, und Mathias Zopfi (gp, GL) berichtete, dass das Losverfahren im Kanton Glarus bis ins 17. Jahrhundert angewendet worden sei, sich aber nicht bewährt habe. Justizministerin Karin Keller-Sutter schloss die Debatte schliesslich mit dem Hinweis, dass eine einmalige Wahl und eine lange Amtsdauer die Unabhängigkeit der Judikative in der Tat grundsätzlich stärken und Parteilose mit dem Losverfahren eher eine Richterstelle erhalten würden. Trotzdem sei der Bundesrat gegen das Begehren, weil das Losverfahren nicht dem Leistungsprinzip entspreche, die demokratische Legitimation der Judikative untergrabe und die Vorzüge des tief im System der Schweiz verankerten freiwilligen Parteienproporz, wie etwa Transparenz und Repräsentativität, ohne Not verschenke. Auch das Bundesgericht selber sehe zudem keinen Handlungsbedarf und sei mit der Stellungnahme des Bundesrats einverstanden. Die Magistratin verwies schliesslich auf die bereits angestossenen Revisionen, die auf Teilforderungen der Initiative eingingen – etwa die Diskussionen in der GK für ein besseres Auswahlverfahren, das auch Parteilose berücksichtigen könnte, die parlamentarische Initiative der RK-SR für einen Fachbeirat oder die parlamentarische Initiative von Beat Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468), mit der die Mandatssteuern geregelt werden sollen. Eine stille Wahl – so das Argument des Bundesrats gegen den Antrag für einen Gegenvorschlag – wäre zudem weniger demokratisch und transparent als eine Wiederwahl. Und auch eine von einer Expertenkommission beantragbare Nichtwiederwahl mache «sogenannte Denkzettel» möglich. Ein solcher Gegenvorschlag würde zudem den Erwartungen der Initiantinnen und Initianten wohl zu wenig stark entgegenkommen und sei deshalb nicht geeignet, der Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen. In der darauffolgenden Abstimmung lehnte der Ständerat Eintreten auf den Minderheitenantrag für einen Gegenvorschlag mit 26 zu 8 Stimmen (0 Enthaltungen) ab und empfahl die Initiative zur Ablehnung.

In den am Ende der Sommersession 2021 abgehaltenen Schlussabstimmungen zum Bundesbeschluss über die Justizinitiative, mit dem die Initiative zur Ablehnung empfohlen werden sollte, waren die Verhältnisse dann sehr deutlich. Im Nationalrat stimmte einzig Lukas Reimann (svp, SG) für eine Empfehlung auf Annahme der Initiative. Er stand 191 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen gegenüber. Im Ständerat fiel die Empfehlung zur Ablehnung des Begehrens mit 44 Stimmen einstimmig aus (0 Enthaltungen).

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Nachdem die RK-NR dem Anliegen doch noch zugestimmt hatte, machte sich die ständerätliche Schwesterkommission an den Entwurf für eine Verordnungsänderung, mit der die Altersschwelle in der Bundesanwaltschaft von 65 (bzw. 64 für Frauen) auf 68 Jahre erhöht werden sollte, und stimmte ihm noch Mitte April 2021 zu. Da es für die Revision der Verordnung keine Vernehmlassung brauche und die Änderung bereits auf 1. Januar 2022 in Kraft treten solle, wurde das Geschäft bereits für die Sommersession 2021 zur Behandlung im Ständerat traktandiert. Abzuwarten galt es freilich noch die Stellungnahme des Bundesrats. Falls die Anpassung beide Kammern rasch passiert und tatsächlich Anfang 2022 in Kraft treten kann, könnte sie allenfalls doch wichtig werden für die noch immer hängige Suche nach einem neuen Bundesanwalt oder einer neuen Bundesanwältin – auch wenn Kommissionssprecher Rieder (cvp, VS) kurz zuvor noch erklärt hatte, dass die neue Regelung für die aktuell laufende Wahl nicht anwendbar sein werde. In der Zwischenzeit war allerdings klar geworden, dass auch die zweite Runde für die Suche nach einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers für Michael Lauber scheitern würde. Die GK hatte sich deshalb entschieden, mit der dritten Neuausschreibung zuzuwarten, bis über die Altersschwelle entschieden wurde.

Anpassung der Altersschwelle in der Bundesanwaltschaft (Pa.Iv. 20.485)

Ohne Diskussion hiess der Ständerat das Ansinnen seiner Rechtskommission (RK-SR) für die Erhöhung der Altersschwelle in der Bundesanwaltschaft auf 68 Jahre in der Frühjahrssession 2021 gut. Kommissionssprecher Beat Rieder (cvp, VS) verwahrte sich gegen den Vorwurf der nationalrätlichen Schwesterkommission, man wolle mit der Erhöhung der Alterslimite einen bestimmten Bewerber begünstigen. Die Regel sei nicht mehr zeitgemäss und gar geschlechterdiskriminierend, weil eine Bundesanwältin gemäss AHV-Altersschwelle bereits mit 64 Jahren zurücktreten müsste. Gegen eine Vereinheitlichung des Rücktrittsalters für alle juristischen Ämter gebe es kein stichhaltiges Argument. Um zu demonstrieren, dass die Forderung nichts mit dem laufenden Verfahren zu tun haben soll, wähle man den «Weg des ordentlichen Verfahrens», betonte Rieder, so dass die neue Regelung nicht für die aktuell laufende Wahl anwendbar sein werde.
In der Folge kam die RK-NR auf ihren Entschluss zurück und entschied sich Ende März 2021 mit 20 zu 5 Stimmen, der Initiative nun doch Folge zu geben. In ihrer Medienmitteilung betonte die Kommission aber, «dass diese Änderung nicht vor der Besetzung der derzeit vakanten Stelle in Kraft treten soll». Damit lag es an der RK-SR, einen Entwurf auszuarbeiten.

Anpassung der Altersschwelle in der Bundesanwaltschaft (Pa.Iv. 20.485)

Mittels Postulat wollte Andrea Caroni (fdp, AR) dem Bundesrat den Auftrag geben, einen Bericht zur Modernisierung des Bundesgerichtsgesetzes zu verfassen. Nicht nur der Bundesrat, der das Postulat zur Annahme empfahl, sondern auch die Ratskolleginnen und -kollegen von Caroni befanden die Idee einer Untersuchung, welche die Möglichkeiten für eine Optimierung des Rechtsschutzes und für eine Entlastung des Bundesgerichts aufzeigen soll, für gut.
In der Ständeratsdiskussion in der Frühjahrssession 2021 nahm Caroni Bezug auf die 2020 versenkte Bundesgerichtsgesetzesrevision: Die Reform sei damals lediglich an der Idee der subsidiären Verfassungsbeschwerde gescheitert. Die mit der Revision ebenfalls anvisierten Forderungen nach einer Behebung der Fehlbelastung des obersten Gerichts durch Bagatellfälle und nach einer besseren Organisation des Rechtsschutzes, der in weiten Teilen nicht dem Bundesgericht unterstehe, seien aber damals eigentlich auf breite Unterstützung gestossen. Mit dem verlangten Bericht sollten diese nicht umstrittenen Elemente neu aufgenommen und so eine nach wie vor notwendige Revision neu aufgegleist werden. Daniel Jositsch (sp, ZH) kritisierte, dass man nach so kurzer Zeit nicht schon wieder etwas diskutieren müsse, das man ja eigentlich abgelehnt habe. Ein Milizparlament müsse schonender mit seinen Zeitressourcen umgehen. Justizministerin Karin Keller-Sutter erklärte zwar, dass die «Schamfrist noch nicht abgelaufen» sei, dass sie aber im Ständerat und in der RK-SR den Wunsch spüre, die damals unbestrittenen Punkte noch einmal aufzunehmen. Der Bundesrat sei deshalb im Sinne eines «Entgegenkommens» gerne bereit, noch einmal den Katalog an Möglichkeiten aufzuzeigen, aus dem dann eine mehrheitsfähige Vorlage gezimmert werden könne. Das Postulat wurde in der Folge ohne Abstimmung überwiesen.

Bundesgerichtsgesetz modernisieren (Po. 20.4399)

In ihrem Bericht vom 17. November 2020 beantragte die GPK-SR, an die das Postulat von Daniel Jositsch (sp, ZH) für eine Überprüfung von Struktur, Organisation, Zuständigkeit und Überwachung der Bundesanwaltschaft zur Vorprüfung überwiesen worden war, lediglich einen Teil des Postulats anzunehmen. Abzulehnen sei Ziffer 1 des Postulats, die eine Überprüfung der Zweckmässigkeit der Struktur und der Organisation der Bundesanwaltschaft forderte. Diese Überprüfung werde durch die laufende GPK-Untersuchung bereits vorgenommen. Aus dem gleichen Grund sei auch Ziffer 3 des Postulats abzulehnen: Auch die Überprüfung, ob die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) den an sie gestellten Anforderungen genüge, sei Gegenstand der GPK-Untersuchung. Zur Annahme empfahl die GPK-SR allerdings Ziffer 2 des Postulats: Der Bundesrat solle klären, ob die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen im Bereich der Strafverfolgung nach zahlreichen Partialrevisionen noch zweckmässig sei. Teilweise bestünde Rechtsunsicherheit, weil die Zuständigkeiten nicht immer klar seien, begründete die GPK-SR ihre Empfehlung.
In der Ratsdebatte während der Wintersession 2020 führte Daniel Jositsch aus, dass er sein Postulat «vor allem auch im Zusammenhang mit der Diskussion um die Person des Bundesanwalts eingereicht» habe. Das Problem sei aber nicht der mittlerweile zurückgetretene Michael Lauber, vielmehr gebe es in der Bundesanwaltschaft strukturelle Probleme, die nicht durch das Ersetzen von Köpfen gelöst werden könnten. Er unterstütze aber den Antrag der GPK-SR, weil die Ziffern 1 und 3 seines Postulats bereits in Abklärung seien. Zu Wort kam auch der Präsident der AB-BA, Hanspeter Uster. Er begrüsse eine Evaluation der Aufsichtsbehörde und unterstütze auch eine Evaluation der Kompetenzaufteilung gemäss Ziffer 2 des Postulats. Schliesslich äusserte sich auch Justizministerin Karin Keller-Sutter. Sie begrüsse es, dass in dieser Frage eng mit den Kantonen zusammengearbeitet werden könne. Sie plane zudem den Einsatz einer Arbeitsgruppe. In der Folge wurde Ziffer 2 des Postulats stillschweigend überwiesen.

Bundesanwaltschaft - Überprüfung von Struktur, Organisation, Zuständigkeit und Überwachung (Po. 19.3570)
Dossier: Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA)

Anfang November 2020 reichte die RK-NR eine parlamentarische Initiative ein, mit der eine Grundlage für einen indirekten Gegenvorschlag zur Justizinitiative geschaffen werden soll. Der Vorschlag sah vor, dass die Richterinnen und Richter für alle Gerichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Bundesgericht, Bundesstrafgericht, Bundesverwaltungsgericht, Bundespatentgericht) nach wie vor von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt werden sollen. Allerdings soll die Wahl nicht mehr nur auf einem Antrag der Gerichtskommission (GK) beruhen, sondern zusätzlich auf einer Vorselektion, die durch eine zu bestimmende Fachkommission getroffen wird, welche die fachliche und persönliche Eignung der Kandidierenden evaluiert. Die Amtsdauer aller nationalen Richterinnen und -richter soll auf sechs Jahre festgelegt werden, wobei die Wiederwahl automatisch geschehen soll – allenfalls durch die GK auf Empfehlung der genannten Fachkommission. Dies stellte eine Konzession an die Initianten dar, da im aktuellen Verfahren das Parlament die Wiederwahl vornimmt. Auch zukünftig soll Abberufung jedoch bei schwerer Pflichtverletzung möglich sein, wobei die Fachkommission den Sachverhalt zu klären hätte. Die Parteien selber müssten gemäss Vorschlag der RK-NR die Unabhängigkeit ihrer Richterinnen und Richter gewährleisten, wobei explizit Alternativen zu Mandatsabgaben gefordert werden. Letzteres wurde auch von einer noch nicht behandelten parlamentarischen Initiative Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468) vorgeschlagen.
Anfang Dezember stimmte die RK-SR dem Begehren ihrer Schwesterkommission knapp mit 6 zu 6 Stimmen bei einer Enthaltung und Stichentscheid des Präsidenten Beat Rieder zu. Die Kommission sei der Ansicht, dass sich das aktuelle Wahlsystem für Bundesrichterinnen und -richter bewährt habe, dass es aber prüfenswerte Fragen gebe. Die RK-NR solle aber nur «die für absolut notwendig erachteten Verbesserungen» ausarbeiten.

Unabhängige und kompetente Richterinnen und Richter des Bundes. Indirekter Gegenvorschlag zur Justizinitiative (Pa.Iv. 20.480)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

In der Herbstsession wurde der Geschäftsbericht des Bundesgerichts 2019 von den Räten zur Kenntnis genommen und gutgeheissen. Die Sprecherin und der Sprecher der GPK und der Subkommissionen Gerichte – Manuela Weichelt-Picard (al, ZG) und Philippe Nantermod (fdp, VS) – empfahlen dem Nationalrat, den Bericht zu genehmigen, und fassten die wichtigsten Elemente zusammen.
Die Geschäftslast sei – vor allem in der strafrechtlichen, der zweiten zivilrechtlichen und den beiden öffentlich-rechtlichen Abteilungen – nach wie vor sehr hoch, habe aber trotz Pensionierung und Ersatz von 6 von 38 ordentlichen Bundesrichterinnen und Bundesrichtern im Verlauf des Berichtjahres bewältigt werden können. Insgesamt seien 7'937 Fälle behandelt worden (2018: 8'041). Die Personalstrategie sei angepasst worden und man habe noch vor Corona Home-Office für die Gerichtsschreibenden eingeführt sowie mit der Beteiligung an einer Institution mit Krippenplätzen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesorgt.
Die Digitalisierung schreite auch im Rahmen des Projekts «Justitia 4.0» voran, wenn auch nicht so rasch wie gewünscht. 2019 sei die Revision des Bundesgerichtsgesetzes zwar gescheitert, Bundesgerichtspräsident Ulrich Meyer (sp) ersuche die Räte aber, die nicht strittigen Punkte aus der Revision möglichst rasch wieder aufzunehmen. Weichelt-Picard berichtete auch über die Aufsichtsaufgaben, welche das Bundesgericht gegenüber den anderen eidgenössischen Gerichten hat. Das Bundesgericht sei 2019 gebeten worden, die Probleme beim Bundesstrafgericht zu untersuchen. In den Medien waren Führungsschwäche und Mobbing vermutet worden. Der Bundesgerichtspräsident habe sich zuerst zwar noch verhalten optimistisch zur Lage am Bundesstrafgericht geäussert, allerdings seien Ende 2019 neue Vorwürfe aufgetaucht, denen das Bundesgericht nun zusätzlich nachgehen müsse. Der Nationalrat nahm den Bundesbeschluss über den Geschäftsbericht in der Folge diskussionslos an.

Der Ständerat verspürte grössere Lust zur Diskussion über den Bericht. Carlo Sommaruga (sp, GE) erinnerte daran, dass der Jahresbericht des Bundesgerichts in der Regel im ersten Semester und nicht erst drei Monate vor Ende des Jahres debattiert werde. Covid-19 habe aber nun zu dieser Verschiebung geführt und er behalte sich deshalb vor, neben seinem Bericht für die Kommission auch ein paar Bemerkungen zu aktuellen Ereignissen einfliessen zu lassen. Auch er ging auf die Fallzahlen ein: 2019 seien 7'884 neue Fälle ans Bundesgericht gelangt, 86 mehr als im Vorjahr. Die Zahl pendenter Fälle habe im Vergleich zum Vorjahr hingegen marginal abgenommen. Im Schnitt habe die Zeit für die Erledigung eines Falls 140 Tage betragen.
Sommaruga hob aus dem Bericht weiter hervor, dass die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts noch immer nicht in einem anderen Gebäude untergebracht sei, wie dies eigentlich geplant gewesen war.
Das Bundesverwaltungsgericht habe 2019 mit 6'965 neuen Fällen ebenfalls eine hohe Geschäftslast gehabt, führte Sommaruga weiter aus; mit 7'157 erledigten Prozessen und einer Verringerung der Dauer eines Falls (von 2018 durchschnittlich 284 auf 264 Tage) hätten die Pendenzen aber abgebaut werden können.
Auch im Ständerat war die Untersuchung der Vorkommnisse beim Bundesstrafgericht Thema. Leider – so Sommaruga – sei der Untersuchungsbericht gleichzeitig bei der GPK und bei der Presse gelandet, was viel Ärger ausgelöst habe. Die Geschichte sei aber noch nicht zu Ende.
In der Folge nahm Bundesgerichtspräsident Ulrich Meyer als Gast der kleinen Kammer Stellung zu diesem «Fall Bellinzona». Man habe bereits im Januar 2020 mit der Untersuchung begonnen und dann den Abschlussbericht im April 2020 gleichzeitig im Internet aufgeschaltet und der GPK abgegeben. Dies entspreche der eigenen Praxis und sei mit der Subkommission Gerichte abgesprochen gewesen. Nach acht Jahren Tätigkeit in der Aufsichtsbehörde des Bundesgerichts wolle er die Empfehlung abgeben, dass die GPK und die Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten und nicht Gegensätze suchen sollten. Ziel müsse es sein, sicherzustellen, dass die Gerichte ordnungsgemäss funktionierten. Dass dies der Fall sei, könne er garantieren. Carlo Sommaruga insistierte in der Folge, dass die Veröffentlichung des Berichts im Internet mit Namensnennung nicht abgesprochen gewesen sei.
Ebenfalls bezugnehmend auf ein aktuelles Ereignis stellte in der Folge Beat Rieder (cvp, VS) «unverblümt eine direkte Frage an den Herrn Bundesgerichtspräsidenten», nämlich wie er zu Gesuchen auf Verschiebung der Bundesrichterwahlen stehe. In der Tat standen am folgenden Tag die Gesamterneuerungswahlen des Bundesgerichtes an, bei denen aufgrund der Forderung der SVP, einen Bundesrichter nicht zu bestätigen, ein Verschiebungsgesuch der SP diskutiert werden sollte. Meyer argumentierte, dass er sich als Bundesrichter nicht in parlamentarische Geschäfte einmischen wolle. Dies sei gelebte Gewaltenteilung. Seine persönliche Meinung, nachdem er zwölfmal gewählt und wiedergewählt worden sei, sei aber, dass man mit einer Verschiebung keine Probleme lösen würde.
Auch der Ständerat nahm den Bundesbeschluss schliesslich ohne Diskussion an.

Geschäftsbericht 2019 des Bundesgerichts
Dossier: Geschäftsberichte des Bundesgerichts

Die beiden Rechtskommissionen (RK-NR und RK-SR) hatten im November 2019 je eine gleichlautende Kommissionsmotion eingereicht, mit der die Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht neu geregelt werden sollen. Der Nationalrat hatte die Motion seiner Kommission (Mo. 19.4377) bereits in der Wintersession 2019 angenommen, der Ständerat folgte mit der Annahme der Motion der RK-SR im Juni 2020. Kommissionssprecher Beat Rieder (cvp, VS) führte aus, dass die Bestimmungen gelockert werden sollen, um die Suche nach geeigneten nebenamtlichen Richterinnen und Richtern am Bundesstrafgericht zu erleichtern. Für dieses Amt, das ein Arbeitspensum von 10 bis 20 Prozent umfasse, würden sich kaum Kandidierende melden, da die bisherigen Unvereinbarkeitsregelungen das Verbot einer berufsmässigen Vertretung Dritter vor sämtlichen Gerichten vorsehen und somit für viele potentielle Amtsträgerinnen und Amtsträger zu starke berufliche Einschränkungen bedeuteten. Die ursprüngliche Idee war, dass alle Mitglieder des Bundesstrafgerichts vollständig von forensischer Anwaltstätigkeit ausgeschlossen werden, um Risiken von Interessenkonflikten von Beginn weg zu vermeiden. Neu soll ein solches Verbot für nebenamtliche Strafrichterinnen und Strafrichter nur noch vor Bundesgericht gelten. Justizministerin Karin Keller-Sutter warnte zwar, dass es mit der Umsetzung der Motion allenfalls zu Zweifelsfällen bezüglich Ausstandspflicht kommen könne. Da die Änderung aber nur für nebenamtliche Mitglieder des Bundesstrafgerichts gelte, empfehle der Bundesrat die Annahme der Motion trotzdem. Dieser Empfehlung folgte der Ständerat stillschweigend und hiess damit gleichzeitig auch die Kommissionsmotion des Nationalrats gut.

Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht (Mo. 19.4391)

In der Wintersession 2019 schickte der Ständerat die Revision des Bundesgerichtsgesetzes zurück an den Nationalrat; allerdings nicht, weil er Differenzen geschaffen hätte, sondern weil er einstimmig nicht darauf eintreten wollte. Seine Rechtskommission (RK-SR) hatte mit 11 zu 1 Stimmen Nichteintreten beantragt. Ihr Sprecher Beat Rieder (cvp, VS) begründete den Antrag ziemlich ausführlich. Die ursprüngliche Idee der Revision sei eine Entlastung des Bundesgerichts von einfachen Fällen gewesen, ohne dass dabei der Rechtsschutz eingeschränkt werden sollte. Das «Zauberkunststück» – das BGer ohne Einschränkung des Rechtsschutzes zu entlasten und wo nötig die höchstrichterliche Rechtsprechung auszuweiten – sei aber weder dem Nationalrat noch dem Bundesgericht selber gelungen, weshalb die RK-SR der Meinung sei, man solle die Übung jetzt abbrechen. Auch beim Kernkonflikt der Vorlage, der subsidiären Verfassungsbeschwerde, gebe es keinen tragbaren Kompromiss. Zwar würden mit einer ersatzlosen Streichung dieses Instruments viele Beschwerden wegfallen, was für eine Entlastung sorgen würde, in den Augen des Bundes- und des Nationalrates sei damit aber der Rechtsschutz nicht mehr genügend gewährt. Auch mit Nichteintreten würden nötige Änderungen nicht umgesetzt – Rieder erwähnte etwa die Einführung einer beschränkten Beschwerdemöglichkeit gegen bisher endgültige Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesstrafgerichts, verschiedene Verfahrensvereinfachungen oder die Erhöhung der Obergrenzen der Gerichtsgebühren –, diese würden aber wohl punktuell eingeführt werden müssen. Justizministerin Karin Keller-Sutter betonte, dass eine Ablehnung der Vorlage die Arbeit des Bundesgerichts nicht beeinflusse, dass aber auch mit Annahme der vom Nationalrat veränderten Vorlage keine Probleme geschaffen würden. Die Regierung könne mit beiden Varianten leben und respektiere den Antrag der ständerätlichen Rechtskommission. Dieser wurde schliesslich stillschweigend angenommen.

Revision des Bundesgerichtsgesetzes (BRG 18.051)
Dossier: Revision des Bundesgerichtsgesetzes

Weil Bundesanwalt Michael Lauber Mitte Juni vom Bundesstrafgericht in der Fifa-Untersuchung für befangen erklärt worden war, schienen die Chancen für seine Wiederwahl im Herbst noch weiter zu sinken. So äusserte sich auf jeden Fall Sebastian Frehner (svp, BS) in der NZZ. Auch Corina Eichenberger (fdp, AG) sah die Position Laubers nun noch geschwächter als vorher und Beat Rieder (cvp, VS) wies darauf hin, dass die Gerichtskommission (GK) mit ihrem Entscheid, die Wahl auf den Herbst zu verschieben, wohl richtig gelegen habe. Nicht wenige Parlamentsmitglieder, so etwa Carlo Sommaruga (sp, GE) oder Marco Romano (cvp, TI), forderten Lauber auf, die Konsequenzen zu ziehen und sich nicht mehr zur Verfügung zu stellen. Ansonsten winke ihm wohl eine Abwahl, prognostizierte das St. Galler Tagblatt.

Für Unruhe sorgten zudem die Ereignisse im Rahmen der Disziplinaruntersuchung gegen Lauber, die von der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) ausgelöst worden war. Die AB-BA hatte aus Gründen der Objektivität und der fehlenden eigenen Zeit einen emeritierten Strafrechtsprofessor für die Untersuchungen angestellt, wogegen Lauber vor Gericht erfolgreich rekurrierte. Die Medien urteilten, dass solche «juristischen Finessen» Laubers bei den Parlamentariern wohl eher schlecht ankämen. Matthias Aebischer (sp, BE), Mitglied der GK, die eigentlich auch auf der Basis dieser nun verzögerten Disziplinaruntersuchung im August über die Empfehlung für eine Wiederwahl Laubers entscheiden wollte, sprach von einem «unsäglichen Hickhack».

Lauber erwuchs allerdings auch Unterstützung. Vor allem in der Person von Claude Janiak (sp, BL), der Mitte August von einer Kampagne gegen den Bundesanwalt sprach. Er warnte davor, dass eine Nicht-Wiederwahl der offiziellen Schweiz grossen Schaden zufügen würde, das dies ein Signal wäre, dass man Strafverfolger eliminiere, wenn sie «jemandem auf die Füsse getreten sind», so der Baselbieter Ständerat in der Basler Zeitung. Janiak versuchte klarzustellen, dass die vor allem in den Medien immer wieder aufgeführten und kritisierten Gespräche mit Infantino nicht rechtswidrig seien, sondern in solchen komplexen Verfahren dazu gehörten. Sie nicht zu protokollieren sei ebenfalls kein rechtlicher Verstoss. Janiak äusserte sich in diesem Interview zudem über den Präsidenten der AB-BA, Hanspeter Uster. Dieser sei wohl ein «Kontrollfreak», der ins Operative reinrede, was aber nicht die Rolle einer Aufsichtsbehörde sei und wogegen sich Lauber nun zurecht wehre. In einem Gastkommentar in den AZ-Medien doppelte Janiak nach und erinnerte daran, dass sich der Bundesanwalt nichts habe zuschulden lassen kommen. Eine Nichtwiederwahl wäre aber eigentlich nur gerechtfertigt, wenn dieser grob fahrlässig seine Amtspflichten schwer verletzt hätte.
Ähnlich äusserte sich Matthias Aebischer (sp, BE) gegenüber Radio SRF. Die Gerichtskommission könne fast nicht anders, als Lauber zur Wiederwahl zu empfehlen, weil ihm keine gravierenden Fehler vorgeworfen werden könnten. In einem weiteren Gastbeitrag wurde dann wiederum Janiak von Strafrechtsprofessor Mark Pieth kritisiert. Der Basler Rechtsanwalt dürfe sich als GPK-Mitglied nicht in der Öffentlichkeit äussern. Die Causa Lauber füllte die Medienspalten.

Die GK lud dann kurz vor ihrem Entscheid über den Wahlvorschlag sowohl Lauber als auch Uster noch einmal an eine Kommissionssitzung Ende August ein. Danach entschied die GK, ihren Entscheid zu vertagen. Dem Bundesanwalt sei es nicht gelungen, alle Zweifel auszuräumen. Das Verfahren nach einem Antrag auf Nichtwiederwahl, den Sibel Arslan (basta, BS) und ein weiteres Mitglied der GK einreichten, sieht vor, dass der in Frage gestellte Bundesanwalt noch einmal schriftlich gegen die Vorwürfe Stellung nehmen kann. Am Termin für die Wahl werde jedoch nicht mehr gerüttelt, gab die GK ebenfalls bekannt. Dieser werde auf den 25. September gelegt.

Am 4. September, also eine Woche nach der Sitzung und nachdem sie die schriftliche Stellungnahme Laubers konsultiert hatte, entschied die GK schliesslich mit 9 zu 6 Stimmen bei einer Enthaltung, die Wiederwahl Laubers nicht zu empfehlen. Die Kommission begründete ihren Entscheid vor den Medien mit den Beschlüssen des Bundesstrafgerichts, das Lauber im Fifa-Strafverfahren für befangen gehalten und ihm eine Verletzung der Strafprozessordnung vorgeworfen habe. In die Beurteilung der GK sei auch das «uneinsichtige Verhalten» Laubers und sein «Gegenangriff» auf die AB-BA eingeflossen, gab Lorenz Hess nach der Sitzung zu Protokoll. Das Urteil sei «zu zwei Dritteln juristisch und zu einem Drittel politisch begründet» – so Hess weiter. Die GK-Mitglieder, die für eine Wiederwahl gestimmt hatten – darunter etwa Christian Lüscher (fdp, GE) – gaben zu bedenken, dass Lauber viel Gutes bewirkt habe und die Polemiken um die informellen Treffen seinen gesamten Leistungsausweis nicht beeinträchtigen sollten. Eine Nichtwiederwahl gefährde die Bundesanwaltschaft als Institution. Lauber selber gab bekannt, seine Kandidatur für die Amtsperiode 2020 bis 2023 aufrecht zu erhalten.

Die Medien sahen die Wiederwahlchancen für Lauber aufgrund der abschlägigen Empfehlung der GK allerdings nur noch als gering an. Zwar müsse sich das Parlament nicht an die Empfehlung halten, es sei aber wohl «zu viel Geschirr zerschlagen», wie etwa die NZZ kommentierte, als dass es sich noch zu einer Wiederwahl bewegen liesse. Weil er gegen alle gerichtlich vorgehe, die sich ihm in den Weg stellten, sei eine konstruktive Zusammenarbeit kaum noch denkbar. Lauber habe sich in seinem eigenen Fall verheddert und die Kontrolle über sein Image verloren, urteilte auch der Tages-Anzeiger. Es fehle ihm an Demut, befand der «Blick». Von jemandem in dieser Position dürfe mehr Souveränität erwartet werden.

Wahl des Bundesanwaltes für die Amtsperiode 2020-2023
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

In der Sommersession 2019 nahmen die Räte den Geschäftsbericht des Bundesgerichtes 2018 zur Kenntnis und stimmten dem entsprechenden Bundesbeschluss stillschweigend zu. Die Berichterstatterin und die beiden Berichterstatter der Subkommissionen Gerichte/Bundesanwaltschaft der GPK beider Räte – Corina Eichenberger-Walther (fdp, AG) und Philippe Nantermod (fdp, VS) für den Nationalrat sowie Beat Rieder (cvp, VS) für den Ständerat – hoben die wichtigsten Kennzahlen aus dem Bericht hervor.
38 Bundesrichterinnen und Bundesrichter, 153 Bundesgerichtsschreiberinnen und -schreiber sowie das Gerichtspersonal hätten am Bundesgericht im Jahr 2018 den neuen Rekord von total 8'040 Fällen erledigt (2017: 8'029). Erfreulich sei, dass die Zahl der erledigten Fälle die Zahl der neuen Fälle übersteige. Ende 2018 harrten noch 2'761 Geschäfte ihrer Erledigung. Im Schnitt nahm die Erledigung eines Falls 145 Tage in Anspruch (2017: 144 Tage). Von Bedeutung sei 2018 das Bundesgerichtsgesetz sowie das Projekt «elektronisches Gerichtsdossier» gewesen. Mit dem «Gever» für die Gerichtsverwaltung, dem «E-Dossier» für die Gerichtspersonen im Bundesgericht sowie mit «Justitia 4.0» für die Gerichte der ganzen Schweiz werden elektronische Zugriffe auf Gerichtsakten geschaffen, womit die Arbeit erleichtert und effizienter werde. Die Zusammenarbeit des BGer mit den erstinstanzlichen Gerichten verlaufe gut. Auch über diese erstinstanzlichen Gerichte, über die das BGer die Oberaufsicht ausübt, wurde berichtet:
Im Bundesstrafgericht waren im Berichtjahr total 789 Fälle erledigt worden und 776 neu eingegangen. Im Schnitt dauerte die Erledigung eines Falls 173 Tage in der Straf- und 98 Tage in der Beschwerdekammer. Probleme bereiteten dem BStGer die unregelmässigen Eingänge in den verschiedenen Landessprachen. Die Arbeiten für die neu geschaffene Berufungskammer seien zudem stark unterschätzt worden. Die Aufstockung der Ressourcen in der Wintersession, die in einer eigentlichen Hauruck-Übung gesprochen worden war, habe nur einen Teil des Problems gelöst. In einer Aussprache mit den Verantwortlichen habe sich das Jahr 2023 als frühstmöglicher Termin für den Bezug der Räumlichkeiten für die Berufungskammer ergeben. Hier müsse also dringend eine Übergangslösung gefunden werden – ein Punkt, der in der kleinen Kammer zu Diskussionen Anlass gab. Didier Berberat (sp, NE), Mitglied der GK, wies darauf hin, dass der Kanton Tessin hier endlich seine Hausaufgaben machen müsse.
Auch im Bundesverwaltungsgericht konnten mehr Fälle erledigt werden (7'603; 2017: 7'385) als neu eingegangen waren (7'468; 2017: 7’365). Im Schnitt nahm die Erledigung eines Falls 284 Tage in Anspruch; leider nehme diese Zahl kontinuierlich zu und sei von 212 Tagen im Jahr 2016 innert zwei Jahren um über 70 Tage gestiegen, berichtete Beat Rieder im Ständerat. Auffällig sei die höhere Zahl an Eingängen im Kartellrecht, die umfangreiche und komplexe Verfahren nach sich zögen. Auch die Asylfälle seien aufwändiger geworden, was die längere Dauer zu erklären vermöge.
Das Bundespatentgericht schliesslich erledigte gleich viele Fälle (29; 2017: 24), wie neu eingegangen waren (29; 2017: 34). Mit den 3.6 Richterstellen dauert die Erledigung eines Falles 143 (summarische Verfahren) bzw. 438 Tage (ordentliche Verfahren), wobei die Dauer bei den ordentlichen Verfahren stark gesenkt werden konnte (2017: 541 Tage).
Ulrich Meyer, der Präsident des Bundesgerichts, ergänzte die Kommissionsangaben im Nationalrat mit dem Hinweis, dass er zwar stolz sei, einen Bericht mit schwarzen Zahlen abliefern zu können, dass aber rund 80 Prozent der 8'000 erwähnten Fälle die Tatsachen- und nicht die Rechtsebene betreffen. Die eidgenössischen Gerichte seien zur «Urteilsfabrik» geworden, was kein idealer Zustand sei. Er hoffe deshalb auf die laufende Revision des Bundesgerichtsgesetzes.

Geschäftsbericht 2018 des Bundesgerichtes
Dossier: Schaffung einer Berufungskammer am Bundesstrafgericht
Dossier: Geschäftsberichte des Bundesgerichts

Nur knapp, mit 89 zu 82 Stimmen (4 Enthaltungen), lehnte der Nationalrat die Motion von Lukas Reimann (svp, SG) ab, mit der Interessenbindungen in der Judikative offengelegt werden sollten. Man habe in diesem Rat zwar über Interessenbindungen in der Exekutive diskutiert (Mo. 17.4127; Po. 17.3423) und in der Regel stünden ja die Lobbyingtätigkeiten in der Legislative im Fokus. Wo aber niemand hinschaue, seien die Tätigkeiten der Judikative, führte der Motionär bei der Ratsdebatte in der Sommersession 2019 aus. In Zeiten, in denen das Bundesgericht Volksentscheide für ungültig und Verordnungen für illegal erkläre, müssten auch die Interessenbindungen der Richterinnen und Richter transparent gemacht werden. Er sei selber lange genug in der GK gesessen, um sagen zu können, dass Richterwahlen hochpolitisch seien.
Justizministerin Karin Keller-Sutter gab zu bedenken, dass Richterinnen und Richter per Verfassung zu Unabhängigkeit verpflichtet seien und aussergerichtliche Tätigkeiten, mit welchen diese Unabhängigkeit beeinträchtigt werden könnte, verboten seien. Bei Befangenheit müsse in den Ausstand getreten werden. Diese strengen Regeln würden ein Register mit Interessenbindungen eigentlich obsolet machen, so die Bundesrätin weiter. Freilich gab sie am Ende ihrer Stellungnahme zu bedenken, dass Wertfreiheit wohl nicht möglich sei, dass jeder Mensch in diesem Sinne Interessen vertrete, die auch durch Erziehung, Umwelt oder Erfahrungen entstanden seien.
Geschlossen gegen den Vorstoss stimmten die Fraktionen von SP, GLP, FDP und BDP. Die Ja-Stimmen stammten von Mehrheiten der GP, der SVP und der CVP.

Interessenbindungen in der Judikative
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative

Die Entlastung des Bundesgerichtes von Bagatellfällen war in den letzten Jahren Gegenstand verschiedener Vorstösse (Po. 13.3694; Mo. 14.3667; Mo. 17.3353 und 17.3354 sowie Mo. 17.3357) gewesen, welche der Bundesrat nun in seinen Vorschlag für eine Revision des Bundesgerichtsgesetzes aufnahm. Dabei ging es darum, die bei einer Evaluation des Bundesgerichtsgesetzes gefundenen Unzulänglichkeiten auszumerzen. Revidiert werden sollten dabei erstens die Ausnahmefälle, bei denen es bisher nicht möglich war, das Bundesgericht als Letztinstanz anzurufen. Neu soll dies nur noch für den Asylbereich gelten, für wichtige Fälle in allen anderen Bereichen soll das Bundesgericht eine Restkompetenz erhalten. Um das oberste Gericht jedoch gegen Überlastung zu schützen, sollen Beschränkungen eingebaut werden: So sollen etwa Bussen bis CHF 5'000 beim Bundesgericht nicht mehr anfechtbar sein, zudem sollen Geschädigte, die nicht unter das Opferhilfegesetz fallen, gegen Urteile von zweitinstanzlichen Gerichten beim Bundesgericht nicht mehr Beschwerde führen dürfen. Zweitens stand die subsidiäre Verfassungsbeschwerde, also die Beschwerde gegen Entscheide der letzten kantonalen Instanzen, zur Diskussion.
Der bundesrätliche Vorschlag wurde im Nationalrat in der Frühjahrssession debattiert. Das Geschäft war einigermassen umstritten, was daran lag, dass man gleichzeitig den Rechtsschutz ausbauen, die Verfahren vereinfachen und das Bundesgericht entlasten wollte, was potenziell zielinkongruent ist. Dass die Prioritäten zwischen den Parteien verschieden verteilt waren, zeigte sich bereits in der Eintretensdebatte, in der die Fraktionssprecherinnen und -sprecher darlegten, dass sie entweder vordringlich das Bundesgericht entlasten oder aber eben den Rechtsschutz ausbauen wollten. Die Ratslinke anerkannte zwar, dass das oberste Gericht eine hohe Geschäftslast zu tragen habe, dies dürfe aber nicht durch Abstriche beim Zugang zu den Gerichten wettgemacht werden. Stattdessen müsse dieser Problematik durch eine Aufstockung der Ressourcen begegnet werden. Die Ratsrechte machte sich dafür stark, dass Bagatellfälle vom obersten Gericht möglichst ferngehalten werden müssten, wobei naturgemäss umstritten war, ab welcher Schadenssumme ein Bagatellfall vorliegt. Die neue Justizministerin Karin Keller-Sutter wies darauf hin, dass es nicht so sehr nur um die Zahl der Bagatellfälle gehe, sondern vor allem auch um die Zahl der Fälle, die mit einer Beschwerde auch vor Bundesgericht kaum eine Chance hätten. Hier generiere das oberste Gericht aus juristischer Perspektive keinen Mehrwert, verbrauche aber viele Ressourcen. Eintreten wurde in der Folge mit 108 zu 76 Stimmen beschlossen. Die geschlossene SVP- und die grüne Fraktion hätten das Gesetz nicht behandeln wollen. Die Grünen bemängelten, dass vor allem im Ausländer-, Asyl- und Einbürgerungsrecht der Zugang zu stark eingeschränkt würde. Der SVP hingegen gingen die Einschränkungen zu wenig weit. Eine Entlastung des Bundesgerichts werde so nicht erreicht, argumentierten ihre Mitglieder.
In der Detailberatung ging es zum einen um die Höhe der Bussenhürde, die noch zu einer Beschwerde beim Bundesgericht berechtigen soll. Die Mehrheit der RK-NR schlug in Abweichung zum bundesrätlichen Vorschlag eine minimale Bussenhöhe von CHF 500 vor. Eine Minderheit Flach (glp, AG) wollte den bundesrätlichen Vorschlag von CHF 5'000 übernehmen und eine Minderheit Nidegger (svp, GE) beantragte, bei der bestehenden Regel zu bleiben und gar keine Hürde festzulegen. Beide Minderheitsanträge unterlagen dem Antrag der Kommissionsmehrheit. Erfolg hatte ein Antrag Wasserfallen (sp, BE), der in Zivilsachen eine Senkung der Streitwertgrenze anstrebte. In Zivilsachen kann bisher nur in Anliegen mit einem Streitwert über CHF 30'000 (bei arbeits- und mietrechtlichen Fällen bei CHF 15'000) Beschwerde geführt werden. Der Antrag der Berner Genossin, diesen Wert auf CHF 3'000 zu senken, fand gegen die Empfehlung der Kommission und der Justizministerin Anklang bei einer Ratsmehrheit von 116 gegen 71 Stimmen. Schliesslich ging es in der Detailberatung auch um den Ausnahmekatalog, mit dem geregelt werden soll, wann eine Beschwerde ans Bundesgericht nicht zulässig sein soll. Dass sich diese Einschränkungen insbesondere auf das Ausländer-, Asyl- und Einbürgerungsrecht bezogen, stiess bei der Ratslinken auf Widerstand. Mit den Minderheitsanträgen, mit denen diese Ausnahmen rückgängig gemacht werden sollten, biss Links-Grün bei der bürgerlichen Mehrheit jedoch durchgängig auf Granit.
Die «piece de résistence», wie sich Christa Markwalder (fdp, BE) ausdrückte, stellte schliesslich der von der Berner Freisinnigen angeführte Minderheitsantrag dar, die subsidiäre Verfassungsbeschwerde aufzuheben. Dieses Instrument habe sich nicht bewährt, da von 429 Beschwerden gerade mal acht gutgeheissen worden seien. Dies sei nun in der Tat eine unnötige Belastung des Bundesgerichts. Die Streichung des Instruments würde freilich den Rechtsschutz nicht abbauen, sondern er würde lediglich anders ausgestaltet. Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde werde nämlich durch den neuen Art. 89 ersetzt, der Beschwerden zulasse, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stelle oder ein besonders bedeutender Fall vorliege – von Beat Flach als «Populärbeschwerde» bezeichnet. Die Kommissionsmehrheit und die Ratslinke waren hier anderer Ansicht: Der Schutz verfassungsmässiger Rechte, folglich der Schutz des Einzelnen vor staatlicher Willkür, müsse in einem Rechtsstaat gewährleistet bleiben und dazu bedürfe es eben der subsidiären Verfassungsbeschwerde. Die acht gutgeheissenen Fälle zeigten ja offensichtlich, dass es vorkomme, dass der Staat willkürlich handle, hob etwa Matthias Aebischer (sp, BE) hervor. Karl Vogler (csp, OW) wies hingegen darauf hin, dass der Bundesrat ursprünglich die Streichung vorgesehen habe, dies nach der Kritik in der Vernehmlassung aber wieder rückgängig gemacht habe. Das Ziel der Revision müsse es aber doch sein, das Bundesgericht zu entlasten. Karin Keller-Sutter zeigte sich zwar für beide Möglichkeiten offen – beide Seiten hätten gute juristische Argumente vorgebracht, erklärte sie. Der Bundesrat habe sich aber letztlich aufgrund der politischen Rückmeldungen für ein Beibehalten der Verfassungsbeschwerde ausgesprochen. Mit 132 zu 46 Stimmen bei 6 Enthaltungen folgte der Nationalrat in diesem Punkt schliesslich der Kommissionsmehrheit. Die Nein-Stimmen stammten aus der geschlossenen CVP-Fraktion und einer Mehrheit der BDP- und der FDP-Fraktion. Nicht das Bundesgericht solle entscheiden, wann ein Fall wichtig sei und wann nicht; stattdessen solle die Chance für eine Beschwerde allen offen gelassen werde, fasste Matthias Aebischer die Mehrheitsstimmung im Ratssaal zusammen. Mit 108 zu 76 Stimmen (1 Enthaltung) wurde der Entwurf an den Ständerat weitergereicht. Die Grünen und die SVP sprachen sich auch nach den Änderungen in der Detailberatung gegen den Entwurf aus.
Der oberste Bundesrichter Ulrich Meyer zeigte sich in der Presse enttäuscht über den Entscheid der Volkskammer. Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde generiere Leerläufe, weil damit Hunderte von aussichtslosen Beschwerden eingereicht würden. Die meisten Beschwerden würden sich nämlich darauf beziehen, dass ein Gericht den Sachverhalt nicht richtig festgestellt habe. Das Bundesgericht könne aber lediglich die Korrektheit eines Verfahrens prüfen. Meyer appellierte an den Ständerat, die Institution Bundesgericht zu retten.

Revision des Bundesgerichtsgesetzes (BRG 18.051)
Dossier: Revision des Bundesgerichtsgesetzes

Sind Richterinnen und Richter unabhängig und unparteiisch, wenn sie einer Partei angehören und dieser Rückerstattungen in die Parteikasse leisten müssen? Diese Frage wurde von der Greco, der Staatengruppe gegen Korruption, hinsichtlich eines 2017 veröffentlichten kritischen Berichts zur Schweiz verneint. In der Tat gilt in der Schweiz für die eidgenössischen Gerichte ein Parteienproporz. Wer also Bundesrichterin oder Bundesrichter werden möchte, sollte wenn möglich jener Partei angehören, die am entsprechenden Gericht gerade untervertreten ist. Freilich stehe die Kompetenz bei der Wahl einer Richterin oder eines Richters an vorderster Stelle, aber keiner Partei anzugehören, sei ein Handicap, gab der amtierende Präsident der GK, Jean-Paul Gschwind (cvp, JU), zu Protokoll. Kritisiert wurde aber von der Greco vor allem auch, dass die nationalen Gerichtsmitglieder den Parteien eine sogenannte Mandatssteuer entrichten müssen, deren Höhe je nach Partei unterschiedlich ausfällt – dies zeigte eine Studie von Giuliano Racioppi, Verwaltungsrichter am kantonalen Gericht in Graubünden. Laut Studie bezahlt etwa ein Bundesrichter der Grünliberalen CHF 26'000 in die Parteikasse. Bei der SP beträgt dieser Betrag CHF 20'000 und bei den Grünen CHF 13'000. Die SVP verlangt CHF 7'000 und die CVP CHF 6'000. Am wenigsten müssen die Richterinnen und Richter der FDP und der BDP entrichten, nämlich pro Jahr CHF 3'000. Racioppi kam zum Schluss, dass diese Beiträge die richterliche Unabhängigkeit verletzten. Auch die Amtsperiode von 6 Jahren, nach welcher die Gerichtspersonen in ihrem Amt von der Vereinigten Bundesversammlung erneut bestätigt werden müssen, gilt nicht als Faktor einer starken judikativen Unabhängigkeit.
Mit Hilfe der eidgenössischen Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)» wollte ein Bürgerkomitee mit dem Industriellen Adrian Gasser an der Spitze – gemäss Bilanz einer der reichsten 300 Schweizer – dieser «Überpolitisierung der Judikative» (Le Temps 16.5.18) Einhalt gebieten. Die Anfang Mai 2018 von der Bundeskanzlei vorgeprüfte Initiative fordert dafür verschiedene Elemente: Die Wahlkompetenz soll nicht mehr beim Parlament, sondern bei einer vom Bundesrat eingesetzten Expertenkommission liegen. Diese Kommission bestimmt, welche für ein Richteramt kandidierenden Personen die nötigen objektiven Kriterien (professionelle und personelle Eignung) aufweisen. Aus dem Topf dieser Personen werden alsdann die Richterinnen und Richter per Losverfahren bestimmt. Damit – so die Initianten – würde verhindert, dass die Parteizugehörigkeit eine Rolle spielt oder dass Parteigebundenheit innerhalb der Expertenkommission auf die Wahl einen Einfluss haben könnte. Wer ausgelost wird, bleibt bis zu seiner Pensionierung im Amt. Damit die Sprachgruppen repräsentiert werden und die Gerichte jeweils über genügend verschiedene muttersprachliche Richterinnen und Richter verfügen, soll zudem eine Sprachquote festgelegt werden.
Die Initianten gaben in Medieninterviews zu Protokoll, dass dem Volk das Vertrauen in die Justiz fehle, weil sich die obersten Richter in einem dichten Beziehungs- und Abhängigkeitsgeflecht befänden. In den Medien wurde vor allem die Idee des Losverfahrens und die Rolle des Initianten Adrian Gasser diskutiert, der selber jahrelang juristische Kämpfe gegen Gewerkschaften und Journalisten ausgefochten habe und die Finanzierung der Unterschriftensammlung im Alleingang übernehme. In den Printmedien kamen auch einzelne Mitglieder der GK zu Wort, die am gleichen Tag Mitte Mai eine Sitzung abhielt, an dem die Initiative offiziell lanciert wurde. Die Initiative sei zu radikal, fand Matthias Aebischer (sp, BE), stosse aber Diskussionen um wunde Punkte im Wahlsystem der Judikative an, was auch Beat Walti (fdp, ZH) als positiv betrachtete. Weil auch die Judikative die verschiedenen Strömungen der Gesellschaft repräsentieren sollte, sei das bestehende Verfahren das am meisten geeignete, äusserte Didier Berberat (sp, NE) seine Bedenken. Als «völligen Blödsinn» bezeichnete hingegen Beat Rieder (cvp, VS) die Idee des Losverfahrens und auch für Christian Lüscher (fdp, GE) war die Initiative mehr Zirkus als Politik.

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative