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  • Organisation der Bundesrechtspflege

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  • Moser-Szeless, Margit (svp/udc) Mitglied Bundesgericht / Membre tribunal fédéral

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Verschiedene Ereignisse nährten in den vergangenen Jahren eine verstärkte Diskussion um die Unabhängigkeit der Schweizer Judikative. Zum einen hatte die SVP bei der Bestätigungswahl der Richterinnen und Richter am Bundesgericht im Jahr 2014 vier sich zur Wiederwahl stellenden Kandidierenden – zwei SP-, einem CVP- und einem GP-Richter –, die ein aus Sicht der Volkspartei umstrittenes Urteil zum Verhältnis zwischen Völker- und Landesrecht gefällt hatten, ihre Stimme versagt. Auch die Linke strafte bei derselben Wahl wohl einen SVP-Richter mit Stimmenthaltung ab, worauf zumindest die Stimmenzahl hinzuweisen schien. Zum anderen nimmt die mediale Berichterstattung über Gerichtsurteile zunehmend die Parteizugehörigkeit der Richterinnen und Richter in den Fokus. Insbesondere die Weltwoche wetterte gegen die «Richter, die ihre Weltanschauungen über den Volkswillen stellen», oder kritisierte unter dem Titel «Entfremdete Richter» «rote und grüne Bundesverwaltungsrichter», die Asylpolitik betrieben und das Dublin-System für die Schweiz lahm legten. Sie sah sich gar einen «Staatsstreich auf Samtpfoten» anbahnen. Der Tages-Anzeiger untersuchte rund 30'000 Urteile zu Asylbeschwerden am Bundesverwaltungsgericht und fand heraus, dass Richterinnen und Richter der Grünen (21%) und der SP (20.9%) jede fünfte Beschwerde guthiessen, die Richterinnen und Richter der SVP im Schnitt hingegen nur 13.1 Prozent. Für mediale Aufmerksamkeit sorgte zudem der kurz vor ihrer Wahl zur Bundesrichterin erfolgte Parteieintritt von Margit Moser-Szeless in die SVP, der «vorab aus beruflichen Gründen» erfolgt sei (Luzerner Zeitung), weil in der Schweiz nur Richterin oder Richter werden kann, wer einer Partei angehört. Und schliesslich weckten auch die Diskussionen um die Besetzung der Posten im Supreme Court in den USA das Interesse an den Richterwahlen in der Schweiz.

Wie funktioniert dann aber das System Schweiz, das vom amtierenden Bundesgerichtspräsidenten Gilbert Kolly in einem Interview mit der NZZ als «singulär in Europa» bezeichnet wurde? In demokratischen Rechtsstaaten werden Mitglieder der Judikative entweder auf der Basis ihrer fachlichen Qualifikation oder in einer demokratischen Wahl bestimmt. Während die meisten Länder eine Kombination beider Elemente vorsehen, ist es in der Schweiz laut Verfassung praktisch ausschliesslich die Wahl, die entscheidend ist. Bundesrichter kann werden, wer die Schweizer Staatsbürgerschaft inne hat und mindestens 18 Jahre alt und mündig ist. Faktisch werden allerdings praktisch ausschliesslich Personen mit einem Rechtsstudium berücksichtigt, die einer Partei angehören. Die Betonung des demokratischen Prinzips will, dass die Wahlbevölkerung, auf nationaler Ebene vermittelt durch das Parlament, auch die Judikative wählt. Aus dieser Perspektive scheint es sinnvoll, dass die Richtergremien nach Parteienproporz verteilt werden, also möglichst ein Abbild der (wählenden) Gesellschaft darstellen. Damit wird auch ein gewisser Meinungspluralismus in der Judikative sichergestellt. Das System weist aber auch Schwächen auf, auf die mit zunehmender Diskussion verwiesen wurde. Vordringliche Frage war dabei, ob ein Richter oder eine Richterin bei einem Urteil, bei dem doch fachliche Überlegungen leitend sein sollten, Parteienvertretung sein dürfe. Freilich wurde mit Verweis auf die lange Tradition dieses Systems auch darauf hingewiesen, dass die Parteizugehörigkeit mit der Zeit meist keine Rolle mehr spiele – die Richterinnen und Richter seien keine Statthalter der Parteien, meinte etwa der Präsident der Richtervereinigung, Roy Garré dazu. Aber der Umstand, dass Richterinnen und Richter nicht wie in anderen Ländern auf Lebenszeit gewählt würden, sondern sich regelmässigen Wiederwahlen stellen müssten, könne die verlangte Unabhängigkeit negativ beeinflussen – so Garré. Dazu kommt, dass die Parteien von «ihren» Mitgliedern, die ein judikatives Amt inne haben, sogenannte Partei- oder Mandatssteuern einziehen. Dies – so die Kritikerinnen und Kritiker des Systems – sei wohl auch der Grund, weshalb sich am System kaum etwas ändern werde. Eine weitere Kritik an der Berufung in der Schweiz ist, dass die fachliche Qualifikation in den Hintergrund rückt. Weil bei der Auswahl der Kandidierenden bei Vakanzen der Parteienproporz im Vordergrund steht, haben nicht nur qualifizierte parteilose Kandidierende, sondern auch Kandidierende, die Parteien angehören, die beim entsprechenden Gericht übervertreten sind, keine Chance, gewählt zu werden. Nicht selten komme es deshalb vor wichtigen Vakanzen gar zu Parteiwechseln, wussten verschiedene Medien zu berichten.

In der Diskussion wurden verschiedene Reformvorschläge eingebracht; etwa eine Mischform zwischen Parlamentswahl und Bestimmung eines Teils der Richterinnen und Richter durch Vorschlag durch das Bundesgericht oder eine Wahl auf Lebenszeit bzw. bis zum Pensionsalter. Ein strenges Assessment der Kandidierenden könnte den Vorwurf der mangelnden Qualifikation mindern – ein Vorschlag, der mindestens teilweise durch die Gründung einer parlamentarischen Gerichtskommission, die für die Sichtung von Bewerbungen verantwortlich ist, bereits zu Beginn des Jahrtausends im Rahmen der Totalrevision der Bundesrechtspflege umgesetzt worden war. Erinnert wurde in den Diskussionen aber auch daran, dass ein apolitisches Gericht gar nicht möglich und deshalb eine proportionale Vertretung verschiedener Weltanschauungen gar nicht so nachteilig sei. «Richten ist menschlich», fasste die Wochenzeitung diese Ansicht zusammen. Bei der Skepsis gegen Richter mit Parteibuch schwinge immer auch die utopische Sehnsucht nach einem «rein vernunftgetriebenen Funktionieren des Rechtsstaats mit.

Mitte März 2017 schaltete sich dann auch die Staatengruppe des Europarats gegen Korruption (GRECO) in die Diskussion ein. Eine der zwölf Empfehlungen, welche die Gruppe der Schweiz als Prävention gegen Korruption abgab, war die Schaffung von Voraussetzungen, damit auch parteiunabhängige Juristinnen und Juristen an ein eidgenössisches Gericht gewählt werden können. Auch die Parteisteuer widerspreche dem Grundsatz der Unabhängigkeit.

Die Diskussionen kulminierten schliesslich in der Lancierung der «Justiz-Initiative», mit der eine «Entpolitisierung» der Richterwahlen anstrebt werde, wie ein Komiteemitglied Ende 2017 der NZZ verriet.

Unabhängigkeit der Judikative - Parteienzugehörigkeit
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative

In der Herbstsession nahm die Vereinigte Bundesversammlung die Wiederwahl der ordentlichen und nebenamtlichen Mitglieder des Bundesgerichtes vor. Die 35 zur Wiederwahl antretenden Bundesrichterinnen und Bundesrichter wurden zwar alle bestätigt, doch erhielten einzelne auffällig weniger Stimmen. Das Wahlprozedere sieht vor, dass nur die wieder amtierenden Personen auf einer Liste gewählt werden können. Diese Liste ist in globo abzugeben, wobei einzelne Namen gestrichen werden dürfen. Dies war in der Vergangenheit kaum jemals der Fall gewesen. Bei der Bestätigungswahl im Herbstsemester wurden allerdings zwei SP-, ein CVP- und ein GP-Richter von der SVP nicht gewählt, weil sie „ausländisches vor Schweizer Recht“ stellten, wie Christoph Mörgeli (svp, ZH) zu Protokoll gab. Ein SVP-Richter wurde umgekehrt von der Linken abgestraft. Freilich erreichten alle fünf das absolute Mehr trotzdem. Darüber hinaus wurden 2014 drei ordentliche Mitglieder in einer Ergänzungswahl bestimmt. Stephan Haag (glp) und Monique Jametti (svp), die beide in der Herbstsession gewählt wurden, ersetzten die zurücktretenden deutschsprachigen Heinz Aemisegger (cvp) und Hans Mathys (svp). Für den ebenfalls zurücktretenden, französischsprachigen Bundesrichter Yves Kernen (svp) fand die Kommission zuerst keine Kandidierenden und die Nachfolge musste noch einmal ausgeschrieben werden. Schliesslich wurde in der Wintersession Margit Moser-Szeless (svp) zur neuen Bundesrichterin bestimmt. Mit der Wahl der beiden Richterinnen wurde das Geschlechterverhältnis verbessert. Neu waren 13 Frauen und 25 Männer als Bundesrichterinnen und Bundesrichter tätig. Zudem konnte der Parteienproporz verbessert werden; mit Haag wurde zum ersten Mal ein Mitglied der GLP Bundesrichter. Neu besetzt wurden zudem vier nebenamtliche Richterstellen. Gewählt wurden Bernard Albrecht (sp), Federica De Rossa Gisimundo (sp), Yvona Griesser (svp) und Beatrice van de Graaf (svp).

Wiederwahl der ordentlichen und nebenamtlichen Mitglieder des Bundesgerichtes