Eintreten auf die Vorlage war in der kleinen Kammer nicht bestritten, doch ertönten sehr kritische Voten aus den Reihen der FDP. Am heftigsten äusserte sich Schiesser (GL). Er gestand zwar gute Gründe für eine MSV ein und bezeichnete die Vorlage als letztlich moderat. Er erinnerte Bundesrätin Dreifuss aber auch an die ungelösten Finanzierungsprobleme in den anderen Sozialversicherungen und stellte bei der Landesregierung einen Mangel an klaren Vorstellungen und nachhaltigen Konzepten zum Sozialversicherungssystem fest. Die Vorlage fand hingegen Unterstützung bei den beiden FDP-Frauen Saudan (GE) und Forster (SG), welche betonten, die heutigen Ungleichheiten im arbeitsrechtlichen Mutterschaftsschutz müssten unbedingt korrigiert werden. Die Vertreter der CVP stellten sich – traditionellerweise – voll und ganz hinter die MSV, vor allem da mit dem neuen Finanzierungsmodell ein durchaus wirtschaftsfreundlicher Vorschlag zur Debatte stehe. Die SP beteiligte sich nicht an der Eintretensdebatte.

Zu Beginn der Detailberatung stellte Beerli (fdp, BE) den Antrag, auf die Grundleistung für alle Mütter zu verzichten. Die Grundbeiträge stellten in Tat und Wahrheit eine ”Geburtsprämie” dar, die in einer liberalen Gesellschaft nicht zu suchen habe. Eine Versicherung könne nur einen Schaden ausgleichen, und der erfolge eben beim Erwerbseinkommen. Mit der Einführung der Grundbeiträge werde das Versicherungs- mit einem Bedarfssystem im gleichen Gesetz vermischt, wobei es sich bei der Geringfügigkeit der Beträge gar nicht um echte Bedarfsleistungen handle, für die ohnehin die Kantone zuständig wären. Mit ihrer Argumentation fand die Bernerin nicht viel Gehör. Sowohl Brunner (sp, GE) wie Delalay (cvp, VS) erinnerten an die vielen Frauen, die aufgrund ihrer familiären Pflichten gar nicht auswärts arbeiten können; ohne Grundleistung würden diese Frauen für ihr Engagement zugunsten der Familie quasi bestraft. Simmen (cvp, SO) setzte sich ebenfalls klar für die Grundbeiträge ein; es gehe weniger um die Frage, ob es eine echte Versicherung sei oder nicht, sondern vielmehr um einen gesellschaftspolitischen Entscheid für die Zukunft der Familien. Mit 25 zu 8 Stimmen wurde der Antrag Beerli deutlich abgelehnt. Mehr Glück hatte Respini (cvp, TI) mit seinem Antrag, die Adoption der leiblichen Geburt gleichzusetzen und mit analogen Leistungen zu honorieren. Die Kommission hatte diesen Vorschlag des Bundesrates wieder aus der Vorlage gekippt. Mit Unterstützung von Bundesrätin Dreifuss setzte er sich mit 23 zu 11 Stimmen durch.

Die Geister schieden sich dann aber vor allem an der Frage, ob die Erhöhung der MWSt in einer speziellen Abstimmung oder zusammen mit dem Gesamtpaket, das der Bundesrat im Jahr 2000 oder 2001 für die finanzielle Sicherung der Sozialwerke (AHV und IV) vorlegen will, erfolgen soll. Vor allem die Vertreter der FDP und SVP bezeichneten eine generelle Abstimmung als ”Mogelpackung” und drängten auf eine Grundsatzabstimmung vor Einführung der MSV, da es nicht angehe, einen neuen Versicherungszweig einzuführen, bevor dessen langfristige Finanzierung gesichert sei. Von ihren Kontrahenten aus SP und CVP mussten sie sich deshalb den Vorwurf gefallen lassen, auf diese Weise die gesamte Vorlage torpedieren zu wollen. Auch Bundesrätin Dreifuss plädierte für eine Verschiebung der Abstimmung, da Kaskadenabstimmungen zur MWSt vermieden werden sollten, und zu verhindern sei, dass die verschiedenen Sozialwerke gegeneinander ausgespielt werden. Schliesslich stand eine Gruppe aus FDP, SVP und einzelnen Christdemokraten einer gleich starken Koalition bestehend aus der SP, der Mehrheit der CVP und einzelnen Freisinnigen aus der Romandie gegenüber. Mit 20 zu 20 Stimmen führte die Abstimmung denn auch zu einem Patt. Ratspräsident Zimmerli (svp, BE) gab den Stichentscheid zugunsten einer vorgezogenen Abstimmung.

Bundesgesetz über die Mutterschaftsversicherung (MSVG; BRG 97.055)
Dossier: Schaffung einer Mutterschaftsversicherung (1989-2004)