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Im Jahr 2016 rückten Dschihad-Reisende wiederholt in den Fokus der Medien. Laut dem NDB kehrte im Jahr 2016 eine Person nach ihrer Ausreise in ein dschihadistisches Kampfgebiet in die Schweiz zurück. Dazu kommen mindestens drei Personen, welche kurz vor bzw. nach ihrer Abreise nach Syrien zum Islamischen Staat (IS) angehalten wurden. Zudem wurden 2016 laut Medienberichten strafrechtliche Verfahren gegen vier zurückgekehrte Dschihad-Reisende aufgenommen. Im Fall einer Person wurde das erste rechtskräftige Urteil wegen einer Dschihad-Reise gesprochen. Zu Beginn des Jahres 2016 hallte in den Medien überdies die Heimkehr zweier Winterthurer Jugendlicher aus dem syrischen Kampfgebiet nach.
Dschihad-Rückkehrende und die Gefahren, die von ihnen ausgehen können, wurden auch im Lagebericht des NDB und im Bericht zur Sicherheitspolitik des Bundesrats thematisiert. Insbesondere der Lagebericht des NDB stiess auf grosses mediales Interesse. In der Pressekonferenz zur Veröffentlichung des NDB-Berichts prognostizierte Markus Seiler, Direktor des NDB, dass bei den Ausreisen Richtung dschihadistisches Kampfgebiet ein Plafond erreicht worden sein könnte, während Dschihad-Rückkehrer und -Rückkehrerinnen eine der relevantesten Bedrohungen für die Sicherheit der Schweiz darstellten. Letztere könnten laut dem NDB an der Planung und Durchführung von Attentaten in der Schweiz oder im Ausland beteiligt sein oder mit ihren Erlebnisberichten neue Mitglieder für den IS rekrutieren.

Angesichts dieser Geschehnisse waren auch die gesetzlichen Grundlagen zum Umgang mit potenziellen, ausgereisten oder zurückgekehrten Dschihad-Reisenden Gegenstand der öffentlichen Debatte. Diskutiert wurden drei Hauptaspekte: die Prävention von Ausreisen beziehungsweise Einreisen, die strafrechtliche Verurteilung von Ausgereisten und die Wiedereingliederung von Zurückgekehrten in die Gesellschaft.
Die Sonntagszeitung erachtete die Lage bezüglich präventiver Massnahmen im Dezember 2016 als unzureichend. So würden beispielsweise die beiden jungen Männer aus Genf, welche im Sommer 2016 von der Polizei wegen dschihadistisch motivierter Ausreise angehalten wurden, zeigen, dass die bestehenden präventiven Strukturen nur bedingt greifen. Die beiden Männer seien beide bereits zuvor polizeilich bekannt gewesen und kurz vor ihrer Abreise von der Polizei vorgeladen worden. In beiden Fällen sei kurz darauf die Ausreise erfolgt. Um solche Ausreisen in dschihadistische Kampfgebiete zu verhindern, sei laut dem Tages-Anzeiger beispielsweise eine regelmässige Meldepflicht bei der Polizei oder das Sperren von Reisedokumenten denkbar. Dabei merkten die Medien jedoch auch an, dass Ausreisesperren Grundrechte verletzen können und in jedem Fall auch Möglichkeiten für Beschwerden und die Berücksichtigung individueller Bedingungen der potenziellen Dschihadreisenden bestehen müssen.
Im Parlament wurde eine Motion für eine gesetzliche Grundlage für eine Ausreisesperre für Dschihadisten und Dschihadistinnen abgelehnt. Bundesrätin Sommaruga verwies dabei aber darauf, dass alternative Präventionsmassnahmen ausgearbeitet würden.
Neben der Ausreise sollte auch die Einreise von Dschihadisten und Dschihadistinnen verhindert werden. So wurde im Verlauf des Jahres gegen 26 Personen mit Bezug zum Dschihad ein Einreiseverbot in die Schweiz verhängt. Medial und politisch kontrovers diskutiert wurde in diesem Zusammenhang die Frage, ob Doppelbürgern und Doppelbürgerinnen, welche für eine fremde Armee oder eine armeeähnliche, ideologisch motivierte Gruppierung gekämpft haben, die Schweizer Staatsbürgerschaft entzogen werden soll.
Die präventive Überwachung und strafrechtliche Verfolgung von Dschihadisten und Dschihadistinnen rückte im Rahmen der Abstimmung zum neuen Nachrichtendienstgesetz im September 2016 in den Fokus. Bundesrat Parmelin warb zum Beispiel an der Pressekonferenz zum Lagebericht des NBD für die Annahme der Vorlage. Ebenso wurden die Möglichkeiten zur besseren Überwachung von potenziellen Dschihadisten und Dschihadistinnen wiederholt als Pro-Argument für das Nachrichtendienstgesetz genannt. Nach der Annahme des Gesetzes an der Urne wurde die Kompetenz, ausreisende, ausgereiste oder zurückgekehrte Dschihadistinnen und Dschihadisten verdeckt im Schengener Informationssystem auszuschreiben, zusätzlich auf das Fedpol ausgeweitet. Das Nachrichtendienstgesetz hatte diese Kompetenz nur dem NDB erteilt.

Gegen die tatsächlich zurückgekehrten Dschihadisten und Dschihadistinnen wurde bisher in jedem Fall ein Strafverfahren eröffnet. Basis dafür war das dringliche Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen Al-Qaïda, Islamischer Staat sowie verwandter Organisationen. Erfahrung in der Verurteilung von Dschihadisten und Dschihadistinnen hatte die Bundesanwaltschaft jedoch fast keine. Während zwar rund sechzig Verfahren wegen Verstosses gegen das Verbot von Al-Qaïda und IS offen waren, kam es erst im Juli 2016 zu einer ersten Verurteilung durch das Bundesstrafgericht: Ein 26-Jähriger wurde zu einer 18-monatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Das Urteil war laut Le Temps und NZZ wegweisend: Einerseits sei das Verbot der Gruppierungen Al-Qaïda und IS erstmals angewandt worden. Andererseits wurde der Angeklagte bereits vor seiner Ausreise in die Türkei verhaftet und in der Folge angeklagt; somit sei die «deutliche Absicht» – wie sie das Gericht feststellte –, sich in das dschihadistische Kriegsgebiet zu begeben, ausreichend, um entsprechend dem dringlichen Bundesgesetz verurteilt zu werden. Trotz dieser ersten Verurteilung eines Dschihad-Reisenden wurden verschiedene Stimmen für eine Verschärfung und Überarbeitung der Terrorismusstrafnorm laut, welche das 2018 auslaufende dringliche Bundesgesetz ablösen sollte.

Neben Prävention und strafrechtlicher Verfolgung nahm der Aspekt der Resozialisierung der Dschihad-Rückkehrer und -Rückkehrerinnen einen zentralen Platz in der öffentlichen Debatte ein. So wurden zu Beginn des Jahres in der NZZ «Konzepte für die Reintegration der Rückkehrer abseits des Strafrechts» gefordert. Für die gesellschaftliche Wiedereingliederung von Dschihad-Reisenden gebe es gemäss der NZZ keine ausreichenden interkantonalen und bereichsübergreifenden Strukturen. Medien, Experten und Expertinnen sowie die operative Koordination TETRA des Fedpol, welche sich brereichsübergreifend mit dem Tracking von Terroristinnen und Terroristen befasst, forderten die Schaffung eines schweizweiten Kompetenzzentrums für die Deradikalisierung und Resozialisierung von Dschihadisten und Dschihadistinnen. Eine solche Kooperation zwischen Strafbehörden und Fachstellen, die beispielsweise psychologische oder soziale Betreuungsangebote bieten würde, wurde vorerst aber nicht eingerichtet. Einzig auf kantonaler Ebene gab es laut der NZZ bereits verschiedene Fachstellen, die Präventions- und Resozialisierungsarbeit leisteten.

Dschihad-Reisende und -Rückkehrende

Um ein Aufeinandertreffen von rechts- und linksextremen Organisationen zu verhindern, untersagte die Luzerner Polizei den sogenannten Gedenkmarsch auf das Schlachtfeld bei Sempach, der alljährlich von Rechtsextremen begangen wird. Weil gleichzeitig eine Bewilligung der Gruppe Antifaschistische Aktion Zentralschweiz für eine Gegendemonstration auf dem Schlachtfeld eingereicht wurde, befürchtete die Polizei eine erhebliche Gefahr. Auch die Gegendemonstration wurde deshalb nicht bewilligt. Nachdem die Polizei am Samstagabend das Gelände verlassen hatte, fanden sich trotz Verbot rund 60 Rechtsextreme ein und legten einen Kranz nieder.

Feier der Schlacht von Sempach

Da die Feierlichkeiten zum Gedenken an die Schlacht bei Sempach in den letzten Jahren immer wieder durch Aufmärsche von Rechts- und teilweise auch Linksextremisten gestört wurden, was zu immensen Sicherheitskosten geführt hatte, beschloss die Luzerner Regierung für das 625-jährige Jubiläum von 2011 ein neues Konzept. Anders als auf dem Rütli wurden Extremisten allerdings nicht mit einem Zulassungssystem ferngehalten. Der Kanton Luzern richtete vielmehr ein grosses, allen zugängliches Mittelalter-Volksfest aus, verzichtete jedoch auf den Umzug auf das Schlachtgelände.

Feier der Schlacht von Sempach

Die Luzerner Behörden sahen vorerst noch keinen Anlass, das Konzept für die Feier der Schlacht von Sempach zu ändern. Diese wurde auch dieses Jahr wieder von Rechtsradikalen für einen Grossaufmarsch benutzt. Ihren rund 250 Personen standen, von der Polizei abgetrennt, rund 100 dagegen protestierende Jungsozialisten gegenüber. Die eigentliche Feier fand witterungsbedingt in einer Kirche und ohne die Rechtsradikalen statt; letztere marschierten anschliessend allein zum Schlachtgelände. Nach der Kundgebung kündigte die Luzerner Kantonsregierung die Ausarbeitung eines neuen Konzepts für die Durchführung dieses Anlasses an.

Feier der Schlacht von Sempach

Nachdem die Rechtsextremen vom Rütli verdrängt worden waren, suchten sie sich andere Orte für ihre historisch untermauerten Auftritte - unter anderem auch die Feier zur Schlacht von 1386 in Sempach (LU). Die Luzerner Behörden sahen keinen Anlass, etwas gegen die Beteiligung der PNOS (Partei National Orientierter Schweizer) und anderer Rechtsextremisten an der Sempacher Feier zu unternehmen. Diese hätten sich in den Vorjahren stets anständig benommen und ihr Kranzlegungsritual mit der sich an der faschistischen Frontenbewegung der 30er Jahre orientierenden Symbolik erst nach der offiziellen Feier durchgeführt.

Feier der Schlacht von Sempach

Zu ernsthaften Ausschreitungen im Umfeld von politischen Manifestationen kam es insbesondere anlässlich einer SVP-Demonstration am 6. Oktober, also kurz vor den eidgenössischen Wahlen in Bern. Die SVP beabsichtigte, mit Bundesrat Blocher an der Spitze, einen Demonstrationszug durch die Berner Altstadt auf den Bundesplatz durchzuführen. Eine Gegenkundgebung ebenfalls in der Altstadt wurde von lokalen grünen Parteien, Jungparteien und Gewerkschaften unterstützt, von den Gemeindebehörden aber nicht bewilligt. Während sich gut 5000 SVP-Demonstranten vor dem unteren Ende der Altstadt zum Abmarsch bereit machten, versammelten sich rund 2000 Gegendemonstranten auf dem Münsterplatz nahe an der Marschroute. Einige Hundert Gegendemonstranten blieben allerdings nicht dort, sondern errichteten Strassenblockaden am Eingang zur unteren Altstadt, zerstörten Material für die SVP-Kundgebung auf dem Bundesplatz, attackierten dort auch Personen und lieferten sich in den engen Altstadtgassen Scharmützel mit der Polizei. Die Polizei räumte unter Einsatz von Tränengas und Gummischrot die Strassenblockaden und nahm 42 Gegenmanifestanten fest. Die SVP, in deren Demonstrationszug sich auch ca. hundert Rechtsextremisten und bekannte Neonazis eingereiht hatten, brach in der Folge ihre Demonstration ab. Bereits drei Wochen zuvor war es bei einem Auftritt von Bundesrat Blocher in Lausanne zu Protestaktionen mit heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten gekommen.

Ausschreitungen SVP-Demonstration am 6. Oktober in Bern

Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam es auch im Rahmen von europaweit ausgeführten Aktionen von Kurden gegen türkische Einrichtungen. In Bern, wo kurdische Demonstranten auf das türkische Botschaftsgelände einzudringen versuchten, schossen Botschaftsangestellte in die Menge und verletzten dabei mehrere Demonstranten und einen Polizisten, wobei ein Kurde seinen Schussverletzungen erlag. Da die Türkei auf der diplomatischen Immunität ihrer Botschaftsangestellten beharrte, konnten die Schützen strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden. Im Herbst kam es an verschiedenen Orten in der Schweiz wie auch in Deutschland, Österreich, Grossbritannien und Dänemark zu weiteren Brandanschlägen gegen türkische Büros, Geschäfte und Vereinslokale. Die Ermittlungsbehörden nahmen an, dass auch hinter diesen Anschlägen die Kommunistische Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) stand. Der Bundesrat beschloss, im Gegensatz zu den Regierungen Deutschlands und Frankreichs, auf ein Verbot der PKK einstweilen zu verzichten, diese aber intensiver zu überwachen als bisher, und die diesbezügliche Koordination mit den Polizeibehörden anderer europäischer Staaten zu verstärken.

Les manifestations contre la répression des Kurdes en Turquie
Dossier: Gesellschaftliche Reaktionen zur PKK/ Verhaftung Öcalan

Die Welle der fremdenfeindlichen Aktionen ist im Berichtsjahr deutlich abgeflaut. Nach Angaben des EJPD wurden 42 Ereignisse mit tatsächlichem oder vermutetem fremdenfeindlichem Hintergrund registriert. Bei rund der Hälfte davon handelte es sich um Sachbeschädigungen oder Schmierereien an Flüchtlingsunterkünften, in 15 Fällen kam es zu Brandstiftungen resp. Brandstiftungsversuchen, je zwei Anschläge wurden mit Schusswaffen resp. mit Feuerwerkskörpern durchgeführt. Der ehemalige Anführer der rechtsextremen Patriotischen Front, Marcel Strebel, stand erneut vor Gericht. Das Bezirksgericht Schwyz verurteilte ihn wegen Landfriedensbruchs zu zwanzig Tagen Gefängnis, wobei er diese Strafe nicht absitzen muss, sondern sich einer ambulanten psychiatrischen Behandlung zu unterziehen hat. Nach Angaben von BR Koller waren aber bei weitem nicht alle Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte fremdenfeindlich motiviert; von den aufgeklärten Vorfällen des Vorjahres waren mehr als ein Drittel von Asylbewerbern selbst begangen worden.

Extremismusbericht des Bundesrates von 1992 (BRG 92.033)

Lautstark und gewalttätig setzte sich insbesondere die "Patriotische Front" in Szene, als deren Sprecher der in der Politik bisher nicht bekannte Marcel Strebel auftrat. Diese rund 20 zumeist junge Männer zählende rechtsradikale Organisation war Ende 1988 in der Innerschweiz gegründet worden. Sie trat erstmals im Mai mit einer Demonstration in Rotkreuz (ZG) und einer nächtlichen Jagd auf Asylbewerber in Zug öffentlich auf. Im November erregte sie mit ihrem gewalttätigen und von der anwesenden Polizei nicht verhinderten Eindringen in eine Flüchtlingsunterkunft in Steinhausen (ZG) landesweite Empörung. Diese Empörung richtete sich auch gegen das passive Verhalten der Polizei, welche dann allerdings doch noch aktiv wurde und einige Mitglieder der Patriotischen Front in Untersuchungshaft steckte. Ähnliche, aber weniger auf Medienwirksamkeit ausgelegte Aktionen gingen im Raum Schaffhausen auf das Konto von sogenannten Skins (Skinheads).

Patriotische Front