Mit den zahlreichen, 2015 anstehenden historischen Jubiläen – die Schlacht am Morgarten (1315), die Eroberung des Aargau (1415), Marignano (1515) und der Wiener Kongress (1715) – wurde die Geschichte der Schweiz mit einiger Wucht Gegenstand politischer Debatten. Kontrovers wurde die Bedeutung dieser Ereignisse für die Entstehung der modernen Schweiz diskutiert. Auf nationalkonservativer Seite, vor allem vertreten durch Exponenten der SVP und sekundiert durch die BaZ und die Weltwoche, wurde auch in eigens dafür organisierten (Wahl-)Veranstaltungen die mythische Bedeutung der historischen Ereignisse betont. Morgarten, Marignano und der Wiener Kongress seien die Wurzeln von Schweizer Neutralität und Unabhängigkeit, die es deshalb auch heute noch zu bewahren gelte. Einer Entmystifizierung redete hingegen die Linke das Wort, die den Ursprung des Bundesstaates mit 1848 gleichsetzt und – wenn schon historisch gefeiert werden solle – moderneren Ereignissen wie etwa dem siebzigsten Jahrestag des Endes des 2. Weltkrieges gedenken wollte. Auch Historiker mischten sich in die Debatte ein, wobei die moderne Geschichtswissenschaft gegenüber der Bedeutung von Einzelereignissen sowie deren Überlieferung eher skeptisch ist. Objektiv-historisch betrachtet dürften die Jubiläums-Ereignisse – insbesondere die beiden Schlachten – wohl nicht die geschichtlichen Wendepunkte der Eidgenossenschaft darstellen. Sie können jedoch als zentrale Elemente der Erinnerungskultur und der nationalen Identität betrachtet werden.
Im Rahmen einer durch eine Interpellation Stöckli (sp, BE) angeregte ständerätlichen Debatte zum Thema schaltete sich auch Bundesrat Alain Berset in die Diskussion ein. Er störte sich an der Art und Weise der Debatte, die, statt befruchtend zu wirken, eher zu einer unnötigen Spaltung in zwei sich konkurrierende Schweizen führe. Der Kulturminister gab zu bedenken, dass alle Erzählungen zu einer grossen gemeinsamen Geschichte gehörten. Man müsse sich aber stets bewusst sein, dass sich ein Geschichtsbild entwickle und dessen Interpretation Veränderungen unterworfen sei. Er rief deshalb zu mehr Zurückhaltung und Bescheidenheit auf.
Auch wenn die SVP die Jubiläen in ihren Wahlkampf einbaute und versuchte, ihr Narrativ des Abwehrkampfes eines kleinen Landes gegen fremde Übermächte zu instrumentalisieren, und auch wenn sich einzelne Historiker – allen voran Thomas Maissen – gegen diese Deutung auflehnten – eine wirklich breite öffentliche Debatte entwickelte sich kaum. Der Streit zwischen Mythos und Wahrheit blieb auf Elitenebene. Das öffentliche Interesse am Thema verflachte dagegen relativ schnell.

Geschichtsbild