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Jahresrückblick 2023: Verbände

Zu den bedeutsamsten Ereignissen des Jahres 2023 gehörten für viele Verbände die eidgenössischen Wahlen. Wohl am meisten Präsenz hatten dabei Economiesuisse, Arbeitgeber-, Gewerbe- und Bauernverband, die erhebliche Mittel in ihre gemeinsame Wahlkampagne «Perspektive Schweiz» investierten, welche zu einem (land)wirtschaftsfreundlich zusammengesetzten Parlament beitragen sollte. Dabei wurde insbesondere von links-grüner Seite, aber auch in Medienkommentaren und von vereinzelten Bürgerlichen darauf verwiesen, dass der SBV und die grossen Wirtschaftsverbände namentlich in den Themen Freihandel und Subventionen grundlegend andere Interessen hätten, die mit der Zusammenarbeit nur notdürftig zugedeckt und früher oder später aufbrechen würden. In den Medien wurde denn auch unterschiedlich eingeschätzt, inwieweit der Rechtsruck im Nationalrat tatsächlich im Sinn der grossen Wirtschaftsverbände sei, da er vor allem durch Gewinne der SVP zustandekam, die in europa- und migrationspolitischer Hinsicht oft andere Positionen vertritt als etwa Economiesuisse. Einig war sich die Presse indessen, dass der Bauernverband gestärkt aus den Wahlen hervorging. Vor allem im Zusammenhang mit den Wahlen konnte dieser gegenüber den Vorjahren auch seine Medienpräsenz deutlich steigern (siehe Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse).

Mit Vorwürfen sah sich im Wahlkampf der Gewerkschaftsbund (SGB) konfrontiert, weil er den Organisationsaufwand für eine grosse Kaufkraftdemonstration kurz vor den Wahlen nicht als Wahlkampfkosten gemäss der neuen Transparenzgesetzgebung zur Politikfinanzierung deklariert hatte. Der SGB legte sein Budget für die Demonstration daraufhin rasch offen, stellte sich aber auf den Standpunkt, es habe sich nicht um eine Wahlkampfveranstaltung gehandelt. Scharfe Kritik handelte sich sodann die Kampagnenorganisation Campax ein, als sie im Wahlkampf einen Aufkleber verbreitete, auf dem die SVP und die FDP mehr oder weniger explizit als «Nazis» bezeichnet wurden. Campax änderte das Sujet daraufhin ab, doch der Vorfall führte zu erneuten bürgerlichen Forderungen, die Regeln für politische Kampagnenaktivitäten von staatlich unterstützten NGOs zu verschärfen.

Mehrere Verbände mussten sich im Berichtsjahr mit bedeutenden internen Konflikten auseinandersetzen. Im Schweizer Tierschutz (STS) eskalierten Diskussionen um Spesenabrechnungen und Führungsstil zu einem heftigen Machtkampf zwischen der Präsidentin und einem Teil der übrigen Vorstandsmitglieder. Stärker politisch aufgeladen war ein Machtkampf zwischen konservativen und progressiven Kräften in der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), in dessen Zug der Vorstand alle Neueintritte bis 2024 sistierte, um einen befürchteten «Putsch» an der Mitgliederversammlung zu verhindern. Auch beim Konsumentenforum entbrannte ein Konflikt mit stark politischer Note, indem ein Vereinsmitglied der Verbandsspitze vorwarf, auf Kosten der Konsumentinnen- und Konsumenten-Interessen eine Kaperung der Organisation, insbesondere durch Wirtschaftsverbände, zu orchestrieren. Beim Hauseigentümerverband (HEV) war dessen Nein-Kampagne zum Klimagesetz Auslöser für interne Auseinandersetzungen und zahlreiche, teilweise prominente Verbandsaustritte. Zu einer Zerreissprobe kam es sodann bei der Frauen-Dachorganisation Alliance F, als deren Spitze sich im März im Parlament zugunsten der BVG-Reform einsetzte. Als Reaktion sistierten die SP Frauen zunächst ihre Verbandsmitgliedschaft und prüften unter anderem den Aufbau einer neuen, linken Frauen-Dachorganisation. Schliesslich entschieden sie jedoch, unter bestimmten Bedingungen vorerst doch bei Alliance F zu bleiben.

Beim Gewerbeverband (SGV) fielen Auseinandersetzungen um die politische Ausrichtung des Verbands derweil mit einem Personalgeschäft zusammen, das dem Verband deutlich mehr mediale Aufmerksamkeit bescherte als in den Vorjahren (siehe Abbildung 2): Als Nachfolger des langjährigen Verbandsdirektors Hans-Ulrich Bigler wurde zunächst Henrique Schneider gewählt, aufgrund einer Plagiatsaffäre wurde Schneiders Wahl jedoch noch vor dessen Amtsantritt widerrufen. So wählte der SGV mit Urs Furrer letztlich einen Verbandsdirektor, von dem die Medien einen moderateren Kurs erwarteten als von Bigler und Schneider. Reibungsloser ging die Neubesetzung von Spitzenposten in einer Reihe anderer Verbände über die Bühne, so beim Arbeitgeberverband, bei der Syna, beim VPOD, beim Versicherungsverband, bei Curafutura, bei der Bankiervereinigung, bei Avenir Suisse und bei Auto Schweiz.

Grössere strukturelle Veränderungen gab es in der Schweizer Verbandslandschaft 2023 kaum. Mit «Cinéconomie» wurde eine neue Allianz von Interessenorganisationen der Filmwirtschaft gegründet. Die Bankiervereinigung konnte die Rückkehr von Raiffeisen in den Verband verzeichnen, wohingegen der Krankenkassenverband Curafutura den Austritt der KPT hinnehmen musste.

Mediale Aufmerksamkeit für eigene inhaltliche Forderungen erzielte der Arbeitgeberverband mit einem Papier zum Fachkräftemangel, in dem er unter anderem längere und flexiblere Arbeitszeiten forderte, was starke Kritik von den Gewerkschaften provozierte. Der Mieterinnen- und Mieterverband forderte in der Diskussion um die steigenden Mieten insbesondere staatliche Mietzinskontrollen gegen missbräuchliche Mieten und deutlich mehr gemeinnützigen Wohnungsbau. Auch verschiedene Gruppierungen der Klimabewegung versuchten, Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu generieren, wobei sie wie in den Vorjahren wiederum zu teilweise umstrittenen Aktionsformen griffen.

Jahresrückblick 2023: Verbände
Dossier: Jahresrückblick 2023

Jahresrückblick 2023: Bevölkerung und Arbeit

Im Themenbereich «Bevölkerung und Arbeit» stand 2023 die Furcht vor dem Fachkräftemangel im Mittelpunkt. So wurden die Gründe, Folgen und Gegenmittel dazu in den Medien breit diskutiert. Im Parlament hiess der Erstrat eine Motion gut, welche Personen aus Drittstaaten, die eine höhere Berufsbildung in der Schweiz abgeschlossen haben, ein Bleiberecht gewähren wollte. Zugleich hiess das Parlament einen Gesetzesentwurf zur Schaffung einer Plattform zur elektronischen Kommunikation zwischen Vollzugsorganen der flankierenden Massnahmen gut.

Mit dem Fachkräftemangel verbunden waren auch Diskussionen zur Arbeitszeit. So forderten mehrere Vorstösse eine Reduktion der Arbeitszeit auf 35 Wochenstunden oder alternativ eine 4-Tage-Arbeitswoche, eine zusätzliche Ferienwoche für alle oder zumindest sechs Ferienwochen für Lernende bis zum 20. Altersjahr. Sämtliche Vorstösse scheiterten jedoch im Parlament, wobei der Fachkräftemangel als Hauptgrund für die Ablehnung der Forderungen zur wöchentlichen Arbeitszeitreduktion genannt wurde. Hingegen präsentierte die WAK-NR in Umsetzung einer parlamentarischen Initiative einen Entwurf, mit dem die teilhabenden Arbeitnehmenden bei Start-ups von der Pflicht zur Zeiterfassung befreit werden sollten, um den Arbeitsmarkt für Start-ups zu flexibilisieren.

Auch das Thema der Löhne wurde häufig im Kontext des Fachkräftemangels diskutiert. Die entsprechenden Diskussionen verstärkten sich, als das BFS Ende Oktober bekannt gab, dass die in den GAV festgelegten nominalen Effektivlöhne sowie Mindestlöhne im Vergleich zum Vorjahr angestiegen waren. Das Parlament hingegen diskutierte über eine Beschränkung der variablen Lohnbestandteile, insbesondere bei Geschäftsleitung und Verwaltungsrat – auch als Konsequenz des Zusammenbruchs der Credit Suisse. Im Jahr 2023 berichteten die Medien etwas häufiger über die Löhne als in den vergangenen vier Jahren, wie die Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse zeigt.

Aber auch allgemein waren die Arbeitsbedingungen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt Thema, vor allem in Bezug zu Online-Plattformen. So verlangten zwei abgelehnte Vorstösse, dass für Plattform-Mitarbeitende generell das Vorliegen eines Arbeitsvertrags vermutet wird und dass die Kantone die Einhaltung des Arbeitsrechts durch Anbietende von Plattform-Anstellungen überprüfen müssen. Insgesamt erwies sich der Gesundheitszustand der Schweizer Arbeitnehmenden gemäss einer vom SECO durchgeführten Studie im Allgemeinen als gut, insbesondere im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Rund ein Viertel der Befragten erachteten aber ihre Sicherheit oder Gesundheit durch die Arbeit als gefährdet.

Insbesondere im Wahlkampf wurde das Bevölkerungswachstum in der Schweiz diskutiert. So hatte die Wohnbevölkerung (inklusive der nicht ständigen Wohnbevölkerung) der Schweiz im Jahr 2023 die Zahl von 9 Millionen Menschen überschritten. Der Nationalrat nahm in der Folge ein Postulat an, das den Bundesrat beauftragte, das Zukunftsbild einer Schweiz mit einer Wohnbevölkerung von 10 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zu illustrieren. Zudem lancierte die SVP Anfang Juli die Initiative «Nein zur 10-Millionen-Schweiz», um das Bevölkerungswachstum zu stoppen.

Jahresüberblick 2023: Bevölkerung und Arbeit
Dossier: Jahresrückblick 2023

Der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) wählte im November 2023 den Genfer Anwalt und SP-Nationalrat Christian Dandrès zu seinem neuen Präsidenten. Dandrès war der einzige Kandidat und wurde einstimmig gewählt. Er folgte auf Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH), die der Gewerkschaft seit 2010 vorgestanden hatte und altershalber zurücktrat.
Gemäss Medienmitteilung möchte Dandrès mit dem VPOD nicht nur Besitzstände verteidigen, sondern für einen gesellschaftlichen und politischen Wandel kämpfen, bei dem Profitinteressen zugunsten der Bedürfnisse der Bevölkerung in den Hintergrund gedrängt werden. Der VPOD müsse dabei den Schulterschluss mit den jeweiligen Nutzenden der öffentlichen Angebote suchen, die ebenfalls ein grosses Interesse etwa an guten Kitas oder Spitälern hätten. Dandrès sah im Service public auch den Schlüssel für eine ökologische Umgestaltung der Wirtschaft. Die anlaufenden Verhandlungen über ein neues Vertragspaket mit der EU wolle er als Chance nutzen, um das bisher «schwachbrüstig[e] Schweizer Arbeitsrech[t]» zu stärken.

Neuer Präsident beim VPOD

Ende Oktober 2023 veröffentlichte das BFS die neuen Daten über die Entwicklung der Effektiv- und Mindestlöhne 2023. Im Vergleich zum Vorjahr verzeichneten die nominalen Effektivlöhne im Rahmen der wichtigsten GAV, also der GAV mit mindestens 1500 unterstellten Arbeitnehmenden, einen erheblichen Anstieg: Sie stiegen durchschnittlich um 2.5 Prozent (2022: 0.8%) an. Die in den GAV festgelegten Mindestlöhne erhöhten sich um 1.9 Prozent (2022: 0.6%). Angesichts der Prognosen zur Inflation für das Jahr 2023 wurde eine leicht positive Entwicklung der Reallöhne im GAV erwartet (0.3%).

Entwicklung der Effektiv- und Mindestlöhne 2023
Dossier: Lohnentwicklung

Die Delegierten der Syna wählten im Oktober 2023 Yvonne Feri zu ihrer neuen Präsidentin. Die Wahl von Feri, die per Dezember desselben Jahrs nach zwölf Jahren ihr Amt als SP-Nationalrätin abgab, war für die Syna in doppelter Hinsicht ein Meilenstein: Zum einen bekam die 1998 als erste Allbranchengewerkschaft der Schweiz entstandene Syna erstmals eine Frau als Präsidentin. Zum anderen beendete Feris Wahl auch eine über einjährige Vakanz im Präsidium. Dieses war verwaist gewesen, seitdem 2022 ein Machtkampf zwischen Vorstand und Geschäftsleitung eskaliert war und zur Freistellung der gesamten Geschäftsleitung geführt hatte. Da der Geschäftsleitungschef bis dahin gleichzeitig auch Präsident gewesen war, hatte die Gewerkschaft damit auch ihren Präsidenten verloren.
Diese Verflechtung zwischen strategischen und operativen Leitungsgremien besteht künftig nicht mehr, dafür hatte die Syna bereits vor Feris Wahl mit einer Statutenrevision gesorgt. Die strategische Ausrichtung in politischer und organisatorischer Hinsicht fällt fortan in die Zuständigkeit von Präsidium und Vorstand, während Geschäftsleitung und Zentralsekretariate die operativen Belange wie Vertragsverhandlungen und das Tagesgeschäft verantworten. Der neue Vorsitzende der Geschäftsleitung, Johann Tscherrig, befand, dass mit dieser Neuaufstellung «die Zeit der internen Machtspiele definitiv vorbei» sei. Auch die Aargauer Zeitung sah den Machtkampf als beendet an, der Vorstand habe ihn für sich entschieden. Laut Quellen «aus dem Syna-Umfeld» herrsche intern indessen weiterhin Verunsicherung. Eine Ursache dafür sei, dass sich in einer «Machtdemonstration» des Vorstands alle Geschäftsleitungsmitglieder, die 2022 an die Stelle des gekündigten Vorgängergremiums getreten waren, im neuen Jahr erneut um ihre Jobs bewerben mussten – in einem Fall ohne Erfolg. Daneben wies die Aargauer Zeitung noch auf eine zweite Herausforderung hin: Mit Ausnahme der neuen Präsidentin seien alle Vorstandsmitglieder «Basismitglieder», die nun plötzlich strategische Verantwortung für die mit rund 55'000 Mitgliedern zweitgrösste Gewerkschaft der Schweiz übernehmen müssten. Gewählt worden seien sie aber noch «im alten, von der operativen Geschäftsleitung dominierten System», in dem ihre Rolle eher die eines «Sounding Boards» der Geschäftsleitung gewesen sei.
Nebst der Besetzung des Präsidiums beschloss der Syna-Kongress 2023 auch über die Schwerpunktforderungen der Gewerkschaft für die nächsten vier Jahre. Dazu zählten unter anderem die Einführung einer obligatorischen Krankentaggeldversicherung, die Abschaffung des Koordinationsabzuges in der 2. Säule, ein obligatorischer 13. Monatslohn für alle Arbeitnehmenden oder die Aufwertung des 1. Mai zu einem nationalen Feiertag. Präsidentin Feri nannte als ihre persönlichen Prioritäten zudem Working Poor und Armut, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie physischen und psychischen Gesundheitsschutz.

Umbruch bei der Syna

Der Ständerat beugte sich in der Herbstsession 2023 über eine Motion der APK-NR zur sozialpartnerschaftlichen Lösung im EU-Dossier. Wie Kommissionssprecher Matthias Michel (fdp, ZG) ausführte, war die vorberatende APK-SR zum Schluss gekommen, dass der Vorstoss abgelehnt werden soll. Dies liege vor allem daran, dass aktuell eine andere europapolitische Lage vorherrsche als zum Zeitpunkt der Einreichung der Motion. Der Bundesrat sei nun mit «seinem Plan zur Stabilisierung wie auch zur Weiterentwicklung der Beziehungen zur EU» wesentlich weiter. So habe er im Juni 2023 die wichtigsten Punkte und das weitere Vorgehen zur Erarbeitung eines Verhandlungsmandats mit der EU festgelegt. Die Annahme und Umsetzung der Motion und damit das Herauslösen des Aspekts der flankierenden Massnahmen aus dem gesamten Prozess würden aus Sicht der Kommission das weitere Vorgehen unnötig verkomplizieren und verzögern. Auch Wirtschaftsminister Guy Parmelin riet von einer Annahme der Motion ab. Er erläuterte, inwiefern die Sozialpartner bereits heute eng in die Arbeiten des Bundes im Hinblick auf neue Verhandlungen mit der EU involviert sind. Anschliessend lehnte der Ständerat die Motion stillschweigend ab.

Sozialpartnerschaftliche Lösungen im EU-Dossier (Mo. 22.3871)

Die Delegierten der 30'000 Mitglieder zählenden Medien- und Kommunikations-Gewerkschaft Syndicom wählten im Juni 2023 Matteo Antonini zu ihrem neuen Präsidenten. Antonini war davor bereits als Leiter des Sektors Logistik für Syndicom tätig gewesen. In der Medienmitteilung wurde er mit der Überzeugung zitiert, «dass Gewerkschaften mittels Gesamtarbeitsverträgen und deren praktischer Kontrolle die Arbeitswelt positiv verändern können».
Antonini löste Daniel Münger ab, der seit 2017 an der Spitze der Gewerkschaft gestanden hatte und nun das Pensionsalter erreicht hatte. Als Erfolge von Müngers Amtszeit erwähnte Syndicom die Aushandlung und teilweise Allgemeinverbindlicherklärung neuer Gesamtarbeitsverträge in den Branchen Velokurier, Contact- und Callcenter sowie Netzinfrastruktur.

Neuer Präsident bei Syndicom

Ende April 2023 publizierte das BFS die Daten und Analysen zur Lohnentwicklung 2022. Im Vergleich mit 2021 hatten sich die Nominallöhne durchschnittlich um 0.9 Prozent erhöht, wobei sie im sekundären Sektor um 0.7 Prozent und im tertiären Sektor um 1 Prozent angestiegen waren. In Bezug auf die Geschlechtsunterschiede verzeichneten die Nominallöhne der Männer einen Anstieg von 1.1 Prozent, während diejenigen der Frauen um 0.8 Prozent zunahmen. Die Sozialpartner der wichtigsten GAV hatten für das Jahr 2022 eine kollektivvertragliche Erhöhung der Nominallöhne um 0.3 Prozent beschlossen.
Weniger erfreulich war hingegen die Entwicklung der Kaufkraft der Löhne – also der Reallöhne. Diese waren in Anbetracht der Inflation und der «Krise der Lebenskosten» um 1.9 Prozent zurückgegangen. Dabei hatten sich die Reallöhne in fast allen Branchen verringert, nur in der Herstellung von chemischen und pharmazeutischen Erzeugnissen rechnete man mit einem Anstieg. Wie die NZZ verdeutlichte, stiegen die Löhne vor allem in jenen Branchen, in denen die Produktivität höher war.
In den Medien war die Lohnentwicklung bereits ab März 2022 ein grosses Thema. So war ab Beginn des Ukraine-Krieges ein Preisanstieg spürbar, wodurch auch die Forderungen der Gewerkschaften nach Lohnerhöhungen lauter wurden. Im Juni forderte gemäss Tages-Anzeiger auch Bundesrat Guy Parmelin (svp, VD) Lohnverhandlungen zwischen den Sozialpartnern und den Unternehmen. Zum Leidwesen der Arbeitnehmenden wollten jedoch die meisten Unternehmen die Löhne nicht erhöhen, wie eine in den Medien im März 2022 zitierte Umfrage unter den Personal­verantwortlichen von 337 Deutschschweizer Unternehmen mit 680'000 Mit­arbeitenden zeigte. Im November 2022 deutete eine von der UBS durchgeführte Umfrage bei 290 Unternehmen und Verbänden aus 22 Branchen an, dass nur 20 Prozent der Firmen einen vollständigen Teuerungsausgleich für die Jahre 2022 und 2023 vornehmen würden. Emilie Gaschet, Ökonomin bei der Credit Suisse, erklärte gegenüber dem Tages-Anzeiger, dass die Arbeitnehmenden mit ihren Lohnforderungen zurückhaltend seien, um das Risiko der Arbeitslosigkeit zu minimieren.

Lohnetnwicklung 2022
Dossier: Lohnentwicklung

Im März 2021 reichte Susanne Vincenz-Stauffacher (fdp, SG) ein Postulat ein, mit dem sie den Bundesrat beauftragen wollte, die Kommunikation der Lohnstrukturerhebung für die Bevölkerung zu verbessern. Konkret sollten eine bessere Berichtsstruktur sowie eine klarere Erläuterung der unerklärbaren Lohndifferenz dabei helfen, dass die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen von der Öffentlichkeit besser verstanden werden. In seiner Stellungnahme vom Mai 2021 beantragte der Bundesrat, das Postulat abzulehnen. Das BFS sei bereits dabei, seine Kommunikationsmassnahmen zu dieser Analyse anzupassen, um deren Verständlichkeit zu verbessern. Im März 2023 wurde das Postulat abgeschrieben, da es nicht innert zwei Jahren vom Nationalrat behandelt worden war.

Kommunikation der Lohnstrukturerhebung verbessern (Po. 21.3316)

Jahresrückblick 2022: Verbände

In der Schweizer Verbandslandschaft kam es im Jahr 2022 zu einigen Veränderungen. So löste sich etwa die Aktion für eine unabhängige Schweiz (AUNS), die mit dem EWR-Nein vor genau 30 Jahren ihren grössten Erfolg gefeiert hatte, auf Betreiben ihres Gründervaters Christoph Blocher auf und schloss sich mit zwei kleineren EU-kritischen Vereinen zur neuen Organisation «Pro Schweiz» zusammen. Angestrebt wird eine verbesserte Referendums- und Initiativfähigkeit, nachdem es um die AUNS zuletzt relativ ruhig geworden war. Mit der Neutralitätsinitiative beschloss «Pro Schweiz» an ihrer Gründungsversammlung denn auch gleich die Lancierung ihres ersten Initiativprojekts.

Auch bei den grossen Wirtschaftsverbänden gab es Neuerungen. Nachdem sich Economiesuisse, der Arbeitgeberverband (SAV) und der Gewerbeverband (SGV) schon 2021 zu einer engeren Zusammenarbeit bekannt hatten, schlossen sie im Sommer 2022 auch mit dem Bauernverband (SBV) eine «strategische Allianz». Die vier Allianzpartner wollen sowohl bei Abstimmungskämpfen als auch im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen 2023 vermehrt «gemeinsam für eine wirtschafts- und agrarfreundliche Politik kämpfen». Der Schritt wurde weitherum als Reaktion darauf gewertet, dass die Wirtschaftsverbände zuletzt zunehmend Schwierigkeiten bekundet hatten, bei Volksabstimmungen Mehrheiten für ihre Positionen zu erhalten. Auch 2022 mussten sie aus ihrer Sicht schmerzhafte Abstimmungsniederlagen einstecken, einerseits mit der Annahme der Initiative für ein Tabakwerbeverbot und des Filmgesetzes, andererseits mit der Ablehnung der Reformen der Stempelsteuer und der Verrechnungssteuer. Dass sie sich hingegen im September mit dem Ja zur AHV-21-Reform an der Urne knapp durchsetzen konnten, wurde teilweise als erste Frucht der neuen Allianz mit dem SBV interpretiert. Der SBV wiederum konnte sich über das deutliche Nein zur Massentierhaltungsinitiative freuen.

Eine besondere Entwicklung nahm im Jahresverlauf das Verhältnis zwischen den Krankenkassenverbänden Curafutura und Santésuisse, das meist angespannt gewesen war, seitdem sich Curafutura 2013 von Santésuisse abgespaltet hatte: Aufgrund zahlreicher inhaltlicher Differenzen, aber offenbar auch persönlicher Animositäten erreichte dieses Verhältnis im Frühling 2022 zunächst einen Tiefpunkt, und Gesundheitspolitikerinnen und -politiker aus dem gesamten politischen Spektrum äusserten erheblichen Unmut über die schwierige Zusammenarbeit mit den tief zerstrittenen Verbänden. Bis im Herbst entspannte sich das Verhältnis indessen deutlich, und beide Verbandsspitzen sprachen gar öffentlich von einer möglichen Wiedervereinigung.

Keine Fusion wird es bis auf Weiteres zwischen dem VPOD und dem Bundespersonalverband (PVB) geben. Nachdem die beiden Gewerkschaften einen solchen Schritt 2022 zunächst erwogen hatten, wurde diese Option vom PVB schliesslich verworfen. Der PVB will stattdessen eine Lösung aushandeln, bei der er als Kollektivmitglied dem VPOD beitreten könnte, womit seine unabhängige Rechtspersönlichkeit gewahrt bliebe und dennoch eine engere Verzahnung der beiden Gewerkschaften erreicht würde.
Die Syna sorgte einerseits mit internen Konflikten für Aufmerksamkeit und andererseits mit einem von ihr und der Unia intensiv geführten Kampf mit dem Baumeisterverband (SBV) um Anpassungen am Landesmantelvertrag im Bauhauptgewerbe. Die Gewerkschaften veranlassten in dessen Rahmen im Herbst eine landesweite Reihe von Arbeitsniederlegungen auf Baustellen.
An der Abstimmungsurne war die Bilanz auch für die Gewerkschaften gemischt: Während sie bei der Erhöhung des Frauenrentenalters im Rahmen der AHV-Reform und beim Medienpaket schmerzhafte Niederlagen einstecken mussten, standen sie bei den Abstimmungen zur Stempel- und zur Verrechnungssteuer sowie zum Filmgesetz auf der Siegerseite.

Schwierig verlief das Jahr für mehrere Organisationen, die in den letzten Jahren im Rahmen der Protestbewegung gegen die Covid-19-Massnahmen des Bundesrats entstanden waren. So wurden die «Freunde der Verfassung» von internen Konflikten und zwei Rücktrittswellen aus dem Vereinsvorstand erschüttert. Auch bei den Freiheitstrychlern entbrannte ein heftiger Konflikt zwischen zwei Führungspersonen, es kam zu Drohungen und Polizeieinsätzen. Der Verein «Mass-voll» wiederum musste gleich zu Beginn des Jahres eine grössere Abspaltung verkraften, als viele Mitglieder einen neuen Verein mit weniger politischer Ausrichtung gründeten. Insgesamt wurde es um diese Organisationen im Vergleich zum Vorjahr deutlich stiller, teils wohl wegen einer gewissen Lähmung durch diese internen Konflikte und teils wegen des Wegfalls der wichtigsten Triebfeder und Zielscheibe ihrer Proteste: Der Bundesrat hatte im Frühling 2022 die meisten Covid-Massnahmen aufgehoben. Dem Versuch eines Teils der Bewegung, unter dem Namen «Aufrecht Schweiz» bei verschiedenen kantonalen und kommunalen Parlaments- und Regierungswahlen politische Ämter zu erringen, war kein Erfolg beschieden. Die «Freunde der Verfassung» und «Mass-voll» konnten sich immerhin über die Ablehnung des Medienpakets im Februar freuen, zu dessen Gegnerinnen und Gegnern sie zählten.

Auch verschiedene Gruppierungen der Klimabewegung vermochten sich und ihre Forderungen nach griffigeren Klimaschutzmassnahmen ins mediale Scheinwerferlicht zu rücken. Um dies zu erreichen und der Dringlichkeit ihrer Anliegen Nachdruck zu verleihen, bedienten sie sich nebst Demonstrationen auch umstrittener und möglicherweise unerlaubter Aktionsformen. Dazu gehörten beispielsweise ein Aufruf zur Militärdienstverweigerung (Waadtländer Sektion von «Klimastreik Schweiz»), die Blockade von Verkehrsachsen («Renovate Switzerland») oder das Luftablassen aus Reifen von Geländewagen («The Tyre Extinguishers»). Kritikerinnen und Kritiker monierten, dass sich solche Gruppierungen radikalisiert hätten und damit den eigenen Anliegen einen Bärendienst erwiesen, weil sie die breite Öffentlichkeit gegen sich aufbrächten und diese mehr über die Aktionsformen als über die inhaltlichen Forderungen der Klimabewegung diskutiere.

Insgesamt waren die Verbände in den Medien etwa gleich oft Thema wie in den beiden Vorjahren. Erhöhte Aufmerksamkeit gab es im Februar für die doppelte Abstimmungsniederlage der Economiesuisse (Kategorie «Industrieverbände»), im Mai für die Bemühungen der Tourismusverbände um die Einstellung ukrainischer Flüchtlinge, im Frühling für die Konflikte bei den Covid-Protestorganisationen und für die F-35-Initiative der GSoA («ausserparteiliche Interessen») und schliesslich im Herbst für die Arbeitsniederlegungen auf den Baustellen und die Lohnforderungen der Gewerkschaften (siehe die APS-Zeitungsanalyse 2022 im Anhang).

Jahresrückblick 2022: Verbände
Dossier: Jahresrückblick 2022

Jahresrückblick 2022: Bevölkerung und Arbeit

Das zentrale Thema im Politikbereich «Bevölkerung und Arbeit» stellten im Jahr 2022 die Löhne allgemein und das Lohndumping im Speziellen dar.

Allgemein standen die Löhne insbesondere Mitte des Jahres und ab Oktober im Zentrum der Diskussion – wie auch Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse 2022 verdeutlicht –, als die Gewerkschaften als Reaktion auf die Teuerung immer stärker auf eine Lohnerhöhung pochten. Die Löhne für das Jahr 2023 sollten demnach bis zu 4 Prozent ansteigen, um so die Senkung der Kaufkraft und der Reallöhne aufgrund der steigenden Inflation auszugleichen. Mit Lohnerhöhungen beschäftigte sich im Mai auch der Nationalrat, der eine Motion der SP-Fraktion, die eine Auszahlung von CHF 5'000 als Prämie für alle in der Covid-19-Pandemie als systemrelevant eingestuften Arbeitskräfte verlangte, deutlich ablehnte. Noch einmal Aufschwung erhielt die Diskussion um die Löhne im November 2022, als das BFS in einem Bericht die durchschnittliche Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern auf 18 Prozent bezifferte.

Das Thema «Lohndumping» stand insbesondere bei der Änderung des Entsendegesetzes (EntsG) zur Debatte. Dieses zielt darauf ab, die Anwendung der kantonalen Mindestlöhne schweizweit auf entsandte Arbeitnehmende auszudehnen. Zwar hatte der Nationalrat die Gesetzesänderung im März 2022 deutlich angenommen, der Ständerat sprach sich in der Sommersession jedoch gegen Eintreten aus. Damit brachte er die Gesetzesänderung nach zwei Jahren Arbeit zum Scheitern.
Ein Mittel gegen Lohndumping – mittels Anpassung der Bestimmungen zur missbräuchlichen Kündigung im OR – suchte auch der Kanton Tessin durch eine Standesinitiative, welcher der Ständerat in der Frühlingsession jedoch keine Folge gab. Thematisiert wurde das Lohndumping schliesslich auch in einer weiteren Tessiner Standesinitiative, welche die Einführung einer Informationspflicht über Lohndumping-Verfehlungen im Bereich des Normalarbeitsvertrages verlangte und welche das SECO 2022 zur Zufriedenheit der WAK-SR umsetzte.

Doch nicht nur bezüglich Lohndumping diskutierte das Parlament über ausländische Arbeitskräfte, auch die Abhängigkeit des Gesundheits- und Sozialwesen von ausländischem Personal wurde in der Sondersession 2022 thematisiert. Dabei lehnte das Parlament ein Postulat ab, das eine Strategie zur Verringerung dieser Abhängigkeit anstrebte. Mehr Anklang fand hingegen eine Motion, gemäss der die Stellenmeldepflicht wieder auf diejenigen Berufsarten beschränkt werden soll, die eine schweizweite Arbeitslosenquote über 8 Prozent aufweisen – sie wurde der Kommission zur Vorberatung zugewiesen.

Als Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie wurde auch im Jahr 2022 über die Flexibilisierung der Arbeitsformen gesprochen. Der Ständerat lehnte eine Motion ab, mit der das Arbeitsrecht bezüglich Homeoffice flexibler hätte gestaltet werden sollen. Zuspruch fand hingegen ein Postulat für eine Untersuchung der Auswirkungen neuer Arbeitsformen auf die [Verkehrs-]Infrastrukturen.

Thematisiert wurde schliesslich auch das öffentliche Beschaffungswesen, wobei der Bundesrat im August einen Bericht zur Sicherstellung der Einhaltung der sozialen Mindestvorschriften im öffentlichen Beschaffungswesen veröffentlichte. Darin beurteilte er das bestehende Kontroll- und Sanktionssystem zur Einhaltung der entsprechenden Vorschriften als angemessen. Eine weitergehende Forderung, wonach die Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen so angepasst werden soll, dass auch Prinzipien aus anderen von der Schweiz nicht ratifizierten Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu sozialen Mindestnormen eingehalten werden müssen, scheiterte hingegen am Ständerat.

Jahresrückblick 2022: Bevölkerung und Arbeit
Dossier: Jahresrückblick 2022

Von einer «Krise der Lebenskosten» sprach die Aargauer Zeitung Mitte September 2022 im Zusammenhang mit dem starken Kostenanstieg vieler Güter und Dienstleistungen in Europa. Die Energiekosten, welche aufgrund des Ukraine-Kriegs angestiegen waren, galten dabei als Haupttreiber für die steigenden Preise. Während in anderen Ländern Europas die Inflation im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat auf über 10 Prozent anstieg, kletterte die Inflation in der Schweiz im August 2022 auf vergleichsweise tiefe 3.5 Prozent. Im September und Oktober konnte die Schweiz sogar einen Rückgang der Inflation auf 3.3 und 3 Prozent verbuchen – dies, nachdem der LIK während rund zwei Jahren stetig angestiegen war. Gemäss der Westschweizer Zeitung «La Liberté» konnte dieser Rückgang der Inflation vor allem auf die leicht gesunkenen inländischen Preise von Erdölprodukten zurückgeführt werden.
Die Schweiz war von den Preiserhöhungen allgemein weniger stark betroffen als ihre Nachbarländer, da die Preise vor allem bei Importgütern anstiegen und der sich stetig aufwertende Franken diese Differenzen teilweise kompensieren konnte, wie die Medien berichteten. Für den Import von Gütern aus dem EU-Raum mussten zwar mehr Euro bezahlt werden, da der Schweizer Franken aber an Wert gewann, wurde der Kauf von Euro mit Schweizer Franken gleichzeitig günstiger.
Dennoch stand das Thema der Preiserhöhungen im Fokus der medialen Debatte. Allgemein teurer wurden die fossilen Energieträger sowie die Elektrizität, was insbesondere auch Unternehmen zu spüren bekamen. Von den Konsumgütern besonders betroffen waren beispielsweise Kaffee – «Inflationsschock an der Kaffeemaschine» titelte etwa die Aargauer Zeitung –, Bier, Fleisch, Tiefkühlwaren, Milchprodukte, Speiseöle, Zahnpflegeprodukte, Kleidung sowie auch Papier, wie der Tages-Anzeiger im November berichtete. Für Speiseöle mussten Konsumentinnen und Konsumenten im Schnitt beinahe 20 Prozent mehr bezahlen als noch im Vorjahr. Wie der «Blick» im September vorrechnete, seien die Preise für Güter des täglichen Bedarfs um 5.9 Prozent, jene für Kleider und Schuhe um 3.7 Prozent, diejenigen für Strom bei Privathaushalten um 27 Prozent und jene für Heizöl oder Gas bei Privathaushalten um 86 bzw. 58 Prozent angestiegen – die Stärke der Teuerung unterschied sich aber nach Regionen. Aufs Portemonnaie der Haushalte schlugen schliesslich auch die im Herbst angekündigten Erhöhungen der Krankenkassenprämien, welche nicht direkt in die Berechnung des LIK einfliessen: Die mittlere Prämie wird gemäss einer Mitteilung des Bundesrates von Ende September im Jahr 2023 um durchschnittlich 6.6 Prozent ansteigen.

Gleichzeitig wurde in den Lohnverhandlungen klar, dass die Löhne weniger stark ansteigen würden als die Inflationsrate. Während einige vor einer Lohn-Preis-Spirale warnten, argumentierten andere, dass ein realer Kaufkraftverlust nicht hinzunehmen sei und die Teuerung in den Löhnen ausgeglichen werden müsse. Im Parlament wurde in der Folge in einer ausserordentlichen Session darüber debattiert, ob die öffentliche Hand den Bürgerinnen und Bürgern finanziell unter die Arme greifen müsse, um die gestiegenen Lebenskosten stemmen zu können. Die SP und die Mitte forderten einerseits, die Teuerung bei den Renten auszugleichen. Andererseits wollten sie die Bevölkerung auch bei den Krankenkassenprämien entlasten. Die SP verlangte weiter einen «chèque fédéral», welcher der Bevölkerung übergeben werden soll, falls die Teuerung gegenüber dem Vorjahr die Marke von über 5 Prozent übersteigt. Zudem präsentierte die Partei die Idee, die Nebenkosten für Heizöl und Gas für Mieterinnen und Mieter zu deckeln. Die SVP verlangte, die Preise für Benzin zu senken, um Autofahrerinnen und Autofahrer zu entlasten. Weiter forderte die Volkspartei, die Krankenkassenprämien vollumfänglich bei der direkten Bundessteuer abziehen zu können und den Eigenmietwert für Rentnerinnen und Rentner aufzuheben. Die Grünen stellten indes die Idee vor, für Menschen mit geringem Einkommen Gutscheine für den öffentlichen Verkehr auszustellen. Abwarten wollten hingegen die GLP sowie die FDP, da sie die Teuerung derzeit für zu wenig hoch hielten, als dass sie solche Eingriffe rechtfertigen würde.

Um der Inflation entgegenzuwirken, hob die Nationalbank den Leitzins im Juni und im September um insgesamt 1.25 Prozentpunkte an. Während der Leitzins zu Jahresbeginn noch bei -0.75 Prozent gelegen hatte, erhöhte ihn die SNB im Juni auf -0.25 Prozent, im September auf +0.5 Prozent und im Dezember auf +1 Prozent. Das jahrelange «Zeitalter der Negativzinsen» war damit beendet, wie SRF titelte.

Gesellschaftliche Debatte um die Inflationsproblematik & Lebenshaltungskosten im Jahr 2022

Im Dezember 2022 präsentierte der Bundesrat seinen Bericht in Erfüllung eines Postulats der WAK-NR, welches der Nationalrat 2015 angenommen hatte. Wie die Kommission gefordert hatte, berichtete der Bundesrat über die Verteilung des Wohlstandes in der Schweiz, insbesondere auch über Einnahmen und Entwicklung des reichsten Prozents der Schweizerinnen und Schweizer. Demnach betrug das durchschnittliche Bruttoeinkommen der Privathaushalte 2019 CHF 9'582 pro Monat, 31 Prozent davon (CHF 2'973) wendeten die Haushalte für obligatorische Ausgaben (z.B. Steuern, Sozialausgaben und Krankenkassenprämien) auf, CHF 4'985 standen für den Konsum von Gütern oder Dienstleistungen zur Verfügung. Zwischen 1998 und 2014 sei das mediane verfügbare Äquivalenzeinkommen um 15 Prozent angestiegen, zwischen 2015 und 2019 habe es jedoch stagniert. Kaum verändert habe sich die Verteilung der Einkommen, was gemäss Bericht auch auf die umverteilende Wirkung staatlicher oder staatlich geregelter Transfers zurückzuführen sei. Zwischen den Regionen gebe es ungleiche Einkommensverteilung, wobei insbesondere in den alpinen und voralpinen Regionen sowie im Jura und in einigen Tourismusregionen die niedrigsten Einkommen zu beobachten seien. Auch innerhalb der Kantone gebe es ungleiche Verteilungen der Einkommen, insbesondere in den Kantonen Schwyz, Genf und Zug.
Der Bericht wies überdies – wie vom Postulat gefordert – für das Jahr 2018 den Anteil an Personen aus, deren Reineinkommen über dem doppelten Medianeinkommen lag: Sie machten 16.2 Prozent der Steuerpflichtigen aus, verfügten über 44.9 Prozent der Gesamteinkommen der Schweiz und zeigten sich für 83.5 Prozent der Eingänge der Bundessteuer verantwortlich.

Stillschweigend schrieb der Nationalrat die Motion in der Folge auf Antrag des Bundesrates ab.

Ergänzung des Wohlstandsberichtes (Po. 15.3381)

Im November 2022 bestätigte der Kongress des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) seinen seit 2018 amtierenden Präsidenten Pierre-Yves Maillard (sp, VD) einstimmig für vier weitere Jahre in diesem Amt. Einen Wechsel gab es im Vizepräsidium: Natascha Wey, die wenige Monate davor Generalsekretärin des VPOD geworden war, ersetzte den bisherigen SGB-Vizepräsidenten Giorgio Tuti. Tuti hatte davor bekanntgegeben, anfangs 2023 auch als Präsident der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV) zurückzutreten. Das zweite SGB-Vizepräsidium bleibt bei Unia-Chefin Vania Alleva. Damit werden die beiden Posten des Vizepräsidiums weiterhin von zwei Spitzenvertreterinnen grosser Mitgliedsgewerkschaften des SGB besetzt.

Wechsel im Vizepräsidium des SGB

Im November 2022 publizierte das BFS neue Daten zur Lohndifferenz zwischen Mann und Frau, was in den Medien für einige Aufmerksamkeit sorgte. Demnach lag der Durchschnittslohn der Frauen im Jahr 2020 noch immer 18 Prozent tiefer als derjenige der Männer. Im Vergleich zur vorangehenden Untersuchung zwei Jahre zuvor war die Differenz um 1 Prozentpunkt gesunken. Weibliche Arbeitnehmerinnen waren bei Arbeitsstellen mit Vollzeitstellen-Löhnen unter CHF 4'000 pro Monat in der Überzahl – sie machten hier 60.1 Prozent der Arbeitnehmenden aus –, während Männer bei Stellen mit Vollzeit-Löhnen über CHF 16'000 pro Monat mit 78.5 Prozent übervertreten waren.
Durch persönliche Merkmale wie Alter oder Ausbildung, Merkmale der Unternehmen und mit dem Tätigkeitsbereich könnten 52.2 Prozent dieser Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern statistisch erklärt werden, gab das BFS an. Somit verblieben jedoch 47.8 Prozent des Lohnunterschieds (2018: 45.4%), für welche die statistischen Modelle keine Erklärung liefern – was etwa CHF 717 pro Monat entspreche. In einzelnen Branchen lag dieser unerklärte Teil deutlich höher, etwa beim Verkehr (84.4%), im Detailhandel (57.5%) oder im Gastgewerbe (57.4%), in anderen deutlich niedriger, etwa im Technik-Bereich (29.7%), im Gesundheitswesen (34.9%) oder in der Finanz- und Versicherungsbranche (34.2%) – wie etwa der Tages-Anzeiger aufschlüsselte. Gerade in letzterer Branche fallen die Unterschiede finanziell speziell stark ins Gewicht: Hier entspricht der unerklärte Teil der Differenz einem Lohnunterschied von CHF 1472 pro Monat, im Gastgewerbe zum Beispiel einem von CHF 255. Insgesamt lag der unerklärte Teil der Lohndifferenz überdies in der Privatwirtschaft höher – insbesondere bei Unternehmen mit weniger als 20 Arbeitnehmenden – als im öffentlichen Sektor.

In der Folge diskutierten die Medien die Bedeutung dieser Meldung. Mehrfach wiesen sie darauf hin, dass neben den über die ganze Schweiz aggregierten Daten des BFS auch Analysen auf Betriebsebene vorhanden seien – diese sind für Betriebe mit mehr als 100 Arbeitnehmenden gesetzlich obligatorisch und ergäben demnach oft geringere Lohndifferenzen. Demnach habe etwa die Zuger Beratungsfirma Landolt & Mächler basierend auf 300 Analysen einen unerklärten Lohnunterschied von 3.2 Prozent, die Aarauer Beratungsfirma Comp-on eine Lohndifferenz von 3.7 Prozent festgestellt.

Lohndifferenz zwischen Mann und Frau
Dossier: Lohnentwicklung

Aufgrund der steigenden Inflation und der damit verbundenen Senkung der Kaufkraft, getrieben unter anderem von hohen Energiepreisen und dem Anstieg der Krankenkassenprämien, forderten verschiedene Gewerkschaften im Juni 2022 eine generelle Lohnerhöhung. Konkret forderten der Kaufmännische Verband Schweiz, Angestellte Schweiz und die Unia einen Lohnanstieg für das Jahr 2023 von bis zu 4 Prozent, der Schweizerische Gewerkschaftsbund gar zwischen 4 und 5 Prozent. Gegenüber den Medien begründeten sie ihre Forderungen durch die gute Ausgangslage der Arbeitnehmenden aufgrund des herrschenden Fachkräftemangels.
Neben diesen allgemeinen Forderungen verlangten auch die Bauarbeitenden höhere Löhne sowie bessere Arbeitsbedingungen, zumal Ende 2022 der Landesmantelvertrag (LMV) für den Bau auslief und somit neu verhandelt werden musste. Dazu trafen sich Ende Juni 2022 Bauarbeitende aus der ganzen Schweiz in Zürich zu einer Demonstration.

Erneut laut wurden die Forderungen nach einer allgemeinen Lohnerhöhung im September 2022 im Zusammenhang mit der «Krise der Lebenskosten», die auch im Parlament einige Aufmerksamkeit erhielt. Gegenüber den Medien betonte etwa SGB-Präsident und Nationalrat Pierre-Yves Maillard (sp, VD), dass die Lohnforderungen der Gewerkschaften in Anbetracht dessen, was man von den Bürgerinnen und Bürgern mit den Elektrizitätssparmassnahmen verlange, «bescheiden» sei. Der Bundesrat hatte zuvor die Unternehmen und die Bevölkerung zum Energiesparen aufgefordert. Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt erachtete eine allgemeine Lohnerhöhung hingegen als «unrealistisch». Dennoch konnte er sich einen Lohnanstieg in denjenigen Branchen vorstellen, in denen ein grosser Fachkräftemangel herrschte, etwa in der Gastronomie oder in der Informatik. Die NZZ rechnete gar mit Reallohneinbussen in den meisten Branchen, wie es auch in anderen Jahren mit Inflation zu beobachten gewesen sei. Jedoch sei der Lohnanstieg mittel- bis langfristig grösser als der Preisanstieg. Michael Siegenthaler, Experte der Konjunkturforschungsstelle der ETHZ, erachtete jedoch eine Lohnerhöhung für die Unternehmen als zumutbar, zumal viele Unternehmen in der ersten Hälfte 2022 ihre Gewinne und Umsätze hätten steigern können.

Im November 2022 präzisierten verschiedene Gewerkschaften ihre Forderungen und verlangten unter anderem einen monatlichen Lohn von mindestens CHF 4'500 bis CHF 5'000. Maillard, interviewt in La Liberté, präzisierte, dass die Absicht nicht war, schweizweit Mindestlöhne einzuführen, sondern die Forderung in den GAV zu verankern. Diese Forderung führte zu einer Diskussion in der Presse zum Thema Lohnschutz und Mindestlohn. So kritisierte etwa Avenir Suisse im Tages-Anzeiger den Lohnschutz, zumal dieser dem Arbeitsmarkt schade, indem er mehr administrative Hürden schaffe und so die Arbeitsmarktpartizipation senke.

Forderungen nach Lohnerhöhungen

An der Delegiertenversammlung des Bundespersonalverbandes (PVB) im November 2022 legte die Verbandsleitung dar, dass sie nach einjährigen Prüfarbeiten das Vorhaben einer Fusion mit dem rund viermal grösseren Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) nicht mehr weiterverfolgen möchte. Weil die Mitgliederbeiträge der beiden Verbände unterschiedlich hoch seien und eine Fusion für den PVB finanziell unvorteilhaft wäre, erachtete die Geschäftsleitung eine Fusion bei den Delegierten des PVB nicht als mehrheitsfähig.
Die Geschäftsleitung schlug den Delegierten vor, die Zusammenarbeit mit dem VPOD stattdessen auf andere Art zu verstärken: Sie wolle einen Beitritt des PVB zum VPOD als Kollektivmitglied vorbereiten. Mit dieser Variante würde der PVB ebenfalls Teil des VPOD, behielte aber seine unabhängige Rechtspersönlichkeit. Synergiegewinne und eine stärkere gewerkschaftliche Vertretung im Bereich des öffentlichen Personals liessen sich auch damit erreichen. Die Delegierten folgten diesem Vorschlag und beauftragten die Geschäftsleitung, ihnen im folgenden Jahr einen konkreten Entwurf für einen Vertrag mit dem VPOD für eine Kollektivmitgliedschaft vorzulegen.

Verhältnis zwischen VPOD und Bundespersonalverband

Im November 2022 berieten die FK-NR und die FK-SR den Bericht zur Entkoppelung der Lohnentwicklung von der Leistungsbeurteilung in der Bundesverwaltung, welchen der Bundesrat in Erfüllung eines von der nationalrätlichen Kommission eingereichten Postulats erstellt hatte. Die FK-NR erachtete das Postulat in der Folge als erfüllt und empfahl ihrem Rat, dieses abzuschreiben.
Diesem Antrag folgte der Nationalrat in der Sommersession 2023 im Rahmen seiner Beratungen zum Bericht des Bundesrates über Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahre 2022 und schrieb das Postulat als erfüllt ab.

Dissocier l'évolution salariale de l'évaluation des prestations (Po. 19.3974)

Im Juni 2022 reichte die APK-NR eine Motion ein, mit der sie sich für sozialpartnerschaftliche Lösungen im EU-Dossier einsetzte. Sie wollte den Bundesrat damit beauftragen, im EU-Dossier mit den Sozialpartnern eine tragfähige Einigung zu finden, wie den Schweizer Anliegen beim Lohnschutz und beim Schutz der Sozialwerke Rechnung getragen werden kann. Zudem sollte der Bundesrat dem Parlament regelmässig Bericht über die Entwicklungen der Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern erstatten und Schutzklauseln in den zentralen Fragen der Personenfreizügigkeit – insbesondere den flankierenden Massnahmen – mit der EU prüfen und diese dem Parlament vorlegen. Die Kommissionsmehrheit sah den Hauptgrund für den Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen in der «einseitigen Aufkündigung der sozialpartnerschaftlichen Rahmenbedingungen und Verpflichtungen in der Europapolitik [...] durch den Bundesrat», indem sich dieser entschied, das Verhandlungsergebnis zum institutionellen Rahmenabkommen aufgrund offener Punkte bei den flankierenden Massnahmen und der Unionsbürgerrichtlinie vorerst nicht zu paraphieren. Nun müsse der sozialpartnerschaftliche Konsens wiederhergestellt werden, bevor eine breite inländische Abstützung für weitere Schritte hin zu einem guten bilateralen Verhältnis hergestellt werden könne, so die APK-NR. Es brauche ein «inländisches Commitment» zwischen Sozialpartnern und jenen Parteien, die an einer Weiterführung des institutionellen Verhältnisses mit der EU interessiert seien, damit der Schutz der Löhne und des Sozialsystems in künftigen Abkommen gesichert seien. Eine Kommissionsminderheit Portmann (fdp, LU) beantragte die Ablehnung der Motion.

In seiner Stellungnahme anerkannte der Bundesrat zwar die Bedeutung der Sozialpartner in der Europapolitik, hielt jedoch entgegen, dass er deren Anliegen bereits bei den Verhandlungen über das InstA Rechnung getragen habe. Sie seien auch in allen Verhandlungsschritten involviert gewesen, unter anderem bei der 2019 durchgeführten Konsultation. Ab Mitte 2019 habe man die Sozialpartner zudem bei der Lösungssuche in den drei noch offenen Punkten miteinbezogen. Auch nach dem Abbruch der Verhandlungen seien ihre Positionen berücksichtigt worden, zuletzt bei einem Austausch mit Bundesrätin Keller-Sutter und Bundesrat Parmelin im Mai 2022.
Zur zweiten Forderung – der Information des Parlaments – erklärte der Bundesrat, dass die aussenpolitischen Kommissionen laufend über europapolitische Aktualitäten informiert und gegebenenfalls sogar konsultiert würden. Eine regelmässige Berichterstattung im Parlament würde jedoch die Schweizer Verhandlungspositionen offenlegen und damit die Verhandlungsposition der Schweiz schwächen. Zusätzliche Schutzklauseln seien nicht nötig, da die Schweiz bereits jetzt für den Fall von «schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Störungen» temporär vom FZA abweichende Massnahmen ergreifen könne, sofern die EU damit einverstanden sei. Der Bundesrat beantragte dementsprechend die Ablehnung der Motion.

In der Herbstsession 2022 befasste sich der Nationalrat mit der Motion seiner aussenpolitischen Kommission. Gerhard Pfister (mitte, ZG) erklärte im Namen der APK-NR, dass ein europapolitischer Konsens zwischen Sozialpartnern und Parteien der Grundstein für eine glaubwürdige und verbindliche Verhandlungsposition der Schweiz darstelle. Nur so könne eine erarbeitete Lösung auch einem allfälligen Referendum standhalten. Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) forderte den Nationalrat im Namen seiner Minderheit hingegen auf, den Kommissionsvorstoss abzulehnen. Er resümierte, dass die Arbeitgeberschaft zu Konzessionen bereit sei, während die Gewerkschaften nicht von ihrer Maximalforderung abrückten, den gesamten Personenfreizügigkeitskreis von der Streitschlichtung auszunehmen. Er warb daher dafür, dass man auch ohne Gewerkschaften eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung für gute flankierende Massnahmen gewinnen könne. Bundesrat Parmelin stellte zu Beginn seiner Stellungnahme klar, dass die Einbeziehung aller relevanten Interessengruppen in der Europapolitik grosses Gewicht besässe. Die im Motionstext erwähnte Aufkündigung der sozialpartnerschaftlichen Rahmenbedingungen sei denn auch nicht einseitig gewesen. Er versprach, dass der Gesamtbundesrat den Dialog mit den Sozialpartnern im Hinblick auf die zukünftigen Verhandlungen mit der EU fortführen werde, und beantragte die Ablehnung der Motion. Die grosse Kammer nahm diese mit 104 zu 80 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) gegen der Willen der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktion jedoch an.

Sozialpartnerschaftliche Lösungen im EU-Dossier (Mo. 22.3871)

Im Sommer und Herbst 2022 erreichte die mediale Berichterstattung rund um die Swiss und deren Personal einen Höhepunkt. Währenddem die Schweizer Flugbranche im Vergleich zu anderen Ländern die Sommerferien 2022 und die nach der Covid-19-Krise wieder stark gestiegene Nachfrage nach Flugreisen relativ gut meistern konnte, wurde im August publik, dass ein Vorschlag der Swiss für einen neuen GAV für die Pilotinnen und Piloten von der Gewerkschaft Aeropers zurückgewiesen wurde. Der alte Vertrag war bereits im Frühling 2022 ausgelaufen und konnte seither nicht erneuert werden. Während gemäss Swiss-Geschäftsleitungsmitglied Oliver Buchhofer der vorgeschlagene GAV ein Kompromiss gewesen wäre, der auch die Interessen von Aeropers widerspiegelt hätte und «für die kommenden vier Jahre vertragliche Stabilität in einem sehr volatilen Airline-Umfeld geboten» hätte, forderte Aeropers, dass die Pilotinnen und Piloten stärker vom wieder stabiler gewordenen Geschäftsumfeld profitieren können. Wie die NZZ berichtete, habe der GAV unter anderem gar Einbussen bei der variablen Vergütung der Pilotinnen und Piloten vorgesehen. In der Folge lehnten über 80 Prozent der Aeropers-Mitglieder den GAV ab.
Während die Verhandlungen über den GAV weiter liefen, wurde in der Presse darüber berichtet, dass die Swiss für ihren Winter-Flugplan auf Flugzeuge und Besatzung der Air Baltic zurückgreifen werde, um den «Flugplan zu stabilisieren». Die Gewerkschaften Aeropers, Kapers (Kabinenpersonal) und weitere Gewerkschaften und Organisationen warfen der Swiss in einem Schreiben vor, damit Lohndumping zu betreiben, und protestierten gegen dieses so genannte Wet-Leasing. Die Gewerkschaften warfen dem Swiss-Management vor, die Personal-Engpässe zu lange vernachlässigt zu haben. In die gleiche Kerbe schlug auch der Tages-Anzeiger, welcher kritisierte, dass die Swiss in der Covid-19-Krise viel Personal entlassen habe, das auch in Kurzarbeit hätte geschickt werden können. Nun gebe es stattdessen viel ausgelaugtes Flugpersonal und einen unrealistischen Flugplan. Die Swiss hingegen konterte, dass die Kooperation mit Air Baltic dazu beitrage, das eigene Kabinenpersonal zu entlasten.
Nach weiteren Verhandlungen schlug Aeropers sodann Mitte September ein weiteres GAV-Angebot aus. Die Gewerkschaft warf der Swiss vor, eine Verbesserung der Planbarkeit des Soziallebens zu verhindern und den Pilotinnen und Piloten faktisch den Lohn zu kürzen. Wie die Medien berichteten, fand Ende September sogar ein Protestmarsch des Cockpit-Personals zum Hauptsitz der Swiss in Kloten statt.
Ende Oktober 2022 konnten sich die Swiss und Aeropers schliesslich doch noch einigen. Gemäss Medienmitteilung von Aeropers beinhalte der neue GAV Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie einen fairen Teuerungsausgleich. Der neue GAV wurde sodann von einer grossen Mehrheit der Aeropers-Mitglieder gutgeheissen und trat auf den 1. Januar 2023 in Kraft.

SWISS: Neuer GAV für Pilotinnen und Piloten

Der Schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) erhielt im Juni 2022 eine neue Generalsekretärin. Die Delegiertenversammlung der Gewerkschaft wählte einstimmig Natascha Wey (sp, ZH). Als Generalsekretärin wird Wey operative Leiterin der Gewerkschaft, die 33'000 Mitglieder aus dem Service public zählt. Nötig geworden war die Wahl, weil der bisherige, seit 2008 amtierende Generalsekretär Stefan Giger in Pension ging. Präsidiert wird die Gewerkschaft weiterhin von Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH), die seit 2010 im Amt ist.
Ihre Bewerbung als Generalsekretärin stellte die 40-jährige Wey unter das Motto «Raus aus der Defensive, rein in die Betriebe». Wie sie gegenüber dem Tages-Anzeiger erklärte, wolle sie sich für einen kämpferischen Kurs der Gewerkschaft einsetzen und bei Bedarf zu «mehr Protestaktionen und notfalls Streiks» greifen. Mit einem selbstbewussteren Auftreten hoffe sie auch den Mitgliederschwund des VPOD zu stoppen.
Wey hatte bereits seit 2015 als Zentralsekretärin beim VPOD gearbeitet, 2021 war sie zur stellvertretenden Generalsekretärin aufgestiegen. Schwerpunkte ihrer bisherigen Tätigkeit für den VPOD waren gemäss einer Medienmitteilung unter anderem die Belange des Wartungs- und Reinigungspersonals, eine bessere Organisation stark weiblich geprägter Branchen wie der Kinderbetreuung oder das Engagement für den Frauenstreik von 2019. Für die Gleichstellung hatte sich Wey 2016 bis 2020 auch als Co-Präsidentin der SP Frauen Schweiz eingesetzt. Ihr Mandat als Zürcher Gemeinderätin, das sie seit 2019 innegehabt hatte, gab Wey kurz nach ihrer Wahl zur VPOD-Generalsekretärin ab.

VPOD mit neuer Generalsekretärin

Wie jedes Jahr fanden am 1. Mai 2022 in der ganzen Schweiz 1.-Mai-Kundgebungen statt. In Bern, Zürich, Aarau, St. Gallen, Bellinzona und weiteren Städten versammelten sich tausende von Menschen, wobei die Kundgebung in St.Gallen auf den 30. April vorverschoben wurde, weil der 1. Mai auf einen Sonntag fiel, wie die Medien berichteten.
Vorneweg marschierten jeweils nationale Politikerinnen. In Bern etwa führte die Berner Nationalrätin Tamara Funiciello (sp, BE) die offizielle Demonstration an, die sich später mit der von Personen aus dem linksautonomen Lager organisierten Demonstration zusammenschloss. In St. Gallen hielten Nationalrätin Claudia Friedl (sp, SG) sowie erneut Tamara Funiciello eine Rede, während sich in Aarau Nationalrätin Sibel Arslan (basta, BS) auf der Bühne äusserte. Bei allen Demonstrationen wurde Solidarität mit der Ukraine aufgrund des Angriffs durch Russland bezeugt. Weiter wurde die AHV-Reform in den Kundgebungen und vor allem in den verschiedenen Reden thematisiert. So nannte etwa Funiciello die AHV-Reform, die unter anderem die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre vorsah, in St. Gallen eine «politische Frechheit». Stattdessen verlangte man neben den klassischen Forderungen der Arbeiterschaft, wie guten Arbeitsbedingungen und fairen Löhnen, eine Förderung der Frauenrechte und Parität der Geschlechter.
Just am Vortag der Demonstrationen schlug der Think Tank Avenir Suisse gemäss einem Artikel in der NZZ eine Reform zum Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Unternehmen und Staat vor. So würden die Gewerkschaften «nur eine Minderheit der Arbeitnehmenden» repräsentieren, zumal ihre Mitgliederzahl abnehme, wie Peter Grünenfelder, Direktor des Think Tanks, betonte. Entsprechend sei es wichtig, sich zu fragen, wie viel Einfluss den Gewerkschaften zugestanden werden solle. Angefragt von der NZZ verwiesen hingegen VPOD-Sekräter Duri Beer und Sprecherin der Unia Zürich-Schaffhausen Nicole Niedermüller auf die Relevanz ihrer Arbeit für den Arbeitnehmerschutz.

1.-Mai-Kundgebungen 2022

Der Bundesrat veröffentlichte Anfang April 2022 den Bericht zur Erfüllung des Postulats der FK-NR, das den Bundesrat beauftragt hatte, die Entkoppelung der Lohnentwicklung von der Leistungsbeurteilung in der Bundesverwaltung zu prüfen. Der Bericht zeigte auf, dass das aktuelle Beurteilungsmodell der Bundesverwaltung verschiedene Stufen aufweist, die mit prozentualen Lohnentwicklungsbandbreiten sowie Leistungs- und Spontanprämien verknüpft sind. Diese geben den Vorgesetzten einen gewissen Spielraum bei der Vergütung der Leistungen der Mitarbeitenden. Um die Forderungen des Postulats umzusetzen, wurde ein Projektteam bestehend aus departementalen HR-Verantwortlichen sowie aus Professor Gery Bruederlin von der Fachhochschule Nordwestschweiz gebildet. Das Projektteam analysierte die Vor- und Nachteile des aktuellen Systems und verglich das Leistungsbeurteilungssystem des Bundes mit denjenigen zweier Referenzunternehmen, welche die Leistungsbeurteilung und die Lohnentwicklung bereits entkoppelt haben und mit der Bundesverwaltung vergleichbar sind – die Post und das Inselspital in Bern. Die Analyse kam zum Schluss, dass «die Entkoppelung der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung von der Lohnentwicklung für die Bundesverwaltung nicht empfehlenswert» ist. Zudem entspreche das aktuelle System der Bundesverwaltung mit einem Fixlohnsystem, passender Anfangslohnfestsetzung und leistungsbezogener Lohnentwicklung dem richtigen Ansatz für die öffentliche Verwaltung. Nichtsdestotrotz liesse sich das System durch verschiedene Massnahmen verbessern, wie etwa durch eine Auflösung des Ortszuschlages und durch eine Erhöhung der maximalen Lohnklasse, durch häufigere Feedbackgespräche oder durch eine Objektivierung der Lohnentscheide durch Lohnkurven.

Dissocier l'évolution salariale de l'évaluation des prestations (Po. 19.3974)

In der Sommersession 2022 beschäftigte sich der Ständerat mit der Motion der WAK-NR, die den Bundesrat beauftragen wollte, Massnahmen zu ergreifen, damit die Jahresberichte der paritätischen Kommissionen der für allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge (GAV), bestehend aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, veröffentlicht werden. Zudem verlangte die Motion, dass die Kommissionen die Zweckbestimmungen der Mittel im Fondskapital und ihre Verwendung dokumentieren. Kommissionssprecher der Schwesterkommission, Erich Ettlin (mitte, OW), empfiehl in Namen der Kommissionsmehrheit, die Motion anzunehmen. Obwohl die Jahresrechnungen der paritätischen Kommissionen gemäss BGÖ schon heute eingesehen werden könnten und das SECO seine Aufsichtsfunktion über diese bereits verstärkt hätte, ziele die Motion darüber hinaus darauf ab, die Verwaltungskosten und die Zweckbestimmung und Verwendung der finanziellen Mittel im Fondskapital offenzulegen, so Ettlin. Sie unternehme damit dennoch einen weiteren Schritt Richtung Transparenz. Bundesrat Guy Parmelin (svp, VD) verzichtete am Ende der Debatte trotz seiner ablehnenden Position auf eine Abstimmung, da der Bundesrat der Meinung war, die Forderungen der Motion ohne eine Gesetzesänderung erfüllen zu können. Die Motion wurde somit angenommen.

Motion "Transparenz über die finanziellen Mittel paritätischer Kommissionen"

Jahresrückblick 2021: Verbände

2021 wurde die Verbandslandschaft in der Schweiz wie schon im Vorjahr wesentlich durch das Coronavirus und die Massnahmen zu dessen Bekämpfung geprägt. So versuchten die Dachverbände der Arbeitgebenden und der Gewerkschaften wie auch zahlreiche Branchenverbände wiederholt mit Positionsbezügen auf die Pandemiepolitik der Behörden Einfluss zu nehmen. Während in der Unterstützung für Hilfsgelder und Kurzarbeit im Grossen und Ganzen Einigkeit zwischen Gewerkschaften und Verbänden der Arbeitgebenden aus verschiedenen Branchen herrschte, traten bei anderen Massnahmen deutliche Interessengegensätze zutage. Besonders stark profilierte sich in der Öffentlichkeit GastroSuisse mit seinem Präsidenten Casimir Platzer, der sich im Frühjahr immer wieder mit markigen Worten gegen die Schliessung der Innenräume von Gastbetrieben und im Herbst gegen die Zertifikatspflicht in Restaurants äusserte. Diese Forderungen brachten Platzer nicht nur mit manchen Gegenstimmen aus den eigenen Reihen in Konflikt, sondern auch mit Economiesuisse und dem Schweizer Arbeitgeberverband (SAV): Die beiden Dachverbände befürworteten die Zertifikatspflicht, forderten aber vom Bundesrat verbindliche Aussagen darüber, ab welchen Impfquoten er welche Lockerungsschritte ausrufen werde. Der Gewerbeverband (SGV) gab wie der SAV und Economiesuisse bei beiden Abstimmungen über das Covid-19-Gesetz die Ja-Parole heraus, markierte aber ansonsten grössere Distanz zu den Massnahmen des Bundes.
Auch die Gewerkschafts-Dachverbände SGB und Travail.Suisse unterstützten die beiden Covid-Vorlagen. Darüber hinaus wiesen die Gewerkschaften immer wieder auf die zentrale Bedeutung der Kurzarbeit, des Erwerbsersatzes und der Unterstützungsgelder für betroffene Unternehmen hin, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu begrenzen. Mit der Argumentation, dass ein vorsichtiger Weg letztlich schneller aus der Krise führe, mahnten SGB und Travail.Suisse bei Diskussionen über Massnahmenlockerungen meist zu behutsamen Schritten. Zu ihren Hauptforderungen zählten im Weiteren die Umsetzung und Kontrolle von Schutzkonzepten am Arbeitsplatz sowie die Sicherstellung der Fürsorgepflicht der Arbeitgebenden auch im Homeoffice.

Eine strikte oder sogar absolute Beachtung individueller Freiheitsrechte und ein verhältnismässiges Vorgehen des Staats gehörten zu den Hauptforderungen mehrerer politischer Gruppierungen, die im Zuge der Proteste gegen die Covid-19-Massnahmen entstanden und in der öffentlichen Debatte teilweise starke Beachtung fanden. Zu den prominentesten dieser neuen Organisationen zählten die «Freunde der Verfassung», die im Herbst 2021 bereits über 12'000 Mitglieder zählten und die gleich bei mehreren Referenden und Initiativen eine bemerkenswerte Fähigkeit zum Sammeln von Unterschriften an den Tag legten. Weitere Organisationen, die sich zu Sprachrohren der Covid-Protestbewegung entwickelten, waren die an die jüngere Generation gerichtete Gruppierung «Mass-voll!», das «Aktionsbündnis Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik» sowie die «Freiheitstrychler». Auch wenn es zwischen diesen Organisationen bisweilen Differenzen über Inhalte und Stil gab, waren sie in ihrer Opposition gegen das Covid-19-Gesetz und gegen dessen zweite Revision geeint; sie unterlagen indessen in beiden Volksabstimmungen klar.

Aber auch unabhängig von der Pandemie machten Verbände und Organisationen im Jahr 2021 von sich reden, so beispielsweise die Operation Libero, die sich gleich zu Beginn des Jahres mit einem medienwirksamen Crowdfunding erfolgreich aus einem Engpass bei der Finanzierung ihrer Fixkosten befreite, im Oktober mit Sanija Ameti eine profilierte neue Co-Präsidentin präsentierte und kurz darauf zusammen mit den Grünen eine Volksinitiative für eine engere Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU ankündigte.

Eher gegen den eigenen Willen geriet im Herbst die Gewerkschaft Unia in die Schlagzeilen, weil der beträchtliche Umfang ihres Vermögens bekannt wurde. Die Unia musste sich in der Folge gegen verschiedene Kritikpunkte verteidigen. Die Diskussion befeuerte aber auch übergeordnete Debatten, die bereits davor am Laufen gewesen waren, namentlich jene um eine angemessene Transparenz in der Politikfinanzierung und jene um eine korrekte Abgeltung der Sozialpartner für ihre quasistaatlichen Aufgaben bei der Kontrolle der Einhaltung allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsverträge.

Auf der Seite der Arbeitgeber-Dachverbände bekannten sich Economiesuisse, der SGV und der SAV 2021 zum Ziel, in Zukunft eine stärkere und harmonischere Zusammenarbeit zugunsten der gemeinsamen Interessen zu pflegen. Das Bekenntnis ist als Neuanlauf zu werten, nachdem in den Vorjahren – etwa vor der Abstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative Ende 2020 – beträchtliche Spannungen zwischen SGV und Economiesuisse zutage getreten waren und sich die Wirtschaftsverbände bei verschiedenen Volksabstimmungen nur mit Mühe oder gar nicht hatten durchsetzen können. Dasselbe war im Jahr 2021 namentlich bei den Abstimmungen über das Freihandelsabkommen mit Indonesien und das E-ID-Gesetz der Fall.

Auch andere Verbände engagierten sich mit wechselndem Erfolg in Abstimmungskämpfen. So konnte etwa der Bauernverband nach einer von ihm angeführten Kampagne, die zu einer aussergewöhnlich starken Mobilisierung der ländlichen Bevölkerung beitrug, im Juni die Ablehnung der Trinkwasserinitiative und der Pestizidinitiative feiern. Intern gespalten war bei der Parolenfassung zur Trinkwasserinitiative der Interessenverband der biologischen Landwirtschaft BioSuisse, eine Mehrheit seiner Delegierten entschied sich schliesslich für eine Nein-Empfehlung; die Pestizidinitiative wurde von BioSuisse hingegen unterstützt. Bei der Ablehnung des CO2-Gesetzes gehörten Verbände des Autogewerbes und der Erdölindustrie, der Hauseigentümerverband und GastroSuisse zu den Siegern. Die Gewerkschaften wiederum konnten mit der Ablehnung des E-ID-Gesetzes und der Annahme der vom Berufsverband der Pflegefachleute (SBK) lancierten Pflegeinitiative Erfolge feiern; dies ist umso bemerkenswerter, als davor noch nie in der Schweizer Abstimmungsgeschichte eine gewerkschaftlich initiierte Volksinitiative an der Urne angenommen worden war. Auf ähnlich erfolgreiche Kampagnen in der Zukunft hoffen nebst der Operation Libero mit der oben erwähnten Europainitiative auch GastroSuisse mit seiner im März angekündigten Volksinitiative für «gerechte Entschädigungen» in künftigen Pandemiefällen sowie die GSoA mit ihrer Volksinitiative «Stopp F-35», welche die vom Bund geplante Beschaffung von Kampfflugzeugen des Typs F-35 unterbinden soll und für die 2021 bereits die Unterschriftensammlung begann.

Der Anteil der Verbände an der Presseberichterstattung bewegte sich 2021 auf ähnlichem Niveau wie in den beiden Vorjahren (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse 2021 im Anhang). Im Jahresverlauf nahmen Verbände zwischen September und November am meisten Raum ein (vgl. Abbildung 1). Dies hatte zum einen mit der Berichterstattung zum Unia-Vermögen und zum SBK als Initiant der Pflegeinitiative zu tun. Noch mehr trug die Kategorie «Andere Verbände» bei, von denen neben der Operation Libero und GastroSuisse vor allem Gruppierungen der Klimabewegung – unter anderem mit Protestaktionen von Extinction Rebellion und einer Klage der Klimaseniorinnen – in der Presse von sich reden machten.

Jahresrückblick 2021: Verbände
Dossier: Jahresrückblick 2021