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Wer ein niedriges Einkommen hat, verfügt nach Abzug von Steuern, Mietzins, allfälligen Kosten für Kinderkrippe, Krankenkassenprämien und nach möglichen Sozialtransfers wie Kinderzulagen, Verbilligung von Krankenkassenprämien, Alimentenbevorschussung usw. je nach Wohnort (verglichen wurden die Kantonshauptstädte) über ein sehr unterschiedlich hohes Einkommen, wie eine im Auftrag der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) verfasste Studie deutlich machte. Entscheidend für die Differenzen sind vor allem die Krippenkosten und die Ausgestaltung der Alimentenbevorschussung. Die enormen kantonalen Unterschiede und Disfunktionalitäten, die beispielsweise dazu führen können, dass ein erhöhter Arbeitseinsatz letztlich ein niedrigeres Einkommen auslöst, verlangen nach Ansicht der SKOS nach einem eidgenössischen Rahmengesetz zur Existenzsicherung.

kantonalen Unterschiede

Gemäss einer Untersuchung des BFS über Wohlstand und Wohlbefinden der Schweizer Bevölkerung, die auf einer 1998 durchgeführten Befragung basiert, wird alles in allem ein hohes Mass an Lebenszufriedenheit erreicht. Die einkommensschwachen Schichten, zu denen in erster Linie Alleinerziehende, Ausländer und Ausländerinnen, kinderreiche Familien und Angestellte in Verkaufs- und Dienstleistungsberufen gehören, weisen allerdings in allen angesprochenen Bereichen (Leben insgesamt, Berufs- und Familienleben, finanzielle Situation, Gesundheit, Wohnsituation, Freizeit und soziale Kontakte) Defizite auf und empfinden diese auch subjektiv. Besonders auffällig sind die Unterschiede beim Lebensstandard. Einkommensschwache müssen für Nahrungsmittel und Wohnkosten die Hälfte ihrer Einkünfte aufwenden, während Wohlhabende nur 9,3% für Nahrung und 26% für Wohnung ausgeben. Im Jahr der Umfrage verzichteten 11% der unterprivilegierten Bevölkerungsschicht auf eine Zahnbehandlung, 17% auf Ferien.

Wohlstand und Wohlbefinden

Anlässlich seines traditionellen Medienspaziergangs auf die Petersinsel sprach sich Bundesrat Couchepin für Steuergutschriften zu Gunsten jener Menschen aus, die trotz Arbeit weniger als das Existenzminimum verdienen (Working poor). Er berief sich dabei auf eine Studie, welche im Auftrag des EVD von der Universität Bern erstellt worden war. Die Autoren der Studie hatten ein Modell mit einem staatlich fixierten Mindestlohn und zwei Modelle mit Steuergutschriften für erwerbstätige Familien auf ihre Praktikabilität und Effizienz hin untersucht. Dabei waren sie zum Schluss gekommen, dass Mindestlöhne die Wirtschaft mit 1,7 Mia Fr. Mehrkosten extrem belasten, die Zahl der Working Poor aber nur unwesentlich verringern würden. Mit Steuergutschriften, die zu Steuerausfällen von rund 360 Mio führen würden, könnte hingegen die Anzahl der unter der Armutsgrenze lebenden Familien (zumindest theoretisch) auf Null gesenkt werden. Eine Finanzierung durch allgemeine Steuern, die progressiv erhoben werden, wäre auch sozialer als höhere Mindestlöhne, die über höhere Preise zumindest teilweise an die Betroffenen überwälzt würden. Couchepin erachtete die Studie als Beitrag zur laufenden Working-Poor-Diskussion. Konkrete Schritte, wie dem Modell politisch zum Durchbruch verholfen werden könnte, wollte er aber keine nennen. (Zum Steuerpaket für Familien siehe hier)

Working poor Steuergutschriften

Nach den von der Städteinitiatve „Ja zur sozialen Sicherung“ vorgestellten Daten ging die Zahl der Sozialhilfebezüger 2001 leicht zurück, am stärksten in Basel (-15,8%), Schaffhausen (-7,7%) und Bern (-7,2%), während sie in Sankt Gallen und Winterthur praktisch stabil blieb. Im Durchschnitt erhielten 5% der Einwohner der grossen Schweizer Städte Sozialhilfe. Einmal mehr zeigte sich, dass Kinder das Armutsrisiko enorm beeinflussen: 22,4% aller unterstützter Haushalte waren Einelternfamilien, weitere 13% Familien mit mehreren Kindern. Jedes zehnte Kind lebte in einer Familie, die als arm bezeichnet werden muss. Die Städteinitiative verlangte deshalb erneut rasche Massnahmen zu Gunsten der Familien: Ausdehnung des EL-Systems auf Familien, substantielle Erhöhung der Kinderzulagen, Ausbau der ausserhäuslichen Kinderbetreuung und verstärkte Integration der Jugendlichen aus finanzschwachen Familien in den Arbeitsmarkt.

Sozialhilfebezüger

Der Nationalrat überwies ein Postulat Leutenegger Oberholzer (sp, BL), das den Bundesrat beauftragt, einen Bericht über die Tieflohnsituation in der Schweiz sowie die Lebensumstände der Working Poor ausarbeiten zu lassen. Ein ebenfalls angenommenes Postulat ihrer Zürcher Parteikollegin Fehr (Po. 01.3246) regte einen Bericht über die Wohlstandsverhältnisse und die Verteilung der Konsumkraft in der Schweiz nach Abzug aller Steuern und Abgaben an, um Grundlagen für die anstehenden Steuerrevisionen zu erhalten. (Zum Steuerpaket siehe hier)

Bericht Verteilung der Konsumkraft

In seiner Antwort auf eine Interpellation Schwaab (sp, VD) bezeichnete der Bundesrat diese Ergebnisse als besorgniserregend und erinnerte an die Sozialziele in der Bundesverfassung (Art. 41), die den Bund verpflichten, mit gewissen Einschränkungen dafür zu sorgen, dass „Erwerbsfähige ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu angemessenen Bedingungen bestreiten können“. Er vertrat allerdings auch die Ansicht, der Lohnbildungsprozess sei in der Schweiz in erster Linie Sache der Sozialpartner, weshalb sich der Bund hier nicht einmischen könne.

Bundesrat besorgniserregend

Gemäss einer vom BFS in Auftrag gegebenen breit angelegten Studie waren 1999 7,5% der Erwerbstätigen sogenannte Working Poor, erreichten also mit ihrer Arbeit lediglich einen Lohn unterhalb der Armutsgrenze. Betroffen waren auch die im gleichen Haushalt wohnenden Familienangehörigen, gesamthaft rund 535 000 Personen, davon mehr als zwei Fünftel Kinder. Der konjunkturelle Einbruch während der neunziger Jahre verschärfte das Problem: Die Working Poor-Quote stieg 1996 sprunghaft von 4,9% auf 7,3% an, um auf diesem Niveau zu verharren. Ob jemand zum Working Poor wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Gemäss der Studie wird das Risiko durch die Stellung auf dem Arbeitsmarkt ebenso geprägt wie durch die Familienstruktur. Besonders gefährdet sind Ausländer, schlecht Ausgebildete, Selbständigerwerbende in Kleinstbetrieben, Beschäftigte in Tieflohnbranchen sowie Teilzeitangestellte. Stark betroffen sind Alleinerziehende und Grossfamilien. Die Armutsgrenze wurde nach den Richtlinien der SKOS definiert (Einkommen – nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen – von weniger als 2100 Fr. pro Monat für einen Einpersonenhaushalt, von weniger als 4000 Fr. für eine vierköpfige Familie). Die Analyse wurde von den jüngsten Zahlen der Städteinitiative „Ja zur sozialen Sicherung“ bestätigt. (Für Massnahmen zugunsten von Familien siehe hier, hier, hier, hier und hier)

7,5% Working Poor Stellung auf dem Arbeitsmarkt Familienstruktur

Die Sozialvorstände von 40 Schweizer Städten schlossen sich zur Initiative „Ja zur sozialen Sicherung“ zusammen. Handlungsbedarf sahen sie vor allem im Bereich der Familienarmut. Sie begrüssten deshalb die bundesrätlichen Modelle zur Reform der Familienbesteuerung, vertraten aber die Auffassung, dies könne nur ein Anfang sein. Es seien weitere Schritte notwendig, um die strukturelle Familienarmut zu verhindern. Gefordert wurde ein gesamtschweizerisch vereinheitlichter Sockel der Kinderzulagen. Darüber hinaus müssten bedarfsabhängige ergänzende Kinderleistungen ausgerichtet werden, abgestimmt auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.

strukturelle Familienarmut

In einer Studie des BFS wurden die Wirkungen und der Umverteilungseffekt einzelner Leistungen des Sozialstaates durchleuchtet. Die Studie brachte zum Ausdruck, dass die Transfers in der Schweiz für die Einkommenssicherung in Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen von grosser Bedeutung sind. Transfereinkommen machen in Haushalten aus der untersten Einkommensgruppe fast einen Drittel des Gesamteinkommens aus. Bei einkommensmässig schlecht gestellten Rentnern kommt der AHV und den Ergänzungsleistungen eine existenzsichernde Funktion zu, während die berufliche Vorsorge für Arbeitnehmende in den tiefsten Lohnsegmenten kaum ins Gewicht fällt. Für Alleinerziehende, Erwerbslose nach der Aussteuerung und Geschiedene ist hingegen die Sozialhilfe zentral. (Für eine ähnliche von der OECD im Vorjahr veröffentlichten Studie siehe hier)

Umverteilungseffekt Leistungen des Sozialstaates

Vor dem zweiten UNO-Sozialgipfel in Genf verlangten Hilfswerke, Gewerkschaften und Sozialämter vom Bundesrat ein Programm gegen die schleichende Verarmung zunehmender Bevölkerungsteile in der Schweiz, die trotz Vollzeitbeschäftigung ihren Lebensunterhalt nicht mehr ohne Sozialhilfe bestreiten können. (Siehe dazu auch hier)

Verarmung zunehmender Bevölkerungsteile

Eine Analyse der Schweizerischen Konferenz für öffentliche Sozialhilfe (SKOS) kam nach einer Befragung in 2082 Gemeinden zum Schluss, dass sich zumindest in der Deutschschweiz die Zahl der Sozialhilfebezüger allein in der ersten Hälfte der 90er Jahre mehr als verdoppelt hat. Gemäss SKOS haben die wirtschaftlichen und familiären Veränderungen zu einer massiven Verschärfung der sozialen Belastungen geführt. Es sei deshalb nicht länger tragbar, dass die Sozialhilfe praktisch allein die Folgen des Strukturwandels tragen müsse; das würde praktisch einer Kantonalisierung und Kommunalisierung der Armut und der Folgen der wirtschaftlichen Rezession gleichkommen. Die SKOS verlangte deshalb dringlich eine Koordination der kantonal geregelten Sozialhilfe mit den Sozialversicherungen des Bundes. Um Rechtsgleichheit sowie einen verbesserten Lastenausgleich zu erreichen, wäre laut SKOS ein Rahmengesetz des Bundes für die soziale Sicherheit nötig, das sowohl die Sozialversicherungen wie die Sozialhilfe mit einbezieht und den neuen sozialen Risiken (Unterbrüche in der Erwerbsarbeit und veränderte Familienformen) Rechnung trägt.

Zahl der Sozialhilfebezüger allein in der ersten Hälfte der 90er Jahre mehr als verdoppelt

Mit zwei Motionen wollten die Nationalräte Epiney (cvp, VS) und Jutzet (sp, FR) (Mo. 98.3633) erreichen, dass bei Betreibungen insbesondere von Familien mit Kindern ein Existenzminimum garantiert wird, welches ungefähr jenem der neuen SKOS-Richtlinien entspricht. Der Bundesrat verwies darauf, dass mit der Revision des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG), welche 1997 in Kraft trat, alle Fürsorgeleistungen absolut unpfändbar sind. Zudem sei bereits mit dem eigentlichen SchGK den Vollstreckungsbehörden ein grosser Ermessensspielraum eingeräumt worden. Aus diesen Gründen erachte die Landesregierung es als nicht dringend, zentrale Fragen der Lohnpfändung erneut zu regeln, doch zeigte sie sich bereit, das Anliegen zu prüfen, weshalb sie in beiden Fällen Umwandlung in ein Postulat beantrage. Beide Vorstösse wurden jedoch von Stamm (fdp, AG), jener von Jutzet zudem von Bortoluzzi (svp, ZH) bekämpft und somit vorderhand der Diskussion entzogen.

Betreibungen Existenzminimum

Mit einer Motion wollte Nationalrätin Zapfl (cvp, ZH) den Bundesrat beauftragen, umgehend die notwendigen Massnahmen zu reffen, damit die Datenbasis für die anstehenden politischen Entscheide und Revisionsvorhaben grundlegend verbessert wird. Insbesondere seien statistische Informationen bereit zu stellen, welche die Beurteilung der Auswirkungen von Revisionsarbeiten im Bereich der sozialen Sicherheit auf die Einkommenslage der Haushalte ermöglichen, die verschiedenen Zweige der sozialen Sicherheit in ihrer Wechselwirkung darstellen sowie die Einschätzung der Situation der Schweiz im internationalen Vergleich erlauben. Der Bundesrat anerkannte, dass vor allem in den Bereichen Sozialhilfe, Armut, Bedarfslage von Teilzeitbeschäftigten, Unterstützung für Familien und Alterssicherung ausserhalb der AHV noch Wissenslücken bestehen. Er verwies aber auf bereits laufende Arbeiten im Bundesamt für Statistik sowie auf die fehlenden Mittel, um die Sozialstatistik so weiter zu entwickeln, wie es tatsächlich wünschbar wäre. Auf seinen Antrag wurde die Motion lediglich als Postulat überwiesen.

Motion Datenbasis statistische Informationen

Im Januar legte der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) eine Studie zur Situation der „Working poor“ vor, also jener Menschen, die trotz regelmässiger Erwerbsarbeit von Armut betroffen sind. Die Ergebnisse der Untersuchung bestätigten jene früherer Berichte. Gemäss SGB leben 3% bis 5% der Vollzeitbeschäftigten unterhalb der Armutsgrenze, d.h. sie erzielen ein Einkommen von weniger als 50% des Medianlohnes. Als einzigen Lichtblick wertete der SGB den Umstand, dass die Zahl der betroffenen Personen in den letzten Jahren nicht weiter zugenommen hat. Tief- und Tiefstlöhne werden vor allem in der Landwirtschaft, im Detailhandel, in der Hotellerie, im Gastgewerbe sowie bei den persönlichen und häuslichen Dienstleistungen ausgerichtet. Deutlich stärker trifft es zudem Selbstständigerwerbende, unter 25-jährige und über 60-jährige Erwerbstätige. Der höchste Anteil an Tieflohnbezügern verzeichnet der Kanton Tessin. Ausgehend von diesen Feststellungen verlangte der SGB einen garantierten monatlichen Mindestlohn von 3000 Fr..

leben 3% bis 5% der Vollzeitbeschäftigten unterhalb der Armutsgrenze

Kurz darauf doppelte die Eidg. Kommission für Familienfragen in einem Bericht über die Auswirkungen von Armut und Arbeitslosigkeit auf die Familien nach. Sie verlangte ein Recht für alle auf bezahlte Arbeit und die Einführung eines gesetzlich garantierten Mindestlohnes, der zumindest das Existenzminimum eines Haushaltes deckt.

Bericht über die Auswirkungen von Armut und Arbeitslosigkeit auf die Familien

Caritas Schweiz legte eine Studie vor, welche sich mit der wachsenden Zahl der “Working Poor” beschäftigt, jener Haushalte, in denen eine oder mehrere Personen zusammen mindestens zu 90% erwerbstätig sind, und die dennoch als “arm” zu gelten haben. Die Zahl der betroffenen Personen wurde schweizweit auf 250'000 bis 400'000 Personen geschätzt. Besonders gefährdet sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Dienstleistungssektor (Gastgewerbe und Verkauf), da dort häufig tiefe Löhne bezahlt werden und der Anteil der Teilzeiterwerbstätigen besonders hoch ist. Caritas stellte deshalb die Frage, ob nicht eine staatliche Lohnpolitik nötig wäre, zumindest für Branchen ohne sozialpartnerschaftliche Vereinbarungen; die Forderung nach einem gesetzlich festgelegten Minimallohn sei in der Schweiz ein Tabu, doch wäre es an der Zeit, dieses zu brechen. Zudem verlangte das Hilfswerk eine gezielte, auf das niedrige Bildungsniveau der Working Poor ausgerichtete Berufsbildung, da die üblichen Angebote der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe nicht genügten. Die Caritas meinte auch, es sei falsch, wenn die kommunale Sozialfürsorge beansprucht werde, um die Existenzprobleme der Working Poor zu lösen. Sozialhilfe sei ein Instrument zur Überbrückung aktueller Notlagen, nicht aber zur dauerhaften Finanzierung arbeitsmarktpolitischer Fehlentwicklungen. Das neu erkannte Armutsrisiko der ungenügend entlöhnten Erwerbstätigkeit müsse auf nationaler Ebene abgedeckt werden.

Studie Working Poor

Ein Postulat Weber (sp, AG), welches den Bundesrat bittet, eine nationale Armutskonferenz durchzuführen, um mit Fachleuten und Betroffenen über Lösungsvorschläge nachzudenken, wurde oppositionslos überwiesen.

Postulat nationale Armutskonferenz

Der Kompetenzartikel der revidierten Bundesverfassung zur Sozialhilfe (Art. 115) gab vor allem wegen des Titels Anlass zu einigen Diskussionen. Während der Ständerat dem Bundesrat zu folgen bereit war, der «Unterstützung Bedürftiger» vorgeschlagen hatte, wollte der Nationalrat dies in erster Lesung sowohl im Titel wie im Text in «Unterstützung von Personen in Notlagen» umwandeln, obgleich sowohl die Berichterstatterin wie Bundesrat Koller warnten, diese Änderung könne zu einer Schlechterstellung der betroffenen Personen führen. Der Begriff der Notlage sei in Art. 12 BV näher ausgeführt, wobei es sich dort nur um ein für ein menschenwürdiges Leben notwendiges Existenzminimum handle. Hier nun aber sei die eigentliche Sozialhilfe angesprochen, für deren Ausrichtung tiefere Schwellen gelten. Als der Ständerat auf der Formulierung des Bundesrates beharrte, stimmte der Nationalrat stillschweigend zu.

Eine SP-Minderheit stellte den Antrag, zwei weitere Absätze des Inhalts einzufügen, dass der Bund Bestimmungen über den Mindestgehalt der Leistungen erlassen und Grundsätze über den Rechtsschutz aufstellen sowie die Sozialhilfe der Kantone mit finanziellen Beiträgen unterstützen kann. Damit sollten wesentliche Punkte einer parlamentarischen Initiative der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit auf Verfassungsstufe erhoben werden. Diese war 1993 vom Nationalrat gutgeheissen und zur Ausarbeitung an die Kommission übertragen worden; diese hatte den Text so umformuliert, dass er in die revidierte Verfassung gepasst hätte. Nach Meinung der bürgerlichen Ratsmehrheit würde dies über die eigentliche Nachführung hinausgehen, weshalb der Antrag mit 79 zu 49 Stimmen abgelehnt wurde.

Grundrechte und Sozialstaatlichkeit in der revidierten Bundesverfassung (BRG 96.091)
Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)

Mit einer Motion wollte Nationalrätin Baumann (sp, BE) erreichen, dass alleinstehenden Rentnerinnen und Rentnern ein Zuschlag von 20% zu ihrer Rente gewährt wird, wobei Rente und Zuschlag den Höchstbetrag der Altersrente nicht übersteigen dürften. Baumann betrachtete ihren Vorstoss als Beitrag zur Armutsbekämpfung, welche vor allem einkommensschwächere Frauen und Männer ohne Partnereinkommen bedroht. Der Bundesrat verwies auf Verbesserungen bei der Rentenformel im Rahmen der 10. AHV-Revision und beantragte Umwandlung in ein Postulat. Der Vorstoss wurde aber von Egerszegi (fdp, AG) generell bekämpft und damit der Diskussion vorderhand entzogen.

Motion alleinstehenden Rentnerinnen und Rentnern ein Zuschlag von 20% zu ihrer Rente

Bei der Verfassungsrevision trug der Bundesrat in seinen Vorschlägen der neueren Rechtssprechung des Bundesgerichtes und den Aufforderungen einer Nationalratskommission Rechnung und beantragte, in Art. 12 unter dem Titel «Recht auf Existenzsicherung» das 1995 von Lausanne bestätigte ungeschrieben Verfassungsrecht aufzunehmen, wonach jede Person in Not Anspruch auf Hilfe und Betreuung sowie die Mittel hat, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Der Ständerat wandelte den Titel in ein «Recht auf Hilfe in Notlagen» ab und relativierte den Anspruch mit dem Zusatz, dass jemand nur dann Anspruch auf diese Unterstützung hat, wenn er «in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen». Damit sollte deutlich gemacht werden, dass es sich um ein Recht auf Existenzminimum handelt, keinesfalls aber um die Einführung eines Anspruchs auf konkret zu beziffernde Leistungen im Sinn eines garantierten Mindesteinkommens. Aeby (sp, FR) beantragte vergeblich, bei der Formulierung des Bundesrates zu bleiben, da ein Abweichen davon als Zeichen dafür gewertet werden könnte, dass man in diesem Bereich der Grundrechte eine weniger absolute Garantie anstrebe als etwa beim Recht auf Ehe oder beim Recht auf Gewissensfreiheit. Trotz Unterstützung des Bundesrates, der die gleiche Sicht der Dinge vertrat, unterlag Aeby deutlich mit 29 zu 6 Stimmen. Im Nationalrat obsiegte die Version des Ständerates mit 101 zu 61 Stimmen klar gegen einen links-grünen Antrag, der – mit Ausnahme des Titels – dem Vorschlag des Bundesrates folgen, die vorgesehenen Leistungen aber unter dem über das eigentliche Existenzminimum hinausgehenden Begriff der Sozialhilfe subsummieren wollte.

Grundrechte und Sozialstaatlichkeit in der revidierten Bundesverfassung (BRG 96.091)
Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)

Die Schweizerische Konferenz für öffentliche Sozialhilfe (Skos) stellte neue Richtsätze für die Ausrichtung von Sozialhilfegeldern vor. Demnach soll auf einem Minimalniveau ein absolutes Recht auf Sozialhilfe sichergestellt werden. Unumgängliche Kosten (Lebensmittel, Kleider etc.) wurden gegenüber früher etwas höher veranschlagt, nicht lebenswichtige Kosten (Abonnemente für den öffentlichen Verkehr, Telephon-Gesprächstaxen, Zeitschriften, Freizeitbedürfnisse der Kinder usw.) hingegen eindeutig tiefer. Linke Parteien und Gewerkschaften bemängelten, dass gerade alle Komponenten, die Lebensqualität bedeuten, mit dieser Regelung zu unwesentlichen Werten verkommen seien. Die Skos überarbeitete ihre Richtlinien darauf in einigen Punkten. Neu setzt sich das soziale Existenzminimum aus dem Grundbedarf 1 und 2 zusammen. Der Grundbedarf 1 deckt das Minimum, das für eine menschenwürdige Existenz nötig ist. Der Grundbedarf 2 soll die Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben erleichtern. Im Normalfall haben unterstützungsbedürftige Personen den Grundbedarf 1 und 2 zugute, wobei dieser wenn immer möglich pauschal ausbezahlt werden soll, damit die betroffenen Menschen Verantwortung für ihre Lebensgestaltung übernehmen können. Falls sie ihre Pflichten zur Selbsthilfe verletzen, können sie für kürzere oder längere Zeit auf den Grundbedarf 1 zurückgestuft werden. Die Skos-Richtlinien sind aber nur eine Empfehlung an die Gemeinden; diese sind grundsätzlich frei, auch andere Ansätze zur Anwendung zu bringen. Wieder angewendet werden soll die Verwandtenunterstützungspflicht, allerdings nur in auf- oder absteigender Linie und bei überdurchschnittlichem Einkommen.

Skos neue Richtsätze für die Ausrichtung von Sozialhilfegeldern

Nachdem in den achtziger Jahren verschiedene kantonale Armutsstudien - ausgehend von unterschiedlichen Definitionen der Armutsgrenze - vorgelegt worden waren, präsentierte die Universität Bern erstmals eine gesamtschweizerische Studie, welche sich sowohl am soziokulturellen wie am subjektiven Armutskonzept orientierte. Das soziokulturelle Existenzminimum rechnet nicht mit der blossen physischen Daseinssicherung, sondern bezieht Komponenten der Teilhabe am Sozialleben mit ein. Es lässt sich nur in Relation zum Wohlstandsniveau der betrachteten Gesellschaft (oder Region) zu einem bestimmten Zeitpunkt ermitteln. Subjektive Armutskonzepte stellen nicht auf die Einschätzung von Experten ab, sondern von allen Gesellschaftsmitgliedern, Betroffene eingeschlossen. Untersucht wurden die Ressourcen der einzelnen Haushalte, aber auch Wohnqualität, Arbeit und Ausbildung, Gesundheit, private Netzwerke und subjektives Wohlbefinden.

Die Armutsgrenze wird in der Schweiz je nach Gesichtspunkt und gesetzlicher Regelung unterschiedlich festgesetzt. Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) setzt sie für Einpersonenhaushalte bei 980 Fr. (nach Abgabe der Zwangsausgaben Steuern, Sozial- und Krankenversicherung, Alimente, Schuldzinsen und Wohnkostenanteil) fest; als Grenze für die Anspruchsberechtigung auf Ergänzungsleistungen (EL) gelten 1285 Fr., ebenfalls nach Abzug der Zwangsausgaben. Je nachdem, von welcher Armutsgrenze ausgegangen wird, lebten in der Schweiz im Erhebungsjahr 1992 zwischen 390 000 (5,6% der Wohnbevölkerung) und 860 000 (9,8%) Personen, die als "arm" zu gelten haben. Subjektiv nehmen aber längst nicht alle Betroffenen ihre Situation als Armut wahr.

Die Studie ermittelte neben der Anzahl der als arm einzustufenden Personen jene Bevölkerungsgruppen, die für Armut relativ anfällig sind. 60% der Armen in der Schweiz sind weniger als 40 Jahre alt. Die Auswertung nach Haushaltstypen wies eine besonders hohe Armutsquote bei Alleinerziehenden, geschiedenen Frauen und allein lebenden Männern aus. Junge, kinderreiche Familien gehören überdurchschnittlich häufig zur armen Bevölkerung. Signifikant unterdurchschnittliche Armutsquoten weisen Angestellte (im Unterschied zu Selbständigerwerbenden) und Altersrentner auf. Eine besonders hohe Armutsquote findet sich im Kanton Tessin und in der Romandie sowie unter der ausländischen Bevölkerung. Verdeckte Armut machte die Untersuchung vor allem dort aus, wo Anspruchsberechtigte keine EL oder Sozialhilfe beziehen, weil sie aus nicht genau zu ermittelnden Gründen den Gang zum Sozialamt scheuen bzw. über ihre Rechte nicht informiert sind. Über 50% der bezugsberechtigten Erwerbstätigen und rund ein Drittel der bezugsberechtigten Rentner beziehen weder Sozialhilfe noch EL. Eine Erhöhung der Bezugsquote könnte die real existierende Armut lindern.

gesamtschweizerische Studie Armutsgrenze Verdeckte Armut

In der Schweiz nimmt die Armut seit Beginn der neunziger Jahre zu. Gemäss einer Studie des Bundesamtes für Statistik stieg der Anteil der Haushalte, die nach eigenen Angaben Sozialhilfe beziehen, zwischen 1991 und 1995 von 4,7% auf 5,2%. Die Haushalte in der französischen Schweiz und im Tessin befinden sich laut Studie öfter in einer bedürftigen Situation, die ihnen Anspruch auf Unterstützungsleistungen gibt. Grosse Haushalte mit sechs und mehr Mitgliedern sind am häufigsten auf Unterstützung angewiesen. Der Anteil der "working poors" (Leute, die arbeiten, aber damit nicht genug für ihren Lebensunterhalt verdienen) bezogen auf die gesamte Bevölkerung schwankt zwischen 3,5% und 13,6%. Das Risiko, unter einer bestimmten Einkommensschwelle zu liegen, ist für Frauen und für Personen ohne nachobligatorische Ausbildung deutlich höher als für andere Bevölkerungsgruppen. Ende Jahr schätzte die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) die Zahl der Sozialhilfeempfänger auf 300'000. Erstmals wurde netto mehr als eine Milliarde Franken ausgeschüttet. Bei der Skos handelt es sich um die ehemalige Schweizerische Konferenz für öffentliche Fürsorge (SKöF).

Sozialhilfequote 1995

Aus Anlass des UNO-Jahres lud Bundesrätin Dreifuss anfangs Oktober rund ein Dutzend Kantons- und Städtevertreter zu einem Treffen mit einer Delegation der Bewegung ATD Vierte Welt ein, welche sich bereits seit vielen Jahren mit dem Problem der Armut in den hochindustrialisierten Ländern befasst. Sie betonte, eine Plattform des Dialogs sei umso notwendiger, als gewisse Kreise ein Klima der Angst um die Zukunft des Sozialsystems schürten.

Kantons- und Städtevertreter Treffen mit einer Delegation der Bewegung ATD Vierte Welt Problem der Armut in den hochindustrialisierten Ländern

Nach Genf und Tessin wird auch der Kanton Waadt für ausgesteuerte Arbeitslose ein garantiertes Minimaleinkommen einführen. Dieses wird 150 Fr. pro Monat über den üblichen Sozialhilfeleistungen liegen und an eine Gegenleistung (Weiterbildung, Arbeiten für die Gemeinschaft) gekoppelt sein. Während die Linke dieses "revenu minimum de réinsertion" zeitlich unbefristet ausrichten wollte, setzte die bürgerliche Mehrheit im Grossen Rat eine Beschränkung auf zwei Jahre durch. Der Kanton Wallis unterstellte nicht nur die Unterstützung der Ausgesteuerten, sondern generell seine Sozialhilfe unter den Gedanken eines Vertrages zwischen dem Individuum und der Gesellschaft ("contrat d'insertion sociale"). Die Erbringung gemeinnütziger Leistungen wird mehr als moralische denn als rechtliche Verpflichtung verstanden und hat auch die Aufgabe, die Sozialhilfeempfänger aus ihrer Isolation zu führen. Im teilrevidierten Fürsorgegesetz des Kantons Bern soll ebenfalls die Möglichkeit geschaffen werden, die Unterstützung in besonderen Fällen an vertraglich vereinbarte Gegenleistungen zu knüpfen. Die Sozialhilfe bekäme in einem solchen Fall den Charakter eines Soziallohnes und wäre damit nicht mehr rückerstattungspflichtig. Der Grosse Rat des Kantons Luzern lehnte es hingegen ab, ein Recht auf Existenzminimum für Ausgesteuerte einzuführen

garantiertes Mindesteinkommen in den Kantonen