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Mittels Motion forderte Ständerätin Lisa Mazzone (gp, GE) eine Änderung der BV, sodass neben ausländischen Personen der dritten Generation auch Ausländerinnen und Ausländer der zweiten Generation erleichtert eingebürgert werden können. Die zweite Generation habe aufgrund der Geburt oder dem Aufwachsen in der Schweiz eine Beziehung sowie ein Zugehörigkeitsgefühl zur Schweiz entwickelt und erfülle damit die selben Voraussetzungen wie die Menschen der dritten Generation. In seiner Stellungnahme beantragte der Bundesrat die Ablehnung der Motion. Eine erleichterte Einbürgerung für die zweite Generation gemäss BV bedeutete, dass diese Kompetenz neu auf Bundesebene angesiedelt würde, und damit ein weiterer Bedeutungsverlust für das Kantons- und Gemeindebürgerrecht. Die unteren Staatsebenen könnten in diesem Fall nur noch über die Einbürgerung der ersten Generation verfügen, so der Bundesrat. Infolge eines Ordnungsantrags von FDP-Ständerat Andrea Caroni (AR) in der Wintersession 2021 wurde der Vorstoss der SPK-SR zur Vorberatung zugewiesen.

Am 17. März 2023 wurde die Motion schliesslich abgeschrieben, da die Zweijahresfrist ohne abschliessende Behandlung in Rat verstrichen war.

Die Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern der zweiten Generation erleichtern (Mo. 21.3112)

In Erfüllung eines Postulats Graf (gp, BL) präsentierte der Bundesrat im Dezember 2021 seinen Bericht zu Ursachen von Tötungsdelikten im häuslichen Umfeld sowie zu Massnahmen zu deren Verhinderung. Dem Bericht lagen von der Universität St. Gallen im Auftrag des EBG ausgewertete Daten zu Ursachen von Homiziden innerhalb der Partnerschaft vor. Gemäss diesen Auswertungen sind die Opfer in neun von zehn Fällen weiblich. Die Studie eruierte verschiedene Risikofaktoren für Tötungsdelikte im häuslichen Umfeld, namentlich eine Trennung und die vorhergehende Ausübung von häuslicher Gewalt – inklusive Stalking –, Alkohol- und Drogenkonsum, Schusswaffenbesitz, finanzielle Schwierigkeiten oder auch «kulturell geprägte Vorstellungen über Geschlechterrollen mit einem Besitzanspruch sowie Macht- und Kontrollverhalten seitens des Mannes». Gerade im häuslichen Bereich bestehe Handlungsbedarf für Präventions- und Schutzmassnahmen, da die Tötungsdelikte dort im Gegensatz zu denjenigen ausserhalb der Partnerschaft über die Zeit nicht abgenommen hätten. Die sieben von den Autorinnen und Autoren im Bericht festgehaltenen Empfehlungen zielen unter anderem darauf ab, sowohl gewaltbetroffene als auch gewaltausübende Personen während der Trennung besser professionell zu betreuen, Schusswaffen schwieriger erhältlich zu machen und die Wirksamkeit von Präventionsinstrumenten stärker zu erforschen.
Aufgrund des Berichts beschloss der Bundesrat sechs Massnahmen: Erstens sollen fedpol und das VBS die Herkunft der für Homizide verwendeten Waffen erforschen, damit basierend auf diesen Grundlagen weitere Massnahmen zur Einschränkung des missbräuchlichen Waffengebrauchs beschlossen werden können. Zweitens soll zur Prävention von Tötungsdelikten erforscht werden, «mit welchen Massnahmen in der Schweiz auf gewaltbegünstigende Männlichkeitsvorstellungen eingewirkt werden kann». Drittens sollen Fachpersonen aus der Medizin, Psychiatrie, der Suchtberatung und dem sozialen Bereich sensibilisiert und Hilfsangebote verstärkt werden. Ebenfalls sollen – viertens – solche Hilfsangebote besser koordiniert und besser vermittelbar werden. Da etwas mehr als ein Viertel der Tötungsdelikte in der Partnerschaft mit dem Suizid des Täters oder der Täterin enden, soll fünftens diese Kategorie von Fällen verstärkt untersucht werden. Sechstens soll das SEM prüfen, wie Migrantinnen und Migranten besser über häusliche Gewalt und die für diesen Fall zur Verfügung stehenden Hilfsangebote informiert werden können.

Nach Kenntnisnahme des Berichts beschloss die WBK-NR mit 16 zu 7 Stimmen die Lancierung einer Kommissionsmotion, um regelmässige Präventionskampagnen gegen häusliche, geschlechterbezogene und sexuelle Gewalt in der ganzen Schweiz durchzuführen. Der Bundesrat stand diesem Anliegen positiv gegenüber. Ähnliche Anliegen verfolgten drei unmittelbar nach Publikation des Berichts von Nationalrätinnen unterschiedlicher politischer Lager eingereichte Motionen.

Postulat fordert Bericht zu Ursachen von Tötungsdelikten im häuslichen Umfeld (Po. 19.3618)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Im Mai 2020 reichte Marco Chiesa (svp, TI) zwei parlamentarische Initiativen für Änderungen der Pauschalbesteuerung ein, nachdem er sich bereits im Jahr 2019 mit zwei Motionen dieses Themas angenommen hatte. In seiner ersten Initiative (Pa.Iv. 20.421) wollte er Besteuerung nach dem Aufwand, also die sogenannte Pauschalbesteuerung, zukünftig auch ausländischen Personen ermöglichen, die in der Schweiz erwerbstätig sind – bisher war sie auf in der Schweiz nicht erwerbstätige Ausländerinnen und Ausländer beschränkt. Dabei solle das in der Schweiz erworbene Nettoeinkommen separat besteuert werden.
Mit seiner zweiten parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 20.422) beabsichtigte er, auch mit Schweizerinnen oder Schweizern verheirateten Ausländern oder Ausländerinnen Zugang zur Pauschalbesteuerung zu gewähren – bisher durfte bei einer Besteuerung nach dem Aufwand keiner der Ehegatten die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzen. Dabei sollten die Übergangsbestimmungen der Revision von 2012, die bis Ende 2020 in Kraft sind, weiterhin gelten, damit die ausländischen Ehegatten ihr Recht auf Besteuerung nach dem Aufwand nicht verlieren würden.
Andere Länder, beispielsweise Italien, hätten attraktivere Pauschalbesteuerungsregeln als die Schweiz, begründete Chiesa seine zwei Vorstösse. Unter anderem kenne gerade Italien eben auch eine Besteuerung nach dem Aufwand bei in Italien Erwerbstätigen. Folglich müsse hier die Schweiz nachziehen, um diesbezüglich wettbewerbsfähig zu bleiben, zumal sie mit der Besteuerung nach dem Aufwand «nicht zu vernachlässigende Steuereinnahmen» generiere.
Mitte April 2021 beriet die WAK-SR die beiden Initiativen und entschied mit 10 zu 2 Stimmen gegen Folgegeben. Die Akzeptanz für eine Anpassung der Regelungen der Pauschalbesteuerung in der Bevölkerung sei gering, überdies könnten die Vorstösse nur geringes zusätzliches Steuersubstrat generieren.
In der Sommersession 2021 zog der Initiant seinen Vorstoss ohne Begründung zurück.

Änderungen an der Pauschalbesteuerung (Pa.Iv. 20.421 und Pa.Iv. 20.422)

Die Autorinnen und Autoren der VOX-Analyse zur eidgenössischen Abstimmung vom 7. März 2021 über die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» kamen zum Schluss, dass das Abstimmungsergebnis – eine knappe Zustimmung zur Initiative mit 51.2 Prozent – infolge einer starken links-rechts-Polarisierung zustande gekommen war. Wenig überraschend war die Unterstützung mit rund 88 Prozent unter den Sympathisierenden der SVP gross. Allerdings stimmten auch die Sympathisierenden der Mitte und der FDP entgegen den Parteiparolen mit 60 respektive 58 Prozent mehrheitlich ja. Die Sympathisierenden der GLP (36% Ja), der SP (24% Ja) und der Grünen (16% Ja) lehnten die Initiative hingegen deutlich ab.

Als Motive der Ja-Stimmenden identifizierte die Studie den Schutz von Schweizer Werten und Kultur, die Stärkung von Frauenrechten sowie Sicherheitsaspekte in Bezug auf Extremismus und Hooliganismus. Die Schweizer Werte, Kultur und Identität wurden dabei als Hauptmotive genannt. Für die Nein-Stimmenden hatten als Motive die Zweifel an der Wirksamkeit der Initiative und ihre als diskriminierend empfundene Absicht überwogen. Hinzu kamen Bedenken hinsichtlich der Einmischung in fremde Kulturen und der Einschränkung der Selbstbestimmung von Frauen.

Wie schon im Abstimmungskampf wurden Frauenrechte von beiden Seiten als Argument angeführt, einfach jeweils umgekehrt ausgelegt. Die Studie betonte jedoch, dass der Stimmentscheid inhaltlich stark fundiert gewesen sei, so hätten 85 Prozent der Stimmenden entsprechend ihrer argumentativen Haltung (Zustimmung zu den jeweiligen Pro-/Kontraargumenten) gestimmt. Das Pro-Argument, wonach es zur Schweizer Kultur gehöre, das Gesicht zu zeigen, verfing am stärksten; selbst bei den Nein-Stimmenden war die Zustimmung (72%) dazu hoch. Während Ja-Stimmende dem Argument, dass die Verhüllung mit Burka und Niqab frauenfeindlich sei, mit rund 84 Prozent deutlich zustimmten, waren nur 42 Prozent der Nein-Stimmenden mit dieser Aussage einverstanden. Am stärksten polarisierte das Argument, das Verhüllungsverbot werde vor Terrorismus und Straftaten durch Vermummte schützen. Dies wurde von 84 Prozent der Ja-Stimmenden unterstützt und von 67 Prozent der Nein-Stimmenden abgelehnt. Die Nein-Stimmenden waren im Gegenzug mit 89 Prozent stark davon überzeugt, dass die Initiative Symbolpolitik auf Kosten einer kleinen Minderheit betreibe.

Überdies war die Zustimmung zur Initiative vom Vertrauen in Frauenrechts- und muslimische Organisationen abhängig. Je geringer das Vertrauen der Stimmenden in deren Vertreterinnen und Vertreter war, desto eher stimmten sie dem Verhüllungsverbot zu. Die Religionszugehörigkeit spielte ebenfalls eine zentrale Rolle. Personen mit christlicher Konfession stimmten mehrheitlich für die Initiative, während Personen ohne religiöse Bindung sich mehrheitlich dagegen aussprachen. Andersgläubige stimmten der Initiative mit 51 Prozent knapp zu. Eine detailliertere Auswertung – beispielsweise zum Stimmverhalten von Musliminnen und Muslimen – liess die zu geringe Anzahl von entsprechenden Befragten nicht zu. Die Analyse ergab ausserdem, dass ältere Menschen tendenziell häufiger zustimmten, während jüngere Menschen das Verhüllungsverbot am deutlichsten ablehnten. Ebenfalls deutlich war der Geschlechterunterschied: Frauen (56% Nein) lehnten die Initiative im Vergleich zu Männern (58% Ja) stärker ab. Des Weiteren zeigte sich, dass Personen mit einem Hochschulabschluss die Initiative tendenziell ablehnten, während Personen aller anderen Bildungsgruppen mehrheitlich Ja stimmten.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Im Frühling 2021 publizierte das BFS erstmals eine Statistik zu den Wiederholungen von Schülerinnen und Schülern im 3. bis 8. Jahr der Primarstufe – also von der ersten bis zur sechsten Klasse, da die beiden Kindergartenjahre ebenfalls zur Primarstufe gezählt werden. Die Studie belegte, dass es im Allgemeinen nur sehr wenige Wiederholungen auf dieser Stufe gibt; im Durchschnitt müssen jedes Jahr nur 1.3 Prozent der Lernenden eine Klasse wiederholen. Es bestehen jedoch Unterschiede bezüglich des Geschlechts, der Region und vor allem bezüglich der Migrationskategorie sowie des sozialen Hintergrundes. Währenddem 2.8 Prozent der Kinder, die nach ihrem 6. Lebensjahr in die Schweiz eingewandert sind, auf der Primarstufe mindestens einmal eine Klasse wiederholen müssen, beläuft sich diese Zahl bei Kindern, die in der Schweiz geboren sind, auf lediglich 1.1 Prozent. Hinsichtlich des Bildungsniveaus der Eltern hielt die Studie fest, dass Kinder mit Eltern ohne nachobligatorischen Bildungsabschluss dreimal häufiger repetieren müssen als Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil über einen Hochschulabschluss verfügt (2.1 Prozent versus 0.7 Prozent).

Wenige Wiederholungen auf Primarstufe

Weil die SPK-NR im Januar 2021 nach wie vor auf den Bericht in Erfüllung ihres Postulats 17.3269 wartete, beantragte sie ihrem Rat die erneute Fristverlängerung für die beiden Tessiner Standesinitiativen (Kt.Iv. 15.320 und 15.321) mit der Forderung, dass EU-Bürgerinnen und -Bürger bei der Beantragung einer Aufenthaltsbewilligung systematisch einen Strafregisterauszug vorlegen müssen. Der Nationalrat gab diesem Antrag in der Frühjahrssession 2021 stillschweigend statt und verlängerte die Frist zur Ausarbeitung einer Vorlage bis zur Frühjahrssession 2023.

Systematische Vorlage des Strafregisterauszugs bei der Beantragung von Aufenthaltsbewilligungen durch EU-Bürgerinnen und -Bürger (Kt.Iv. 15.320 und 15.321)
Dossier: Strafregisterauszug für Aufenthaltsbewilligung bei EU-Bürgerinnen und -Bürgern / Beitritt zu ECRIS

Der Nationalrat besprach in der Frühjahrssession 2021 das Postulat der APK-NR, das vom Bundesrat einen Bericht über die Situation der Tibeterinnen und Tibeter in der Schweiz forderte. Es handelte sich dabei um einen von zwei Vorstössen, mit denen die Kommission die Petition der Gesellschaft für bedrohte Völker (Pet. 18.2020) umgesetzt hatte. Den zweiten Vorstoss (Po. 20.4334) hatte der Nationalrat bereits eine Woche zuvor angenommen. Kommissionssprecher Roland Fischer (glp, LU) klärte den Nationalrat darüber auf, dass die tibetische Exilgemeinschaft in der Schweiz mit 4'000 Mitgliedern die grösste Europas sei. Die Menschenrechte in Tibet würden weiterhin verletzt werden, wobei sich «der lange Arm der chinesischen Diktatur» immer mehr auch nach Europa erstrecke, so Fischer. Er zitierte dabei aus einem Lagebericht «Sicherheit Schweiz» des NDB von 2016, der ein selbstbewusstes und forderndes Verhalten Chinas konstatierte. Fischer sah die Befürchtungen der tibetischen Diaspora – ihre Meinungsfreiheit und Privatsphäre werde zunehmend eingeschränkt – daher als berechtigt an. Eine Minderheit Estermann (svp, LU) stellte sich gegen einen derartigen Bericht. In den Augen der Minderheit waren mehr oder weniger sämtliche Anliegen der ursprünglichen Petition bereits erfüllt oder nicht umsetzbar, weshalb das Postulat zur Ablehnung empfohlen wurde. Bundesrätin Karin Keller-Sutter zeigte sich im Namen des Bundesrats bereit dazu, die wesentlichen Fragestellungen der Petition in einem Bericht zu beantworten und empfahl die Annahme des Postulats. Der Bundesrat habe ein Interesse daran, die Situation der Tibeterinnen und Tibeter aufzuarbeiten, da es dazu immer wieder Gerüchte und Fehlinformationen gegeben habe. Der Nationalrat nahm das Postulat mit 134 zu 48 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) an. Die Kommissionsminderheit fand über die Grenzen der SVP-Fraktion hinaus keine Unterstützung.

Bericht über die Situation der Tibeterinnen und Tibeter in der Schweiz (Po. 20.4333)
Dossier: Menschenrechtspolitik Schweiz-China

Am 7. März 2021 nahm die Schweizer Stimmbevölkerung die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» mit 51.2 Prozent Ja-Stimmen an. Damit fiel das Ergebnis letztlich knapper aus als aufgrund von Vorumfragen erwartet. Die Stimmbeteiligung betrug 51.4 Prozent. Die höchste Zustimmung erfuhr das Verhüllungsverbot im Jura (60.7% Ja), gefolgt vom Tessin (60.5%) und Schwyz (60.2%). In St. Gallen, wo wie im Tessin bereits ein kantonales Verhüllungsverbot gilt, dem 2018 zwei Drittel der Stimmbevölkerung zugestimmt hatten, war die Zustimmung mit 53.1 Prozent vergleichsweise schwach. Am wenigsten Unterstützung erhielt die Initiative im Kanton Basel-Stadt (40.6% Ja), gefolgt von Zürich (45.2%) und Genf (48.7%). Auch die Kantone Appenzell Ausserrhoden (49.1%), Bern (49.6%) und Graubünden (49.6%) lehnten die Initiative knapp ab. Bemerkenswert hoch war die Zustimmung für eine Initiative aus den Reihen der SVP – auch im direkten Vergleich mit dem 2009 angenommenen Minarettverbot, das ebenfalls vom Egerkinger Komitee initiiert worden war – in der Westschweiz. Verschiedene Expertinnen und Experten mutmassten in den Medien, dass einerseits die Nähe zu Frankreich den Diskurs analog der dort geführten Debatten stärker auf den sicherheitspolitischen Aspekt gelenkt habe und andererseits die in der Romandie stark präsenten, prominenten bürgerlichen und linken Stimmen, die sich für die Initiative starkgemacht hatten, wohl erheblichen Einfluss gehabt und den Anti-SVP-Reflex beschränkt hätten.
Die Befürwortendenseite wertete den Entscheid als «ein klares Signal des Widerstands gegen die Islamisierung der Schweiz», wie sich der Urheber des ersten kantonalen Verhüllungsverbots Giorgio Ghiringhelli vom «Corriere del Ticino» zitieren liess. Als «Zeichen gegen den ‹politischen Islam›, der vielen Menschen Unbehagen bereitet», interpretierte die NZZ das Votum. Der Berner SP-Grossrat Mohamed Hamdaoui sah im Resultat dementsprechend einen Positionsbezug der gemässigten Muslime gegen den Islamismus, wie er gegenüber «Le Temps» verlauten liess.
Das unterlegene Lager bedauerte den Volksentscheid derweil aus verschiedenen Gründen. Feministische Kreise, die sich gegen das Verhüllungsverbot starkgemacht hatten, fühlten sich durch das Argument, die Vollverschleierung sei Ausdruck der Unterdrückung der Frauen, für rassistische und xenophobe Zwecke missbraucht, wie deren Vertreterin Meriam Mastour gegenüber der Presse erklärte. Die Tourismusbranche befürchtete einen Imageschaden für die Schweiz und zeigte sich besorgt, dass künftig weniger kaufkräftige und konsumfreudige Gäste aus den Golfstaaten die Schweiz besuchen würden. Die Jungen Grünen und der IZRS erklärten unabhängig voneinander, eine gerichtliche Anfechtung des Verhüllungsverbots wenn nötig bis vor den EGMR unterstützen zu wollen. Pascal Gemperli, Pressesprecher der FIDS, zeigte sich um die Sicherheit der muslimischen Gemeinschaft besorgt und befürchtete zunehmende Aggression und Gewalt gegenüber Musliminnen und Muslimen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte gegenüber den Medien, das Abstimmungsresultat sei nicht als Votum gegen die Musliminnen und Muslime in der Schweiz zu verstehen. Diese Linie wurde im unterlegenen Nein-Lager breit vertreten. Dass der Ja-Anteil gegenüber der Minarettinitiative deutlich abgenommen habe, gebe Anlass zur Hoffnung, dass die Schweiz vielleicht doch nicht so islamfeindlich sei, so der Tenor.
Letztlich sei der Entscheid «vor allem auf symbolischer Ebene bedeutsam», resümierte die NZZ. Die konkreten praktischen Auswirkungen sind in der Tat noch unklar. Wie Karin Keller-Sutter erklärte, liege die Umsetzung bei den Kantonen, weil sie über die Polizeihoheit verfügten. Sie hätten nun zwei Jahre Zeit, entsprechende Gesetze zu erlassen. Der Bund müsse das Verbot unterdessen für diejenigen Bereiche, in denen er zuständig ist – beispielsweise im öffentlichen Transportwesen und im Zollwesen – auf Gesetzesebene konkretisieren. Gemäss dem «Blick» zeigten sich einige Kantonsvertretende wenig motiviert, ein gesetzliches Verhüllungsverbot zu erlassen, und würden die Umsetzung lieber ganz dem Bund überlassen. Initiant Walter Wobmann (svp, SO) warf dem Bund in derselben Zeitung bereits vor, die Initiative nicht umsetzen zu wollen: Ein Bundesgesetz sei «unabdingbar, um zu verhindern, dass am Schluss in jedem Kanton etwas anderes gilt», zitierte ihn das Blatt.


Abstimmung vom 7. März 2021

Beteiligung: 51.42%
Ja: 1'427'344 (51.2%) / Stände: 16 4/2
Nein: 1'360'750 (48.8%) / Stände: 4 2/2

Parolen:
– Ja: EDU, Lega, SD, SVP
– Nein: FDP (4*; Frauen: 1*; Jungfreisinnige: 2*), GLP, GP, KVP, Die Mitte (2*), PdA, SP; EKR, SSV, Travail.Suisse, VPOD, Schweizer Tourismus-Verband, EKS, SBK, Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund (SIG), Schweizerischer Rat der Religionen, Katholischer Frauenbund (SKF), Alliance F, Amnesty International, Operation Libero
– Stimmfreigabe: EVP (3*); Schweizerische Evangelische Allianz
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Mitte Januar 2021 startete mit Medienkonferenzen sowohl seitens des Initiativkomitees als auch des Bundesrats der Abstimmungskampf zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot». In den zwei darauffolgenden Monaten bis zum Abstimmungstermin am 7. März 2021 war das Thema Verhüllungsverbot in der Presse praktisch täglich präsent. Wie die Zeitungs- und Inserateanalyse zeigte, erhielt die Volksinitiative im angegebenen Zeitraum deutlich mehr Medienaufmerksamkeit als die beiden anderen Abstimmungsvorlagen vom 7. März, das E-ID-Gesetz und das Freihandelsabkommen mit Indonesien. Obgleich über das Verhüllungsverbot sehr viel debattiert wurde, gab es weder für noch gegen die Initiative eine nennenswerte Inseratekampagne. Dies ging mit einer komplexen Gemengelage in der intensiv geführten Debatte einher: Die Grenze zwischen dem befürwortenden und dem ablehnenden Lager war äusserst diffus; praktisch in jeder Partei oder gesellschaftlichen Gruppierung, die ihren Standpunkt kundtat, gab es gewichtige Stimmen, die sich für die jeweils gegnerische Seite starkmachten. Neben dem Egerkinger Komitee, das die Initiative lanciert hatte, und der SVP, die sie im Parlament unterstützt hatte, stand auf der Pro-Seite etwa auch ein Mitte-links-Komitee aus der Westschweiz, in dem sich unter anderen GLP-Nationalrätin Isabelle Chevalley (VD), der Genfer FDP-Grossrat Jean Romain, der Berner SP-Grossrat Mohamed Hamdaoui und alt-CVP-Nationalrätin Marlyse Dormond Béguelin (VD) für das Verhüllungsverbot engagierten. Ferner warb ein überparteiliches Frauenkomitee um die Nationalrätinnen Marianne Binder-Keller (mitte, AG) und Monika Rüegger (svp, OW) sowie die Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam Saïda Keller-Messahli für die Initiative. Für ein Nein plädierten indes alle grossen Parteien ausser der SVP – allerdings keineswegs geschlossen –, ein parlamentarisches Komitee unter der Federführung von FDP-Ständerat Andrea Caroni (AR), der Schweizer Tourismusverband, mehrere Frauenverbände und Frauenstreikkomitees sowie diverse Akteure, die sich selbst als liberal verstanden oder sich für die Religionsfreiheit einsetzten, darunter die Operation Libero, Amnesty International und verschiedene religiöse Organisationen. Die grossen Abwesenden im Abstimmungskampf waren die direkt Betroffenen, die Nikabträgerinnen selber. Wie der Tages-Anzeiger berichtete, lag das jedoch nicht daran, dass man sie nicht hätte zu Wort kommen lassen, sondern dass sie sich – abgesehen von zwei Interviews während der gesamten Kampagne – nicht äussern wollten. Nach gemäss eigenen Angaben monatelanger Suche blieb der Zeitung deshalb nichts als die Erkenntnis, «dass verhüllte Frauen in der Schweiz nicht nur Körper und Gesicht verstecken, sondern unsichtbar und stumm bleiben».

Argumentativ bewegte sich der Abstimmungskampf auf verschiedenen Ebenen, wobei die Befürwortenden und die Gegnerschaft über weite Strecken dieselben Punkte vorbrachten, sie aber unterschiedlich interpretierten und daher zu gegenteiligen Schlüssen kamen. Neben der Islamdebatte und der Grundrechtsdiskussion wurde von beiden Seiten aus feministischer, sicherheitspolitischer, staatspolitischer und empirischer Warte argumentiert. Wenngleich der Initiativtext keinen Bezug zur islamischen Gesichtsverschleierung herstellte, war beiden Seiten klar, dass sie sich vor allem gegen jene richtete. In der Presse war daher meist vom «Burkaverbot» oder von der «Anti-Burka-Initiative» die Rede, obwohl in der Schweiz – wenn überhaupt – ausschliesslich der Nikab zu sehen sei, wie eine im Abstimmungskampf viel zitierte Studie der Universität Luzern feststellte. Während das Contra-Lager die Initiative als anti-islamisch und diskriminierend gegenüber Musliminnen verstand, sah die Pro-Seite sie als Mittel zum Kampf gegen den radikalen Islam und den Islamismus. Die Religionsfreiheit der Musliminnen tangiere die Initiative nicht, weil die Verschleierung nicht vom Islam verlangt werde, sondern ein kultureller Ausdruck für die Unterdrückung der Frau sei; sie könne daher nicht als Ausübung der persönlichen Freiheit gewertet werden. Vielmehr sei die Vollverschleierung sexistisch und entwürdigend, weil sie die Frauen im öffentlichen Leben unsichtbar mache und entmenschliche. Die muslimischen Frauen müssten davor bewahrt werden, weil sie sich mit Gesichtsschleier nicht in die Schweizer Gesellschaft integrieren könnten. Die Gegenseite betonte, dass sich die Nikabträgerinnen in der Schweiz in der Regel aus religiöser Überzeugung freiwillig verschleierten und nicht befreit werden müssten – im Gegenteil: Soziologische Studien aus Frankreich zeigten, dass die Verschleierung von den strenggläubigen Musliminnen im westlichen Kulturkreis als antikonformistischer, emanzipatorischer Akt verstanden werde. In Frankreich habe das Verbot den Gesichtsschleier sogar populärer werden lassen, weil er jetzt auch als Ausdruck des Protests getragen werde. Zudem sei es sexistisch und paternalistisch, den Frauen vorzuschreiben, wie sie sich zu kleiden hätten und ihnen die freie Entscheidung für den Schleier nicht zuzutrauen. Falls eine Frau den Schleier tatsächlich unter Zwang trage, kriminalisiere das Verbot überdies das Opfer und wirke kontraproduktiv, indem es die betroffenen Frauen zuhause einsperre und erst recht aus der Gesellschaft ausschliesse. Dass es gemäss der Studie der Universität Luzern in der Schweiz nur 20 bis 30 vollverschleierte Frauen gebe, gab dem ablehnenden Lager Anlass, das Anliegen als unnötige Symbolpolitik zu bezeichnen. Für die Befürworterinnen und Befürworter war die Gesichtsverhüllung jedoch eine Prinzipienfrage und auch in noch so kleinen Zahlen nicht tolerierbar. Sie sahen sich im Motto «Wehret den Anfängen» bestärkt und forderten, jetzt zu handeln, solange es noch nicht zu spät sei.

Weiter hob die Pro-Seite hervor, dass die Identifizierbarkeit von Personen sicherheitsrelevant sei. Das Verhüllungsverbot schütze die Gesellschaft somit auch vor vermummten Kriminellen wie zum Beispiel Hooligans oder gewalttätigen Demonstrierenden. Dem setzte die Gegenseite entgegen, dass es in fünfzehn Kantonen bereits verboten sei, sich bei Demonstrationen und Sportveranstaltungen zu vermummen. (Als erster Kanton hatte Basel-Stadt 1990 ein solches Verbot eingeführt.) Ausserdem verhindere das Verhüllungsverbot – anders als von den Initianten schon bei der medienwirksamen Lancierung der Initiative suggeriert – keine Terroranschläge. Dafür brauche es strafrechtliche und präventiv-polizeiliche Massnahmen, denn allein durch ein Verhüllungsverbot würden radikalisierte Islamisten und Islamistinnen «nicht plötzlich zurück in die Mitte der Gesellschaft finden», wie es der «Sonntags-Blick» formulierte. In anderen Kontexten, etwa in winterlicher Kälte, an der Fasnacht oder in der Pandemiesituation, sei die Verhüllung zudem auch für die Initiantinnen und Initianten kein Problem, wie die im Initiativtext enthaltenen Ausnahmen zeigten.

Auf der staatspolitischen Ebene drehte sich die Diskussion um die Frage, ob das Verhüllungsverbot in die Bundesverfassung gehöre. Während die Contra-Seite es ablehnte, Kleidervorschriften in die Verfassung zu schreiben, sah das Pro-Lager dies als gerechtfertigt an, weil es eben nicht um eine blosse Kleidervorschrift gehe, sondern um einen Grundsatz der liberalen und demokratischen Gesellschaft: In der Öffentlichkeit das Gesicht zu zeigen und dasjenige des Gegenübers zu sehen, sei fundamental für das Zusammenleben. Diese Begründung hatte auch den EGMR von der menschenrechtlichen Zulässigkeit des Verhüllungsverbots in Frankreich überzeugt, als dieses in Strassburg vergeblich angefochten worden war. Darüber, ob die seit Monaten geltende Maskenpflicht aufgrund der Corona-Pandemie dieses Argument ad absurdum führe oder ob sie gerade beweise, dass es das Verhüllungsverbot für das Funktionieren der zwischenmenschlichen Beziehungen brauche, wurden sich die beiden Lager nicht einig. Derweil war das gegnerische Lager der Ansicht, es sei gerade höchst illiberal, etwas zu verbieten, das niemandem schade, nur weil es auf Ablehnung stosse. Auch der Bundesrat argumentierte hauptsächlich staatspolitisch: Ein nationales Verhüllungsverbot greife in die Souveränität der Kantone ein, denen die Polizeihoheit obliege. Das Tessin und St. Gallen hätten bereits ein Verhüllungsverbot eingeführt, während andere Kantone ein solches explizit abgelehnt hätten. Diese Entscheide seien zu respektieren. Die Befürwortendenseite argumentierte indessen, dass die Regelung einer solch fundamentalen gesellschaftlichen Frage nicht den Kantonen überlassen werden dürfe. Dass die Gesichtsverhüllung in vielen anderen europäischen Ländern – darunter Belgien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Lettland und Österreich – und sogar einigen arabischen Staaten wie Ägypten, Marokko, Senegal oder Tunesien verboten – und im Falle von Frankreich das Verbot explizit vom EGMR als menschenrechtskonform bestätigt – sei, wertete die Pro-Seite als Zeichen der Legitimität ihres Anliegens. Sie betonte zudem die guten Erfahrungen, welche die Kantone Tessin und St. Gallen damit gemacht hätten. Weder im Tessin noch in den bei arabischen Gästen beliebten österreichischen Ferienorten habe sich das Verhüllungsverbot negativ auf den Tourismus ausgewirkt, wie es der Tourismusverband befürchtete. Die Contra-Seite hob hingegen hervor, dass im Tessin und in St. Gallen praktisch keine Verstösse gegen das Verbot registriert würden, was bestätige, dass es sich nur um ein Scheinproblem handle. In diesem Zusammenhang war in den Augen der Befürworterinnen und Befürworter auch Justizministerin Karin Keller-Sutter, die sich im Namen des Bundesrats gegen das Verhüllungsverbot aussprach, nicht glaubwürdig, weil sie in St. Gallen als ehemalige Polizeidirektorin genau ebendieses eingeführt habe. Gleichzeitig attestierten die Gegnerinnen und Gegner dem Egerkinger Komitee und der SVP ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil sie ihnen ihr Engagement für Frauenrechte nicht abkauften.

Neben der Initiative selbst sorgte auch der indirekte Gegenvorschlag, der bei Ablehnung der Initiative automatisch in Kraft treten würde, für einige Diskussionen. Die Initiativgegnerinnen und -gegner waren der Ansicht, der Gegenvorschlag regle mit der gesetzlichen Pflicht, zur Identifizierung vor Behörden das Gesicht zu zeigen, alles Nötige. Ausserdem leiste er – im Gegensatz zum Verhüllungsverbot – einen tatsächlichen Beitrag an die Stärkung der Frauenrechte und die bessere Integration von ausländischen Frauen in die Gesellschaft. Die Initianten argumentierten hingegen, der Gegenvorschlag löse das eigentliche Problem nicht und wer keine «Gleichstellungsoffensive» («Weltwoche») wolle, müsse mit der Annahme der Initiative den Gegenvorschlag verhindern.

Die durchgeführten Umfragen attestierten der Initiative von Anfang an gute Chancen. Nachdem Ende Januar eine klare Ja-Mehrheit von 63 Prozent (Tamedia) bzw. 56 Prozent (SRF) resultiert hatte, legte die Nein-Kampagne im Folgenden etwas zu. Zwei Wochen vor der Abstimmung bekundeten noch 59 bzw. 49 Prozent der Befragten eine Ja-Stimmabsicht. Während die Parteibasis der SVP durchwegs zu rund 90 Prozent ja stimmen wollte, zeigten sich die Anhängerschaften von FDP, Mitte und GLP gespalten – hier konnte das Nein-Lager im Verlauf der Kampagne Boden gutmachen. Auch im linken Lager traf das Anliegen immerhin bei rund 30 Prozent der Befragten auf Wohlwollen.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Im Februar 2021 stellte sich die RK-SR gegen eine parlamentarische Initiative Rickli (svp, ZH), der ihre Schwesterkommission im Vorjahr noch Folge gegeben hatte, mit der Ehen mit Minderjährigen für ungültig erklärt werden sollten. Dabei anerkannte sie zwar den Handlungsbedarf in diesem Bereich, wollte aber den im Sommer erwarteten Vernehmlassungsentwurf des Bundesrates abwarten, weswegen sie der parlamentarischen Initiative mit 7 zu 4 Stimmen (1 Enthaltung) keine Folge gab. Aus dem gleichen Grund sistierte die Kommission auch eine Motion der RK-NR (Mo. 20.3011).

Keine Anerkennung von Kinder- und Minderjährigenehen in der Schweiz (Pa. Iv. 18.467)

Der Bundesrat veröffentlichte im Februar 2021 den Bericht «Politik der frühen Kindheit. Auslegeordnung und Entwicklungsmöglichkeiten auf Bundesebene» in Erfüllung der Postulate der WBK-NR und von Nik Gugger (evp, ZH; Po. 19.3262). Der Bericht nahm eine Definition des Begriffs «Politik der frühen Kindheit» vor und stellte einen nicht abschliessenden Katalog der Leistungen in diesem Politikbereich vor; dieser reichte von der Elternbildung, über die frühe Sprachförderung bis zur aufsuchenden Familienarbeit. In den Handlungsfeldern «Statistische Datengrundlagen», «Informations- und Erfahrungsaustausch/Koordination», «Zugang zu den Angeboten», «Qualität der Angebote» sowie «Finanzierung der Angebote» identifizierte der Bericht Verbesserungspotenzial in Bezug auf das staatliche Wirken. In der Folge wurden für diese Handlungsfelder verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten formuliert. Diese umfassten beispielsweise die Einführung einer nationalen Kinderbetreuungsstatistik, die Verbesserung der Datenlage zum Gesundheitszustand von Kindern unter Berücksichtigung sozialer Benachteiligungen, die Förderung des Informations- und Erfahrungsaustausches zwischen Fachpersonen, die Verbesserung der Zusammenarbeit und der Koordination auf Bundesebene, die verstärkte Förderung der Chancengerechtigkeit von Kindern mit Migrationshintergrund und von Kindern mit Behinderungen oder auch die Subventionierung von Familienorganisationen mit Tätigkeiten betreffend Familien mit kleinen Kindern. Einige dieser Massnahmen würden geprüft oder befänden sich bereits in Umsetzung. So würden beispielsweise schon heute Projekte mit Kindern, die eine Beeinträchtigung haben, unterstützt, schloss der Bericht.

Strategie zur Stärkung der frühen Förderung
Dossier: Frühe Kindheit

Dans le cadre d'une étude, l'EPFZ s'est penchée sur les discriminations ethniques vécues sur le marché de l'emploi. Elle révèle que les candidatures issues de la migration ont plus de chances d'être examinées en fin de matinée ou en fin de journée. L'étude s'est basée sur les comportements des employeurs sur la plateforme de recherche d'emploi de l'assurance chômage. Les candidatures anonymisées ont été étudiées sous l'angle de la nationalité et du nom de famille étranger. Ainsi, une personne de nationalité suisse avec un patronyme de consonance arabe a 6.5 pour cent moins de chances d'être contacté par rapport à une personne suisse présentant, pour le reste, les mêmes caractéristiques. Si les personnes issues d'Europe du Sud ne subissent pas de discrimination liée à leur origine, ce n'est pas le cas pour les Asiatiques, la population des Balkans, du continent africain ou du Moyen-Orient. L'étude relève également que l'impact défavorable de l'origine est plus conséquent aux alentours de midi et en fin de journée. Une des raisons avancée est que les biais, comme par exemple les stéréotypes à l'égard de certaines minorités, agissent de manière plus importante sur le processus de décision lorsque la personne en charge du recrutement est fatiguée ou stressée.

Etude de l'EPFZ sur les discriminations ethniques vécues sur le marché de l'emploi

Jahresrückblick 2020: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport

Die Gesundheitspolitik stand 2020, wie die gesamte Schweizer Politik, ganz im Zeichen der Corona-Pandemie, welche die Schweiz im Februar – damals noch als Epidemie eingestuft – erreichte und seither in Atem hält. Die steigenden Infektionszahlen veranlassten den Bundesrat dazu, am 28. Februar die «besondere Lage» gemäss Epidemiengesetz auszurufen, mit welcher der Bund die Weisungsbefugnisse gegenüber den Kantonen sowie die Verantwortung für die Krisenbewältigung übernahm. Zudem verabschiedete die Regierung die Verordnung über «Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19)», durch welche Grossveranstaltungen mit über 1'000 Personen bis auf Weiteres verboten wurden. Dennoch stiegen die Fallzahlen in der Folge drastisch an, so dass der Bundesrat am 13. März in einer zweiten Verordnung die Einreise aus Risikoländern einschränkte und das Zusammenkommen von über 100 Personen untersagte.
Nachdem auch diese Massnahmen dem Anstieg der Fallzahlen keinen Einhalt gebieten konnten, verkündete der Bundesrat am 16. März die ausserordentliche Lage gemäss dem Epidemiengesetz und ordnete einen Lockdown an, um weiterhin genügend freie Betten in Krankenhäusern garantieren zu können. Abgesehen von Lebensmittelgeschäften und Gesundheitseinrichtungen mussten sämtliche Läden, Restaurants, Bars sowie Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe schliessen. Öffentliche und private Veranstaltungen wurden untersagt, der Präsenzunterricht in Schulen wurden verboten und die Bevölkerung wurde dazu angehalten, zuhause zu bleiben und wenn möglich Homeoffice zu betreiben. Einhalten der Hygienemassnahmen und Abstand wahren – was sich in den darauffolgenden Monaten noch als Social Distancing durchsetzen sollte –, waren die Devise. Die Grenzen zu sämtlichen noch offenen grossen Nachbarländern wurden geschlossen und Schweizerinnen und Schweizer zurück ins Land gerufen. In diesem Zusammenhang organisierte die Regierung Rückholaktionen von im Ausland gestrandeten Bürgerinnen und Bürgern, an der sich auch die Rega beteiligte.
Am 20. März reduzierte die Landesregierung die erlaubte Gruppengrösse von öffentlichen Versammlungen weiter auf fünf Personen. Da die Spitäler stark beansprucht waren, verbot sie zudem die Durchführung von nicht dringend notwendigen Untersuchungen, Eingriffen und Therapien in medizinischen Einrichtungen], was dazu führte, dass die Spitäler erhebliche finanzielle Einbussen erlitten. Gleichzeitig hob der Bundesrat die Bestimmungen zu Arbeits- und Ruhezeiten im Gesundheitswesen auf, um der Problematik der knappen personellen Ressourcen begegnen zu können.
Am 8. April verlängerte der Bundesrat die Massnahmen der ausserordentlichen Lage bis zum 26. April, kündigte aber am 16. April erste Lockerungsschritte an, die bis im Juni erfolgten. In der Folge entspannte sich die Situation während den Sommermonaten, so dass der Bundesrat das Corona-Zepter an die Kantone zurückgegeben konnte. Diese Beruhigung der Lage war jedoch nur von begrenzter Dauer: Aufgrund der steigenden Fallzahlen erliess der Bundesrat am 18. Oktober erneut landesweite Massnahmen wie zum Beispiel ein Versammlungsverbot von mehr als 15 Personen.
Weil die vom Bundesrat erlassenen Notverordnungen nach sechs Monaten automatisch ausser Kraft treten, mussten die darin enthaltenen Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in Bundesgesetz gegossen werden. In der Herbstsession behandelte das Parlament entsprechend das stark umstrittene dringliche Covid-19-Gesetz, zu dem der Verein «Freunde der Verfassung» das Referendum ergreifen wollte. Bereits in der Wintersession und somit noch vor Ablauf der Referendumsfrist nahm das Parlament auf Antrag des Bundesrates zudem einige Anpassungen am neuen Gesetz vor, die es dem Bundesrat ermöglichen sollen, die Auswirkungen der zweiten Welle abzudämpfen.

Obwohl die Corona-Pandemie den Parlamentsbetrieb zweifelsohne dominierte, wurden auch andere Geschäfte in der Gesundheitspolitik behandelt. Im Bereich der Krankenpflege war dies zum Beispiel der indirekte Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative, dem sich die beiden Räte in mehreren Sessionen annahmen. Der Pflegeberuf hatte durch die Coronakrise zwar an Ansehen gewonnen, trotzdem gab es zwischen den beiden Parlamentskammern unter anderem noch Differenzen bezüglich des eigenständigen Abrechnens durch die Pflegefachpersonen mit den Krankenkassen oder bezüglich der Ausbildungsbeiträge durch die Kantone.
Weiter ermöglichten die beiden Räte in der Herbstsession Versuche zur kontrollierten Abgabe von Cannabis, von denen man sich einen Erkenntnisgewinn zu alternativen Regulierungsformen erhoffte. Auch medizinischer Cannabis war 2020 ein Thema: So beabsichtigte der Bundesrat, den Zugang zu medizinischen Cannabisbehandlungen zu ermöglichen. Die Volkskammer befasste sich in der Wintersession mit dem Geschäft und hiess die entsprechende Änderung am BetmG gut.
Im Spätsommer gab die Landesregierung bekannt, dass sie die Initiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» zur Ablehnung empfehle, da ihr das Anliegen zu weit gehe. Es müsse ein gewisses Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen Interessen und den Interessen der öffentlichen Gesundheit bestehen, was der Bundesrat beim Volksbergehren, das ein weitreichendes Verbot für Tabakproduktewerbung vorsah, als nicht gegeben erachtete. Er unterstütze allerdings den Jugendschutz im Rahmen der parlamentarischen Debatte zum Tabakproduktegesetz, mit dem sich der Nationalrat im Dezember 2020 auseinandersetzte.

Während in der Sportpolitik zu Beginn des Jahres Themen wie die in Lausanne organisierten Olympischen Winterjugendspiele und das Fortbestehen des Lauberhornrennens in den Schlagzeilen waren, wichen diese Ende Februar Artikeln im Zusammenhang mit Covid-19. So traf die Absage von Grossveranstaltungen vor allem die Profiligen des Fussballs und des Eishockeys hart. Nachdem die Ligen zuerst eine vorläufige Pause eingelegt hatten, wurden die Saisons am 12. März (Eishockey) respektive 30. April (die unteren Ligen im Fussball) definitiv abgebrochen. Zwischenzeitlich kam es zu Diskussionen, ob Geisterspiele durchgeführt oder ganz auf den Spielbetrieb verzichtet werden sollte. Um die wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus zu dämpfen, sagte der Bundesrat am 20. März der Sportbranche CHF 100 Mio. zu, wobei die eine Hälfte in Form von zinslosen Darlehen an den Spitzensport und die andere Hälfte als A-fonds-perdu-Beiträge an den Breitensport gehen sollten. Da dies nicht ausreichte, wurde Mitte Mai ein Stabilisierungspaket im Umfang von einer halben Milliarde Franken festgelegt. Im Rahmen der Behandlung des Covid-19-Gesetzes im September einigten sich National- und Ständerat darauf, dass nicht die Ligen, sondern die Sportvereine selber Darlehen erhalten sollen, wobei sie Sicherheiten im Umfang von einem Viertel ihres betrieblichen Aufwandes der Saison 2018/19 zu leisten haben. Anfang November stellte Sportministerin Amherd ein Hilfspaket für den Sport vor, das bis Ende 2021 CHF 350 Mio. für den Spitzensport und CHF 200 Mio. für den Breitensport vorsah und von dem auch semiprofessionelle Teams verschiedener weiterer Sportarten profitieren können sollen.

Nicht nur für die Unternehmen und die Sportvereine, sondern auch für die Schweizer Bevölkerung hatte die Corona-Pandemie grosse finanzielle Einbussen zur Folge, weshalb sich auch im Themenbereich Sozialhilfe einiges tat. Dabei würden aber nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich stark von der Krise getroffen, berichteten die Medien. Der Krise besonders stark ausgesetzt seien die unteren Einkommensschichten, wo bereits einige Hundert Franken, die beispielsweise wegen dem durch Kurzarbeit für viele Personen auf 80 Prozent reduzierten Lohn wegfielen, einen grossen Unterschied machten. Aus diesem Grunde hielt die Hilfsorganisation Caritas den Bundesrat und das Parlament dazu an, Unterstützungsprogramme, die einmalige Direktzahlungen in der Höhe von CHF 1'000 beinhalteten, für armutsbetroffene Haushalte und Einzelpersonen zu beschliessen. Die durch die Pandemie gemäss Medien verstärkten Ungleichheiten in der Bevölkerung wurden insbesondere anhand der teilweise über einen Kilometer langen Menschenschlangen vor Lebensmittelausgabestellen in Genf oder Zürich ersichtlich. Besonders stark auf solche Angebote angewiesen waren viele Sans-Papiers, die keine Sozialhilfe beziehen können, sowie Ausländerinnen und Ausländer mit Aufenthalts- bzw. Niederlassungsbewilligung, da diese einen Widerruf ihrer Bewilligungen riskierten, wenn sie Sozialhilfe bezögen.
Bereits im Vorjahr – also noch vor der Pandemie – hatte der Ständerat eine Motion der WBK-SR (Mo. 19.3953) behandelt, welche die Einrichtung eines fünfjährigen Monitoring-Zyklus zur Prävention und Bekämpfung von Armut beabsichtigte. Der Nationalrat stimmte dem Kommissionsbegehren in der Sommersession 2020 zu; dies wohl auch im Lichte der gegebenen Umstände, wie einige Medien mutmassten.

Welch gewaltigen Raum die Thematik rund um die Covid-19-Pandemie in der Medienberichterstattung einnahm, widerspiegelt sich auch in der Anzahl dazu veröffentlichter Zeitungsartikel (siehe APS-Zeitungsanalyse 2020). Dabei dominierte die Pandemie nicht nur die Berichterstattung im Themenbereich «Gesundheitspolitik» (siehe Abb. 1), sondern machte zu Zeiten, wo die Covid-19-Fallzahlen sehr hoch waren – sprich im Frühjahr und im Herbst –, sogar gut ein Drittel beziehungsweise ein Viertel der abgelegten Zeitungsberichte über alle untersuchten Zeitungen und Themen hinweg aus. Während sich die Artikelzahl zur Sozialhilfe 2020 auf konstant tiefem Niveau hielt, ist für den Sport im Mai ein leichter Peak erkennbar. Im September, als das Parlament das Covid-19-Gesetz beriet, von welchem auch der Sport stark betroffen war, fiel die Medienpräsenz hingegen sehr gering aus.

Jahresrückblick 2020: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Dossier: Jahresrückblick 2020

Die APK-NR wollte den Bundesrat mittels Postulat dazu auffordern, einen detaillierten Bericht über die Situation der Tibeterinnen und Tibeter in der Schweiz zu erstellen. Dieser solle sich insbesondere mit der Situation der Meinungsäusserungsfreiheit und der Überwachung auseinandersetzen. Damit gab die Kommission einer Petition der Gesellschaft für bedrohte Völker (Pet. 18.2020) Folge.
Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats.

Bericht über die Situation der Tibeterinnen und Tibeter in der Schweiz (Po. 20.4333)
Dossier: Menschenrechtspolitik Schweiz-China

Sur recommandation du Conseil fédéral, le Conseil des Etats a classé le postulat sur les investissements directs étrangers.

Reprise d'entreprises par des investisseurs étrangers. L'absence totale de contrôle est-elle encore tenable? (Po. 18.3376)
Dossier: Ausländische Investitionen in Schweizer Unternehmen
Dossier: Schutz kritischer Infrastrukturen

Nachdem die eidgenössischen Räte den indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot», das Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung, mit der Bereinigung aller Differenzen auf Kurs gebracht hatten – die Schlussabstimmungen standen aufgrund des pandemiebedingten Abbruchs der Frühjahrssession indes noch aus –, beriet der Nationalrat in der Sommersession 2020 die Volksinitiative an sich. Der Ständerat hatte schon im Herbst 2019 über die Initiative debattiert und sie zur Ablehnung empfohlen. Die Volkskammer als Zweitrat hatte die Diskussion zur Initiative seinerzeit ausgesetzt, bis die Beratungen zum Gegenvorschlag abgeschlossen sein würden, und nahm sie nun ein knappes Jahr später in Angriff. Die SPK-NR beantragte ihrem Rat mit 14 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. In der mehrstündigen, emotionalen Ratsdebatte standen sich das befürwortende – bestehend aus der SVP-Fraktion sowie einem grossen Teil der Mitte-Fraktion – und das gegnerische Lager – bestehend aus allen anderen Fraktionen – unverrückbar gegenüber. Als «Dialog der Gehörlosen» bezeichnete «Le Temps» die Diskussion, in der nur die bereits bekannten, festgefahrenen ideologischen Positionen zu den Frauenrechten und zum «Kulturkampf» («Le Temps») vorgetragen wurden. Die Befürworterseite argumentierte im Kern, das Verhüllungsverbot setze ein klares Zeichen gegen die Unterdrückung der Frau und stärke die offene Gesellschaft sowie die Sicherheit in der Schweiz. Die Gegenseite betonte in erster Linie die Unvereinbarkeit eines solchen Verbots mit der liberalen Gesellschaftsordnung. 91 Wortmeldungen später entschied der Nationalrat mit 114 zu 76 Stimmen bei 3 Enthaltungen, die Initiative Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen. Für die Initiative standen neben der geschlossenen SVP-Fraktion zwei Drittel der Mitte-Fraktion sowie zwei Stimmen aus der FDP- (de Quattro/fdp, VD; Dobler/fdp, SG) und eine aus der GLP-Fraktion (Chevalley/glp, VD) ein. Abschliessend billigte die Volkskammer, dass ihre Kommission die Petition 15.2044 für die Ungültigkeitserklärung der Initiative aus Gründen der Einheit der Materie zur Kenntnis genommen hatte. Wie Kommissionssprecher Damien Cottier (fdp, NE) im Ratsplenum erläuterte, war die Kommission der Ansicht gewesen, dass die Volksinitiative die Einheit der Materie wahre, indem sie ein einziges Thema, nämlich das Verbot der Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit, betreffe.

In den Schlussabstimmungen zwei Tage darauf wurde der Bundesbeschluss, mit dem das Parlament die Volksinitiative zur Ablehnung empfahl, im Nationalrat mit 113 zu 77 Stimmen bei 7 Enthaltungen angenommen, wobei die befürwortenden und ablehnenden Stimmen dieselben geblieben waren wie bei der inhaltlichen Beratung. Der Ständerat stimmte dem Bundesbeschluss mit 36 zu 7 Stimmen bei 2 Enthaltungen zu; hier bestand die Opposition aus der geschlossenen SVP-Fraktion und CVP-Vertreter Beat Rieder (cvp, VS).

Weil sie aufgrund des Sessionsabbruchs nicht mehr in der Frühjahrssession 2020 stattgefunden hatten, standen auch die Schlussabstimmungen zum Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung in der Sommersession 2020 auf der Agenda der eidgenössischen Räte. Den indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» nahm der Nationalrat mit 104 zu 85 Stimmen bei 9 Enthaltungen an. Während sich die Mitte-Fraktion hier grossmehrheitlich dafür aussprach, stimmten neben der geschlossenen SVP- eine breite Mehrheit der Grünen Fraktion sowie einige Angehörige der FDP- und der Mitte-Fraktionen dagegen. Der Ständerat verabschiedete das Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung mit 35 zu 8 Stimmen bei 2 Enthaltungen, wobei auch hier alle SVP- und zwei Mitte-Stimmen ablehnend waren.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Die im Februar 2020 von der RK-NR eingereichte Motion «Kinder- und Minderjährigenehen nicht tolerieren» forderte vom Bundesrat, das ZGB dahingehend anzupassen, dass eine Eheschliessung für ungültig erklärt wird, wenn «zur Zeit der Eheschliessung einer der Ehegatten minderjährig war». Zwar gelte in der Schweiz seit 1996 ohne «Wenn und Aber 18 als das Ehefähigkeitsalter», mit der von der RK-NR vorgesehenen Änderung soll zusätzlich das gesetzliche Mindestalter auch auf ausländische Minderjährigenehen angewendet werden können, wie dies neu auch in Deutschland und den Niederlanden gehandhabt werde.
Wie zudem die Kommission per Medienmitteilung kommunizierte, gab sie zeitgleich einer im Dezember 2018 eingereichten parlamentarischen Initiative Rickli (svp, ZH) (18.467) Folge, welche dieselben Absichten verfolgte. Mit ihrer Motion wolle die Kommission zusätzlich den Druck auf den Bundesrat erhöhen, damit dieser entsprechende Regelungen bereits bei der laufenden Revision des ZGB berücksichtigte.
Der Bundesrat beantragte in seiner Stellungnahme im Mai die Ablehnung der Motion: Mit dem Bericht in Erfüllung des Postulats Arslan (16.3897) habe man bereits Handlungsbedarf erkannt und das EJPD damit beauftragt, bis Ende Jahr eine «Vernehmlassungsvorlage im Sinne des darin skizzierten Lösungsvorschlags auszuarbeiten». Ferner ging die Motion dem Bundesrat zu weit, da bei deren Annahme rückwirkend zahlreiche, bereits jahrelang bestehende Ehen für ungültig erklärt werden müssten, bei denen zum Zeitpunkt des Eheschlusses ein Ehegatte minderjährig war.
In der nationalrätlichen Debatte zur Motion während der Sommersession 2020 führte Justizministerin Keller-Sutter aus, die allfälligen Ungültigkeitserklärungen hätten auch erbrechtliche Konsequenzen zur Folge, die man vermeiden wolle. Der Bundesrat sah deshalb vor, dass Ehen, bei denen die Beteiligten zwar bei Eheschluss minderjährig waren, unterdessen aber erwachsen seien, in Einzelfällen geheilt und damit für gültig erklärt werden können. Trotz diesen Einwänden und der angekündigten Vernehmlassungsvorlage wurde die Motion im Nationalrat mit grosser Mehrheit (150 zu 4 Stimmen bei 6 Enthaltungen) angenommen.

Kinder- und Minderjährigenehen nicht tolerieren (Mo. 20.3011)

La conseillère fédérale Viola Amherd a chargé Thomas Süssli de lui présenter – avec l'ensemble du commandement de l'armée – une stratégie axée sur le genre. Ayant la promotion des femmes dans l'armée à coeur, sa requête fait suite à un audit interne visant à déterminer quelles sont les mesures qui ont déjà été prises à ce sujet. Le rapport suggère – pour que les différentes actions en place soient soutenues – d'élaborer une stratégie en la matière. Le Chef de l'armée soutient cette initiative. Dans une interview accordée au journal Tages-Anzeiger, il précise qu'il s'agit de rendre l'armée accessible «à tout le monde» et non pas seulement pour les femmes. A long terme, il peut s'imaginer que l'armée soit ouverte aux étrangers et aux étrangères.

Diversité dans l'armée

Das Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung, indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot», befand sich in der Frühjahrssession 2020 in der Differenzbereinigung. Damit kamen die vom Nationalrat in den Entwurf eingefügten gleichstellungspolitischen Bestimmungen in der Kantonskammer auf den Prüfstand. Die SPK-SR hatte sich mit den Ergänzungen des Nationalrats grundsätzlich einverstanden gezeigt, sich aber bei zwei der drei neuen Bestimmungen für eine von der Verwaltung vorgeschlagene, redaktionell verbesserte Variante entschieden. Inhaltlich schlug die Kommission ihrem Rat einzig eine kleine Anpassung vor, nämlich dass die Beiträge des Bundes für die Integration nicht nur insbesondere den Frauen, sondern zusätzlich auch den Kindern und Jugendlichen zugutekommen sollen. Dagegen forderte SVP-Ständerat Werner Salzmann (svp, BE) per Einzelantrag die Streichung der drei Bestimmungen zur Förderung der Gleichstellung, weil sie seines Erachtens «unnötig und insbesondere einseitig» seien. Der Ständerat folgte jedoch in allen Belangen mit grosser Mehrheit seiner Kommission und hiess die drei gleichstellungspolitischen Ergänzungen gut.
Für die redaktionellen Korrekturen zeigte sich die nationalrätliche Kommission dankbar. Ohne weitere Anpassungen beantragte sie ihrem Rat Zustimmung zur Fassung des Ständerates. Noch in der Frühjahrssession 2020 stimmte die grosse Kammer dem Entwurf in der Gesamtabstimmung mangels Gegenantrags stillschweigend zu. SVP-Nationalrat Gregor Rutz (svp, ZH) wies bei dieser Gelegenheit jedoch darauf hin, dass das Fehlen einer Minderheit nicht als einhelliges Einverständnis zur Vorlage missverstanden werden sollte. Die Probe aufs Exempel steht indes noch aus: Die Schlussabstimmungen konnten aufgrund des Corona-bedingten Ausfalls der dritten Sitzungswoche nicht mehr in der Frühjahrssession 2020 durchgeführt werden.
Gemäss Einschätzung der NZZ sei es fraglich, ob der gleichstellungspolitisch aufgerüstete Gegenvorschlag reiche, um die Stimmbevölkerung davon abzuhalten, der Initiative für ein schweizweites Verhüllungsverbot zuzustimmen. Andererseits hätten die Räte mit dem Gleichstellungsaspekt genau jenes Argument für das Burkaverbot adressiert, das auch ausserhalb des rechtskonservativen Milieus verfange. Entscheidend werde also sein, ob die Bevölkerung glaube, dass der Gegenvorschlag «handfeste Folgen» habe, oder ihn als Symbolpolitik betrachte, orakelte die Zeitung.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Mit dem im März 2018 eingereichten Postulat «Notwendige Kindesschutzmassnahmen bei Ausländerinnen und Ausländern» verlangte Yvonne Feri (sp, AG) vom Bundesrat, zur «kantonalen Praxis von Kindesschutzmassnahmen und dem Widerruf von Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen gemäss dem Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG)» einen Bericht und gegebenenfalls entsprechende Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten.
Gewisse Migrationsämter, so begründete Feri ihr Anliegen, drohen ausländischen Sozialhilfebezügern «systematisch» mit dem Entzug ihrer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligungen, da das AuG vorsieht, dass das Niederlassungsrecht widerrufen werden kann, sobald man auf Sozialhilfe angewiesen ist. Durch diese Drohungen könne es vorkommen, dass bewusst auf «sozialhilfeauslösende Kindesschutzmassnahmen» verzichtet werde, um den «aufenthaltsrechtlichen Status der Familie nicht zu gefährden». Dies widerspreche aber der Verpflichtung der Schweiz gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention, das Wohl von Kindern in allen Massnahmen vorrangig zu berücksichtigen. Vom Bundesrat wollte Feri deshalb wissen, wie von den Kantonen diese «Widerrufspraxis» ausgestaltet sei und wie viele Kinder von diesen «angedrohten oder vollzogenen Bewilligungsentzügen» betroffen seien.
Der Bundesrat beantragte in seiner Stellungnahme im Mai 2018 die Ablehnung des Postulats und verwies auf den Bericht in Erfüllung eines ähnlichen Postulats (Po. 17.3260), worin er bereits die «Auswirkungen von Kindesschutzmassnahmen auf den Widerruf von ausländerrechtlichen Bewilligungen untersucht» habe. Auch sei die Koordination zwischen Beteiligten und Behörden in der Vergangenheit bereits verbessert worden: Die Behörden wurden verpflichtet, zuständigen kantonalen Migrationsämtern «unaufgefordert den Bezug von Sozialhilfe durch Ausländerinnen und Ausländer zu melden», wonach auch die betroffenen Personen über «mögliche ausländerrechtliche Folgen eines Sozialhilfebezugs informiert» werden; durch den Sozialhilfebezug allein seien zudem nicht zwingend die Voraussetzungen für ein Widerrufsverfahren erfüllt. Ferner sei mit der Änderung des Ausländergesetzes vom Dezember 2016 präzisiert worden, welche Massnahmen von Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) den Migrationsbehörden unaufgefordert gemeldet werden müssen, sodass die Migrationsbehörden ihre Entscheide bestmöglich mit der Kesb abstimmen können. Die Anzahl tatsächlich betroffener Kinder wurde aber bisher nicht statistisch erfasst, räumte der Bundesrat ein.
Aufgrund des Fehlens ebendieser Statistik, argumentierte Feri schliesslich im März 2020 im Parlament, könne man nicht sicher sein, dass von den zuständigen Stellen immer zu Gunsten des Kindeswohls gehandelt werde. Die zuständige Justizministerin Karin Keller-Sutter entgegnete, dass seit 2019 kantonale Migrationsbehörden vom SEM angewiesen würden, «Kosten für Kinderschutzmassnahmen gesondert zu betrachten». Sie erachtete deshalb das Anliegen Feris bereits weitgehend als berücksichtigt und empfahl das Postulat zur Ablehnung.
Ganzheitlich unterstützt wurde das Postulat von Links-Grün, doch die Fraktionen der FDP und SVP sowie eine fast geschlossene Mitte hielten erfolgreich dagegen: Mit 84 zu 106 Stimmen bei 0 Enthaltungen wurde das Anliegen vom Nationalrat abgelehnt.

Notwendige Kindesschutzmassnahmen bei Ausländerinnen und Ausländern (Po. 18.3121)

Mit der im Dezember 2018 eingereichten parlamentarischen Initiative «Keine Anerkennung von Kinder- und Minderjährigenehen in der Schweiz» verlangte Natalie Rickli (svp, ZH), das Zivilgesetz dahingehend anzupassen, dass eine Ehe für ungültig zu erklären sei, wenn einer der Ehegatten bei der Eheschliessung minderjährig war, auch wenn eine Weiterführung der Ehe unterdessen den Interessen des betroffenen Ehegatten entspreche. Nur so könnten Opfer von Zwangsheirat effektiv geschützt werden, denn mit der momentanen Gesetzeslage sei es möglich, dass Minderjährigenehen durch das Erreichen der Volljährigkeit weitergeführt werden können und sodann legitimiert würden, argumentierte die Zürcher Nationalrätin. Rickli, welche ihr Anliegen per Motion (16.3916) erfolglos im Parlament durchzusetzen versucht hatte – die Motion wurde wegen Nichtbehandlung abgeschrieben –, begründete die Initiative auch damit, dass Minderjährigenehen in der Schweiz zugenommen hätten. Insgesamt seien laut der Fachstelle für Zwangsheirat, auf deren Zahlen sich Rickli berief, 2017 mehr als einhundert Fälle gemeldet worden.
Unterstützung erhielt das Anliegen, das nach der Wahl Ricklis in die Zürcher Regierung von Gregor Rutz (svp, ZH) übernommen worden war, im Februar 2020 von der RK-NR, welche der parlamentarischen Initiative einstimmig Folge gab und zeitgleich eine dieselben Absichten verfolgende Motion (20.3011) einreichte, um laut Medienmitteilung dem Anliegen Nachdruck zu verleihen.

Keine Anerkennung von Kinder- und Minderjährigenehen in der Schweiz (Pa. Iv. 18.467)

La motion demandant d'assouplir les sanctions en matière de paiements directs n'a pas trouvé les faveurs du Conseil des Etats, selon les recommandations de la commission de l'économie et des redevances du Conseil des Etats (CER-CE). Andrea Caroni (plr, AR), rapporteur de la commission, a expliqué à ses collègues que les demandes formulées dans la présente motion ont déjà été réglées en 2017. En effet, une coupe complète des paiements directs n'est, à présent, possible qu'en cas de récidive grave de non-respect des directives touchant au droit des animaux ou aux prestations écologiques. Concernant la proposition d'augmenter la marge de manœuvre laissée aux cantons dans l'application des sanctions, le rapporteur a tenu à préciser que le catalogue des sanctions a été soutenu, dans sa forme actuelle, par les cantons eux-mêmes, qui souhaitaient avoir des directives claires. De plus, s'agissant d'argent provenant de la Confédération, la commission estime normal que les sanctions soient appliquées de manière homogène sur l'ensemble du territoire.

Assouplir les sanctions en matière de paiements directs (Mo. 17.3054)

Als Zweitrat befasste sich in der Wintersession 2019 der Nationalrat mit dem Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung, das der Bundesrat dem Parlament als indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» unterbreitet hatte. Über die Initiative selbst wollte die Volkskammer erst nach der Verabschiedung – oder Versenkung – des Gegenvorschlags befinden. Die Mehrheit der vorberatenden SPK-NR hatte ihrem Rat nämlich Nichteintreten auf die Vorlage beantragt. Wie Kommissionssprecher Balthasar Glättli (gp, ZH) dem Ratsplenum schilderte, war diese Mehrheit durch eine Art unheilige Allianz von Initiativbefürwortern und -befürworterinnen einerseits sowie der kategorischen Gegnerschaft eines Verhüllungsverbots andererseits zustande gekommen. Während Erstere den Gegenvorschlag als nicht geeignet ansahen, das Ziel der Initiative zu erreichen, kritisierten Letztere, der Entwurf wolle – nicht anders als die Initiative – ein Problem lösen, das gar nicht existiere, und sei damit genauso unnötig. Trotz des Nichteintretensantrags hatte die Kommission bereits die Detailberatung der Vorlage durchgeführt, um den Prozess im Falle des Eintretens nicht zu verzögern, und den Entwurf um einige Elemente zur Stärkung der Gleichstellung der Geschlechter ergänzt.
Die Eintretensdebatte im Nationalrat wurde von beiden Lagern entsprechend hitzig geführt und förderte manch erstaunliche Argumentationslinie zutage. So warf SVP-Vertreter Andreas Glarner (svp, AG) dem Bundesrat vor, «noch nie in der Geschichte der Eidgenossenschaft» habe es «einen derart untauglichen und unwürdigen Gegenvorschlag zu einer Volksinitiative» gegeben. Gleichzeitig bekräftigten andere Voten derselben Fraktion nicht nur deren Ablehnung des Gegenvorschlags, sondern auch die Absicht, mit der Initiative die gesellschaftliche Stellung der Frauen zu verbessern. Demgegenüber hielten die Grünen in ihrer Ablehnung eines jeglichen Verhüllungsverbots die liberale Staatsordnung der Schweiz hoch und mussten sich von der SP prompt dafür schelten lassen, mit der Ablehnung des Gegenvorschlags eine «riesige Chance [zu] verpassen» (Beat Jans; sp, BS), der von Links-Grün schon so lange angestrebten Gleichstellung in der Gesellschaft näher zu kommen, wie Cédric Wermuth (sp, AG) bemerkte. Den Fraktionen der FDP und der GLP hingegen war der Gegenvorschlag offenbar liberal genug, weshalb sie ihn – wie auch die Mitte-Fraktion – mehrheitlich unterstützen wollten. Mit 94 zu 90 Stimmen bei 5 Enthaltungen fiel der Entscheid des Nationalrats schliesslich knapp für Eintreten.
In der Detailberatung folgte die grosse Kammer dann durchwegs den Anträgen ihrer Kommissionmehrheit und verlieh damit dem Gleichstellungsaspekt der Verhüllungsfrage im Gegenvorschlag mehr Gewicht. So sollen dem Bund im Gleichstellungsgesetz erstens Förderprogramme zur Verbesserung der Gleichstellung zwischen Frau und Mann in der Gesellschaft ermöglicht werden. Zweitens sollen finanzielle Beiträge des Bundes für die Integration gemäss dem Ausländer- und Integrationsgesetz zukünftig ausdrücklich auch insbesondere der Frauenförderung zugutekommen. Drittens soll die Verbesserung der Situation der Frauen in den Zielkatalog des Bundesgesetzes über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe aufgenommen werden. Alle drei Änderungen stiessen bei der Ratsmehrheit, nicht aber bei der geschlossenen SVP- sowie der Mehrheit der FDP-Fraktion, auf Zustimmung. Den so neu verstärkt auf Gleichstellung ausgerichteten Gegenvorschlag nahm die grosse Kammer letztlich mit 105 zu 82 Stimmen bei 7 Enthaltungen an. Zudem verlängerte sie die Frist für die Behandlung der Volksinitiative bis im März 2021 und billigte, dass ihre SPK von der 2016 eingereichten Petition «Für ein Gesichtsverhüllungsverbot» (16.2012) Kenntnis genommen hatte.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Nur einen Tag später ging die Debatte um den Voranschlag 2020 im Nationalrat weiter. Auch dieses Jahr drehte sich die Eintretensdebatte vor allem um die Frage, wie gut die wirtschaftliche Lage des Bundes wirklich sei und wie grosszügig das Parlament folglich mit dessen finanziellen Ressourcen umgehen könne. Eintreten war nicht umstritten, ganz im Gegensatz zur Detailberatung: Neben den Mehrheitsanträgen standen zahlreiche Minderheitsanträge der SP- und der SVP-Fraktion auf dem Programm. Doch obwohl der Nationalrat den Voranschlag während über 9 Stunden diskutierte, schuf er – verglichen mit der Anzahl Minderheitsanträge – nur wenige Differenzen zum Ständerat.
Die meisten dieser Differenzen waren im Nationalrat unumstritten, etwa die Erhöhung des Globalbudgets der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts um CHF 709’300 CHF. In verschiedenen Fällen verband die Kommission zudem Aufstockungen mit der Definition neuer Grenz- und Sollwerte oder der Neudefinitionen der Rahmenbedingungen der Kreditverwendung, Instrumenten des Neuen Führungsmodells des Bundes für die Bundesverwaltung. Mit diesen können Bedingungen zur Verwendung der Gelder mit Budgetpositionen verbunden werden. Die Aufstockung des Globalbudgets der Landwirtschaft um CHF 500'300 begründete der Nationalrat mit der drohenden Unterfinanzierung des Aufbaus des Kompetenzzentrums Boden und definierte dessen Finanzierung als Rahmenbedingung für den Kredit. Auch die Forschungsbeiträge für die Landwirtschaft erhöhte er zugunsten des Forschungsinstituts für biologischen Landbau um CHF 2.5 Mio. im Voranschlagsjahr sowie in den Finanzplanjahren. Gegen die Aufstockung der Direktzahlungen für die Landwirtschaft stellte sich eine Minderheit Schneider Schüttel (sp, FR), die diesbezüglich dem Ständerat folgen wollte, jedoch mit 63 zu 127 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) unterlag. Abgelehnt hatten die Änderung die einstimmig stimmenden SP- und GLP-Fraktionen sowie Minderheiten der FDP- und der Grünen-Fraktion. Auf Antrag Mattea Meyer (sp, ZH) stockte der Nationalrat mit 112 zu 81 Stimmen (bei 1 Enthaltung) auch das Globalbudget des Fedpol im Voranschlagsjahr sowie in den Finanzplanjahren um CHF 600'000 auf. Damit sollte eine Reduktion aus den Finanzplanjahren 2017 bis 2019 korrigiert werden, um damit eine Stellenaufstockung um vier Stellen zur Erfüllung der Zentralstellenaufgaben des Fedpol im Bereich Internetkriminalität, insbesondere der Pädokriminalität, zu ermöglichen. Die SVP- und die FDP-Fraktionen hatten sich dagegen gewehrt, weil diese Stellen intern über das Globalbudget finanziert werden sollten, wie Albert Vitali (fdp, LU) betonte.
Sparsamer als der Ständerat zeigte sich die grosse Kammer bezüglich der finanziellen Unterstützung von Selbsthilfeprojekten beim Bundesamt für Justiz: Hier sperrte sie sich stillschweigend gegen die vom Ständerat beschlossene Ausgabenerhöhung auf CHF 2 Mio. Ohne Minderheit akzeptiert wurden auch die Anträge zum SEM: Die Betriebsausgaben zu den Bundesasylzentren senkte der Rat nach Absprache der Kommission mit dem SEM um CHF 27 Mio. und die Beiträge für die Sozialhilfe Asylsuchender und vorläufig Aufgenommener reduzierte er aufgrund aktualisierter Zahlen um 12.8 Mio. Dies obwohl Finanzminister Maurer darauf hingewiesen hatte, dass man damit an den Leistungen des Bundes «überhaupt nichts» ändere, denn diese seien gesetzlich vorgegeben. Ein solcher Beschluss führe später aber allenfalls zu Nachtragskrediten, wenn sich die Flüchtlingssituation ändern sollte.
Umstritten waren auch im Nationalrat vor allem die Bildungsausgaben. Diesbezüglich lagen neben dem Mehrheitsantrag drei Minderheitsanträge vor. Die Mehrheit wollte in den meisten Bildungsfragen dem Bundesrat folgen und die Bildungsausgaben nicht um die ehemaligen Teuerungsbeiträge erhöhen. Einzig bezüglich der Berufsbildung befürwortete sie eine zusätzliche Erhöhung. Eine Minderheit I Schneider Schüttel forderte, dem Ständerat folgend, die im Rahmen der BFI-Botschaft 2017-2020 beschlossenen Beträge, eine Minderheit II Bourgeois (fdp, FR) bevorzugte hingegen mehrheitlich einen Mittelweg zwischen Ständerat und Bundesrat. Dieser basierte auf den Aufstockungen des Budgets im Bildungsbereich, welche das Parlament bereits 2019 vorgenommen hatte, abzüglich der Teuerungskorrektur nach Dittli (fdp, UR; Mo. 16.3705) um -0.1 Prozent. Mit 132 zu 60 Stimmen (bei 1 Enthaltung) und 139 zu 52 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) setzte sich die Minderheit II gegen die Minderheit I und die Mehrheit durch. Zudem sprach sich der Nationalrat beim Bildungsbudget zusätzlich für eine Minderheit III Schneider Schüttel aus, welche bei den Institutionen der Forschungsförderung eine zusätzliche Erhöhung um CHF 1.1 Mio. forderte, die zugunsten der Akademien der Wissenschaften Schweiz eingesetzt werden sollte.
Schliesslich nahm der Nationalrat verglichen mit dem Ständerat einige Änderungen bei den Sollwerten vor, insbesondere im Gesundheitsbereich. Der Messwert für den Anteil Rauchender in der Bevölkerung, gemäss dem nicht mehr als 25 Prozent der Bevölkerung rauchen sollen, wurde gestrichen, da dessen Messung gemäss Kommission keine Aufgabe des Staates sei. Dies obwohl Finanzminister Maurer vor der Streichung gewarnt und diese als falsches Signal bezeichnet hatte. Gesteigert werden sollte hingegen der Anteil Arztpraxen mit elektronischer Krankengeschichte der Patientinnen und Patienten. Heute liegt dieser bei 76 Prozent, im Jahr 2020 soll er bei 80 Prozent zu liegen kommen und für die Finanzplanjahre weiter gesteigert werden. Bei der Militärversicherung soll der Anteil der Verwaltungskosten an den Gesamtkosten von 10.7 Prozent auf 10 Prozent gesenkt werden. Diese Änderungen waren nicht umstritten, genauso wenig wie die Reduktion des Grenzwertes zum Auftreten von gentechnisch verändertem Raps entlang von Bahngeleisen (von 0.5 Prozent auf 0.25 Prozent aller untersuchten Proben). Schliesslich erhöhte der Nationalrat auch die Messgrösse bei den Besucherinnen und Besuchern der bundeseigenen Museen von 60'000 auf 65'000 Personen – obwohl dies gemäss Bundesrat Maurer «nicht mehr Leute in die Museen» locken werde.
Die übrigen Änderungen, meistens beantragt von Mitgliedern der SP- oder der SVP-Fraktion, lehnte die Ratsmehrheit jeweils deutlich ab. Verschiedene linke Minderheiten setzten sich für Budgeterhöhungen im Bereich des Umweltschutzes ein. So versuchte eine Minderheit Schneider Schüttel unter anderem die Überprüfung von Wirkstoffen zur Senkung des Risikos von Pflanzenschutzmitteln für aquatische Organismen für das Jahr 2020 von 20 auf 30 Wirkstoffe zu erhöhen sowie die dazu nötigen acht zusätzlichen Stellen bei vier verschiedenen Bundesämtern zu schaffen. Mit 105 zu 84 Stimmen (bei 1 Enthaltung) lehnte der Rat den Antrag gegen den Willen der SP-, GPS- und GLP-Fraktionen sowie der Mitglieder der EVP ab. Da sich der Überprüfungsrhythmus an jenen der EU anlehne, sei eine Aufstockung hier nicht angebracht, erklärte Alois Gmür (cvp, SZ) für die Kommission. Eine weitere Minderheit Schneider Schüttel wollte CHF 20 Mio. mehr für die Revitalisierung von Gewässern einsetzen, weil die Nachfrage nach Bundesmittel in diesem Bereich stark angestiegen sei und im kommenden Jahr zahlreiche Projekte realisiert werden sollten. Mit 96 zu 95 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) lehnte der Rat jedoch auch diesen Antrag ab, wobei Kommissionssprecher Gmür darauf hinwies, dass bei tatsächlichem Fehlen von Mitteln Nachtragskredite eingereicht werden könnten. Zudem setzte sich eine Minderheit Masshardt (sp, BE) für eine Verdoppelung des Betrags für den Technologietransfer beim Bundesamt für Energie von CHF 20 Mio. auf CHF 40 Mio. ein. Dieses Geld diene dazu, dass neue, noch nicht marktreife Technologien erprobt werden könnten. Eine Erhöhung sei nicht nötig, weil die Privatwirtschaft solche Ideen kostensparend entwickeln könne, argumentierte Sandra Sollberger (svp, BL) und begründete damit auch ihre Minderheit II Sollberger, die den Betrag auf CHF 10 Mio. reduzieren wollte. Mit 142 zu 52 Stimmen respektive 107 zu 86 Stimmen (bei 1 Enthaltung) setzte sich der Mehrheitsantrag gegen die Anträge der Minderheit II respektive der Minderheit I durch.
Doch nicht nur im Umweltbereich, auch zu anderen Themen reichte die SP-Fraktion erfolglos Vorstösse ein. So wollten linke Minderheiten etwa das Globalbudget des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann aufstocken, die Kulturabgeltung an die Stadt Bern in den Finanzplanjahren fortsetzen, dem BIT eine grössere Konstanz in der Personalentwicklung als neues Ziel vorschreiben sowie eine Aufstockung beim Eidgenössischen Personalamt vornehmen, das in der Folge Lehrstellen und Hochschulpraktika zur Integration von Menschen, die aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, anbieten soll.
Die SVP hingegen versuchte vor allem, dem Stellenzuwachs beim Bund – im Voranschlag 2020 beträgt dieser gemäss Franz Grüter (svp, LU) 267 zusätzliche Stellen – Einhalt zu gebieten. Dazu wollte Grüter allgemein die Ausgaben für den Personalaufwand im Voranschlag 2020 sowie in den Finanzplanjahren bei CHF 6 Mrd. plafonieren – zum ersten Mal überhaupt überstiegen die geplanten Ausgaben für das Personal die Grenze von CHF 6 Mrd. Mit 134 zu 51 Stimmen lehnte der Rat den Minderheitsantrag Grüter gegen den Willen der geschlossen stimmenden SVP ab. Zudem wollte eine weitere Minderheit Grüter den Betrag für die Lohnmassnahmen halbieren; 0.5 Prozent der Lohnsumme reichten für Lohnverhandlungen, erklärte der Minderheitensprecher. Mit 140 zu 52 Stimmen lehnte der Rat auch diesen Antrag ab. Auch die weiteren Minderheitsanträge, die vorsahen, die Ausgaben des Büros für Konsumentenfragen auf dem Stand der Rechnung von 2018 zu plafonieren, auf die Budgeterhöhung der Parlamentsdienste zur Schaffung von drei neuen Vollzeitstellen sowie auf Erhöhungen in den Personalbereichen des EDA, des BAG und des BFS zu verzichten, lehnte der Nationalrat ab.
Zu reden gaben schliesslich auch die Bereiche Entwicklungszusammenarbeit und Sicherheit. Während eine Minderheit I Keller (svp, NW) die Ausgaben für multilaterale Entwicklungszusammenarbeit deutlich kürzen wollte, schlug eine Minderheit II Gysi (sp, SG) in diesem Bereich eine Erhöhung des Budgets vor, um erneut auf die in der Botschaft 2017-2020 vereinbarten Ausgaben zu kommen und um im Jahr 2023 eine APD-Quote von 0.5 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erreichen. Finanzminister Maurer wehrte sich gegen eine weitere Kürzung in diesem Bereich – die Schweiz habe hier in den letzten Jahren die grössten Kürzungen vorgenommen, obwohl sie weiterhin ihren Verpflichtungen nachkommen müsse, erklärte er. Kommissionssprecher Gmür betonte hingegen, dass es sich bei der APD-Quote weder um ein finanzpolitisches Steuerungsinstrument, noch um einen Zielwert handle, sondern um einen Richtwert. Mit 140 zu 51 Stimmen und 106 zu 84 Stimmen (1 Enthaltung) sprach sich die grosse Kammer für den Mittelweg, den Mehrheitsantrag, aus und beliess die entsprechenden Ausgaben auf ihrer ursprünglichen Höhe.
Mit 135 zu 54 Stimmen nahm der Nationalrat schliesslich den Bundesbeschluss Ia über den Voranschlag für das Jahr 2020, der verglichen mit dem bundesrätlichen Budgetvorschlag Mehrausgaben von CHF 245 Mio. mit sich bringe, wie die beiden Kommissionssprecher Gmür und Nicolet (svp, VD) erklärten, in der Gesamtabstimmung an. Abgelehnt wurde er einstimmig von der SVP und von Stefania Prezioso Batou (gps, GE). Kaum bis gar nicht umstritten waren der Bundesbeschluss Ib über die Planungsgrössen im Voranschlag für das Jahr 2020, der Bundesbeschluss II über den Finanzplan für die Jahre 2021-2023, der Bundesbeschluss III über die Entnahmen aus dem Bahninfrastrukturfonds für das Jahr 2020 sowie der Bundesbeschluss IV über die Entnahmen aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds für das Jahr 2020.

Voranschlag 2020 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2021-2023 (BRG 19.041)
Dossier: Bundeshaushalt 2020: Voranschlag und Staatsrechnung

Ausgangspunkt einer hitzigen medialen Diskussion um die frühkindliche Förderung war ein Artikel von SVP-Bildungspolitikerin Verena Herzog (svp, TG) in der SVP-Zeitung «Klartext», in welcher sie argumentierte, dass «eine verfehlte Zuwanderungspolitik durch staatlich verordnete Krippenerziehung wettgemacht werden» solle. Stein des Anstosses war dann ihre Aussage, in welcher sie Kinder in Krippen mit Verdingkindern verglich, die zwecks besserer Erziehung weggegeben wurden. Der Staat solle sich hierbei in grösserer Zurückhaltung üben – damals wie heute, so Herzog.
Vertreter und Vertreterinnen von Betreuungsorganisationen sowie vom Verein Fremdplatziert kritisierten den Vergleich vehement.
Die Aussage Herzogs liess sich in den Kontext der Debatten in Bundesbern über die frühkindliche Förderung einordnen. So wurde entschieden, dass neue Kita-Plätze weiterhin subventioniert werden und dass steuerpolitisch jene Eltern finanziell entlastet werden, die ihren Nachwuchs fremdbetreuen lassen (BRG 18.050). Herzog störte sich auch an den Bestrebungen, die Frühförderung der null- bis vierjährigen Kinder auszubauen. In der zuständigen Bildungskommission hätte ihr niemand beantworten können, was mit jenen Eltern passiere, die ihre Kinder nicht in die Frühförderung schicken wollten. Der Kindergartenbesuch sei auch freiwillig gewesen und dann obligatorisch geworden. Dasselbe wäre für die Frühförderung fatal, so Herzog.
Praktisch zur selben Zeit berichteten die deutschsprachigen Medien bezeichnenderweise über die Bemühungen einiger Kantone und Städte, die sprachliche Frühförderung von Kindern nichtdeutscher Muttersprache zu stärken. Viele Kinder sprächen zu Hause kein oder kaum Deutsch und seien daher komplett überfordert, wenn sie in die erste Klasse einträten. In einem Interview äusserte sich auch Dagmar Rösler, Präsidentin des Dachverbandes der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer. Sie forderte ein schweizweites Obligatorium für eine Frühförderung analog dem Basler Modell. In diesem Modell «Frühe Deutschförderung» werden eineinhalb Jahre vor dem Kindergarteneintritt die Deutschkenntnisse fremdsprachiger Kinder ermittelt. Wenn diese nicht genügen, müssen die Kinder an mindestens zwei halben Tagen pro Woche eine Spielgruppe oder ein Tagesheim besuchen. In der Folge forderte Christoph Eymann (lpd, BS), Nationalrat und Präsident der SKOS, in einer zu Beginn von Nationalrätin Herzog bekämpften und schliesslich überwiesenen Motion, dass der Bundesrat prüfe und Bericht erstatte, wie die frühe Sprachförderung vor Eintritt in den Kindergarten mithilfe des Bundes im ganzen Land umgesetzt werden könne.
Ins gleiche Horn blies im Übrigen auch ein Bericht des Schweizerischen Wissenschaftsrates, der dringenden Handlungsbedarf bei der frühkindlichen Förderung sah. Gemäss den Medien sei ein schweizweites Obligatorium der sprachlichen Frühförderung jedoch derzeit nicht realistisch, weil die Frühförderung in der Kompetenz der Kantone liege.

Frühkindliche Förderung