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Jahresrückblick 2021: Soziale Gruppen

Eine überaus wichtige Neuerung im Themenbereich der sozialen Gruppen wurde 2021 für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt. Im September nahm die Stimmbevölkerung mit einem deutlichen Ja-Anteil von 64 Prozent die «Ehe für alle» an. Neben der Möglichkeit der Eheschliessung waren damit für gleichgeschlechtliche Paare weitere Ungleichheiten im Familienleben beseitigt worden: In Zukunft ist es auch ihnen möglich, gemeinsam ein Kind zu adoptieren, zudem erhalten verheiratete Frauenpaare Zugang zur Samenspende. Die Relevanz dieser Abstimmung widerspiegelt sich im Ergebnis der APS-Zeitungsanalyse 2021, die einen diesem Ereignis geschuldeten Höchststand an Artikeln zur Familienpolitik im Abstimmungsmonat aufzeigt (vgl. Abbildung 1 im Anhang). Kein anderes Thema im Bereich der sozialen Gruppen erzielte im beobachteten Jahr eine ähnlich hohe mediale Aufmerksamkeit.

Erstmals in der Geschichte der Schweizer Frauen- und Gleichstellungspolitik veröffentlichte der Bundesrat 2021 eine nationale Gleichstellungsstrategie, die jedoch von Frauenorganisationen und linken Parteien kritisiert wurde. Ferner gaben die Kommissionen einer parlamentarischen Initiative Folge, welche die befristete Finanzierung für die familienergänzende Kinderbetreuung durch eine dauerhafte, vom Bund unterstützte Lösung ersetzen will. Der 2022 vorzulegende Entwurf soll die Eltern bei der Finanzierung der Betreuungsplätze massgeblich entlasten und somit zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen. Gleichzeitig wurden im Berichtsjahr aber verschiedene Vorstösse mit ähnlichen, bereits konkreter ausformulierten Vorstellungen in Form einer parlamentarischen Initiative, einer Standesinitiative und einer Motion abgelehnt. Ebenfalls zur Verbesserung der Stellung der Frauen im Beruf beitragen soll die 2018 geschaffene Revision des Gleichstellungsgesetzes, mit der Unternehmen mit über 100 Mitarbeitenden zur Durchführung von Lohnanalysen verpflichtet worden waren. Erste, im August 2021 publizierte Analyseergebnisse von ausgewählten Unternehmen zeichneten ein positives Bild, das jedoch unter anderem wegen fehlender Repräsentativität in Zweifel gezogen wurde. Nach wie vor sind Unternehmen nicht verpflichtet, die Ergebnisse ihrer Lohnanalysen an den Bund zu übermitteln. Gegen eine entsprechende Regelung hatte sich der Ständerat im Juni erfolgreich gewehrt.

Nachdem im Vorjahr der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub in einer Volksabstimmung angenommen worden war, gingen die politischen Diskussionen rund um die Ausdehnung von Urlaubsmöglichkeiten für Eltern 2021 weiter. Eine Standesinitiative aus dem Kanton Jura und eine parlamentarische Initiative mit diesem Ziel stiessen im Parlament indes auf wenig Gehör. Der Nationalrat verabschiedete jedoch ein Kommissionspostulat, das die volkswirtschaftlichen Auswirkungen einer Elternzeit aufzeigen soll. In den Räten setzte sich zudem mit Annahme einer Vorlage zum Adoptionsurlaub eine langjährige Forderung in der Minimalvariante durch: Eltern, die ein Kind unter vier Jahren adoptieren, haben künftig Anrecht auf einen zweiwöchigen Urlaub.

Auch das Thema der Gewalt gegen Frauen blieb 2021 auf der politischen Agenda, immer wieder angetrieben durch Zeitungsberichte über häusliche Gewalt und Femizide. Das Parlament überwies drei Motionen, welche die Bereitstellung eines 24-stündigen Beratungsangebots für von Gewalt betroffene Personen forderten, wozu sich die Schweiz 2017 im Rahmen der Ratifikation der Konvention von Istanbul verpflichtet hatte. Ein Zeichen gegen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche setzte der Nationalrat auch durch Befürwortung einer Motion, die das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetzbuch verankern möchte. Der Ständerat äusserte sich bis Ende Jahr noch nicht zum Geschäft. Ebenfalls kam es zu breiten medialen Vorwürfen bezüglich Gewalt in Bundesasylzentren, woraufhin das SEM einen Bericht erarbeiten liess.

Nicht zuletzt wurde im Berichtsjahr mit verschiedensten Publikationen und Aktionen auf das 50-jährige Bestehen des Frauenstimm- und -wahlrechts Bezug genommen. Mit Corona-bedingter Verspätung fand im September die offizielle Feier des Bundes statt. Ende Oktober tagte zum zweiten Mal nach 1991 die Frauensession, die insgesamt 23 Forderungen zu unterschiedlichen Themen als Petitionen verabschiedete. Darüber hinaus wurde an diesen Anlässen auch über die Gewährung politischer Rechte an weitere Gruppen diskutiert, so etwa an Personen ohne Schweizer Pass, Minderjährige und Menschen mit einer Beeinträchtigung. Bezüglich Letzteren nahm der Ständerat im Herbst 2021 ein Postulat an, das den Bundesrat aufforderte, Massnahmen aufzuzeigen, damit auch Menschen mit einer geistigen Behinderung uneingeschränkt am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können.

Wie die APS-Zeitungsanalyse 2021 zeigt, erhielten Fragen rund um die Familien- und Gleichstellungspolitik im Jahr 2021 im Gegensatz zu Fragen zur Asyl- und Migrationspolitik überaus starke mediale Aufmerksamkeit. Der Zeitvergleich macht überdies deutlich, dass die Berichterstattung im Bereich Asyl und Migration über die letzten Jahre konstant an Bedeutung eingebüsst hat.

Dieses fehlende Interesse der Medien ist ob der umstrittenen Gesetzesänderungen des Parlaments im Bereich Asylpolitik, welche die Grundrechte der Asylsuchenden einschränkten, bemerkenswert. So können Schweizer Behörden künftig mobile Geräte der Asylsuchenden verwenden, um beim Fehlen von Ausweispapieren Rückschlüsse auf die Identität einer Person zu gewinnen. Dieser Beschluss provozierte eine negative Reaktion des UNHCR. Zudem schuf das Parlament ein Reiseverbot für vorläufig aufgenommene Personen und entschied, dass Personen in Ausschaffungshaft zum Wegweisungsvollzug zur Durchführung eines Covid-19-Tests gezwungen werden können. Unterschiedliche Ansichten vertraten die beiden Räte in Bezug auf junge Asylbewerbende. So lehnte es der Ständerat ab, die Administrativhaft für Minderjährige abzuschaffen, nachdem sich der Nationalrat für diese Forderung im Vorjahr noch offen gezeigt hatte. Ebenso setzte sich der Nationalrat im Berichtsjahr durch Unterstützung einer Motion dafür ein, dass Personen mit abgewiesenem Asylentscheid ihre berufliche Ausbildung beenden dürfen, während sich der Ständerat nach der Beratung einer anderen Motion gegen diese Möglichkeit aussprach. Schliesslich wollte der Ständerat den Familiennachzug von Schutzbedürftigen erschweren, wogegen sich der Nationalrat aber erfolgreich sträubte. Im Sammelstadium scheiterte überdies eine Volksinitiative des ehemaligen Nationalrats Luzi Stamm, gemäss welcher Asylbewerbende in der Schweiz nur noch mit Sachleistungen hätten unterstützt werden sollen: Seine Volksinitiative «Hilfe vor Ort im Asylbereich», die in erster Linie Flüchtlingen primär in der Nähe der Krisengebiete und nicht in der Schweiz helfen wollte, scheiterte an den direktdemokratischen Hürden.

Jahresrückblick 2021: Soziale Gruppen
Dossier: Jahresrückblick 2021

Jahresrückblick 2021: Rechtsordnung

Das erste Halbjahr 2021 stand im Zeichen von drei Volksabstimmungen, die die öffentliche Debatte im Bereich der Rechtsordnung prägten. Am 7. März 2021 kamen die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und das E-ID-Gesetz zur Abstimmung. Am 13. Juni 2021 folgte das Referendum zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT). Die damit einhergehenden Abstimmungskampagnen waren in der Medienkonjunktur deutlich zu erkennen, wie die APS-Zeitungsanalyse zeigt: Das Thema Bürgerrechte, worunter das Verhüllungsverbot fällt, verzeichnete über das ganze Jahr gesehen den höchsten Anteil an Zeitungsartikeln zur Rechtsordnung (vgl. Abbildung 2 im Anhang) und dominierte die Medienberichterstattung im Bereich Rechtsordnung von Januar bis März (vgl. Abbildung 1). An zweiter Stelle lag im ersten Quartal das Thema Öffentlicher Dienst, dem die E-ID zuzuordnen ist. Von April bis Juni galt die meiste Beachtung dem Thema Innere Sicherheit, wo das PMT-Referendum angesiedelt ist.

Nach einem intensiven und vielschichtigen Abstimmungskampf, in dem viele Argumente gleichzeitig von der Pro- und der Contra-Seite verwendet wurden, nahm die Schweizer Stimmbevölkerung die vom Egerkinger Komitee lancierte Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot» am 7. März 2021 mit 51.2 Prozent Ja-Stimmen an. Während das befürwortende Lager den Volksentscheid als klares Zeichen gegen den Islamismus in der Schweiz wertete, beklagte das unterlegene Lager einen unnötigen Eingriff in die Grundrechte von Musliminnen. Die für das Geschäft zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter, die den Erfolg der Initiative trotz indirekten Gegenvorschlags nicht hatte abwenden können, legte viel Wert darauf zu betonen, das Resultat sei nicht als Votum gegen die Musliminnen und Muslime in der Schweiz zu verstehen. Die Vox-Analyse bestätigte denn auch, dass das Ja nicht nur von kulturellen, sondern ebenso von sicherheitspolitischen und feministischen Argumenten getragen wurde.

Am selben Tag erlitt Justizministerin Karin Keller-Sutter mit dem Nein zur E-ID auch beim zweiten Geschäft aus ihrem Zuständigkeitsbereich eine Niederlage. Die Schweizer Stimmbevölkerung versenkte das Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste in der Referendumsabstimmung mit 64.4 Prozent Nein-Stimmen deutlich. Gemäss der Vox-Nachbefragung war es den Behörden nicht gelungen, das Misstrauen gegenüber den privaten Anbieterinnen und Anbietern der E-ID abzubauen, das die Abstimmungskampagne dominiert hatte. Die E-ID ist damit nicht grundsätzlich gescheitert, allerdings würde von der Stimmbevölkerung eine staatliche Lösung gewünscht.

In der dritten Volksabstimmung des Jahres im Bereich Rechtsordnung konnte die Justizministerin schliesslich einen Erfolg verbuchen. Eine klare Mehrheit von 56.6 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hiess am 13. Juni 2021 das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) an der Urne gut. Angesichts der wahrgenommenen Terrorgefahr überwog das Vertrauen in den Bundesrat und die Polizei letztlich die Bedenken bezüglich polizeilicher Willkür und Verlust der Rechtsstaatlichkeit, wovor das Referendumskomitee gewarnt hatte, so die Schlussfolgerung der Vox-Analyse. Der Staat erhält damit verschiedene präventiv-polizeiliche Mittel – von der Meldepflicht bis zum Hausarrest –, um terroristische Gefährderinnen und Gefährder zu kontrollieren.

In der zweiten Jahreshälfte zog das Thema Innere Konflikte und Krisen zunehmende Aufmerksamkeit auf sich, sodass es im September und Oktober im Bereich der Rechtsordnung das von den Medien meistbeachtete Thema war (vgl. Abbildung 1). Dafür verantwortlich waren hauptsächlich die Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen. Insbesondere im Herbst, als der Bundesrat die Zertifikatspflicht beschloss, intensivierten sich die Proteste. So fanden in der Bundesstadt wöchentliche Kundgebungen der Massnahmenkritikerszene statt. Nachdem es mehrmals zu Ausschreitungen gekommen war und die Stadt Bern die Kundgebungen nicht mehr bewilligte – was die Massnahmengegnerinnen und -gegner aber nicht davon abhielt, weiter zu demonstrieren –, wurde auch die Radikalisierung der Szene in den Medien debattiert. Im Vorfeld der Referendumsabstimmung über die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes Ende November erhitzten sich die Gemüter weiter. Die aufgeladene Stimmung gipfelte darin, dass aufgrund befürchteter Ausschreitungen am Abstimmungssonntag das Bundeshaus von der Polizei grossräumig abgeriegelt wurde. Eine weitere Eskalation blieb dann aber glücklicherweise aus.

Etwas abseits der Medienaufmerksamkeit widmete sich das Parlament 2021 mehreren umfangreichen Gesetzesrevisionen im Strafrecht. In der Frühjahrssession nahm der Nationalrat die Revision der Strafprozessordnung in Angriff, die der Ständerat in der Wintersession fortsetzte. Das Revisionsprojekt geht auf eine 2015 überwiesene Motion der RK-SR zurück, die den Bundesrat beauftragt hatte, die Strafprozessordnung auf ihre Praxistauglichkeit zu prüfen und allfällige Anpassungen vorzuschlagen. Nachdem die Räte die Bestimmungen zur Sicherheitshaft aufgrund ihrer Dringlichkeit ausgekoppelt und 2020 bereits verabschiedet hatten, begannen 2021 die Beratungen zum Hauptentwurf. Das zweite zentrale Gesetzgebungsprojekt im Strafrecht, die Harmonisierung der Strafrahmen, durchlief 2021 die Differenzbereinigung. Einer der Hauptstreitpunkte dieser Vorlage war, inwieweit die Strafen für Gewalt gegen Behörden und Beamte verschärft werden sollen. Zusammen mit der Revision des Sexualstrafrechts bildet die Strafrahmenharmonisierung die zweite Etappe einer umfassenden StGB-Revision, in der nach dem Allgemeinen Teil (abgeschlossen 2016) nun auch der Besondere Teil erneuert wird. Aufgrund des festgestellten Diskussionsbedarfs hatte das Parlament die Revision des Sexualstrafrechts in einen eigenen Entwurf ausgelagert, der Anfang 2021 in die Vernehmlassung gegeben wurde. Des Weiteren brachten die eidgenössischen Räte in der Wintersession 2021 die Änderung des DNA-Profil-Gesetzes zum Abschluss. Nach Inkrafttreten dürfen die Ermittlungsbehörden neu mittels sogenannter Phänotypisierung äusserliche Merkmale wie Haar-, Haut- und Augenfarbe oder das Alter der gesuchten Person aus DNA-Spuren bestimmen.

Jahresrückblick 2021: Rechtsordnung
Dossier: Jahresrückblick 2021

In der Wintersession 2021 stimmte auch der Nationalrat einer Motion der WBK-SR zu, die darauf abzielte, die Berufsbildungsfähigkeit von spät zugewanderten Jugendlichen zu verbessern. Die grosse Kammer folgte damit ihrer Kommissionsmehrheit, die der Meinung war, dass der Bund über eine dauerhafte finanzielle Unterstützung des Programms «Integrationsvorlehre Plus» (INVOL+) dazu beitragen könne, dass 95 Prozent aller 25-jährigen Personen in der Schweiz mindestens einen Abschluss auf Sekundarstufe II ausweisen können. Eine aus SVP-Vertretenden bestehende Kommissionsminderheit plädierte auf Ablehnung der Motion, da der Bund ihrer Ansicht nach bereits genug tue, um die Integration von Jugendlichen zu verbessern, und im Falle des Pilotprogramms INVOL+ erst einmal die Evaluation abgewartet werden solle. Im Nationalrat stiess das Anliegen abgesehen von der SVP-Fraktion und mit einzelnen Ausnahmen aus den Reihen der FDP.Liberalen-Fraktion indes auf breite Unterstützung.

Lücken in der Integrationsagenda Schweiz füllen. Chancengerechtigkeit für alle Jugendlichen in der Schweiz (Mo. 21.3964)

Mit der Annahme der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» in der Volksabstimmung vom 7. März 2021 wurde die Bundesverfassung um den neuen Artikel 10a ergänzt, der die Verhüllung des eigenen Gesichts in der Öffentlichkeit verbietet. Zur Umsetzung des Gesichtsverhüllungsverbots gab der Bundesrat im Oktober 2021 eine Änderung des Strafgesetzbuches in die Vernehmlassung. Der vorgesehene Artikel 332a StGB stellt die Gesichtsverhüllung an allen öffentlich zugänglichen Orten unter Strafe. Widerhandlungen sollen mit Busse geahndet werden. Wie in der Verfassung festgeschrieben, bleibt die Verhüllung in Sakralstätten sowie aus Gründen der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums weiterhin erlaubt. Zusätzlich schlug der Bundesrat zwei weitere Ausnahmen vor: Sofern sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht beeinträchtigen, sollen Gesichtsverhüllungen im öffentlichen Raum auch zur Ausübung der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit sowie für Auftritte zu Kunst-, Unterhaltungs- oder Werbezwecken erlaubt sein. «Demonstrieren in Kuhmaske erlaubt, Schal zu kurzen Hosen nicht», fasste der Tages-Anzeiger das Vorhaben des Bundesrats lapidar zusammen. Die Vernehmlassung läuft bis Anfang Februar 2022.

Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot (BRG 22.065)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Wie es im Herbst des Vorjahres der Nationalrat getan hatte, stimmte in der Herbstsession 2021 auch der Ständerat der Motion Addor (svp, VS) für die Verstärkung des Identitätsschutzes von Polizistinnen und Polizisten, die Ordnungsbussen verhängen, stillschweigend zu. Die RK-SR hatte die Motion im Vorhinein beraten und – wie auch der Bundesrat – deren Annahme beantragt. Wie sie in ihrem Bericht festhielt, handle es sich beim Ordnungsbussengesetz um ein besonderes Strafverfahrensrecht, weshalb sie das Anliegen der Motion grundsätzlich bereits im Rahmen der in der Kommission hängigen Detailberatung der Revision der Strafprozessordnung umgesetzt habe.

Die Personen schützen, die Ordnungsbussen verhängen (Mo. 20.3388)

Mit 27 zu 6 Stimmen (2 Enthaltungen) sprach sich der Ständerat in der Herbstsession 2021 für eine Motion seiner WBK-SR aus, die eine verbesserte berufliche Integration von spät zugewanderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen bezweckte. Für die Kommission hatte Benedikt Würth (mitte, SG) vorgerechnet, dass es zum gegebenen Zeitpunkt in der Schweiz rund 15'000 Jugendliche und junge Erwachsene mit Ausbildungsbedarf gebe – besonders betroffen seien junge Frauen. Die vom Bund kürzlich unternommenen Förderungsmassnahmen – namentlich das bis 2024 befristete Pilotprogramm «Integrationsvorlehre Plus (INVOL+)», das seit Sommer 2021 auch auf dem regulären Weg zugewanderten Personen aus EU/EFTA-Staaten und Drittstaaten offen steht – seien zu verstetigen und die Kantone bei der Finanzierung von weiteren Massnahmen zur Förderung der Berufsbildungsfähigkeit zu unterstützen. Der Bundesrat hatte die Ablehnung der Motion beantragt. Im Ratsplenum erläuterte Bundesrätin Keller-Sutter, dass es aufgrund bisheriger Erkenntnisse auch die Intention des Bundesrates sei, das Programm INVOL+ zu verstetigen. Nicht einverstanden sei man indes mit der Forderung nach zusätzlichen finanziellen Beiträgen durch den Bund über das Programm hinaus. Mit seinem zustimmenden Beschluss nahm der Ständerat das Anliegen einer 2019 im Nationalrat gescheiterten Motion der WBK-SR wieder auf.

Lücken in der Integrationsagenda Schweiz füllen. Chancengerechtigkeit für alle Jugendlichen in der Schweiz (Mo. 21.3964)

In der Herbstsession 2021 verlängerte der Ständerat die Behandlungsfrist der Tessiner Standesinitiative zur Überprüfung der Strafrahmen für Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte zum dritten Mal um weitere zwei Jahre. Das Anliegen sei Gegenstand der laufenden Differenzbereinigung im Entwurf zur Strafrahmenharmonisierung; deren Ergebnis soll abgewartet werden, bevor mit der Standesinitiative weiter verfahren wird, erklärte Beat Rieder (mitte, VS) als Sprecher der zuständigen RK-SR.

Strafrahmen für Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte überprüfen (Kt.Iv. 14.301)
Dossier: Vorstösse betreffend Gewalt gegen Behörden und Beamte
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Mike Egger (svp, SG) forderte im September 2019 mit einer Motion den Bundesrat dazu auf, das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (AIG) so zu ändern, dass die Kantone anerkannten Geflüchteten, welche Sozialhilfe beziehen, einen Wohnort oder eine Unterkunft zuweisen können. Damit solle verhindert werden, dass sich viele Menschen aus den gleichen Herkunftsländern am selben Ort häuften, was deren Integration erschwere, wie der St. Galler sein Anliegen in der Herbstsession 2021 im Nationalrat begründete. Justizministerin Karin Keller-Sutter erklärte die bundesrätliche Empfehlung zur Ablehnung der Motion damit, dass eine entsprechende Anpassung eine Einschränkung für alle in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländer nach sich ziehen müsste, was den Wirtschaftsstandort Schweiz stark schwächen würde. Grund dafür ist Art. 26 der Genfer Flüchtlingskonvention, welcher festhält, dass anerkannte Geflüchtete das Recht haben, sich ihren Wohnsitz selbst auszusuchen und sich frei im Land zu bewegen – ausser die Vertragsstaaten sähen einschränkende Regelungen vor, die für alle auf ihrem Gebiet lebenden Ausländerinnen und Ausländer unter den gleichen Umständen gelten würden. Der Ständerat lehnte die Motion mit 130 zu 60 Stimmen (1 Enthaltung) ab.

Förderung der Integration von anerkannten Flüchtlingen in den Gemeinden (Mo. 19.3998)

Das Schicksal der beiden parlamentarischen Initiativen Guhl (bdp, AG; Pa.Iv. 16.496) und Romano (cvp, TI; Pa.Iv. 16.501) mit der Forderung, das Strafmass für Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte anzupassen, wurde in der Sommersession 2021 endgültig besiegelt. Der Ständerat schloss sich stillschweigend dem Entscheid seiner Rechtskommission an, das Anliegen im Rahmen der hängigen Vorlage zur Strafrahmenharmonisierung umzusetzen und den beiden Initiativen keine Folge zu geben.

Anpassung des Strafmasses bei Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Pa.Iv. 16.496 und 16.501)
Dossier: Vorstösse betreffend Gewalt gegen Behörden und Beamte
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Um das berufliche Potential von spät eingewanderten Personen ausserhalb des Asylbereichs besser ausschöpfen zu können und um die «Sozialhilfeabhängigkeit bzw. das Sozialhilferisiko» dieser Personengruppe zu reduzieren, beschloss der Bundesrat im Mai 2021, das bereits angelaufene Pilotprogramm Integrationsvorlehre (INVOL), das bis anhin nur jungen Personen innerhalb des Asylbereichs zugänglich war, zu erweitern und zu verlängern. Gelten soll dieses sogenannte Programm «Integrationsvorlehre Plus» (INVOL+), an dem sich 17 Kantone beteiligen, ab Sommer 2021 bis und mit Sommer 2024, wofür der Bund insgesamt einen finanziellen Beitrag von CHF 44.8 Mio. aufwendet.
In seiner Medienmitteilung präsentierte der Bundesrat des Weiteren erste Zahlen zum zweiten Laufjahr des INVOL-Programms: In diesem Jahr hätten 867 Personen das Programm gestartet, wovon 737 das Ausbildungsjahr erfolgreich absolvierten (85%). Von Letzteren hätten daraufhin knapp 70 Prozent (N=514) eine Lehrstelle mit EBA oder EFZ beginnen können – 59.3 Prozent gemessen am Total aller Personen, die das Programm begonnen hatten. Dies sei vergleichbar mit den Zahlen aus dem ersten INVOL-Durchführungsjahr.
Zeitgleich gab der Bundesrat nach Abschluss von Subventionsverträgen mit 14 Kantonen die Lancierung des Pilotprogramms «Finanzielle Zuschüsse zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen» bekannt. Im Rahmen dieses Programms werden Arbeitgebende für den «ausserordentlichen Einarbeitungsaufwand», der durch die Anstellung von Flüchtlingen oder vorläufig aufgenommenen Personen anfalle, finanziell entschädigt. Ziel des dreijährigen Pilotprojektes, für das der Bundesrat einen Beitrag von CHF 11.4 Mio. einsetzt, ist, dass pro Jahr mindestens 300 Personen dieser Gruppe einen Vertrag für eine unbefristete oder zumindest längerfristige Arbeitsstelle erhalten.

Pilotprogramm «Integrationsvorlehre» (INVOL) wird verlängert und erweitert (INVOL+)

Im Frühling 2021 publizierte das BFS erstmals eine Statistik zu den Wiederholungen von Schülerinnen und Schülern im 3. bis 8. Jahr der Primarstufe – also von der ersten bis zur sechsten Klasse, da die beiden Kindergartenjahre ebenfalls zur Primarstufe gezählt werden. Die Studie belegte, dass es im Allgemeinen nur sehr wenige Wiederholungen auf dieser Stufe gibt; im Durchschnitt müssen jedes Jahr nur 1.3 Prozent der Lernenden eine Klasse wiederholen. Es bestehen jedoch Unterschiede bezüglich des Geschlechts, der Region und vor allem bezüglich der Migrationskategorie sowie des sozialen Hintergrundes. Währenddem 2.8 Prozent der Kinder, die nach ihrem 6. Lebensjahr in die Schweiz eingewandert sind, auf der Primarstufe mindestens einmal eine Klasse wiederholen müssen, beläuft sich diese Zahl bei Kindern, die in der Schweiz geboren sind, auf lediglich 1.1 Prozent. Hinsichtlich des Bildungsniveaus der Eltern hielt die Studie fest, dass Kinder mit Eltern ohne nachobligatorischen Bildungsabschluss dreimal häufiger repetieren müssen als Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil über einen Hochschulabschluss verfügt (2.1 Prozent versus 0.7 Prozent).

Wenige Wiederholungen auf Primarstufe

Mit Beratung einer entsprechenden Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes schrieb das Parlament im Frühjahr 2021 eine Motion der SGK-SR ab, die eine punktuelle Anpassung des Status der vorläufigen Aufnahme forderte.

Statut des étrangers admis à titre provisoire (Mo. 18.3002)
Dossier: Ausländer- und Integrationsgesetz. Änderung (vorläufig Aufgenommene)

Am 7. März 2021 nahm die Schweizer Stimmbevölkerung die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» mit 51.2 Prozent Ja-Stimmen an. Damit fiel das Ergebnis letztlich knapper aus als aufgrund von Vorumfragen erwartet. Die Stimmbeteiligung betrug 51.4 Prozent. Die höchste Zustimmung erfuhr das Verhüllungsverbot im Jura (60.7% Ja), gefolgt vom Tessin (60.5%) und Schwyz (60.2%). In St. Gallen, wo wie im Tessin bereits ein kantonales Verhüllungsverbot gilt, dem 2018 zwei Drittel der Stimmbevölkerung zugestimmt hatten, war die Zustimmung mit 53.1 Prozent vergleichsweise schwach. Am wenigsten Unterstützung erhielt die Initiative im Kanton Basel-Stadt (40.6% Ja), gefolgt von Zürich (45.2%) und Genf (48.7%). Auch die Kantone Appenzell Ausserrhoden (49.1%), Bern (49.6%) und Graubünden (49.6%) lehnten die Initiative knapp ab. Bemerkenswert hoch war die Zustimmung für eine Initiative aus den Reihen der SVP – auch im direkten Vergleich mit dem 2009 angenommenen Minarettverbot, das ebenfalls vom Egerkinger Komitee initiiert worden war – in der Westschweiz. Verschiedene Expertinnen und Experten mutmassten in den Medien, dass einerseits die Nähe zu Frankreich den Diskurs analog der dort geführten Debatten stärker auf den sicherheitspolitischen Aspekt gelenkt habe und andererseits die in der Romandie stark präsenten, prominenten bürgerlichen und linken Stimmen, die sich für die Initiative starkgemacht hatten, wohl erheblichen Einfluss gehabt und den Anti-SVP-Reflex beschränkt hätten.
Die Befürwortendenseite wertete den Entscheid als «ein klares Signal des Widerstands gegen die Islamisierung der Schweiz», wie sich der Urheber des ersten kantonalen Verhüllungsverbots Giorgio Ghiringhelli vom «Corriere del Ticino» zitieren liess. Als «Zeichen gegen den ‹politischen Islam›, der vielen Menschen Unbehagen bereitet», interpretierte die NZZ das Votum. Der Berner SP-Grossrat Mohamed Hamdaoui sah im Resultat dementsprechend einen Positionsbezug der gemässigten Muslime gegen den Islamismus, wie er gegenüber «Le Temps» verlauten liess.
Das unterlegene Lager bedauerte den Volksentscheid derweil aus verschiedenen Gründen. Feministische Kreise, die sich gegen das Verhüllungsverbot starkgemacht hatten, fühlten sich durch das Argument, die Vollverschleierung sei Ausdruck der Unterdrückung der Frauen, für rassistische und xenophobe Zwecke missbraucht, wie deren Vertreterin Meriam Mastour gegenüber der Presse erklärte. Die Tourismusbranche befürchtete einen Imageschaden für die Schweiz und zeigte sich besorgt, dass künftig weniger kaufkräftige und konsumfreudige Gäste aus den Golfstaaten die Schweiz besuchen würden. Die Jungen Grünen und der IZRS erklärten unabhängig voneinander, eine gerichtliche Anfechtung des Verhüllungsverbots wenn nötig bis vor den EGMR unterstützen zu wollen. Pascal Gemperli, Pressesprecher der FIDS, zeigte sich um die Sicherheit der muslimischen Gemeinschaft besorgt und befürchtete zunehmende Aggression und Gewalt gegenüber Musliminnen und Muslimen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte gegenüber den Medien, das Abstimmungsresultat sei nicht als Votum gegen die Musliminnen und Muslime in der Schweiz zu verstehen. Diese Linie wurde im unterlegenen Nein-Lager breit vertreten. Dass der Ja-Anteil gegenüber der Minarettinitiative deutlich abgenommen habe, gebe Anlass zur Hoffnung, dass die Schweiz vielleicht doch nicht so islamfeindlich sei, so der Tenor.
Letztlich sei der Entscheid «vor allem auf symbolischer Ebene bedeutsam», resümierte die NZZ. Die konkreten praktischen Auswirkungen sind in der Tat noch unklar. Wie Karin Keller-Sutter erklärte, liege die Umsetzung bei den Kantonen, weil sie über die Polizeihoheit verfügten. Sie hätten nun zwei Jahre Zeit, entsprechende Gesetze zu erlassen. Der Bund müsse das Verbot unterdessen für diejenigen Bereiche, in denen er zuständig ist – beispielsweise im öffentlichen Transportwesen und im Zollwesen – auf Gesetzesebene konkretisieren. Gemäss dem «Blick» zeigten sich einige Kantonsvertretende wenig motiviert, ein gesetzliches Verhüllungsverbot zu erlassen, und würden die Umsetzung lieber ganz dem Bund überlassen. Initiant Walter Wobmann (svp, SO) warf dem Bund in derselben Zeitung bereits vor, die Initiative nicht umsetzen zu wollen: Ein Bundesgesetz sei «unabdingbar, um zu verhindern, dass am Schluss in jedem Kanton etwas anderes gilt», zitierte ihn das Blatt.


Abstimmung vom 7. März 2021

Beteiligung: 51.42%
Ja: 1'427'344 (51.2%) / Stände: 16 4/2
Nein: 1'360'750 (48.8%) / Stände: 4 2/2

Parolen:
– Ja: EDU, Lega, SD, SVP
– Nein: FDP (4*; Frauen: 1*; Jungfreisinnige: 2*), GLP, GP, KVP, Die Mitte (2*), PdA, SP; EKR, SSV, Travail.Suisse, VPOD, Schweizer Tourismus-Verband, EKS, SBK, Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund (SIG), Schweizerischer Rat der Religionen, Katholischer Frauenbund (SKF), Alliance F, Amnesty International, Operation Libero
– Stimmfreigabe: EVP (3*); Schweizerische Evangelische Allianz
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Mitte Januar 2021 startete mit Medienkonferenzen sowohl seitens des Initiativkomitees als auch des Bundesrats der Abstimmungskampf zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot». In den zwei darauffolgenden Monaten bis zum Abstimmungstermin am 7. März 2021 war das Thema Verhüllungsverbot in der Presse praktisch täglich präsent. Wie die Zeitungs- und Inserateanalyse zeigte, erhielt die Volksinitiative im angegebenen Zeitraum deutlich mehr Medienaufmerksamkeit als die beiden anderen Abstimmungsvorlagen vom 7. März, das E-ID-Gesetz und das Freihandelsabkommen mit Indonesien. Obgleich über das Verhüllungsverbot sehr viel debattiert wurde, gab es weder für noch gegen die Initiative eine nennenswerte Inseratekampagne. Dies ging mit einer komplexen Gemengelage in der intensiv geführten Debatte einher: Die Grenze zwischen dem befürwortenden und dem ablehnenden Lager war äusserst diffus; praktisch in jeder Partei oder gesellschaftlichen Gruppierung, die ihren Standpunkt kundtat, gab es gewichtige Stimmen, die sich für die jeweils gegnerische Seite starkmachten. Neben dem Egerkinger Komitee, das die Initiative lanciert hatte, und der SVP, die sie im Parlament unterstützt hatte, stand auf der Pro-Seite etwa auch ein Mitte-links-Komitee aus der Westschweiz, in dem sich unter anderen GLP-Nationalrätin Isabelle Chevalley (VD), der Genfer FDP-Grossrat Jean Romain, der Berner SP-Grossrat Mohamed Hamdaoui und alt-CVP-Nationalrätin Marlyse Dormond Béguelin (VD) für das Verhüllungsverbot engagierten. Ferner warb ein überparteiliches Frauenkomitee um die Nationalrätinnen Marianne Binder-Keller (mitte, AG) und Monika Rüegger (svp, OW) sowie die Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam Saïda Keller-Messahli für die Initiative. Für ein Nein plädierten indes alle grossen Parteien ausser der SVP – allerdings keineswegs geschlossen –, ein parlamentarisches Komitee unter der Federführung von FDP-Ständerat Andrea Caroni (AR), der Schweizer Tourismusverband, mehrere Frauenverbände und Frauenstreikkomitees sowie diverse Akteure, die sich selbst als liberal verstanden oder sich für die Religionsfreiheit einsetzten, darunter die Operation Libero, Amnesty International und verschiedene religiöse Organisationen. Die grossen Abwesenden im Abstimmungskampf waren die direkt Betroffenen, die Nikabträgerinnen selber. Wie der Tages-Anzeiger berichtete, lag das jedoch nicht daran, dass man sie nicht hätte zu Wort kommen lassen, sondern dass sie sich – abgesehen von zwei Interviews während der gesamten Kampagne – nicht äussern wollten. Nach gemäss eigenen Angaben monatelanger Suche blieb der Zeitung deshalb nichts als die Erkenntnis, «dass verhüllte Frauen in der Schweiz nicht nur Körper und Gesicht verstecken, sondern unsichtbar und stumm bleiben».

Argumentativ bewegte sich der Abstimmungskampf auf verschiedenen Ebenen, wobei die Befürwortenden und die Gegnerschaft über weite Strecken dieselben Punkte vorbrachten, sie aber unterschiedlich interpretierten und daher zu gegenteiligen Schlüssen kamen. Neben der Islamdebatte und der Grundrechtsdiskussion wurde von beiden Seiten aus feministischer, sicherheitspolitischer, staatspolitischer und empirischer Warte argumentiert. Wenngleich der Initiativtext keinen Bezug zur islamischen Gesichtsverschleierung herstellte, war beiden Seiten klar, dass sie sich vor allem gegen jene richtete. In der Presse war daher meist vom «Burkaverbot» oder von der «Anti-Burka-Initiative» die Rede, obwohl in der Schweiz – wenn überhaupt – ausschliesslich der Nikab zu sehen sei, wie eine im Abstimmungskampf viel zitierte Studie der Universität Luzern feststellte. Während das Contra-Lager die Initiative als anti-islamisch und diskriminierend gegenüber Musliminnen verstand, sah die Pro-Seite sie als Mittel zum Kampf gegen den radikalen Islam und den Islamismus. Die Religionsfreiheit der Musliminnen tangiere die Initiative nicht, weil die Verschleierung nicht vom Islam verlangt werde, sondern ein kultureller Ausdruck für die Unterdrückung der Frau sei; sie könne daher nicht als Ausübung der persönlichen Freiheit gewertet werden. Vielmehr sei die Vollverschleierung sexistisch und entwürdigend, weil sie die Frauen im öffentlichen Leben unsichtbar mache und entmenschliche. Die muslimischen Frauen müssten davor bewahrt werden, weil sie sich mit Gesichtsschleier nicht in die Schweizer Gesellschaft integrieren könnten. Die Gegenseite betonte, dass sich die Nikabträgerinnen in der Schweiz in der Regel aus religiöser Überzeugung freiwillig verschleierten und nicht befreit werden müssten – im Gegenteil: Soziologische Studien aus Frankreich zeigten, dass die Verschleierung von den strenggläubigen Musliminnen im westlichen Kulturkreis als antikonformistischer, emanzipatorischer Akt verstanden werde. In Frankreich habe das Verbot den Gesichtsschleier sogar populärer werden lassen, weil er jetzt auch als Ausdruck des Protests getragen werde. Zudem sei es sexistisch und paternalistisch, den Frauen vorzuschreiben, wie sie sich zu kleiden hätten und ihnen die freie Entscheidung für den Schleier nicht zuzutrauen. Falls eine Frau den Schleier tatsächlich unter Zwang trage, kriminalisiere das Verbot überdies das Opfer und wirke kontraproduktiv, indem es die betroffenen Frauen zuhause einsperre und erst recht aus der Gesellschaft ausschliesse. Dass es gemäss der Studie der Universität Luzern in der Schweiz nur 20 bis 30 vollverschleierte Frauen gebe, gab dem ablehnenden Lager Anlass, das Anliegen als unnötige Symbolpolitik zu bezeichnen. Für die Befürworterinnen und Befürworter war die Gesichtsverhüllung jedoch eine Prinzipienfrage und auch in noch so kleinen Zahlen nicht tolerierbar. Sie sahen sich im Motto «Wehret den Anfängen» bestärkt und forderten, jetzt zu handeln, solange es noch nicht zu spät sei.

Weiter hob die Pro-Seite hervor, dass die Identifizierbarkeit von Personen sicherheitsrelevant sei. Das Verhüllungsverbot schütze die Gesellschaft somit auch vor vermummten Kriminellen wie zum Beispiel Hooligans oder gewalttätigen Demonstrierenden. Dem setzte die Gegenseite entgegen, dass es in fünfzehn Kantonen bereits verboten sei, sich bei Demonstrationen und Sportveranstaltungen zu vermummen. (Als erster Kanton hatte Basel-Stadt 1990 ein solches Verbot eingeführt.) Ausserdem verhindere das Verhüllungsverbot – anders als von den Initianten schon bei der medienwirksamen Lancierung der Initiative suggeriert – keine Terroranschläge. Dafür brauche es strafrechtliche und präventiv-polizeiliche Massnahmen, denn allein durch ein Verhüllungsverbot würden radikalisierte Islamisten und Islamistinnen «nicht plötzlich zurück in die Mitte der Gesellschaft finden», wie es der «Sonntags-Blick» formulierte. In anderen Kontexten, etwa in winterlicher Kälte, an der Fasnacht oder in der Pandemiesituation, sei die Verhüllung zudem auch für die Initiantinnen und Initianten kein Problem, wie die im Initiativtext enthaltenen Ausnahmen zeigten.

Auf der staatspolitischen Ebene drehte sich die Diskussion um die Frage, ob das Verhüllungsverbot in die Bundesverfassung gehöre. Während die Contra-Seite es ablehnte, Kleidervorschriften in die Verfassung zu schreiben, sah das Pro-Lager dies als gerechtfertigt an, weil es eben nicht um eine blosse Kleidervorschrift gehe, sondern um einen Grundsatz der liberalen und demokratischen Gesellschaft: In der Öffentlichkeit das Gesicht zu zeigen und dasjenige des Gegenübers zu sehen, sei fundamental für das Zusammenleben. Diese Begründung hatte auch den EGMR von der menschenrechtlichen Zulässigkeit des Verhüllungsverbots in Frankreich überzeugt, als dieses in Strassburg vergeblich angefochten worden war. Darüber, ob die seit Monaten geltende Maskenpflicht aufgrund der Corona-Pandemie dieses Argument ad absurdum führe oder ob sie gerade beweise, dass es das Verhüllungsverbot für das Funktionieren der zwischenmenschlichen Beziehungen brauche, wurden sich die beiden Lager nicht einig. Derweil war das gegnerische Lager der Ansicht, es sei gerade höchst illiberal, etwas zu verbieten, das niemandem schade, nur weil es auf Ablehnung stosse. Auch der Bundesrat argumentierte hauptsächlich staatspolitisch: Ein nationales Verhüllungsverbot greife in die Souveränität der Kantone ein, denen die Polizeihoheit obliege. Das Tessin und St. Gallen hätten bereits ein Verhüllungsverbot eingeführt, während andere Kantone ein solches explizit abgelehnt hätten. Diese Entscheide seien zu respektieren. Die Befürwortendenseite argumentierte indessen, dass die Regelung einer solch fundamentalen gesellschaftlichen Frage nicht den Kantonen überlassen werden dürfe. Dass die Gesichtsverhüllung in vielen anderen europäischen Ländern – darunter Belgien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Lettland und Österreich – und sogar einigen arabischen Staaten wie Ägypten, Marokko, Senegal oder Tunesien verboten – und im Falle von Frankreich das Verbot explizit vom EGMR als menschenrechtskonform bestätigt – sei, wertete die Pro-Seite als Zeichen der Legitimität ihres Anliegens. Sie betonte zudem die guten Erfahrungen, welche die Kantone Tessin und St. Gallen damit gemacht hätten. Weder im Tessin noch in den bei arabischen Gästen beliebten österreichischen Ferienorten habe sich das Verhüllungsverbot negativ auf den Tourismus ausgewirkt, wie es der Tourismusverband befürchtete. Die Contra-Seite hob hingegen hervor, dass im Tessin und in St. Gallen praktisch keine Verstösse gegen das Verbot registriert würden, was bestätige, dass es sich nur um ein Scheinproblem handle. In diesem Zusammenhang war in den Augen der Befürworterinnen und Befürworter auch Justizministerin Karin Keller-Sutter, die sich im Namen des Bundesrats gegen das Verhüllungsverbot aussprach, nicht glaubwürdig, weil sie in St. Gallen als ehemalige Polizeidirektorin genau ebendieses eingeführt habe. Gleichzeitig attestierten die Gegnerinnen und Gegner dem Egerkinger Komitee und der SVP ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil sie ihnen ihr Engagement für Frauenrechte nicht abkauften.

Neben der Initiative selbst sorgte auch der indirekte Gegenvorschlag, der bei Ablehnung der Initiative automatisch in Kraft treten würde, für einige Diskussionen. Die Initiativgegnerinnen und -gegner waren der Ansicht, der Gegenvorschlag regle mit der gesetzlichen Pflicht, zur Identifizierung vor Behörden das Gesicht zu zeigen, alles Nötige. Ausserdem leiste er – im Gegensatz zum Verhüllungsverbot – einen tatsächlichen Beitrag an die Stärkung der Frauenrechte und die bessere Integration von ausländischen Frauen in die Gesellschaft. Die Initianten argumentierten hingegen, der Gegenvorschlag löse das eigentliche Problem nicht und wer keine «Gleichstellungsoffensive» («Weltwoche») wolle, müsse mit der Annahme der Initiative den Gegenvorschlag verhindern.

Die durchgeführten Umfragen attestierten der Initiative von Anfang an gute Chancen. Nachdem Ende Januar eine klare Ja-Mehrheit von 63 Prozent (Tamedia) bzw. 56 Prozent (SRF) resultiert hatte, legte die Nein-Kampagne im Folgenden etwas zu. Zwei Wochen vor der Abstimmung bekundeten noch 59 bzw. 49 Prozent der Befragten eine Ja-Stimmabsicht. Während die Parteibasis der SVP durchwegs zu rund 90 Prozent ja stimmen wollte, zeigten sich die Anhängerschaften von FDP, Mitte und GLP gespalten – hier konnte das Nein-Lager im Verlauf der Kampagne Boden gutmachen. Auch im linken Lager traf das Anliegen immerhin bei rund 30 Prozent der Befragten auf Wohlwollen.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Le Conseil national a emboîté le pas à la chambre haute, refusant également d'entrer en matière sur l'initiative cantonale thurgovienne, intitulée «coûts d'intégration», qui voulait relativiser la gratuité de l'enseignement obligatoire pour les personnes étrangères considérées comme «témoignant de la mauvaise volonté à s'intégrer». Seule l'UDC a voté pour l'objet, amenant ainsi 46 voix, contre 129 et une abstention.

Coûts d'intégration (Iv.ct. 19.303)

Eine im Jahr 2016 überwiesene Motion Munz (sp, SH) verlangte vom Bundesrat, im Rahmen der Fachkräfte-Initiative das Arbeitsmarktpotential von anerkannten und vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen besser zu nutzen, indem Ausbildungsmöglichkeiten für diese Personen verbessert würden. Mit Verweis auf die mittlerweile beschlossene Integrationsagenda Schweiz beantragte der Bundesrat in seinem Bericht über die Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahr 2018 die Abschreibung der Motion. In der Sommersession 2019 stimmte der Ständerat dem Abschreibungsantrag des Bundesrats zu. Hingegen sprach sich der Nationalrat auf Antrag einer Mehrheit seiner WBK mit knappem Entscheid gegen eine Abschreibung aus. Die Kommission hätte sich über die Integrationsagenda hinausgehende Massnahmen zur verbesserten Arbeitsmarktintegration im Bereich der Ausbildung von Flüchtlingen gewünscht, so die Begründung der Kommissionsmehrheit.
Ein Jahr später beantragte der Bundesrat erneut die Abschreibung der Motion – dieses Mal mit zusätzlichen Ausführungen zu weitergehenden Bestrebungen: Im Mai 2019 habe der Bundesrat zwei Pilotprogramme zur Integrationsvorlehre beschlossen, zudem sei ein Monitoring über den Erfolg der Ausbildung und Arbeitsmarktintegration in Umsetzung der Integrationsagenda geplant. Gerade weil dieses Monitoring noch nicht durchgeführt worden sei, solle mit einem Urteil noch zugewartet werden, lautete hingegen die Meinung der WBK-NR, weswegen sie dem Nationalrat erneut beantragte, das Geschäft nicht abzuschreiben. Der Rat kam diesem Antrag stillschweigend nach. Bei der Behandlungsrunde zur Klärung der Differenzen zum Ständerat – die Kantonskammer hatte erneut für Abschreibung gestimmt – beschloss der Nationalrat hingegen auf Anraten einer Kommissionsmehrheit und unter Opposition der Fraktionen der SP und der Grünen, dem Ständerat zuzustimmen, womit die Motion abgeschrieben wurde.

Former les réfugiés pour une intégration durable sur le marché du travail (Mo. 15.3653)

Le député de la Lega dei Ticinesi, Lorenzo Quadri (lega, TI), avait déposé en 2018 une motion demandant au Conseil fédéral d'«abandonner tout de suite l'idée de subventionner ceux qui engagent des réfugié-e-s». Il visait par là les programmes d'intégration cantonaux (PIC), dans le cadre desquels des mesures sont mises en place pour favoriser l'emploi. Le député estimait que les Suisses et Suissesses, selon lui trop souvent discriminé-e-s dans leur propre pays, méritaient ces aides, plus que les personnes relevant de l'asile.
L'objet a été classé en 2020, le Conseil national n'en ayant pas achevé l'examen dans un délai de deux ans.

Keine finanziellen Anreize für die Anstellung von Flüchtlingen (Mo. 18.3787)

Nach geltendem Recht muss die Person, die eine Ordnungsbusse verhängt, auf der Quittung oder dem Bedenkfristformular ihren Vor- und Nachnamen angeben. Um die Polizistinnen und Polizisten, die Ordnungsbussen verhängen, besser zu schützen, sollen sie neu nur noch ihre Matrikelnummer angeben müssen. Der Nationalrat folgte in der Herbstsession 2020 diskussionslos dem Antrag des Bundesrates und nahm eine entsprechende Motion Addor (svp, VS) stillschweigend an.

Die Personen schützen, die Ordnungsbussen verhängen (Mo. 20.3388)

En juin 2020, le Conseil national a décidé de classer l’initiative du canton de St-Gall, malgré une minorité Steinemann (udc, ZH). Entre le dépôt de l'initiative et son classement, la révision de la loi sur les étrangers et l'intégration (LEI) a été votée et mise en œuvre. La CIP-CN a estimé que les cinq objectifs de cette initiative – qui visait à durcir les conditions d'octroi, de renouvellement ou de révocation des autorisations de séjour et d'établissement – étaient atteints par la nouvelle loi. Le classement a été approuvé en chambre basse par 105 voix contre 83, où le centre et la droite s'opposaient à la gauche et au groupe vert'libéral. Le Conseil des États a fait de même au mois de septembre suivant, sans débat.

Renforcement des contraintes et de l'application de la législation en vigueur concernant l'intégration (Iv.ct. 16.307)

Die RK-NR beschäftige sich Ende August 2020 mit dem Covid-19-Gesetzesentwurf und wandte sich bezüglich einiger Punkte an die SGK-NR, in deren Zuständigkeit die Vorberatung der Vorlage fiel. Da das Leben bestimmter Personengruppen von der Coronakrise besonders einschneidend beeinflusst worden sei, solle der Bundesrat von den Bestimmungen des Ausländer- und Integrationsgesetzes abweichen dürfen, um auf diese Weise Flüchtlingen und Sans-Papiers eine bessere Betreuung zukommen lassen zu können. Anders als im Entwurf angedacht, solle der Landesregierung neben den Bestimmungen der Verfahrensgesetze in Zivil- und Verwaltungssachen auch das Abweichen von weiteren Gesetzen zugestanden werden, falls diese Verfahrensbestimmungen beinhalten.

Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid 19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; BRG 20.058)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

Nachdem die eidgenössischen Räte den indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot», das Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung, mit der Bereinigung aller Differenzen auf Kurs gebracht hatten – die Schlussabstimmungen standen aufgrund des pandemiebedingten Abbruchs der Frühjahrssession indes noch aus –, beriet der Nationalrat in der Sommersession 2020 die Volksinitiative an sich. Der Ständerat hatte schon im Herbst 2019 über die Initiative debattiert und sie zur Ablehnung empfohlen. Die Volkskammer als Zweitrat hatte die Diskussion zur Initiative seinerzeit ausgesetzt, bis die Beratungen zum Gegenvorschlag abgeschlossen sein würden, und nahm sie nun ein knappes Jahr später in Angriff. Die SPK-NR beantragte ihrem Rat mit 14 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. In der mehrstündigen, emotionalen Ratsdebatte standen sich das befürwortende – bestehend aus der SVP-Fraktion sowie einem grossen Teil der Mitte-Fraktion – und das gegnerische Lager – bestehend aus allen anderen Fraktionen – unverrückbar gegenüber. Als «Dialog der Gehörlosen» bezeichnete «Le Temps» die Diskussion, in der nur die bereits bekannten, festgefahrenen ideologischen Positionen zu den Frauenrechten und zum «Kulturkampf» («Le Temps») vorgetragen wurden. Die Befürworterseite argumentierte im Kern, das Verhüllungsverbot setze ein klares Zeichen gegen die Unterdrückung der Frau und stärke die offene Gesellschaft sowie die Sicherheit in der Schweiz. Die Gegenseite betonte in erster Linie die Unvereinbarkeit eines solchen Verbots mit der liberalen Gesellschaftsordnung. 91 Wortmeldungen später entschied der Nationalrat mit 114 zu 76 Stimmen bei 3 Enthaltungen, die Initiative Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen. Für die Initiative standen neben der geschlossenen SVP-Fraktion zwei Drittel der Mitte-Fraktion sowie zwei Stimmen aus der FDP- (de Quattro/fdp, VD; Dobler/fdp, SG) und eine aus der GLP-Fraktion (Chevalley/glp, VD) ein. Abschliessend billigte die Volkskammer, dass ihre Kommission die Petition 15.2044 für die Ungültigkeitserklärung der Initiative aus Gründen der Einheit der Materie zur Kenntnis genommen hatte. Wie Kommissionssprecher Damien Cottier (fdp, NE) im Ratsplenum erläuterte, war die Kommission der Ansicht gewesen, dass die Volksinitiative die Einheit der Materie wahre, indem sie ein einziges Thema, nämlich das Verbot der Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit, betreffe.

In den Schlussabstimmungen zwei Tage darauf wurde der Bundesbeschluss, mit dem das Parlament die Volksinitiative zur Ablehnung empfahl, im Nationalrat mit 113 zu 77 Stimmen bei 7 Enthaltungen angenommen, wobei die befürwortenden und ablehnenden Stimmen dieselben geblieben waren wie bei der inhaltlichen Beratung. Der Ständerat stimmte dem Bundesbeschluss mit 36 zu 7 Stimmen bei 2 Enthaltungen zu; hier bestand die Opposition aus der geschlossenen SVP-Fraktion und CVP-Vertreter Beat Rieder (cvp, VS).

Weil sie aufgrund des Sessionsabbruchs nicht mehr in der Frühjahrssession 2020 stattgefunden hatten, standen auch die Schlussabstimmungen zum Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung in der Sommersession 2020 auf der Agenda der eidgenössischen Räte. Den indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» nahm der Nationalrat mit 104 zu 85 Stimmen bei 9 Enthaltungen an. Während sich die Mitte-Fraktion hier grossmehrheitlich dafür aussprach, stimmten neben der geschlossenen SVP- eine breite Mehrheit der Grünen Fraktion sowie einige Angehörige der FDP- und der Mitte-Fraktionen dagegen. Der Ständerat verabschiedete das Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung mit 35 zu 8 Stimmen bei 2 Enthaltungen, wobei auch hier alle SVP- und zwei Mitte-Stimmen ablehnend waren.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Das Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung, indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot», befand sich in der Frühjahrssession 2020 in der Differenzbereinigung. Damit kamen die vom Nationalrat in den Entwurf eingefügten gleichstellungspolitischen Bestimmungen in der Kantonskammer auf den Prüfstand. Die SPK-SR hatte sich mit den Ergänzungen des Nationalrats grundsätzlich einverstanden gezeigt, sich aber bei zwei der drei neuen Bestimmungen für eine von der Verwaltung vorgeschlagene, redaktionell verbesserte Variante entschieden. Inhaltlich schlug die Kommission ihrem Rat einzig eine kleine Anpassung vor, nämlich dass die Beiträge des Bundes für die Integration nicht nur insbesondere den Frauen, sondern zusätzlich auch den Kindern und Jugendlichen zugutekommen sollen. Dagegen forderte SVP-Ständerat Werner Salzmann (svp, BE) per Einzelantrag die Streichung der drei Bestimmungen zur Förderung der Gleichstellung, weil sie seines Erachtens «unnötig und insbesondere einseitig» seien. Der Ständerat folgte jedoch in allen Belangen mit grosser Mehrheit seiner Kommission und hiess die drei gleichstellungspolitischen Ergänzungen gut.
Für die redaktionellen Korrekturen zeigte sich die nationalrätliche Kommission dankbar. Ohne weitere Anpassungen beantragte sie ihrem Rat Zustimmung zur Fassung des Ständerates. Noch in der Frühjahrssession 2020 stimmte die grosse Kammer dem Entwurf in der Gesamtabstimmung mangels Gegenantrags stillschweigend zu. SVP-Nationalrat Gregor Rutz (svp, ZH) wies bei dieser Gelegenheit jedoch darauf hin, dass das Fehlen einer Minderheit nicht als einhelliges Einverständnis zur Vorlage missverstanden werden sollte. Die Probe aufs Exempel steht indes noch aus: Die Schlussabstimmungen konnten aufgrund des Corona-bedingten Ausfalls der dritten Sitzungswoche nicht mehr in der Frühjahrssession 2020 durchgeführt werden.
Gemäss Einschätzung der NZZ sei es fraglich, ob der gleichstellungspolitisch aufgerüstete Gegenvorschlag reiche, um die Stimmbevölkerung davon abzuhalten, der Initiative für ein schweizweites Verhüllungsverbot zuzustimmen. Andererseits hätten die Räte mit dem Gleichstellungsaspekt genau jenes Argument für das Burkaverbot adressiert, das auch ausserhalb des rechtskonservativen Milieus verfange. Entscheidend werde also sein, ob die Bevölkerung glaube, dass der Gegenvorschlag «handfeste Folgen» habe, oder ihn als Symbolpolitik betrachte, orakelte die Zeitung.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Anders als ihre Schwesterkommission wollte die RK-NR trotz der inzwischen angelaufenen parlamentarischen Beratung der Vorlage zur Strafrahmenharmonisierung, im Zuge deren auch das Strafmass für Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte angepasst werden könnte, mehrheitlich an den beiden parlamentarischen Initiativen Guhl (bdp, AG; Pa.Iv. 16.496) und Romano (cvp, TI; Pa.Iv. 16.501) mit ebendiesem Anliegen festhalten. Im Gegensatz zur Kommissionsminderheit, die den Initiativen keine Folge mehr geben wollte, sehe die Mehrheit Handlungsbedarf; man müsse Behörden und Beamte besser schützen, und zwar «nicht am Sankt-Nimmerleins-Tag», appellierte Berichterstatter Philipp Bregy (cvp, VS) an das Ratsplenum. Mit 109 zu 77 Stimmen gab der Nationalrat im Frühling 2020 beiden Initiativen Folge.

Anpassung des Strafmasses bei Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Pa.Iv. 16.496 und 16.501)
Dossier: Vorstösse betreffend Gewalt gegen Behörden und Beamte
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Le rapport en réponse au postulat UDC sur les conséquences à long terme de l'intégration des étrangers a été rendu public le 20 décembre 2019. Sa rédaction a été confiée au Forum suisse pour l'étude des migrations et de la population (SFM) et à l'International Center for Migration Policy Development (ICMPD). S'il est difficile dans le domaine de l'étude des migrations de dégager des règles universelles de cause à effet, tant les facteurs influençant les décisions de départ et de retour sont nombreux et complexes, trois tendances ont été relevées. Premièrement, la plupart des gens ne migrent pas, ils restent là où ils ont grandi. Pour ceux qui optent pour une migration, il est impossible de résumer leur choix par un mécanisme d'attraction et de répulsion. Deuxièmement, le retour effectif d'une personne migrante encline à rentrer dans son pays d'origine dépend avant tout de la situation au sein de ce dernier. Troisièmement, des mesures précoces de formation et d'intégration peuvent être bénéfiques pour un retour éventuel dans le pays d'origine et également dans une optique de développement des pays d'origine.
Le rapport conclut donc une efficacité du système actuel, sans percevoir d'effets contre-productifs aux mesures d'intégration. Il estime en outre qu'il est judicieux de prévoir de telles mesures, même quand la durée du séjour est incertaine.

conséquences à long terme de l'intégration des étrangers

Im Dezember 2019 legte der Bundesrat einen Bericht in Erfüllung des Postulates Graf-Litscher (sp, TG) vor und präsentierte darin Varianten für die Ausgestaltung von Meldepflichten von kritischen Infrastrukturen bei schwerwiegenden Sicherheitsvorfällen. Der Bericht erörterte die derzeitige Ausgangslage, verglich Meldepflichten im Ausland und präsentierte nebst der Variante, keine weiteren Meldepflichten einzuführen, drei Varianten für eine Meldepflicht und für Meldestellen in der Schweiz. Bei diesen drei Möglichkeiten würde entweder eine zentrale Meldestelle etabliert, die bisherigen dezentralen Meldestellen in den Sektoren auf- und ausgebaut oder als letzte Variante eine Kombination der beiden Ansätze umgesetzt, wobei eine zentrale Meldestelle einzig für Cybervorfälle und die bestehenden dezentralen Stellen für alle anderen sicherheitsrelevanten Vorfälle zuständig wären. Die vorgeschlagenen vier Varianten sollen in einem nächsten Schritt mit Wirtschaftskreisen, den Kantonen und den zuständigen Behörden vertieft diskutiert werden und im Sommer 2020 zur Erarbeitung einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage führen.

Meldepflicht bei kritischen Infrastrukturen (Po. 17.3475)
Dossier: Schutz kritischer Infrastrukturen
Dossier: Cyber Defence