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Jahresrückblick 2023: Soziale Gruppen

Von allen Themen im Bereich der «Sozialen Gruppen» berichteten die Medien im Jahr 2023 wie bereits im Vorjahr am häufigsten über Asylfragen (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse). Sowohl parlamentarische als auch ausserparlamentarische Diskussionen drehten sich im Jahr 2023 häufig um potentielle und aktuelle Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung von Asylsuchenden, bedingt durch die stark ansteigenden Asylgesuchszahlen sowie durch zahlreiche Schutzsuchende aus der Ukraine. Dabei kam es auch zu Misstönen zwischen Bund und Kantonen. Die Kantone, aber auch die Schweizer Armee stellten im Frühherbst weitere Unterbringungsplätze zur Verfügung; im Spätherbst war die Lage zwar angespannt, eine Notlage blieb jedoch aus. Eine umfassende, respektive konkretere Notfallplanung nach weiteren Absprachen zwischen Bund und Kantonen empfahl die Evaluationsgruppe zum Schutzstatus S in ihrem Schlussbericht.

Die SVP machte den Asylbereich zu einem ihrer Haupt-Wahlkampfthemen. Anfang Juli lancierte sie die Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» (Nachhaltigkeitsinitiative), mit der sie unter anderem die von ihr empfundenen Missstände im Asylwesen bekämpfen will. Im Berichtsjahr verlangte die SVP zudem gleich drei ausserordentliche Sessionen zur Asylpolitik. Insgesamt fanden die zahlreichen und aus diversen Parteien stammenden Motionen im Bereich Asyl im Jahr 2023 jedoch kaum Mehrheiten im Parlament und scheiterten meist bereits im Erstrat. Der Bundesrat wiederum gab im Berichtsjahr einen Entwurf in die Vernehmlassung, mit dem der Zugang zur beruflichen Ausbildung für abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers erleichtert werden soll.

In der Migrationspolitik gab die Masseneinwanderungsinitiative zu reden. Gleich bei zwei Gesetzesrevisionen wurde die Frage der Vereinbarkeit mit dem durch die Annahme der Initiative im Jahr 2014 in die Bundesverfassung aufgenommenen Zuwanderungsartikel in den Raum gestellt: Sowohl bei der Vorlage zur Beseitigung der Inländerinnen- und Inländerdiskriminierung beim Familiennachzug als auch bei derjenigen zur Lockerung der Zulassungsbestimmungen für ausländische Drittstaatenangehörige mit Schweizer Hochschulabschluss kam es wegen vertiefter Abklärungen der Verfassungsmässigkeit zu einem Marschhalt.

Die Politik setzte sich 2023 auch mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auseinander. So wies ein Postulatsbericht für die Schweiz im europäischen Vergleich einen hohen gesamten geschlechtsspezifischen Einkommensunterschied (Gender Overall Earnings Gap) und einen relativ hohen geschlechtsspezifischen Unterschied bei den Gesamtrenten (Gender Pension Gap) aus. Ein weiterer Postulatsbericht zeigte Einflussfaktoren auf, die einen beruflichen Wiedereinstieg oder die Erhöhung des Arbeitspensums von Frauen mit Kindern begünstigen. Als Mittel zur verstärkten Arbeitsmarktintegration von Frauen verwies der Bundesrat darin auf die Bestrebungen zur Einführung der Individualbesteuerung sowie auf die hängige Vorlage zur Beteiligung des Bundes an den elterlichen Kita-Betreuungskosten, obwohl er Letztere ablehnte. Nachdem der Nationalrat der Vorlage im März ohne die vom Bund verlangte Gegenfinanzierung zugestimmt hatte, bestand die ständerätliche Kommission auf der Prüfung eines alternativen Modells, das 2024 in die Vernehmlassung geschickt werden soll. In jedem Fall wird sich das Parlament in Kürze wieder zur Frage der Subventionierung der Betreuungskosten äussern: Die im Vorjahr lancierte Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle» (Kita-Initiative) kam im Sommer zustande.

Nicht vorgelegt werden der Stimmbevölkerung zwei die Frauen betreffende Volksinitiativen mit dem Ziel der Reduktion von Schwangerschaftsabbrüchen. Diese scheiterten im Berichtsjahr im Sammelstadium. Erfolgreicher war eine aus der Frauensession 2021 resultierende Forderung zur Verstärkung der Erforschung von Frauenkrankheiten, die in Form einer Motion im Berichtsjahr an den Bundesrat überwiesen wurde. Ebenfalls gab der Bundesrat 2023 die Lancierung eines Nationalen Forschungsprogramms zur Gendermedizin bekannt. Die Lohngleichheit war eine der grossen Forderungen am Feministischen Streik 2023, entsprechende parlamentarische Forderungen wurden im Parlament jedoch beinahe allesamt abgelehnt.

Grundsätzlich wurde Massnahmen gegen häusliche Gewalt oder zur Verstärkung des Opferschutzes bei häuslicher Gewalt wie bereits 2022 auch 2023 ein hoher Stellenwert beigemessen. So gab der Bundesrat einen Entwurf in die Vernehmlassung, mit der die gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankert werden soll. Als Erstrat behandelte der Nationalrat in der Wintersession zudem eine Vorlage, die ausländische Opfer von häuslicher Gewalt besser schützen will. Auch einige parlamentarische Initiativen und Motionen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt stiessen 2023 in der Legislative auf Zuspruch.

Ende 2023 läuft die 20-jährige Frist zur Ermöglichung des barrierefreien Zugangs zum ÖV für Menschen mit Handicap ab, wie es das im Jahr 2004 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz vorsah. Im März präsentierte der Bundesrat einen Bericht, der bei der Zugänglichkeit noch beträchtliche Lücken aufzeigte. Die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, sowohl im Verkehr als auch in allen weiteren Lebensbereichen, forderte die im April lancierte Inklusions-Initiative. Ebenfalls mehr Einbindung verlangten im März die Teilnehmenden der ersten Behindertensession, wobei sie ein besonderes Augenmerk auf die Teilhabe an der Politik legten. Ferner diskutierte ein im Herbst vom Bundesrat publizierter Bericht, ob der Stimmrechtsausschluss von Menschen mit einer geistigen Behinderung legitim sei. Durch die medial begleitete (Wieder-)Wahl von Philipp Kutter, Christian Lohr und Islam Alijaj in den Nationalrat dürften Menschen mit Behinderung in Zukunft auch innerhalb des Parlaments ein breiteres Sprachrohr haben.

Auch LGBTQIA-Personen erhielten durch die Kandidatur und schliessliche durch die Wahl von Anna Rosenwasser in Zürich verstärkte Aufmerksamkeit. Zu einem bedeutenden Fortschritt für schwule und bisexuelle Männer kam es dank einer vom Parlament verabschiedeten Änderung des Heilmittelgesetzes, die unter anderem einen diskriminierungsfreien Zugang zur Blutspende ermöglicht. Somit werden in Zukunft grundsätzlich alle schwulen und bisexuellen Männer nach jahrzehntelangem Ausschluss als potentielle Blutspender zugelassen. Im Berichtsjahr überwies das Parlament ferner ein Postulat, das einen Bericht zur Verbesserung der Situation von nicht-binären Personen fordert.

Jahresrückblick 2023: Soziale Gruppen
Dossier: Jahresrückblick 2023

Im Jahr 2023 scheiterten einige Vorstösse zur Stellung der Frau in der Gesellschaft, eingereicht von Frauen aus dem links-grünen Lager, bereits in einem frühen Stadium. Darunter befanden sich Vorstösse, die den Schutz vor Diskriminierung verstärken wollten oder verbesserte Informationsgrundlagen zur Einschätzung des Ausmasses der Diskriminierung verlangten. Bereits im Erstrat abgelehnt wurde eine Motion Marti (sp, ZH) zur Angleichung des Schweizer Gleichstellungsgesetzes an das EU-Gleichbehandlungsrecht im Erwerbsleben (Mo. 21.3938), ein Postulat Feri (sp, AG), das mehr Informationen über das Ausmass der Altersdiskriminierung von Frauen und Möglichkeiten zur Bekämpfung der festgestellten Diskriminierung verlangte (Po. 21.3090), sowie ein Postulat Gysin (gp, TI), das mehr Klarheit über die Konzepte der Gleichstellung und der Diskriminierung aufgrund von biologischem und sozialem Geschlecht schaffen wollte (Po. 22.3714).

Auch Vorstösse mit dem Ziel der Verbesserung der Situation von Frauen im Arbeitsleben scheiterten im Erstrat, namentlich eine Motion Imboden (gp, BE) mit der Forderung nach spezifischen, auf die Digitalisierung und eine nachhaltige Gesellschaft ausgerichtete Aus- und Weiterbildungsprogrammen für Frauen im Niedriglohnsegment (Mo. 22.3623), sowie mehrere Motionen, die verstärkte Massnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verlangten (Mo. 22.3564 Fehlmann Rielle, sp, GE; Mo. 22.3736 Piller Carrard, sp, FR; Mo. 23.3223 Carobbio Guscetti, sp, TI). Von der Urheberin zurückgezogen wurde ferner eine Motion Feri (sp, AG) mit der Forderung nach verstärkter Hilfe für Sexarbeitende aufgrund prekärer Umstände während der Covid-19-Pandemie (Mo. 21.3114). Unbehandelt abgeschrieben wurde schliesslich ein Postulat Prezioso Batou (egsols, GE), das vom Bundesrat einen Bericht zu den arbeitsmarktlichen Auswirkungen von Covid-19 auf die Frauen forderte (Po. 21.3390).

Im Erstrat abgelehnt wurde ferner eine Motion Funiciello (sp, BE) mit der Forderung, dass 0.1 Prozent des BIP zur Bekämpfung geschlechterspezifischer und sexualisierter Gewalt eingesetzt werde (Mo. 21.3768). Zwei weitere Vorstösse zu diesem Thema wurden von den Urheberinnen wieder zurückgezogen: Die Motion Gysin (gp, TI) mit der Forderung nach einer Übernahme der Verfahrenskosten für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt (Mo. 21.3084) und ein Postulat Fellmann Rielle (sp, GE) betreffend der Finanzierung von Frauenhäusern für Opfer von Gewalt (Mo. 21.3073). In punkto Bekämpfung von Gewalt an Frauen wurden 2023 hingegen durch Zustimmung zu anderen Vorstössen und parlamentarischen Interventionen bedeutende Zugeständnisse erzielt.

Schliesslich wurde im Jahr 2023 ein die Gesundheit von Frauen betreffender Vorstoss abgeschrieben, da er nicht innert zwei Jahren vom Parlament behandelt worden war. Bei dieser Abschreibung handelte es sich erneut um ein Postulat Prezioso Batou (egsols, GE). Dieses wollte überprüfen lassen, wie auch Männer verstärkt in die sexuelle und reproduktive Gesundheitsprävention einbezogen werden könnten (Po. 21.3429).

Bereits im Erstrat gescheiterte Vorstösse zu Frauen- und Gleichstellungspolitik (2023)

Im Mai 2023 verlangte Marianne Maret (mitte, VS) in einer Motion eine verstärkte Unterstützung für Weiterbildungen und berufliche Umschulungen, um die Rückkehr in die Arbeitswelt zu erleichtern. So könnten Personen, die ihre Arbeit zum Beispiel zwecks Kinderbetreuung freiwillig aufgeben, oft aus finanziellen Gründen keine Weiterbildungen machen, sofern sie nicht unter die arbeitsmarktlichen Massnahmen der Arbeitslosenversicherung fallen. Weiterbildungen seien aber oft nötig, um nach einem längeren Unterbruch wieder in den früheren Beruf zurückkehren zu können. Folglich soll der Bund zusammen mit den Kantonen ein entsprechendes Pilotprojekt durchführen. Der Bundesrat empfahl die Motion zur Ablehnung, da es bereits zahlreiche entsprechende Unterstützungsmassnahmen gebe, wie er in der Folge und mit Verweis auf den Bericht zum Postulat 20.4327 aufzählte. Der Ständerat nahm den Vorstoss jedoch in der Herbstsession 2023 mit 22 zu 13 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) an.

Verstärkte Unterstützung für Weiterbildungen und berufliche Umschulungen, um die Rückkehr in die Arbeitswelt zu erleichtern (Mo. 23.3699)

In der Herbstsession 2023 bekräftigte der Nationalrat die Meinung einer bürgerlichen Mehrheit der WBK-NR und beschloss, drei parlamentarischen Initiativen, die verstärkte Massnahmen zur Herstellung von Lohngleichheit forderten, keine Folge zu geben (Pa.Iv. 22.464; Pa.Iv. 22.473; Pa.Iv. 22.481). Für alle drei Initiativen hatten links-grüne Kommissionsminderheiten Folgegeben beantragt, teilweise unterstützt von je einer Mitte- und EVP-Nationalrätin. Im Nationalrat vermochten die Kommissionsminderheiten über die links-grünen Fraktionsgrenzen hinaus jedoch nicht zu punkten. Die Initiativen waren damit erledigt.

Parlamentarische Initiativen verlangen verstärkte Massnahmen zur Herstellung von Lohngleichheit (Pa.Iv. 22.464; Pa.Iv. 22.473; Pa.Iv. 22.481)
Dossier: Lohngleichheitsanalysen und Diskussionen über die Einführung von Sanktionen

Aussenminister Ignazio Cassis reiste im September 2023 nach Kanada, wo er auf sein kanadisches Pendant, Mélanie Joly, traf. Im Zentrum der Gespräche stand die bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Forschung, Umwelt sowie Menschenrechte. Auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine wurde thematisiert. Ein weiteres Augenmerk wurde auf die neue kanadische Initiative zum Schutz von willkürlich verhafteten Personen gelegt. Diese Initiative prangerte die Praxis einiger Staaten an, «Personen willkürlich zu inhaftieren und sie als Druckmittel in der Aussenpolitik einzusetzen». Gemäss Bundesrat widerspreche diese Praxis den in der Amerikas-Strategie festgehaltenen Grundsätzen der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit.
Diese Initiative wurde auch im Rahmen der UNO-Generalversammlung von Ende September 2023 diskutiert, an der Ignazio Cassis ebenfalls teilnahm. Ansonsten prägte der russische Angriff auf die Ukraine die Agenda des Aussenministers in New York; er nahm dabei unter anderem an einem Ministertreffen zur Revision des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs teil, das zum Ziel hatte, ein starkes Signal gegen die Straflosigkeit des Verbrechens der Aggression zu setzen.

Bundesrat Ignazio Cassis reist nach Kanada

Die nationalrätliche Geschäftsprüfungskommission reichte im Juni 2023 ein Postulat ein, mit welchem sie einen Bericht über die Stärkung der Aufsicht und Kontrolle der biologischen Hochsicherheitslabore forderte. Die GPK-NR wollte in diesem Bericht zahlreiche Fragen rund um die Sicherheit der biologischen Hochsicherheitslabore klären; so etwa wie die Aufsicht des Bundes über die Kontrolltätigkeit der Kantone gestärkt und wie der Vollzug durch die Kantone selber vereinheitlicht und verbessert werden kann oder auch wie ein intensiverer Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Bund und Kantonen zu Stande kommen kann. Im Postulatsbericht solle auch festgehalten werden, ob die entsprechenden Rechtsgrundlagen durch die erwähnten Massnahmen angepasst werden müssen. Die GPK-NR begründete ihren Vorstoss mit dem Umstand, dass die Kantone die Kontrolltätigkeit über diese Labore sehr unterschiedlich handhabten, beispielsweise in Bezug auf die Häufigkeit der Kontrollen oder auch in Bezug auf die Ressourcen, die für die Inspektionen aufgewendet werden. Zudem verfüge der Bund derzeit nur über begrenzte Aufsichtskompetenzen über die Kontrolltätigkeit der Kantone; es gebe zum Beispiel keine Regelung, wann und in welchem Umfang dem Bund Informationen zu den Kontrollen übermittelt werden müssen. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulates und der Nationalrat nahm den Vorstoss in der Herbstsession 2023 stillschweigend an.

Stärkung von Aufsicht und Kontrolle über biologische Hochsicherheitslabore (Po. 23.3965)

Ende September 2021 reichte Judith Bellaiche (glp, ZH) eine Motion ein, mit welcher sie den Bundesrat damit betrauen wollte, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um eine dauerhafte genomische Überwachungsplattform für Infektionskrankheiten zu errichten. Das Geschäft kam gut zwei Jahre nach Einreichen in den Nationalrat, wo die Motionärin ihr Anliegen ausführte. Durch die Covid-19-Pandemie sei ersichtlich geworden, dass zurzeit kein Instrument vorhanden sei, das eine systematische Verfolgung von Krankheiten und deren Veränderungsverhalten ermögliche. Damit rechtzeitig auf neue Krankheitserreger oder Bakterienresistenzen reagiert werden könne, sei dies allerdings essenziell. Gesundheitsminister Berset empfahl die Motion zur Ablehnung. In Folge der Covid-19-Pandemie habe man Ausweitungen an der genomischen Überwachung vorgenommen, weshalb die für eine entsprechende Plattform benötigten Rahmenbedingungen bereits existierten. Zudem fliesse die Fragen zur genomischen Überwachung und zu den entsprechenden Plattformen in das derzeit in Überarbeitung befindliche EpG ein. Dennoch nahm die grosse Kammer die Motion mit 109 zu 63 Stimmen (bei 12 Enthaltungen) an. Während die Fraktionen der SP, GLP, Mitte und der Grünen geschlossen respektive mit einigen Enthaltungen das Geschäft befürworteten, sprachen sich die SVP- und die FDP-Fraktion geschlossen respektive grossmehrheitlich gegen den Vorstoss aus.

Dauerhafte genomische Überwachungsplattform für Infektionskrankheiten (Mo. 21.4175)

Zur Verbesserung der Integration von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben reichte Christian Lohr (mitte, TG) eine Motion ein, in der er forderte, dass nicht mehr länger nur die Arbeitnehmenden selber, sondern auch Arbeitgebende Gesuche für Anpassungen am Arbeitsplatz zuhanden der IV stellen können sollen. Dies sei im Rahmen eines Austausches von Menschen mit einer Behinderung vorgeschlagen worden. Dadurch könnte die Belastung der Arbeitnehmenden verringert und durch Einbezug des Arbeitgebenden eine effizientere Kommunikation mit der IV ermöglicht werden, so Lohr.
Anders sah dies der Bundesrat in seiner Stellungnahme: Die Hilfsmittel müssten auf die jeweiligen individuellen Bedürfnisse der versicherten Person zugeschnitten sein, die einen Rechtsanspruch auf diese habe. Ein Gesuch durch Arbeitgebende käme keiner administrativen Vereinfachung gleich, da die versicherte Person dennoch im Zentrum der Leistungsprüfung stünde und zusätzlich die Selbstbestimmung dieser dadurch möglicherweise untergraben werden würde. Der Bundesrat zeigte sich jedoch bereit, Möglichkeiten für eine administrative Erleichterung der Gesuchseinreichung durch die Arbeitnehmenden zu prüfen. Dazu sei jedoch keine Anpassung der gesetzlichen Grundlage nötig, wie dies die Motion fordere.
Im Nationalrat, der sich in der Herbstsession mit dem Vorstoss befasste, erwiderte Lohr, dass es mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen administrativen Erleichterung über das Formular der «Früherfassung» nicht getan sei, da sich der Bedarf an Hilfsmitteln am Arbeitsplatz selten zeitgleich mit dem Prozess der Früherfassung ergebe. Der Motionär betonte ferner, dass auch der Schweizerische Arbeitgeberverband sein Anliegen unterstütze. Daraufhin nahm der Nationalrat den Vorstoss mit 115 zu 66 Stimmen (2 Enthaltungen) an. Die ablehnenden Stimmen stammten aus den Fraktionen der FDP und der SVP.

Effizientere Eingliederung am Arbeitsplatz von Menschen mit Behinderungen (Mo. 21.4089)

Der Ständerat machte in der Herbstsession 2023 mit der Motion von Hans-Ueli Vogt (svp, ZH), die nach dem Ausscheiden des Zürchers aus dem Nationalrat von seinem Fraktionskollegen Thomas de Courten (svp, BL) übernommen worden war und die forderte, dass ältere Menschen bei Anstellungen durch den Staat nicht diskriminiert werden dürfen, kurzen Prozess. SPK-SR-Sprecher Hans Stöckli (sp, BE) begründete die einstimmige Empfehlung der Kommission für Ablehnung der Motion mit der gängigen Rechtslehre. Diese sehe in den vom Vorstoss bemängelten Altersschranken bei der Anstellung keinen Diskriminierungstatbestand im Sinne der Bundesverfassung. Anders als bei im Verlaufe des Lebens in der Regel stabilen Merkmalen wie «Geschlecht oder Rasse» handle es sich beim Alter gemäss Bundesgericht um einen «atypischen Diskriminierungstatbestand», weil die meisten Menschen der Gruppe älterer Menschen selbst einmal angehören würden. Die Begrenzung von Anstellungen aufgrund des Lebensalters sei deshalb verfassungskonform. Zwei weitere Argumente sprächen gegen die Motion, so Stöckli weiter. Erstens fordere der Vorstoss nicht nur die Aufhebung von Altersbeschränkungen auf nationaler Ebene, sondern auch auf kantonaler oder kommunaler Ebene, wobei nur ersteres in die Kompetenz des Bundes falle. Zweitens sehe die Bundespersonalverordnung bereits heute vor, dass Bundesangestellte bis zum 70. Altersjahr beschäftigt werden könnten, was zeige, dass faktisch gar kein Handlungsbedarf bestehe. Nachdem auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider die ablehnende Haltung des Bundesrates bekräftigte, versenkte der Ständerat die Motion diskussionslos.

«Keine Benachteiligung älterer Menschen bei Anstellungen durch den Staat» (Mo. 21.3655)

Im September 2023 wurde der Bericht zum Forschungsprojekt über die sexuellen Missbräuche innerhalb der schweizerischen katholischen Kirche seit 1950 unter grosser medialer und politischer Aufmerksamkeit veröffentlicht. Das Forschungsteam hatte darin in rund zwei Dutzend Archiven Akten von Missbrauchsfällen zusammengesucht, gelesen und einige Fälle analysiert. Ergänzend bezog es mediale Berichte zum Thema ein und führte Interviews mit Betroffenen, Expertinnen und Experten sowie mit Vertreterinnen und Vertretern der katholischen Kirche.

Die Studie identifizierte zwischen 1950 und 2023 insgesamt 1'002 Fälle von sexuellem Missbrauch mit 510 Täterinnen und Tätern und 921 Betroffenen. Während die Beschuldigten bis auf wenige Ausnahmen männlichen Geschlechts waren, waren 39 Prozent der Betroffenen weiblich. Mehrheitlich handelte es sich dabei um Minderjährige (74%), wobei die gesamte Altersspanne vertreten war. Doch bei mindestens 14 Prozent der Fälle handelte es sich auch um erwachsene Betroffene, was gemäss Bericht ein wichtiger Befund sei, da bisherige Untersuchungen nur Minderjährige in den Fokus genommen und somit eine grosse Gruppe an Betroffenen nicht berücksichtigt hätten. Die untersuchten Fälle fanden mehrheitlich vor der Jahrhundertwende statt (47% zwischen 1650 und 1969; 41% zwischen 1970 und 1999; 12% zwischen 2000 und 2022).

Zudem lieferte die Studie einen Überblick über die Archivsituation in der katholischen Kirche. So sei zwar der Zugang zu den Archiven grösstenteils gegeben gewesen, wie es die katholische Kirche im Vorfeld versprochen hatte, jedoch gab es in Bezug auf die Qualität der Archivierung teils grosse Unterschiede. Einzelne Archive hätten demnach grössere Schwächen in der Organisation sowie Lücken in der Dokumentation aufgewiesen. Eine Hürde stellte dabei eine Regel im kanonischen Recht der katholischen Kirche dar, wonach alle Akten zehn Jahre nach dem Vorfall oder bei Tod der beschuldigten Person vernichtet werden sollten. Obwohl die Mehrheit der Bistümer diese Regelung heute mehrheitlich nicht mehr umsetzten, fanden die Forschenden in einigen Archiven nach wie vor Hinweise auf eine solche Vernichtung von Akten. Zum «diplomatische[n] Schutz der Nuntiatur» erhielt das Forschungsteam zudem keinen Zugang in die Archive der Apostolischen Nuntiatur der Schweiz, der diplomatischen Vertretung des Vatikans. Da es Aufgabe des Nuntius ist, Brüche mit dem katholischen Recht, wie etwa sexueller Missbrauch, dem Papst zu melden, erachtete das Forschungsteam das entsprechende Archiv als wichtige Quelle für weitere Untersuchungen und befürchtete, dass die bisherigen Zahlen wohl nur «die Spitze des Eisberges» seien.

Weiter zeichnete der Bericht ein Bild über den Umgang der katholischen Kirche mit Fällen von sexuellem Missbrauch. So gebe es erst im 21. Jahrhundert schrittweise eine konsequentere Aufarbeitung und Verfolgung von sexuellem Missbrauch, während die Fälle zuvor meist «bagatellisiert» und oft «ausgesessen» worden seien. So seien Täterinnen und Täter etwa oft in andere Bistümer versetzt statt des Amtes enthoben worden, zudem habe es eine Schweigepflicht für Betroffene oder Mitwissende gegeben.

Der Bericht betonte zuletzt, dass die Ergebnisse mehrheitlich auch als Grundlage für zukünftige und weitergehende Untersuchungen dienen sollten. Entsprechend behandelte er auch Empfehlungen für weitergehende Untersuchungen und identifizierte Forschungslücken. Zentral sei etwa, dass die verschiedenen Strukturen der katholischen Kirche miteinbezogen würden und dass der Blick über die Bistümer hinausgehe. Untersucht werden müssten demnach unter anderem auch katholische Kinder- und Jugendverbände, wie etwa die Jungwacht-Blauring.

In der Folge kam es zu einer breit geführten medialen Debatte über den Bericht und dessen direkten Folgen, zudem wurden Forderungen an die katholische Kirche gestellt.

Ein prominent diskutiertes Thema waren dabei erstens die Strukturen der katholischen Kirche, welche Missbrauch potenziell fördern könnten. So kritisierten die Medien etwa das Pflichtzölibat, wonach geweihte Personen ihre Sexualität in keinerlei Form ausleben dürfen, als unrealistisch. Es verhindere, dass junge Männer einen gesunden Umgang mit der eigenen Sexualität erlernen könnten. Folglich würden sexuelle Präferenzstörungen wie Pädophilie wahrscheinlicher, zudem könnten Personen davon angezogen werden, die bereits ein gestörtes Sexualverhältnis haben. Unter anderem der Präsident der Schweizerischen Bischofskonferenz, Felix Gmür, forderte deshalb eine Abschaffung des Zölibats.
Zudem wurde die fehlende Gewaltenteilung innerhalb der katholischen Kirche kritisiert. So sind Bischöfe derzeit zugleich Legislative, Exekutive und Judikative, was einerseits Vertuschungen begünstige, andererseits Bischöfe in ein Dilemma zwischen Schutz ihrer Unterstellten und Pflicht zur Aufklärung der Taten stürzten. Folglich wurde eine bessere Machtteilung innerhalb der katholischen Kirche und eine Einschränkung der Macht der Bischöfe gefordert.

Zweitens hatte der Bericht auch direkte Auswirkungen für die katholische Kirche. So meldeten sich viele neue Betroffene von sexuellem Missbrauch bei den entsprechenden Meldestellen der katholischen Kirche. Viele Betroffene fänden nun den Mut, über den erfahrenen Missbrauch zu sprechen. Jedoch seien die Mehrheit der Betroffenen mittlerweile Seniorinnen und Senioren und die Fälle folglich verjährt. Bei den nicht verjährten Fällen hätten die Bistümer jedoch offiziell Strafanzeige erstattet. Zudem kam es nach der Veröffentlichung des Berichts zu zahlreichen Austritten aus der katholischen Kirche. Dies brachte starke finanzielle Einbussen für die katholische Kirche mit sich und stellte durch den Austritt vieler langjähriger, engagierter Freiwilliger auch das Funktionieren gewisser Gemeinden in Frage. Der durch diese Ereignisse mutmasslich verstärkte Austritt von vor allem aufgeschlossenen und liberalen Gläubigen bremse zusätzlich den Wertewandel innerhalb der katholischen Kirche, lautete der Tenor in den Medien. Nicht zuletzt sorgte der Auftrag des Papstes an den Churer Bischof Joseph Bonnemain, eine Voruntersuchung gegen sechs Bischöfe einzuleiten, für einige Diskussionen. Ein Berner Pfarrer hatte die Bischöfe gegenüber den Forschenden und dem Schweizer Nuntius beschuldigt, sexuellen Missbrauch begangen oder solchen vertuscht zu haben.

Nach der Veröffentlichung des Berichts kam es zudem zu einer Reihe von parlamentarischen Vorstössen, welche forderten, dass der Bund die Vorfälle selbst untersucht (Mo. 23.4302); dass die Beziehung zwischen Kirche und Staat klarer und transparenter geregelt wird (Po. 23.4294); dass die Kirche verpflichtet wird, einheitliche Schutzmassnahmen gegen sexuellen Missbrauch zu ergreifen (Mo. 23.4191; 23.4192; 23.4193; 21.4194; 21.4195; 23.4196); und dass die katholische Kirche als Konzern für Missbrauchsfälle haftbar gemacht werden kann (Pa.Iv. 23.460).

Die Bischofskonferenz versprach derweil gegenüber der Öffentlichkeit, dass ein Wertewandel innerhalb der katholischen Kirche angestrebt werde. Insbesondere der Churer Bischof Joseph Bonnemain betonte, dass es an der Zeit sei, dass die Kirche ihre Schuld eingestehe und entsprechende Massnahmen umsetze. Zudem soll gemäss Felix Gmür, dem Bischof des Bistums St.Gallen, ein unabhängiger kirchlicher Gerichtshof eingesetzt werden, der weiterhin unabhängig vom weltlichen Recht agiert und sich um strafrechtliche oder disziplinarische Verfahren innerhalb der Kirche kümmert. Dies müsse jedoch zuerst mit dem Vatikan abgesprochen werden, da dafür bisher keine kirchenrechtliche Grundlage bestehe. Die Medien bezweifelten jedoch die Umsetzung der Versprechen der Bischofskonferenz – bereits früher seien auf Versprechen keine Änderungen erfolgt. Erste Schritte unternahm hingegen das Bistum St. Gallen, das unter anderem die Forscherinnen der Universität Zürich mit einer zweiten Studie beauftragte und die Regelung, Akten nach 10 Jahren zu vernichten, aufhob – dies ohne grünes Licht aus Rom.

Archivöffnung der katholischen Kirche zur Untersuchung sexuellen Missbrauchs

Rückblick auf die 51. Legislatur: Bildung und Forschung

Autorinnen und Autoren: Bernadette Flückiger, Marco Ackermann und Marlène Gerber

Stand: 17.08.2023

Die Finanzierung sämtlicher Bereiche in Bildung, Forschung und Innovation wird alle vier Jahre in der sogenannten BFI-Botschaft geregelt – so auch in der 51. Legislatur. Für die Jahre 2021 bis 2024 sprach das Parlament insgesamt Mittel im Umfang von CHF 28.1 Mrd., zuvor hatte es die 14 Bundesbeschlüsse teilweise während drei Sessionen beraten. Damit entpuppte sich die Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation in den Jahren 2021-2024 auch zum am längsten debattierten Geschäft der Legislatur im vorliegenden Themenbereich.

Im Bereich der frühkindlichen Förderung bot ein vom Bundesrat verfasster Bericht zur Politik der frühen Kindheit unter anderem den Anstoss zur Einreichung einer Kommissionsinitiative, die eine dauerhafte Beteiligung des Bundes an den elterlichen Kosten der ausserfamiliären Kinderbetreuung fordert.

Während der 51. Legislatur wurden in den Medien verschiedene Diskussionen zur obligatorischen Schule intensiv geführt. So gab während des Lockdowns in der Corona-Pandemie etwa das für eine Zeit nötig gewordene Homeschooling oder die später eingeführte Maskentragepflicht zu reden. Doch auch nach Ende der Pandemie standen die Schulen vor grossen Herausforderungen: Nach Beginn des Ukraine-Kriegs stellte sich die Frage zur Integration geflüchteter ukrainischer Kinder in das Schweizer Schulsystem. Ab dem Jahr 2022 intensivierten sich die Diskussionen um den Mangel an Lehrpersonen, was auch in politische Vorstösse – etwa bezüglich des Zugangs zum Beruf oder zur Ausbildung – mündete.

Neben Diskussionen um die obligatorische Schule wurden in den Medien auch Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Berufsbildung diskutiert. Mit dem sogenannten EHB-Gesetz schuf der Bundesrat in der 51. Legislatur eine eigene gesetzliche Grundlage für die Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung. Aufgrund des Widerstands des Ständerates nicht zustande kam hingegen die Titeläquivalenz für die höhere Berufsbildung.

In den Bereichen Forschung und Hochschulen beschäftigte die Revision des ETH-Gesetzes die Räte, mit der unter anderem Empfehlungen der Eidgenössischen Finanzkontrolle zu generellen Aufsichtskompetenzen des ETH-Rates umgesetzt wurden. Das Geschäft konnte schliesslich nach der Einigungskonferenz verabschiedet werden. Ebenfalls ausführlich debattiert worden war die Finanzierungsbotschaft für die Beteiligung am Horizon Paket 2021-2027 der EU – allerdings noch bevor es zum Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU kam. Nach besagtem Verhandlungsabbruch und der Schweizer Zurückhaltung in Sachen Kohäsionsmilliarde war es der Schweiz lediglich möglich, als nicht-assoziierter Drittstaat an «Horizon Europe» teilzunehmen, worauf Bundesrat und Parlament verschiedene Übergangsmassnahmen verabschiedeten. In Erfüllung zweier Standesinitiativen gab der Bundesrat Ende 2022 ferner einen Entwurf zur Schaffung eines Horizon-Fonds – ein befristeter Fonds für die finanzielle Unterstützung der internationalen Forschungszusammenarbeit für die Zeit der Nicht-Assoziierung an «Horizon Europe» – in die Vernehmlassung. Auch bleibt der Schweiz nach wie vor die Assoziierung an Erasmus+ versagt.

Zu den Jahresrückblicken:
2020
2021
2022

Rückblick auf die 51. Legislatur: Bildung und Forschung
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Rückblick auf die 51. Legislatur: Wirtschaftspolitik

Autorinnen und Autoren: Marco Ackermann, Guillaume Zumofen und Anja Heidelberger

Stand: 17.08.2023

Die Schweizer Wirtschaft wurde in der 51. Legislatur von verschiedenen Krisen durchgeschüttelt. Während man sich zu Beginn der Legislatur noch vor der schwächelnden Weltwirtschaft fürchtete, stand kurz darauf die Covid-19-Pandemie und die daraus folgenden Probleme für die Wirtschaft, insbesondere für Veranstaltungsbetriebe, das Gastgewerbe und den Tourismus, im Zentrum. Mit einer Ausweitung der Kurzarbeitsentschädigungen für Angestellte und neu auch für Selbständigerwerbende, mit Überbrückungskrediten in der Höhe von CHF 40 Mrd., bei denen der Bund die Solidarhaftung übernahm, mit Massnahmen zur Vermeidung oder Aussetzung von Betreibungen und Konkursen, mit Härtefallhilfen sowie mit einmaligen Hilfezahlungen für bestimmte, besonders betroffene Sektoren versuchte der Bund die Auswirkungen der Pandemie auf die Schweizer Wirtschaft möglichst gering zu halten. Dennoch litt die Wirtschaft stark unter der Pandemie, im Jahr 2020 sank das BIP um 2.4 Prozent – zwischenzeitlich war es gar um 8.2 Prozent geradezu abgestürzt. Zwar erholte sich die Wirtschaft insgesamt in der Folge relativ rasch – 2021 lag das BIP-Wachstum bereits wieder bei 4.2 Prozent –, einzelne Bereiche blieben aber weiterhin stark von der Pandemie betroffen und mussten vom Bund weiterhin mit Härtefallhilfen unterstützt werden. Die letzten Einschränkungen für die Unternehmen fielen erst Anfang April 2022, als der Bundesrat zur normalen Lage gemäss Epidemiengesetz zurückkehrte (siehe auch Legislaturrückblick zur Gesundheitspolitik).

Die Covid-19-Krise wurde aus wirtschaftlicher Sicht aber sogleich von einer «Krise der Lebenskosten» abgelöst: Nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs stiegen die Energiepreise und in der Folge auch die übrigen Preise vergleichsweise stark an, im August 2022 lag die Inflation gegenüber dem Vorjahresmonat bei 3.5 Prozent, dem höchsten Wert seit 1993 – aber noch immer deutlich niedriger als in den meisten anderen Ländern Europas. Sowohl die Covid-19-Pandemie als auch der Ukraine-Krieg zeigten verschiedene wirtschaftliche Versorgungsprobleme auf und verdeutlichten die wirtschaftliche Abhängigkeit der Schweiz vom Ausland, was folglich immer häufiger Thema im Parlament wurde.

Über die Krisen hinaus stand insbesondere die Revision des OR bezüglich des Aktienrechts im Zentrum der parlamentarischen Diskussionen – über kein Geschäft wurde in diesem Themenbereich ausgiebiger gesprochen. Dieses bestand aus vier Teilen: aus Regelungen zur Stärkung der Aktionärsrechte in Umsetzung der Abzockerinitiative, aus einer wenig verbindlichen Frauenquote in den Unternehmensführungen, aus Vereinfachungen und Erleichterungen für Aktiengesellschaften sowie aus einer Stärkung der Transparenz im Rohstoffsektor. Letzteres wurde in einem eigenen Entwurf als indirekter Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative behandelt. Wie die Initiative beinhaltete auch der Gegenvorschlag neue Pflichten zur Berichterstattung und Sorgfaltsprüfung, beim Gegenvorschlag sollten diese jedoch international abgestimmt werden und keine Haftungsregeln z.B. für Tochtergesellschaften beinhalten. Nachdem die Konzernverantwortungsinitiative im November 2020 am Ständemehr gescheitert war, trat der Gegenvorschlag im Januar 2022 in Kraft.

Am selben Tag wurde auch die Initiative «Für ein Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten» abgelehnt. In ihrer Initiative hatten die Urheberinnen und Urheber ein Finanzierungsverbot für sämtliche Waffen vorgesehen, bislang besteht lediglich ein solches für Atomwaffen. Banken, Pensionskassen oder auch die AHV hätten demnach nicht mehr in Fonds von Unternehmen investieren dürfen, die mehr als 5 Prozent ihres Jahresumsatzes mit Waffen erzielen.

Ausgiebig diskutiert wurde im Parlament schliesslich auch ein weiterer Gegenvorschlag, nämlich derjenige zur Fair-Preis-Initiative. Durch kartellrechtliche Vorschriften, etwa durch Einschränkungen für relativ marktmächtige Unternehmen oder durch ein Diskriminierungsverbot im Online-Handel, sollte die Beschaffungsfreiheit von Schweizer Unternehmen im In- und Ausland gestärkt werden. In seinem Gegenvorschlag schlug der Bundesrat eine Stärkung der Parallelimporte vor. Nachdem das Parlament den bundesrätlichen Vorschlag im Sinne des Initiativkomitees noch verschärft und so verändert angenommen hatte, zogen die Initiantinnen und Initianten ihr Anliegen zurück.

Bei Abschluss der 51. Legislatur erst am Anfang seiner Behandlung, aber bereits äusserst umstritten, war die Totalrevision des Zollgesetzes, mit der die Eidgenössische Zollverwaltung weiterentwickelt und digitaler werden soll. Gegen den Willen seiner Kommission trat der Nationalrat auf die 57 Gesetze umfassende Revision ein.

Zudem startete das Parlament in Umsetzung zweier Motionen in die Beratung eines neuen Unternehmensentlastungsgesetzes, mit dem vermeidbare Bürokratie abgebaut werden soll, etwa durch die Prüfung des Entlastungspotenzials neuer Regulierungen oder durch die Stärkung der elektronischen Plattform «EasyGov». Darüber hinaus wurde in einem eigenen Entwurf eine sogenannte Regulierungsbremse vorgeschlagen, die ein qualifiziertes Mehr für Erlasse mit starker Belastung für die Unternehmen vorsah. Während der Ständerat im Juni 2023 die Unternehmensentlastung guthiess, trat er nicht auf die Regulierungsbremse ein.


Zu den Jahresrückblicken:
2020
2021
2022

Rückblick auf die 51. Legislatur: Wirtschaftspolitik
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Rétrospective de la 51e législature : La gestion du système politique face aux (grandes) crises

Auteures: Anja Heidelberger et Marlène Gerber

Traduction: Lloyd Fletcher et Karel Ziehli

Etat au 17.08.2023

Les événements, histoires et débats politiques qui ont eu lieu en très grand nombre au cours de la 51e législature peuvent être retracés de manière détaillée dans nos rapports de législature, classés par thèmes politiques. Toutefois, on se souviendra sans doute surtout des différentes crises qui ont secoué la Suisse au cours de cette législature. En effet, pratiquement aucun domaine politique n'a échappé à au moins une grande crise au cours des quatre dernières années. Par conséquent, nous mettons l'accent, dans cette rétrospective transversale de la 51e législature, sur ces crises et leurs nombreuses répercussions sur la politique et la société.

La pandémie de Covid-19
La pandémie de Covid-19 a eu des répercussions sur presque tous les domaines politiques. En effet, outre le système de santé fortement touché et mis à contribution, les mesures de lutte contre la pandémie ont posé de gros problèmes à différentes branches et catégories de personnes – en particulier aux entreprises et aux indépendants, que le Conseil fédéral a aidés en étendant les allocations pour perte de gain et le chômage partiel et en créant des crédits-relais et des aides pour les cas de rigueur. Les médias, les acteurs culturels, les ligues et associations sportives ainsi que les transports publics et le transport aérien ont également bénéficié de soutiens financiers, tandis que des mesures d’un autre type ont été réclamées dans le domaine des écoles ainsi que pour les loyers commerciaux. Les mesures exhaustives prises pour lutter contre la pandémie ont entraîné un déficit budgétaire considérable, amenant le Parlement à prolonger le délai du remboursement de la dette afin d’éviter des coupes budgétaires draconiennes. La pandémie a également été une charge pour la population, avec des baisses de salaires (lors du chômage partiel), la garde d'enfants en télétravail ou encore l'anxiété. En outre, la pandémie a également posé un problème à la société dans son ensemble, en entraînant (ou en renforçant) une perte de confiance d'une partie de la population dans le gouvernement. Une partie de la population suisse s’est montrée sceptique quant à la vaccination contre le Covid-19, ce qui a suscité des débats émotionnels autour de l'introduction dudit certificat Covid-19. En revanche, tant l'armée, la protection civile et le service civil – en effectuant de nombreuses heures dans des interventions, notamment dans le domaine de la santé – que le monde de la recherche qui a développé des vaccins et des médicaments contre le Covid-19 ont pu démontrer leur utilité dans le cadre de la pandémie. Enfin, la pandémie a également stimulé le télétravail et, plus généralement, la flexibilisation et la numérisation du monde du travail. Au cours de la 51e législature, le peuple et les cantons ont également accepté l'initiative sur les soins, qui contenait des mesures visant à garantir les soins infirmiers de base, dont l'importance a été soulignée pendant la pandémie.

La pandémie a également eu des répercussions sensibles sur le système institutionnel. Au début, le gouvernement a clairement pris les choses en main, prenant toutes les décisions importantes après la proclamation de la situation extraordinaire au sens de la loi sur les épidémies grâce à des décrets d'urgence fondés sur la Constitution et à la loi sur les épidémies, tandis que le Parlement a interrompu prématurément sa session de printemps en raison du début de la pandémie. Le Parlement a obtenu davantage de marge de manœuvre lorsque les ordonnances d'urgence ont dû être remplacées par une loi au bout de six mois, conformément à la Constitution – l'examen de la loi Covid 19 et de ses cinq révisions à ce jour ont donné lieu à des débats animés au Parlement et parfois à des modifications centrales des projets du Conseil fédéral. Les droits populaires ont également connu un coup d'arrêt temporaire, bien que le corps électoral a pu ensuite s'exprimer à trois reprises sur les révisions de la loi Covid 19, qu'il a à chaque fois approuvées. Non seulement les relations entre l'exécutif et le législatif, mais aussi la position des cantons dans la pandémie ont fait l'objet de discussions récurrentes. Ainsi, la déclaration de la situation extraordinaire avait clairement fait basculer le rapport de force en faveur de la Confédération. Certaines phases durant lesquelles les cantons ont temporairement pris le contrôle ont abouti à des patchworks de réglementations entre cantons et à des appels fréquents pour que la Confédération prennent à nouveau les décisions. L'année 2022 a finalement été marquée par les premières tentatives de résoudre politiquement la crise de la Covid-19, avec des propositions discutées pour rendre la Confédération et le Parlement plus résistants aux crises.

La guerre en Ukraine et les problèmes d'approvisionnement en énergie
Immédiatement après la pandémie, la guerre d'agression contre l'Ukraine a attiré l'attention sur des thèmes qui étaient auparavant moins mis en lumière. Ainsi, la guerre a déclenché en Suisse des discussions animées sur l'orientation de la politique étrangère et de la neutralité, après que la Confédération a repris les sanctions décidées par l'UE contre la Russie et que la question de la livraison d’armes à l’Ukraine s’est posée. Cette crise a conduit à l'accueil de réfugié.e.s ukrainien.ne.s en Suisse et à la première utilisation du statut de protection S, ainsi qu'à l'augmentation du budget militaire jusqu'en 2030 et à des discussions sur la sécurité de l'approvisionnement dans le secteur agricole. De plus, la Banque nationale suisse (BNS) a enregistré une perte de 150 milliards de CHF en 2022, qu'elle a notamment attribué aux conséquences de la guerre en Ukraine sur l'économie mondiale.

Conséquence directe de la guerre en Ukraine, les problèmes d'approvisionnement en énergie se sont intensifiés, entraînant une hausse des prix de l'énergie, ce qui s'est répercuté sur les autres prix. En réaction à une possible pénurie d'énergie, le Conseil fédéral a principalement misé sur les énergies renouvelables, tout en faisant construire des centrales de réserve à gaz en cas d'urgence. Des débats sur les avantages de l'énergie nucléaire ont également refait surface dans le monde politique. Enfin, on suppose que la crise énergétique a contribué à la majorité en faveur du contre-projet indirect à l'initiative des glaciers, bien que des projets d'expansion de l'approvisionnement en électricité en hiver aient été privilégiés au Parlement par rapport aux préoccupations environnementales.

Dans l'ensemble, les différentes crises survenues au cours de la 51e législature ont mis en évidence une vulnérabilité d’une ampleur inattendue en matière de sécurité de l'approvisionnement dans de nombreux domaines, en particulier dans le domaine médical, comme les unités de soins intensifs et les médicaments, ainsi que dans le domaine économique, notamment en matière d'énergie et d'agriculture.

Ce qui a également été important
Bien entendu, la 51e législature a également été marquée par des événements, des choix et des décisions politiques importants, indépendamment des crises.

La rupture des négociations sur l'accord-cadre institutionnel en avril 2021 a particulièrement marqué les relations entre la Suisse et l'UE. Le refus de l'accord-cadre a conduit tant à un blocage de la participation suisse au programme de recherche européen « Horizon Europe »; une situation que même le déblocage du deuxième milliard de cohésion ne changera pas. Après plusieurs autres entretiens exploratoires entre la Suisse et l'UE, le Conseil fédéral a adopté en 2023 des lignes directrices pour un nouveau mandat de négociation avec l'UE.

L'effondrement de Credit Suisse en mars 2023 et son rachat par UBS ont également suscité une attention particulière. C’est pour enquêter sur ces événements que le Parlement a décidé d’instituer la cinquième commission d'enquête parlementaire de l'histoire suisse.

Les femmes ont écrit l'histoire en augmentant de manière significative leur représentation dans les deux chambres lors des élections fédérales de 2019. Près de cinquante ans après l'introduction du droit de vote des femmes – la 51e législature a également été l'occasion de célébrer le 50e anniversaire –, la proportion de femmes au Conseil national a dépassé pour la première fois les 40 pour cent, tandis que celle au Conseil des États s'élevait à 26 % après les élections.

Bien que le Parlement soit devenu plus vert avec les dernières élections fédérales, les questions climatiques ont surtout été au centre de l'attention en 2021, lorsque le corps électoral a rejeté de justesse la révision totale de la loi sur le CO2. En revanche, la loi sur le climat et l'innovation, qui constituait un contre-projet indirect à l'initiative des glaciers, été approuvée en votation populaire en 2023.

De manière générale, le taux d'acceptation des projets soumis au référendum facultatif au cours de la 51e législature a été relativement faible par rapport aux législatures précédentes, avec 7 échecs sur un total de 21 référendums. De plus, la participation électorale a été élevée de 5 points de pourcentage en plus par rapport à la moyenne depuis 1990, ce qui pourrait être lié au climat politique enflammé pendant la pandémie de Covid-19. Le taux d'acceptation des initiatives lors de la 51e législature a été relativement élevé (3 initiatives sur 13), tandis que le nombre d'initiatives populaires soumises au vote a été moins élevé que lors des législatures précédentes. En revanche, le Conseil fédéral et le Parlement ont élaboré de nombreux contre-projets directs ou indirects aux initiatives populaires au cours de cette législature.


Vous trouverez des informations sur les votations populaires ainsi que des explications sur les objets parlementaires et des descriptions des événements centraux de la 51e législature dans les différentes rétrospectives thématiques de la législature ainsi que dans les rétrospectives annuelles qui y sont liées.

Liens vers les rapports de législature, classés par thèmes politiques:
Problèmes politiques fondamentaux
Ordre juridique
Institutions et droits populaires
Structures fédéralistes
Elections
Politique étrangère
Armée
Politique économique
Crédit et monnaie
Agriculture
Finances publiques
Energie
Transports et communications
Aménagement du territoire et logement
Protection de l'environnement
Population et travail
Santé
Assurances sociales
Groupes sociaux
Enseignement et recherche
Culture, langues, églises
Médias

Rückblick auf die 51. Legislatur: Vom Umgang des politischen Systems mit (grossen) Krisen
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Mit 14 zu 9 Stimmen beschloss die WBK-NR im August 2023, einer parlamentarischen Initiative aus der Feder von Natalie Imboden (gp, BE) keine Folge zu geben. Die Initiantin verlangt, dass Arbeitnehmende von ihren (zukünftigen) Arbeitgebenden Auskünfte über das individuelle und kollektive Lohngefüge des Betriebs, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und Funktion, erhalten können. Zusätzlich soll es auch Arbeitnehmendenvertretungen ermöglicht werden, kollektive Daten eines Betriebs in aggregierter Form zu beziehen. Die 9-stimmige Kommissionsminderheit plädierte auf Folgegeben, da sie sich von dieser Massnahme zur Förderung von Lohntransparenz eine Verbesserung der Geschlechtergleichstellung in der Arbeitswelt versprach. Die Kommissionsmehrheit, die 14 Stimmen auf sich vereinte, wollte hingegen die Lohnvertraulichkeit schützen und vorerst die in Zusammenhang mit der Revision des Gleichstellungsgesetzes für 2025 in Aussicht gestellte Zwischenbilanz abwarten. Ebenso verwies sie auf eine im Ständerat hängige Motion zur Einführung von Sanktionen im Falle der Nichteinhaltung der Lohngleichheit. Auch das Schicksal dieses Vorstosses gelte es abzuwarten.

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Lohntransparenz fördern, Verhandlungsposition stärken (Pa.Iv. 22.493)
Dossier: Lohngleichheitsanalysen und Diskussionen über die Einführung von Sanktionen

Rückblick auf die 51. Legislatur: Vom Umgang des politischen Systems mit (grossen) Krisen

Autorinnen: Anja Heidelberger und Marlène Gerber

Stand: 17.08.2023

Die unzähligen Geschichten, Ereignisse und politischen Diskussionen, die sich während der 51. Legislatur ereigneten, lassen sich ausführlich in unseren thematischen Legislaturrückblicken nachlesen. In Erinnerung bleiben werden aber wohl in erster Linie die verschiedenen Krisen, welche die Schweiz in dieser Legislatur beschäftigt haben. So war denn auch kaum ein Themenbereich nicht von mindestens einer grossen Krise betroffen. Folglich stellen wir die Krisen und deren zahlreiche Auswirkungen für Politik und Gesellschaft in den Fokus dieses themenübergreifenden Rückblicks auf die 51. Legislatur.

Die Covid-19-Pandemie
Insbesondere die Covid-19-Pandemie hatte Auswirkungen auf fast alle Politikfelder, denn neben dem stark betroffenen und belasteten Gesundheitssystem stellten die Massnahmen im Kampf gegen die Pandemie verschiedene Branchen und Personengruppen vor grosse Probleme – insbesondere auch die Unternehmen und Selbständigerwerbenden, denen der Bundesrat etwa durch Ausdehnung des Erwerbsersatzes und der Kurzarbeit sowie mit der Schaffung von Corona-Krediten und Härtefallhilfen entgegen kam. Finanziell unterstützt wurden insbesondere auch die Medien, die Kulturunternehmen und Kulturschaffenden, die Sportligen und -vereine sowie der öffentliche Verkehr und der Luftverkehr, während etwa im Bereich der Schulen, aber auch bei den Geschäftsmieten alternative Regelungen gefragt waren. Die umfassenden Massnahmen gegen die Pandemie führten in der Folge zu einem grossen Loch im Bundeshaushalt, dessen Abbaufrist das Parlament verlängerte, um einschneidende Sparrunden zu verhindern. Eine Belastung war die Pandemie auch für die Bevölkerung, welche etwa durch tiefere (Kurzarbeits-)Löhne, Kinderbetreuung im Home-Office oder Angstgefühle. Zudem stellte die Pandemie auch ein Problem für die Gesellschaft als Ganzes dar, indem sie bei Teilen der Bevölkerung zu einem Vertrauensverlust in die Institutionen führte (oder diesen verstärkte). Teile der Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz standen denn auch der Covid-19-Impfung skeptisch gegenüber, was zu besonders emotionalen Diskussionen rund um die Einführung des sogenannten Covid-19-Zertifikats führte. Hingegen konnten Armee, Zivilschutz und Zivildienst in zahlreichen Einsatzstunden v.a. im Gesundheitsbereich, aber etwa auch die Forschung bei der Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gegen Covid-19 ihren Nutzen im Rahmen der Pandemie unter Beweis stellen. Schub bedeutete die Pandemie schliesslich für die Förderung von Homeoffice und allgemein für die Flexibilisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt. In der 51. Legislatur nahmen Volk und Stände auch die Pflegeinitiative an, welche Massnahmen enthielt, um die pflegerische Grundversorgung zu sichern, deren Wichtigkeit im Zuge der Pandemie noch verdeutlicht worden war.

Spürbare Auswirkungen hatte die Pandemie auch auf das Institutionengefüge. Zu Beginn nahm eindeutig die Regierung das Zepter in die Hand, welche nach Ausrufen der ausserordentlichen Lage gemäss Epidemiengesetz mithilfe von auf der Verfassung beruhenden Notverordnungen und dem Epidemiengesetz alle wichtigen Entscheidungen traf, während das Parlament wegen des Ausbruchs der Pandemie die eigene Frühjahrssession vorzeitig abbrach. Mehr Spielraum erhielt das Parlament, als die Notverordnungen nach sechs Monaten verfassungsmässig durch ein Gesetz ersetzt werden mussten – die Beratung des Covid-19-Gesetzes und seine bisher fünfmalige Revision führten zu angeregten Debatten im Parlament und teilweise zu zentralen Änderungen an den bundesrätlichen Entwürfen. Zwischenzeitlich zum Stillstand kamen auch die Volksrechte, zu den Revisionen der Covid-19-Gesetze konnte sich die Stimmbevölkerung jedoch dann insgesamt dreimal äussern, wobei sie diese jeweils guthiess. Doch nicht nur das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative, sondern auch die Stellung der Kantone in der Pandemie sorgte immer wieder für Diskussionen. So hatte die Ausrufung der ausserordentlichen Lage die Kräfteverhältnisse eindeutig zugunsten des Bundes verschoben. Einzelne Phasen, in denen die Entscheidungsgewalt temporär bei den Kantonen lag, endeten zudem jeweils in sogenannten Flickenteppichen an Regelungen zwischen den Kantonen und nicht selten auch in dem Ruf nach erneuten Entscheidungen durch den Bund. Das Jahr 2022 stand schliesslich im Zeichen erster politischer Aufarbeitung der Covid-19-Krise, wobei insbesondere Vorstösse diskutiert wurden, mit denen Bund und Parlament krisenresistenter gemacht werden sollten.

Krieg in der Ukraine und Energiekrise
Gleich im Anschluss an die Pandemie erhielten mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine zuvor etwas weniger beleuchtete Themenbereiche aussergewöhnlich hohe Aufmerksamkeit. So löste der Krieg in der Schweiz hitzige Diskussionen zur Ausrichtung der Aussen- und Neutralitätspolitik aus, nachdem der Bund die von der EU beschlossenen Sanktionen gegen Russland und in der Folge auch alle Ausweitungen übernommen hatte und überdies über Waffenlieferungen an die Ukraine diskutiert wurde. Der Krieg führte in der Schweiz unter anderem zur Aufnahme von Flüchtenden aus der Ukraine und zur ersten Ausrufung des Schutzstatus S, aber auch zur Aufstockung des Militärbudget bis 2030 sowie zu Diskussionen über die Versorgungssicherheit im Landwirtschaftsbereich. Darüber hinaus verzeichnete die SNB im Jahr 2022 einen Verlust von CHF 150 Mrd., den sie unter anderem auf die weltwirtschaftlichen Folgen des Ukrainekriegs zurückführte.

Als direkte Folge des Ukraine-Krieges verstärkte sich zudem die Versorgungsproblematik im Energiebereich, woraufhin die Energiepreise anstiegen, was sich auch auf die übrigen Preise auswirkte. Als Reaktion auf die mögliche Energieknappheit wollte der Bundesrat in erster Linie auf erneuerbare Energien setzen, für den Notfall liess er jedoch Reservegaskraftwerke bauen. Auch flammten in der Politik gleichzeitig Diskussionen um die Vorteile von Atomkraft auf. Schliesslich wird vermutet, dass die Energiekrise dem indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative zu einer Mehrheit verhalf, gleichzeitig wurde aber Ausbauprojekten zur Stromversorgung im Winter im Parlament Vorrang gegenüber Umweltbedenken gegeben.

Insgesamt zeigten die verschiedenen Krisen während der 51. Legislatur eine ungeahnt grosse Vulnerabilität bezüglich der Versorgungssicherheit in zahlreichen Bereichen auf, insbesondere im medizinischen Bereich, etwa bei den Intensivstationen und den Medikamenten, aber auch im wirtschaftlichen Bereich, hier insbesondere bei der Energie und in der Landwirtschaft.

Was sonst noch wichtig war
Natürlich brachte die 51. Legislatur auch unabhängig von den Krisen wichtige Ereignisse, Weichenstellungen und politische Entscheide mit sich.

Der im April 2021 erfolgte Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen prägte die Beziehungen der Schweiz mit der EU in besonderem Masse. So führte der Verhandlungsabbruch etwa auch zu einer Blockierung der Teilnahme am EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe», woran auch die Freigabe der zweiten Kohäsionsmilliarde nichts änderte. Nach verschiedenen weiteren Sondierungsgesprächen zwischen der Schweiz und der EU verabschiedete der Bundesrat 2023 Eckwerte für ein neues Verhandlungsmandat mit der EU.

Für besonderes Aufsehen sorgte auch der im März 2023 bekannt gewordene Untergang der Credit Suisse respektive deren Übernahme durch die UBS. Zur Aufarbeitung dieser Geschehnisse wurde die fünfte parlamentarische Untersuchungskommission der Schweizer Geschichte initiiert.

Geschichte schrieben auch die Frauen, die bei den eidgenössischen Wahlen 2019 ihre Vertretung in den beiden Räten signifikant hatten steigern können. Fast fünfzig Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts – in der 51. Legislatur fanden auch die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum statt – betrug der Frauenanteil im Nationalrat erstmals über 40 Prozent, derjenige im Ständerat belief sich nach den Wahlen auf 26 Prozent.

Generell war die Annahmequote von durch das fakultative Referendum initiierten Abstimmungsvorlagen in der 51. Legislatur im Vergleich zu vorherigen Legislaturen eher niedrig, so scheiterten 7 von insgesamt 21 solcher Referendumsvorlagen. Zudem lag die Abstimmungsbeteiligung im langjährigen Schnitt (seit 1990) um 5 Prozentpunkte höher, was mit der während der Covid-19-Pandemie aufgeheizten politischen Stimmung in Zusammenhang stehen könnte. Die Annahmequote von Initiativen in der 51. Legislatur war vergleichsweise hoch (3 von 13 Initiativen), während gleichzeitig eher über weniger Volksbegehren abgestimmt wurde als in früheren Legislaturen. Dafür erarbeiteten Bundesrat und Parlament in dieser Legislatur auch zahlreiche direkte Gegenentwürfe oder indirekte Gegenvorschläge zu Volksinitiativen.


Informationen zu den Abstimmungsvorlagen sowie Ausführungen zu den in den jeweiligen Themenbereichen zentralen Geschäften und Ereignissen der 51. Legislatur finden Sie in den einzelnen thematischen Legislaturrückblicken sowie in den dort verlinkten Jahresrückblicken.

Zu den thematischen Legislaturrückblicken:
Politische Grundfragen
Rechtsordnung
Institutionen und Volksrechte
Föderativer Aufbau
Wahlen
Aussenpolitik
Landesverteidigung
Wirtschaftspolitik
Geld, Währung, Kredit
Landwirtschaft
Öffentliche Finanzen
Energie
Verkehr und Kommunikation
Raumplanung und Wohnungswesen
Umweltschutz
Bevölkerung und Arbeit
Gesundheit
Sozialversicherungen
Soziale Gruppen
Bildung und Forschung
Kultur, Sprache, Kirche
Medien

Rückblick auf die 51. Legislatur: Vom Umgang des politischen Systems mit (grossen) Krisen
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

In Erfüllung eines Postulats Arslan (basta, BS) zur Förderung des beruflichen Wiedereinstiegs von Frauen gab der Bundesrat eine Studie in Auftrag, die zentrale Einflussfaktoren auf die Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern eruierte und darauf aufbauend Empfehlungen zur Erleichterung des Wiedereinstiegs und des Verbleibs von Frauen im Arbeitsmarkt formulierte.

Die vom Beratungsbüro Ecoplan durchgeführte Studie, zu der 1'000 Frauen mit Kindern unter 12 Jahren befragt wurden, förderte zu Tage, dass sich vier von fünf interviewten und aktuell nicht erwerbstätigen Frauen eine Erwerbstätigkeit wünschten, wenn «alle für [s]ie persönlich wichtigen Voraussetzungen» zuträfen. Insgesamt am häufigsten gaben die befragten Frauen an, dass sie ihr Erwerbspensum erhöhen oder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen würden, wenn eine finanzielle Notwendigkeit dazu bestünde (38% der erwerbstätigen und 45% der nicht erwerbstätigen Frauen). Auch weitere Faktoren entpuppten sich als entscheidungsrelevant für viele Frauen, wobei sich die Einschätzungen bei Frauen mit und ohne Erwerbstätigkeit teilweise stark unterschieden: So gab beinahe jede zweite Frau ohne Erwerbstätigkeit an, dass sie bei familienfreundlichen Arbeitsbedingungen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen würde (47%), während nur knapp eine von drei erwerbstätigen Frauen ihr Pensum unter diesen Gegebenheiten erhöhen würde (31%). Auch die zusätzlich von Ecoplan durchgeführte Befragung von Arbeitgebenden unterstrich neben dem generellen Trend hin zu mehr Teilzeitarbeit die Bedeutung von flexiblen Arbeitszeiten und -orten für die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen. Zwei von fünf nicht erwerbstätigen Frauen (40%) würden zudem eine Arbeitsstelle annehmen, wenn sie Aussicht auf eine Stelle mit passenden Anforderungen hätten, wogegen nur für eine von fünf Frauen im Arbeitsmarkt eine passendere Stelle ein Grund für eine Erhöhung des Pensums darstellte (22%). Die Kosten für die familienexterne Kinderbetreuung (31% der Erwerbstätigen; 27% der nicht Erwerbstätigen) sowie der Wegfall steuerlicher Nachteile (je 28%) schienen für beide Gruppen von Frauen ähnlich entscheidend zu sein.

Als zentrale, die Erwerbstätigkeit beeinflussende Faktoren für die befragten Frauen identifizierten die Autorinnen und Autoren der Studie die Kosten für die familienexterne Kinderbetreuung, die Familienfreundlichkeit der Arbeitsbedingungen, steuerliche Erwerbsanreize sowie Sensibilisierungs-, Beratungs- und Bildungsangebote, um über die finanziellen Konsequenzen tiefer oder fehlender Erwerbstätigkeit aufzuklären. Auch ein in Erfüllung des Postulats vom SECO organisierter Runder Tisch zwischen Kantonen, Sozialpartnern, Akteuren im Bereich Gleichstellung und den betroffenen Bundesämtern bestätigte die Relevanz der mit diesen Erklärungsfaktoren verbundenen Handlungsfelder. Gleichzeitig verwiesen sie auf die zahlreichen bestehenden Massnahmen und nannten eine Fülle von Vorzeigeprojekten, die auf verschiedenen Staatsebenen und durch private oder öffentliche Akteure organisiert würden. Die am Runden Tisch involvierten Akteure hoben darüber hinaus die Wichtigkeit von Massnahmen hervor, die speziell auf die Arbeitsmarktintegration von Frauen mit Migrationshintergrund abgestimmt sind. Ebenso sei es für die Stellung von Frauen im Arbeitsmarkt zentral, dass sich Massnahmen zur Verbesserung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen auch an Männer adressierten und auch für Männer die Möglichkeit gefördert werde, einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen.

Der Bundesrat leitete aus dem Bericht ab, dass es aufgrund bestehender Massnahmen und Projekte entgegen der Forderung der Postulantin weder einer Gesamtstrategie noch eines Massnahmenplans bedürfe. Vielmehr müssten die zahlreichen bestehenden Massnahmen und Angebote besser bekannt gemacht und die Koordination zwischen den verschiedenen Verantwortlichen verbessert werden. Zusätzlich rege der bestehende Fachkräftemangel Unternehmen dazu an, «proaktiv attraktive und familienfreundliche Arbeitsbedingungen zu schaffen». Mit der Legislaturplanung und der Gleichstellungsstrategie 2030 bestünden die strategischen Leitplanken zudem bereits. Weiter verwies der Bundesrat auf laufende Geschäfte auf Bundesebene, insbesondere auf Bestrebungen zur Einführung der Individualbesteuerung sowie auf die Subventionierung der familienergänzenden Kinderbetreuung durch den Bund. Während Letztere bislang in Form von befristeten Finanzhilfen erbracht wurde, soll es dafür gemäss einer hängigen parlamentarischen Initiative künftig eine stärkere und dauerhafte finanzielle Unterstützung geben (Pa.Iv. 21.403). Die Regierung fügte an, sie habe in ihrem Bericht zur Erfüllung eines Postulats Moret (fdp, VD; Po. 19.3621) zudem Empfehlungen zur Verbesserung bestehender Beratungsangebote zum Wiedereinstieg aufgezeigt. Grundsätzlich betonte der Bundesrat jedoch auch, dass er in Bezug auf die Förderung des beruflichen Wiedereinstiegs in erster Linie die Kantone und die Unternehmen in der Verantwortung sehe.

Massnahmenplan für den Wiedereinstieg von Frauen in die Arbeitswelt (Po. 20.4327)

Im Juni 2023 publizierte die EKR eine Studie zum Thema Rassismus in Lehrmitteln. Die Autorinnen und Autoren kamen zum Schluss, dass sich die Gesellschaft stärker mit den Themen Rassismus und Diversität auseinandersetze als noch vor einigen Jahren. In den Lehrmitteln würden entsprechend offensichtlich rassistische Ausdrücke durch neutrale Begriffe ersetzt, was die EKR begrüsse. In den Lehrmitteln werde Rassismus aber nicht als eigene Thematik behandelt. Falls Rassismus überhaupt in einem Schulbuch thematisiert werde, dann allen voran als zwischenmenschliches oder historisches Phänomen, jedoch nicht als strukturelle Form der Diskriminierung von Menschen. In den Lehrplänen fehle die Thematik zudem gänzlich. Eine Befragung von Lehrpersonen habe darüber hinaus ergeben, dass sich die verwendeten Lehrmittel nicht eigneten, um das Thema im Unterricht zu diskutieren. Auch fehle den Lehrerinnen und Lehrern das «Rüstzeug», um im Unterricht eine entsprechende Debatte zu führen. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse empfahl die EKR das Thema in die Lehrpläne aufzunehmen, den Umgang mit bestehenden Lehrmitteln zu thematisieren sowie den Lehrpersonen in der Aus- und Weiterbildung die notwendigen Kompetenzen für die Diskussion von Rassismus im Unterricht zu vermitteln.
Einige Tage nach der Publikation der Studie führte die EKR auch eine Tagung zum Thema Rassismus und Jugendliche durch und stellte die Studie einem Fachpublikum vor. An dieser Tagung debattierten die Teilnehmenden aber nicht nur über Rassismus in Bildung und Schule, sondern auch im Sport sowie im digitalen Raum.

Studie zum Thema Rassismus in Lehrmitteln

Ende Juni 2022 verabschiedete der Bundesrat die Eckwerte für ein neues Verhandlungsmandat mit der EU. Im Vorfeld wurde in der Öffentlichkeit die Hoffnung geäussert, dass die Verhandlungsgrundlage dieses Mal besser sei als jene beim gescheiterten institutionellen Rahmenabkommen. Die vom Bundesrat präsentierten Eckwerte sollen als Grundlage für weitere Gespräche und als Leitlinien für mögliche künftige Verhandlungen mit der EU dienen. Der Bundesrat definierte damit also jene Bereiche, die in einem künftigen Verhandlungsmandat abgedeckt werden sollten. Ergänzt wurden diese durch Oberziele allfälliger Verhandlungen und durch spezifische Ziele in einzelnen Bereichen. Zu den Oberzielen gehören unter anderem: Eine Stabilisierung des bilateralen Wegs und dessen für die Schweiz massgeschneiderte Entwicklung; hindernisfreie Binnenmarktbeteiligung in den Bereichen Landverkehr, Luftverkehr, Landwirtschaft, Strom, Lebensmittelsicherheit sowie in allen Kapiteln des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen; der Abschluss eines Stromabkommens, eines Abkommens im Bereich Lebensmittelsicherheit und eines Gesundheitsabkommens; die Zulassung der Schweiz zu EU-Programmen wie beispielsweise Horizon 2021-2027. Im Gegenzug zu diesen Zugeständnissen biete die Schweiz Hand zu institutionellen Lösungen zur Erhöhung der Rechtssicherheit bei bestehenden und künftigen Binnenmarktabkommen. Zudem wolle die Schweiz sektoriell eingeschränkte staatliche Beihilferegelungen der EU übernehmen und die Verstetigung der Kohäsionszahlungen an die EU prüfen.
Der Bundesrat teilte in seiner Medienmitteilung mit, dass die betroffenen Bundesämter damit beauftragt worden seien, die noch offenen Punkte in Gesprächen mit der EU zu klären, unter anderem die Frage, wie die neuen Abkommen in das Verhandlungspaket integriert werden sollen. Er kündigte an, bis Ende Jahr die Verabschiedung des Verhandlungsmandats vorzubereiten, sofern die internen Arbeiten und die Gespräche mit der EU weiterhin gut verliefen.

Die Schweizer Öffentlichkeit reagierte unterschiedlich auf die Positionsbestimmung des Bundesrats. Während der Schweizerische Gewerkschaftsbund und Travail Suisse auf viele ungelöste Probleme verwiesen und den präsentierten Kompromissen kritisch gegenüber standen, betonte der Arbeitgeberverband, dass die «allermeisten offenen Punkte» bei den flankierenden Massnahmen gelöst werden konnten. Die Eckpunkte stiessen auch bei den Parteien nicht auf uneingeschränkte Gegenliebe. FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) bezeichnete die Eckwerte vor der Verabschiedung des Verhandlungsmandats als unnötigen Zwischenschritt, der nur dazu diene, «alle ruhigzustellen». Die SVP monierte laut «La Liberté», dass der Bundesrat mit diesen Eckwerten die Souveränität des Landes opfern wolle. SVP-Aussenpolitiker Franz Grüter (svp, LU) kritisierte, dass die heiklen Punkte wie die dynamische Rechtsübernahme oder die Streitbeilegung mit dem EuGH als Entscheidungsinstanz die gleichen wie beim institutionellen Rahmenabkommen seien. Ebenfalls unzufrieden, wenngleich aus anderen Gründen, waren die Grünen. Sie warfen dem Bundesrat vor, die Verhandlungen mit der EU bis nach den nationalen Wahlen im Herbst 2023 zu verzögern. Sibel Arslan (basta, BS) sprach dem Bundesrat den politischen Willen und den Mut zu Verhandlungen ab. Auch SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (sp, BL) störte sich in der «Republik» an dieser Verlangsamung der Gespräche, denn damit sei nichts zu gewinnen. Ähnliches vernehme man auch aus Brüssel, berichtete die NZZ. Der Sprecher der Europäischen Kommission gab zu Protokoll, dass man die Ankündigung des Bundesrates zur Kenntnis nehme und bereit sei, die laufenden Sondierungsgespräche fortzusetzen. Das übergeordnete Ziel für die EU sei es, eine systemische Lösung für alle strukturellen Fragen in den verschiedenen Abkommen zu finden. Für die EU sei jedoch ein «glaubwürdiger Zeitplan» wichtig, man wolle die Verhandlungen noch während der Amtszeit der derzeitigen Kommission zu Ende führen. Auch die Gewerkschaften, deren Vorbehalte gegen das institutionelle Rahmenabkommen mitverantwortlich für dessen Scheitern gewesen waren, äusserten sich zu den Eckwerten des Bundesrates. SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard (sp, VD) warf Bundesrat Cassis vor, schönfärberisch über die Fortschritte im EU-Dossier zu kommunizieren. Seiner Meinung nach nehme man in den Gesprächen mit der EU kaum etwas von diesen vermeldeten Fortschritten wahr, da sich die EU-Kommission auf ihre Positionen aus den Verhandlungen zum Rahmenabkommen berufe. Der SGB befürchtete nicht nur die Schwächung des Schweizer Lohnschutzes, sondern auch Forderungen der EU in weiteren Bereichen wie der Spesenregelung oder bei der Liberalisierung des Service public. Pierre-Yves Maillard nannte das Schienennetz oder den Strommarkt als Beispiele, bei denen man hart bleiben müsse. Er bezeichnete die Gefahr eines erneuten Scheiterns der Verhandlungen angesichts der derzeitigen Ausgangslage als «gross».

EU-Verhandlungsmandat

Am 18. Juni 2023 gelangte der indirekte Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative, der mittlerweile unter dem Titel Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit (KlG) lief und meist als «Klimagesetz» bezeichnet wurde, zur Abstimmung. Die Vorlage umfasste Fördergelder für den Ersatz von fossilen Heizungen und für innovative Technologien sowie Ziele und Richtwerte für die Treibhausgasreduktion, etwa in Form von Reduktionszielen für die einzelnen Sektoren Verkehr, Industrie und Gebäude. Das grundlegende Ziel der Vorlage lag in der Erreichung von Netto Null bis 2050. Die einzelnen dafür notwendigen Massnahmen sollten jedoch erst im Rahmen der Weiterentwicklung des CO2-Gesetzes festgelegt werden.

Gegen dieses neue Gesetz hatte die SVP erfolgreich das Referendum ergriffen. Sie wurde dabei vom HEV und kleineren rechts-konservativen Parteien unterstützt. Die Gegnerschaft kritisierte, dass die Umsetzung des Gesetzes zwangsläufig zu einem Verbot von Öl, Gas, Diesel und Benzin führen werde. Infolgedessen würden der Strombedarf und die entsprechenden Kosten massiv steigen. Der erhöhte Strombedarf werde wiederum dazu führen, dass die Landschaft mit Windkraftanlagen und Solarpanels zerstört werde und trotzdem könne es gerade im Winter zu einer Strommangellage kommen.

Die Befürworterinnen und Befürworter des Klimagesetzes bestanden aus den Parteien Grüne, SP, GLP, Mitte, EVP sowie FDP.Liberale. Dazu gesellten sich noch zahlreiche Organisationen und Verbände, wie etwa Swissmem, der Schweizer Tourismus-Verband oder auch die Bankiervereinigung. Auch die Kantone, in Form der KdK, unterstützten das Gesetz. Koordiniert wurden die verschiedenen Akteurinnen und Akteure durch den eigens für den Abstimmungskampf gegründeten «Verein Klimaschutz», welcher laut eigenen Angaben über ein Budget von rund CHF 4 Mio verfügte. Das Komitee der Befürwortenden argumentierte, dass die Vorlage den Klimaschutz stärke, wichtige Anreize für die Abkehr von Öl und Gas setze und damit auch die Abhängigkeit der Schweiz von ausländischen Energielieferanten verringere. Die Bevölkerung und die Schweizer Wirtschaft würden finanziell entlastet, respektive bei der Entwicklung von klimafreundlichen Technologien unterstützt. Die Umsetzung des Gesetzes geschehe – entgegen der Einschätzung der Gegnerschaft – ohne Verbote oder neue Abgaben.

In den Medien gab besonders die Position des HEV Schweiz zu reden. Dieser hatte die Nein-Parole beschlossen, mehrere kantonale Sektionen sprachen sich jedoch für ein Ja oder für Stimmfreigabe aus. Aufgrund der Kampagne des HEV, die sich optisch und inhaltlich an der Kampagne der SVP ausrichtete, gab der damalige Ständerat Ruedi Noser (fdp, ZH) gar seinen Austritt aus dem HEV bekannt und kritisierte, dass der HEV von der SVP übernommen worden sei. In den Medien meldeten sich auch die beiden Klimawissenschaftler Thomas Stocker und Reto Knutti zu Wort. Während sich Stocker über die grelle Kampagne der SVP, welche lediglich Ängste schüre, und über einen vom Komitee «Rettung Werkplatz Schweiz» an fast alle Schweizer Haushalte versendeten Flyer enervierte – letzterer sei «unerträglich» und voller Unwahrheiten – monierte Knutti, dass lediglich über die zu befürchtenden Kosten und den Strom gesprochen werde und nicht über den Nutzen, der in der Erhaltung unserer Lebensgrundlagen liege.

Wie die APS- Zeitungs- und Inserateanalyse, welche im Vorfeld der Abstimmung durchgeführt wurde, zeigte, wurde die Abstimmungsvorlage überdurchschnittlich stark mit Inseraten beworben. Gut zwei Drittel der Inserate stammten dabei aus dem Lager der Befürwortenden, ein Drittel von den Gegnerinnen und Gegnern. Dieses Verhältnis deckte sich in etwa mit demjenigen zur Abstimmung über das CO2-Gesetz in 2021. Dem Anfang Juni 2023 publizierten Zwischenbericht des Fög konnte entnommen werden, dass das Klimagesetz in den Medien starke Beachtung fand und überwiegend positiv darüber berichtet wurde. Interessanterweise lösten nicht nur die offiziellen Kampagnen-Starts von Befürwortenden und Gegnerschaft, sondern auch die Turbulenzen um die Position des HEV einen Peak in der Medienberichterstattung aus.

In den Vorumfragen fand das Klimagesetz eine hohe, aber über die Zeit abnehmende Zustimmung. So zeigte etwa die Anfang Juni 2023 veröffentlichte dritte Umfragewelle von 20 Minuten/Tamedia, dass 56 Prozent der Befragten dem Gesetz zustimmen wollten (« Ja» oder « Eher Ja»). Der Tages-Anzeiger griff aus dieser Vorumfrage die Stimmungslage der Anhängerinnen und Anhänger der FDP heraus. Bemerkenswerterweise beabsichtigten diese grossmehrheitlich, die Vorlage abzulehnen, obwohl die Partei offiziell die Ja-Parole beschlossen hatte.

Das Abstimmungsresultat vom 18. Juni fiel dann jedoch deutlicher aus, als es die Vorumfragen prophezeit hatten. Bei einer Stimmbeteiligung von 42.5 Prozent stimmten fast 60 Prozent der Stimmenden für das neue Klimagesetz.

Abstimmung vom 18. Juni 2023

Beteiligung: 42.54%
-Ja: (59.1%)
-Nein: (40.9%)

Parolen:
-Ja: EVP, FDP (1*), GLP, GPS, Mitte, PdA, SP; SBV, SGB, VPOD
-Nein: EDU, Lega, SVP; HEV (4)
-Stimmfreigabe: SD
* in Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Die Vox-Analyse brachte zu Tage, dass die Parteizugehörigkeit respektive -sympathie ausschlaggebend war für das Stimmverhalten. So sprachen sich lediglich Personen, die sich als rechtsaussen bezeichneten und/oder sich der SVP zugehörig fühlten, mehrheitlich gegen das Klimagesetz aus. Anders als bei der Abstimmung im Jahr 2021 votierten die Sympathisantinnen und Sympathisanten der Mitte und der FDP nun mehrheitlich für das Klimagesetz (64% respektive 66%). Das Geschlecht war ebenfalls ein wichtiger Faktor beim Abstimmungsverhalten: Frauen legten häufiger ein Ja in die Urne als Männer (63% respektive 55% Ja-Anteil). Zudem sprachen auch ein hoher Bildungsgrad sowie ein hohes Salär tendenziell für eine Zustimmung zum Klimagesetz. Bei den Motiven für oder gegen das Gesetz wurden insbesondere das Thema «Umweltschutz» und «Kostenfolgen» genannt. Während sich die Befürwortenden also vor allem einen Ausbau des Umweltschutzes erhofften, kritisierten die Gegnerinnen und Gegner der Vorlage die Kosten, die mit der Umsetzung des Gesetzes einhergehen.
Die Medien ergänzten, dass wohl auch die Unverbindlichkeit der Vorlage – sie bestand bekannterweise mehrheitlich aus Zielen sowie Fördergeldern und nicht aus neuen Abgaben – zum klaren Ja geführt hatte. Zudem wurde an jenem Sonntag, im Gegensatz zur Abstimmung über das CO2-Gesetz von 2021, nicht noch über weitere umweltpolitische Anliegen abgestimmt, welche die ländliche Bevölkerung vermehrt an die Urne gelockt hätte und für mehr Nein-Stimmen hätte sorgen können. Bei der Frage nach dem « Wie weiter?» waren sich die Medien einig, dass die grosse Arbeit jetzt erst anfange. Diese bestehe darin, rasch viel Strom zu produzieren. Die politischen Akteure waren sich jedoch uneinig, wie dies am Besten geschehen solle. Zum einen befand sich der sogenannte Mantelerlass zur Zeit der Abstimmung über das Klimagesetz auf der Zielgeraden. Er soll die Erzeugung von Solar- und Windenergie sowie der Wasserkraft stark vorantreiben. Zum anderen wurde bereits im August 2022 mit der Unterschriftensammlung für die Initiative «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)» gestartet, welche sich mehr oder weniger explizit für den Bau neuer Atomkraftwerke ausspricht.

Indirekter Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative. Netto null Treibhausgasemissionen bis 2050 (Pa.Iv. 21.501)
Dossier: Die Gletscherinitiative, ihr direkter Gegenentwurf und ihr indirekter Gegenvorschlag

Am Tag des feministischen Streiks 2023 lehnten der Nationalrat eine Motion von Laurence Fehlmann Rielle (sp, GE; Mo. 22.4208) und der Ständerat eine gleichlautende Motion von Eva Herzog (sp, BS; Mo. 23.3213) ab, die bereits Unternehmen ab 50 Angestellten zur Durchführung von Lohnanalysen verpflichten wollten. Seit Inkrafttreten der 2018 verabschiedeten Revision des Gleichstellungsgesetzes sind Unternehmen ab 100 Angestellten zur Durchführung von Lohnanalysen angehalten. In seinem Revisionsentwurf hatte der Bundesrat ursprünglich eine entsprechende Regelung für Unternehmen ab 50 Angestellten beantragt, das Parlament hatte diese Zahl in der Folge jedoch erhöht. Seither schien sich an den politischen Fronten wenig geändert zu haben: Während die Fraktionen der SP, der Grünen und der GLP im Nationalrat die Motion Fehlmann Rielle befürworteten, lehnten sie Vertreterinnen und Vertreter von Mitte, FDP und SVP ab. Ein ähnliches Bild zeigte sich im Ständerat, wo sich jedoch auch einzelne Vertreterinnen und Vertreter der FDP und der Mitte zu den Unterstützenden der Motion Herzog gesellten.

Nach wie vor erst Lohnanalysen ab 100 Angestellte (Mo. 22.4208 und 20.3213)
Dossier: Lohngleichheitsanalysen und Diskussionen über die Einführung von Sanktionen

Als Ergänzung eines Postulats Arslan (basta, BS; Po. 20.4327), das einen Massnahmenplan für den beruflichen Wiedereinstieg von Frauen forderte, verstand Marianne Binder-Keller (mitte, AG) ihr Postulat, mit welchem sie bezweckte, dass das durch Familienarbeit erworbene Potential für den Arbeitsmarkt besser genutzt werden solle. Gesellschaftlich und volkswirtschaftlich betrachtet sei die unbezahlte Familienarbeit von unschätzbarem Wert, so die Mitte-Politikerin in ihrer Begründung. Dennoch würden die im Rahmen dieser Tätigkeit erlangten Kompetenzen bei einem Wiedereinstieg ins Arbeitsleben kaum berücksichtigt. Deswegen fordere sie den Bundesrat dazu auf zu eruieren, wie die Familienarbeit für die Erlangung einer Erwerbsarbeit angemessen berücksichtigt werden müsste. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats, unter anderem mit der Begründung, dass die «Vertragsparteien selbst am besten wissen, welche Kompetenz wo gewinnbringend genutzt werden kann». Die Mehrheit im Nationalrat hingegen sah dies anders und nahm das Postulat mit 104 zu 77 Stimmen (2 Enthaltungen) deutlich an. Gegen Annahme stellten sich die Fraktionen der FDP und der SVP.

Durch Familienarbeit erworbenes Potential für den Arbeitsmarkt besser nutzen (Po. 21.3900)

In der Sommersession 2023 stand eine Motion der WBK-NR zur Schaffung von Transparenz über die verwendeten Mittel des Horizon-Pakets mittels eines Dashboards auf der Traktandenliste des Ständerats. Die vorberatende UREK-SR hatte dem Stöckli im März 2023 mit 6 zu 0 Stimmen bei 6 Enthaltungen beantragt, die Motion abzulehnen. Kommissionssprecher Benedikt Würth (mitte, SG) legte im Rat dar, dass bereits genügend Transparenz über die Verwendung der finanziellen Mittel bei den Auffangmassnahmen bestehe. Zwar seien die Unterlagen teilweise komplex, bei Unklarheiten könne die Kommission aber jederzeit bei der Verwaltung detailliertere Unterlagen zu einzelnen Krediten verlangen. «[N]ur weil es schwerfällt, das transparent Dargestellte zu verstehen», brauche es keine Motion, schloss Würth. Auch Guy Parmelin argumentierte im Namen des Bundesrats für eine Ablehnung, da bereits genügend Transparenz bestehe. Dieser Ansicht war auch der Ständerat und lehnte die Motion stillschweigend ab. Das Anliegen war damit erledigt.

Transparenz bezüglich der verwendeten und nicht verwendeten Mittel des Verpflichtungskredits «Horizon-Paket 2021-2027» (Mo 22.3876)
Dossier: Erasmus und Horizon

Im Dezember 2022 reichte Marcel Dobler (fdp, SG) ein Postulat ein, mit dem er den Bundesrat beauftragen wollte, eine wissenschaftliche Studie in Auftrag zu geben, welche bei der Analyse der Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen zusätzliche Faktoren wie Mutterschaft, Erwerbsunterbrüche, Zivilstand oder Berufserfahrung nach Altersstufen berücksichtigt. Die vom BFS veröffentlichten Statistiken gäben gemäss Dobler zu wenig Auskunft darüber, welche Rolle solche Variablen beim Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern spielen.
In seiner Stellungnahme vom Februar 2023 beantragte der Bundesrat, das Postulat abzulehnen. Die vom BFS publizierten Statistiken und die dazu verwendeten Methoden entsprächen internationalen Standards, die auch in anderen Erhebungen verwendet würden, argumentierte die Regierung. Zudem könnten bestimmte Variablen zwar Geschlechterunterschiede beim Lohn erklären, aber – auch mit Verweis auf das Gleichstellungsgesetz – nicht rechtfertigen.
Der Nationalrat beriet den Vorstoss im Rahmen der ausserordentlichen Session zur Gleichstellung am Tag des feministischen Streiks und nahm es mit 141 zu 21 Stimmen (8 Enthaltungen) an. Eine Mehrheit der Grünen- und eine Minderheit der SVP-Fraktion sprachen sich gegen Annahme aus.

Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern (Po. 22.4500)

Mit einer Motion forderte Nationalrätin Melanie Mettler (glp, BE) eine Präzisierung des Gleichstellungsgesetzes (GlG). So seien Arbeitnehmende nach der heutigen Auslegung des GlG nicht vor Diskriminierung aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung geschützt, da das GlG nur die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbiete. Der Bundesrat erwiderte, dass die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung bereits unter das allgemeine Diskriminierungsverbot falle und auch der Antirassismusartikel des StGB bereits um sexuelle Orientierung ergänzt worden sei. Somit bestünden also bereits Möglichkeiten ausserhalb des GlG, welche gegen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt geltend gemacht werden könnten. Ebenfalls solle darauf verzichtet werden, den spezialgesetzlichen Status des GlG zu ändern. Im Rahmen der ausserordentlichen Session zu Gleichstellung im Sommer 2023 unterstützte der Nationalrat den Vorstoss mit 120 zu 55 Stimmen (bei 10 Enthaltungen). Die geschlossen stimmende SVP-Fraktion sowie einige Mitglieder aus den Fraktionen der FDP und der Mitte stellten sich gegen die Vorlage.

Gleichstellungsgesetz präzisieren (Mo. 23.3238)

Nachdem der Nationalrat eine Motion der SGK-NR zur Förderung der Gendermedizin angenommen hatte, beantragte die Mehrheit der WBK-SR ihrem Rat die Ablehnung des Anliegens. Sie war der Meinung, dass dieses Anliegen mit einer anderen Kommissionsmotion der SGK-NR zur Förderung von Forschung und Therapie für spezifische Frauenkrankheiten (Mo. 22.3869) besser zu erfüllen sei. Insbesondere lehnte es die Kommissionsmehrheit ab, dass der Bund Vorgaben zu den Nationalen Forschungsprogrammen (NFP) des SNF macht, da diese «bottom-up» entstehen sollten. Schliesslich sei ein NFP zu Gendermedizin bereits in Planung. Die Kommissionsminderheit hingegen erinnerte daran, dass das Parlament bereits früher bei der Verwirklichung eines NFP mitgewirkt habe, und war der Ansicht, dass die Motion dazu beitragen könne, die Erforschung frauenspezifischer Krankheiten voranzubringen. Sie beantragte folglich, die Motion anzunehmen. Im Ständerat, der sich in der Sommersession 2023 mit dem Vorstoss auseinandersetzte, kam es dennoch zu keiner Abstimmung: Die Kommissionsminderheit zog ihren Antrag zurück, da der Bundesrat wenige Tage vor der parlamentarischen Beratung die Lancierung der neuen Nationalen Forschungsprogramme bekannt gegeben hatte, darunter eines zur Gendermedizin. Damit ist die Motion erledigt.

Gender-Medizin. Schluss mit Frauen als Ausnahme in der Medizin (Mo. 22.2868)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen