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Im Gegensatz zum Nationalrat sprach sich der Ständerat in der Herbstsession 2022 mit 26 zu 14 Stimmen bei 2 Enthaltungen gegen eine Motion der WAK-NR aus, die mit einer Anpassung des öffentlichen Beschaffungswesens darauf abzielte, Angestellte wirksam vor Mobbing und sexueller Belästigung zu schützen. Damit folgte die Mehrheit des Ständerats der Forderung seiner WAK und dem Antrag des Bundesrats, welche beide die Notwendigkeit der Motion in Frage stellten; dies unter anderem, da der Schutz vor Mobbing und sexueller Belästigung im Arbeitsgesetz bereits geregelt sei und es deshalb keiner spezialrechtlichen Regelung bedürfe. Des Weiteren sei die Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen, die bei Annahme der Motion geändert werden müsste, erst seit dem 1. Januar 2021 in Kraft, weshalb eine Änderung zum jetzigen Zeitpunkt vorschnell wäre, argumentierte Bundesrat Maurer. Gleichzeitig lehnte der Ständerat auch eine weitere Motion der WAK-NR mit einem ähnlichen Anliegen ab (Mo. 22.3019).

Schutz vor sexueller Belästigung bei öffentlichen Aufträgen (Mo. 22.3020)

In der Herbstsession 2022 wurde eine Standesinitiative des Kantons Waadt, welche die einfachere Bekämpfung sexueller Belästigung bei der Arbeit mithilfe einer Beweislasterleichterung forderte, vom Ständerat behandelt. Da der Tatbestand der sexuellen Belästigung «nicht klar definiert» sei und die Beschaffung eines Gegenbeweises im Falle einer Klage nur unter grossem Eingriff in die Privatsphäre der Arbeitnehmenden beschafft werden könne, empfahl eine knappe Mehrheit der RK-SR ihrem Rat, der Initiative keine Folge zu geben. Eine Kommissionsminderheit Baume-Schneider (sp, JU) verwies hingegen darauf, dass es für die Opfer sexueller Belästigungen sehr schwierig sei, die Tat zu beweisen, und forderte dementsprechend eine Änderung der geltenden Beweisregelung. Der Ständerat gab der Standesinitiative – wie bereits zuvor einer ähnlichen Standesinitiative des Kantons Genf – mit 25 zu 16 Stimmen bei 2 Enthaltungen keine Folge.

Einfachere Bekämpfung von sexueller Belästigung bei der Arbeit (Kt.Iv. 20.340)

Die Motion Maret (mitte, VS), die den Bund dazu aufforderte, regelmässige nationale Präventionskampagnen gegen Gewalt zu organisieren, wurde in der Sommersession 2022 auch vom Nationalrat angenommen. Der Kommissionsminderheit folgend plädierte beinahe die gesamte Fraktion der SVP sowie vereinzelte Vertretende der FDP.Liberalen-Fraktion erfolglos für Ablehnung. Die Forderung der Walliser Mitte-Ständerätin war damit die erste in einer Reihe von fast identisch lautenden Anliegen, die zur Umsetzung an den Bundesrat überwiesen wurde. Zum Zeitpunkt der Überweisung war neben den Motionen der beiden Nationalrätinnen De Quattro (fdp, VD; Mo. 21.4470) und Funiciello (sp, BE; Mo. 21.4471) auch noch eine Motion der Mehrheit der WBK-NR (Mo. 22.3011) hängig.

Nationalrätinnen fordern Präventionskampagnen gegen Gewalt (Mo. 21.4418, Mo. 21.4470, Mo. 21.4471)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Da der Rechtsbegriff der Vergewaltigung in den Artikeln 198 und 190 StGB im Rahmen der Revision des Sexualstrafrechts neu definiert werden würde, sah die RK-SR im April 2022 keinen weiteren Handlungsbedarf und beantragte ihrem Rat die Abschreibung der entsprechenden Genfer Standesinitiative. Die Kantonskammer stimmte diesem Antrag in der Sommersession 2022 stillschweigend zu.

Neudefinition des Rechtsbegriffs der Vergewaltigung in den Artikeln 189 und 190 des Strafgesetzbuches (Kt.Iv. 14.311)
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

In der Sommersession 2022 befasste sich der Ständerat als Erstrat mit der Revision des Sexualstrafrechts. Unbestritten war, dass die Reform notwendig sei, weil die geltenden Normen nicht mehr zeitgemäss seien. Sowohl im Rat als auch in den Medien war vielerseits von einem «Quantensprung» die Rede. Der Rat trat denn auch ohne Gegenantrag auf das Geschäft ein. Auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter bezeichnete die Abschaffung des Nötigungselements beim Vergewaltigungstatbestand als «Meilenstein». Gleichzeitig warnte sie aber davor, zu hohe Erwartungen in diese Revision zu setzen: Sie sei zwar «ein wichtiger Schritt», werde aber «Beweisschwierigkeiten bei Sexualdelikten als typische Vieraugendelikte nicht beseitigen».

Kernpunkt der Revision war die Neufassung der Tatbestände der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung (Art. 189 und 190 StGB). So war denn auch die Debatte im Ständerat geprägt von der Frage, wann eine Vergewaltigung eine Vergewaltigung ist bzw. ob eine sexuelle Handlung strafbar sein soll, wenn sie «gegen den Willen» oder aber «ohne Einwilligung» der betroffenen Person vorgenommen wird. Während sich der Bundesrat und die Mehrheit der RK-SR für die Widerspruchslösung aussprachen («Nein heisst Nein»), wollte eine Minderheit Mazzone (gp, GE) das Zustimmungsprinzip («Nur Ja heisst Ja») im Gesetz verankern. Einig war man sich weitgehend darin, dass sich die beiden Varianten in Bezug auf die konkreten Konsequenzen für die Strafrechtspraxis im Endeffekt kaum unterscheiden. Ob die Staatsanwaltschaft das Nein oder das «Nicht-Ja» beweisen müsse, letztlich werde in beiden Fällen «das ablehnende Signal» gesucht, erklärte Andrea Caroni (fdp, AR), der der Kommissionsmehrheit angehörte. Auch wenn eine Person im Laufe eines sexuellen Kontakts, dem sie anfänglich zugestimmt hat, ihre Meinung ändere, müsse sich dieser Meinungsumschwung auf irgendeine Weise manifestieren, also durch ein Nein oder konkludentes ablehnendes Verhalten – etwa Kopfschütteln, eine abwehrende Geste oder Weinen – zum Ausdruck gebracht werden, ergänzte Bundesrätin Keller-Sutter. Je nach Situation mutiere die Zustimmungslösung demnach zur Widerspruchslösung, weshalb Letztere praxisnäher und transparenter sei, so die Justizministerin. Minderheitsvertreterin Mazzone argumentierte, von der Widerspruchslösung würden jene Fälle nicht erfasst, in denen das Opfer in einen Schockzustand gerate und zu jeglicher Äusserung von Widerstand unfähig sei; hier könne nur auf die fehlende Einwilligung abgestellt werden. Bundesrätin Keller-Sutter versicherte jedoch, die Fälle von sogenanntem Freezing würden vom Mehrheitsvorschlag ebenfalls abgedeckt. Wenn das Opfer widerstandsunfähig sei, sei es entweder durch Einschüchterung oder Drohung in diesen Zustand gebracht worden – dann liege eine Nötigung vor – oder es sei zwar selbst in diesen Zustand geraten, der Täter oder die Täterin nutze diesen Umstand aber aus, womit eine Schändung nach Art. 191 StGB vorliege.
Einig waren sich beide Lager wiederum darin, dass sich die beiden Varianten sehr wohl in der Symbolik unterschieden, die die Strafnorm an die Gesellschaft aussende. Lisa Mazzone fragte rhetorisch, ob es denn nicht in der Verantwortung der sexuell handelnden Person liege, sich im Zweifelsfall über den Willen des passiven Gegenübers zu erkundigen; sonst gehe die handelnde Person eben das Risiko ein, eine Straftat zu begehen. Gemäss Eva Herzog (sp, BS) bringe das Prinzip «Nur Ja heisst Ja» zum Ausdruck, dass sich bei Sexualkontakten zwei Menschen auf Augenhöhe begegnen. Die Grundeinstellung, dass Frauen oft Nein sagten, aber schon Ja meinten, sei immer noch verbreitet und es gehe «um eine Veränderung der Bilder in den Köpfen». Die Kommissionsmehrheit sah es indes nicht als Aufgabe des Strafrechts, die Gesellschaft zu erziehen. Deren Mitglied Beat Rieder (mitte, VS) befürchtete gar eine «falsche Kriminalisierung der Sexualität», indem sexuelle Kontakte grundsätzlich als strafbar angesehen würden, ausser das Gegenüber habe zugestimmt. Die Widerspruchslösung gehe hingegen davon aus, dass sexuelle Kontakte «in aller Regel im gegenseitigen Einverständnis» erfolgten und verkörpere damit eine «positive Sichtweise auf die Sexualität». Mit 25 zu 18 Stimmen sprach sich der Ständerat für die Variante der Kommissionsmehrheit und damit für «Nein heisst Nein» aus. Ein Einzelantrag Gmür-Schönenberger (mitte, LU), der die Widerspruchslösung anders formulieren wollte, um das Freezing deutlicher zu erfassen, scheiterte mit 23 zu 10 Stimmen bei 10 Enthaltungen.

In einem zweiten Schritt befasste sich die Kantonskammer mit der Abschaffung des Nötigungselements in den beiden Tatbeständen von Art. 189 und 190 StGB. Die Kommission schlug dazu ein Kaskadenprinzip vor: Der Grundtatbestand im jeweiligen Absatz 1 deckt demnach sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Person ab. Wird das Opfer genötigt, kommt dies gemäss Absatz 2 erschwerend hinzu. Absatz 3 regelt die zusätzliche Erschwernis der Grausamkeit sowie des Einsatzes einer gefährlichen Waffe oder eines gefährlichen Gegenstandes. Werner Salzmann (svp, BE) brachte indessen mit einem Einzelantrag den Vorschlag aus dem Vernehmlassungsentwurf wieder aufs Tapet. Dieser hatte für sexuelle Übergriffe ohne Nötigung einen eigenen Tatbestand vorgesehen, während das Nötigungselement bei den Tatbeständen der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung erhalten bleiben sollte. Salzmann gab zu bedenken, dass es ein falsches Signal an die Gesellschaft aussenden würde, wenn unter der Bezeichnung «Vergewaltigung» künftig noch geringere Strafen ausgesprochen würden – «[w]ir haben jetzt schon lächerlich milde Strafen für Vergewaltigungen» –, weil auch Verletzungen der sexuellen Integrität ohne Nötigung hierunter subsumiert würden. Kommissionssprecher Sommaruga (sp, GE) und Bundesrätin Keller-Sutter hielten dem entgegen, dass dieses Konzept in der Vernehmlassung auf breite Kritik gestossen war, weil damit «eine Art unechte oder minderwertige Vergewaltigung» geschaffen würde, wie es die Justizministerin ausdrückte. Mit 39 zu 4 Stimmen befürwortete der Ständerat die Kaskadenlösung klar.
Weiter diskutierte die Ständekammer die Höhe der Strafen für die neu gefassten Tatbestände der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung. Mit mehreren Einzelanträgen wollte Werner Salzmann die Mindeststrafen für verschiedene Tatbestände erhöhen, blieb damit aber chancenlos. Die grosse Mehrheit der kleinen Kammer wollte den Ermessensspielraum der Gerichte nicht zu stark einschränken, weil stets auch der denkbar mildeste Fall adäquat bestraft werden können müsse. Eine Minderheit Engler (mitte, GR) beantragte gegenüber der Kommissionsmehrheit eine höhere Mindeststrafe für Vergewaltigung mit Nötigung (neu Art. 190 Abs. 2 StGB). Die Kommissionsmehrheit hatte hier mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe vorgesehen. Die Minderheit Engler forderte mindestens zwei Jahre Freiheitsstrafe, damit hier keine bedingten Strafen ausgesprochen werden können. Diesen Minderheitsantrag hiess der Ständerat mit 23 zu 20 Stimmen gut.

Am zweiten Tag der Behandlung stimmte die Kantonskammer mit 37 zu 6 Stimmen dem Antrag ihrer Kommissionsmehrheit zu, mit Art. 197a einen neuen Tatbestand für Rachepornografie im StGB zu verankern. Dieser stellt das unbefugte Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten unter Strafe. Der Bundesrat hatte vergeblich für dessen Ablehnung plädiert. Er hätte zuerst den genauen Handlungsbedarf abklären wollen, was er im Bericht zum Postulat 21.3969 zu tun im Begriff sei, wie Bundesrätin Keller-Sutter erläuterte.
Mit einem ebenfalls neuen Art. 197b wollte Isabelle Chassot (mitte, FR) zudem das Grooming, also das Anbahnen sexueller Kontakte mit Minderjährigen, unter Strafe stellen. Die Kommission hatte nach der Vernehmlassung in ihrem Entwurf auf einen solchen Artikel verzichtet, weil die versuchte sexuelle Handlung mit einem Kind oder die versuchte Herstellung von Kinderpornografie bereits strafbar seien, wie Bundesrätin Keller-Sutter anmerkte. Jemanden zu bestrafen, der noch nicht einmal einen Versuch unternommen habe, wäre ein «Sündenfall im Strafrecht», urteilte Kommissionsmitglied Daniel Jositsch (sp, ZH). Die Ständekammer lehnte den Antrag Chassot mit 21 zu 18 Stimmen bei 4 Enthaltungen schliesslich ab.

In der Gesamtabstimmung nahm der Ständerat die Vorlage einstimmig an. Angesichts der lauten gesellschaftlichen Forderungen nach einer «Nur-Ja-heisst-Ja»-Regelung im Sexualstrafrecht wurde der Entscheid des Ständerats in den Medien ausführlich kommentiert und auch kritisiert. Das enttäuschte Lager setzte die Hoffnung nun in den Nationalrat.

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

In der Sommersession 2022 schrieb der Ständerat auf Antrag der RK-SR die parlamentarische Initiative Jositsch (sp, ZH) für Mindeststrafen bei sexuellen Handlungen gegenüber Kindern unter 16 Jahren stillschweigend ab. Wie Kommissionssprecher Sommaruga (sp, GE) ausführte, sei das Anliegen des Vorstosses in die Revision des Sexualstrafrechts aufgenommen worden und könne daher als erledigt betrachtet werden. Der Motionär und der Bundesrat hatten sich dem so begründeten Antrag auf Abschreibung angeschlossen.

Mindeststrafen bei sexuellen Handlungen gegenüber Kindern unter 16 Jahren (Pa.Iv. 16.408)
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Im Juni 2022 lehnte der Ständerat die Motion Fehlmann (sp, GE) zur Änderung der Definition von Vergewaltigung im Schweizer Recht stillschweigend ab. Während der Nationalrat im September 2018 der Motion noch zugestimmt hatte, beantragte die zuständige RK-SR nun die Ablehnung. Sie begründete ihren Antrag mit der inzwischen abgeschlossenen Revision des Sexualstrafrechts, welche die Forderung der Motion vollumfänglich miteinbezogen habe. Namens des Bundesrates, welcher 2018 noch die Annahme empfohlen hatte, bezeugte auch Karin Keller-Sutter ihr Einverständnis zur Ablehnung der Motion. Das Geschäft war somit erledigt.

Definition von Vergewaltigung im Schweizer Recht. Das Gesetz muss geändert werden! (Mo. 17.3992)
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Weil der Bund die verdeckte Ermittlung per Anfang 2021 an die Kantone abgebe, müsse fortan eine nationale Strategie sicherstellen, dass die Verfolgung von Pädokriminellen im Internet nicht an den Kantonsgrenzen und kantonalen Rechtsunterschieden scheitere, forderte Nationalrätin Yvonne Feri (sp, AG) mit einer im Herbst 2020 eingereichten Motion. Der Bundesrat lehnte es ab, eine nationale Strategie zur Bekämpfung der Cyber-Pädokriminalität zu schaffen, da die Kantone für die Strafverfolgung von Pädokriminalität zuständig seien. Das Fedpol habe auf der Grundlage einer Vereinbarung mit den Kantonen zwischenzeitlich bestimmte Aufgaben in diesem Bereich übernommen, weil in den Kantonen die rechtlichen Grundlagen für die verdeckte Fahndung gefehlt hätten. Dies habe sich inzwischen aufgrund gesetzlicher Anpassungen in den Kantonen geändert und die KKJPD habe die entsprechende Vereinbarung auf Ende 2020 gekündigt, erläuterte der Bundesrat in seiner Stellungnahme. Dennoch nahm der Nationalrat die Motion in der Sommersession 2022 mit 114 zu 69 Stimmen bei 2 Enthaltungen an. Es brauche eine gesamtschweizerische Strategie, die über die polizeiliche Koordination hinausreiche und das Zusammenspiel von Prävention, Meldemöglichkeiten, Opferhilfe und Strafverfolgung in den Blick nehme, argumentierte die Motionärin im Ratsplenum.

Nationale Strategie zur Bekämpfung der Cyber-Pädokriminalität (Mo. 20.4084)

Mit identischen Motionen forderten drei Parlamentarierinnen aus drei verschiedenen Parteien nationale Präventionskampagnen gegen Gewalt (Marianne Maret, mitte, VS, Mo. 21.4418; Jacqueline de Quattro, fdp, VD, Mo. 21.4470; Tamara Funiciello, sp, BE, Mo. 21.4471). Eingereicht worden waren die drei Vorstösse nur wenige Tage nach Publikation eines Berichts zu Ursachen von Tötungsdelikten im häuslichen Umfeld. In ihren Begründungen verwiesen die Motionärinnen auf weitere aktuelle Studien, die das Ausmass von häuslicher und sexueller Gewalt in der Schweiz aufzeigten: Eine im Herbst 2021, kurz vor dem Start einer Öffentlichkeitskampagne der Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein durchgeführte Umfrage von sotomo ergab, dass ein Drittel der befragten Personen – 42 Prozent der befragten Frauen und 24 Prozent der befragten Männer – bereits Gewalt in Paarbeziehungen erfahren hatten. Neben den vom EBG bereitgestellten Daten, die für den Zeitraum 2009 bis 2018 alle zwei Wochen einen durch häusliche Gewalt bedingten Todesfall verzeichneten, verwiesen die Motionärinnen auch auf eine im Jahr 2019 durchgeführte Befragung von gfs.bern, in der 22 Prozent der befragten Frauen berichtet hatten, bereits ungewollten sexuellen Handlungen ausgesetzt gewesen zu sein. Nationale Sensibilisierungs- und Präventionskampagnen forderte überdies eine Petition, die bereits im Herbst 2021 im Rahmen der Frauensession eingereicht worden war (Pet. 21.2045).
Nachdem sich der Bundesrat für Annahme der drei Vorstösse ausgesprochen hatte, wurden die beiden im Nationalrat eingereichten Motionen in der Frühjahrssession 2022 von Barbara Steinemann (svp, ZH) bekämpft. Die Motion der Walliser Ständerätin Marianne Maret (mitte) passierte den Ständerat in derselben Session stillschweigend. Die Motionen der Nationalrätinnen Jacqueline de Quattro und Tamara Funiciello standen daraufhin in der Sondersession im Mai 2022 in der grossen Kammer zur Diskussion, wo sie einzig von den geschlossen stimmenden Vertreterinnen und Vertretern der SVP abgelehnt wurden. Mit 135 zu 51 Stimmen (bei 1 Enthaltung) respektive mit 129 zu 51 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) scharte sich somit auch im Nationalrat eine komfortable Mehrheit hinter die Forderung.

Nationalrätinnen fordern Präventionskampagnen gegen Gewalt (Mo. 21.4418, Mo. 21.4470, Mo. 21.4471)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

In der Sondersession vom Mai 2022 nahm der Nationalrat als Erstrat eine Motion seiner WBK-NR an, die mittels Anpassung der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen sicherstellen will, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die ihre Angestellten wirksam vor Mobbing und sexueller Belästigung schützen. Dabei berief sich die Mehrheit der Kommission – eine aus bürgerlichen Kommissionsmitgliedern bestehende Minderheit beantragte die Ablehnung der Motion – auf die nationale Studie zu sexueller Belästigung aus dem Jahr 2008, gemäss welcher zwei Drittel der befragten Personen angaben, dass ihr Arbeitgeber trotz gesetzlicher Pflicht keine Massnahmen zum Schutz vor sexueller Belästigung getroffen habe. Der Bundesrat hatte die Motion zur Ablehnung empfohlen, wobei er die Ansicht vertreten hatte, dass die geltenden gesetzlichen Bestimmungen im Arbeits- und Gleichstellungsgesetz sowie im Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen ausreichten, um bei der Vergabe von Aufträgen auch den Arbeitsschutz im Bereich Mobbing und sexuelle Belästigung zu beurteilen. Der Nationalrat befürwortete die Motion mit 93 zu 86 Stimmen (3 Enthaltungen). Neben den geschlossen dafür stimmenden Fraktionen der SP, Grünen und der GLP stimmte auch eine Mehrheit der Mitte-Fraktion für die Annahme des Vorstosses. Direkt im Anschluss an die nationalrätliche Behandlung zog Léonore Porchet (gp, VD) ihre parlamentarische Initiative mit demselben Anliegen zurück (Pa.Iv. 20.486). Gleichzeitig beriet der Nationalrat eine andere Motion der WAK-NR mit ähnlichem Anliegen, die er ebenfalls an den Zweitrat überwies (Mo. 22.3019).

Schutz vor sexueller Belästigung bei öffentlichen Aufträgen (Mo. 22.3020)

Im April 2022 veröffentlichte der Bundesrat in Erfüllung eines Postulats von Mathias Reynard (sp, VS) den Bericht «Sexuelle Belästigung in der Schweiz: Ausmass und Entwicklung». Der Postulant hatte vom Bundesrat verlässliche Zahlen über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit gefordert.
Nach einer Erklärung zur begrifflichen Definition von sexueller Belästigung präsentierte der Bericht verschiedene Zahlen und Eckpunkte zu sexueller Belästigung in der Schweiz. So konnte beispielsweise festgestellt werden, dass im Jahr 2020 1'435 Straftaten zu sexueller Belästigung registriert wurden und dass 15 bis 20 Prozent der Gesamtbevölkerung in ihrem Leben sexuelle Belästigung erleben. Weiter wurde festgestellt, dass der Grossteil der Betroffenen von sexueller Belästigung Frauen sind. Darüber hinaus seien LGBTQ+-Personen oder Menschen mit Behinderung besonders gefährdet, Opfer von übergriffigem Verhalten zu werden.
Die Regierung eruierte in verschiedenen Bereichen der Erfassung, Meldung oder strafrechtlichen Verfolgung von sexueller Belästigung Verbesserungspotential. Kontinuierliche Daten zu sexueller Belästigung lägen lediglich aus der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) vor, die nur einen Teilbereich der Belästigungen festhalte. In Bevölkerungsbefragungen, die beispielsweise Opferraten oder Dunkelziffern erfragten, fielen die Opferzahlen sexueller Belästigung höher aus als in der PKS; die Bevölkerungsbefragungen seien aber aufgrund verschiedener Erhebungsmethoden, -häufigkeiten oder Frageformulierungen nur schwer vergleichbar. Weiter seien die Hürden für das Melden oder Anzeigen sexueller Belästigung sowohl im öffentlichen Raum als auch am Arbeitsplatz hoch. Viele Übergriffe würden gar nicht oder erst bei grossem Leidensdruck gemeldet.
Im Fazit des Berichts anerkannte der Bundesrat die Problematik sexueller Belästigung im öffentlichen Raum, am Arbeitsplatz sowie im privaten Umfeld. Bezüglich der Empfehlung zur Erhebung von umfassenderen Daten zu sexueller Belästigung verwies er auf die Gleichstellungsstrategie 2030: In dieser werde die Finanzierung und Durchführung einer Prävalenzstudie geprüft, in die auch die sexuelle Belästigung einbezogen werden könnte. Um Hürden zum Melden sexueller Belästigung abzubauen, hätten die Kantone eine umfangreiche Website der Opferhilfe Schweiz mitgestaltet. Zudem sei ein telefonisches 24-Stunden-Beratungsangebot für Gewaltbetroffene in der Prüfung. Da zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz bereits sehr viele Massnahmen umgesetzt seien, unterstrich der Bundesrat die Wichtigkeit von betrieblichen Massnahmen, wie beispielsweise klaren Richtlinien, Schulungen oder externen Meldestellen.

Sexuelle Belästigung. Wir brauchen endlich verlässliche Zahlen über dieses Problem (Po. 18.4048)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

In seiner Stellungnahme von Mitte April 2022 begrüsste der Bundesrat den Vorschlag der RK-SR zur Revision des Sexualstrafrechts. Es werde damit an die gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst. Insbesondere die Tatsache, dass eine Vergewaltigung gemäss heutigem Wortlaut immer eine Nötigung voraussetze, stosse in der Gesellschaft auf breites Unverständnis, so die Regierung. In einem Punkt unterstützte der Bundesrat jedoch die Kommissionsminderheit: Es solle vorerst auf einen Straftatbestand zur Rachepornografie verzichtet werden, da dieser Vorschlag «erhebliche Unklarheiten» aufweise, wie er in der Medienmitteilung erklärte. Der Bundesrat anerkannte die Problematik, wollte den diesbezüglichen Handlungsbedarf jedoch zuerst vertieft im Zuge laufender Arbeiten zum Cybermobbing prüfen und in einem entsprechenden Postulatsbericht diskutieren.
Die Grüne Partei und die SP-Frauen zeigten sich enttäuscht über diese Haltung beziehungsweise über den «Bundesrat ohne Haltung», wie Letztere von der «Republik» zitiert wurden. Sie kritisierten, dass sich der Bundesrat mit der im Entwurf enthaltenen Widerspruchslösung («Nein heisst Nein») einverstanden zeigte und sich somit gegen die «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung aussprach, welche in der gesellschaftlichen Debatte breit gefordert werde.

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Mitte April 2022 berichtete die Presse über die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zu sexuellen Beziehungen, die GfS Bern im März 2022 im Auftrag von Amnesty International Schweiz durchgeführt hatte. Daraus ging hervor, dass die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung eine Reform des Sexualstrafrechts als angezeigt erachtete; nur 13 Prozent der Befragten zeigten sich mit den geltenden Normen zufrieden. Während 45 Prozent der Befragten sich eine Regelung gemäss dem Zustimmungsprinzip («Nur Ja heisst Ja») wünschten, beurteilten nur 27 Prozent die von der RK-SR vorgeschlagene Widerspruchslösung («Nein heisst Nein») als ausreichenden Schutz vor sexualisierter Gewalt. Der Zuspruch zur Zustimmungslösung fiel bei jüngeren Befragten, Frauen und queeren Personen am höchsten aus. Insgesamt gaben 81 Prozent der Teilnehmenden an, bereits heute bei jeder sexuellen Handlung sicherzustellen, dass das Gegenüber damit einverstanden ist. Fast ein Viertel wertete allerdings auch ein Schweigen als Zustimmung. Von den Männern gaben knapp die Hälfte an, es als Einwilligung zum Geschlechtsverkehr zu interpretieren, wenn das Gegenüber vorher einer anderen sexuellen Handlung zugestimmt habe. Ein gutes Drittel der männlichen Befragten ging auch von einer Einwilligung aus, wenn die Person aufreizend gekleidet ist und mit dem Befragten geflirtet hat. Bei den befragten Frauen waren diese Ansichten deutlich weniger verbreitet. Die Presse schlussfolgerte, dass die Veröffentlichung dieser Ergebnisse den Druck auf die Politik erhöhe, das «Nur-Ja-heisst-Ja»-Prinzip gesetzlich zu verankern.

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Anfang 2022 trat die katholische Kirche der Schweiz ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Wie die Medien berichteten, entschieden die drei höchsten Institutionen der Schweizer katholischen Kirche – die Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RZK) und die Konferenz der Vereinigung der Orden und weiterer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens (Kovos) – im Frühling 2022, der Universität Zürich in Form eines Pilotprojektes einen Forschungsauftrag zu erteilen, mit dem die sexuellen Missbräuche innerhalb der schweizerischen katholischen Kirche seit 1950 wissenschaftlich untersucht werden sollen. Dabei sollen insbesondere die Strukturen, die halfen, die sexuellen Missbräuche zu verdecken, untersucht werden. Die sechs Forschenden, welche die Studie durchführen sollten, erhielten zu diesem Zweck uneingeschränkten Zugriff auf die geheimen Archive der katholischen Kirche der Schweiz. Die drei Organisationen verpflichteten sich zudem, keinen Einfluss auf die Forschung auszuüben. Dieses Pilotprojekt solle im Herbst 2023 zu einem Ende kommen und die Ergebnisse veröffentlicht werden. Wie ernst es die katholische Kirche wirklich meine und wie unbeschränkt der Zugriff auf alle Archive wirklich sei, müsse noch unter Beweis gestellt werden, war in den Medien zu lesen. Eine treibende Kraft hinter diesem Projekt zur Aufarbeitung war gemäss der Presse der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain: «[...] bei gravierenden Fehlverhalten und schweren Verbrechen kann man die Vergangenheit nicht einfach ruhen lassen», zitierte ihn die NZZ.
Opferorganisationen wie die Interessengemeinschaft für Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld äusserten sich zufrieden darüber, dass endlich etwas getan werde. Jedoch zeigten sie sich gegenüber den Medien auch irritiert darüber, dass es sich im Moment lediglich um ein Pilotprojekt handle. Die Historikerinnen der Universität Zürich zeigten sich in den Medien hingegen überzeugt davon, dass dies nur der erste Schritt sei. «[D]ie Kirchenvertreter [würden sich] nicht der Illusion hingeben, mit dem Pilotprojekt sei es getan», zitierte erneut die NZZ. Andere Stimmen, die in den Medien zu Wort kamen, fürchteten hingegen durchaus, dass die katholische Kirche diese Studie nutzen könnte, um mit der Aufarbeitung der Vergangenheit einen Schlussstrich zu ziehen – obwohl bekannt sei, dass es auch heute noch zu Missbrauch komme.

Mit Bekanntwerden des Pilotprojektes versuchten Schweizer Medien einen Einblick in die seit längerem bekannte Problematik innerhalb der katholischen Kirche zu geben. Dabei wurde etwa berichtet, dass 2017 ein Kapuzinerpater aus der Westschweiz aus seinem Orden ausgeschlossen worden sei, weil sein jahrzehntelanger sexueller Missbrauch Dutzender von Knaben ans Tageslicht gekommen war. Dass die katholische Kirche geübt zu sein scheine, Missbräuche und das Tabuthema Sexualität unter den Teppich zu kehren, zeige auch der Umstand, dass der Vatikan erst vor Kurzem eine Studie zugänglich gemacht habe, welche seit den 1950er Jahren unter Verschluss gehalten worden war. Der Schweizer Missionspater Jakob Crottogini hatte sich damals mit der Frage beschäftigt, inwiefern die eigene Sexualität die Teilnehmer der Priesterausbildung beschäftigte. Die Studie zeigte, dass die Sexualität für viele Teilnehmer ein Problem darstellte: Über 58 Prozent der Befragten gaben an, dass sie die Ehelosigkeit als schwer bis sehr schwer empfinden würden. Viele gaben weiter an, dass sie zu wenig Aufklärung erfahren hätten und unter «unkeuschen» Phantasien leiden würden. Der Verdacht liege nahe – so das Urteil der Medien –, dass viele Missbrauchsfälle hätten verhindert werden können, wären Schriften wie diese nicht vom Vatikan zensiert worden. Welches Ausmass der Missbrauch in der Schweiz tatsächlich habe, sei nur schwer einschätzbar. Eine Studie aus Frankreich lasse aber Schlimmes erahnen. Laut NZZ habe diese aufgedeckt, dass zwischen 1950 und 2020 insgesamt 330'00 Personen allein innerhalb der katholischen Kirche Opfer sexueller Gewalt geworden seien. Dies entspricht über 4'700 Personen pro Jahr, also fast 13 Personen pro Tag.
Dabei sei es nicht so, dass die katholische Kirche der Schweiz überhaupt keine Massnahmen ergriffen hätte, um dem Missbrauch entgegenzuwirken – so die NZZ weiter. Die Bischofskonferenz habe etwa 2002 das Fachgremium «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» gegründet. 2010 wurden interne Anlaufstellen für die Opfer geschaffen und die Bischöfe entschuldigten sich dann erstmals offiziell bei ihnen. Gemäss der Bischofskonferenz seien seither über diese katholische Anlaufstelle 380 Übergriffe gemeldet worden – Expertinnen und Experten würden gemäss NZZ aber von einer enormen Dunkelziffer ausgehen, da es unwahrscheinlich sei, dass sich Opfer solcher Taten, die innerhalb der katholischen Kirche geschahen, bei einer kircheninternen Stelle melden würden. 2014 habe die Bischofskonferenz ausserdem das kanonische Recht so angepasst, dass sexueller Missbrauch an Minderjährigen in jedem Fall an die Justiz weitergeleitet werden müsse – dies gilt jedoch nur bei schwerem Missbrauch wie Vergewaltigung und nicht bei Missbrauch an Erwachsenen. Letztere Fälle würden nach wie vor mehrheitlich intern geregelt. 2016 wurde dann auch eine «Genugtuungskommission» eingesetzt und ein Entschädigungsfond für verjährte Fälle geschaffen.

Archivöffnung der katholischen Kirche zur Untersuchung sexuellen Missbrauchs

Im Zuge der Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit sexuellem Missbrauch in den eigenen Reihen legte das Bistum Chur Anfang April 2022 einen neuen Verhaltenskodex vor. Dieser solle für alle Mitarbeitenden, Seelsorgenden und Führungspersonen inklusive dem Bischof Joseph Maria Bonnemain verbindlich sein und sei das «Herzstück der Prävention von spirituellem und sexuellem Missbrauch». Der Kodex beinhalte konkrete Richtlinien und Standards, wie mit der eigenen Machtposition umzugehen sei.
Damit könne der erste Schritt in Richtung «Kritisierbarkeit von Machtpositionen» sowie zur Transparenz innerhalb der katholischen Kirche getan werden, schrieb das Churer Bistum auf seiner Webseite. Der Kodex wurde von allen sieben bistümlichen Landeskirchen der Kantone Graubünden, Zürich, Schwyz, Uri, Nidwalden, Obwalden und Glarus sowie vom Churer Bischof Bonnemain selbst unterzeichnet.
Der Kodex wurde in der Folge innerhalb der katholischen Kirche heftig kritisiert. So wollten etwa 43 Geistliche des als konservativ geltenden Churer Priesterkreises den Kodex nicht unterschreiben. Zwar erachteten sie 95 Prozent des Inhalts als selbstverständlich und richtig, jedoch gebe es Passagen, bei denen der Kodex «mehrfach die Lehre und Disziplin der Katholischen Kirche» verletze, berichteten die Medien. Konkret ging es dabei etwa um den Umgang mit Homosexualität: Die Priester befürchteten, dass sie mit den diesbezüglichen Regeln des Kodex entgegen ihren Überzeugungen nicht mehr predigen dürften, dass Homosexualität nicht in Ordnung sei. Zudem müsse einer Person gemäss Kodex nach einem Outing unterstützend zur Seite gestanden werden, was die Kritiker ihrer Ansicht nach in einen Gewissenskonflikt zwischen ihrem Bischof und ihrem Verständnis der katholischen Glaubenslehre bringen würde. Die betroffenen Priester forderten darum den Bischof dazu auf, seine Unterschrift zurückzuziehen und die Umsetzung auf Eis zu legen. Weiter solle eine spezielle Kommission bestehend aus Priestern, Diakonen und pastoralen Mitarbeitenden eingesetzt werden, welche den Kodex in Einklang mit der katholischen Lehre bringen solle.
Der Bischof lehnte diese Forderung jedoch ab. Er erachtete es als möglich, die kritisierten Passagen des Kodex so auszulegen, dass sie mit der Lehre einhergehen, berichteten die Medien. Auch zwei Gespräche zwischen den Kritikern und Bischof Bonnemain brachten keine Lösung in dieser Streitfrage, beide Parteien bestanden weiterhin auf ihren Forderungen. Dieser Widerstand könnte gemäss Medien durchaus Konsequenzen für die Priester haben, zumal eine Verweigerung der Unterschrift eine Kündigung nach sich ziehen könne. Dies sei gemäss Arbeitsrecht jedoch problematisch, erklärte Arbeitsrechtsspezialistin Isabelle Wildhaber gegenüber der NZZ: Da die Priester dem Grossteil des Kodex unter Vorbehalt zustimmten, würde eine Kündigung wohl das Verhältnismässigkeitsprinzip verletzen.

Verhaltenskodex Bischofstum Chur

Weil die parlamentarische Behandlung des Entwurfs zur Revision des Sexualstrafrechts noch hängig war, verlängerte der Nationalrat die Behandlungsfrist der parlamentarischen Initiative Abate (fdp, TI) zur Erhöhung des Strafmasses bei sexuellen Handlungen mit Kindern in der Frühjahrssession 2022 abermals. Er folgte stillschweigend dem Antrag seiner Rechtskommission, die eine Umsetzung der Initiative im Rahmen der grösseren Vorlage anstrebte.

Höheres Strafmass für sexuelle Handlungen mit Kindern (Pa.Iv. 03.424)
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Mittels einer Motion forderte Nationalrätin Yvonne Feri (sp, AG), dass alle Formen der sexuellen Belästigung von Kindern – insbesondere auch schriftlich und im Internet – vom Strafgesetz erfasst werden. Wenn das Opfer unter 16 Jahre alt ist, soll die Tat zudem neu von Amtes wegen und nicht mehr nur auf Antrag verfolgt werden. Bundesrätin Karin Keller-Sutter wies darauf hin, dass eine Revision des entsprechenden Artikels 198 StGB mit der Revision des Sexualstrafrechts im Parlament hängig sei und bat um Ablehnung der Motion. Mit einer knappen Mehrheit aus Mitgliedern der SP-, Mitte- und Grünen-Fraktion von 93 zu 89 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) nahm der Nationalrat die Motion im März 2022 dennoch an.

Zwingend nötige Anpassung des Straftatbestands der sexuellen Belästigung von Kindern (Mo. 20.3690)

Im Februar 2022 präsentierte die RK-SR ihren Entwurf zur Revision des Sexualstrafrechts. Sie verzichtete darin auf den in der Vernehmlassung heftig kritisierten neuen Tatbestand des sexuellen Übergriffs und schlug stattdessen die Integration desselben in die bestehenden Artikel 189 (sexuelle Nötigung) und 190 StGB (Vergewaltigung) vor. Künftig sollen von den Artikeln 189 und 190 alle sexuellen Handlungen erfasst werden, die vorsätzlich oder eventualvorsätzlich gegen den Willen des Opfers vorgenommen werden. Eine Form der Nötigung – wie sie bis anhin vorausgesetzt wurde – wird nicht mehr verlangt. Ist eine Nötigung im Spiel, soll es sich fortan um eine qualifizierte Form der Tatbegehung handeln, für die eine höhere Mindeststrafe vorgesehen ist als für den Grundtatbestand. Neu soll der Tatbestand der Vergewaltigung überdies geschlechtsneutral formuliert werden, sodass nicht mehr nur Frauen betroffen sein können.
Fest hielt die Kommission indessen an der ebenfalls heftig umstrittenen Widerspruchslösung («Nein heisst Nein»), die vorsieht, dass sich die Täterin oder der Täter über den entgegenstehenden Willen des Opfers hinwegsetzen muss. Eine Minderheit (9 zu 4 Stimmen) sprach sich demgegenüber für die Zustimmungslösung («Nur Ja heisst Ja») aus, bei der nicht der entgegenstehende Wille, sondern die fehlende Einwilligung des Opfers massgebend wäre. Gegenüber dem «Corriere del Ticino» bedauerte Amnesty International diesen Entscheid der RK-SR: Die Kommissionsmehrheit habe eine wichtige Gelegenheit verpasst, um die sexuelle Selbstbestimmung umfassend zu schützen. Mit der Widerspruchslösung werde weiterhin eine Mitverantwortung auf das Opfer geschoben, indem erwartet werde, dass es einen Widerspruch äussere, kritisierte die Menschenrechtsorganisation weiter. Die NZZ kommentierte unterdessen, die Zustimmungslösung wäre rechtlich zwar nicht mit einer Beweislastumkehr verbunden, würde gesellschaftlich aber wohl eine ähnliche Wirkung entfalten: Durch übersteigerte Erwartungen erhöhte sie den öffentlichen Druck auf die Gerichte, Sexualstraftäterinnen und -täter hinter Gitter zu bringen, sodass «über kurz oder lang auch das ‹Im-Zweifel-für-den-Angeklagten›-Prinzip unter Druck» geriete.
Des Weiteren sprach sich die Kommission dafür aus, für bestimmte Tathandlungen mit Kindern unter 12 Jahren neu eine einjährige Mindeststrafe vorzusehen. Ein zusätzlicher, neuer Tatbestand soll sexuelle Übergriffe im Gesundheitsbereich erfassen, bei denen das Opfer unter Vorgabe einer medizinischen Indikation über den sexuellen Charakter einer Handlung getäuscht wird. Der Pornografietatbestand soll dahingehend angepasst werden, dass sexuelle Handlungen mit Gewalttätigkeiten unter Erwachsenen künftig nicht mehr erfasst werden. Ebenso wenig sollen sich fortan minderjährige Jugendliche strafbar machen, wenn sie einvernehmlich von sich selbst pornografische Bilder oder Videos herstellen, besitzen oder konsumieren. Zudem umfasst der Entwurf einen neuen Tatbestand für sogenannte Rachepornografie, der das unbefugte Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten unter Strafe stellt. Indes verzichtete die Kommission nun auf den im Vorentwurf noch enthaltenen Tatbestand des «Groomings», also des gezielten Anbahnens sexueller Kontakte mit Minderjährigen bzw. der Planung eines sexuellen Missbrauchs. Da der versuchte sexuelle Missbrauch bereits heute strafbar sei, würde dieser Tatbestand auch den «Versuch des Versuchs» unter Strafe stellen, was nach Ansicht der Kommission zu weit ginge.

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Die RK-NR beantragte im November 2021 ihrem Rat einstimmig, die Behandlungsfrist für die von Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) übernommene parlamentarische Initiative Amherd (damals cvp, VS) mit der Forderung, Cybergrooming mit Minderjährigen unter Strafe zu stellen, zu verlängern. Ihren Antrag begründete die Kommission damit, dass ihre Schwesterkommission das Anliegen im Rahmen der Revision des Sexualstrafrechts berücksichtige und eine entsprechende Bestimmung in ihre Vernehmlassungsvorlage aufgenommen habe. Der Nationalrat stimmte der Fristverlängerung um zwei Jahre in der Wintersession 2021 stillschweigend zu.

Cybergrooming mit Minderjährigen endlich unter Strafe stellen (Pa.Iv. 18.434)

Im November 2020 äusserte der Kanton Genf mittels Standesinitiative die Forderung, eine Revision des Sexualstrafrechts vorzunehmen. Konkret müssten die Bestimmungen des Sexualstrafrechts so geändert werden, dass die Verletzung der sexuellen Integrität bereits beim fehlenden Einverständnis ansetze, die beiden Tatbestandsmerkmale der Gewalt und Drohung gestrichen und ein Straftatbestand der sexuellen Belästigung geschaffen werde. Die strafrechtliche Ahndung sexueller Gewalt und Belästigung sei ein öffentliches Interesse und dürfe nicht vernachlässigt werden, damit solches Verhalten nicht ungestraft bleibe. Obschon die Schweiz 2018 mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention den richtigen Weg eingeschlagen habe, setze das Schweizer Strafrecht – anders als in der Konvention vorgesehen – noch immer das Tatbestandsmerkmal der Unfähigkeit zum Widerstand voraus. Dies führe dazu, dass von den 22 Prozent der Frauen, welche in ihrem Leben bereits Opfer von Eingriffen in die sexuelle Integrität geworden seien, dies nur 8 Prozent der Polizei meldeten. Ein nicht vorliegendes Einverständnis müsse zur Erfüllung dieses Tatbestands allerdings ausreichen, so der Kanton.
Die RK-SR beantragte ihrem Rat im November 2021 einstimmig, der Standesinitiative keine Folge zu geben. In ihrem Bericht begründete sie dies damit, dass sie auf Basis der abgeschlossenen Vernehmlassung zur Sexualstrafrechtsrevision bereits einen Entwurf ausarbeite und es als wenig sinnvoll erachte, parallel noch weitere Anpassungen in diesem Bereich vorzunehmen. Kommissionssprecher Beat Rieder (mitte, VS) fügte im Ratsplenum an, dass das Anliegen sicherlich in der zu erwartenden kontroversen Debatte über die Revision des Sexualstrafrechts zur Diskussion kommen werde. Die Kantonskammer folgte dem Antrag ihrer Kommission stillschweigend und gab der Standesinitiative in der Wintersession 2021 keine Folge.

Revision der strafrechtlichen Bestimmungen über die Verletzung der sexuellen Integrität (Kt.Iv. 20.339)

Dans la foulée des révélations de harcèlement au sein de la RTS, des soupçons d'affaires similaires avaient été mis en lumière à la radio télévision de la Suisse italienne (RSI). 39 cas avaient été signalés au syndicat suisse des mass media (SSM). Des enquêtes ont été menées et cinq cas d'atteinte à la personnalité ont été prouvés. En revanche, le rapport externe ne conclut pas à l'existence de harcèlement sexuel ou de mobbing, ni à une action systématique de la société.

Affaires de harcèlement à la SSR
Dossier: Belästigungsvorwürfe bei den Medien

Der ehemalige Nationalrat Yannick Buttet (cvp/pdc, VS) wurde im November 2021 der sexuellen Belästigung schuldig gesprochen und zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Die Strafanzeige gegen Buttet war im September 2020 von der Walliser Lokalpolitikerin Laude-Camille Chanton (VS, fdp/plr) eingereicht worden, woraufhin Buttet von einer erneuten Kandidatur als Gemeindepräsident seiner Gemeinde Collombey-Muraz absah.
Bereits im August 2018 war Buttet in einem anderen Fall wegen Nötigung und unrechtmässiger Aneignung verurteilt worden. Das Bekanntwerden jenes Falls hatte zur «Buttet-Affäre» und zu seinem Rücktritt aus dem Nationalrat sowie aus dem Vizepräsidium der CVP Schweiz geführt; an seinem Amt als Gemeindepräsident hatte er damals indessen noch festgehalten.

Erneuter Schuldspruch gegen Buttet

Im Herbst 2021 widersprach die RK-SR ihrer Schwesterkommission und gab der 2019 eingereichten parlamentarischen Initiative von Fabio Regazzi (heute mitte, TI) für eine wirksame Bekämpfung der Pädokriminalität im Internet keine Folge. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Nationalrat das Anliegen der Initiative bereits im Rahmen der StPO-Revision diskutiert und einem einschlägigen Einzelantrag Regazzi stattgegeben. Die Schaffung des Netzwerks digitale Ermittlungsunterstützung Internetkriminalität (NEDIK) durch Bund und Kantone habe zu einer besseren Vernetzung aller involvierten Stellen geführt, führte die RK-SR in ihrer Medienmitteilung aus. Durch diese optimierte Zusammenarbeit erfolge die Bekämpfung der Cyberkriminalität schon heute koordinierter und effizienter, weshalb sie eine Verschiebung der Kompetenzen als wenig sinnvoll erachte. Ausserdem liege die präventive polizeiliche Vorermittlung in der Kompetenz der Kantone und sei somit keine Frage der Strafprozessordnung auf Bundesebene. In diesem Sinne betrachtete die Kommission die von der grossen Kammer in die StPO aufgenommene Umsetzung des Anliegens als «systematisch falsch».

Pädokriminalität im Internet endlich wirksam bekämpfen (Pa.Iv. 19.486)

Durch die Digitalisierung und den damit einhergehenden vielfältigen Einsatz der digitalen Mittel verbreite sich die pädosexuelle Gewalt im Internet zunehmend und vervielfache dadurch das Leid von Kindern und Jugendlichen, begründete Christine Bulliard-Marbach (mitte, FR) ihre im September 2019 eingereichte Motion. In Anbetracht dieser Entwicklungen wollte der Nationalrat mit der Annahme der Motion den Bundesrat beauftragen, einen nationalen Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor pädosexueller Cyberkriminalität auszuarbeiten. Es reiche unter diesen Umständen nicht mehr aus, bei der Bekämpfung der Pädokriminalität nur auf die Strafverfolgung zu setzen, wie dies gegenwärtig unter der Kompetenz der Kantone getan werde, argumentierte die Motionärin. Vielmehr müsse künftig auch auf die Sensibilisierung und die Prävention gesetzt werden, was schweizweit nur durch einen nationalen Aktionsplan gewährleistet werden könne. Im Namen des Bundesrats widersprach Justizministerin Karin Keller-Sutter: Seit Beginn des Jahres bestehe das «Netzwerk Ermittlungsunterstützung für die digitale Kriminalitätsbekämpfung» (Nedik), durch das die Kantone unterstützt und ihre Bemühungen koordiniert werden könnten. Folglich erübrige sich das Anliegen der Motion aus Sicht des Bundesrats. Dennoch nahm die grosse Kammer die Motion in der Herbstsession 2021 mit 153 zu 40 Stimmen bei einer Enthaltung an.

Endlich den Schutz von Kindern vor der rasant ansteigenden pädosexuellen Gewalt im Internet mit einem griffigen nationalen Aktionsplan gewährleisten (Mo. 19.4349)

Mit derselben Begründung wie ein Jahr zuvor der Ständerat lehnte in der Herbstsession 2021 auch der Nationalrat die Tessiner Standesinitiative für die Erhöhung des Strafmasses bei Delikten gegen die sexuelle Integrität ab: Der betreffende Strafrahmen sei im Zuge der laufenden Revision des Sexualstrafrechts zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen. Eine SVP-Minderheit beantragte Folgegeben, um ein «deutliches Zeichen» für den Schutz vor sexuellen Übergriffen zu setzen, wie Andrea Geissbühler (svp, BE) ausführte, unterlag mit 123 zu 55 Stimmen bei 2 Enthaltungen aber deutlich. Die Initiative war damit erledigt.

Erhöhung des Strafmasses für Straftaten im Zweiten Buch, Fünften Titel des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Kt.Iv. 19.301)