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Jahresrückblick 2023: Aussenpolitik

Die schweizerische Aussenpolitik war im Jahr 2023 stark von der Reaktion auf internationale Konflikte und Krisen geprägt, wobei der mediale und politische Fokus auf dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine lag. Auch im Jahr 2023 übernahm der Bundesrat Sanktionen der EU gegen Russland, insbesondere Dienstleistungsverbote gegen Unternehmen oder die russische Regierung, Kontrollen und Beschränkungen für die Ausfuhr von Dual-Use-Gütern sowie Finanzsanktionen und Reisebeschränkungen gegen einzelne Personen. Die Medien berichteten zwar auch 2023 häufig über die Sanktionen, jedoch nicht mehr im selben Ausmass wie 2022 (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse). Die Abbildung zeigt auch, dass sich die Medien intensiv mit der Neutralität der Schweiz auseinandersetzten. Diese wurde insbesondere in Zusammenhang mit der Wiederausfuhr von Kriegsmaterial diskutiert, aber auch bezüglich finanzieller und humanitärer Hilfen, beispielsweise in Form von Ambulanzfahrzeugen. Im Juni fand in London die zweite «Ukraine Recovery Conference» statt. Bei dieser Gelegenheit betonte Aussenminister Ignazio Cassis, dass die Schweiz beim Wiederaufbau der Ukraine insbesondere auf die Bereiche Diplomatie, Wirtschaft und Good Governance fokussiere. Mit dem Wiederaufbau beschäftigte sich auch der Nationalrat; dieser bekräftigte durch Annahme fünf gleichlautender Motionen seinen Willen, dass durch Sanktionen eingefrorene staatliche und staatsnahe Vermögenswerte Russlands zum Wiederaufbau in der Ukraine verwendet werden sollen. Ob der Ständerat dieser Forderung ebenfalls zustimmt, blieb im Berichtsjahr noch offen.

Ab Herbst 2023 prägte ein weiterer Konflikt die schweizerische Aussenpolitik. Anfang Oktober eskalierte der seit Jahrzehnten schwelende Nahostkonflikt mit einem Überfall der Hamas auf israelisches Gebiet. Der Bundesrat reagierte auf den Angriff, indem er zur sofortigen Freilassung der Geiseln aufrief und die Einstufung der Hamas als terroristische Organisation befürwortete. Er berief eine Taskforce ein, um rechtliche Optionen für ein Verbot der Organisation zu prüfen. Bis Ende Februar 2024 will er einen entsprechenden Entwurf erarbeiten. National- und Ständerat stützten diesen Entscheid in der Wintersession, in dem sie Motionen ihrer Sicherheitspolitischen Kommissionen mit der Forderung nach einem Verbot der Hamas annahmen.

Eine grosse humanitäre Krise wurde im Februar auch durch ein starkes Erdbeben in der Grenzregion Türkei/Syrien hervorgerufen. Die Folgen des Erdbebens lösten in der Schweiz eine grosse Welle der Solidarität aus; in privaten Aktionen wurden Sachspenden für die Betroffenen gesammelt. Auch die offizielle Schweiz engagierte sich, indem die Abteilung für Humanitäre Hilfe der DEZA die Schweizer Rettungskette mit 80 Expertinnen und Experten sowie acht Suchhunden in das Gebiet schickte. Die Medien berichteten ausführlich über diese Katastrophe und ihre Auswirkungen, was sich in einem Peak bei der Berichterstattung zur humanitären Hilfe zeigt (vgl. Abbildung 1).

Die Beziehungen der Schweiz zur EU bildeten auch im Jahr 2023 einen Schwerpunkt der Schweizer Aussenpolitik, wobei das Dossier wieder etwas an Fahrt aufnahm. Anfang Juni publizierte der Bundesrat die lange erwartete Lagebeurteilung zu den Beziehungen mit der EU, welche vier mögliche zukünftige Handlungsoptionen umfasste, von denen der Bundesrat die Fortsetzung des bilateralen Weges präferierte. Ende Juni verabschiedete er sodann die Eckwerte für ein neues Verhandlungsmandat mit der EU. Nach Abschluss der Sondierungsgespräche mit Brüssel und der Gespräche mit Kantonen, Sozialpartnern und Wirtschaftskreisen legte der Bundesrat Ende Jahr seinen Entwurf für ein neues Mandat mit den Leitlinien für die Verhandlungen vor. Dieser beinhaltete den Abschluss neuer Abkommen in den Bereichen Strom, Lebensmittelsicherheit und Zusammenarbeit im Gesundheitswesen sowie die Teilnahme der Schweiz an Horizon Europe und weiteren EU-Programmen. Es umfasste auch die Aufnahme institutioneller Lösungen für die bestehenden Marktzugangsabkommen, etwa zur Streitbeilegung mittels paritätischem Schiedsgericht, sowie von Regeln für staatliche Beihilfen und der regelmässigen Zahlung der Schweiz an ausgewählte EU-Mitgliedsstaaten. Zum Chefunterhändler wurde der Leiter der Abteilung Europa des EDA, Patric Franzen, ernannt, zuvor hatte Alexandre Fasel die abtretende Livia Leu als Staatssekretär des EDA ersetzt. Auf der parlamentarischen Ebene entschied sich der Nationalrat im September für die Einsetzung einer ständigen Subkommission der APK-NR für Europafragen. Schliesslich wurde im Oktober 2023 mit der Unterschriftensammlung für die Volksinitiative «Für den wirksamen Schutz der verfassungsmässigen Rechte» begonnen, die verlangt, dass die Schweiz zukünftig keine internationalen Abkommen mehr abschliesst, die in die Grundrechte der Schweizerinnen und Schweizer eingreifen oder die Schweizer Behörden verpflichten, sich an die Rechtssprechung inter- oder supranationaler Organisationen zu halten – mit Ausnahme des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Strafgerichtshofs.

Die Schweiz nahm in den Jahren 2023 und 2024 auch das erste Mal Einsitz als nicht-ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat, wobei sie im Mai gar den Vorsitz des Sicherheitsrates übernahm. Aussenminister Ignazio Cassis und Bundespräsident Alain Berset präsidierten je eine Sitzung zu den Themen nachhaltiger Frieden respektive Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten.

Jahresrückblick 2023: Aussenpolitik
Dossier: Jahresrückblick 2023

Jahresrückblick 2023: Rechtsordnung

Das Jahr 2023 war im Bereich Rechtsordnung stark von straf- und zivilrechtlichen Fragen geprägt. Die in den vergangenen Jahren immer wieder virulent geführte Debatte über die terroristische, vor allem islamistisch motivierte, Gefährdung der Schweiz rückte angesichts des fortdauernden Kriegs in der Ukraine sowie des Kriegsausbruchs im Nahen Osten weiter in den Hintergrund. Stattdessen beschäftigten eher Cyberangriffe und die Angst vor russischer Spionage die Schweizer Sicherheitspolitik. (Für Cybersicherheit vgl. Jahresrückblick zur Landesverteidigung.)

Zudem nahm der Diskurs um Grund- und Menschenrechte in der Öffentlichkeit wieder mehr Raum ein, angetrieben unter anderem vom zunehmenden Augenmerk auf den Antisemitismus infolge des Nahostkonflikts (vgl. Jahresrückblick zu Kultur, Kirchen und religionspolitische Fragen sowie Jahresrückblick zur Aussenpolitik). Nach dem Angriff der Hamas Anfang Oktober kam es in den grossen Schweizer Städten zu Kundgebungen mit antiisraelischen Parolen, worauf in der Öffentlichkeit debattiert wurde, inwiefern an propalästinensischen Friedenskundgebungen antisemitisches und rechtsextremes Gedankengut verbreitet werde. Aus Sorge vor einer gewaltsamen Eskalation verhängte die Stadt Bern bis Weihnachten ein Demonstrationsverbot, was wiederum zu Protesten aufgrund der Grundrechtseinschränkung führte. In der Medienberichterstattung spiegelte sich diese Entwicklung in einem Anstieg in den Themenbereichen «Bürgerrechte» sowie «innere Konflikte und Krisen» gegen Ende Jahr wider (vgl. Abb. 1 der APS-Zeitungsanalyse). Auch über das ganze Jahr gesehen vereinnahmten diese beiden Themen einen höheren Anteil der Zeitungsberichterstattung als im Vorjahr (vgl. Abb. 2). Die gestiegene Sensibilität für die Antisemitismus-Thematik zeigte sich ebenso im Parlament, das im Laufe des Jahres eine Handvoll Vorstösse für ein Verbot von Nazisymbolen in der Öffentlichkeit behandelte und diese Forderung im Grundsatz unterstützte. Als «historischen Moment» bezeichnete der Bundesrat die Gründung der Nationalen Menschenrechtsinstitution im Mai 2023, das Resultat eines zwanzigjährigen Prozesses zur Förderung der Menschenrechte in der Schweiz.

Unter anderem von Menschenrechts- und Frauenorganisationen gefeiert wurde die Verabschiedung des revidierten Sexualstrafrechts durch die beiden Räte. Begleitet von einer lebhaften gesellschaftlichen Debatte rangen die Räte bei der Revision des Sexualstrafrechts insbesondere um eine neue, zeitgemässe Definition von Vergewaltigung, die sie letztlich in der sogenannten erweiterten Widerspruchslösung fanden. Damit sind sexuelle Handlungen künftig strafbar, wenn sie gegen den Willen – aber im Unterschied zur Zustimmungslösung nicht «ohne Einwilligung» – einer Person vorgenommen werden oder wenn ein Schockzustand für sexuelle Handlungen ausgenutzt wird. Dass das Opfer nachweisbar zur sexuellen Handlung genötigt wurde, ist mit der neuen Regelung indes nicht mehr erforderlich. Im Unterschied zum alten Recht, wonach nur Frauen Opfer einer Vergewaltigung sein konnten, spielt das Geschlecht des Opfers im revidierten Sexualstrafrecht keine Rolle mehr. Mit Verabschiedung der Sexualstrafrechtsrevision brachten die eidgenössischen Räte im Sommer 2023 eines der grössten Gesetzgebungsprojekte der 51. Legislatur zum Abschluss: die unter dem Titel «Harmonisierung der Strafrahmen» durchgeführte Revision des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches (BT). Ziel der Strafrahmenharmonisierung war es, die aus den 1940er-Jahren stammenden Strafen mit den heutigen Werthaltungen in Einklang zu bringen und deren Verhältnis zueinander neu auszuloten. Noch während das Sexualstrafrecht zu Ende debattiert wurde, traten die ersten beiden Vorlagen des BT-Revisionsprojekts, die in erster Linie die Strafen für Gewaltdelikte erhöhten, am 1. Juli 2023 bereits in Kraft.

Als weiteres Grossprojekt schloss das Parlament im Frühling 2023 die Revision der Zivilprozessordnung ab. Mit einer Vielzahl punktueller Anpassungen sollten festgestellte Schwachstellen der 2011 in Kraft getretenen Zivilprozessordnung ausgebessert und insgesamt deren Praxistauglichkeit verbessert werden. Ein von der Einigungskonferenz vorgeschlagener Kompromissvorschlag wurde schliesslich in beiden Räten breit mitgetragen. Nachdem im Sommer auch die Referendumsfrist ungenutzt verstrichen ist, wird das revidierte Zivilprozessrecht planmässig am 1. Januar 2025 in Kraft treten können.

Weiter stand 2023 im Zivilrecht das Erbrecht auf der politischen Agenda. Mit der Überarbeitung des sechsten Kapitels des IPRG über das internationale Erbrecht sollten Kompetenzkonflikte mit ausländischen Behörden minimiert und sich widersprechende Entscheidungen in internationalen Erbrechtsfällen verhindert werden. Zwischen den Kammern entbrannte ein erbitterter Streit über einige Punkte, so etwa um die Frage, ob Schweizer Doppelbürgerinnen und -bürger wählen können sollen, dem Recht welches ihrer Heimatstaaten sie ihren Nachlass unterstellen wollen. Nach erfolgreicher Kompromissfindung konnte die Vorlage in der Wintersession 2023 schliesslich verabschiedet werden. Im Hinblick auf das innerstaatliche Erbrecht trat am 1. Januar 2023 die erste Etappe der laufenden Erbrechtsrevision in Kraft, die in erster Linie die Pflichtteile reduzierte und damit die Verfügungsfreiheit der Erblasserinnen und Erblasser erhöhte. Die zweite Etappe zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge kam im Sommer 2023 ins Parlament, wobei der Ständerat im Unterschied zum Nationalrat nicht auf den Entwurf eintreten wollte.

Darüber hinaus trieben Bundesrat und Parlament 2023 die Digitalisierung in der Justiz voran. Mit der Verabschiedung des Bundesgesetzes über die Digitalisierung im Notariat ebneten die eidgenössischen Räte den Weg für die elektronische Ausfertigung von Urkunden und Beglaubigungen. Damit muss das Originaldokument künftig nicht mehr in Papierform erstellt werden. Zur sicheren Aufbewahrung der elektronischen Originaldokumente wird ein nationales Urkundenregister geschaffen. Um den elektronischen Rechtsverkehr generell zu ermöglichen, war im Parlament zudem das Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz hängig, wo es vom Erstrat positiv aufgenommen wurde.

Nach der grossen gesellschaftlichen Kontroverse um das Verbot zur Verhüllung des Gesichts, die rund um die 2021 angenommene Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» ausgefochten worden war, ging die Umsetzung der Initiative geradezu ereignisarm vonstatten. Beide Parlamentskammern verabschiedeten den Entwurf zum Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot unverändert und mit grossen Mehrheiten. Auch in der Gesellschaft war kein grösserer Widerstand mehr vernehmbar, sodass die im Januar 2024 endende Referendumsfrist wohl ungenutzt verstreichen wird.

Für neue Kontroversen sorgen dürfte hingegen die im Mai 2023 lancierte Volksinitiative «für ein modernes Bürgerrecht». Die sogenannte Demokratie-Initiative fordert, dass Ausländerinnen und Ausländer schweizweit Anspruch auf Einbürgerung haben, wenn sie sich seit fünf Jahren rechtmässig in der Schweiz aufhalten, zu keiner längeren Freiheitsstrafe verurteilt wurden und über Grundkenntnisse einer Landessprache verfügen. Die hinter der Initiative stehende «Aktion Vierviertel» sieht in der tiefen Einbürgerungsquote ein Demokratiedefizit, weil rund ein Viertel der zur Schweizer Gesellschaft gehörenden Menschen politisch nicht mitbestimmen darf.

Jahresrückblick 2023: Rechtsordnung
Dossier: Jahresrückblick 2023

Im Oktober 2023 reichte die RK-SR ein Postulat zur Prüfung einer Kronzeugenregelung ein. In einem Bericht solle der Bundesrat darlegen, welche Vor- und Nachteile die Einführung einer Kronzeugenregelung im Schweizer Straf- und Strafprozessrecht mit sich brächte. Insbesondere solle er dabei die internationale Erfahrung mit solchen Rechtssystemen berücksichtigen. Wie Kommissionssprecher Jositsch (sp, ZH) erläuterte, resultiere dieses Postulat aus einer Anhörung der Bundesanwaltschaft, welche dargelegt habe, dass sie ohne eine Kronzeugenregelung ausserordentliche Schwierigkeiten habe, Ermittlungen gegen die organisierte Kriminalität und Terrorismus durchzuführen. Über die definitive Einführung einer Kronzeugenregelung könne zu einem späteren Zeitpunkt befunden werden, führte Jositsch weiter aus und betonte, dass er persönlich einer solchen bislang immer äusserst kritisch gegenübergestanden habe. Der Bundesrat verwies in seiner Stellungnahme auf die 2017 abgelehnte Motion Janiak (sp, BL; Mo. 16.3735) und argumentierte analog zu damals, dass die Kronzeugenregelung dem schweizerischen Rechtsstaatsprinzip widerspreche und auch ein Bericht keine weitere Klärung diesbezüglich brächte. Er beantragte daher die Ablehnung der Motion. Mit den gleichen Bedenken äusserten sich im Plenum Beat Rieder (mitte, VS) und Céline Vara (gp, NE) – beide ebenfalls Mitglieder der Rechtskommission –, welche zusätzlich die Übernahme von Rechtspraktiken aus dem angelsächsischen Raum als kritisch betrachteten und unterdessen zum Schluss gelangt waren, das Postulat seie aus diesen Gründen abzulehnen. Der Ständerat folgte jedoch dem Antrag seiner Kommission und überwies das Postulat in der Wintersession 2023 mit 22 zu 16 Stimmen.

Prüfung einer Kronzeugenregelung (Po. 23.4317)

Der Nationalrat widmete sich in der Wintersession 2023 dem Umgang der Schweiz mit der Hamas. Er diskutierte dabei zuerst die Motion 23.4312 betreffend das Verbot der Hamas. Die Rednerinnen und Redner verurteilten allesamt den Terror der Hamas gegenüber Israel. Der Rat und Bundesrätin Baume-Schneider waren sich einig, dass die Hamas verboten und die Motion angenommen werden soll. Es gab einzig noch einige Rückfragen zum Verfahren respektive, ob eine Vernehmlassung zu diesem Verbots-Gesetz nötig sei oder nicht. Die Justizministerin betonte, dass dem Bundesrat eine tiefgreifende Debatte und eine breite Unterstützung für das Gesetz wichtig sei, weshalb er am ordentlichen Vernehmlassungsverfahren festhalten wolle. Anschliessend wurde die Motion stillschweigend angenommen.
Einige Tage bevor die grosse Kammer diesen Vorstoss behandelte, hatte der Ständerat bereits eine identische Motion seiner Kommission angenommen, daher wurde die Motion zum Verbot der Hamas durch diesen nationalrätlichen Entscheid definitiv überwiesen.

Als nächstes Geschäft behandelte der Nationalrat das Postulat 23.4313 der SiK-NR zu Sanktionen gegenüber der Hamas. Wie Kommissionssprecher Thomas Rechsteiner (mitte, AI) erläuterte, soll der Bundesrat mit der Überweisung des Postulats angehalten werden, einige Fragen zum geplanten Verbot der Hamas sowie zu Sanktionen gegenüber dieser Organisation detailliert abzuklären. Elisabeth Baume-Schneider erläuterte seitens des Bundesrates, dass dieser das Postulat als erfüllt betrachte, da sich die beiden Räte sowie der Bundesrat nun selber bereits für ein solches Verbot ausgesprochen hatten und die Regierung damit begonnen habe, ein entsprechendes Gesetz auszuarbeiten. Die im Postulat aufgeworfenen Fragen würden im Rahmen der Botschaft zu diesem Gesetz behandelt. Der Nationalrat hielt aber an der Haltung der SiK-NR fest und nahm das Postulat einstimmig an.

Die Terrororganisation «Hamas» verbieten (Mo. 23.4312) oder mit Sanktionen belegen (Po. 23.4313)
Dossier: Hamas

Einige Tage nachdem die sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates eine Motion für ein Verbot der Hamas eingereicht hatte, forderte dies auch die SiK-SR mit einer identischen Motion.
Der Ständerat behandelte den Vorstoss in der Wintersession 2023. Kommissionssprecher Werner Salzmann (svp, BE) sowie Daniel Jositsch (sp, ZH), Mathias Zopfi (gp, GL) und Benedikt Würth (mitte, SG) verurteilten die Taten der Hamas einhellig und sprachen sich dafür aus, die Organisation zu verbieten. Carlo Sommaruga (sp, GE) prangerte die von der Hamas begangenen «actes barbares» ebenfalls an, wies in seinem Votum aber auch auf einige Punkte hin, die es seiner Ansicht nach bei einem Verbot zu beachten gebe. Er erinnerte an die Vermittlerrolle der Schweiz in zahlreichen Konflikten und befürchtete, dass die Schweiz diese Rolle im Nahost-Konflikt im Falle eines Hamas-Verbots nicht mehr wahrnehmen könne. Zudem bewirke ein Verbot in der Schweiz nicht viel, da die Finanzierung der Hamas vom Iran und Katar aus geschehe und nicht via die Schweiz. Der Genfer Ständerat thematisierte auch das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung und schloss sein Votum mit der Hoffnung, dass sich der Bundesrat weiterhin für eine Zweistaatenlösung einsetzen werde.
Anschliessend wurde die Motion stillschweigend angenommen. Da der Nationalrat die gleichlautende Motion der SiK-NR einige Tage später ebenfalls annahm, ist diese Motion nun überwiesen.

Die Terrororganisation «Hamas » verbieten (Mo. 23.4329)
Dossier: Hamas

Ende November 2023 beschloss der Bundesrat weitere Schritte in Sachen Hamas-Verbot. Er beauftragte das EJPD und das VBS, in Zusammenarbeit mit dem EDA ein spezifisches Gesetz über ein Verbot der Hamas auszuarbeiten. Damit sollen die Behörden ein Mittel erhalten, um allfälligen Aktivitäten oder der Unterstützung der Hamas in der Schweiz Einhalt zu gebieten. Des Weiteren habe der Bundesrat nach einer Analyse der Zusammenarbeit mit sämtlichen palästinensischen Partner-NGO beschlossen, die Verträge mit drei von elf Partnern nicht weiterzuführen, da bei diesen Unregelmässigkeiten hinsichtlich der Einhaltung des Verhaltenskodex und der vertraglichen Antidiskriminierungsklausel festgestellt worden seien.
Die Medien befanden, dass der Beschluss, ein Verbot auszuarbeiten, einem Paradigmenwechsel gleichkomme, da sich die Schweiz bis dahin eng an die Beschlüsse der UNO gehalten habe; in diesem Falle habe die Schweiz jedoch autonom gehandelt. Die Schweiz habe ausserdem des Öfteren den Standpunkt vertreten, dass ein solches Verbot faktisch keine Wirkung entfalten werde sowie die guten Dienste und die Vermittlerrolle der Schweiz in Frage stellen könne. Wie der Liberté entnommen werden konnte, war für Aussenminister Cassis die Schwere der Taten, die durch die Hamas ausgeführt wurden, ausschlaggebend für das Verbot. Ausserdem habe Cassis argumentiert, dass die Schweiz sich nicht mehr einfach den Entscheiden des UNO-Sicherheitsrats anschliessen könne. Dieser sei vor dem Hintergrund einer multipolaren, fragmentieren Weltordnung nicht mehr in der Lage, über solche Konflikte klar zu urteilen.

Reaktion des Bundesrates auf die Terroranschläge der Hamas gegen Israel
Dossier: Hamas

In Erfüllung eines Postulates der SiK-SR legte der Bundesrat im November 2023 einen Bericht vor, in dem er sich mit der Frage auseinandersetzte, welche strafrechtlichen, öffentlich-rechtlichen und präventiv-polizeilichen Möglichkeiten und Herausforderungen bestehen, um gegen Hassrede vorzugehen. Er kam zum Schluss, dass in der Schweiz das Strafrecht die meisten Möglichkeiten biete, um gegen Hassrede vorzugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese online oder offline stattfinde. Hassrede stelle allerdings kein im schweizerischen Recht verwendeter Begriff dar, sodass unterschiedliche Bestimmungen – Gewaltdarstellungen (Art. 135 StGB), Ehrverletzungen (Art. 173 ff. StGB), Drohung (Art. 180 StGB), Nötigung (Art. 181 StGB), Verbrechen oder Vergehen gegen den öffentlichen Frieden (Art. 258 ff. StGB), davon insb. die öffentliche Aufforderung zur Gewalt (Art. 259 StGB), sowie Diskriminierung und Aufruf zu Hass (Art. 261bis StGB) – Anwendung finden könnten. Sowohl im Straf- als auch im Zivilrecht sei die Rechtsdurchsetzung mangels Zugriff auf benötigte (digitale) Daten, welche sich oft auf Servern im Ausland befänden, allerdings schwierig.
Der Bundesrat habe im April 2023 aufgrund seines Berichts «Intermediäre und Kommunikationsplattformen: Auswirkungen auf die öffentliche Kommunikation und Ansätze einer Governance» das BAKOM beauftragt, eine Vernehmlassungsvorlage zur Regulierung von Kommunikationsplattformen auszuarbeiten. Zudem arbeite der Bundesrat aktuell an der Umsetzung der Motion 18.3592, die den Informationsaustausch unter den Polizeibehörden der Kantone und des Bundes vereinfachen soll. Verbesserungen seien zudem beim Bedrohungsmanagement angezeigt, damit Hass und Hetze besser erkannt und bekämpft werden könnten. Nicht zuletzt enthalte auch das Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele Verpflichtungen zur Errichtung von Meldesystemen, die die Verbreitung und Sichtbarkeit von Hassrede eindämmen helfen könnten. Über die im Bericht erwähnten Massnahmen hinaus sah der Bundesrat derzeit keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf.

Hassreden. Bestehen gesetzliche Lücken? (Po. 21.3450)

Der Bundesrat hielt wenige Tage nach dem Angriff der Hamas auf Israel Anfang Oktober 2023 in einer Medienmitteilung fest, dass er diese Terroranschläge der Hamas aufs Schärfste verurteile, forderte die sofortige Freilassung der festgehaltenen Geiseln und vertrat die Ansicht, dass die Hamas als terroristische Organisation eingestuft werden solle. Er schuf sodann eine bundesrätliche Taskforce, welche den Auftrag erhielt, «die rechtlichen Optionen für ein Verbot der Hamas zu prüfen». Der Bundesrat liess ausserdem verlauten, dass er keine Kenntnis davon habe, dass offizielle Schweizer Gelder der Hamas zu Gute gekommen wären. Das EDA werde jedoch präventiv eine detaillierte Analyse der entsprechenden Finanzflüsse vornehmen. Weiter wies die Regierung darauf hin, dass die Schweiz stets zur Verfügung stehe, um eine Deeskalation in der Region voranzubringen.

Reaktion des Bundesrates auf die Terroranschläge der Hamas gegen Israel
Dossier: Hamas

Die sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates reichte in Reaktion auf den im Oktober 2023 neu ausgebrochenen Konflikt im nahen Osten zwei Vorstösse ein. Mit einer Motion (23.4312) wollte sie die «Terrororganisation Hamas» verbieten lassen. In einem Postulat (23.4313) verlangte sie die Prüfung, ob die Schweiz eigenständige Sanktionen gegen die Hamas ergreifen könne. Auch solle sichergestellt werden, dass die Hamas keine finanzielle Unterstützung aus der Schweiz erhält. Im Postulatsbericht solle darüber hinaus erörtert werden, inwiefern die Schweiz im UNO-Sicherheitsrat darauf hinarbeiten könne, dass die Hamas auch von der UNO «als verbotene Gruppierung qualifiziert wird».
Die SiK-NR begründete die beiden Vorstösse damit, dass die Ideologie der Hamas demokratie- und menschenfeindlich sowie antisemitisch sei. Zwar habe die offizielle Schweiz bislang die Haltung vertreten, dass der Dialog mit der Hamas aufrechterhalten werden müsse. Mit ihrer Attacke auf Israel habe sich diese nun aber «als Gesprächspartnerin für einen Frieden [...] vollends diskreditiert».

Die Terrororganisation «Hamas» verbieten (Mo. 23.4312) oder mit Sanktionen belegen (Po. 23.4313)
Dossier: Hamas

In der Herbstsession 2023 stimmten beide Räte einer weiteren Fristverlängerung der überwiesenen Motion Marty (fdp, TI) «Die UNO untergräbt das Fundament unserer Rechtsordnung» zu. Aussenminister Ignazio Cassis nutzte die Gelegenheit, um im Ständerat über die in den letzten Monaten unternommenen Aktivitäten zur Umsetzung der Motion zu informieren. Im November 2022 habe auf Initiative von Cassis eine Gruppe gleichgesinnter Staaten dem UNO-Sicherheitsrat konkrete Vorschläge unterbreitet, wie rechtsstaatliche Prinzipien bei einem Antrag auf Streichung von Personen von einer Sanktionsliste besser eingehalten werden können. Der Sicherheitsrat habe daraufhin beschlossen, diese Anträge zu prüfen. Im Juni 2023 habe dieselbe Gruppe bereits weitere Verbesserungen bei der Streichung von Sanktionslisten verlangt. Sie habe dabei auf ein Urteil des EuGH verwiesen, wonach dieser bestätigt habe, für die Überprüfung einer allfälligen Willkür von UNO-Sanktionen zuständig zu sein.

Non-application des sanctions de l'ONU dans le cadre de la lutte contre le terrorisme (Mo. 09.3719)

In der Herbstsession 2023 hatte der Nationalrat als Zweitrat über das Schicksal der ZGB-Änderung betreffend die Unternehmensnachfolge im Erbrecht zu befinden. Nachdem die Ständekammer nicht auf den Entwurf eingetreten war, lag auch dem Nationalrat ein Nichteintretensantrag vor. Die Hauptkritikpunkte waren nach wie vor, die Vorlage sei zu kompliziert, nicht notwendig und verschlechtere die Gleichstellung unter den Erbinnen und Erben. Der Nichteintretensantrag wurde jedoch nur von einer Minderheit der vorberatenden RK-NR portiert und brachte im Rat keine Mehrheit hinter sich. Mit 119 zu 64 Stimmen bei einer Enthaltung trat die grosse Kammer auf die Vorlage ein. Gegen Eintreten stimmten die geschlossen stimmende SVP-Fraktion, knapp die Hälfte der Mitte- sowie drei Mitglieder der FDP-Fraktion. Von einer breiten Ratsmehrheit wurde die Vorlage hingegen positiv aufgenommen, wie sie es auch schon in der Vernehmlassung worden war.
In der Detailberatung bemühte sich der Nationalrat, der im Ständerat geäusserten Kritik zu begegnen und Hand für Kompromisse zu bieten, wie zahlreiche Rednerinnen und Redner betonten. Kommissionssprecherin Patricia von Falkenstein (ldp, BS) erklärte etwa, man habe versucht, die Vorlage zu vereinfachen und die Position der Erbinnen und Erben zu stärken, die nicht Unternehmensnachfolgerin oder -nachfolger sind. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider begrüsste diese Bestrebungen. Zudem verkürzte die grosse Kammer etwa die Frist für Zahlungsaufschübe, die dem Unternehmensnachfolger bzw. der -nachfolgerin gegenüber den Miterbinnen und -erben eingeräumt werden kann, von maximal 10 auf grundsätzlich 5 Jahre. Diese Frist soll nur verlängert werden können, wenn ansonsten der Fortbestand des Unternehmens gefährdet wäre.
In der Gesamtabstimmung stimmte die grosse Kammer dem Entwurf mit 114 zu 67 Stimmen bei 8 Enthaltungen zu. Damit wird der Ständerat ein weiteres Mal über Eintreten entscheiden müssen.

Erbrechts-Revision – Unternehmensnachfolge (BRG 22.049)
Dossier: Revision des Erbrechts (2016– )

In der Herbstsession 2023 setzte der Ständerat die Differenzbereinigung bei der Revision des sechsten Kapitels des IPRG betreffend das internationale Erbrecht fort. Von den vier Streitpunkten räumte die kleine Kammer einen diskussionslos aus. So ist neu im Gesetz festgehalten, dass eine Zuständigkeit der Schweizer Behörden ausgeschlossen ist, wenn die verstorbene Person im Testament oder Erbvertrag den Nachlass der Zuständigkeit eines ausländischen Heimatstaates unterstellt hat und sich diese ausländischen Behörden mit dem Nachlass befassen. In seiner ersten Beratung hatte der Ständerat diesen Absatz gestrichen, weil er ohnehin der gelebten Praxis entspreche und damit unnötig sei. Der Nationalrat hatte im Sinne einer Klarstellung aber daran festgehalten, was der Ständerat jetzt guthiess.
Bei den zwei Differenzen zu den Erbfällen, bei denen die erblassende Person ihren letzten Wohnsitz im Ausland hatte, unterstützte die Ständekammer stillschweigend einen Kompromissvorschlag ihrer Kommission. Bundesrat und Nationalrat hatten im Gesetz festschreiben wollen, dass die Schweizer Behörden nur bei Untätigkeit der ausländischen Behörden zuständig sind. Die RK-SR erachtete es jedoch als problematisch, wenn rechtsuchende Erbinnen und Erben die Untätigkeit der ausländischen Behörden nachweisen müssten – oder gar das Bundesgericht formell die Untätigkeit eines anderen Staates feststellen und damit eventuell diplomatische Schwierigkeiten verursachen müsste. Sie schlug deshalb eine andere Formulierung vor, wonach die schweizerischen Behörden ihre Zuständigkeit ablehnen können, wenn sich die ausländischen Behörden mit dem Nachlass befassen. Der Ständerat nahm diesen Vorschlag stillschweigend an, sowohl im Hinblick auf verstorbene Schweizer Bürger und Bürgerinnen mit letztem Wohnsitz im Ausland als auch auf verstorbene Ausländerinnen und Ausländer mit letztem Wohnsitz im Ausland und mit in der Schweiz gelegenem Nachlass.
Die vierte Differenz betraf die Frage, ob Schweizer Doppelbürgerinnen und Doppelbürger wählen können sollen, dem Recht welches ihrer Heimatstaaten sie ihren Nachlass unterstellen wollen. Bundesrat und Nationalrat bejahten dies, weil in der Schweiz lebende Ausländerinnen und Ausländer mit mehrfacher Staatsbürgerschaft dieses Wahlrecht ebenfalls hätten. Demgegenüber befürchtete die Mehrheit der RK-SR, dass die Ausweitung dieses Wahlrechts auf Schweizerinnen und Schweizer mit mehrfacher Staatsbürgerschaft zu einer Diskriminierung unter Schweizer Bürgerinnen und Bürgern führe. Durch die Wahl eines ausländischen Rechts könne nämlich das Schweizer Pflichtteilsrecht umgangen werden, womit im Endeffekt nur noch Schweizerinnen und Schweizer ohne weitere Staatsbürgerschaft an das Pflichtteilsrecht gebunden wären. Diese Ungleichbehandlung müsste dann wohl dadurch beendet werden, dass das Pflichtteilsrecht für alle freiwillig oder ganz abgeschafft würde, warnte Kommissionssprecher Thomas Hefti (fdp, GL). Eine Minderheit Sommaruga (sp, GE) plädierte für die Version von Nationalrat und Bundesrat, unterlag aber deutlich mit 32 zu 10 Stimmen. Mit drei verbleibenden Differenzen ging das Geschäft erneut zurück an den Nationalrat.

Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht. 6. Kapitel: Erbrecht (BRG 20.034)

Rückblick auf die 51. Legislatur: Rechtsordnung

Autorinnen: Karin Frick und Anja Heidelberger

Stand: 17.08.2023

Zu Beginn der Legislatur stand insbesondere die Stärkung der Terrorismusbekämpfung in der Schweiz im Zentrum des Themenbereichs «Rechtsordnung». Dabei setzte der Bundesrat die Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung mittels drei Projekten um: Das Bundesgesetz über Vorläuferstoffe für explosionsfähige Stoffe soll den bisher im Vergleich zur EU einfacheren Kauf von chemischen Substanzen, die zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden können, erschweren. Durch die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität in Umsetzung des Europarat-Übereinkommens zur Verhütung des Terrorismus sollen bereits Handlungen im Vorfeld eines geplanten terroristischen Aktes strafbar gemacht werden. Und das an der Urne angenommene Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (PMT) soll der Polizei zusätzliche Instrumente gegen terroristische Gefährderinnen und Gefährder liefern, unter anderem indem verdächtige Personen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden.

Während sicherheitspolitische Argumente gemäss Nachabstimmungsbefragung zum Terrorismusgesetz an der Volksabstimmung von zentraler Bedeutung waren, spielten sie bei der Annahme der Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot» im März 2021 eine eher untergeordnete Rolle. Als Hauptargument zur Annahme der Initiative, die ein Verbot der Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum und an öffentlich zugänglichen Orten beinhaltete, wurde der Schutz der Schweizer Werte und Kultur genannt. Der bundesrätliche Gesetzesvorschlag zur Umsetzung der Initiative befand sich Ende der Legislatur noch in parlamentarischer Beratung.

Auch zu Beginn der Legislatur abgeschlossen werden konnte die Totalrevision des Datenschutzgesetzes, wobei vor allem die Voraussetzungen, unter denen das sogenannte Profiling, d.h. die Verknüpfung von Daten zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen, zulässig ist, umstritten waren. Im Juni 2021 lehnten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zudem die Einführung einer E-ID ab, wobei nicht in erster Linie die E-ID an sich, sondern deren Herausgabe durch private Anbieter anstelle des Staates kritisiert wurde.

Das grösste Gesetzgebungsprojekt im Themenbereich «Rechtsordnung» war die Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht – tatsächlich widmete das Parlament in dieser Legislatur keiner anderen Vorlage mehr Diskussionszeit (gemessen an der Anzahl Wörter). Damit sollten die aus den 1940er-Jahren stammenden Strafen mit den heutigen Werthaltungen in Einklang gebracht und deren Verhältnis zueinander neu ausgelotet werden. Diskutiert wurde dabei insbesondere über eine Verschärfung der Strafen für Gewalt gegen Behörden und Beamte sowie über die Revision des Sexualstrafrechts, welche aber aufgrund des grossen Besprechungsbedarfs in einen eigenen Entwurf ausgelagert wurde. Dabei entschied sich das Parlament nach langen Diskussionen, die auch in der Gesellschaft und den Medien widerhallten, gegen eine neue «Nur-Ja-heisst-Ja»-Regelung, die Vergewaltigung zukünftig als sexuelle Handlungen ohne Einwilligung des Opfers definiert hätte. Stattdessen ergänzte es die sogenannte «Nein-heisst-Nein»-Regelung dahingehend, dass auch ein allfälliger Schockzustand des Opfers erfasst wird. Nach der neuen Definition wird bei einer Vergewaltigung nicht mehr vorausgesetzt, dass das Opfer zur sexuellen Handlung genötigt wurde. Zudem können künftig nicht mehr nur Frauen als Opfer einer Vergewaltigung anerkannt werden.

Ausführlich debattiert wurde auch die Revision der Strafprozessordnung (StPO). Nachdem das Parlament – nach einem Urteil des EGMR – kurzfristig bereits eine Gesetzeslücke bei der Sicherheitshaft geschlossen hatte, befasste es sich mit problematischen Aspekten der Strafprozessordnung, um die Praxistauglichkeit bestimmter Bestimmungen zu verbessern. Im Hauptstreitpunkt, wonach Beschuldigte zukünftig nicht mehr bei allen Einvernahmen anderer Personen anwesend sein sollten, damit es nicht zu Absprachen kommt, lehnte das Parlament nach langen Diskussionen eine Änderung des Status quo ab.

Schliesslich stand neben dem Strafrecht auch das Zivilrecht im Mittelpunkt des Interesses, als in der Zivilprozessordnung der Zugang zum Gericht erleichtert und die Rechtssicherheit verbessert werden sollte. Die Aufmerksamkeit galt aber vielmehr einer vom Parlament verschärften Regelung, welche eine Verhinderung des Erscheinens von Medienartikeln durch eine superprovisorische Verfügung einfacher möglich machte (siehe auch Legislaturrückblick «Médias»).

Für mediale Aufmerksamkeit sorgten während der 51. Legislatur auch immer wieder Demonstrationen gegen im Zuge der Covid-19-Pandemie beschlossene Massnahmen. Diese verstärkten sich im Laufe des Jahres 2021 und erreichten nach Einführung der Zertifikatspflicht gegen Ende des Jahres 2021 ihren Höhepunkt. Die aufgeladene Stimmung gipfelte darin, dass das Bundeshaus aufgrund befürchteter Ausschreitungen am Abstimmungssonntag zur zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes von der Polizei grossräumig abgeriegelt wurde – eine weitere Eskalation blieb jedoch aus.


Zu den Jahresrückblicken:
2020
2021
2022

Rückblick auf die 51. Legislatur: Rechtsordnung
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Die RK-SR gab Ende Juni 2023 bekannt, dass sie sich vorerst nicht mit der Motion Pult (sp, GR) befassen werde, die forderte, den Kunsthandel und das Auktionswesen der Schweiz unter die Regelungen gegen Geldwäscherei und Terrorismusbekämpfung zu stellen. Dies, da der Bundesrat bekannt gegeben habe, nach der Sommerpause eine Vernehmlassung für eine Revision des Geldwäschereigesetzes zu eröffnen. Ebenfalls aus diesem Grund vorerst nicht behandelt werden drei weitere Motionen (Mo. 22.3637, Mo. 22.3456; Mo. 21.4396).

Keine Umgehung der Sanktionen. Unterstellung des Kunsthandels unter das Geldwäschereigesetz (Mo. 22.3104)

Le postulat Jans (BS) a été classé dans le cadre du traitement de la Politique agricole 22+. Des clarifications dans la législation ainsi que des simplifications financières vont être mises en place, comme annoncé par le Conseil fédéral, afin de faciliter la reprise d'exploitations par des personnes morales ainsi que par les exploitant.e.s à titre personnel.

Faciliter la reprise des terres et des exploitations agricoles (Po. 17.3916)

Ab Oktober 2022 beschäftigte sich die RK-SR in vier Sitzungen mit dem Entwurf zur Änderung des Zivilgesetzbuchs betreffend die Unternehmensnachfolge. Nachdem sie auf die Vorlage eingetreten war, liess sie von der Verwaltung verschiedene Fragen abklären. Nach Kenntnisnahme der Ergebnisse war die Kommission allerdings nicht überzeugt, dass die Gesetzesänderung notwendig und zielführend sei, weshalb sie das Geschäft in der Gesamtabstimmung mit 7 zu 2 Stimmen bei 2 Enthaltungen ablehnte. In der Sommersession 2023 beantragte sie dem Ständerat folglich Nichteintreten.
Gemäss Kommissionssprecher Thomas Hefti (fdp, GL) erachtete es die Kommission als fraglich, ob der Schutz von Unternehmen und die Erhaltung von Arbeitsplätzen – obendrein zulasten der Gleichstellung unter den Erbinnen und Erben – wirklich Zweck des Erbrechts sein sollten. Auch wenn die vorgeschlagenen Regeln in manchen verfahrenen Situationen weiterhelfen könnten, habe die Kommission Bedenken. Wenn etwa die Erbin oder der Erbe, der oder dem das Unternehmen integral zugewiesen wird, schlecht wirtschafte, gingen seine Miterbinnen und -erben mitunter leer aus – dann nämlich, wenn ihr oder ihm ein Zahlungsaufschub gewährt und keine Sicherheiten verfügt wurden. Zudem blieben zentrale Fragen ungeklärt, unter anderem: Was gilt überhaupt als Unternehmen? Welche Teile eines Unternehmens sind betriebsnotwendig oder nicht, und in welchem Umfang, zum Beispiel bei allfälligem Reserveland? Zudem werde die Unternehmensnachfolge bereits durch die in Kraft getretene Reduktion der Pflichtteile erleichtert, weshalb zuerst der Effekt dieser Neuerung abgewartet werden solle. Kommissionskollege Daniel Fässler (mitte, AI) fasste die Räson der Kommission in drei Punkten zusammen: Erstens tauge die Vorlage nicht, zweitens biete das geltende Recht genug Möglichkeiten, um geeignete Lösungen in der Familie zu finden, und drittens sehe die Kommission keine Alternativen – sie wüsste bei einer Rückweisung schlicht nicht, was man anders machen könnte.
Demgegenüber beantragte der Bundesrat Eintreten. Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider verwies auf die breite Zustimmung, die die Vorlage in der Vernehmlassung erfahren hatte, und betonte, dass das Projekt sowohl in der juristischen Lehre als auch in der Praxis grosse Hoffnungen geweckt habe. Beim grossen Teil der Ständekammer verhallte ihr Aufruf jedoch ungehört. Mit 27 zu 12 Stimmen bei 4 Enthaltungen trat der Erstrat nicht auf den Entwurf ein.

Erbrechts-Revision – Unternehmensnachfolge (BRG 22.049)
Dossier: Revision des Erbrechts (2016– )

Mit der Veröffentlichung des Berichts «Die Hisbollah und die Schweiz» erachtete der Bundesrat das Postulat Binder-Keller (mitte, AG) zu den Aktivitäten der schiitisch-islamistischen Hisbollah in der Schweiz als erfüllt und empfahl dessen Abschreibung. Der Nationalrat stimmte diesem Antrag in der Sommersession 2023 stillschweigend zu.

Bericht über die Aktivitäten der schiitisch-islamistischen Hisbollah in der Schweiz (Po. 20.3650)

Mit der Veröffentlichung des Berichts «Die Hisbollah und die Schweiz» erachtete der Bundesrat ein Postulat Pfister (mitte, ZG; Po. 20.3824) zur Prüfung eines Betätigungsverbots für die Hisbollah in der Schweiz als erfüllt und empfahl dessen Abschreibung. Der Nationalrat stimmte diesem Antrag in der Sommersession 2023 stillschweigend zu.

Betätigungsverbot der Hisbollah in der Schweiz (Po. 20.3824)

In seinem Bericht zu den parlamentarischen Vorstössen im Jahre 2022 beantragte der Bundesrat erneut die Abschreibung der Motion Jositsch (sp, ZH) zum Schutz religiöser Gemeinschaften vor terroristischer und extremistischer Gewalt. Er betrachtete die Motion als erfüllt, da seit dem Bundesratsentscheid vom April 2022 die jährlichen Mittel für spezifische Schutzmassnahmen, insbesondere für bauliche und technische Massnahmen, erhöht worden seien. Nachdem sich der Nationalrat 2021 noch gegen die Abschreibung gewehrt hatte, folgte er in der Sommersession 2023 der kleinen Kammer sowie dem Bundesrat und schrieb die Motion stillschweigend ab.

Schutz religiöser Gemeinschaften vor terroristischer und extremistischer Gewalt (Mo. 16.3945)

Mit einer Motion verlangte Jon Pult (sp, GR), dass der Kunsthandel und das Auktionswesen der Schweiz unter die Regelungen gegen Geldwäscherei und Terrorismusbekämpfung gestellt werden. Kriminelle sowie Terroristinnen und Terroristen würden den Schweizer Kunstmarkt missbrauchen, um «blutiges Geld» zu waschen. Zudem habe der Krieg gegen die Ukraine gezeigt, dass über den Kunstmarkt Sanktionen umgangen werden können, was es zu unterbinden gelte, wie Pult in der Sondersession 2023 sein Anliegen gegenüber dem Nationalrat erklärte. Das Problem sei enorm – so schätze die UNO das Kunsthandelsvolumen auf ganze USD 67.4 Mrd., wovon über USD 6 Mrd. im Zusammenhang mit kriminellen Machenschaften stünden. Zwar würde das Kulturgütertransfergesetz bereits gute Kontrollmöglichkeiten darüber liefern, woher die in der Schweiz gehandelte Kunst oder die Kulturgüter kommen. Unklar bleibe aber, woher das Geld für diese Kunst komme. Die EU sei in diesem Bereich regulatorisch um einiges weiter als die Schweiz und auch in den USA gäbe es ähnliche Bemühungen, wie Pult erklärte. Der Bundesrat beantragte derweil die Ablehnung der Motion, zumal er keinen Handlungsbedarf ausmachte, da Beträge von über CHF 100'000 bereits dem Geldwäschereigesetz unterliegen würden, wie Karin Keller-Sutter unter anderem erläuterte. In der Folge nahm der Nationalrat die Motion mit 111 zu 80 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) an. Die Stimmen für die Vorlage stammten aus den geschlossen stimmenden Fraktionen der SP, der Grünen, der Mitte sowie der Grünliberalen.

Keine Umgehung der Sanktionen. Unterstellung des Kunsthandels unter das Geldwäschereigesetz (Mo. 22.3104)

Eine Motion Hurni (sp, NE) forderte die Einführung eines öffentlich zugänglichen Registers über die wirtschaftlich Berechtigten an juristischen Personen und Trusts. Das Register solle gemäss der Einschätzung der FATF als wirksames Instrument der Bekämpfung der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung dienen und so dem Schweizer Finanzplatz und Wirtschaftsstandort die nötige Transparenz geben. Staaten wie das Vereinigte Königreich, Dänemark und Norwegen hätten ein solches Register bereits eingeführt und auch das Europäische Parlament habe diesbezüglich Beratungen aufgenommen. Das undurchsichtige Finanzsystem und die grosse Komplexität von juristischen Personen hätten in der Vergangenheit bereits zu verschiedenen Verwicklungen der Schweiz in Skandale und zu generellen Schwierigkeiten geführt. Die Problematik zeige sich etwa bei den von der Schweiz übernommenen Sanktionen gegen Russland, wo es schwierig sei festzustellen, ob eine juristische Person unter die internationalen Sanktionen falle oder nicht. Finanzministerin Karin Keller-Sutter vertrat im Rat die ablehnende Position des Bundesrats und wies darauf hin, dass der Bundesrat das EFD mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs für ein zentrales Bundesregister über wirtschaftlich Berechtigte von Schweizer Unternehmen sowie über Kategorien von ausländischen Unternehmen beauftragt habe. Dieses Register könne ab Sommer 2023 bestimmte Schwachstellen bei der Überwachung und Anwendung von Sanktionen ausmerzen, soll aber anders als vom Motionär gefordert nicht der Öffentlichkeit zugänglich sein. Während die Fraktionen der SP, der Grünliberalen und der Grünen geschlossen hinter der Motion standen, stellten sich ihr die SVP- und die FDP-Fraktion entgegen. Die Mitte-Fraktion zeigte sich gespalten. Der Nationalrat nahm die Motion in der Sondersession 2023 schliesslich mit 95 zu 92 Stimmen bei 2 Enthaltungen an.

Zur Bekämpfung der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung muss ein Register über die wirtschaftlich Berechtigten an juristischen Personen und Trusts eingeführt werden (Mo. 21.4396)
Dossier: Transparenz ausländischer Beteiligungen in Schweizer Handelsgesellschaften

In der Frühjahrssession 2023 überwies der Nationalrat die Motion Caroni (fdp, AR) für ein zeitgemässes Abstammungsrecht mit 103 zu 74 Stimmen bei 4 Enthaltungen an den Bundesrat. Dieser und die Mehrheit der RK-NR hatten den Vorstoss zur Annahme beantragt. Wie die Kommissionsmehrheit im Bericht erläuterte, erachtete sie eine Revision des Abstammungsrechts als sinnvoll, «um sicherzustellen, dass alle Kinder unabhängig vom Zivilstand ihrer Eltern über dieselben Rechte verfügen». Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider führte im Ratsplenum aus, insbesondere die Regeln zur Anfechtung der Vaterschaftsvermutung des Ehemannes der Mutter seien nicht mehr zeitgemäss. Die Anfechtung der Vaterschaftsvermutung müsse universell, das heisst unabhängig vom Zivilstand der Eltern, geregelt werden. Ausserdem müsse die rechtliche Stellung der von einer privaten Samenspende betroffenen Personen gesetzlich geregelt werden. Die Minderheit – der im Nationalrat die geschlossene SVP-Fraktion und die grosse Mehrheit der Mitte-Fraktion folgten – lehnte die Motion ab, weil viele Anpassungen bereits mit der «Ehe für alle» vorgenommen worden seien.

Zeitgemässes Abstammungsrecht (Mo. 22.3235)

Bei den vier inhaltlichen Differenzen, die der Ständerat in den Entwurf zum sechsten Kapitel des IPRG betreffend das internationale Erbrecht eingebracht hatte, beantragte die RK-NR in der Frühjahrssession 2023 ihrem Rat einstimmig, diese aufrechtzuerhalten. Nach Ansicht der Kommission schaffe die Version des Bundesrates, die der Nationalrat als Erstrat bereits unterstützt hatte, mehr Rechtssicherheit, indem sie Kompetenzkonflikte klar im Gesetz regle. «Es ist eigentlich eine Seltenheit, dass wir so oft mit dem Bundesrat übereinstimmen, aber in dieser Vorlage lag er einfach wirklich oftmals richtig», bemerkte Kommissionsberichterstatter Phillipp Matthias Bregy (mitte, VS). Der Nationalrat stimmte den Anträgen seiner Kommission diskussionslos und stillschweigend zu, womit der Ball wieder beim Ständerat liegt.

Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht. 6. Kapitel: Erbrecht (BRG 20.034)

Auf Antrag seiner Kommission für Rechtsfragen lehnte der Ständerat in der Frühjahrssession 2023 die Motion de Quattro (fdp, VD) stillschweigend ab, die verlangte, dass die terroristische Bedrohung, die von einer Person ausgeht, vor deren Freilassung besser beurteilt wird. Es bestehe kein Handlungsbedarf, da das geltende Recht bereits sicherstelle, dass die Gefährlichkeit einer Person vor deren Freilassung sorgfältig geprüft werde, argumentierte die Kommission. Ausserdem stünden mit den polizeilichen Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung nun Instrumente zur Verfügung, um potenziell gefährliche Personen besser zu überwachen.

Die terroristische Bedrohung, die von einer Person ausgeht, vor deren Freilassung besser beurteilen (Mo. 20.4358)

Nach dem Sturm auf das Capitol in den Vereinigten Staaten im Januar 2021 provozierte auch der Angriff auf das Regierungsgebäude in Brasilia im Frühjahr 2023 mediale Überlegungen zu den Sicherheitsmassnahmen für das Bundeshaus. Diese seien «ständiges Traktandum» der Verwaltungsdelegation, gab Eric Nussbaumer (sp, BL), Mitglied dieser Kommission, der NZZ zu Protokoll. Man wolle – trotz zunehmender Drohungen – ein «offene[s] Haus bleiben und keine Festung werden». Allerdings würden laufend neue Sicherheitsvorkehrungen getroffen. So seien etwa kürzlich die Scheiben im Eingangsbereich und die vom Bundesplatz aus sichtbaren hohen Fenster des Ständeratssaals gehärtet worden. Bewährt hätten sich im September 2021 bei Demonstrationen von Covid-Gegnerinnen und Gegnern die Einrichtungen für einen mobilen Sicherheitszaun. Zudem sei angedacht, dass Sicherheitsbeamte auch ausserhalb der Sessionszeiten Tag und Nacht «das politische Zentrum des Landes» mit ihrer Präsenz beschützten, so die NZZ.

Am 14. Februar 2023 kam es dann in der Tat zu einem Ernstfall. Ein sich auffällig verhaltener Mann mit Schutzweste und leerem Waffenholster liess sich zwar gegen 14 Uhr widerstandslos festnehmen, wies aber Spuren von Sprengstoff. Zudem wurde bekannt, dass er auf dem Bundesplatz ein Auto abgestellt hatte. Sofort wurden das Parlamentsgebäude, Teile des Bundeshauses und angrenzende Gebäude evakuiert und der Platz grossräumig abgesperrt. Gegen 19 Uhr konnte jedoch Entwarnung gegeben werden. Der geistig verwirrte Mann wurde in eine Klinik eingewiesen.

In der Folge wurde jedoch in den Medien einige Kritik an der Reaktion der Sicherheitskräfte laut. Die zahlreichen in Kommissionssitzungen anwesenden Parlamentarierinnen und Parlamentarier, aber auch Viola Amherd und Guy Parmelin, waren über den Südausgang evakuiert worden, weil die Ausgänge Richtung Bundesplatz aufgrund der Vermutung, dass sich im dort abgestellten Fahrzeug eine Bombe befinden könnte, als nicht sicher erachtet worden waren. Die Evakuation dauerte aufgrund der dort eingerichteten Drehtüren allerdings sehr lange, weil jede Person einzeln durch die Türen geschleust werden musste. Zudem mussten die Evakuierten in der Folge lange Zeit auf der Bundesterrasse hinter dem Bundeshaus verharren, was «sicherheitstechnisch nicht optimal gewesen» sei, wie der Tages-Anzeiger einige Parlamentsmitglieder zitierte. «Jede Landdisco muss sich von Gesetzes wegen schneller evakuieren lassen», enervierte sich etwa Andrea Caroni (fdp, AR) in der NZZ. Kritisiert wurde in den Medien auch, dass zwar im Bundeshaus Ost und West, nicht aber im Parlamentsgebäude ein Alarm zu hören gewesen war und dass das Fahrzeug anscheinend schon lange Zeit vor dem Polizeieingriff auf dem Bundesplatz parkiert gewesen sei, ohne dass jemand eingegriffen habe. Die «Sicherheitslücken im Bundeshaus», wie die NZZ titelte, zeigten sich auch im Umstand, dass die Ständeratspräsidentin «schlicht vergessen ging»: Brigitte Häberli-Koller (mitte, TG) hatte noch lange nach der Evakuation ahnungslos in ihrem Präsidialbüro weitergearbeitet.

Tags darauf nahm der Sicherheitsbeauftragte der Parlamentsdienste, Andreas Wortmann, Stellung zur Evakuation. Es sei nach eingehender Analyse klar gewesen, dass den Evakuierten auf der Südseite keine Gefahr drohe. Die Evakuation sei zwar nicht sehr geordnet, aber sicher gewesen. Da die Polizei das Gebiet grossräumig abgesperrt habe, hätten auch keine Sicherheitslücken bestanden. Verbessert werden müsse aber die Information der Beteiligten. Dennoch kritisierte der Tages-Anzeiger den Vorfall als «Behördenversagen», da es etwa im Ausland niemals möglich wäre, dass ein verwirrter Mann unbehelligt in ein politisches Zentrum vordringen könne. Die Schweiz verliere ihre «Glaubwürdigkeit» und müsse dafür sorgen, dass «der Anschein von Dilettantismus» vermieden werde.

Die Verwaltungsdelegation gab in der Folge bekannt, neue Notfallpläne mit verschiedenen Szenarien ausarbeiten zu lassen. Insbesondere müssten die Schnittstellenprobleme angegangen werden, die sich ergäben, weil bei einer Evakuierung «sehr viele [Akteurinnen und Akteure] beteiligt und verantwortlich» seien. Als Sofortmassnahme würden alle Alarmhörner auch im Parlamentsgebäude eingeschaltet – darauf war bisher verzichtet worden, um bei einem grossen Andrang von Besuchenden Panik zu vermeiden – und ein SMS-Notfalldienst für Parlamentsmitglieder eingerichtet.

Ende April 2023 begrüsste der Bundesrat in einer Medienmitteilung die Planung von Sicherheitsszenarien und kam der an ihn gerichteten Aufforderung der Verwaltungsdelegation nach, auch die bundesrätlichen Sicherheitsmassnahmen zu koordinieren und sich mit dem Fedpol an den neuen Sicherheitskonzepten zu beteiligen.

Sicherheit im Bundeshaus