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Jahresrückblick 2023: Föderativer Aufbau

Autorinnen: Marlène Gerber und Catalina Schmid

Das Medieninteresse an Föderalismus und Territorialfragen war 2023 deutlich geringer als noch während der Covid-19-Pandemie, wie Abbildung 2 der angehängten APS-Zeitungsanalyse 2023 zeigt. Auch Diskussionen über den Stadt-Land-Graben wurden im Unterschied zu 2021 kaum intensiv geführt. Aufmerksamkeit erhielt er vor allem im Zusammenhang mit den eidgenössischen Wahlen und insbesondere im Kanton Zürich, wo erneut Forderungen nach der Abspaltung der Stadt Zürich vom Kanton laut wurden.

Die Aufgabenteilung zwischen den unterschiedlichen föderalen Ebenen wurde vorwiegend in der Asylpolitik virulent diskutiert. Wie bereits im Vorjahr war das Asylwesen als Verbundaufgabe zwischen Bund, Kantonen, Gemeinden und Städten auch im Jahr 2023 einer besonderen Belastungsprobe ausgesetzt. Die stark ansteigenden Asylgesuchszahlen sowie die Unterbringung von zahlreichen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine führten teilweise zu Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung und schufen neue Herausforderungen für alle Beteiligten. Der im Juni erschienene Schlussbericht zur Evaluation des Schutzstatus S empfahl denn auch, dass Bund und Kantone eine konkretere Notfallplanung ausarbeiten und dass darin die Rolle aller beteiligten Akteure bei Unterbringung und Erstversorgung geklärt wird. Auf Widerstand bei den Kantonen stiess ausgerechnet der abschlägige Entscheid des Ständerats während der Sommersession gegen den Bau von Containern auf dem Armeegelände für die Erstunterbringung von Asylsuchenden. Daraufhin befürchteten die Kantone, dass der Bund ihnen im Herbst erneut Personen mit laufendem Asylverfahren zustellen werde. So weit kam es indes nicht: Im Unterschied zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr konnten die Asylverfahren im Herbst 2023 in den Bundesasylzentren abgeschlossen werden.

Übereinstimmung zwischen den Kantonen zeigte sich im Frühling anhand einer neuen europapolitischen Standortbestimmung der KdK. Die Kantonsregierungen sprachen dem Bundesrat für erneute Verhandlungen mit der EU einstimmig ihre Unterstützung zu und äusserten sich zudem zu den einzelnen Streitpunkten bei den bilateralen Verhandlungen der Schweiz und der EU. Die Presse zeigte sich verblüfft über die subnationale Einigkeit, hatte sich doch eine Reihe von Kantonen in den vorherigen Jahren noch gegen ein Rahmenabkommen unter diesen Bedingungen ausgesprochen.

Im Herbst scheiterten bedeutende Projekte für innerkantonale Gemeindefusionen, darunter nach fünfjährigen intensiven Vorarbeiten auch die Fusion der Stadt Bern mit der Gemeinde Ostermundigen. Ende November lehnte die Ausserrhodener Stimmbevölkerung eine Grossfusion von 20 auf 3 bis 5 Gemeinden ab, befürwortete jedoch einen Eventualantrag, gemäss welchem eine zu erarbeitende gesetzliche Grundlage einzelne Gemeindefusionen ermöglichen soll.

Ein zentraler Meilenstein wurde hingegen in der Frage des Kantonswechsels von Moutier vom Kanton Bern zum Kanton Jura erreicht: Die beiden Kantone einigten sich im März nach zwei Jahren Verhandlungen im letzten verbliebenen Streitpunkt, den interkantonalen Ausgleichszahlungen, und präsentierten im Mai schliesslich einen Konkordats-Entwurf zum Kantonswechsel, der Ende November von den kantonalen Regierungen unterzeichnet wurde und der 2024 den beiden Kantonsparlamenten zur Ratifizierung vorgelegt werden soll.

Jahresrückblick 2023: Föderativer Aufbau
Dossier: Jahresrückblick 2023

Der Nationalrat nahm in der Wintersession 2023 stillschweigend eine Motion der SiK-NR für die Schaffung einer Verfassungsgrundlage für eine Bundesregelung des nationalen polizeilichen Datenaustausches an. Konkret sollte in der Bundesverfassung dem Bund die Kompetenz eingeräumt werden, die Abfrage polizeilicher Daten zwischen dem Bund und den Kantonen sowie unter den Kantonen zu regeln. Kommissionssprecherin Maja Riniker (fdp, AG) verwies im Ratsplenum auf die laufende Umsetzung der Motion Eichenberger (fdp, AG; Mo. 18.3592), die eine nationale Koordination und Rechtsgrundlage benötige. Bisher müssten sich die Kantone untereinander jeweils einzeln für die Herausgabe polizeilicher Daten anfragen. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider befürwortete die Motion ebenfalls, denn sie ermögliche die Schliessung einer Gesetzeslücke und somit einen funktionierenden polizeilichen Datenaustausch in der Schweiz, falls der eingeschlagene Weg einer Konkordatslösung unter den Kantonen nicht zum Erfolg führen sollte.

Schaffung einer Verfassungsgrundlage für eine Bundesregelung des nationalen polizeilichen Datenaustausches (Mo. 23.4311)

In Abweichung zum Entscheid des Ständerats, der sich auf Anraten seiner Kommission in der Herbstsession 2023 dafür ausgesprochen hatte, die Kantone zum vollen Lastenausgleich bei den Familienzulagen zu verpflichten, sprach sich die Mehrheit der nationalrätlichen Kommission in der Folge für eine andere Lösung aus: Mit knappen 13 zu 12 Stimmen beantragte die SGK-NR ihrem Rat, den Kantonen lediglich einen Teilausgleich vorzuschreiben, da sie einen vollen Lastenausgleich als zu starken Eingriff in deren Kompetenzen erachtete.
Im Nationalrat, der sich in der Wintersession 2023 über das Geschäft beugte, blieb zuerst eine Minderheit Bircher (svp, AG) mit 144 zu 45 Stimmen (2 Enthaltungen) chancenlos, die gar keinen Eingriff des Bundes in die kantonale Regelung des Lastenausgleichs bei Familienzulagen tolerieren wollte und deshalb auf Nichteintreten plädiert hatte. In der Detailberatung warb eine Minderheit Roduit (mitte, VS) für einen vollen Lastenausgleich und somit für die Zustimmung zur Version des Ständerats. Roduit zeigte sich unter anderem überzeugt, dass ein Teilausgleich nichts am Status quo ändern würde, da die ungleiche finanzielle Belastung zwischen den verschiedenen Familienausgleichskassen dadurch nicht beseitigt werden könnte. In Anbetracht der knappen Mehrheitsverhältnisse in der Kommission mag das vom Nationalrat gefällte Verdikt in seiner Deutlichkeit erstaunen: Der Antrag der Kommissionsmehrheit wurde zugunsten der Kommissionsminderheit mit 149 zu 40 Stimmen (5 Enthaltungen) abgelehnt, womit auch der Nationalrat am Modell des vollen Lastenausgleichs festhielt.
Dennoch schuf der Nationalrat eine kleine Differenz zum Ständerat, indem er auf Anraten seiner Kommissionsmehrheit die Übergangsfristen von zwei auf drei Jahre ausdehnte und gleichzeitig die Kantone dazu verpflichten wollte, sogenannte Begleitmassnahmen zur Steigerung der Effizienz und Effektivität der Familienausgleichskassen in die Wege zu leiten. Gegen diese Verlängerung der Übergangsfrist hatte sich eine Kommissionsminderheit Prelicz-Huber (gp, ZH) erfolglos gewehrt. Sie sah darin eine unnötige Verzögerung, die zu Lasten der bereits finanziell stark belasteten Familienausgleichskassen gehe. Zudem scheiterte auch eine Minderheit Gysi (sp, SG), die zur Stärkung der Kaufkraft von Familien die Auszahlung einer 13. Kinder- und Ausbildungszulage verlangte. Wie bereits die Minderheit Prelicz-Huber fand auch sie kaum Unterstützung über die links-grünen Fraktionsgrenzen hinaus.
In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die minim abgeänderte Vorlage mit 161 zu 34 Stimmen (1 Enthaltung) an. Gegen den Entwurf stellten sich Teile der Fraktionen der SVP und der FDP.

Familienzulagengesetz. Änderung (Einführung eines vollen Lastenausgleichs; BRG 23.050)

In der Herbstsession 2023 bereinigte das Parlament sowohl die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP als auch deren indirekten Gegenvorschlag. Den Anfang machte der Nationalrat, der dem Ständerat beim indirekten Gegenvorschlag in allen offenen Differenzen trotz anderslautender Kommissionsanträge zustimmte. Dadurch setzte sich der Ständerat unter anderem mit seiner Vorstellung des Gegenvorschlags durch, «der bezüglich der finanziellen Auswirkungen nochmals milder ausgestaltet ist als derjenige des Bundesrates», wie es Kommissionssprecher Mäder (glp, ZH) formulierte. So verzichtete der Nationalrat darauf, dass der Bundesrat den Kantonen vorschreiben darf, wie die Prämien und das verfügbare Einkommen zur Festlegung des Kantonsanteils der Prämienverbilligungen berechnet werden. Hier folgte der Rat einer Minderheit de Courten (svp, BL), während die Kommissionsmehrheit an ihrer Position hatte festhalten wollen.
Die zweite grosse offene Frage betraf den Mindestanteil der OKP-Bruttokosten, den die Kantone übernehmen müssen, sowie damit verbundene Regelungen. Hier lagen drei Konzepte vor. Der Bundesrat hatte hier ursprünglich vorgeschlagen, dass die Kantone mindestens 5 Prozent der Bruttokosten übernehmen müssen, wenn die Prämien weniger als 10 Prozent des Einkommens der einkommensschwächsten Personen ausmachen. Bei Prämien in der Höhe von 18.5 Prozent des Einkommens wären es im Minimum 7.5 Prozent der Bruttokosten, dazwischen sollte es eine lineare Abstufung geben. Diesem Vorschlag wollte auch eine Minderheit I Prelicz-Huber (gp, ZH) folgen. Die Kommissionsmehrheit wollte hingegen dem Ständerat folgen, der den minimalen Grenzwert bei 11 statt 10 Prozent und die bei diesem Grenzwert zu übernehmenden Anteile der Bruttokosten bei 3.5 statt 5 Prozent festlegen wollte. Kommissionssprecher Roduit (mitte, VS) erachtete damit das Hauptziel des Gegenvorschlags, die Verpflichtung der Kantone zur Prämienverbilligung an die bedürftigsten Personen, als erfüllt. Gleichzeitig verhindere man damit eine Überlastung des Gemeinwesens. Eine Minderheit Meyer (sp, ZH) war, ebenso wie die Minderheit I Prelicz-Huber, der Ansicht, der Mehrheitsvorschlag decke «nicht mal einen Bruchteil der Kosten der Prämienexplosion von diesem Jahr [...] ab[...]», und forderte eine deutlich stärkere Prämienverbilligung als von der Mehrheit und vom Bundesrat vorgeschlagen. Mit 105 zu 86 Stimmen (bei 1 Enthaltung) und 104 zu 86 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat zugunsten des Mehrheitsantrags gegen beide Minderheitsanträge aus. Erneut setzten sich die SVP- sowie Mehrheiten der FDP- und der Mitte-Fraktionen durch.

Nachdem der Nationalrat tags zuvor den indirekten Gegenvorschlag bereinigt hatte, setzte der Ständerat die Debatte zur Initiative fort. In zahlreichen Wortmeldungen legten die Sprechenden abschliessend noch einmal ihre Gründe für und gegen die Initiative dar, die im Rahmen der Debatte zum indirekten Gegenvorschlags ebenfalls bereits ausführlich erläutert worden waren. Abschliessend entschied sich der Ständerat, Stimmbevölkerung und Kantonen die Initiative mit 33 zu 11 Stimmen zur Ablehnung zu empfehlen. Einzig die Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktion sprachen sich für eine Empfehlung auf Annahme aus.

In den Schlussabstimmungen Ende der Herbstsession 2023 hiess der Nationalrat den Bundesbeschluss mit der Ablehnungsempfehlung mit 123 zu 70 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) gut, der Ständerat mit 32 zu 11 Stimmen (bei 1 Enthaltung). Den indirekten Gegenvorschlag nahm das Parlament, abgesehen von einer ablehnenden Stimme eines Mitglieds der Mitte-Fraktion im Ständerat (41 zu 1 Stimmen bei 2 Enthaltungen), beinahe einstimmig an (Nationalrat: 195 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung). Die SP zeigte sich mit dem indirekten Gegenvorschlag jedoch nicht abschliessend zufrieden und kündigte an, an ihrer Initiative festzuhalten. Über diese wird folglich im Jahr 2024 abgestimmt werden.

Eidgenössische Volksinitiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» und indirekter Gegenvorschlag (BRG 21.063)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Prämienverbilligung
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

In der Herbstsession 2023 beriet der Ständerat als Erstrat eine Änderung des Familienzulagengesetzes, mit der die Kantone zu einem vollen Lastenausgleich zwischen den in ihrem Hoheitsgebiet tätigen Familienausgleichskassen verpflichtet werden sollten. Nach Anhörung zweier Ausgleichskassen mit unterschiedlichen Positionen hatte die vorberatende SGK-SR ihrem Rat mit 5 zu 4 Stimmen (2 Enthaltungen) empfohlen, auf die Vorlage einzutreten. Für die befürwortende Kommissionsmehrheit gelte es, die ungleiche Belastung verschiedener Branchen durch die Familienzulagen mit dem vollen Lastenausgleich zu beseitigen, argumentierte Mehrheitssprecher Peter Hegglin (mitte, ZG) für die Vorlage. Dem «föderale[n]» Gedanken werde auch mit dieser Lösung Rechnung getragen, so Hegglin weiter, denn schliesslich könnten die Kantone die Höhe der Zulagen selber festlegen, zudem sei es ihnen überlassen, wie sie den vollen Lastenausgleich ausgestalten möchten. Ebenso blieben sie zuständig für die Organisation und die Aufsicht des Vollzugs. Im Namen der Kommissionsminderheit setzte sich Alex Kuprecht (svp, SZ) vor allem für die sechs Kantone (AG, AI, AR, GL, NE, TG) ein, die noch über kein Lastenausgleichssystem verfügten und die nun zur Einführung eines solchen gezwungen würden. Damit werde der Grundsatz der gesetzgeberischen Zuständigkeit missachtet. Mit 31 zu 12 Stimmen (1 Enthaltung) sprach sich der Ständerat in der Folge für Eintreten aus, wobei die ablehnenden Stimmen zur Hälfte von Vertretenden der angesprochenen sechs Kantonen stammten.

In der Detailberatung gab der Antrag einer weiteren Kommissionsminderheit Kuprecht zu reden, der es den Kantonen überlassen wollte, ob sie einen vollen Lastenausgleich etablieren oder ein System schaffen wollten, in dem die Lasten nur teilweise ausgeglichen werden. Damit wollte die Kommissionsminderheit die Wahlmöglichkeit derjenigen sechs Kantone verteidigen, die bereits über ein Teillastensystem verfügen (BS, FR, GR, SG, VS, ZH). Die Kommissionsmehrheit lehnte eine solche Lösung hingegen ab, da diese nicht die gesamte strukturelle Ungleichheit beseitigen würde. Mit 24 zu 19 Stimmen setzte sich im Rat schliesslich die Kommissionsmehrheit durch. Bei der Abstimmung zeigte sich weniger die Kantonszugehörigkeit ausschlaggebend – 10 von 19 ablehnenden Stimmen waren von Ratsmitgliedern abgegeben worden, deren Kanton über keinen oder lediglich über einen teilweisen Lastenausgleich verfügt – als vielmehr die Parteizugehörigkeit: 9 ablehnende Stimmen stammten aus der FDP-Fraktion, 6 aus der SVP-Fraktion und die verbleibenden 4 aus der Mitte-Fraktion. Mit 23 zu 19 Stimmen (1 Enthaltung) verabschiedete der Ständerat den Entwurf in der Gesamtabstimmung somit unverändert an den Nationalrat.

Familienzulagengesetz. Änderung (Einführung eines vollen Lastenausgleichs; BRG 23.050)

Während sich der Nationalrat in der Herbstsession 2023 zum zweiten Mal dafür entschied, auf den indirekten Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative einzutreten, behandelte der Ständerat das Postulat Z'graggen (mitte, UR), mit welchem geprüft werden soll, wie der Schutz der Biodiversität ohne Gesetzesanpassungen, jedoch mit freiwilligen Vereinbarungen und weiteren finanziellen Mitteln des Bundes verbessert werden kann. Die Genfer Ständerätin Lisa Mazzone (gp, GE) wies darauf hin, dass sie sich nicht gegen dieses Postulat wehre, jedoch weiterhin den indirekten Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative bevorzuge und hoffe, dass der Ständerat doch noch auf die Vorlage eintreten werde. Nicht zuletzt weil nun bald eine Version vorliegen werde, die den Anliegen des Ständerates entgegenkomme. In ein ähnliches Horn blies auch Bundesrat Rösti, der die Annahmeempfehlung dieses Postulates nicht als Ablehnung des Gegenvorschlags verstanden wissen wollte. Anschliessend wurde das Postulat stillschweigend angenommen.

Biodiversität auf den bestehenden rechtlichen Grundlagen verbindlich stärken und erhöhen (Po. 23.3676)
Dossier: Biodiversitätsinitiative und indirekter Gegenvorschlag

Die nationalrätliche Geschäftsprüfungskommission reichte im Juni 2023 ein Postulat ein, mit welchem sie einen Bericht über die Stärkung der Aufsicht und Kontrolle der biologischen Hochsicherheitslabore forderte. Die GPK-NR wollte in diesem Bericht zahlreiche Fragen rund um die Sicherheit der biologischen Hochsicherheitslabore klären; so etwa wie die Aufsicht des Bundes über die Kontrolltätigkeit der Kantone gestärkt und wie der Vollzug durch die Kantone selber vereinheitlicht und verbessert werden kann oder auch wie ein intensiverer Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Bund und Kantonen zu Stande kommen kann. Im Postulatsbericht solle auch festgehalten werden, ob die entsprechenden Rechtsgrundlagen durch die erwähnten Massnahmen angepasst werden müssen. Die GPK-NR begründete ihren Vorstoss mit dem Umstand, dass die Kantone die Kontrolltätigkeit über diese Labore sehr unterschiedlich handhabten, beispielsweise in Bezug auf die Häufigkeit der Kontrollen oder auch in Bezug auf die Ressourcen, die für die Inspektionen aufgewendet werden. Zudem verfüge der Bund derzeit nur über begrenzte Aufsichtskompetenzen über die Kontrolltätigkeit der Kantone; es gebe zum Beispiel keine Regelung, wann und in welchem Umfang dem Bund Informationen zu den Kontrollen übermittelt werden müssen. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulates und der Nationalrat nahm den Vorstoss in der Herbstsession 2023 stillschweigend an.

Stärkung von Aufsicht und Kontrolle über biologische Hochsicherheitslabore (Po. 23.3965)

Rückblick auf die 51. Legislatur: Kultur, Sprache, Kirchen

Autorinnen: Sarah Kuhn, Melike Gökce und Marlène Gerber

Stand: 17.08.2023

Zu dem in diesem Themenbereich am längsten debattierten parlamentarischen Geschäft der 51. Legislatur konnte sich schliesslich auch die Stimmbevölkerung äussern: Im Mai 2022 befürwortete sie an der Urne eine im Rahmen der Kulturbotschaft 2021–2024 beschlossene Revision des Filmgesetzes, gegen die bürgerliche Jungparteien das Referendum ergriffen hatten. Mit Annahme der sogenannten Lex Netflix gilt für Streamingdienste in der Schweiz in Zukunft eine Investitionspflicht in die einheimische Filmproduktion sowie eine Pflichtquote für europäische Filme.

Ebenfalls während dieser Legislatur unter Dach und Fach gebracht werden konnten Bestimmungen zum Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele. Mit dem neuen Bundesgesetz sollen Kinder und Jugendliche besser vor Gewalt- und Sexualdarstellungen in Filmen und Videospielen geschützt werden. Schlussendlich nicht in die Revision eingeflossen waren Massnahmen zum Schutz vor Mikrotransaktionen. Durch Annahme eines Postulats wurde der Bundesrat hingegen beauftragt, die mit Mikrotransaktionen in Zusammenhang stehenden Gefahren bezüglich Suchtpotential und -verhalten in einem Bericht zu untersuchen.

Im Parlament viel diskutiert worden war darüber hinaus eine Änderung des Zivilgesetzbuches zur Stärkung des Schweizer Stiftungsstandortes. Nach langjährigen Beratungen konnte das Geschäft im Jahr 2021 schliesslich zum Abschluss gebracht werden.

Ausserhalb des Parlaments diskutierten die Medien etwa intensiv über die Auswirkungen der während der Covid-19-Pandemie für den Kulturbereich beschlossenen Einschränkungen sowie über die Soforthilfen für Kulturunternehmen und Kulturschaffende. Ebenfalls für einiges an Druckerschwärze sorgte die Beteiligung der Kirche an Abstimmungskämpfen sowie der Forschungsauftrag der katholischen Kirche zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in den eigenen Reihen. Ferner berichteten die Medien hitzig über die Kunstsammlung von Emil Bührle – eine Diskussion, die auch Auswirkungen im Parlament zeigte. So nahm das Parlament in der 51. Legislatur zwei Motionen an, die einerseits eine Plattform für die Provenienzforschung von Kulturgütern und andererseits die Schaffung einer unabhängigen Kommission für NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter fordern.


Zu den Jahresrückblicken:
2020
2021
2022

Rückblick auf die 51. Legislatur: Kultur, Sprache, Kirchen
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Rückblick auf die 51. Legislatur: Föderativer Aufbau

Autorinnen und Autoren: Hans-Peter Schaub, Catalina Schmid, Elia Heer, Mathias Buchwalder und Marlène Gerber

Stand: 17.08.2023

Insbesondere wegen zwei Ereignissen berichteten die Medien in der 51. Legislatur häufiger über Fragen rund um den Föderalismus als in den letzten Jahren der 50. Legislatur: Zum einen sorgte die Covid-19-Pandemie für ausschweifende Diskussionen zur Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen. Die Bilanz dazu fiel gemischt aus: Weitestgehend waren sich Behörden, Medien und Forschende einig, dass der Föderalismus während der Covid-19-Pandemie dazu geführt habe, dass sich Bund und Kantone gegenseitig die Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen zuschoben. In Bezug auf die kantonalen Covid-19-Massnahmen war häufig von einem kantonalen Flickenteppich die Rede. Auf der anderen Seite wurde die Schweiz auch als «föderales Labor» dargestellt, da einzelne Kantone mit innovativen Lösungen aufwarteten, die andernorts übernommen werden konnten – so etwa die Bündner Massentests, das Zuger Ampelsystem oder die Zürcher Lösung für die Unterstützung von Kulturschaffenden. Ein vom Nationalrat überwiesenes Postulat forderte den Bundesrat auf, für den Föderalismus relevante Lehren aus der Covid-19-Pandemie zu ziehen. Bis Mitte August 2023 lag der Bericht zum Postulat noch nicht vor.

Der zweite Grund für die intensivere Berichterstattung über Föderalismusbelange lag in der Jurafrage begründet. 2021 wurde nach langer und wechselhafter Vorgeschichte der Wechsel von Moutier zum Kanton Jura beschlossen. Ein Versuch, dieses Abstimmungsergebnis noch umzustossen, scheiterte im Jahr 2022, als das bernische Statthalteramt nicht auf einen entsprechenden Rekurs eintrat. Im Frühling 2023 konnten sich die beiden Kantone nach zwei Jahren Verhandlungen zu den Regeln des Wechsels auf den letzten Streitpunkt einigen (Finanzausgleichs-Zahlungen). Der Kantonswechsel wird per 1. Januar 2026 vollzogen.

Gleich zu einem weiteren Kantonswechsel – jedoch ohne interkantonalen Konflikt – kam es während der 51. Legislatur zwischen dem Kanton Bern und dem Kanton Freiburg. Mit dem Übertritt der bernischen Gemeinde Clavaleyres in den Kanton Freiburg am 1. Januar 2022 wurde dieser die Fusion mit der freiburgischen Gemeinde Murten ermöglicht. Vor der 51. Legislatur kam es das letzte Mal im Jahr 1996 zu einem Kantonswechsel, als Vellerat vom Kanton Bern in den Kanton Jura wechselte.

Das eidgenössische Parlament gewährleistete in der 51. Legislatur auch etliche Kantonsverfassungen. Für die meisten Diskussionen sorgte dabei die Ausweitung des Majorzsystems im Kanton Uri auf Gemeinden mit bis zu vier Abgeordneten im Landrat. Weitere Diskussionen im Parlament verursachte eine angenommene Kommissionsmotion, die den Bund zur Beteiligung an der Grundfinanzierung des Kompetenzzentrums für Föderalismus verpflichtet. Nach Diskussionen äusserst knapp abgelehnt wurde hingegen ein Postulat, das eine Prüfung zur Frage verlangt hätte, wie sich die Kantone verbindlicher an aussenpolitischen Entscheiden beteiligen könnten. Nach der am Ständemehr gescheiterten Konzernverantwortungsinitiative und der dadurch erneut entfachten Debatte zum Reformbedarf des Ständemehrs befasste sich das Parlament auch mit einer parlamentarischen Initiative, die ein qualifiziertes Ständemehr bei Doppelmehr-Abstimmungen forderte. Sowohl die zuständige Kommission als auch der Nationalrat gaben dem Anliegen jedoch keine Folge.


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Rückblick auf die 51. Legislatur: Föderativer Aufbau
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Rétrospective de la 51e législature : La gestion du système politique face aux (grandes) crises

Auteures: Anja Heidelberger et Marlène Gerber

Traduction: Lloyd Fletcher et Karel Ziehli

Etat au 17.08.2023

Les événements, histoires et débats politiques qui ont eu lieu en très grand nombre au cours de la 51e législature peuvent être retracés de manière détaillée dans nos rapports de législature, classés par thèmes politiques. Toutefois, on se souviendra sans doute surtout des différentes crises qui ont secoué la Suisse au cours de cette législature. En effet, pratiquement aucun domaine politique n'a échappé à au moins une grande crise au cours des quatre dernières années. Par conséquent, nous mettons l'accent, dans cette rétrospective transversale de la 51e législature, sur ces crises et leurs nombreuses répercussions sur la politique et la société.

La pandémie de Covid-19
La pandémie de Covid-19 a eu des répercussions sur presque tous les domaines politiques. En effet, outre le système de santé fortement touché et mis à contribution, les mesures de lutte contre la pandémie ont posé de gros problèmes à différentes branches et catégories de personnes – en particulier aux entreprises et aux indépendants, que le Conseil fédéral a aidés en étendant les allocations pour perte de gain et le chômage partiel et en créant des crédits-relais et des aides pour les cas de rigueur. Les médias, les acteurs culturels, les ligues et associations sportives ainsi que les transports publics et le transport aérien ont également bénéficié de soutiens financiers, tandis que des mesures d’un autre type ont été réclamées dans le domaine des écoles ainsi que pour les loyers commerciaux. Les mesures exhaustives prises pour lutter contre la pandémie ont entraîné un déficit budgétaire considérable, amenant le Parlement à prolonger le délai du remboursement de la dette afin d’éviter des coupes budgétaires draconiennes. La pandémie a également été une charge pour la population, avec des baisses de salaires (lors du chômage partiel), la garde d'enfants en télétravail ou encore l'anxiété. En outre, la pandémie a également posé un problème à la société dans son ensemble, en entraînant (ou en renforçant) une perte de confiance d'une partie de la population dans le gouvernement. Une partie de la population suisse s’est montrée sceptique quant à la vaccination contre le Covid-19, ce qui a suscité des débats émotionnels autour de l'introduction dudit certificat Covid-19. En revanche, tant l'armée, la protection civile et le service civil – en effectuant de nombreuses heures dans des interventions, notamment dans le domaine de la santé – que le monde de la recherche qui a développé des vaccins et des médicaments contre le Covid-19 ont pu démontrer leur utilité dans le cadre de la pandémie. Enfin, la pandémie a également stimulé le télétravail et, plus généralement, la flexibilisation et la numérisation du monde du travail. Au cours de la 51e législature, le peuple et les cantons ont également accepté l'initiative sur les soins, qui contenait des mesures visant à garantir les soins infirmiers de base, dont l'importance a été soulignée pendant la pandémie.

La pandémie a également eu des répercussions sensibles sur le système institutionnel. Au début, le gouvernement a clairement pris les choses en main, prenant toutes les décisions importantes après la proclamation de la situation extraordinaire au sens de la loi sur les épidémies grâce à des décrets d'urgence fondés sur la Constitution et à la loi sur les épidémies, tandis que le Parlement a interrompu prématurément sa session de printemps en raison du début de la pandémie. Le Parlement a obtenu davantage de marge de manœuvre lorsque les ordonnances d'urgence ont dû être remplacées par une loi au bout de six mois, conformément à la Constitution – l'examen de la loi Covid 19 et de ses cinq révisions à ce jour ont donné lieu à des débats animés au Parlement et parfois à des modifications centrales des projets du Conseil fédéral. Les droits populaires ont également connu un coup d'arrêt temporaire, bien que le corps électoral a pu ensuite s'exprimer à trois reprises sur les révisions de la loi Covid 19, qu'il a à chaque fois approuvées. Non seulement les relations entre l'exécutif et le législatif, mais aussi la position des cantons dans la pandémie ont fait l'objet de discussions récurrentes. Ainsi, la déclaration de la situation extraordinaire avait clairement fait basculer le rapport de force en faveur de la Confédération. Certaines phases durant lesquelles les cantons ont temporairement pris le contrôle ont abouti à des patchworks de réglementations entre cantons et à des appels fréquents pour que la Confédération prennent à nouveau les décisions. L'année 2022 a finalement été marquée par les premières tentatives de résoudre politiquement la crise de la Covid-19, avec des propositions discutées pour rendre la Confédération et le Parlement plus résistants aux crises.

La guerre en Ukraine et les problèmes d'approvisionnement en énergie
Immédiatement après la pandémie, la guerre d'agression contre l'Ukraine a attiré l'attention sur des thèmes qui étaient auparavant moins mis en lumière. Ainsi, la guerre a déclenché en Suisse des discussions animées sur l'orientation de la politique étrangère et de la neutralité, après que la Confédération a repris les sanctions décidées par l'UE contre la Russie et que la question de la livraison d’armes à l’Ukraine s’est posée. Cette crise a conduit à l'accueil de réfugié.e.s ukrainien.ne.s en Suisse et à la première utilisation du statut de protection S, ainsi qu'à l'augmentation du budget militaire jusqu'en 2030 et à des discussions sur la sécurité de l'approvisionnement dans le secteur agricole. De plus, la Banque nationale suisse (BNS) a enregistré une perte de 150 milliards de CHF en 2022, qu'elle a notamment attribué aux conséquences de la guerre en Ukraine sur l'économie mondiale.

Conséquence directe de la guerre en Ukraine, les problèmes d'approvisionnement en énergie se sont intensifiés, entraînant une hausse des prix de l'énergie, ce qui s'est répercuté sur les autres prix. En réaction à une possible pénurie d'énergie, le Conseil fédéral a principalement misé sur les énergies renouvelables, tout en faisant construire des centrales de réserve à gaz en cas d'urgence. Des débats sur les avantages de l'énergie nucléaire ont également refait surface dans le monde politique. Enfin, on suppose que la crise énergétique a contribué à la majorité en faveur du contre-projet indirect à l'initiative des glaciers, bien que des projets d'expansion de l'approvisionnement en électricité en hiver aient été privilégiés au Parlement par rapport aux préoccupations environnementales.

Dans l'ensemble, les différentes crises survenues au cours de la 51e législature ont mis en évidence une vulnérabilité d’une ampleur inattendue en matière de sécurité de l'approvisionnement dans de nombreux domaines, en particulier dans le domaine médical, comme les unités de soins intensifs et les médicaments, ainsi que dans le domaine économique, notamment en matière d'énergie et d'agriculture.

Ce qui a également été important
Bien entendu, la 51e législature a également été marquée par des événements, des choix et des décisions politiques importants, indépendamment des crises.

La rupture des négociations sur l'accord-cadre institutionnel en avril 2021 a particulièrement marqué les relations entre la Suisse et l'UE. Le refus de l'accord-cadre a conduit tant à un blocage de la participation suisse au programme de recherche européen « Horizon Europe »; une situation que même le déblocage du deuxième milliard de cohésion ne changera pas. Après plusieurs autres entretiens exploratoires entre la Suisse et l'UE, le Conseil fédéral a adopté en 2023 des lignes directrices pour un nouveau mandat de négociation avec l'UE.

L'effondrement de Credit Suisse en mars 2023 et son rachat par UBS ont également suscité une attention particulière. C’est pour enquêter sur ces événements que le Parlement a décidé d’instituer la cinquième commission d'enquête parlementaire de l'histoire suisse.

Les femmes ont écrit l'histoire en augmentant de manière significative leur représentation dans les deux chambres lors des élections fédérales de 2019. Près de cinquante ans après l'introduction du droit de vote des femmes – la 51e législature a également été l'occasion de célébrer le 50e anniversaire –, la proportion de femmes au Conseil national a dépassé pour la première fois les 40 pour cent, tandis que celle au Conseil des États s'élevait à 26 % après les élections.

Bien que le Parlement soit devenu plus vert avec les dernières élections fédérales, les questions climatiques ont surtout été au centre de l'attention en 2021, lorsque le corps électoral a rejeté de justesse la révision totale de la loi sur le CO2. En revanche, la loi sur le climat et l'innovation, qui constituait un contre-projet indirect à l'initiative des glaciers, été approuvée en votation populaire en 2023.

De manière générale, le taux d'acceptation des projets soumis au référendum facultatif au cours de la 51e législature a été relativement faible par rapport aux législatures précédentes, avec 7 échecs sur un total de 21 référendums. De plus, la participation électorale a été élevée de 5 points de pourcentage en plus par rapport à la moyenne depuis 1990, ce qui pourrait être lié au climat politique enflammé pendant la pandémie de Covid-19. Le taux d'acceptation des initiatives lors de la 51e législature a été relativement élevé (3 initiatives sur 13), tandis que le nombre d'initiatives populaires soumises au vote a été moins élevé que lors des législatures précédentes. En revanche, le Conseil fédéral et le Parlement ont élaboré de nombreux contre-projets directs ou indirects aux initiatives populaires au cours de cette législature.


Vous trouverez des informations sur les votations populaires ainsi que des explications sur les objets parlementaires et des descriptions des événements centraux de la 51e législature dans les différentes rétrospectives thématiques de la législature ainsi que dans les rétrospectives annuelles qui y sont liées.

Liens vers les rapports de législature, classés par thèmes politiques:
Problèmes politiques fondamentaux
Ordre juridique
Institutions et droits populaires
Structures fédéralistes
Elections
Politique étrangère
Armée
Politique économique
Crédit et monnaie
Agriculture
Finances publiques
Energie
Transports et communications
Aménagement du territoire et logement
Protection de l'environnement
Population et travail
Santé
Assurances sociales
Groupes sociaux
Enseignement et recherche
Culture, langues, églises
Médias

Rückblick auf die 51. Legislatur: Vom Umgang des politischen Systems mit (grossen) Krisen
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Rückblick auf die 51. Legislatur: Vom Umgang des politischen Systems mit (grossen) Krisen

Autorinnen: Anja Heidelberger und Marlène Gerber

Stand: 17.08.2023

Die unzähligen Geschichten, Ereignisse und politischen Diskussionen, die sich während der 51. Legislatur ereigneten, lassen sich ausführlich in unseren thematischen Legislaturrückblicken nachlesen. In Erinnerung bleiben werden aber wohl in erster Linie die verschiedenen Krisen, welche die Schweiz in dieser Legislatur beschäftigt haben. So war denn auch kaum ein Themenbereich nicht von mindestens einer grossen Krise betroffen. Folglich stellen wir die Krisen und deren zahlreiche Auswirkungen für Politik und Gesellschaft in den Fokus dieses themenübergreifenden Rückblicks auf die 51. Legislatur.

Die Covid-19-Pandemie
Insbesondere die Covid-19-Pandemie hatte Auswirkungen auf fast alle Politikfelder, denn neben dem stark betroffenen und belasteten Gesundheitssystem stellten die Massnahmen im Kampf gegen die Pandemie verschiedene Branchen und Personengruppen vor grosse Probleme – insbesondere auch die Unternehmen und Selbständigerwerbenden, denen der Bundesrat etwa durch Ausdehnung des Erwerbsersatzes und der Kurzarbeit sowie mit der Schaffung von Corona-Krediten und Härtefallhilfen entgegen kam. Finanziell unterstützt wurden insbesondere auch die Medien, die Kulturunternehmen und Kulturschaffenden, die Sportligen und -vereine sowie der öffentliche Verkehr und der Luftverkehr, während etwa im Bereich der Schulen, aber auch bei den Geschäftsmieten alternative Regelungen gefragt waren. Die umfassenden Massnahmen gegen die Pandemie führten in der Folge zu einem grossen Loch im Bundeshaushalt, dessen Abbaufrist das Parlament verlängerte, um einschneidende Sparrunden zu verhindern. Eine Belastung war die Pandemie auch für die Bevölkerung, welche etwa durch tiefere (Kurzarbeits-)Löhne, Kinderbetreuung im Home-Office oder Angstgefühle. Zudem stellte die Pandemie auch ein Problem für die Gesellschaft als Ganzes dar, indem sie bei Teilen der Bevölkerung zu einem Vertrauensverlust in die Institutionen führte (oder diesen verstärkte). Teile der Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz standen denn auch der Covid-19-Impfung skeptisch gegenüber, was zu besonders emotionalen Diskussionen rund um die Einführung des sogenannten Covid-19-Zertifikats führte. Hingegen konnten Armee, Zivilschutz und Zivildienst in zahlreichen Einsatzstunden v.a. im Gesundheitsbereich, aber etwa auch die Forschung bei der Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gegen Covid-19 ihren Nutzen im Rahmen der Pandemie unter Beweis stellen. Schub bedeutete die Pandemie schliesslich für die Förderung von Homeoffice und allgemein für die Flexibilisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt. In der 51. Legislatur nahmen Volk und Stände auch die Pflegeinitiative an, welche Massnahmen enthielt, um die pflegerische Grundversorgung zu sichern, deren Wichtigkeit im Zuge der Pandemie noch verdeutlicht worden war.

Spürbare Auswirkungen hatte die Pandemie auch auf das Institutionengefüge. Zu Beginn nahm eindeutig die Regierung das Zepter in die Hand, welche nach Ausrufen der ausserordentlichen Lage gemäss Epidemiengesetz mithilfe von auf der Verfassung beruhenden Notverordnungen und dem Epidemiengesetz alle wichtigen Entscheidungen traf, während das Parlament wegen des Ausbruchs der Pandemie die eigene Frühjahrssession vorzeitig abbrach. Mehr Spielraum erhielt das Parlament, als die Notverordnungen nach sechs Monaten verfassungsmässig durch ein Gesetz ersetzt werden mussten – die Beratung des Covid-19-Gesetzes und seine bisher fünfmalige Revision führten zu angeregten Debatten im Parlament und teilweise zu zentralen Änderungen an den bundesrätlichen Entwürfen. Zwischenzeitlich zum Stillstand kamen auch die Volksrechte, zu den Revisionen der Covid-19-Gesetze konnte sich die Stimmbevölkerung jedoch dann insgesamt dreimal äussern, wobei sie diese jeweils guthiess. Doch nicht nur das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative, sondern auch die Stellung der Kantone in der Pandemie sorgte immer wieder für Diskussionen. So hatte die Ausrufung der ausserordentlichen Lage die Kräfteverhältnisse eindeutig zugunsten des Bundes verschoben. Einzelne Phasen, in denen die Entscheidungsgewalt temporär bei den Kantonen lag, endeten zudem jeweils in sogenannten Flickenteppichen an Regelungen zwischen den Kantonen und nicht selten auch in dem Ruf nach erneuten Entscheidungen durch den Bund. Das Jahr 2022 stand schliesslich im Zeichen erster politischer Aufarbeitung der Covid-19-Krise, wobei insbesondere Vorstösse diskutiert wurden, mit denen Bund und Parlament krisenresistenter gemacht werden sollten.

Krieg in der Ukraine und Energiekrise
Gleich im Anschluss an die Pandemie erhielten mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine zuvor etwas weniger beleuchtete Themenbereiche aussergewöhnlich hohe Aufmerksamkeit. So löste der Krieg in der Schweiz hitzige Diskussionen zur Ausrichtung der Aussen- und Neutralitätspolitik aus, nachdem der Bund die von der EU beschlossenen Sanktionen gegen Russland und in der Folge auch alle Ausweitungen übernommen hatte und überdies über Waffenlieferungen an die Ukraine diskutiert wurde. Der Krieg führte in der Schweiz unter anderem zur Aufnahme von Flüchtenden aus der Ukraine und zur ersten Ausrufung des Schutzstatus S, aber auch zur Aufstockung des Militärbudget bis 2030 sowie zu Diskussionen über die Versorgungssicherheit im Landwirtschaftsbereich. Darüber hinaus verzeichnete die SNB im Jahr 2022 einen Verlust von CHF 150 Mrd., den sie unter anderem auf die weltwirtschaftlichen Folgen des Ukrainekriegs zurückführte.

Als direkte Folge des Ukraine-Krieges verstärkte sich zudem die Versorgungsproblematik im Energiebereich, woraufhin die Energiepreise anstiegen, was sich auch auf die übrigen Preise auswirkte. Als Reaktion auf die mögliche Energieknappheit wollte der Bundesrat in erster Linie auf erneuerbare Energien setzen, für den Notfall liess er jedoch Reservegaskraftwerke bauen. Auch flammten in der Politik gleichzeitig Diskussionen um die Vorteile von Atomkraft auf. Schliesslich wird vermutet, dass die Energiekrise dem indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative zu einer Mehrheit verhalf, gleichzeitig wurde aber Ausbauprojekten zur Stromversorgung im Winter im Parlament Vorrang gegenüber Umweltbedenken gegeben.

Insgesamt zeigten die verschiedenen Krisen während der 51. Legislatur eine ungeahnt grosse Vulnerabilität bezüglich der Versorgungssicherheit in zahlreichen Bereichen auf, insbesondere im medizinischen Bereich, etwa bei den Intensivstationen und den Medikamenten, aber auch im wirtschaftlichen Bereich, hier insbesondere bei der Energie und in der Landwirtschaft.

Was sonst noch wichtig war
Natürlich brachte die 51. Legislatur auch unabhängig von den Krisen wichtige Ereignisse, Weichenstellungen und politische Entscheide mit sich.

Der im April 2021 erfolgte Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen prägte die Beziehungen der Schweiz mit der EU in besonderem Masse. So führte der Verhandlungsabbruch etwa auch zu einer Blockierung der Teilnahme am EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe», woran auch die Freigabe der zweiten Kohäsionsmilliarde nichts änderte. Nach verschiedenen weiteren Sondierungsgesprächen zwischen der Schweiz und der EU verabschiedete der Bundesrat 2023 Eckwerte für ein neues Verhandlungsmandat mit der EU.

Für besonderes Aufsehen sorgte auch der im März 2023 bekannt gewordene Untergang der Credit Suisse respektive deren Übernahme durch die UBS. Zur Aufarbeitung dieser Geschehnisse wurde die fünfte parlamentarische Untersuchungskommission der Schweizer Geschichte initiiert.

Geschichte schrieben auch die Frauen, die bei den eidgenössischen Wahlen 2019 ihre Vertretung in den beiden Räten signifikant hatten steigern können. Fast fünfzig Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts – in der 51. Legislatur fanden auch die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum statt – betrug der Frauenanteil im Nationalrat erstmals über 40 Prozent, derjenige im Ständerat belief sich nach den Wahlen auf 26 Prozent.

Generell war die Annahmequote von durch das fakultative Referendum initiierten Abstimmungsvorlagen in der 51. Legislatur im Vergleich zu vorherigen Legislaturen eher niedrig, so scheiterten 7 von insgesamt 21 solcher Referendumsvorlagen. Zudem lag die Abstimmungsbeteiligung im langjährigen Schnitt (seit 1990) um 5 Prozentpunkte höher, was mit der während der Covid-19-Pandemie aufgeheizten politischen Stimmung in Zusammenhang stehen könnte. Die Annahmequote von Initiativen in der 51. Legislatur war vergleichsweise hoch (3 von 13 Initiativen), während gleichzeitig eher über weniger Volksbegehren abgestimmt wurde als in früheren Legislaturen. Dafür erarbeiteten Bundesrat und Parlament in dieser Legislatur auch zahlreiche direkte Gegenentwürfe oder indirekte Gegenvorschläge zu Volksinitiativen.


Informationen zu den Abstimmungsvorlagen sowie Ausführungen zu den in den jeweiligen Themenbereichen zentralen Geschäften und Ereignissen der 51. Legislatur finden Sie in den einzelnen thematischen Legislaturrückblicken sowie in den dort verlinkten Jahresrückblicken.

Zu den thematischen Legislaturrückblicken:
Politische Grundfragen
Rechtsordnung
Institutionen und Volksrechte
Föderativer Aufbau
Wahlen
Aussenpolitik
Landesverteidigung
Wirtschaftspolitik
Geld, Währung, Kredit
Landwirtschaft
Öffentliche Finanzen
Energie
Verkehr und Kommunikation
Raumplanung und Wohnungswesen
Umweltschutz
Bevölkerung und Arbeit
Gesundheit
Sozialversicherungen
Soziale Gruppen
Bildung und Forschung
Kultur, Sprache, Kirche
Medien

Rückblick auf die 51. Legislatur: Vom Umgang des politischen Systems mit (grossen) Krisen
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

In Erfüllung des Postulats Romano (mitte, TI) zur Umwelterziehung veröffentlichte der Bundesrat im Sommer 2023 den Bericht «Bildung für nachhaltige Entwicklung in der obligatorischen Schule», welcher vom SBFI in Zusammenarbeit mit der EDK erstellt worden war. Der Bericht hielt fest, dass das Thema BNE in der obligatorischen Schule bereits breit verankert sei und in allen drei Rahmenlehrplänen der Schweiz (Lehrplan 21, Plan d’étude romand und Piano di studio) enthalten sei. Die Autorinnen und Autoren verwiesen im Postulatsbericht auf zahlreiche Projekte, die veranschaulichten, wie in den Schulen die Thematik BNE in den Unterricht integriert werden kann. Der Bericht ging ebenfalls kurz auf die nachobligatorische Bildung ein: Mit der von Bund und Kantonen initiierten Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität solle die Aufnahme von transversalen Themen wie BNE auch in den gymnasialen Unterricht gefördert werden. In der beruflichen Grundbildung (Lehre), welche durch Bund, Kantone und Organisationen der Arbeitswelt gemeinsam verantwortet wird, ist BNE laut Bericht ebenfalls ein relevantes Thema. So unterstütze das SBFI die Berufsverbände beispielsweise mit einer Orientierungshilfe zur Nachhaltigen Entwicklung in der Berufsbildung. Ausserdem werde BNE auch als ein Ausbildungsziel im Rahmenlehrplan für den allgemeinbildenden Unterricht in der Berufslehre aufgeführt. Schliesslich finanziere der Bund die Stiftung éducation21 mit, welche als nationales Kompetenzzentrum zur Förderung der Verankerung von BNE im ganzen Bildungssystem Schweiz fungiert.
Vor diesem Hintergrund kam der Bericht zum Schluss, dass die Strukturen zur Förderung von BNE gut funktionieren. Entsprechend könne an den bestehenden Zuständigkeiten und Rahmenbedingungen festgehalten werden. Die von Nationalrat Romano aufgeworfene Erarbeitung eines Aktionsplans sei derzeit nicht angezeigt.

Bericht über die Umwelterziehung (Po. 19.3764)

Vor dem Hintergrund der ständerätlichen Debatte über den Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative reichte Heidi Z'graggen (mitte, UR) ein Postulat ein, mit welchem sie beabsichtigte, den Vollzug im Bereich des Biodiversitätsschutzes zu verbessern. Z'graggen argumentierte, dass die rechtlichen Grundlagen für den Schutz der Biodiversität bereits vorhanden seien, es jedoch am Willen und auch an den finanziellen und personellen Mitteln fehle, um die diesbezüglichen kantonalen Vollzugsdefizite anzugehen. Insbesondere die Vernetzung von Lebensräumen, die ökologische Infrastruktur sowie die Siedlungsgebiete als Hort der Biodiversität müssten ins Zentrum der Aufmerksamkeit gelangen, so Z'graggen. Die Urner Ständerätin forderte dementsprechend einen bundesrätlichen Bericht, in dem festgehalten werden soll, inwiefern mit freiwilligen Vereinbarungen, Verträgen oder einem MoU zwischen den Kantonen, dem Bund und allenfalls weiteren Akteurinnen und Akteuren die Biodiversität in der Schweiz erhalten und gestärkt werden kann. Dabei sollen auch Massnahmenpläne und Überwachungsmechanismen erarbeitet sowie die finanzielle Unterstützung des Bundes für Biodiversitätsprojekte auf kantonaler und kommunaler Ebene sichergestellt werden. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats.

Biodiversität auf den bestehenden rechtlichen Grundlagen verbindlich stärken und erhöhen (Po. 23.3676)
Dossier: Biodiversitätsinitiative und indirekter Gegenvorschlag

Im Rahmen der Botschaft zu den Motionen und Postulaten der gesetzgebenden Räte im Jahre 2022 schrieben National- und Ständerat in der Sommersession 2023 die Motion Christoph Eymann (ldp, BS) betreffend die frühe Sprachförderung als Basis für einen Sek-II-Abschluss und als Integrationsmassnahme ab. Der Bundesrat hatte im Sommer 2022 den entsprechenden Bericht «Frühe Sprachförderung in der Schweiz» veröffentlicht.

Frühe Sprachförderung vor dem Kindergarteneintritt als Voraussetzung für einen Sek-II-Abschluss und als Integrationsmassnahme (Mo. 18.3834)
Dossier: Frühe Kindheit

Im Juni 2023 veröffentlichte der Bundesrat in Erfüllung eines Postulats von Marianne Maret (mitte, VS) einen Bericht zur sozialen Sicherheit der Kulturschaffenden in der Schweiz. Der Bericht legte dar, dass die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden insbesondere aufgrund der häufiger auftretenden «atypischen Beschäftigungsverhältnisse» – das bedeutet beispielsweise mehr Teilzeitarbeit und häufigere selbstständige Erwerbstätigkeit – schlechter sei als jene von Personen aus anderen Erwerbsgruppen. Hinzu komme ein durchschnittlich tieferes Einkommen, was dazu führe, dass viele Kulturschaffende eine ungenügende Altersvorsorge aufweisen sowie ungenügend gegen krankheits- oder unfallbedingte Ausfälle versichert sind.
Seit dem letzten Bericht 2007 zu diesem Thema habe der Bundesrat diverse Massnahmen zur Verbesserung der Situation umgesetzt. So erwarte er etwa von der vom Parlament beschlossenen BVG-Reform eine bessere Absicherung für Mehrfachbeschäftigte – wie sie im Kulturbereich häufig anzutreffen sind. Denn häufig erreichten die Kulturschaffenden die BVG-Eintrittsschwelle bei den einzelnen Anstellungen nicht, womit sie nicht obligatorisch versichert seien. Das Parlament habe diese Eintrittsschwelle nun reduziert.
Zudem hätten Kulturverbände und andere Akteure im Kulturbereich weitere Vorschläge für eine Verbesserung der Vorsorgesituation von Kulturschaffenden eingereicht, welche der Bundesrat im Bericht diskutierte. Diese zielten mehrheitlich entweder auf eine Revision des Sozialversicherungsrechts oder auf eine Sonderlösung für die Kulturbranche ab. Beides beurteilte der Bundesrat im Bericht als nicht umsetzbar, stattdessen wollte er auf Lösungen «ausserhalb des Sozialversicherungsrechts» setzen. Dazu schlug er sechs Massnahmen vor, welche ebenfalls in die Vernehmlassung zur Kulturbotschaft 2025-2028 aufgenommen wurden. Dazu gehörte etwa die Schaffung einer Beratungs- und Dienstleistungsstelle für Kulturschaffende oder die Forderung, dass faire Löhne für die Kulturschaffenden in Zukunft ein Kriterium bei der Vergabe von Fördergeldern darstellen soll: falls die Arbeitgebenden keine angemessenen Löhne auszahlten, werde der Bundesrat nicht auf den Antrag eintreten.

Wie steht es um die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden in der Schweiz? (Po. 21.3281)

In der Sommersession 2023 lag das Schicksal des indirekten Gegenvorschlags des Bundesrates zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP in den Händen des Ständerats, denn bei einem erneuten Nichteintreten wäre der Gegenvorschlag vom Tisch. Wie bereits bei der ersten Behandlung beantragte die SGK-SR ihrem Rat, auf den Entwurf einzutreten, während erneut ein Minderheitsantrag auf Nichteintreten vorlag. Kommissionssprecher Ettlin (mitte, OW) begründete den Antrag auf Eintreten zum einen mit dem in den letzten Jahren deutlich gesunkenen Anteil der Kantone an den Prämienverbilligungen zulasten des Bundes – wobei die Kommission dem Ständerat in der Detailberatung bei den Kosten noch etwas entgegenkommen wolle – und zum anderen damit, dass man es für zu gewagt halte, «ohne Gegenvorschlag zur Initiative in eine Volksabstimmung zu gehen». Minderheitensprecher Germann (svp, SH) erachtete die von der Kommission vorgeschlagenen Korrekturen jedoch als ungenügend, da sie trotzdem sehr hohe Kosten für die Kantone mit sich bringen würden. Zudem lehnte er eine Vereinheitlichung bei den Prämienverbilligungen ab, da deren Voraussetzungen und Ausgestaltung in den Kantonen sehr unterschiedlich sei, und schliesslich störte er sich daran, dass ein höherer Anteil an Personen mit Prämienverbilligungen den individuellen Sparanreiz und den Reformdruck im Gesundheitswesen verringere. Im Unterschied zur Abstimmung ein halbes Jahr zuvor entschied sich der Ständerat dieses Mal jedoch mit 24 zu 16 Stimmen (bei 2 Enthaltungen), auf den Entwurf einzutreten. Mehrere Mitglieder der FDP- und der Mitte-Fraktion hatten ins Ja-Lager gewechselt, etwa aus Angst vor einer Abstimmung über die Initiative ohne Gegenvorschlag oder aufgrund der von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen Änderungen am Entwurf.

In der Detailberatung folgte der Ständerat seiner Kommission denn auch bei ihrem neuen Konzept. Der Nationalrat hatte zuvor die Personen mit Ergänzungsleistungen von der Berechnung des Anteils mit Prämienverbilligungen unterstützter Personen ausgenommen – stattdessen sollte sich der Bund zukünftig an der Finanzierung der Prämienverbilligungen von Personen mit EL beteiligen. Damit würden die Kantone zusätzlich mehr Personen ohne Ergänzungsleistungen unterstützen, wodurch sich die Gesamtkosten für Prämienverbilligungen (von Bund und Kantonen, für Personen mit EL und Personen ohne EL) von jährlich CHF 356 Mio. auf CHF 2.2 Mrd. erhöhen würden. Diese vom Nationalrat bevorzugte Änderung, im Ständerat eingebracht von einer Minderheit Stöckli (sp, BE), lehnte die kleine Kammer mit 32 zu 11 Stimmen ab und schuf so eine erste grosse Differenz zum Erstrat. Zustimmung fand im Ständerat hingegen die vom Nationalrat ergänzte Festschreibung eines Sozialziels – die Kantone müssen somit festlegen, wie hoch der Anteil der Prämien am verfügbaren Einkommen maximal sein darf. Zudem behielt der Ständerat entgegen einer Minderheit Hegglin (mitte, ZG) die Definition von steuerbarem Einkommen und bezahlten Prämien bei, um zu verhindern, dass die Kantone durch Definitionsfreiheit in diesen Bereichen das Sozialziel unterlaufen könnten. Schliesslich entschärfte der Ständerat auf Antrag seiner Kommissionsmehrheit und entgegen einer Minderheit Stöckli den von den Kantonen übernommenen Mindestanteil: Der Bundesrat hatte vorgesehen, dass die Kantone bei Personen, bei denen die Prämien weniger als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens ausmachen, 5 Prozent der Bruttokosten übernehmen müssen – der Ständerat erhöhte die Prämiengrenze auf 11 Prozent und senkte den zu übernehmenden Anteil auf 3.5 Prozent. Weiterhin sollen die Kantone jedoch bei Prämien von 18.5 Prozent des verfügbaren Einkommens 7.5 Prozent der Bruttokosten übernehmen – dazwischen würden die übernommenen Anteile abgestuft. Nachdem der Ständerat die Petition 17.2018 «für einkommensabhängige Krankenkassenprämien» zur Kenntnis genommen hatte, hiess er den indirekten Gegenentwurf in der Schlussabstimmung mit 26 zu 16 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gut.

Eidgenössische Volksinitiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» und indirekter Gegenvorschlag (BRG 21.063)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Prämienverbilligung
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

Nachdem das Parlament im Juni 2022 gegen den Antrag des Bundesrates auf Abschreibung einer Motion Baumann (cvp, UR) gestimmt hatte, die eine faire Lastenverteilung bei den Familienzulagen forderte, sah sich der Bundesrat gegen seinen Willen gezwungen, dem Parlament seine Botschaft zur Umsetzung des Vorstosses zu unterbreiten, was er denn im Mai 2023 auch tat. Diese Botschaft sah – in Übereinstimmung mit der Forderung des Motionärs – vor, die Kantone zum vollen Lastenausgleich zwischen den in ihrem Hoheitsgebiet tätigen Familienausgleichskassen zu verpflichten. Der Bundesrat hatte seinen ursprünglichen Beschluss, auf eine entsprechende Botschaft zu verzichten, mit den negativen Reaktionen aus der Vernehmlassung begründet. Darin hatten 6 der 15 von der Vorlage betroffenen Kantone ebenso wie die SODK eine solche Regelung abgelehnt.

In seiner Botschaft wies der Bundesrat darauf hin, dass er mit dem im Januar 2009 in Kraft getretenen Familienzulagengesetz in diesem Bereich über eine «umfassende Regelungskompetenz» verfüge. Indem er den Kantonen einen vollen Lastenausgleich vorschreibe, greife er zwar in den Kompetenzbereich der Kantone ein, lasse ihnen jedoch offen, wie sie diesen ausgestalten möchten. Konkret bleibe es den Kantonen überlassen, zu entscheiden, ob diese für alle im Kanton tätigen Familienausgleichskassen (FAK) einen einheitlichen Beitrags- und Risikosatz einführen möchten oder ob die Differenz zum durchschnittlichen Beitrags- und Risikosatz der kantonalen FAK mittels nachträglicher Ausgleichszahlungen egalisiert werden soll. Ebenfalls stehe es den Kantonen frei, ob sie für Arbeitnehmende und Selbständigerwerbende einen separaten oder einen gemeinsamen Lastenausgleich einführen möchten. Nicht zuletzt blieben auch die administrativen Fragen zu den Ausgleichszahlungen sowie die Frage der Zuständigkeit zur Durchführung des Lastenausgleichs in der Kompetenz der Kantone.

Familienzulagengesetz. Änderung (Einführung eines vollen Lastenausgleichs; BRG 23.050)

Mit einem Postulat forderte Mustafa Atici (sp, BS) vom Bundesrat einen Bericht darüber, wie die Mobilität von Kunst- und Kulturschaffenden Unesco-konform erleichtert werden kann. Atici erklärte, dass er regelmässig Beschwerden von Veranstaltenden interkultureller Anlässe erhalte, weil die Einreise von Künstlerinnen und Künstlern aus dem globalen Süden schwierig bis unmöglich sei. Oft erhielten Personen etwa aus Afrika oder Lateinamerika gar kein Visum oder erst sehr kurzfristig und mit sehr strengen, kaum erfüllbaren Auflagen. Jedoch habe sich die Schweiz mit der Unterzeichnung der UNESCO-Konvention zum «Schutz und der Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen» verpflichtet, die Einreise für Kulturschaffende aus Ländern, die eine Visumspflicht für die Schweiz haben, zu erleichtern. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hielt dagegen, dass die Schweiz bezüglich Visaregelungen für Personen aus sogenannten Drittstaaten an die Schengen-Regelungen gebunden sei. Dabei gäbe es gewissen Handlungsspielraum (etwa beim Erlass von Visumgebühren), den die Behörden auch nutzen würden. Ausserdem seien diese Herausforderungen bereits im dritten periodischen Bericht der Schweiz zur Umsetzung der UNESCO-Konvention erkannt worden, seit 2020 habe man überdies erste Massnahmen dagegen ergriffen. Aufgrund dieser Massnahmen und der geplanten Bestandesaufnahme der Problematik im vierten periodischen Bericht der Schweiz im Jahr 2024 sei ein weiterer Bericht nicht nötig, argumentierte der Bundesrat. In der Folge lehnte der Nationalrat das Postulat mit 105 zu 80 Stimmen ab. Unterstützung erhielt Atici von den geschlossen stimmenden Fraktionen der SP, der Grünen und der Grünliberalen.

Die Mobilität von Kunst- und Kulturschaffenden Unesco-konform erleichtern (Po. 21.4461)

Nach den Schlussabstimmungen zur fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes machten sich die Freunde der Verfassung, Mass-voll sowie etwa zwei Dutzend weitere massnahmenkritische Organisationen an die Unterschriftensammlung für ein erneutes Referendum. Ihre Hauptkritik richtete sich erneut gegen das Covid-19-Zertifikat – dessen Rechtsgrundlage durch die fünfte Revision verlängert wird –, da dieses zu einer «Beschneidung der Grundrechte» und zu einer Spaltung der Gesellschaft führe, wie sie online auf ihrer Kampagnenseite erklärten.
Die mediale Aufmerksamkeit für die Unterschriftensammlung blieb deutlich unter den ersten beiden zum Covid-19-Gesetz ergriffenen Referenden zurück. In einzelnen Zwischenmeldungen wurde jedoch darüber berichtet, dass sich die Referendumsführenden mit der Unterschriftensammlung schwerer täten als zuvor. Als Grund dafür machten die Medien vor allem die gesunkene Sorge vor Covid-19 aus. Noch Anfang März berichtete etwa die Aargauer Zeitung, dass das Referendum wohl nicht zustande kommen werde – einen Monat vor dem Ende der Sammelfrist seien erst 40'000 der angestrebten 60'000 Unterschriften zusammengekommen, bestätigte auch der Präsident von Mass-voll, Nicolas Rimoldi gegenüber den Medien. Ende März 2023 verkündeten die Freunde der Verfassung und Mass-voll jedoch, dass sie mit Einsatz von «viel Zeit und Geld» (Rimoldi) genügend Unterschriften gesammelt hätten, was die Bundeskanzlei Anfang April 2023 bestätigte: Mit 56'184 gültigen von 59'211 eingereichten Unterschriften war das Referendum zustandegekommen. Somit werden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger im Juni 2023 über die fünfte Revision und über die weitere Gültigkeit des Covid-19-Gesetzes abstimmen.

Fünfte Revision des Covid-19-Gesetzes (Verlängerung und Änderung ausgewählter Bestimmungen; BRG 22.046)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

Mit Blick auf die Beziehungen der Schweiz zur EU nach dem Scheitern des Rahmenabkommens gaben die Regierungen der Ostschweizer Kantone im März 2023 bekannt, den Bundesrat bei der Fortsetzung der Sondierungsgespräche mit Brüssel zu unterstützen. Wie aus einer Mitteilung der Ostschweizer Regierungskonferenz (ORK) hervorging, legten die Ostschweizer Kantone aufgrund ihrer grenznahen Lage und den daraus entstehenden Verflechtungen mit den Nachbarländern grossen Wert auf eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Sie seien deshalb besonders daran interessiert, eine rechtlich geordnete und zukunftsfähige Lösung zwischen der Schweiz und der EU zu erreichen. Mit ihrer Position standen die Ostschweizer Kantone auf einer Linie mit den restlichen Schweizer Kantonen, unter welchen sich in grosser Einigkeit eine Zustimmung zeigte, die so beim Abkommens-Entwurf von 2019 noch nicht vorgelegen hatte und damit gemäss 24H einem «véritable changement de paradigme» gleichkam. Bisher hätten sich eine Reihe von Kantonen, darunter das Tessin und Schwyz, einem Rahmenabkommen unter diesen Bedingungen entgegengestellt, machte die NZZ ihre Verblüffung laut. So verabschiede die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) in ihrer Plenarversammlung Ende März 2023 einstimmig eine europapolitische Standortbestimmung, stärkte dadurch dem «Bundesrat bei Gesprächen mit [der] EU den Rücken» und förderte somit deren innenpolitische Akzeptanz, berichtete etwa die NZZ. In ihrer Einigkeit darin, dass die Schweiz und die EU stabile und langfristige Beziehungen bräuchten, positionierten sich die Schweizer Kantonsregierungen im verabschiedeten Text sodann zu einzelnen Streitpunkten der Verhandlungen – wenn auch relativ allgemein formuliert. Betreffend eine dynamische Übernahme von europäischem Recht zeigten sich die Kantone dazu bereit, dieser zuzustimmen, «sofern sie nicht automatisch ist und auf sektorielle Marktzugangsabkommen beschränkt bleibt» und vom Bundesrat, dem Parlament und der Stimmbevölkerung abgesegnet werde, so KdK-Präsident Markus Dieth (AG, mitte). Die Kantonsregierungen befürworteten grundsätzlich auch einen vertraglich festgelegten Mechanismus zur Streitbeilegung bei Marktzugangsabkommen mit der EU, wie sie in einer Medienmitteilung schrieben. Sie sprachen sich dabei ausdrücklich für diejenige Lösung aus, bei welcher der EuGH die Aufgabe erhalte, bei Streitigkeiten betreffend das von der Schweiz übernommene EU-Recht eine kohärente Auslegung vorzunehmen, wobei sie der EU im grössten Streitpunkt entgegenkam. Eine supranationale Überwachung der Einhaltung der EU-Abkommen durch die Schweiz lehnten die Kantone hingegen ab und sprachen sich damit auch gegen das Andocken der Schweiz an die EFTA-Institutionen des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) aus. Bei der Überwachung der staatlichen Beihilfen, wie diese die EU für ihre Mitgliedstaaten vornehme, soll in Bereichen mit Marktzugangsabkommen ein Schweizer Verfahren zur Anwendung kommen, so die Position der KdK.

Europapolitische Standortbestimmung der KdK

Nachdem der Nationalrat die Kommissionsmotion der UREK-NR zur Förderung der Baukultur von hoher Qualität angenommen hatte, beschäftigte sich in der Frühlingssession 2023 der Ständerat damit. Ziel der Motion war es, den Bundesrat zu verpflichten, die bisher im indirekten Gegenentwurf zur Biodiversitätsinitiative vorgeschlagene gesetzliche Grundlage für die Förderung der Baukultur neu in der Kulturbotschaft 2025-2028 zu präsentieren – im Bereich der Biodiversität hatte sie der Nationalrat als sachfremd empfunden. Die Mehrheit der UREK-SR empfahl die Motion gemäss Kommissionsbericht zur Ablehnung, da die hohe Baukultur in der Kompetenz der Kantone liege und man eine «Vermischung der Zuständigkeiten» verhindern wolle. Kommissionssprecher Daniel Fässler (mitte, AI) ergänzte, dass man damit auch den vom Bundesrat in den Kulturbotschaften 2016-2020 und 2021-2024 eingeschlagenen Weg weiterführen wolle. Eine Minderheit Mazzone (gp, GE) wollte die Motion gutheissen. Unter anderem betonte sie, dass die Motion nicht zu einer Kompetenzverschiebung zum Bund führen würde und verwies auf die Kostenneutralität der Forderung. Auch Bundesrat Alain Berset sprach sich für die Annahme der Motion aus, da eine gesetzliche Grundlage etwa bei der Koordination der Zusammenarbeit helfen könnte. Der Ständerat lehnte die Kommissionsmotion nichtsdestotrotz mit 23 zu 15 Stimmen ab. Dennoch könnte die entsprechende Regelung womöglich Aufnahme in die Kulturbotschaft 2025-2028 finden – hatte Bundesrat Berset aufgrund der grundsätzlich positiven Diskussion im Rat angetönt.

Förderung der Baukultur von hoher Qualität (Mo. 22.3892)

Die Gewährleistung der geänderten Kantonsverfassungen von Zürich, Glarus, Solothurn, Basel-Landschaft, Wallis und Genf erfolgte in der Frühlingssession 2023 sowohl im Ständerat als auch im Nationalrat oppositionslos. Wie Kommissionssprecher Matthias Zopfi (gp, GL) im Ständerat berichtete, habe die SPK-SR die Gewährleistung sämtlicher Verfassungsänderungen beantragt, wobei in der Vorberatung einzig die revidierten Artikel der Walliser Verfassung zur Regulierung von Grossraubtieren zu Diskussionen über die Bundesrechtskonformität geführt hätten. Da die Verfassungsbestimmungen allerdings in einer Weise ausgelegt werden könnten, die dem Bundesrecht entsprächen, und bereits im Jahr 2020 eine gleichlautende Urner Verfassungsänderung als bundesrechtskonform eingeschätzt worden war, habe die Kommission konsequenterweise und unter Beachtung des Günstigkeitsprinzips die Gewährleistung beantragt.

Gewährleistung von Änderungen in den Kantonsverfassungen von Zürich, Glarus, Solothurn, Basel-Landschaft, Wallis und Genf (BRG 22.079)
Dossier: Gewährleistung kantonaler Verfassungen

In der Frühjahrssession 2023 bekräftigte der Nationalrat seinen Entscheid, auf den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP einzutreten. Kommissionssprecher Jörg Mäder (glp, ZH) erachtete den Nichteintretensentscheid des Ständerats «schon fast als Arbeitsverweigerung» und kritisierte ihn als «Geringschätzung der Betroffenen». Zusammen mit dem zweiten Kommissionssprecher Benjamin Roduit (mitte, VS) bat er den Nationalrat im Namen der Kommissionsmehrheit um erneutes Eintreten, um die Bevölkerung bei der Bewältigung der Prämienlast zu unterstützen. Eine Minderheit de Courten (svp, BL) erachtete sowohl die Initiative als auch den Gegenvorschlag als «Symptombekämpfung» – das eigentliche Problem seien die steigenden Gesundheitskosten. Man solle daher nicht «aus abstimmungstaktischen Gründen» einen teuren Gegenvorschlag schaffen, der das Problem nicht löse. Mit 106 zu 79 Stimmen (bei 1 Enthaltung) erneuerte der Nationalrat in der Folge seinen Eintretensentscheid, die ablehnenden Stimmen stammten von der SVP-, einer Mehrheit der FDP- und einer Minderheit der Mitte-Fraktion. Das Geschäft ging damit zurück an den Ständerat.

Eidgenössische Volksinitiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» und indirekter Gegenvorschlag (BRG 21.063)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Prämienverbilligung
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

Jahresrückblick 2022: Föderativer Aufbau

Die Diskussionen über Krisentauglichkeit und allfälligen Reformbedarf des schweizerischen föderalistischen Systems hielten 2022 wie schon in den Vorjahren an, allerdings in geringerer medialer Intensität: Mit dem Abflauen der Covid-19-Pandemie und der Aufhebung der meisten Massnahmen ging Anfang Jahr auch das Medieninteresse an Fragen des Föderalismus auf das Niveau vor der Pandemie zurück (siehe die Abbildungen in der angehängten APS-Zeitungsanalyse 2022).
Viele Medien, Behörden und Forschende zogen aber Bilanz darüber, ob der Föderalismus bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie eher Fluch oder Segen gewesen sei. Dabei herrschte weitgehend Einigkeit, dass der Föderalismus verschiedentlich einem Schwarzpeter-Spiel Vorschub leistete, bei dem Bund und Kantone sich gegenseitig die Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen zuschoben. Kantonal unterschiedliche Regelungen wurden oft als Flickenteppich wahrgenommen, was möglicherweise der generellen Akzeptanz von Einschränkungen schadete. Andererseits wurden dank dem «föderalen Labor» diverse innovative Lösungen in einem Kanton entwickelt und konnten im Erfolgsfall dann auch anderswo übernommen werden – so etwa die Zürcher Lösung für die Unterstützung von Kulturschaffenden, das Zuger Ampelsystem oder die Bündner Massentests, welche ihrerseits aus dem Wallis inspiriert waren. Weil der Föderalismus zu einer breiteren Abstützung politischer Massnahmen zwingt, hat er gemäss einer verbreiteten Einschätzung die Entscheidungsfindung verlangsamt und tendenziell verwässert, die Akzeptanz in der Gesellschaft dadurch aber vermutlich verbessert. Kritik gab es in den Medien, aber auch aus den Kantonen, an der Rolle der interkantonalen Konferenzen der Kantonsregierungen: Diese seien fälschlicherweise als Sprachrohre der Kantone gegenüber dem Bund und der Öffentlichkeit wahrgenommen worden.

Aufgrund dieser Diskussionen wurden teilweise auch Konsequenzen in Form von institutionellen Anpassungen gefordert. Ein von verschiedenen Seiten vorgebrachtes Anliegen war eine klarere Kompetenzzuteilung und eine bessere Koordination zwischen Bund und Kantonen. Derweil rückte die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) wieder von ihrer Ende 2020 formulierten Forderung nach einem paritätisch zusammengesetzten politisch-strategischen Führungsorgan von Bund und Kantonen ab; sie erachtete nun im Fall einer Krise bloss noch einen gemeinsamen Krisenstab auf operativer Ebene und eine Intensivierung des Dialogs auf strategischer Ebene für nötig. Zudem solle das Epidemiengesetz dem Bund künftig bereits in der besonderen Lage (und nicht erst in der ausserordentlichen Lage) eine «strategische Gesamtführung» und zusätzliche Kompetenzen für landesweite Massnahmen übertragen. Kritikerinnen und Kritiker witterten darin eine neue Schwarzpeter-Strategie: Die KdK wolle Verantwortung an den Bund abschieben. Die KdK selbst argumentierte hingegen, es gehe ihr um die Vermeidung von Flickenteppichen.

Die zwei Seiten der Föderalismusmedaille – einerseits Begünstigung innovativer Lösungen durch das föderale Labor, andererseits Verlangsamung einheitlicher Lösungen und Koordinationsbedarf zwischen Bund und Kantonen – blieben auch in anderen Bereichen ein unerschöpfliches Thema der öffentlichen Diskussion. So wurde etwa diskutiert, ob der Föderalismus bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung(en) in der Schweiz als Motor oder vielmehr als Bremsklotz wirke.
Die Aufgabenteilung und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen war auch bei der Aufnahme der zahlreichen nach der russischen Invasion aus der Ukraine Geflüchteten ein Thema. Aufgrund der erstmaligen Aktivierung des Schutzstatus S waren dabei Fragen zu klären, wie jene nach einem Schlüssel für die Zuteilung der Geflüchteten auf die Kantone oder nach der finanziellen Unterstützung des Bundes für ihre Betreuung in den Kantonen.
In der Diskussion um eine drohende Energieknappheit forderte die Konferenz kantonaler Energiedirektoren (EnDK) nebst der Einberufung eines Krisenstabs auf Bundesebene mehr und frühzeitigere koordinierende Vorgaben vom Bund, worauf dieser vorerst nicht einging. Manche Kommentatorinnen und Kommentatoren fühlten sich an das «Gschtürm» während der Covid-19-Pandemie erinnert: Erneut schöben Bund und Kantone einander gegenseitig die Verantwortung für unpopuläre Massnahmen zu.

Die Debatte um das Verhältnis zwischen Stadt und Land flaute im Vergleich zum Vorjahr deutlich ab – bis sie im Zusammenhang mit den Bundesratsersatzwahlen im Dezember unvermittelt wieder hochkochte: Einige Stimmen in den Medien befürchteten aufgrund der Wohnorte der künftigen Bundesratsmitglieder eine Übervertretung der ländlichen Schweiz, andere sahen auf lange Sicht gerade im Gegenteil die Städte übervertreten, während Agglomerations- und Landgemeinden weniger Bundesratsmitglieder stellten als es ihrem Bevölkerungsanteil entspräche. Dagegen gehalten wurde aber vor allem auch, dass die aktuellen Wohnorte der Bundesratsmitglieder bloss von marginaler Bedeutung für die Vertretung regionaler Interessen in der Schweiz seien.

Derweil tat sich bei zwei Volksabstimmungen ein Röstigraben auf: Sowohl beim knappen Ja zur AHV-21-Reform als auch beim Nein zum Medienpaket wurde die Romandie (und bei der AHV zudem das Tessin) von einer Mehrheit der Deutschschweiz überstimmt. Zwei im Berichtsjahr erschienene Studien zum Röstigraben gaben indessen eher zu Gelassenheit Anlass: Sie zeigten unter anderem, dass sämtliche Kantone – auch jene der Sprachminderheiten – deutlich häufiger auf der Gewinner- als auf der Verlierseite stehen und dass es bisher nicht einmal bei jeder hundertsten Volksabstimmung zu einem «perfekten» Röstigraben gekommen ist, bei dem sämtliche mehrheitlich französischsprachigen Kantone auf der einen und sämtliche Deutschschweizer Kantone auf der anderen Seite standen.

In der schier unendlichen Geschichte um die Kantonszugehörigkeit von Moutier unternahmen Beschwerdeführende 2022 einen Versuch, das Abstimmungsergebnis von 2021 mit einem Rekurs umzustossen. Das bernische Statthalteramt trat auf den Rekurs jedoch nicht ein, sodass es nicht zu einer weiteren Abstimmungswiederholung kommt: Moutier wird also vom Kanton Bern zum Kanton Jura übertreten – und zwar möglichst per 1. Januar 2026. Auf dieses Datum konnten sich die beiden Kantone und der Bund inzwischen einigen. Bis dahin ist noch eine Reihe inhaltlicher Fragen zu lösen, und das Ergebnis muss in Volksabstimmungen in den Kantonen Bern und Jura sowie mit einem Parlamentsbeschluss des Bundes abgesegnet werden.
Nachdem die bisher ebenfalls bernische Gemeinde Clavaleyres diesen Prozess bereits durchlaufen hatte, stellte der Wechsel von Clavaleyres zum Kanton Freiburg am 1. Januar 2022 nur noch eine Vollzugsmeldung dar. Es handelte sich dabei um die erste Grenzverschiebung zwischen zwei Schweizer Kantonen seit 1996, als Vellerat den Kanton Bern zugunsten des Kantons Jura verliess.

Häufiger als Kantonswechsel sind Gemeindefusionen innerhalb desselben Kantons. Der Trend zu weniger und grösseren Gemeinden ging 2022 weiter: Am 1. Januar 2022 betrug die Zahl der Gemeinden in der Schweiz 2'148, das waren 24 weniger als ein Jahr davor. Damit ging die Entwicklung in einem ähnlichen Tempo weiter wie in den Vorjahren.

Jahresrückblick 2022: Föderativer Aufbau
Dossier: Jahresrückblick 2022

Anfangs Juni 2023 schickte der Bundesrat die Botschaft über die Förderung der Kultur für die Periode 2025–2028 in die Vernehmlassung.
Die Covid-19-Pandemie und das damit verbundene Veranstaltungsverbot im Kulturbereich hätten die Relevanz der Kultur für die Gesellschaft, aber auch einige strukturelle Probleme der Kulturbranche aufgedeckt, wie etwa die schlechte soziale Absicherung der Kulturschaffenden, so der Bundesrat. Letztere sei etwa auch in einem Bericht analysiert worden. Basierend auf diesen Erkenntnissen habe der Bundesrat zusammen mit dem BAK, Pro Helvetia und dem Schweizerischen Nationalmuseum sechs Handlungsfelder für die Kulturförderung definiert. So möchte der Bundesrat etwa digitale Angebote stärker unterstützen. Weiter soll die Nachhaltigkeit der Kultur durch eine Strategie für eine hohe Baukultur gesteigert werden. Nicht zuletzt möchte der Bundesrat die Wertschätzung von Kultur und den Umgang mit «historisch belastetem Kulturerbe in der Schweiz» sowie die internationale Kulturpolitik stärken. Die Kulturbotschaft sieht einen Zahlungsrahmen von CHF 1001,9 Mio. für diese vier Jahre vor. Die Vernehmlassung endet am 22. September 2023.

Kulturbotschaft 2025-2028