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Jahresrückblick 2022: Kultur, Sprache, Kirchen

Nach gut zwei Jahren Covid-19-Pandemie war es dieses Jahr endlich wieder so weit: Die Schweiz durfte die Kultur wieder ohne Einschränkungen geniessen. Bereits am 16. Februar 2022 hob der Bundesrat den Grossteil der nationalen Massnahmen – auch diejenigen im Kulturbereich – auf, woraufhin es in der Kultur ein breites Aufatmen und Erwachen gab. Konzerte und Festivals, sowie Museen, Theater oder Kinos konnten wieder gänzlich ohne Einschränkungen besucht werden. Dies führte auch dazu, dass der Kulturbereich – nach zwei Jahren verstärkter Aufmerksamkeit durch Covid-19 – in den Medien etwas aus dem Fokus geriet, wie Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse zeigt.

Die Kulturpolitik der Schweiz war 2022 von drei grösseren Themen geprägt: der Abstimmung zur Revision des Filmförderungsgesetzes, dem neuen Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele und der Frage, wie die Schweiz mit Nazi-Raubkunst umgehen soll.

Nachdem die Beratungen zur Revision des Filmförderungsgesetzes – Lex Netflix – nach langwierigen Diskussionen als letztes Geschäft der Kulturbotschaft 2021-2024 in der Herbstsession 2021 zu einem Abschluss gekommen war, ergriffen die Jungfreisinnigen, die Jungen Grünliberalen sowie die Junge SVP Ende Januar 2022 erfolgreich das Referendum. Streaming-Anbietende wie Netflix oder Disney+ sollten mit diesem Gesetz unter anderem dazu verpflichtet werden, vier Prozent des Umsatzes in das schweizerische Filmschaffen zu investieren oder für die Bewerbung Schweizer Filme einzusetzen. Zudem mussten die Plattformen 30 Prozent des Angebots mit europäischen Beiträgen füllen. Die bürgerlichen Jungparteien störten sich besonders an diesen beiden Punkten: Zum einen befürchteten sie, mit der Pflichtabgabe würde eine Erhöhung der Abo-Preise einhergehen, und zum anderen erachteten sie die Quote für europäische Filme und Serien als «bevormundend und eurozentristisch». Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nahmen das Gesetz im Mai 2022 jedoch mit 58.1 Prozent Ja-Stimmen an. Der Abstimmungskampf war dann auch das einzige Ereignis des Jahres, welches im Bereich Kulturpolitik zu einem substantiellen Anstieg der medialen Berichterstattung führte (vgl. Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse).

Ohne grosse mediale Beachtung fanden in der Herbstsession 2022 die Beratungen um das neue Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele nach gut zwei Jahren ein Ende. Ziel des Gesetzes soll es sein, Kinder und Jugendliche besser vor Gewalt- und Sexualdarstellungen in Filmen und Videospielen zu schützen, etwa durch eine schweizweite Alterskennzeichnung und -kontrolle der Produkte. Die Verantwortung, diese Regelungen zu entwickeln, wurde den Branchenorganisationen überlassen, welche entsprechende Expertinnen und Experten hinzuziehen sollen.

Für hitzige mediale Debatten sorgte hingegen die Kunstsammlung von Emil Bührle, der gemäss Medien ein Nazisympathisant und Waffenlieferant im Zweiten Weltkrieg war. Als Teile seiner Sammlung im Sommer 2021 im Kunsthaus Zürich ausgestellt worden waren, waren darob hitzige Diskussionen entbrannt, insbesondere weil Bührle Nazi-Raubkunst besessen habe und die Provenienz bei einigen Werken der Sammlung nicht endgültig geklärt sei. Diese Debatte ging auch an Bundesbern nicht ohne Spuren vorbei. So nahmen die Räte eine Kommissionsmotion der WBK-NR an, welche die Schaffung einer Plattform für die Provenienzforschung von Kulturgütern forderte. Weiter hiessen sie eine Motion gut, mit der eine unabhängige Kommission für NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter geschaffen werden sollte. Offen liessen die Räte, ob eine solche Kommission auch für Raubkunst aus kolonialen Kontexten geschaffen werden soll.

Rund um die kirchen- und religionspolitische Fragen blieb es in der Bundespolitik im Jahr 2022 eher ruhig, jedoch weckte die katholische Kirche der Schweiz einige mediale Aufmerksamkeit, wie erneut in der APS-Zeitungsanalyse ersichtlich wird. Der Universität Zürich war im Frühling 2022 in Form eines Pilotprojekts ein Forschungsauftrag erteilt worden, mit dem die sexuellen Missbräuche innerhalb der Schweizer katholischen Kirche seit 1950 wissenschaftlich untersucht werden sollten. Dabei sollte ein Fokus auf die Strukturen gelegt werden, welche dabei geholfen hatten, die Missbräuche zu vertuschen. Zu diesem Zweck öffnete die katholische Kirche der Schweiz ihre Geheimarchive für die Forschenden.
Heftige Debatten rief auch der vom Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain eingeführte, für die Angestellten aller Ebenen der katholischen Kirche verbindliche Verhaltenskodex hervor, mit dem sexuellem Missbrauch vorgebeugt werden sollte. Einige Priester von Chur weigerten sich, den Kodex zu unterzeichnen, da einzelne Weisungen daraus der katholischen Lehre entgegenlaufen würden – so untersage er es etwa, sich negativ über die sexuelle Ausrichtung von Menschen auszusprechen.

Anfang 2022 verlängerte das SEM die muslimische Seelsorge in den Bundesasylzentren, welche Anfang 2021 in einzelnen Regionen als Pilotprojekt eingeführt worden war. Zuvor hatte eine Studie des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft (SZIG) der Universität Freiburg eine positive Bilanz gezogen. Sollten die Ergebnisse auch nach diesem Jahr positiv ausfallen, strebt das SEM eine permanente Einführung des Angebots und einen Ausbau auf alle Bundesasylzentren an – sofern die Finanzierung dafür gesichert werden kann. Bereits 2018 war ein entsprechendes Pilotprojekt aufgrund fehlender finanzieller Mittel auf Eis gelegt worden.

Jahresrückblick 2022: Kultur, Sprache, Kirchen
Dossier: Jahresrückblick 2022

Nachdem der Nationalrat in der Sondersession 2022 beide Teile der Motion von Jon Pult (sp, GR), welche eine unabhängige Kommission für NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter verlangte, angenommen hatte, nahm sich in der Herbstsession 2022 der Ständerat dem Anliegen an.
Die vorberatende WBK-SR beantragte mit einem Kommissionsbericht vom August 2022 mit 9 zu 0 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) nur den ersten Teil der Motion anzunehmen und den zweiten Teil zu streichen – wie es der Bundesrat zuvor empfohlen hatte. Die Kommission habe sich ausgiebig mit der Provenienzforschung und der Kulturgüterrückgabe beschäftigt und sei zum Schluss gekommen, dass die Einsetzung einer solchen unabhängigen Kommission der geeignete Weg sei, um «gerechte und faire Lösungen» zu finden. Sie stimme aber mit dem Bundesrat überein, dass es nicht angemessen sei, die Rahmenbedingungen der Kommission bereits jetzt zu bestimmen. Stattdessen solle ohne Zeitdruck überprüft werden, wie die Kommission auszugestalten sei und ob es eine weitere Kommission für Kulturgüter aus anderen Kontexten brauche. Kommissionssprecher Benedikt Würth (mitte, SG) hielt in der Ständeratsdebatte fest, dass die Thematik der Raubkunst, auch 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges hochaktuell sei. Kulturminister Alain Berset ergänzte, dass bei der Frage nach der Ausgestaltung der Kommission auch die Ergebnisse der diesjährigen Konferenz von Terezin – die dritte Folgekonferenz der Washingtoner Prinzipien von 1988 – eingebaut werden könnten.
Der Ständerat folgte seiner Kommissionsmehrheit und nahm stillschweigend den ersten Absatz, nicht aber die folgenden Punkte 1-6 der Motion an. Damit wird sich der Bundesrat nun der Schaffung und der Ausgestaltung dieser Kommission widmen.

Unabhängige Kommission für NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter (Mo. 21.4403)

In der Herbstsession 2022 beschäftigte sich der Ständerat als Zweitrat mit einer Motion der WBK-NR, welche die Schaffung einer Plattform für die Provenienzforschung von Kulturgütern in der Schweiz verlangte.
Die WBK-SR hatte im August 2022 einstimmig beschlossen, dem Anliegen ihrer Schwesterkommission zu folgen. Um die Provenienzforschung voranzutreiben, welche einen «rechtlich und ethischen verantwortungsvollen Umgang» mit Kulturgütern ermögliche, erachte sie eine webbasierte Datenbank als passend. Beteiligte Akteure könnten so etwa auf internationaler Ebene besser zusammenarbeiten, zudem fördere eine solche Datenbank die Transparenz. Kommissionssprecher Benedikt Würth (mitte, SG) hielt in der Ständeratsdebatte ergänzend fest, dass die Kommission insbesondere Fragen zur Umsetzung und Kosten der Plattform gestellt habe. Zudem solle im Rahmen eines externen Mandats überprüft werden, ob eine neue Plattform geschaffen werden oder man sich auf international bestehende stützen solle. Kulturminister Alain Berset hielt fest, dass es wichtig sei, dass die Erkenntnisse der Provenienzforschung – sei es in Bezug auf NS-Raubkunst oder auf Diebstähle aus kolonialen Kontexten – im Parlament behandelt würden, etwa auch im Zusammenhang mit der Motion 21.4403. Der Ständerat nahm die Motion, seiner Kommission und dem Nationalrat folgend, stillschweigend an.

Plattform für Provenienzforschung von Kulturgütern in der Schweiz (Mo. 22.3023)

Die WBK-NR forderte in Form einer Motion im Februar 2022 den Bundesrat dazu auf, eine Plattform für die Provenienzforschung von Kulturgütern in der Schweiz zu schaffen. Öffentliche und private Museen und Sammlungen aus dem In- und Ausland sollen ihre Erkenntnisse über die Herkunft ihrer Kulturgüter auf dieser Plattform bereitstellen und somit der Forschung sowie interessierten Kreisen zur Verfügung stellen. Damit solle die Qualität und Transparenz der Forschung, sowie die Vernetzung zwischen den Forschenden verbessert werden.
Der Nationalrat folgte dem Bundesrat, welcher die Motion zur Annahme empfahl, und stimmte der Vorlage in der Sondersession im Mai 2022 stillschweigend und diskussionslos zu. Damit geht die Motion weiter in die kleine Kammer.

Plattform für Provenienzforschung von Kulturgütern in der Schweiz (Mo. 22.3023)

Im Winter 2021 forderte Jon Pult (sp, GR) in einer Motion, welche von 34 Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus allen Parteien mitunterzeichnet wurde, den Bundesrat dazu auf, eine unabhängige Kommission für NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter zu schaffen. Zudem dürfe bei der Beurteilung nicht mehr zwischen sogenannter «Raubkunst» – jene die direkt von den Nazis entwendet wurde – und «Fluchtkunst» – Kunst, die verkauft werden musste, um die Flucht zu finanzieren, unterschieden werden. Weiter wollte die Motion geklärt haben, ob dieselben Grundsätze auch auf Kulturgüter in kolonialen Kontexten angewendet werden können.
In der Sondersession vom Mai 2022 beugte sich der Nationalrat über die Motion. Pult erklärte sein Anliegen damit, dass die Schweiz sich mit der Unterzeichnung der Washingtoner Prinzipien von 1998 und der Erklärung von Terezin von 2009 dazu verpflichtet habe, NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter ausfindig zu machen, die Nachfahren der ehemaligen Besitzerinnen und Besitzer zu suchen und für «gerechte und faire Lösungen» zu sorgen. Die Geschehnisse rund um die Sammlung von Emile Bührle am Kunsthaus Zürich hätten jedoch gezeigt, dass es hier grosse Lücken gebe und die Schweiz verbesserte Instrumente brauche. Bekämpft wurde die Motion von Andreas Glarner (svp, AG), der festhielt, dass er grundsätzlich hinter dem Anliegen der Motion stehe. Es sei jedoch unsinnig, diese Forderung auf andere Bereiche, wie koloniale Kontexte, auszudehnen. Auch der Bundesrat stimmte der Forderung des Motionärs grundsätzlich zu, erachte es jedoch als verfrüht, bereits heute Rahmenbedingungen für eine zu gründende Kommission festzulegen, wie dies im zweiten Teil der Motion gefordert wurde. Daher beantragte Alain Berset, nur dem ersten Teil der Motion zuzustimmen und die genaue Ausgestaltung der Kommission noch offen zu lassen. In der Folge wurde der erste Teil der Motion, wie vom Bundesrat empfohlen, stillschweigend angenommen. Auch der zweite Teil wurde mit 92 zu 90 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) knapp angenommen. Die Fraktionen der SP, GLP und der Grünen stimmten geschlossen für die Vorlage, bei der SVP stimmte lediglich Andreas Glarner dagegen. Die Fraktionen der Mitte und der FDP.Liberalen zeigten sich unschlüssiger. Damit geht die Vorlage an den Ständerat.

Unabhängige Kommission für NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter (Mo. 21.4403)

Im Dezember 2021 gab das Kunstmuseum Bern bekannt, dass zwei Kunstwerke aus der umstrittenen Gurlitt-Sammlung an die ursprünglichen Besitzenden zurückgegeben werden. Dies sorgte für mediale Reaktionen, da gemäss Schweizer Gesetzgebung eine Restitution von Kulturgütern nur dann zwingend ist, wenn die Provenienzforschung eindeutig aufzeigen konnte, dass es sich bei den betreffenden Werken um sogenannte NS-verfolgungsbedingte Raubkunst handelte. Eine lückenhafte Provenienzforschung verhinderte jedoch eine solche abschliessende Beurteilung bei den betreffenden Werken der Gurlitt-Sammlung, wie die Zeitung «Der Bund» berichtete. Dass sich das Kunstmuseum trotzdem für eine Restitution entschied, lobten die Medien als klare Haltung – der Raubkunstexperte Thomas Buomberger sprach gegenüber dem Blick gar von einem «Paradigmenwechsel».

Gurlitts Kunstsammlung

Von Oktober bis Dezember 2021 verwandelte sich das Bundeshaus im Kontext der zweiten Frauensession und zur Feier des 50-jährigen Jubiläums des Frauenstimmrechts erstmalig seit seines Bestehens in eine Kunsthalle, wie die Aargauer Zeitung berichtete. Die von der Schweizerischen Gesellschaft bildender Künstlerinnen (SGBK) organisierte Aktion umfasste insgesamt 67 Silhouetten von Künstlerinnen, welche alle – mit einem klar ersichtlichen Stimmzettel versehen – im ganzen Bundeshaus verteilt waren. Dass gerade die SGBK, eine kleine, privat finanzierte und ums Überleben kämpfende Organisation, eine solche Aktion zu Ehren der Frauen organisierte und nicht etwa der grösste Berufsverband der Schweizer Kulturschaffenden, die staatlich subventionierte Visarte, passe gemäss der Aargauer Zeitung in die Geschichte der Organisation: So hätten Künstlerinnen schon immer um den Zugang zur Kunstszene kämpfen müssen und seien lange Zeit weder zu Akademien noch Berufsverbänden zugelassen gewesen. Als Reaktion hätten 1902 die Pionierinnen Hanni Bay, Adèle Lilljeqvist, Clara von Rappard und Martha Stettler, gemeinsam mit anderen Frauen, ihren eigenen Berufsverband gegründet: die SGBK.
Im Zusammenhang mit dem 50-jährigen Jahrestag der Einführung des Frauenstimmrechts ging die Aargauer Zeitung in einem Interview mit der Leiterin der visuellen Künste bei Pro Helvetia, Madeleine Schuppli, zudem der Frage nach, warum die Kunstwelt nach wie vor so stark von Männern dominiert sei. Schuppli erklärte dies unter anderem mit den wenigen weiblichen historischen Figuren in der Kunst – eben mangels der fehlenden Möglichkeiten für Frauen damals. Zudem würden Käuferinnen und Käufer von Kunstwerken im Hinblick auf die hohen Investitionen eher risikoavers handeln und Werke von Männern noch immer als sicherere Variante einstufen. Schliesslich seien auch die hohen Führungsposten im Kunstbereich, etwa Direktionsstellen in grossen Kunsthäusern, nach wie vor mehrheitlich in Männerhand. Hingegen würden die Kunststudiengänge schon länger mehrheitlich von Frauen besucht und mittelgrosse Kunsthäuser von Direktorinnen geleitet. Schuppli verwies auch auf den weiterhin grossen Gender-Pay-Gap: So sei dieser in der Kulturwirtschaft gemäss einer Statistik des BFS mit 17 Prozent sogar höher als der nationale Durchschnitt von 12 Prozent.

Frauen in Kunst und Kultur

Im April 2016 verabschiedete der Nationale Kulturdialog das neue Arbeitsprogramm für die Jahre 2016–2020. Dieses umfasste insgesamt zehn Aktionsfelder mit drei Schwerpunkten: die Literaturförderung, die kulturelle Teilhabe und die Provenienzforschung zu Raubkunst im Rahmen der Museumspolitik. Im Gegensatz zu den vorangehenden Arbeitsprogrammen entschied sich der Nationale Kulturdialog, die Dauer der Arbeitsprogramme auf fünf Jahre auszudehnen, um sie so dem Rhythmus der Kulturbotschaft anzupassen. Die Erweiterung des Zeitraums des Arbeitsprogramms solle dazu beitragen, dass dieses zu einem «hilfreichen Koordinations- und Austauschinstrument» für eine breit abgestützte «Nationale Kulturpolitik» werde, so das BAK in einer Medienmitteilung.

An seiner Sitzung vom April 2017 beschloss der Nationale Kulturdialog zudem, zwei neue Meilensteine für die Jahre 2017 und 2018 in das unterdessen bereits laufende Arbeitsprogramm einzubauen. Erstens solle die Koordination der Tanzförderung untersucht werden und zweitens solle evaluiert werden, welche Wirkungen die von verschiedenen Staatsebenen ergriffenen Massnahmen zur Stärkung der sozialen Sicherheit von Kulturschaffenden erzielen konnten.

Nationaler Kulturdialog

Mitte Dezember 2016 bestätigte das Oberlandesgericht München das Kunstmuseum Bern als rechtmässigen Alleinerben der Kunstsammlung des im Mai 2014 verstorbenen Cornelius Gurlitt. Damit stellte sich das Gericht in zweiter Instanz gegen die von Gurlitts Cousine Uta Werner geäusserte Ansicht, der Kunstsammler habe beim Aufsetzen seines Testaments an Wahn oder Demenz gelitten. Gemäss aktuellem Wissensstand soll das Kunstmuseum Bern somit schlussendlich in den Besitz von über 1000 Werken aus dem sogenannten Schwabinger Kunstfund gelangen und kann die Planung der gemeinsam mit der Bundeskunsthalle Bonn angedachten Ausstellung in Angriff nehmen. Besagte Ausstellung soll auch dem Zweck dienen, die Bevölkerung über den NS-Kunstraub aufzuklären und für das Thema der entarteten Kunst zu sensibilisieren. In einem ersten Schritt werden Werke, die zweifelsfrei vom Raubkunst-Verdacht befreit sind, nach Bern gelangen. Darunter befinden sich über 230 Werke entarteter Kunst sowie knapp 280 Werke, die sich in legitimem Besitz der Familie Gurlitt befanden. Ende 2016 befanden sich noch um die 1000 Werke in Untersuchung, wovon bei der Hälfte davon ausgegangen werden muss, dass ihre Herkunft ungeklärt bleiben wird. Über die Annahme oder Verweigerung von Werken ungeklärter Herkunft hat das Kunstmuseum Bern bis 2020 zu befinden.

Gurlitts Kunstsammlung

In der Sommersession 2016 wurden gleichentags zwei Motionen mit Themenschwerpunkt «Raubkunst» verjährungsbedingt unbehandelt abgeschrieben. Die Motion Tschäppät (sp, BE; Mo. 14.3497) hätte die Schaffung gesetzlicher Grundlagen und Bereitstellung finanzieller Mittel gefordert, damit in Zusammenarbeit mit den Kantonen (EDK) und Museumsverbänden die Provenienzuntersuchungen für seit 1933 erworbene Sammlungen öffentlicher Museen und Dritter hätten durchgeführt und entsprechende Ergebnisse hätten publiziert werden können. Die Motion Reynard (sp, VS; Mo. 14.3480) hätte das Hinwirken des Bundesrates im multilateralen Rahmen gefordert, damit die Verbindlichkeiten und Anwendungsbereiche der Washingtoner Richtlinien zur Raubkunst international hätten gestärkt und ausgeweitet werden sollen. Der Bundesrat hatte bereits im Sommer 2014 beide Motionen zur Ablehnung beantragt, da zum einen die Frage der gesetzlichen Grundlagen und zusätzlicher finanzieller Mittel bereits im Rahmen der Kulturbotschaft 2016–2019 geklärt werde und zum anderen auf internationaler Ebene keine weiteren zwischenstaatlichen Bestrebungen zur Stärkung der Richtlinien bekannt seien und ein Alleingang der Schweiz daher keine Notwendigkeit darstelle.

Raubkunst - Provenienzforschung wirksam fördern

Im März 2016 legte Uta Werner drei neue Gutachten vor. Zwei psychiatrische Gutachten stuften Cornelius Gurlitt als testierunfähig ein, während das Dritte am im Vorjahr vom Oberlandesgericht München in Auftrag gegebenen Gutachten methodische Mängel feststellte. Daraufhin machte sich das Oberlandesgericht München daran, den Geisteszustand Cornelius Gurlitts kurz vor seinem Tod einer genaueren Prüfung zu unterziehen. Unterdessen gab das Kunstmuseum Bern, das von Gurlitt als Alleinerbe seiner Kunstsammlung eingesetzt worden war, bekannt, dass die geplante Ausstellung zu Gurlitts Sammlung wegen Rechtsstreitigkeiten nicht wie geplant 2016 stattfinden, sondern um ein Jahr verschoben werde. Die Ausstellung soll in enger Zusammenarbeit mit der Bundeskunsthalle Bonn erfolgen, welche zeitgleich eine Ausstellung mit Werken aus der Gurlitt-Sammlung anbieten wird.

Gurlitts Kunstsammlung

Die wahrscheinliche Übernahme der Gurlitt-Sammlung durch das Kunstmuseum Bern befeuerte 2015 Diskussionen um den Umgang mit Raubkunst. Dabei kritisierten Medien und ein Kunsthistoriker der Universität Bern die passive Rolle des Bundes im Fall Gurlitt. Der Bundesrat verteidigte sein Vorgehen etwa auch in seiner Antwort auf eine Interpellation Comte (fdp, NE). Der Bund gehöre nicht zu den Vertragsparteien, weswegen er die Gespräche zwischen dem privatrechtlichen Kunstmuseum Bern, der Bundesrepublik Deutschland und dem Freistaat Bayern lediglich im Rahmen seiner Guten Dienste verfolgt habe. Ebenfalls wehrte er sich gegen die Forderungen – wie sie etwa von Seiten des Kantons Bern und der SP im Rahmen der Vernehmlassung zur neuen Kulturbotschaft geäussert wurden – zur Verstärkung seiner Provenienzforschung, die er seit 1998 durch die beim BAK angesiedelte Anlaufstelle Raubkunst betreibt und jüngst durch ein Internetportal ergänzt hat. Vorerst seien die Museen gefordert. Nichtsdestotrotz stellte er noch im selben Jahr Museen Mittel zur Intensivierung der Forschung über die Herkunft ungeklärter Werke in Aussicht.
Sinniert wurde 2015 ebenfalls über die Unterscheidung von Raubkunst und Fluchtgut, so etwa an einer wissenschaftlichen Tagung in Winterthur. Der Begriff des Fluchtguts, der im Rahmen der Untersuchungen der Bergier-Kommission zur Rolle der Schweiz im zweiten Weltkrieg geprägt wurde, bezeichnet das von Juden nach ihrer Flucht in die Schweiz veräusserte Kunsteigentum. Dabei geht die Schweiz – anders als beispielsweise Deutschland oder Österreich, die eine breitere Auslegung der Washingtoner Richtlinien verfolgen und nicht zwischen diesen beiden Begriffen unterscheiden – davon aus, dass solche Verkäufe unter freiem Willen und rechtmässig erfolgt waren. Die offizielle Sichtweise der Schweiz vertrat ein Salzburger Rechtsprofessor an der Winterthurer Tagung mit Rückgriff auf die unterschiedliche Rolle Deutschlands und Österreichs im Vergleich zur Schweiz im zweiten Weltkrieg. Ebenfalls geteilt wird diese Ansicht von den grossen öffentlichen Museen in der Schweiz.

Diskussion um Raubkunst

Im Rahmen der Beratungen zur Kulturbotschaft 2016–2020 nahm der Nationalrat Kenntnis von der Petition "Hundert Räume geben mehr Licht als ein Leuchtturm", welche vom Bund finanzielle und strukturelle Unterstützung für selbstorganisierte Kunstäume forderte. Bereits 2014 hatte sich die WBK-SR negativ zum Ansinnen geäussert, obwohl sie den unabhängigen Kunsträumen einen wichtigen Stellenwert in der Kunst einräumte. Man wolle jedoch zuerst die Ergebnisse des 2013 von Pro Helvetia gestarteten Projektes abwarten, welches mit einem Budget von CHF 200'000 unter anderem Beiträge an Kunsträume vergibt. Gegen die von Pro Helvetia beschlossenen Förderprogramme hatte sich seit deren Lancierung Widerstand bei den freien Kunstschaffenden geregt, welche eine Benachteiligung der alternativen Kunstszene befürchteten. Im Anschluss an die Stellungnahme der Kommission hatte der Ständerat der Petition keine Folge gegeben. Daraufhin schrieb der Nationalrat die Petition auf Anraten seiner Kommission in der Sommersession 2015 ohne Antrag ab.

keine Preise mehr für Kunsträume

Erbstreitigkeiten führten dazu, dass das Kunstmuseum Bern die Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt im Jahr 2015 noch nicht entgegennehmen konnte. Gurlitts Cousine Uta Werner zweifelte an Gurlitts Testierfähigkeit und erhob Anfang 2015 Anspruch auf das Erbe. Im März wies das Münchner Amtsgericht den Antrag jedoch ab, wobei es sich bei seinem Entscheid auf die bereits vorgelegten Gutachten stützte. Bevor das Urteil rechtskräftig wurde, focht Werner den Entscheid an. Daraufhin gab das Oberlandesgericht München die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens in Auftrag, das das Testament von Gurlitt als rechtskräftig einstufte. Das Gericht äusserte sich 2015 noch nicht zur neuen Sachlage.

Gurlitts Kunstsammlung

Ende November präsentierte der Bundesrat seine Botschaft zur Förderung der Kultur für die nächste Kreditperiode (Kulturbotschaft 2016-2020). Im Vergleich zur ersten Kulturbotschaft 2012-2015 wurde die Kreditperiode, wie bereits in der Vernehmlassung angekündigt, aufgrund besserer Abstimmung mit anderen mehrjährigen Finanzierungsbeschlüssen um ein Jahr verlängert. Aufgrund verschiedener Entwicklungen der Moderne, namentlich der Globalisierung, Digitalisierung und Urbanisierung, sieht sich der Bundesrat veranlasst, im Sinne einer "Nationalen Kulturpolitik" die Zusammenarbeit zwischen allen Staatsebenen zu verstärken, um diesen Herausforderungen geschlossen entgegenzutreten. Da der Begriff der "Nationalen Kulturpolitik" bei vielen Vernehmlassern, insbesondere bei den Kantonen, auf föderal motivierte Bedenken stiess, konkretisierte der Bundesrat in der definitiven Botschaft die "Nationale Kulturpolitik" als von allen Staatsebenen in Zusammenarbeit getragene Aufgabe, wobei die Kulturhoheit der Kantone jedoch gewahrt werden soll. Der Bundesrat plant, seine Fördermassnahmen auf den drei Handlungsachsen "Kulturelle Teilhabe", "Gesellschaftlicher Zusammenhalt" und "Kreation und Innovation" auszurichten.
Bei der ersten Handlungsachse will der Bundesrat die Teilhabe von Personen verschiedenster Kulturen am kulturellen Leben fördern sowie die musikalische Bildung verstärken, was aufgrund der Annahme des direkten Gegenentwurfs zur zurückgezogenen Volksinitiative "jugend+musik" einem Bedürfnis der Bevölkerung entspricht. In diesem Zusammenhang soll das neue Programm "Jugend und Musik" ins Leben gerufen werden, welches analog dem Programm "Jugend und Sport" ausgestaltet sein soll. Weiter gedenkt der Bund, seine Leseförderung auszubauen, was neu auch die Unterstützung von Einzelvorhaben, wie etwa die Organisation von Lesetagen, ermöglichen soll. Zu guter Letzt soll die Bundeskunstsammlung online und digital zugänglich gemacht werden, obwohl die Idee einer "Virtuellen Nationalgalerie" in der Vernehmlassung bei vielen Kantonen auf Kritik gestossen war.
Betreffend "Gesellschaftlichem Zusammenhalt" liegt ein Schwerpunkt auf Massnahmen zur Unterstützung der sprachlichen Vielfalt, was unter anderem durch Förderung der dritten Landessprache ausserhalb der italienischsprachigen Schweiz sowie generell durch verstärkten schulischen Austausch zwischen den Sprachregionen erreicht werden soll. Ausserdem sollen die Lebensbedingungen von Schweizer Fahrenden und Angehörigen der jenischen Bevölkerung als kulturelle Minderheit weiterhin verbessert werden. Bereits durch die Kulturbotschaft 2012-2015 bemächtigt, unterstützte der Bundesrat die "Radgenossenschaft der Landstrasse" und die Stiftung "Zukunft für Schweizer Fahrende", was jedoch nicht sonderlich zur Verbesserung der Lage beigetragen hatte. Obwohl die Zahl der Standplätze in der betreffenden Periode von 11 auf 15 angestiegen war, nahm die Zahl der Durchgangsplätze von 51 auf 45 ab. Darüber hinaus verknappt sich die Raumsituation aufgrund kürzlich erfolgter Zunahme ausländischer Durchreisender, namentlich Angehörigen der Sinti und Roma. Auch die Europäische Kommission gegen Rassismus (ECRI) zeigte sich besorgt über die ausbleibenden Verbesserungen und empfahl in ihrem Bericht vom September 2014, die Raumsituation möglichst rasch zu verbessern und etwas gegen die in der Bevölkerung herrschende Intoleranz und Ablehnung gegenüber Fahrenden und Jenischen zu unternehmen. Im Rahmen der neuen Kulturbotschaft will der Bundesrat in diesen Bereichen aktiv werden.
Um kulturelle "Kreation und Innovation" zu fördern, sieht der Bundesrat verschiedene Massnahmen vor. Eine der Massnahmen umfasst die Schaffung von finanziellen Anreizen, damit Schweizer Filme und Koproduktionen mit dem Ausland vermehrt in der Schweiz realisiert werden können. Hierzu soll das Programm "Filmstandort Schweiz" (FiSS) geschaffen werden.
Die beantragten finanziellen Mittel für die gesamte Kreditperiode belaufen sich auf CHF 1,12 Mrd., womit der Betrag die vorgesehenen Mittel in der Finanzplanung des Bundes um 6,2% oder CHF 65,1 Mio. übersteigt. Der jährliche Betrag ist somit auch um durchschnittlich 3,4% höher als der während der Kulturbotschaft 2012-2015 gesprochene. Hier unternahm der Bundesrat trotz gewichtiger Kritik von Seiten der Economiesuisse, des SGV sowie der beiden bürgerlichen Parteien FDP und SVP keine Änderungen im Vergleich zur Vernehmlassungsvorlage.

Kulturbotschaft 2016-2020 (BRG 14.096)
Dossier: Cultura quo vadis? Die Botschaften über die Förderung der Kultur im Überblick

Nachdem der Bundesrat verschiedene Varianten geprüft hat, kommt er zum Schluss, dass die wichtigsten Werke der Bundeskunstsammlung sowie die Sammlung der Gottfried Keller-Stiftung der interessierten Bevölkerung in einem ersten Schritt online zugänglich gemacht werden sollen - so die Ausführungen der Regierung in ihrer Kulturbotschaft 2016-2020. Gegen eine sogenannte "virtuelle Nationalgalerie" wehrten sich in der Vernehmlassung zur Botschaft verschiedene Kantone. Im Rahmen der Kulturbotschaft beantragt der Bundesrat, das im Vorjahr überwiesene Postulat Bulliard-Marbach (cvp, FR), das die Überprüfung zur Errichtung einer Nationalgalerie forderte, als erfüllt abzuschreiben.

Errichtung einer Nationalgalerie

Ende Mai eröffnete der Bundesrat die Vernehmlassung zur Kulturbotschaft 2016-2019, welche die Finanzierung der Kulturförderung des Bundes für die anstehende Beitragsperiode regeln soll. Bis zum Ablauf der Frist gingen 339 Stellungnahmen ein. Während die zukünftigen Herausforderungen und die zentralen Handlungsfelder auf wenig Widerstand stiessen, äusserten die Kantone mit Ausnahme des Kantons Genf auf föderalen Aspekten beruhende Bedenken gegenüber dem eingeführten Begriff der "Nationalen Kulturpolitik", begrüssten aber im Grunde die verstärkten Kooperationsbestrebungen zwischen den verschiedenen Staatsebenen. Auch die FDP und die SVP sahen die Kompetenzen der Kantone gefährdet. Die grosse Mehrheit der eingegangenen Stellungnahmen zeigte sich mit der Höhe der einzusetzenden Mittel, die im Vergleich zur Vorperiode eine Erhöhung um 3,4% bedeuten würden, zufrieden. Demgegenüber wollte die FDP die Mittel auf dem Niveau der Kulturbotschaft 2012-2015 belassen, Economiesuisse und der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) verlangten, die Erhöhung auf 2,6%, resp. 3% zu beschränken, und die SVP plädierte gar für eine Kürzung der Mittel. Auf der anderen Seite des Spektrums verlangten SP und Grüne sowie 24 Kantone, der Schweizerische Video-Verband (SVV) und weitere Kulturverbände eine Aufstockung der Beiträge in einzelnen Förderbereichen. Auf grosse Vorbehalte oder gar Ablehnung stiess bei der Mehrheit der stellungnehmenden Kantone das Vorhaben des Bundes, Werke der Bundeskunstsammlung sowie der Gottfried-Keller-Stiftung in einer "Virtuellen Nationalgalerie" zu veröffentlichen. Während die Kantone Waadt und Wallis sich daran störten, dass die virtuelle Plattform nur Werken der Bundeskunstsammlung offen stehen sollte, würden es zahlreiche weitere Kantone - darunter insbesondere die Innerschweiz - vorziehen, wenn man die Werke in einem physischen Museum betrachten könnte. Der Kanton Zürich lehnte das Vorhaben unter anderem aus dem Grund ab, dass die beiden Kunstsammlungen grössere Lücken aufweisen würden. Betreffend verstärkter Förderung der musikalischen Bildung, die Volk und Stände im September 2012 mit Annahme des Bundesbeschlusses über die Jugendmusikförderung gefordert hatten, gingen die vom Bundesrat vorgeschlagenen Bestimmungen vielen gewichtigen Vernehmlassern zu wenig weit. Neben verschiedenen Verbänden forderten auch Grüne, SP, GLP und CVP ein separates Rahmengesetz für die musikalische Bildung. Auf der anderen Seite erachteten ebenso viele Vernehmlasser die im Entwurf zur Kulturbotschaft enthaltenen Bestimmungen diesbezüglich als zu weitgehend und zu konkret.

Kulturbotschaft 2016-2020 (BRG 14.096)
Dossier: Cultura quo vadis? Die Botschaften über die Förderung der Kultur im Überblick

Im Mai 2014, am Tag nach dem Tod von Cornelius Gurlitt, Sohn eines bekannten Kunsthändlers im Dritten Reich, wurde die privatrechtliche Stiftung Kunstmuseum Bern darüber informiert, dass sie als Alleinerbin von Gurlitts Kunstsammlung eingesetzt wird. Die rund 1'500 Objekte umfassende Sammlung enthält unter anderem bedeutende Werke von Edouard Manet, Paul Cézanne und Claude Monet. Das Kunstmuseum zeigte sich überrascht ob der Erbeinsetzung und zurückhaltend aufgrund der offenen Fragen "rechtlicher und ethischer Natur". 2011 wurden in Gurlitts Münchner Wohnung über tausend seit dem Zweiten Weltkrieg verschollene Meisterwerke entdeckt und mit Verdacht auf NS-Raubkunst beschlagnahmt. Aufgrund einer Übereinkunft mit Gurlitt, in welcher dieser sich bereit erklärte, die Werke der Provenienzforschung zur Verfügung zu stellen und gegebenenfalls den rechtmässigen Besitzern zurückzugeben, war die Beschlagnahmung kurz vor seinem Tod aufgehoben worden. Die Medien verfolgten die Entscheidung des Kunstmuseums mit grossem Interesse. Matthias Frehner, Direktor des Kunstmuseums Bern, gab Ende November die Übernahme der Werke bekannt, jedoch nur unter der Bedingung, dass sie von einer in Deutschland eingesetzten Task Force vorher eindeutig vom Raubkunstverdacht befreit würden. Der Bundesrat nahm die Vereinbarung zwischen dem Kunstmuseum Bern, der Bundesrepublik Deutschland und dem Freistaat Bayern zur Kenntnis und begrüsste, dass die Parteien die 1998 auch von der Schweiz verabschiedeten Washingtoner Richtlinien zur Aufarbeitung der NS-Raubkunstproblematik darin ausdrücklich anerkannten. Lob erntete Bern nach Abschluss der Vereinbarung ebenfalls vom Jüdischen Weltkongress. Zum Zeitpunkt der Vereinbarung standen ca. 590 Werke unter Raubkunstverdacht. Bei weiteren 380 Bildern handelt es sich um "entartete" Kunst, d.h. um aufgrund Nichtvereinbarkeit mit dem Nationalsozialismus aus Museen entfernte Werke. Letzteren soll der Weg in die Schweiz offen stehen. Das Kunstmuseum Bern zeigte sich jedoch bereit, Leihanfragen von Museen, in denen die Kunstwerke während dem Dritten Reich konfisziert wurden, prioritär zu behandeln und ihnen in der Regel stattzugeben. Um keinen Präzedenzfall zu schaffen, entschied sich das Kunstmuseum gegen die Dauerleihe oder gar die Rückgabe der Werke an die ursprünglichen Eigentümerinstitutionen.

Gurlitts Kunstsammlung

Um die Jahresmitte äusserten die Betreiber von rund 100 alternativen Kunsträumen, den sogenannten Off-Spaces, die Kunstschaffenden ausserhalb von Mainstream-orientierten Galerien und Kunsthäusern eine Bühne bieten, Kritik am neuen Kulturförderungsgesetz (KFG). Seit Pro Helvetia die Förderung der freien Szene übernommen habe, werden keine Preise mehr für Kunsträume vergeben. Das von Pro Helvetia im Gegenzug eingeführte Förderprogramm „Nachwuchsförderung visuelle Kunst“, das Off-Spaces und kleinen bis mittleren Kulturinstitutionen offen steht, findet in der Szene wenig Anklang. Aufgrund der bürokratischen Vorgaben seien viele Künstler von der Förderung ausgeschlossen, da sie mit ihrer Kunst von Ort zu Ort ziehen würden. Die freien Kunstschaffenden schlossen sich daraufhin zur „Charta 2016“ zusammen und forderten für die Kulturbotschaft 2016-2019 eine finanzielle Unterstützung der Kunsträume im Umfang von CHF 1 Mio. Mit ihrer Petition „Hundert Räume geben mehr Licht als ein Leuchtturm“ forderten freie Künstler und Kuratoren mehr (finanzielle) Anerkennung für die Alternativkultur.

keine Preise mehr für Kunsträume

In ihrem Postulat verwies Christine Bulliard-Marbach (cvp, FR) mit 68 Mitunterzeichnern aus allen politischen Lagern auf den Umstand, dass ein Grossteil der 20'000 Werke der Bundeskunstsammlung sowie der 8'000 Werke umfassenden Gottfried-Keller-Stiftung nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind. Mit Verweis auf das 2010 in Kraft getretene Museums- und Sammlungsgesetz, das einen Beitrag zur Attraktivitätssteigerung des Bildungs-, Wissenschafts-, Wirtschafts- und Tourismusstandorts Schweiz leisten will, verlangt die Postulantin vom Bundesrat eine Stellungnahme zur möglichen Öffentlichmachung der Kunstsammlung. Unter anderem soll die Errichtung einer Nationalgalerie auf ihre Finanzierbarkeit überprüft werden. Die Regierung zeigte sich hierzu bereit und der Nationalrat nahm das Geschäft in der Sommersession diskussionslos an.

Errichtung einer Nationalgalerie

Im Juni öffnete das Zentrum Paul Klee in Bern seine Tore. Das Museum, das der italienische Architekt Renzo Piano in Form von drei Wellen entworfen hatte und das zu einem neuen Wahrzeichen der Stadt wurde, beherbergt rund 4'000 Klee-Bilder.

Paul-Klee-Zentrum

Der Nationalrat nahm die Angelegenheit gelassener. Vorerst mit 97 zu 85, dann etwas zaghafter mit 89 zu 84 Stimmen widersetzte er sich einem Antrag aus der SVP, dem Ständerat zu folgen. Für eine umfassende Kulturfreiheit und das entsprechende Mass an Toleranz sprachen sich die Grünen, die SP und die FDP aus, wobei die freisinnigen Abgeordneten zum Teil dennoch für die Budgetkürzung stimmten. Die CVP plädierte in der Debatte für die Strafaktion, doch war auch hier die Haltung der Fraktion bei der Abstimmung nicht einheitlich. In der Einigungskonferenz setzte sich ein Kompromissantrag durch, die Mittel der Pro Helvetia zwar zu beschneiden, aber lediglich um jene CHF 180'000, welche die Stiftung für die Ausstellung aufgewendet hatte. Der Nationalrat stimmte mit 98 zu 82 Stimmen zu, der Ständerat lehnte mit 25 zu 18 Stimmen ab, womit es gemäss neuem Parlamentsgesetz nicht beim ursprünglichen Antrag des Bundesrates, sondern bei der ständerätlichen Kürzung um CHF 1 Mio. blieb.

Budget 2005 der Pro Helvetia um eine Million Franken gekürzt

Mitten in den parlamentarischen Beratungen über den Voranschlag 2005 erschienen Medienberichte zu einer von der Pro Helvetia unterstützten Ausstellung im Centre Culturel Suisse in Paris, über deren Aussagekraft resp. Geschmacklosigkeit die Meinungen weit auseinander gingen. In der Installation «Swiss-Swiss Democracy» provozierte der Künstler mit kritischen Aussagen zum politischen System der Schweiz. Noch bevor auch nur ein einziger Parlamentarier die Ausstellung in Augenschein genommen hatte, sorgte diese für helle Aufregung im Bundeshaus. Im Ständerat befand Bieri (cvp, ZG), diese Entgleisung verdiene eine Strafaktion, weshalb er beantragte, das Budget 2005 der Pro Helvetia um eine Million Franken (von 34 auf 33 Mio) zu kürzen. Die Vertreter der SP plädierten vergeblich dafür, nicht anhand des Budgets eine kulturpolitische Debatte vom Zaun zu reissen, eine Haltung, die in der Folge auch Finanzminister Merz übernahm. Der Antrag Bieri wurde mit 24 zu 13 Stimmen angenommen. In der Differenzbereinigung hielt die kleine Kammer zweimal gegen die Beschlüsse des Nationalrats an der Budgetkürzung fest, zuletzt sogar mit 23 zu 10 Stimmen.

Budget 2005 der Pro Helvetia um eine Million Franken gekürzt

Der erste Band der Veröffentlichungen der Bergier-Kommission zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Dritten Reich war dem Handel mit Raubgütern und Raubkunst in den Jahren 1933-1945 gewidmet, insbesondere der Rolle der Schweiz als Umschlagplatz von Kulturgut zwischen Europa und Übersee. Zu der vielerorts erwarteten Anklageschrift gegen den einheimischen Kunsthandel wurde der Bericht nicht, da nach Auffassung der Autoren die Schweiz im internationalen Kunstmarkt der 30er und 40er Jahre letztlich nur eine untergeordnete Rolle spielte. Die nach dem Krieg vor Bundesgericht geltend gemachte (und von diesem weitgehend geschützte) «Gutgläubigkeit» einzelner Galerien (Fischer in Luzern, Beyeler in Basel), Museen (Kunstmuseum Basel) und Käufer (Bührle), die im Nachhinein behaupteten, nichts von der Herkunft der Bilder gewusst zu haben, wurde allerdings als nicht zutreffend bezeichnet; kritischere Sammler seien sich durchaus im Klaren gewesen, dass es sich bei den Angeboten aus Deutschland um eine direkte Subventionierung der nationalsozialistischen Kriegsmaschinerie (sog. «Kanonenauktionen») gehandelt habe.

Erster Band der Bergier-Kommission zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Dritten Reich