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Das wuchtige EWR-Nein der meisten deutschsprachigen Kantone riss zwischen der Deutschschweiz und der Romandie eine Kluft auf, wie sie die Schweiz seit dem 1. Weltkrieg kaum mehr erlebt hatte. "Les Romands ont mal à la Suisse" diagnostizierte im Nationalrat der Genfer Eggly (lp). Obgleich politologische Analysen zeigten, dass das Erklärungsmuster "Röschtigraben" offensichtlich zu kurz griff und die Haltung zum EWR nicht allein von der Sprachkultur, sondern ebensosehr vom Gegensatz Stadt-Land geprägt gewesen war, regten doch Politiker aus allen Lagern Massnahmen an, welche ein weiteres sprachlich-kulturelles und politisches Auseinanderdriften der beiden Landesteile verhindern sollten. Dabei taten sich in erster Linie die Genfer Abgeordneten Brunner (sp), Tschopp (fdp) und Ziegler (sp) hervor, aber auch jener Teil der SVP (Zimmerli/BE sowie der Generalsekretär der Partei), welcher sich im Gegensatz zur Gesamtpartei für den EWR engagiert hatte. Unter anderem wurde die Einsetzung eines Rats der Weisen oder die Einberufung einer Art "Etats généraux" der kulturellen Kräfte bzw. einer nationalen Einigungskonferenz vorgeschlagen, ein dritter Bundesrat für die Romandie und die Schaffung eines ständigen Gremiums zur Diskussion gestellt, welches alle Parlamentsgeschäfte auf ihre Auswirkungen auf die Romandie durchleuchten sollte.

EWR-Nein führt zu Graben zwischen West- und Restschweiz

In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Sprachgrenzen in der Schweiz kaum verschoben, mit Ausnahme Graubündens, wo das Rätoromanische weiterhin an Boden verloren hat. Dies ging aus den vom Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlichten Ergebnissen der Volkszählung 1990 zur Sprachenverteilung hervor. In acht Bündner Gemeinden hat sich in dieser Zeitspanne die Sprachmehrheit zugunsten des Deutschen verändert. In den Gemeinden mit weiterhin rätoromanischer Sprachmehrheit nahm diese um durchschnittlich zehn Prozentpunkte ab. Nur gerade in einer Gemeinde (Alvaschein im Bezirk Albula) wechselte die Mehrheit vom Deutschen zum Rätoromanischen. Die Angst gewisser Romands vor einer "germanisation rampante" konnte hingegen nicht bestätigt werden: Im Grenzkanton Freiburg änderte die Sprachmehrheit nur in zwei Gemeinden, einmal zugunsten des Deutschen, einmal zugunsten des Französischen.

Der Behauptung eines alemannischen Sprachimperialismus widersprachen auch mehrere wissenschaftliche Arbeiten über das Sprachverhalten in den Grenzgebieten.

Sprachgrenzen in der Schweiz verschieben sich kaum

Die kleine Kammer, welche den revidierten Sprachenartikel (Art. 116 BV) als Erstrat behandelte, trug den Befürchtungen der Romands — vor allem auf Druck von Ständerat Cavadini (lp, NE) — dennoch weitgehend Rechnung. Der Passus, der gemäss bundesrätlichem Vorschlag die individuelle Sprachenfreiheit garantiert hätte, wurde, entgegen einem Minderheitsantrag Onken (sp, TG), ersatzlos gestrichen, das strikte Territorialitätsprinzip für die Amts- und Schulsprachen also gestärkt. Die Kompetenz zur Erhaltung und Förderung der Landessprachen wurde ganz den Kantonen übertragen und nicht mehr gleichberechtigt dem Bund und den Kantonen, wie dies der Bundesrat vorgeschlagen hatte. Der Bund soll hier lediglich subsidiär wirken sowie die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften unterstützen. Unbestritten war, das Romanische zur halbamtlichen Sprache zu erheben.

Revision des Sprachenartikels in der Bundesverfassung (Art. 116 BV)

Eine vom Universitären Forschungszentrum für Mehrsprachigkeit der Universität Bern durchgeführte Umfrage unter Politikerinnen und Politikern in den zweisprachigen Kantonen Bern und Wallis ergab erste Anhaltspunkte über das Verhältnis zwischen den Sprachgruppen. Grundsätzlich äusserten sich die Befragten positiv zur Zweisprachigkeit: Das Beherrschen beider Sprachen wurde als Vorteil angesehen und das Zusammenleben in beiden Kantonen von der Mehrheit als zufriedenstellend bis gut bezeichnet.

Umfrage zur Zweisprachigkeit unter den Mandatsträgern des Kantons Bern

Um die Mehrausgaben, die ihnen aus der Zweisprachigkeit entstehen, wenigstens teilweise abzugelten, reichten die Kantone Freiburg und Wallis je eine entsprechende Standesinitiative ein. Sie schlossen sich damit dem ebenfalls zweisprachigen Kanton Bern an, welcher bereits im Vorjahr einen analogen Vorstoss eingereicht hatte.

Standesinitiativen zur Abgeltung der Aufwände der Mehrsprachigkeit

Bei der Behandlung einer Motion Cavadini zur Gleichstellung der italienischen Sprache in der Bundesverwaltung schloss sich der Ständerat dem Erstrat an und überwies den Punkt 4 der Motion, welcher verlangt, dass in den Stellenausschreibungen der Bundesverwaltung die Beherrschung der italienischen Sprache postuliert werden muss, ebenfalls in der verbindlichen Form. Da der Nationalrat drei weitere Punkte der Motion nur als Postulat überwiesen hatte, war die kleine Kammer nicht verpflichtet, sich dazu zu äussern. Um aber die Bedeutung dieser Frage zu unterstreichen, entschloss sie sich auf Antrag ihrer Kommission, die drei Anregungen (Erstellen einer Beamtenstatistik nach Sprachgruppen, Förderung der Anstellung von italienischsprachigen Beamten im mittleren und höheren Kader, Prüfung einer Quotenregelung) in eigener Regie ebenfalls als Postulat zu verabschieden.

Ausbau der italienischen Übersetzungsdienste

Angesichts der heftigen Diskussionen, die sein Vorprellen auslöste, schwenkte Cotti auf eine flexiblere Linie ein. Insbesondere bestritt er, die Aufwertung des Italienischen auf Kosten des Englischen vornehmen zu wollen. Schliesslich einigten sich Cotti und die Erziehungsdirektorenkonferenz auf einen Kompromiss: In die offizielle Vernehmlassung zur MAV-Revision wurde der Vorschlag aufgenommen, dass an den höheren Mittelschulen inskünftig für jene Schülerinnen und Schüler, die im Rahmen ihrer Wahlmöglichkeiten Englisch als Fremdsprache den Vorzug geben, Italienisch während zwei Jahren als Pflicht-, aber nicht Maturitätsfach eingeführt werden soll.

Forderung nach Italienisch als Pflichtfach an der Matura

Gemäss den Ergebnissen der Pädagogischen Rekrutenprüfung 1985 ist für die jungen Deutschschweizer der Dialekt ein überaus wichtiges Identitätsmerkmal. Sie grenzen sich damit von den anderen Deutschsprachigen in Deutschland und Osterreich ab, was die Romands — entgegen einer vorherrschenden Auffassung — nicht stört, da sie die Spannungen zwischen deutscher und welscher Schweiz als nicht mundartbedingt empfinden. Während die Antworten der befragten jungen Deutschschweizer eine bereits früher beobachtete Tendenz bestätigten und kaum Neues brachten, überraschten jene der Romands. Ihre Einstellung zur deutschschweizerischen Sprachsituation ist offenbar viel sachlicher als gemeinhin angenommen. Eine Mehrheit vertrat die Meinung, von einer hohen Sprachenbarriere könne nicht die Rede sein, wenn sich ein Romand in der deutschen Schweiz niederlasse. Gemäss den mit der Auswertung beauftragten Wissenschaftern ist nicht die Mundartwelle schuld am "malaise" zwischen Deutschschweiz und Romandie, sondern die Angst vor einer alemannischen Dominanz namentlich in der Wirtschaft.

Deutschschweizer Dialekt ist wichtiges Identitätsmerkmal

Einigen Wirbel löste Bundesrat Cotti mit seiner Willensäusserung aus, Italienisch zum Pflichtfach für die eidgenössisch anerkannte Matura zu machen; Englisch sollte stattdessen nur noch fakultativ unterrichtet werden. Bereits im Vorfeld der Vernehmlassung zur revidierten Maturitätsanerkennungsverordnung (MAV) stiess der Vorschlag des Tessiner Bundesrates auf starken Widerstand. Die primär betroffenen Kreise – Erziehungsdirektorenkonferenz und Lehrerschaft – begrüssten eine vermehrte schulische Förderung des Italienischen durchaus, befürchteten jedoch, bei der angestrebten Reduktion der Pflichtfächer von elf auf acht würde dies zwangsläufig zu einer Abwertung des Englischen führen, was als unverantwortbare Schwächung des Wirtschafts- und Forschungsstandortes Schweiz erachtet wurde. Zudem bezweifelten sie, dass in der Deutschschweiz und in der Romandie die Akzeptanz für eine derartige Lösung vorhanden wäre.

Die Auswertung der Pädagogischen Rekrutenprüfung 1985 zeigte, dass Cottis Vorschlag weit an den Sprachpräferenzen zumindest der jungen Deutschschweizer vorbei zielte: 52% der Befragten erklärten, Englisch gefalle ihnen am besten; 18,4% nannten Französisch, 16,7% Hochdeutsch und nur 9,9% Italienisch.

Forderung nach Italienisch als Pflichtfach an der Matura

Der Berner Grosse Rat bewilligte mit klarem Mehr jedoch mit zahlreichen Enthaltungen einen Kredit von 570'000 Fr. für das Forschungsprojekt "Mehrsprachigkeit im Kanton Bern". Die Studie soll dem Kanton Erkenntnisse zu seiner kulturellen Identität bringen und ihm helfen, seine traditionelle Brückenfunktion zwischen den Sprachgebieten wahrzunehmen.

Mehrsprachigkeit im Kanton Bern

Im Kanton Freiburg eskalierte der Sprachenstreit weiter und wird nun auch das Bundesgericht beschäftigen. Ende 1991 hatte der Staatsrat (Exekutive) in seiner Stellungnahme zu einer Beschwerde befunden, die Gemeinde Marly dürfe weiterhin deutschsprachigen Kindern den Schulbesuch in ihrer Muttersprache in der Kantonshauptstadt finanzieren. Marly, welches an der Sprachgrenze, aber im französischen Sprachraum liegt und mit 23% der Einwohner eine bedeutende deutschsprachige Minderheit aufweist, hatte diese Regelung vor über 20 Jahren eingeführt, um den dort ansässigen deutschsprachigen Angestellten eines Zweigwerkes von Ciba-Geigy entgegenzukommen. Gemäss dem Staatsrat verstösst dies aufgrund der Gemeindeautonomie und des Schulgesetzes nicht gegen das seit zwei Jahren in der Kantonsverfassung verankerte Territorialitätsprinzip. Mit Unterstützung der lokalen SP-Sektion beschloss die Beschwerdeführerin, diesen Entscheid des Staatsrates an das Bundesgericht weiterzuziehen.

Gesamtkantonal zeigten sich die Sozialdemokraten jedoch uneins: im Kantonsrat wurde sowohl eine SP-Motion für eine klare sprachliche Zuordnung aller freiburgischen Gemeinden (mit Ausnahme von Freiburg und Murten) wie auch eine auf Einführung von gemischtsprachigen Gebieten eingereicht. Beide Motionen wurden auf Wunsch der Regierung nur als Postulate angenommen.

Sprachenartikel in der Freiburger Staatsverfassung

Die Annahme des neuen Sprachenartikels in der Freiburger Staatsverfassung, mit dem das Deutsche dem Französischen gleichgestellt wird, hat nicht zum Sprachfrieden geführt, ganz im Gegenteil. Besonders im Saane-Bezirk mit seinen vielen gemischtsprachigen Gemeinden war die Anwendung des seit dem Vorjahr in der Verfassung festgeschriebenen Territorialitätsprinzips Anlass für mehrere Beschwerden und parlamentarische Vorstösse mit dem Ziel, entweder auf gesetzlichem Weg die Gemeinden linguistisch klar zu definieren oder doch noch gemischtsprachige Gebiete einzuführen. Mit dem Entscheid der Kantonsregierung, im Fall der Freiburger Vorortsgemeinde Marly das Prinzip der Gemeindehoheit über jenes der Territorialität zu stellen und den Schulbesuch der deutschsprachigen Kinder weiterhin in Freiburg zu gestatten, wurde die Kontroverse kurz vor Jahresende erneut angeheizt. Die ursprünglichen Beschwerdeführer beschlossen, diesen staatsrätlichen Entscheid beim Bundesgericht anzufechten.

Sprachenartikel in der Freiburger Staatsverfassung

Mit einer Petition wollen Exponenten der Surselva die weitere Entwicklung und den Gebrauch des Rumantsch grischun stoppen. Die rund 60 Erstunterzeichner forderten Bundespräsident Cotti als Vorsteher des EDI auf, die in rätoromanischer Sprache verfassten Veröffentlichungen des Bundes nicht mehr auf Rumantsch grischun zu verbreiten. Sie gaben ihrer Auffassung Ausdruck, ohne minimste rechtliche Basis und gegen die Menschenrechte werde hier in Unkenntnis des Willens der Mehrheit der Rätoromanen eine Sprache entwickelt, welche die Substanz der in Jahrhunderten entwickelten und gewachsenen Idiome schmälere und den Niedergang des Rätoromanischen vorantreibe. Die Petition wurde anfangs Januar 1992 mit über 2600 Unterschriften eingereicht. In seiner Botschaft zum revidierten Sprachenartikel hat sich der Bundesrat dagegen klar für die Verwendung des Rumantsch grischun ausgesprochen. Zudem beschloss die Lia Rumantscha, weiterhin überzeugt am Rumantsch grischun und am Projekt einer in der Einheitssprache verfassten Tageszeitung ("Quotidiana") festzuhalten; in einer nahezu einstimmig verabschiedeten Resolution wurde der Bundesrat aufgefordert, mit den Übersetzungen ins Rumantsch grischun wie bisher weiterzufahren.

Zu den neu ins Rumantsch Grischun übersetzten offiziellen Texten gehört nun auch das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB).

Petition gegen das Rumantsch grischun

Bundesrat und Parlament zeigten sich 1991 geneigt, einen Teil der Forderungen der Tessiner Abgeordneten bezüglich der Arbeit der Bundesverwaltung zu erfüllen. Spätestens 1998 gedenkt die Regierung die von der Verfassung geforderte Gleichberechtigung des Italienischen mit den beiden anderen Amtssprachen zumindest in den bundeseigenen Publikationen herzustellen. Bisher blieben beispielsweise die Vernehmlassungsberichte, die parlamentarischen Vorstösse sowie die Stellungnahmen des Bundesrates, der Voranschlag und die Staatsrechnung, Berichte von Experten- und Studienkommissionen, das Statistische Jahrbuch sowie die Zeitschrift "Die Volkswirtschaft" unübersetzt. Der Bundesrat beschloss deshalb, den Bestand der italienischsprachigen Übersetzer in der Verwaltung schrittweise zu verdoppeln und in Bellinzona eine Zweigstelle seines Übersetzungsdienstes einzurichten.

Ausbau der italienischen Übersetzungsdienste

Der Umstand, dass Bundesrat Felber die Schweizer Delegation am vierten Frankophonie-Gipfel in Paris anführte, zeigte, dass sich das Misstrauen der Regierung gegen diese von Staatspräsident Mitterrand ins Leben gerufene Initiative weitgehend gelegt hat. Getreu ihrer bisherigen Linie verlangte die Schweiz aber klarere Grundsätze für die Definition der frankophonen Länder und wünschte eine Begrenzung auf den linguistischen Auftrag. Auch zeigte sie sich wenig erfreut über den Entscheid des Gipfels, die Institutionalisierung der Frankophonie, die sie der politischen Implikationen wegen möglichst gering halten möchte, durch ein permanentes Komitee und eine Ministerkonferenz verstärken zu wollen.

Vierter Frankophonie-Gipfel

Der Kanton Bern reichte eine Standesinitiative ein, welche die Bundesbehörden auffordert, den mehrsprachigen Kantonen für die besonderen Leistungen zur Erhaltung und Förderung ihrer Sprachenvielfalt eine Unterstützung des Bundes zu gewähren.

Vgl. Standesinitiative Freiburg 1990.

Standesinitiative zugunsten mehrsprachiger Kantone

Die Zeit sei reif für die Wiederaufnahme der Idee einer Tessiner Hochschule, hatte Bundesrat Cotti bereits Ende 1990 erklärt. In seiner Botschaft zum Sprachenartikel nahm der Gesamtbundesrat diesen Gedanken ebenfalls auf. Er stützte sich dabei auf eine Forderung der Arbeitsgruppe zur Revision des Sprachenartikels, die eine Universität im Tessin als unabdingbar für die Zukunft der dritten Landessprache bezeichnet hatte. Kurz vor Jahresende und fünf Jahre nach dem wuchtigen Nein der Tessiner Stimmberechtigten zum CUSI (Centro universitario della Svizzera italiana) präsentierte der Tessiner Staatsrat dann seine Vorstellungen einer redimensionierten Tessiner Universität. Eine Minimallösung — für die Tessiner Behörden ein in jedem Fall notwendiger Schritt — sieht die Koordinierung der verschiedenen bereits funktionierenden wissenschaftlichen Aktivitäten des Kantons vor. Für die ehrgeizigere Variante einer eigenen universitären Struktur wurden zwei Formen zur Diskussion gestellt: einzelne Institute — Basisausbildung in einem Sektor oder Postgraduate-Kurse — oder eine eigentliche Universität mit wenigen Fakultäten. Als Zeithorizont zu deren Realisierung wurde 1996 genannt.

Tessiner Hochschule

Zum drittenmal nach 1985 und 1988 fand die "Scuntrada rumantscha", die Woche der Begegnung von und mit den Rätoromanen statt. Das Programm unter der Leitung der Lia Rumantscha, dem Dachverband der Romanen, beleuchtete in Vorträgen, Podiumsdiskussionen und kulturellen Darbietungen sowie verschiedensten Kursen aktuelle Probleme der Rätoromanen. Die "Scuntrada 91" stand unter dem Motto "Begegnung auch mit andern"; Sprachpolitik aus gesamtheitlicher und internationaler Sicht war denn auch einer der Schwerpunkte der Begegnungs- und Arbeitswoche, aber auch das Verhältnis zwischen der nicht selten ausserhalb des Sprachgebiets lebenden "Elite" und dem daheimgebliebenen "Fussvolk". Hier stand einmal mehr das Problem des "Rumantsch grischun" zur Diskussion, einer den rätoromanischen Dialekten aufgesetzten Einheitssprache, deren Ausarbeitung und Verbreitung in erster Linie von — meist im Unterland lebenden — jüngeren Intellektuellen getragen wird.

Mit den Besonderheiten der Schaffung einer Kunstsprache hatte sich zudem bereits im April in Parpan und Chur ein internationales Kolloquium über Standardisierung von Sprachen befasst.

Scuntrada rumantscha

Die Tessiner Deputation des Nationalrates äusserte in zwei Motionen ihr Unbehagen über die Stellung des Italienischen in Parlament und Bundesverwaltung und machte eine Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung dieser Situation. Mit der unter Hinweis auf die hohen Kosten einer vollständigen Dreisprachigkeit zwar nur bedingt erfolgten Annahme der Motion zur Parlamentsarbeit zeigte die grosse Kammer dennoch Verständnis für das Anliegen der Tessiner. Im Rahmen der Parlamentsreform und der damit verbundenen Revision des Geschäftsverkehrsgesetzes beschloss der Nationalrat, innerhalb eines Jahres die nötigen Entscheide zur Gleichstellung der Amtssprachen zu fällen; als erste Massnahme dehnte sie die Simultanübersetzung der Plenardebatten aufs Italienische aus; ebenfalls simultan in die Amtssprachen übersetzt sollen inskünftig die Sitzungen der Kommissionen werden, es sei denn, sämtliche Kommissionsmitglieder gleicher Sprache verzichteten auf diese Dienstleistung.

Stellung des Italienischen in Parlament und Bundesverwaltung

Der Forderung der Tessiner Abgeordneten nach einer sukzessiven Erhöhung der Zahl der italienischsprachigen Bundesbeamten war Bundespräsident Cotti bereits anfangs Jahr zuvorgekommen, als er für sein Departement eine Quotenregelung bei der Personalauswahl einführte. Mit dieser Sofortmassnahme soll im EDI eine angemessene Vertretung der sprachlichen Bevölkerungsgruppen sichergestellt und der Anteil des weiblichen Personals erhöht werden. Ziel ist, bis Ende 1992 Verhältniswerte von 70% deutsch- (heute 74%), 20% französisch- (17%) und 10% italienischsprachige Mitarbeiter (7,5%) zu erreichen. Um den Dienst in der zentralen Bundesverwaltung für Tessiner attraktiver zu machen, regten die Motionäre ebenfalls die Schaffung einer dreisprachigen Schule (deutsch/französisch-italienisch) in Bern an. Auch dieser Wunsch stiess bei Bundespräsident Cotti auf viel Sympathie; er verwies jedoch auf den Grundsatz der kantonalen Schulhoheit und spielte so den Ball dem Kanton Bern zu.

In ihrem Inspektionsbericht 1991 bemängelte zudem die GPK des Nationalrates die nach wie vor markante Untervertretung der sprachlichen Minderheiten in der Bundesverwaltung.

Erhöhung der Zahl der italienischsprachigen Bundesbeamten

In der letzten Zeit habe sich eine spürbar wachsende Gleichgültigkeit gegenüber der in der Schweizer Geschichte und Kultur verankerten Viersprachigkeit unseres Landes abgezeichnet, hielt der Bundesrat in seiner – gleichentags in allen vier Landessprachen publizierten – Botschaft zur Revision des Sprachenartikels in der Bundesverfassung (Art. 116 BV) fest, wobei die sprachlichen Minderheiten besonders betroffen seien. Deshalb soll der Bund inskünftig die Kantone bei ihren Bemühungen zur Erhaltung und Förderung der Landessprachen vermehrt unterstützen und in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich für eine Verbesserung der zwischensprachlichen Verständigung sorgen.

Mit der Sprachenfreiheit soll ein besonders wichtiges, persönlichkeitsnahes Grundrecht explizit in die Verfassung Eingang finden. Gleichzeitig wird der Grundsatz der Viersprachigkeit der Schweiz verankert. Amtssprachen des Bundes bleiben weiterhin das Deutsche, das Französische und das Italienische. Im Verkehr zwischen dem Bund und rätoromanischen Bürgerinnen und Bürgern sowie Institutionen soll jedoch auch das Rätoromanische als Amtssprache gelten.

Der revidierte Verfassungsartikel führt ein differenziertes Territorialitätsprinzip ein. Der Sprachgebietsgrundsatz soll nicht für alle Kantone und Sprachsituationen die gleiche Bedeutung haben; vielmehr soll auf die Bedrohung einer Sprache abgestellt werden: Je stärker eine Sprache gefährdet erscheint, desto grösser sei das öffentliche Interesse an Massnahmen zu ihrer Erhaltung und desto eher rechtfertigten sich Eingriffe in die Sprachenfreiheit, meinte die Landesregierung. Die Kantone sollen deshalb verpflichtet werden, unter Umständen sogar einschneidende Massnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass sich die bedrängten Sprachen in jenen Gebieten halten können, in denen sie heute gesprochen oder geschrieben werden.

Damit die Verständigungsfähigkeit und -bereitschaft zwischen den Sprachgemeinschaften erhalten bleiben und sich weiterentwickeln können, sollen in allen Landesteilen neben der Erhaltung und Förderung der jeweiligen Gebietssprache auch die anderen Landessprachen gepflegt werden. Damit sei, schrieb der Bundesrat, vor allem der Fremdsprachenunterricht in den kantonalen Bildungssystemen – vom Vorschulunterricht bis zur Erwachsenenbildung – angesprochen.

Revision des Sprachenartikels in der Bundesverfassung (Art. 116 BV)

Aus rechtlichen Gründen und um den Sprachfrieden nicht zu gefährden, will die Bündner Regierung keine Konsultativabstimmung für oder gegen das Rumantsch grischun oder die "Quotidiana" durchführen, wie dies ein im Vorjahr eingereichter parlamentarischer Vorstoss gefordert hatte. Um aber den Volkswillen zu diesen beiden heiklen Themen zu erkunden, erachtet die Kantonsregierung die Durchführung einer nach wissenschaftlichen Methoden angelegten Meinungsumfrage als sinnvoll. Die Bündner Exekutive verhehlte allerdings nicht, dass sie dem Projekt einer romanischen Tageszeitung nach wie vor skeptisch gegenübersteht, umso mehr als die Bündner Zeitungsverleger sich nach einer Denkpause erneut vehement gegen eine Zusammenarbeit mit der Lia Rumantscha aussprachen.

Keine Konsultativabstimmung für oder gegen das Rumantsch grischun

Die Absicht des Bundesrates, den Sprachenartikel der Bundesverfassung (Art. 116) einer Revision zu unterziehen, stiess im Vernehmlassungsverfahren auf eine eindeutige und überzeugende Zustimmung. Zur Diskussion standen zwei von einer Expertengruppe ausgearbeitete Varianten. Praktisch alle Eingaben betonten, dass mit der Sprachenfrage ein erstrangiges Element unseres staatlichen Selbstverständnisses angesprochen ist. Die mit der Revision angestrebten Massnahmen wurden als sinnvoll und notwendig erachtet. Dennoch kam in den Stellungnahmen deutlich zum Ausdruck, dass sich die sprachliche Entwicklung wohl nur bedingt durch einen Verfassungsartikel beeinflussen lasse. Entscheidend für die Erhaltung von bedrohten Landessprachen wie auch für die Verbesserung der Verständigung und des Verständnisses unter den Sprachregionen sei vielmehr die gezielte Umsetzung dieses Anliegens im konkreten Alltag.

Nicht eindeutig beantwortet wurde in der Vernehmlassung die Frage, ob die Amtssprachen auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe zu regeln seien. Unklarheit herrschte auch über die Bedeutung, die dem Territorialitätsprinzip zukommen soll. Im Gegensatz zur Expertengruppe, die im Vorjahr den Bericht "Zustand und Zukunft der viersprachigen Schweiz" ausgearbeitet und sich dabei für ein differenziertes Territorialitätsprinzip ausgesprochen hatte, setzten sich vor allem mehrere Eingaben aus der welschen Schweiz vehement für dessen strikte Anwendung ein. Vereinzelt wurde auch angemerkt, der Begriff der Viersprachigkeit, welcher den heutigen demographischen Realitäten bereits nicht mehr gerecht werde, sollte durch denjenigen der Vielsprachigkeit ersetzt werden.

Der Bundesrat beauftragte das EDI mit der Ausarbeitung eines Textvorschlages auf der Basis der Vernehmlassungsergebnisse.

Revision des Sprachenartikels in der Bundesverfassung (Art. 116 BV)

Mit der bisherigen Verfassungsgrundlage ist eine substantielle Sprachenpolitik des Bundes kaum möglich. Die Eidgenossenschaft unterstützt heute lediglich die Kantone Tessin und Graubünden für die Förderung ihrer Kultur und Sprache mit insgesamt 5 Mio Fr. pro Jahr. Um hier wenigstens die Teuerung auszugleichen und den beiden Kantonen und den in der Sprach- und Kulturförderung aktiven Vereinigungen die Weiterführung und Erhaltung ihrer Tätigkeit zu sichern, beantragte der Bundesrat dem Parlament, diese Beiträge rückwirkend auf den 1.1.1990 um 25% anzuheben. Die kleine Kammer, welche die Vorlage als Erstrat in der Wintersession behandelte, stimmte der Erhöhung diskussionslos und einstimmig zu.

Kantone Tessin und Graubünden

Eine Aufwertung erfuhr das Italienische auch durch den Entscheid von Urner Regierung und Parlament, die Sprache des Nachbarkantons Tessin anstelle des Französischen als erste Fremdsprache in der Primarschule einzuführen. Spätestens zu Beginn des Schuljahres 1994/95 werden im Kanton Uri die Schülerinnen und Schüler der 5. Klasse erstmals in der dritten Landessprache unterrichtet werden. Die notwendige Ausbildung der Lehrkräfte und die Erstellung der Lehrmittel wird den Gotthardkanton mindestens CHF 1.5 Mio. kosten. Bei der Umsetzung seiner Pläne kann Uri allerdings mit der Hilfe des Tessins rechnen. Der Tessiner Grosse Rat bewilligte diskussionslos einen Kredit von CHF 500'000, mit welchem die Ausarbeitung von geeigneten Schulbüchern unterstützt werden soll. Zudem will das Tessiner Erziehungsdepartement bei der Vorbereitung und Durchführung von Italienischkursen für die Urner Lehrerschaft mit dem Kanton Uri zusammenarbeiten.

Der Kanton Graubünden trug sich ebenfalls mit dem Gedanken, Italienisch als erste Fremdsprache einzuführen.

Uri: Italienisch in der Primarschule