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In der Wintersession 2020 reichte Thomas Aeschi (svp, ZG) in der grossen Kammer einen Ordnungsantrag ein, mit dem die Behandlung von fünf hängigen Motionen zur Terrorismusbekämpfung noch für die gleiche Session traktandiert werden sollte. Nebst den Motionen Addor (svp, VS; Mo. 19.3301 und Mo. 19.3306), der Motion Büchel (svp, SG; Mo. 19.3376) und der Motion Quadri (lega, TI; Mo. 19.3598) führte Aeschi auch die SVP-Fraktionsmotion (Mo. 19.4005), die neuerlich die Bekämpfung der Ausbreitung eines radikalen Islams in der Schweiz verlangte, auf. Er argumentierte, dass – auch wenn aktuell Corona das dominierende Thema zu sein scheine – die Terroristen keine Corona-Pause machten und die Schweiz sich daher stets auf ein mögliches Attentat vorbereiten müsse. Im Nationalrat fand der Antrag jedoch kein Gehör und wurde mit 125 zu 56 Stimmen bei 4 Enthaltungen abgelehnt. Überraschenderweise kamen die Motionen Addor und Büchel dennoch in der Wintersession zur Behandlung, wurden aber allesamt abgelehnt.

«Stopp der Ausbreitung des radikalen Islams in der Schweiz!» (Mo. 19.4005)
Dossier: Stopp der Ausbreitung des radikalen Islams in der Schweiz!
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Rund 70 Terrorismusstrafverfahren waren Medienberichten zufolge Anfang 2020 am Bundesstrafgericht hängig. Eine Handvoll weitere kamen im Verlauf des Jahres hinzu. Im Dunstkreis der Genfer IS-Zelle um die Moschee Petit-Saconnex, die unter anderem den enthüllten Terroranschlag auf das Treibstofflager in Vernier geplant hatte, kam es etwa zu neuen Anklagen gegen zwei Männer, die 2015 versucht hatten, nach Syrien zu reisen und sich dem IS anzuschliessen. Obwohl sie von den türkischen Behörden an der Weiterreise nach Syrien gehindert worden seien, hätten sie bereits in der Türkei logistische Unterstützung des IS in Anspruch genommen und diesen finanziell unterstützt, lauteten die Vorwürfe. Grosse Medienaufmerksamkeit generierte auch die Messerattacke von Morges (VD) im September, als ein nachrichtendienstlich bekannter Islamist einen Kunden eines Kebaplokals mit einem Messer angriff und tödlich verletzte. Die Bundesanwaltschaft ermittelte zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr wegen versuchter Brandstiftung an einer Tankstelle gegen den Mann, weil die Polizei bereits damals Hinweise auf einen dschihadistischen Hintergrund festgestellt hatte. Ob die Tat von Morges als erster islamistischer Terroranschlag in der Schweiz gelten kann, wird gemäss Einschätzung der NZZ allerdings nur schwer zu klären sein. Die Grenze zwischen religiösem Fanatismus und psychischer Erkrankung könne nicht klar gezogen werden und es stehe die Frage im Raum, inwiefern radikal-islamistische Kreise die angebliche psychische Erkrankung des Mannes für ihre Zwecke missbraucht hätten, so die Zeitung.
Ebenfalls 2020 brachte das Bundesstrafgericht zwei Verfahren gegen Islamisten aus dem Netzwerk um die An'Nur-Moschee in Winterthur zum Abschluss, die auf reges mediales Interesse stiessen. Im August standen Sandro V. – die mutmassliche Schlüsselfigur im Winterthurer Islamistennetzwerk – sowie ein weiterer Mann aus diesem Umfeld vor den Richtern in Bellinzona. Als Syrien-Rückkehrer – bereits 2013 und damals noch unbehelligt verbrachte Sandro V. drei Wochen im Kriegsgebiet, nach eigenen Aussagen lediglich auf einer humanitären Hilfsmission – wurde der Hauptangeklagte in der Szene als «Emir» verehrt, genoss hohes Ansehen und grossen Einfluss. Laut Anklageschrift hatte er eine «Intermediärstellung» zu radikalen Geistlichen im Ausland inne. Als Verantwortlicher der Koranverteilungsaktion «Lies!» in der Schweiz und der Kampfsportschule «MMA Sunna» schuf er ein «Auffangbecken für die Jugendlichen, die sich vom radikalen Islamismus angezogen fühlten» und wurde zum «Dschihad-Reiseleiter», wie die NZZ ausführte. Schlagzeilen machten während des Prozesses nicht zuletzt die Zeugen, die ihre wichtigsten belastenden Aussagen aus den Ermittlungen nun nicht mehr bestätigten und so die Beweisführung der Bundesanwaltschaft erheblich erschwerten. Nichtsdestotrotz sah das Gericht die Vorwürfe gegen Sandro V. als erwiesen an und verurteilte ihn wegen Beteiligung und Unterstützung einer kriminellen Organisation sowie wegen Besitzes von Gewaltdarstellungen zu 50 Monaten Freiheitsstrafe – mehr als die Anklage gefordert hatte. Die Presse zitierte aus dem Urteil, der Mann habe als «fanatischer Anhänger des IS» und als «ideologische[r] Überzeugungstäter» mit «grosse[r] kriminelle[r] Energie» «kaltblütig und menschenverachtend» Dschihad-Reisende, darunter auch Minderjährige, rekrutiert. Seinem Mitangeklagten wurde eine bedingte Geldstrafe wegen der Verbreitung von IS-Propagandabildern auferlegt. Der Vorwurf, er habe eine Beziehung zu einem 15-jährigen Mädchen geführt und sie zur Reise ins Kriegsgebiet verführt – sie war der weibliche Teil des medial bekannten minderjährigen Geschwisterpaars aus Winterthur, das in den Dschihad gezogen war –, konnte mangels Beweisen nicht bestätigt werden. Die NZZ beklagte anschliessend, dass der Prozess der «ratlosen Öffentlichkeit» keine Antworten geliefert habe; es gebe immer noch keine einleuchtende Erklärung für die «merkwürdig[e] Häufung von Jihad-Reisen aus dem Raum Winterthur» und es bleibe offen, wie gefährlich diese radikalen Kreise für die Sicherheit der Schweiz seien.
Einen Monat später musste sich auch Azad M., der in der Winterthurer An'Nur-Moschee als Hilfs-Imam amtete, vor dem Bundesstrafgericht verantworten. Laut Anklage soll er die Schweiz als sicheren Hafen benutzt haben, um von hier aus unbemerkt dem IS zu dienen. Das Gericht kam zum Schluss, er habe sich «in multifunktionaler Rolle und mit grossem Zeitaufwand» für den IS eingesetzt. So habe er in Kontakt mit der Führungsriege des IS und selbst in «mittlerer Kaderrolle» gestanden, Geld an den IS überwiesen und zusammen mit seiner Frau ein Selbstmordattentat im Libanon geplant. Dass er auch Terroranschläge in der Schweiz vorbereitet haben soll, wie die Bundesanwaltschaft vermutet hatte, sei indes «reine Spekulation». Der Iraker wurde zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten, wovon er gut die Hälfte bereits in Untersuchungshaft verbüsst hatte, und 15 Jahren Landesverweis verurteilt. Gemäss NZZ sei dies die höchste Strafe, die bisher gegen einen IS-Anhänger in der Schweiz ausgesprochen worden sei.
Bereits zum zweiten Mal verhandelte das Bundesstrafgericht im Herbst 2020 den Fall der Terrorpropaganda durch den IZRS. Dessen Präsident Nicolas Blancho und der Medienverantwortliche Qaasim Illi waren 2018 wegen Formfehlern seitens der Bundesanwaltschaft noch freigesprochen worden; nur der dritte im Bunde, Naim Cherni, der den strittigen Film über den islamistischen Geistlichen Abdallah al-Muhaysini in Syrien realisiert hatte, war verurteilt worden. Das Bundesgericht hatte im März 2020 dann die Verurteilung Chernis bestätigt und die Entscheide Blancho und Illi ans Bundesstrafgericht zurückgewiesen. Dieses annullierte die Freisprüche im Herbst, sprach die beiden IZRS-Exponenten der Terrorismusunterstützung schuldig und verhängte bedingte Freiheitsstrafen von 18 Monaten für Illi und 15 Monaten für Blancho. Der Film sei Propaganda, weil die dschihadverherrlichenden und antisemitischen Aussagen des Interviewten nicht kritisch dargestellt und in keinerlei Kontext gesetzt würden. Somit hätten sich Illi mit der Veröffentlichung und Blancho mit der Bewerbung des Videos strafbar gemacht.

Terrorismusprozesse am Bundesstrafgericht 2020

Mittels eines Postulats forderte Nationalrätin Marianne Binder-Keller (cvp, AG) die Erarbeitung eines Berichts zu den Aktivitäten der schiitisch-islamistischen Hisbollah in der Schweiz. Dies sei aus sicherheitspolitischer Sicht nötig, da die Aktivitäten der Hisbollah in der Schweiz weitgehend unbekannt seien, so die Begründung der Postulantin. Der Arm der Hisbollah, welcher terroristische Aktivitäten ausübe, sei in der EU bereits seit einiger Zeit verboten. Deutschland gehe noch weiter und habe Aktivitäten der schiitisch-islamistischen Hisbollah im Frühling 2020 vollständig verboten, da diese zum bewaffneten Kampf aufrufe und das Existenzrecht Israels ablehne. Solche Aktivitäten seien in der Schweiz insbesondere mit Blick auf die Neutralität äusserst problematisch. Der Nationalrat stimmte diesem Vorstoss in der Herbstsession 2020 stillschweigend zu und folgte damit dem Antrag des Bundesrats.

Bericht über die Aktivitäten der schiitisch-islamistischen Hisbollah in der Schweiz (Po. 20.3650)

Mittels Postulat forderte CVP-Nationalrat Gerhard Pfister (ZG) den Bundesrat auf zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Betätigungsverbot für die Hisbollah in der Schweiz eingeführt werden könnte. Die schiitische Organisation, welche die «gewaltsame Vernichtung Israels» zum Ziel habe, müsse auf die Terrorliste gesetzt und dadurch in der Schweiz besser überwacht werden, argumentierte Pfister. Die Umsetzung, so der Postulant, solle nach dem Vorbild Deutschlands geschehen. Das Nachbarland hatte bereits früher im Jahr ein Aktivitätsverbot verhängt mit der Begründung, die Hisbollah sei für zahlreiche Anschläge verantwortlich, deshalb als terroristische Organisation einzustufen und stelle auch eine Bedrohung für Europa dar. Ein Verbot solle zum Beispiel Versammlungen von Aktivistinnen und Aktivisten sowie das Zeigen von Symbolen in der Öffentlichkeit, in Propagandafilmen und Schriftstücken umfassen und die Grundlage schaffen, um das Vermögen von Vereinen, welche im Zusammenhang mit der Hisbollah stehen, einziehen zu können, so der Vorschlag des Postulanten. Gemäss Aargauer Zeitung sei auch denkbar, das Verbot der Al-Kaida und des Islamischen Staats auf die Hisbollah auszuweiten. Der Bundesrat hatte sich in seiner Stellungnahme dazu bereit erklärt, das Anliegen Pfisters zusammen mit dem Postulat seiner Parteikollegin Marianne Binder-Keller (cvp, AG; Po. 20.3650) in einem Bericht aufzuarbeiten. In der Herbstsession 2020 nahm der Nationalrat den Vorstoss stillschweigend an.

Betätigungsverbot der Hisbollah in der Schweiz (Po. 20.3824)

Nachdem die eidgenössischen Räte den indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot», das Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung, mit der Bereinigung aller Differenzen auf Kurs gebracht hatten – die Schlussabstimmungen standen aufgrund des pandemiebedingten Abbruchs der Frühjahrssession indes noch aus –, beriet der Nationalrat in der Sommersession 2020 die Volksinitiative an sich. Der Ständerat hatte schon im Herbst 2019 über die Initiative debattiert und sie zur Ablehnung empfohlen. Die Volkskammer als Zweitrat hatte die Diskussion zur Initiative seinerzeit ausgesetzt, bis die Beratungen zum Gegenvorschlag abgeschlossen sein würden, und nahm sie nun ein knappes Jahr später in Angriff. Die SPK-NR beantragte ihrem Rat mit 14 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. In der mehrstündigen, emotionalen Ratsdebatte standen sich das befürwortende – bestehend aus der SVP-Fraktion sowie einem grossen Teil der Mitte-Fraktion – und das gegnerische Lager – bestehend aus allen anderen Fraktionen – unverrückbar gegenüber. Als «Dialog der Gehörlosen» bezeichnete «Le Temps» die Diskussion, in der nur die bereits bekannten, festgefahrenen ideologischen Positionen zu den Frauenrechten und zum «Kulturkampf» («Le Temps») vorgetragen wurden. Die Befürworterseite argumentierte im Kern, das Verhüllungsverbot setze ein klares Zeichen gegen die Unterdrückung der Frau und stärke die offene Gesellschaft sowie die Sicherheit in der Schweiz. Die Gegenseite betonte in erster Linie die Unvereinbarkeit eines solchen Verbots mit der liberalen Gesellschaftsordnung. 91 Wortmeldungen später entschied der Nationalrat mit 114 zu 76 Stimmen bei 3 Enthaltungen, die Initiative Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen. Für die Initiative standen neben der geschlossenen SVP-Fraktion zwei Drittel der Mitte-Fraktion sowie zwei Stimmen aus der FDP- (de Quattro/fdp, VD; Dobler/fdp, SG) und eine aus der GLP-Fraktion (Chevalley/glp, VD) ein. Abschliessend billigte die Volkskammer, dass ihre Kommission die Petition 15.2044 für die Ungültigkeitserklärung der Initiative aus Gründen der Einheit der Materie zur Kenntnis genommen hatte. Wie Kommissionssprecher Damien Cottier (fdp, NE) im Ratsplenum erläuterte, war die Kommission der Ansicht gewesen, dass die Volksinitiative die Einheit der Materie wahre, indem sie ein einziges Thema, nämlich das Verbot der Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit, betreffe.

In den Schlussabstimmungen zwei Tage darauf wurde der Bundesbeschluss, mit dem das Parlament die Volksinitiative zur Ablehnung empfahl, im Nationalrat mit 113 zu 77 Stimmen bei 7 Enthaltungen angenommen, wobei die befürwortenden und ablehnenden Stimmen dieselben geblieben waren wie bei der inhaltlichen Beratung. Der Ständerat stimmte dem Bundesbeschluss mit 36 zu 7 Stimmen bei 2 Enthaltungen zu; hier bestand die Opposition aus der geschlossenen SVP-Fraktion und CVP-Vertreter Beat Rieder (cvp, VS).

Weil sie aufgrund des Sessionsabbruchs nicht mehr in der Frühjahrssession 2020 stattgefunden hatten, standen auch die Schlussabstimmungen zum Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung in der Sommersession 2020 auf der Agenda der eidgenössischen Räte. Den indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» nahm der Nationalrat mit 104 zu 85 Stimmen bei 9 Enthaltungen an. Während sich die Mitte-Fraktion hier grossmehrheitlich dafür aussprach, stimmten neben der geschlossenen SVP- eine breite Mehrheit der Grünen Fraktion sowie einige Angehörige der FDP- und der Mitte-Fraktionen dagegen. Der Ständerat verabschiedete das Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung mit 35 zu 8 Stimmen bei 2 Enthaltungen, wobei auch hier alle SVP- und zwei Mitte-Stimmen ablehnend waren.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Das Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung, indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot», befand sich in der Frühjahrssession 2020 in der Differenzbereinigung. Damit kamen die vom Nationalrat in den Entwurf eingefügten gleichstellungspolitischen Bestimmungen in der Kantonskammer auf den Prüfstand. Die SPK-SR hatte sich mit den Ergänzungen des Nationalrats grundsätzlich einverstanden gezeigt, sich aber bei zwei der drei neuen Bestimmungen für eine von der Verwaltung vorgeschlagene, redaktionell verbesserte Variante entschieden. Inhaltlich schlug die Kommission ihrem Rat einzig eine kleine Anpassung vor, nämlich dass die Beiträge des Bundes für die Integration nicht nur insbesondere den Frauen, sondern zusätzlich auch den Kindern und Jugendlichen zugutekommen sollen. Dagegen forderte SVP-Ständerat Werner Salzmann (svp, BE) per Einzelantrag die Streichung der drei Bestimmungen zur Förderung der Gleichstellung, weil sie seines Erachtens «unnötig und insbesondere einseitig» seien. Der Ständerat folgte jedoch in allen Belangen mit grosser Mehrheit seiner Kommission und hiess die drei gleichstellungspolitischen Ergänzungen gut.
Für die redaktionellen Korrekturen zeigte sich die nationalrätliche Kommission dankbar. Ohne weitere Anpassungen beantragte sie ihrem Rat Zustimmung zur Fassung des Ständerates. Noch in der Frühjahrssession 2020 stimmte die grosse Kammer dem Entwurf in der Gesamtabstimmung mangels Gegenantrags stillschweigend zu. SVP-Nationalrat Gregor Rutz (svp, ZH) wies bei dieser Gelegenheit jedoch darauf hin, dass das Fehlen einer Minderheit nicht als einhelliges Einverständnis zur Vorlage missverstanden werden sollte. Die Probe aufs Exempel steht indes noch aus: Die Schlussabstimmungen konnten aufgrund des Corona-bedingten Ausfalls der dritten Sitzungswoche nicht mehr in der Frühjahrssession 2020 durchgeführt werden.
Gemäss Einschätzung der NZZ sei es fraglich, ob der gleichstellungspolitisch aufgerüstete Gegenvorschlag reiche, um die Stimmbevölkerung davon abzuhalten, der Initiative für ein schweizweites Verhüllungsverbot zuzustimmen. Andererseits hätten die Räte mit dem Gleichstellungsaspekt genau jenes Argument für das Burkaverbot adressiert, das auch ausserhalb des rechtskonservativen Milieus verfange. Entscheidend werde also sein, ob die Bevölkerung glaube, dass der Gegenvorschlag «handfeste Folgen» habe, oder ihn als Symbolpolitik betrachte, orakelte die Zeitung.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Jahresrückblick 2019: Kultur, Sprache, Kirchen

2019 war hinsichtlich der Kultur-, Sprach- und Kirchenpolitik vergleichsweise ein eher moderater Jahrgang, sowohl im Vergleich zu anderen Politikbereichen, als auch im direkten Vergleich zu den Vorjahren. Eine APS-Zeitungsanalyse zeigt auf, dass alle drei Politikbereiche von einem rückläufigen Trend betroffen sind, wobei sich dieser besonders in der Medienberichterstattung zur Kirchen- und Religionspolitik am stärksten zeigt – hier hat sich der Anteil themenspezifischer Artikel seit 2016 nahezu halbiert. Im Jahresverlauf wurden über die drei Themenbereiche betrachtet unterschiedliche Entwicklungen ersichtlich: Während die Sprachthemen auf nationaler Ebene offensichtlich im Allgemeinen wenig Beachtung fanden, wurden kirchenpolitische Themen besonders Anfangs und Ende Jahr stark diskutiert und fielen dann dem obligaten «Sommerloch» zum Opfer. Die Kulturpolitik hingegen sah sich mit einem regelrechten «Sommerhoch» konfrontiert, nachdem es ab März 2019 eher ruhig geworden war.

Das Hauptaugenmerk der Parlamentarierinnen und Parlamentarier lag 2019 hinsichtlich der kulturpolitischen Entwicklungen mit Sicherheit auf der Revision des Schweizer Urheberrechts. Nach rund 7-jähriger Vorarbeit und einer vom Ständerat im Frühjahr 2019 zwecks Sondierung der Lage des europäischen Urheberrechts auferlegten Rückweisung, wurden im Sommer schliesslich die Weichen gestellt und das Gesamtpaket im Herbst gebündelt. Da die angestrebte Revision Einfluss auf verschiedene Bereiche hat, blieben die negativen Reaktionen indes nicht aus; deshalb ist es auch wenig erstaunlich, dass kurz nach der Schlussabstimmung bereits das Referendum ergriffen wurde. Ob die URG-Revision effektiv gelungen ist, wird sich Mitte Januar 2020 zeigen, wenn die Referendumsfrist abgelaufen ist.
Die Ratifizierungen internationaler Abkommen wie des Übereinkommens über den Schutz des Unterwasser-Kulturerbes und des Rahmenübereinkommens des Europarats über den Wert des Kulturerbes standen hingegen ausser Diskussion.
Ein anderer Fokus wurde im Kulturjahr 2019 wiederum auf die Kulturförderung gelegt. Im Frühjahr wurde die Kulturbotschaft 2021–2024 in die Vernehmlassung geschickt und bis im September zur Stellungnahme freigegeben. Der Ergebnisbericht lag Ende Jahr zwar noch nicht vor, jedoch geben die im Verlauf des Jahres gefällten Entscheide zu diversen Vorstössen mit Referenz auf die Kulturbotschaft (Kulturabgeltung an die Stadt Bern, Einführung eines schweizerischen Jugendkulturgutscheins, Auswirkungen der Urbanisierung auf die Kulturförderung, Aufgabenteilung zwischen SBFI und BAK, Erhöhung des Kredits für die Förderung des Sprachaustausches) einen ersten Hinweis auf mögliche Herausforderungen hinsichtlich der weiteren Beratungen .
Auch im Bereich Heimatschutz und Denkmalpflege blieben die Institutionen nicht untätig. So wurde eine Motion Regazzi (cvp, TI; Mo. 17.4308), die eine Anpassung der Bewertungskriterien für die ISOS-Aufnahme verlangte, stillschweigend angenommen und die Vernehmlassungsergebnisse zur Totalrevision des VISOS vielen mehrheitlich positiv aus, was auf ein Inkrafttreten der revidierten Verordnung auf den 1. Januar 2020 hindeutete.
In der ausserparlamentarischen Debatte fand das Fête de Vignerons, das drei Jahre nach seiner Aufnahme ins UNESCO Weltkulturerbe und 20 Jahre nach der letzten Austragung neuerlich in Vevey (VD) stattfand, grosse Beachtung – leider aufgrund der finanziellen Bruchlandung nicht nur positive. Ein wiederkehrendes Thema war 2019 auch die Raubkunst, wobei der Fokus in diesem Jahr auf den afrikanischen Kontinent und die im Kontext der Kolonialisierung erbeuteten Schätze gerichtet wurde. Auch das Volk der Fahrenden war 2019 insbesondere in den Kantonen ein Thema, da sich die Frage der Durchgangsplätze nicht nur im Kanton Bern aufgetan hatte.

Im Bereich der Sprachpolitik standen in diesem Jahr die Mehrsprachigkeit und damit zusammenhängend die Förderung des Austausches zwischen den Sprachgemeinschaften sowie der Erhalt des Rätoromanischen im Fokus. So forderte eine Motion Bourgeois (fdp, FR; Mo. 17.3654), dass öffentliche Ausschreibungen des Bundes künftig in den wichtigsten Landessprachen zu erfolgen hätten, und eine Motion Gmür-Schönenberger (cvp, LU; Mo. 18.4156), dass TV-Produktionen nicht mehr synchronisiert, sondern sowohl Eigenproduktionen in den Landessprachen, als auch englischsprachige Produktionen in der Originalsprache ausgestrahlt und lediglich noch untertitelt werden sollen.
Mit dem Begehen der 100-Jahr-Feier der Lia Rumantscha wurden indes Bestrebungen aufgezeigt, das Rätoromanische wieder mehr aufs Parkett zu bringen und insbesondere auch einem Publikum ausserhalb des Bergkantons ins Gedächtnis zu rufen. Nicht zuletzt seit einem im Frühjahr erschienene Bericht des ZDA war deutlich geworden, dass es für das Rätoromanische in der Schweiz fünf vor zwölf geschlagen hat.

In Bezug auf kirchen- und religionspolitische Themen stand in diesem Jahr die SVP mit ihren islamkritischen Parolen auf prominentem Parkett. Mit ihrem Vorstoss zur Bekämpfung der Ausbreitung eines radikalen Islams war sie im Parlament zwar gescheitert, generierte aber mit den daraus resultierenden Wahlplakaten des der SVP nahestehenden Egerkinger-Komitees im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen 2019 ein grosses Medienecho. Auch die Motion Wobmann (svp, SO; Mo. 17.3583), die ein Verbot der Verteilaktion «Lies!» zum Ziel hatte, scheiterte – nach einer rund 1.5-jährigen Sistierung – am Ständerat. Wie eine bereits im Sommer veröffentlichte Studie aufzeigte, nahm die SVP auch in den Kantonen eine dominante Rolle in der Religionsdebatte ein. So war es nur wenig erstaunlich, dass die Anfangs Jahr neuerlich aufkommende Frage, ob man als guter Christ noch die SVP wählen dürfe, wieder zu diskutieren gab; nicht zuletzt, weil damit auch verschiedentliche Kirchenaustritte – nebst den ohnehin zunehmenden Kirchenaustritten – von SVP-Politikerinnen und -Politikern einhergingen, welche sich lieber dem Churer Bischof Huonder zuwenden wollten. Dieser seinerseits wurde schliesslich nach zweijährigem Aufschub zu Pfingsten Abberufen, nutzte die Zeit bis dahin aber für einen Rundumschlag gegen die Landeskirchen und stellte sich noch immer quer zu den Missbrauchsvorwürfen in der Kirche.
Wie sich die Kirche zum Staat verhalten soll und in welchem Masse sich Theologen in die politische Debatte einbringen dürfen, wurde seit Anfang Jahr im Rahmen eines von Gerhard Pfister (cvp, ZG) neu gegründeten Think-Tanks «Kirche/Politik» erläutert.
Eine für viele eher überraschende Kunde kam im Herbst von Seiten der reformierten Kirchen: Diese hatten sich nach langen Diskussionen für die «Ehe für alle» ausgesprochen, wobei sie im Wissen um die konservativen Kräfte innerhalb der Glaubensgemeinschaft die Gewissensfreiheit der Pfarrpersonen gewährleisten wollten. Unerfreulich waren 2019 die Meldungen über die Rückkehr und rasche Zunahme des Antisemitismus in der Schweiz.

Die 2019 im Vorfeld des angekündigten Frauenstreiks virulent diskutierte Genderthematik fand ihren Einzug auch im Bereich der Kultur, Sprache und Kirche. So wurden Frauen, und spezifisch ihr Schaffen und ihre Stellung in der Kunst und Kultur, wesentlich stärker thematisiert als in den vergangenen Jahren. Auch die Diskussion um gendergerechte Sprache wurde in diesem Jahr wieder virulenter aufgegriffen. Besonders überraschend kam auch die Ankündigung der Kirchenfrauen, sich am diesjährigen Frauenstreik zu beteiligen, um ein Zeichen gegen die männliche Dominanz innerhalb der Institution zu setzen.

Jahresrückblick 2019: Kultur, Sprache, Kirchen
Dossier: Jahresrückblick 2019

Als Zweitrat befasste sich in der Wintersession 2019 der Nationalrat mit dem Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung, das der Bundesrat dem Parlament als indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» unterbreitet hatte. Über die Initiative selbst wollte die Volkskammer erst nach der Verabschiedung – oder Versenkung – des Gegenvorschlags befinden. Die Mehrheit der vorberatenden SPK-NR hatte ihrem Rat nämlich Nichteintreten auf die Vorlage beantragt. Wie Kommissionssprecher Balthasar Glättli (gp, ZH) dem Ratsplenum schilderte, war diese Mehrheit durch eine Art unheilige Allianz von Initiativbefürwortern und -befürworterinnen einerseits sowie der kategorischen Gegnerschaft eines Verhüllungsverbots andererseits zustande gekommen. Während Erstere den Gegenvorschlag als nicht geeignet ansahen, das Ziel der Initiative zu erreichen, kritisierten Letztere, der Entwurf wolle – nicht anders als die Initiative – ein Problem lösen, das gar nicht existiere, und sei damit genauso unnötig. Trotz des Nichteintretensantrags hatte die Kommission bereits die Detailberatung der Vorlage durchgeführt, um den Prozess im Falle des Eintretens nicht zu verzögern, und den Entwurf um einige Elemente zur Stärkung der Gleichstellung der Geschlechter ergänzt.
Die Eintretensdebatte im Nationalrat wurde von beiden Lagern entsprechend hitzig geführt und förderte manch erstaunliche Argumentationslinie zutage. So warf SVP-Vertreter Andreas Glarner (svp, AG) dem Bundesrat vor, «noch nie in der Geschichte der Eidgenossenschaft» habe es «einen derart untauglichen und unwürdigen Gegenvorschlag zu einer Volksinitiative» gegeben. Gleichzeitig bekräftigten andere Voten derselben Fraktion nicht nur deren Ablehnung des Gegenvorschlags, sondern auch die Absicht, mit der Initiative die gesellschaftliche Stellung der Frauen zu verbessern. Demgegenüber hielten die Grünen in ihrer Ablehnung eines jeglichen Verhüllungsverbots die liberale Staatsordnung der Schweiz hoch und mussten sich von der SP prompt dafür schelten lassen, mit der Ablehnung des Gegenvorschlags eine «riesige Chance [zu] verpassen» (Beat Jans; sp, BS), der von Links-Grün schon so lange angestrebten Gleichstellung in der Gesellschaft näher zu kommen, wie Cédric Wermuth (sp, AG) bemerkte. Den Fraktionen der FDP und der GLP hingegen war der Gegenvorschlag offenbar liberal genug, weshalb sie ihn – wie auch die Mitte-Fraktion – mehrheitlich unterstützen wollten. Mit 94 zu 90 Stimmen bei 5 Enthaltungen fiel der Entscheid des Nationalrats schliesslich knapp für Eintreten.
In der Detailberatung folgte die grosse Kammer dann durchwegs den Anträgen ihrer Kommissionmehrheit und verlieh damit dem Gleichstellungsaspekt der Verhüllungsfrage im Gegenvorschlag mehr Gewicht. So sollen dem Bund im Gleichstellungsgesetz erstens Förderprogramme zur Verbesserung der Gleichstellung zwischen Frau und Mann in der Gesellschaft ermöglicht werden. Zweitens sollen finanzielle Beiträge des Bundes für die Integration gemäss dem Ausländer- und Integrationsgesetz zukünftig ausdrücklich auch insbesondere der Frauenförderung zugutekommen. Drittens soll die Verbesserung der Situation der Frauen in den Zielkatalog des Bundesgesetzes über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe aufgenommen werden. Alle drei Änderungen stiessen bei der Ratsmehrheit, nicht aber bei der geschlossenen SVP- sowie der Mehrheit der FDP-Fraktion, auf Zustimmung. Den so neu verstärkt auf Gleichstellung ausgerichteten Gegenvorschlag nahm die grosse Kammer letztlich mit 105 zu 82 Stimmen bei 7 Enthaltungen an. Zudem verlängerte sie die Frist für die Behandlung der Volksinitiative bis im März 2021 und billigte, dass ihre SPK von der 2016 eingereichten Petition «Für ein Gesichtsverhüllungsverbot» (16.2012) Kenntnis genommen hatte.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Nachdem die Behandlung der Motion Wobmann (svp, SO) auf Antrag des Ständerates für rund 1.5 Jahre ausgesetzt worden war, nahm sich der neu zusammengesetzte Ständerat in der Wintersession 2019 neuerlich dem Verbot der salafistischen Organisation «Lies!» an und machte damit kurzen Prozess, indem er stillschweigend seine Ablehnung kundtat. Die SiK-SR hatte sich bereits im November mit 6 zu 1 Stimmen bei 4 Enthaltungen für eine Ablehnung ausgesprochen, da zwischenzeitlich die abgewarteten Entwürfe zu den Bundesratsvorlagen 19.032 und 18.071 vorlagen, die eine in ihren Augen ausreichende Verstärkung der präventiven Polizeimassnahmen gegen Terrorismus und Verschärfung der strafrechtlichen Massnahmen zusicherten. Der Motionär gab dennoch zu bedenken, dass es sich bei der «Lies!»-Verteilaktion nicht etwa um unbedenkliche «Give-aways» handle, sondern um einen Ort der Radikalisierung. Den wahrgenommenen Rückgang der «Lies!»-Bücher auf den Strassen dürfe man nicht fälschlicherweise als ein Erlöschen der Promotionsaktivitäten verstehen – im Gegenteil: Die politische Bekämpfung der «Lies!»-Promotion habe bisweilen lediglich eine Namensänderung der Aktion in «Koran-Botschaften» bewirkt – was hinsichtlich des Vorstosses aber keinen Unterschied mache, da die vorliegende Motion auch solche Eventualitäten berücksichtigt habe. Zudem konnte Walter Wobmann nicht nachvollziehen, weshalb der Bundesrat hinsichtlich dieser Bücher zu einer anderen Einschätzung gelangt sei als die Nachbarländer der Schweiz, welche ein Verbot solcher Verteilaktionen ausgesprochen hätten. Die anwesende Bundesrätin Amherd beteuerte, der Bundesrat habe nie gesagt, dass es keinen Handlungsbedarf gebe, jedoch sei für ihn klar, dass man mit den neuen Bundesratsvorlagen genügend gesetzgeberische Instrumente zur Hand habe, um diesen Entwicklungen vorzubeugen.

Verbot der salafistischen Organisation "Lies!" und Unterbindung der Verbreitung von jihadistischem Gedankengut (Mo. 17.3583)
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Anfangs Oktober 2019 gab der Bundesrat in einer Medienmitteilung bekannt, dass sich der Bund neu pro Jahr mit bis zu CHF 500'000 an den Sicherheitskosten von «besonders gefährdeten Minderheiten» beteiligen wird. Die entsprechende Verordnung sei auf ein Konzept des Sicherheitsverbundes Schweiz (SVS) zurückzuführen. Die Gelder sollen gemäss Medienmitteilung für Massnahmen eingesetzt werden, mit denen Straftaten verhindert werden können – wie beispielsweise durch die Installation von Überwachungskameras –, jedoch nicht für Sicherheitspersonal. Um Unterstützungsleistungen zu erhalten, wird nebst einem erhöhten Sicherheitsrisiko verlangt, dass die Minderheitsgruppen über eine «gefestigte Bindung zur Schweiz und ihren Werten» verfügen. Jüdische und muslimische Glaubensgemeinschaften dürften gemäss Medienmitteilung im Zentrum dieser Massnahme stehen. Die Verordnung trat am 1. November 2019 in Kraft.

Beteiligung Bund an den Sicherheitskosten für besonders gefährdete Minderheiten

Wenn man im Spätsommer der Landstrasse entlang fährt und über Kilometer hinweg eine willkürliche Aufreihung meist fremder Gesichter entdeckt, wird auch den politisch Uninteressierten bewusst, dass der nationale Wahlherbst vor der Türe stehen muss. Auch im Herbst 2019 war dieses Spektakel schweizweit deutlich zu sehen. Die Parteien und ihre Kandidatinnen und Kandidaten warben fleissig für sich und ihre Anliegen – mal originell, mal weniger, aber immer mit dem Bisschen «je ne sais quoi», das der Politik eben inhärent ist. Bisweilen schreckten einige auch nicht vor einer ordentlichen Portion Provokation zurück, so beispielsweise die SVP mit ihrem im August publizierten, wurmstichigen Apfel-Plakat oder die CVP mit ihrer Online-Kampagne, mit der sie offensichtlich gegen die anderen Parteien schoss.
Da in einem demokratisch konsolidierten Land wie der Schweiz die Meinungsäusserungsfreiheit einen hohen Stellenwert geniesst und nach Möglichkeit auch eine harte politische Auseinandersetzung über heikle Themen ermöglicht werden soll, gibt es in der Schweiz kaum rechtliche Grundlagen, die gezielt den Wahl- bzw. Abstimmungskampf regeln. Dies wurde knapp drei Wochen vor den Wahlen deutlich, als es ein prominenter Akteur, der mit Parteipolitik im eigentlichen Sinne nur wenig zu tun hat, mit einer Plakat-Aktion in die Medien schaffte: das «Egerkinger Komitee» mit seinem prominentesten Vertreter Walter Wobmann (svp, SO). In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurden in verschiedenen Schweizer Städten und auf den Social-Media-Accounts des Komitees unzählige Wahlplakate aufgehängt und aufgeschaltet, auf denen jeweils das Konterfei vier prominenter FDP-Exponenten zu sehen war: Parteipräsidentin Petra Gössi (SZ), Fraktionschef Beat Walti (ZH), Nationalrätin Christa Markwalder (BE) sowie Nationalrat Christian Wasserfallen (BE). Betitelt wurde das Ganze mit dem Slogan: «Die FDP schützt radikale Islamisten in der Schweiz – Wollen Sie solche FDP-Mitläufer wirklich wählen?» Stein des Anstosses war eine nur wenige Wochen zuvor in der Herbstsession abgelehnte Motion der SVP-Fraktion zur Bekämpfung der Ausbreitung eines radikalen Islams in der Schweiz, die auch dank grosser Unterstützung der FDP-Fraktion zu Fall gebracht worden war.
Die FDP-Spitze liess diesen Angriff nicht auf sich sitzen und zog die Angelegenheit einen Tag nach Bekanntwerden vor das Bezirksgericht Andelfingen (ZH), dem Sitz des Egerkinger Komitees. Dort suchte sie, wie in diversen Medien berichtet wurde, um Erlass eines Superprovisoriums (einer ohne Anhörung der Gegenpartei erlassenen vorsorglichen Massnahme) an, weil sich die anvisierten Personen in ihrer Persönlichkeit verletzt fühlten, u.a. im Recht auf das eigene Bild. Petra Gössi liess im «Blick» verlauten, sie lasse sich nicht unterstellen, radikale Islamisten zu schützen; vielmehr sei die Motion der SVP «reine Symbolpolitik, die nicht umsetzbar gewesen wäre oder gar nichts gebracht hätte», gewesen. Das Gericht bestätigte zwei Tage nach dem Ansuchen die superprovisorische Verfügung und forderte das Komitee auf, die Plakat- und Social-Media-Anzeigen innert 24 Stunden zu entfernen. Komme es dieser Aufforderung nicht nach, würden Bussen in Höhe von CHF 10'000 verhängt und auch für weitere geplante Veröffentlichungen zusätzlich erhoben werden. Wobmann und sein Komitee – oder wie es der Tages-Anzeiger betitelte: die «SVP-Kampftruppe» – ignorierten das Gerichtsurteil aber gänzlich und liessen nonchalant verlauten: «Wir entfernen die Plakate sicher nicht.» Gemäss Wobmann handle es sich bei diesem Urteil lediglich um einen politischen Entscheid; er sprach gar von «Zensur». Zudem sei die Plakat-Kampagne sowieso lediglich auf den Zeitraum einer Woche beschränkt gewesen und werde bereits am Montag nach dem Urteil enden. Des Weiteren sei das Entfernen innert 24 Stunden gar nicht möglich – was wiederum von der verantwortlichen Plakatgesellschaft Clear Channel so nicht bestätigt wurde.
In der Wochenendpresse wurde dann tatsächlich eine Wende im Plakat-Krimi kundgetan: Das Egerkinger Komitee wolle doch dem «Gericht gehorchen» und habe Clear Channel einen entsprechenden Auftrag erteilt, wie der Tages-Anzeiger informierte. Die gesetzte Frist von 24 Stunden reiche zum Entfernen der Plakate zwar nicht, liess die Plakatgesellschaft verkünden, man werde diese aber auf Kosten des Komitees frühzeitig überkleben. Weshalb es nun doch zum Umschwung kam, wollte Wobmann den Medien nicht mitteilen. Stattdessen hatte sich in der Zwischenzeit eine andere Politgrösse zur Plakataktion geäussert: SVP-Übervater Christoph Blocher. Im Gespräch auf «Teleblocher» antwortete er auf die Frage, was er denn von diesem Urteil halte, lediglich mit einem Lachen und meinte: «Da habe ich nur gelacht.» Es sei eben schon etwas «komisch», wenn das Gericht ein solches Urteil fälle, da sich die genannten Politikerinnen und Politiker doch lediglich gegen einen vermeintlichen Rufschaden wehrten, den sie durch ihr Abstimmungsverhalten grundsätzlich selbst zu verschulden hätten. In Rezitation des ehemaligen Deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, meinte er hierzu mit einem verschmitzten Unterton: «Wer den Dampf nicht erträgt, soll nicht in die Küche gehen.» Der Frage, was er denn vom Plakat selbst halte, wich er aus und betonte, dass er selbst mit dieser Kampagne nichts zu tun habe, gar erst über die Medien davon erfahren habe. Den Schritt, den das Komitee gegangen sei, empfand er jedoch als «mutig».

Stopp der Ausbreitung des radikalen Islams in der Schweiz! - Plakataktion des Egerkinger-Komitees
Dossier: Stopp der Ausbreitung des radikalen Islams in der Schweiz!
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

In der Herbstsession 2019 befasste sich der Ständerat als Erstrat mit der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» sowie mit dem indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates, dem Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung. In der ausführlichen Debatte über die Symbolik der Gesichtsverhüllung und deren Vereinbarkeit mit in der Schweizer Gesellschaft zentralen Werten war der Grundtenor parteienübergreifend derselbe: Man sei nicht für die Burka, denn sie sei tatsächlich Ausdruck eines fundamentalistischen Islams und der Unterdrückung der Frau und als solcher in der Schweizer Gesellschaft problematisch. Ausserhalb der SVP-Fraktion setzte sich dennoch keine Kantonsvertreterin und kein Kantonsvertreter für die Annahme der Initiative ein, da sie mehrheitlich nicht als Lösung des Problems gesehen wurde. Ein solches Verbot tauge nicht, da das – allseits anerkannte – Problem nicht rechtlicher, sondern gesellschaftlicher Natur sei, wie Ständerat Daniel Jositsch (sp, ZH) argumentierte: «Wir können nicht mit dem Gesetz gewissermassen am gesellschaftlichen Grashalm ziehen [...].» Mit 34 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen empfahl der Ständerat die Initiative zur Ablehnung und versenkte einen Minderheitsantrag Minder (parteilos, SH)/Föhn (svp, SZ) auf Empfehlung zur Annahme.
Der bundesrätliche Gegenvorschlag hatte unterdessen in der SPK-SR zwei Änderungen erfahren, die die Ständekammer beide stillschweigend genehmigte. Erstens soll nicht nur, wer sich wiederholt der Aufforderung zur Enthüllung widersetzt, mit Busse bestraft werden, sondern generell, wer sich dieser Aufforderung widersetzt. Zweitens wurde ein neuer Absatz eingefügt, demnach bei Verletzung der Enthüllungspflicht eine allfällig verlangte Leistung verweigert werden kann, sofern das anwendbare materielle Recht eine solche Verweigerung nicht ausschliesst. Das so angepasste Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung nahm der Ständerat mit 35 zu 8 Stimmen bei 2 Enthaltungen an. Obwohl er nicht restlos zu überzeugen vermochte, führe letztlich nichts am Gegenvorschlag vorbei, resümierte Werner Luginbühl (bdp, BE).
Schliesslich stimmte die kleine Kammer auch der Fristverlängerung für die Behandlung der Volksinitiative um ein Jahr zu und nahm zur Kenntnis, dass ihre Kommission der Petition für die Ungültigerklärung der Initiative aus Gründen der Einheit der Materie (Pet. 15.2044) keine Folge gegeben hatte. Wie Kommissionssprecherin Pascale Bruderer Wyss (sp, AG) erläuterte, sei die Kommission zum Schluss gekommen, dass der Initiativtext ein einziges Sachthema betreffe, nämlich die Frage nach dem Umgang mit verhüllten Personen in der Öffentlichkeit, und die Einheit der Materie somit gegeben sei.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

In Vertretung der SVP-Fraktion gelangte Nationalrat Walter Wobmann (svp, SO) in der Herbstsession 2019 mit einer Motion an den Bundesrat, welche die Schaffung notwendiger gesetzlicher Grundlagen zur Bekämpfung der Ausbreitung eines radikalen Islams in der Schweiz gewähren sollte. Bei den unlängst aufgedeckten Fällen islamischer Hassprediger in Winterthur, Genf oder Biel handle es sich lediglich um die Spitze des Eisberges und es bestehe massiver Handlungsbedarf in diesem Bereich, wie Wobmann erläuterte. Hierfür forderte die SVP-Fraktion die Ergreifung konkreter Massnahmen: Die Auslandsfinanzierung von Moscheen und islamischen Organisationen müsse unterbunden, sämtliche Moscheen müssten bekanntgemacht und überwacht und bei Sicherstellung allfälliger Verletzungen der Schweizer Rechtsordnung unverzüglich geschlossen werden. Um diesen Aufgaben nachkommen zu können, müsse der Informationsaustausch zwischen den Behörden unterschiedlicher Stufen ausgebaut und um entsprechende sach- und sprachkundige Spezialistinnen und Spezialisten erweitert werden. Schliesslich sollten Schweizer Botschaften und das SEM keine Visa mehr an ausländische Imame ausstellen dürfen, die lediglich zwecks temporärer Predigertätigkeit in die Schweiz einreisen wollten.
Bei radikalen Strömungen jeglicher Art, seien diese religiös, links- oder rechtsextremistisch, habe der Bundesrat ein besonderes Augenmerk auf deren Bekämpfung – diesen Punkt wolle sie klar unterstreichen und keinen Zweifel daran lassen, betonte Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Die vorgebrachte Motion stamme aber aus dem Jahr 2017 und zwischenzeitlich seien diverse anderweitige Massnahmen ergriffen worden, die viele der verlangten Anliegen bereits ermöglichten. So könne beispielsweise das Fedpol bereits Einreiseverbote und Ausweisungen von ausländischen Predigern erlassen. Des Weiteren sei eine Strafgesetzesrevision hängig, mit der eine Strafnorm gegen kriminelle Organisationen geschaffen werden solle, die auch auf die Bekämpfung terroristischer Organisationen zugeschnitten werden könne. Auch seien das in der SiK-SR hängige Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) sowie die jüngst im Juni 2019 verabschiedete Botschaft zur Änderung des Geldwäschereigesetzes zu berücksichtigen. Was aber grundsätzlich abzulehnen sei, sei eine Überwachung der Moscheen, die über die Beurteilung konkreter Sicherheitsrisiken hinausgeht, da dies im Widerspruch zum Bundesgesetz über den Nachrichtendienst stehe. Aus diesen Gründen empfehle der Bundesrat die Motion zur Ablehnung.
In der Abstimmung im Nationalrat öffnete sich in dieser Frage ein politischer Graben zwischen den Parteien, da die Motion zwar ohne weiterführende Diskussion, aber mit einem Patt (91 zu 91 Stimmen) per Stichentscheid der Präsidentin Marina Carobbio (sp, TI) abgelehnt wurde. Die geschlossene SVP-Fraktion konnte sich folglich trotz Unterstützung einer deutlichen Mehrheit der CVP-Fraktion nicht gegen die geschlossenen Fraktionen der SP, Grünen, GLP und BDP, mit grosser Unterstützung einer Mehrheit der FDP-Fraktion durchsetzen. Unter Berücksichtigung dieses äusserst knappen Entscheides erscheint der Umstand, dass drei der acht Personen, die im Abstimmungsprotokoll unter «hat nicht teilgenommen» aufgeführt werden, der SVP-Fraktion angehören, umso bedeutungsvoller. So stellt sich hier auch die Frage, ob es nach Möglichkeit gerade ebendiesem Umstand geschuldet ist, dass just einen Tag nach der Ablehnung dieser Motion ein tatsächlich identischer Antrag (Mo. 19.4005) neuerlich im Nationalrat eingereicht wurde.

Stopp der Ausbreitung des radikalen Islams in der Schweiz! (Mo. 17.3681)
Dossier: Stopp der Ausbreitung des radikalen Islams in der Schweiz!
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Im Sommer 2019 verlagerte eine am Institut für Religionsrecht der Universität Freiburg verfasste Studie den religionspolitischen Fokus vom nationalen auf die kantonalen Parlamente. Max Ammann und Prof. René Pahud de Mortanges untersuchten für den Zeitraum von 2010 bis 2018 eingereichte Vorstösse zu religionspolitischen Themen in 15 repräsentativ ausgewählten Kantonen.
Insgesamt konnten die Autoren 140 parlamentarische Vorstösse ausfindig machen (Höchstwert: 20 im Kt. Bern; Tiefstwert: 0 im Kt. Graubünden), die insgesamt 16 verschiedenen Parteien zugeordnet werden konnten. Über zwei Drittel der eingereichten Vorstösse kamen von den vier Bundesratsparteien SVP, SP, FDP und CVP, wobei die SVP mit 48 Vorstössen – also rund einem Drittel aller Vorstösse – mit Abstand die aktivste Partei war und selbst die beiden zweitklassierten Parteien SP und CVP (je 20 Vorstösse) zusammengenommen noch übertraf. Hinsichtlich der Religionsgemeinschaften fokussierten die Vorstösse in erster Linie den Islam (ca. 60%) und das Christentum (ca. 30%), während das Judentum den Autoren zufolge in der kantonalen Politik praktisch inexistent sei. Mit 33 von insgesamt 81 islamspezifischen Vorstössen (CVP 9; FDP und SP je 6) und zehn von insgesamt 42 Einreichungen zum Christentum (SP 7; FDP 5; CVP 3) dominierte die SVP die Religionsdebatte nachweislich, wobei sie in der Islamdebatte einen deutlich grössen Unterschied zu den anderen Parteien aufwies, was gemäss den Studienverantwortlichen durchaus ihrem Parteiprogramm entspreche.
Innerhalb der Vorstösse, die das Christentum betrafen, benannten die Forscher die Kirchenfinanzierung und die Kirchensteuern, die religiöse Neutralität, kirchliche Feiertage und den Religionsunterricht als Kernthemen. Lediglich in einzelnen Kantonen zur Diskussion standen hingegen Themen wie Kirchenglocken, Freikirchen oder die Aberkennung des öffentlich-rechtlichen Status der römisch-katholischen Kirche. Letzteres Anliegen sei gemäss den Autoren der einzige Vorstoss gewesen, der offen die Privilegien einer christlichen Kirche angreife. Zusammenfassend zeige die Analyse auf, dass den christlichen Kirchen zunehmend ein «säkularer Wind» seitens der Politik entgegenwehe und ihre rechtliche und gesellschaftliche Stellung mit den eingereichten Vorstössen meistens unter Druck gesetzt werde.
Dennoch stelle der Islam in der politischen Arena noch immer die umstrittenste Religionsgemeinschaft dar, obwohl die Musliminnen und Muslime lediglich fünf Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung ausmachten und zudem eine sehr disperse Gemeinschaft seien. Die mit dem Islam verknüpften Schlüsselthemen fokussierten Vermummungsverbote und Kleidervorschriften, die öffentliche Anerkennung, islamische Institutionen im Allgemeinen, die Wertedebatte – insbesondere hinsichtlich der Scharia – sowie die Radikalisierungs- und Terrorgefahr. Ammann und Pahud de Mortanges kamen zum Schluss, dass ein Grossteil der eingereichten Vorstösse sehr islamkritisch gewesen sei und dass die Legislativmitglieder offensichtlich grosse Vorbehalte gegenüber der – in der Schweiz – vergleichsweise neuen Religion und ihrer Anhängerschaft hätten. Die Debatte finde hierbei auf den zwei Ebenen der institutionellen und der gesellschaftlich-kulturellen Einbindung statt.
Hinsichtlich der möglichen Auswirkungen religionspolitischer Vorstösse auf das Religionsverfassungsrecht werden gemäss der Autorenschaft zwei politische Agenden ersichtlich: Zum einen übe ein offensiver politischer Ansatz Druck auf die anerkannten Kirchen aus und tendiere somit zu einem Abbau ihrer institutionellen Privilegien, was sich früher oder später auf ihren rechtlichen Status auswirken könne. Zum anderen bestehe gerade gegenüber neueren, nicht-christlichen Religionsgemeinschaften und besonders dem Islam ein tendenziell defensiverer und auf Erhalt bedachter politischer Ansatz, obwohl die Politik aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben möglichst zu einer Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften angehalten wäre. Allerdings sei der Wille hierzu und die damit einhergehende Einräumung ähnlicher Privilegien und Rechte, wie sie den christlichen Volkskirchen zugesprochen werden, gegenwärtig nur wenig ersichtlich.

Rolle der SVP in der Religionsdebatte

Die Förderung der informellen politisch-kulturellen Bildung stelle einen essentiellen Bestandteil einer funktionsfähigen Demokratie dar und sensibilisiere für ein gesondertes Bewusstsein über die systemische Fragilität dieser Errungenschaft. Kulturelle Bildung trage dazu bei, die Komplexität der Realität auf ein Wesentliches herunterzubrechen, und fördere das kritische Denken bei jungen Bürgerinnen und Bürgern. Gerade deshalb müsse die Kulturpolitik im Fokus der Bemühungen stehen, ebendiese Jugend vor Radikalisierung, Populismus und nationalistischen Ideen zu schützen, so die Begründung des Postulats Marti (sp, ZH). Wie die Nationalrätin in der Sommersession 2019 ihren Ratskolleginnen und -kollegen eröffnete, würde ihr eingereichter Vorstoss zur Einführung eines schweizerischen Jugendkulturgutscheins zwar «die Welt nicht verändern, aber vielleicht einigen eine neue Welt eröffnen». Die Idee dahinter ist es, jeder Einwohnerin und jedem Einwohner der Schweiz zum 16. Geburtstag einen Kulturgutschein zu schenken, der die Inhaberinnen und Inhaber innerhalb eines bestimmten Zeitraums zum Bezug eines breitgefächerten kulturellen Angebotes berechtigt und dessen Geldwert noch zu definieren wäre. Da der Gutschein allen Jugendlichen zugutekomme, auch jenen aus bescheidenen finanziellen Verhältnissen, würde dieser auch einen Beitrag zur Chancengleichheit leisten.
In seiner Stellungnahme hatte der Bundesrat darauf verwiesen, dass er um die gesellschaftliche Bedeutung einer breiten kulturellen Teilhabe wisse und diese daher auch als eine der drei zentralen Handlungsachsen der Förderperiode 2016–2020 definiert habe. Insofern nehme das Anliegen einen wichtigen Bestandteil der Kulturpolitik auf. Die Umsetzbarkeit des Postulats stellte er dennoch in Frage, da mit sehr hohen Kosten, einem hohen Verwaltungsaufwand und erheblichen Streuverlusten zu rechnen sei. Des Weiteren verwies er darauf, dass ein Grossteil der Kulturinstitutionen kantonal bzw. kommunal unterhalten würden und für die angesprochene Altersgruppe – da sich diese zumeist noch in Ausbildung befinde – grundsätzlich ermässigte Eintritte erhältlich seien.
Im Nationalrat schien man der gleichen Auffassung zu sein wie der Bundesrat: Mit 128 zu 48 Stimmen (keine Enthaltungen) wurde der Vorstoss abgelehnt.

Einführung des Jugendkulturgutscheins. Demokratische Bildung und Kultur stärken

Die SPK-NR bekräftigte im Mai 2019 erneut, dass sie Bestrebungen zum Schutz der Schweizer Bevölkerung vor terroristischen Handlungen begrüsse. Dennoch beantragte sie die parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion zur Ausweisung von Aktivistinnen und Aktivisten des politischen Islams mehrheitlich zur Ablehnung, da der Bundesrat mit den Vorlagen zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums sowie über polizeiliche Massnahmen gegen Terrorismus in diesem Bereich bereits tätig geworden sei. Der Nationalrat folgte diesem Antrag im Juni mit einer knappen Mehrheit von 94 zu 90 Stimmen bei 3 Enthaltungen und erledigte damit das Geschäft. Die Befürworterinnen und Befürworter – darunter die geschlossene SVP-Fraktion und die grosse Mehrheit der CVP-Fraktion – hatten vor allem den politischen Druck bei der Terrorismusbekämpfung hochhalten wollen, wie die Kommissionsminderheit ihren Antrag begründet hatte.

Ausweisung von Aktivisten des politischen Islams (Pa.Iv. 17.445)

Mit seiner Botschaft vom 15. März 2019 beantragte der Bundesrat dem Parlament die eidgenössische Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» zur Ablehnung und gleichzeitig seinen indirekten Gegenvorschlag in Form des Bundesgesetzes über die Gesichtsverhüllung zur Annahme. Er ging mit den Initianten insofern einig, als die Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit den demokratischen Grundwerten der Offenheit und des Austauschs zuwiderlaufe und die Gesichtsverhüllung aus religiösen Gründen fundamentalistischen Strömungen im Islam zuzurechnen und als Integrationsverweigerung zu deuten sei. Darüber hinaus merkte er jedoch an, dass vollverhüllte Personen in der Schweiz «äusserst selten» zu sehen seien und es sich meistens um Touristinnen handle, «die nicht eigentlich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes beitragen». Ein generelles Verhüllungsverbot erachtete der Bundesrat daher als unverhältnismässig, zumal ein Verbot auch die Gefahr berge, dass sich betroffene Frauen zuhause einschlössen und dadurch zusätzlich isoliert würden. Das Argument, die Initiative ziele genauso auf Vermummungen, um Kriminalität und Vandalismus am Rande von Demonstrationen zu begegnen, liess die Regierung ebenso wenig gelten, da Vermummungsverbote auf kantonaler Ebene bereits in Kraft seien. Des Weiteren kritisierte der Bundesrat die abschliessende Aufzählung der Ausnahmen, die keinen Spielraum für touristische Interessen, für Möglichkeiten zur gewaltfreien Demonstration oder für wirtschaftliche Tätigkeiten lasse. Nicht zuletzt sei die Initiative auch mit Umsetzungsschwierigkeiten verbunden, da es einerseits allgemein schwierig sei, Bekleidungsvorschriften im öffentlichen Raum durchzusetzen und der Bund andererseits keine umfassende Kompetenz erhielte, sondern die Regeln mit den Kantonen gemeinsam, jeweils gemäss ihren verfassungsmässigen Zuständigkeiten, umsetzen müsste. Die zweite Forderung der Initianten, niemand dürfe zur Gesichtsverhüllung gezwungen werden, erachtete die Regierung als bereits erfüllt, da ein solcher Zwang schon heute unter den Nötigungstatbestand von Art. 181 StGB falle. Als Hauptargument ging aus der bundesrätlichen Medienmitteilung jedoch klar der Eingriff in die Autonomie der Kantone hervor: Traditionell regelten in der Schweiz die Kantone den öffentlichen Raum, weshalb sie selber über die Frage des Verhüllungsverbots entscheiden sollten.
Zur Rechtfertigung des Gegenvorschlags brachte der Bundesrat vor, er anerkenne, dass die Gesichtsverhüllung in gewissen Situationen problematisch sein könne, namentlich wenn jemand dazu genötigt werde – was aber ohnehin schon strafbar sei, weshalb der Bundesrat, auch in Reaktion auf die Vernehmlassung, diesen Teil in der Zwischenzeit aus seinem Gegenvorschlag gestrichen hatte – oder wenn eine Behörde eine Person identifizieren müsse. Dieses zweite Problem werde durch das Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung gelöst, indem es für solche Situationen unter Androhung von Strafe eine Pflicht zur Enthüllung des Gesichts festschreibe. Das neue Gesetz trage so zur Vermeidung von Spannungen bei und stelle sicher, dass die Behörden ihre Aufgaben erfüllen können. Die kantonale Autonomie werde damit nicht tangiert, da sich die neuen Regeln nur auf Behörden auswirkten, die ihre Aufgaben gestützt auf Bundesrecht wahrnehmen.
Weil der Gegenvorschlag mit der Volksinitiative unvereinbar ist, wird er nur in Kraft treten können, wenn die Initiative zurückgezogen oder abgelehnt wird. Initiant Walter Wobmann (svp, SO) gab in der Presse indes bekannt, man werde die Initiative nicht zurückziehen. Der «nebulöse» Gegenvorschlag des Bundesrates bringe nichts; der Initiative schrieb er dagegen grosse Erfolgschancen zu.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Frischen Wind in die gesellschaftliche Debatte ums nationale Verhüllungsverbot brachte die grossmehrheitliche Zustimmung des St. Galler Stimmvolks zu einem Verhüllungsverbot auf kantonaler Ebene im September 2018. Damit war St. Gallen nach dem Tessin der zweite Kanton, in dem die Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit verboten wurde. Der Präsident des Initiativkomitees der nationalen Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot», der Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann, deutete die St. Galler Entscheidung als ein positives Zeichen für die bevorstehende Abstimmung über das schweizweite Verhüllungsverbot. Bundespräsident Berset gab demgegenüber in der Presse zu Protokoll, man nehme das Resultat auf Kantonsebene zur Kenntnis, aber auf nationaler Ebene sei die Debatte eine andere – dies wohl, weil die St. Galler Bestimmung die Gesichtsverhüllung nur dann verbietet, wenn von ihr eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit ausgeht.
Im Zuge der gleichzeitig laufenden Vernehmlassung zum Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot, das vom Bundesrat als indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative aus der Taufe gehoben worden war, taten im Herbst 2018 zahlreiche Akteure ihre Ansichten zur Burkafrage in den Medien kund. Unter den Parteien lehnten neben der SVP – ihres Erachtens nehme der bundesrätliche Gegenvorschlag das Anliegen der Initiative nicht ernst – auch die Grünen den indirekten Gegenvorschlag ab. Sie betrachteten den Gegenvorschlag als unverhältnismässig und unnütz, da Nötigung ohnehin bereits verboten sei und der Gegenvorschlag genauso wenig zu den Rechten und zur Gleichberechtigung muslimischer Frauen beitrage wie die Initiative; letztlich schürten beide Vorurteile gegen die muslimische Bevölkerung. Auf der anderen Seite begrüsste die GLP den Vorschlag des Bundesrates vorbehaltlos. Die CVP und die FDP unterstützten beide die Stossrichtung des Bundesrates, brachten aber entgegengesetzte Vorbehalte zum Ausdruck. Während sich die CVP eine weitergehende Regelung im Sinne eines auf Gesetzesebene verankerten, allgemeinen Verhüllungsverbots wünschte, lehnte die FDP ein solches auf nationaler Ebene kategorisch ab – dies liege in der Kompetenz der Kantone – und zweifelte generell am Gesetzgebungsbedarf in dieser Frage, da es sich bei der Burka in der Schweiz um eine marginale Erscheinung handle. Für gut befand die FDP jedoch die klaren Regeln zum Behördenkontakt. Dieser Teil des bundesrätlichen Vorschlags war – neben der Feststellung, es sei richtig, der Initiative überhaupt mit einem indirekten Gegenvorschlag entgegenzutreten – auch der einzige Punkt, den die SP mehr oder weniger einhellig unterstützte. In allem, was darüber hinausging, zeigten sich die Sozialdemokraten gespalten. Der Waadtländer Nationalrat Pierre-Yves Maillard, der sich schon zuvor als Burka-Gegner zu erkennen gegeben hatte, fand in seiner Partei rund 40 Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die ein Verbot der Burka in der Schweiz befürworteten, wenn auch nicht in der Bundesverfassung, sondern auf Gesetzesstufe. Sein Lausanner Parteikollege Benoît Gaillard bezeichnete die Burka als eine religiöse Praxis, die der Gleichstellung von Mann und Frau, den Menschenrechten und den Fundamenten der Demokratie zuwiderlaufe. Man dürfe nicht ein Jahrhundert des Kampfes für die Gleichstellung der Geschlechter der Toleranz gegenüber einer religiösen Minderheit opfern, denn der Gesichtsschleier beraube die Frauen ihrer öffentlichen Existenz, was nicht mit der Schweizer Bürgerschaft vereinbar sei. Der bundesrätliche Gegenvorschlag tauge demnach gemäss Maillard nicht, um den Erfolg der Initiative zu verhindern. Ebenfalls für ein Burkaverbot auf Gesetzesstufe sprach sich die Waadtländer Ständerätin Géraldine Savary aus; sie sah den Vorschlag des Bundesrates als geeigneten Ausgangspunkt für die entsprechende parlamentarische Debatte. Mit einer rein parlamentarischen Lösung, hoffte sie, könnte die Abstimmung über die Volksinitiative verhindert und der Abstimmungskampf vermieden werden, der die muslimische Bevölkerung stigmatisieren und die Frauen «als Geiseln nehmen» werde, wie sie der «Tribune de Genève» erklärte. Eine andere Ansicht vertrat hingegen beispielsweise der Genfer Nationalrat Carlo Sommaruga, der den Gegenvorschlag genügend überzeugend fand, um den zögernden Teil der Wählerschaft zu gewinnen. Er erlaube die Bestrafung von Nötigung und lasse gleichzeitig den Frauen, die sich aus freien Stücken verschleiern wollten, die Wahl; allen unsere Vorstellung von Gleichheit aufzuzwingen wäre hingegen Ausdruck eines «kolonialen Feminismus», wie Sommaruga von «Le Temps» zitiert wurde.
Von den insgesamt 69 eingegangenen Stellungnahmen qualifizierte der Ergebnisbericht zur Vernehmlassung rund zwei Drittel, mehrheitlich mit Vorbehalten, als befürwortend und ein Drittel als ablehnend. Neben der SVP, den Grünen, der EVP, der EDU, dem Egerkinger Komitee, der EKR, dem SGB und vier weiteren Organisationen lehnten sowohl die KKJPD als auch sieben Kantone den bundesrätlichen Gegenvorschlag ab. Ihrer Ansicht nach sollten die Kantone selbst über die Frage des Verhüllungsverbots entscheiden können beziehungsweise bringe der Vorschlag des Bundesrates keinen Mehrwert gegenüber dem geltenden Recht. Demgegenüber unterstützten die übrigen Parteien der Bundesversammlung, 18 Kantone, verschiedene Frauen- und Menschenrechtsorganisationen sowie u.a. die EKF, die SKG, der schweizerische Tourismusverband und Hotelleriesuisse den Gegenvorschlag, wobei einige von ihnen erklärten, dass dieser sogar noch weiter gehen dürfte. Positiv hervorgehoben wurde von verschiedenen Teilnehmenden, dass der Gegenvorschlag die Autonomie der Kantone wahre und so auch Rücksicht auf die Tourismusdestinationen nehme, dass er Probleme gezielt dort löse, wo sie aufträten, und dass er klare und einfach anwendbare Regeln enthalte. Der Bezug zur Initiative wurde unterschiedlich beurteilt. Während einige die Ansicht vertraten, der Gegenvorschlag nehme das Anliegen der Initiative auf und beseitige deren unangemessene Punkte, sahen andere keine Vergleichbarkeit mit der Initiative. Passend zum Tenor der Vernehmlassungsergebnisse resümierte der Tages-Anzeiger, der Vorschlag des Bundesrates sei «umstritten, aber nicht chancenlos».

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Ende Juni 2018 eröffnete der Bundesrat die Vernehmlassung zum Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot, das er als indirekter Gegenvorschlag der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» gegenüberzustellen plante. Im neuen Gesetz sah der Bundesrat erstens eine Pflicht zur Enthüllung des eigenen Gesichts im Kontakt mit Behörden vor. Diese Pflicht soll greifen, sofern die Behörde aus Bundesrecht verpflichtet ist, eine Person zu identifizieren oder wenn die Behörde ihre im Bundesrecht begründete Aufgabe sonst nicht ohne unverhältnismässigen Aufwand erfüllen kann. Betroffen wären in erster Linie die Bereiche Sicherheit, Migration, Sozialversicherungen sowie Personenbeförderung. Wiederholte Weigerung soll mit Busse bestraft werden, ausser die visuelle Identifizierung liegt ausschliesslich im Interesse der sich weigernden Person – in diesem Fall soll ihr die Behörde die gewünschte Leistung verweigern können. Zweitens schlug der Bundesrat vor, den Nötigungstatbestand in Art. 181 StGB durch einen Absatz 2 zu ergänzen, sodass es unter Androhung von Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe explizit verboten ist, jemanden zur Verhüllung des Gesichts zu zwingen. Ein solcher Zwang sei inakzeptabel, weshalb er dieses Verbot ausdrücklich festhalten und somit signalisieren wolle, dass ein solches Verhalten nicht hingenommen werde, gab der Bundesrat per Medienmitteilung bekannt. Von den Regelungen zur Enthüllung im Behördenkontakt versprach er sich indes die Vermeidung von Spannungen sowie eine präventive Wirkung und die Etablierung einer einheitlichen Praxis. Der Gegenvorschlag sei somit eine «gezieltere Antwort auf die Probleme, die das Tragen von gesichtsverhüllenden Kleidungsstücken mit sich bringen kann», als die Initiative, wie dem erläuternden Bericht zu entnehmen ist. Insbesondere könnten die Kantone weiterhin selbst entscheiden, ob sie die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum verbieten wollten oder nicht.
Der punktuelle Ansatz des Bundesrates kam bei den Initianten nicht gut an, die daher auch nach Bekanntwerden des Gegenvorschlags nicht daran dachten, die Initiative zurückzuziehen. Gar als «Ohrfeige» für jene, die die Volksinitiative unterzeichneten, bezeichnete der Co-Präsident des Initiativkomitees Walter Wobmann (svp, SO) den bundesrätlichen Entwurf in der NZZ. Dieser blende das «Problem der Hooligans und randalierenden Chaoten», auf das die Initiative ebenfalls abziele, vollständig aus, so Wobmann weiter. Das föderalistische Argument, das der Bundesrat gegen die Initiative vorbrachte, quittierte Mit-Initiant Jean-Luc Addor (svp, VS) gegenüber der «Tribune de Genève» mit der Bemerkung, es handle sich hierbei um «eine Frage der Zivilisation», bei der die Kantone keine unterschiedliche Betroffenheit geltend machen könnten. Nicht glücklich über den bundesrätlichen Vorschlag waren unterdessen auch die Grünen: Präsidentin Regula Rytz (gp, BE) erachtete den Gegenvorschlag als genauso unnütz wie die Initiative, weil beide nichts zur besseren Integration und zur Gleichstellung der Frauen beitrügen; stattdessen befeuerten sie Vorurteile gegenüber der muslimischen Bevölkerung. Initiativgegner Andrea Caroni (fdp, AR) begrüsste die Enthüllungspflicht vor Behörden, bemängelte aber das seiner Ansicht nach überflüssige Verbot des Verhüllungszwangs, da ein solcher ohnehin unter Nötigung fiele. Die Waadtländer SP-Nationalrätin Ada Marra hielt dem bundesrätlichen Vorschlag indes zugute, den Sicherheitsaspekt ernst zu nehmen und gleichzeitig den Volkswillen – die unterschiedlichen Entscheide in den Kantonen – zu respektieren.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Ausländerinnen und Ausländer, die zugunsten des Islamischen Staats (IS) oder einer anderen gewaltbereiten fundamentalistisch-muslimischen Gruppierung oder für die Errichtung einer islamisch ausgerichteten Staatsordnung aktiv sind, sollen unverzüglich aus der Schweiz ausgewiesen werden, forderte die SVP-Fraktion mit einer im Sommer 2017 eingereichten parlamentarischen Initiative. Die Schweiz müsse sich «gegen jede Unterwanderung durch totalitäre Kräfte» schützen, so die Begründung des Vorstosses. Berichte des Nachrichtendienstes gäben Anlass zur Annahme, dass sich ausländische Personen in der Schweiz als Aktivistinnen und Aktivisten des politischen Islams betätigten und damit die innere Sicherheit der Schweiz gefährdeten, da Attentate nicht auszuschliessen seien. Die SPK-NR stützte Anfang 2018 die Forderung und gab der Initiative mit 14 zu 8 Stimmen bei einer Enthaltung Folge. Sie hoffte, der Bundesrat möge das Anliegen in seine Vorlage zur Verschärfung des strafrechtlichen Instrumentariums zur Terrorismusbekämpfung aufnehmen. Ihre Schwesterkommission sah in der parlamentarischen Initiative jedoch keinen Mehrwert gegenüber der bundesrätlichen Vorlage und kritisierte zudem die unklare Verwendung von Begriffen wie «islamisch» und «islamistisch» im Initiativtext. So lehnte die SPK-SR die Initiative im Sommer 2018 mit 8 zu 3 Stimmen bei einer Enthaltung ab.

Ausweisung von Aktivisten des politischen Islams (Pa.Iv. 17.445)

Das Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen war im Sommer 2018 im Nationalrat ebenso unbestritten wie zuvor im Erstrat. Einstimmig und ohne Enthaltungen verlängerte der Nationalrat die Geltung des bestehenden Gesetzes bis zum 31. Dezember 2022. Damit wird verhindert, dass die Mittel zur Bekämpfung von «Al-Qaïda» und dem «Islamischen Staat» vorübergehend geschwächt werden, bis ein neuer Art. 74 NDG mit gleichwertigen Normen wie im Verbotsgesetz in Kraft treten wird. Die Schlussabstimmungen fielen ebenfalls in beiden Räten einstimmig aus: Der Nationalrat nahm das Gesetz mit 196 Stimmen an; der Ständerat stimmte mit 44 Stimmen dafür.

Verlängerung des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen (BRG 17.070)
Dossier: Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen

In der Sommersession 2018 eröffneten die APK-NR und APK-SR neuerlich beiden Räten den Bericht der Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der Frankophonie (APF) zur Kenntnisnahme und auch in diesem Jahr kamen die Räte dieser Bitte diskussionslos nach.
In Vertretung der Ständeratskommission führte Christian Levrat (sp, FR) seine Erläuterungen – im Wissen um die wiederkehrenden Diskussionen um den Nutzen der APF – mit der Hervorhebung der besonderen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Anziehungskraft dieser Organisation an. So habe sie sich seit Anfang der 90er Jahre erheblich um Länder aus Mittel- und Osteuropa, Asien und dem Nahen Osten erweitert und biete den meisten Mitgliedsstaaten ein nützliches Tor insbesondere zur afrikanischen Politik. Gerade der afrikanische Kontinent ist auch im Themenfokus der Schweizer Delegation stark repräsentiert, wie sich aus den verschiedenen Tätigkeitsfeldern schliessen lässt. Nicht zuletzt am wichtigsten Organisationsanlass, der Jahrestagung, die im Berichtsjahr zum 50. Organisationsjubiläum unter dem Motto «Diversité linguistique, diversité culturelle, identité(s)» vom 06.–11. Juli in Luxemburg stattfand, referierten und konsolidierten die Schweizer Abgeordneten ihre thematischen Schwerpunkte: Prävention von gewalttätigem Extremismus und Radikalisierung, Abschaffung der Todesstrafe im frankophonen Raum, Schutz der Mehrsprachigkeit, Bekämpfung des grenzüberschreitenden Handels mit Frauen und Kindern sowie Schutz der persönlichen Daten im frankophonen Raum. Besonders die drei erstgenannten Punkte seien im Berichtsjahr von grosser Bedeutung gewesen, wie Levrat betonte. Im Rahmen der Frankophonie habe man sich an internationalen Diskussionen über die Reaktion auf den Terrorismus beteiligt und habe hierbei versucht, weg von der Methode der Kriminalisierung von Terroristen, hin zu einem ganzheitlichen Ansatz mit spezifischen präventiven Elementen überzugehen. Diese könnten Massnahmen zur Stärkung der Menschenrechte beinhalten oder auf die Stärkung von Entwicklungsprogrammen in fragilen Kontexten ausgerichtet sein. Auf Anregung von Ständerätin Anne Seydoux-Christ (cvp, JU) habe man auch besondere Bestrebungen zur Abschaffung der Todesstrafe im frankophonen Raum forciert. Derzeit sei die Todesstrafe in 55 der 79 Mitgliedsstaaten der Frankophonie abgeschafft und in 14 weiteren Staaten zwar noch gesetzlich verankert, aber seit mindestens zehn Jahren nicht mehr angewendet worden. Trotz grosser Fortschritte in diesem Bereich blieben noch immer einige «dunkle Flecken» und die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, insbesondere aus dem Umfeld solcher Staaten, spielten eine wichtige Rolle im Fortschritt zur Abschaffung der Todesstrafe. Hinsichtlich des Schutzes der Mehrsprachigkeit habe Nationalrat Reynard (sp, VS) im Rahmen der Jahrestagung den Fokus auf die verschiedenen Kulturräume, die mit den vier Landessprachen und den Sprachen der Einwanderinnen und Einwanderer entstünden und die die Besonderheit der Schweizer Mehrsprachigkeit ausmachten, sowie auf die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer regelmässig zwei Sprachen gebrauchten, gesetzt. Die Mehrsprachigkeit sei ein Willensakt und müsse gepflegt und weiterentwickelt werden, wie Reynard auch im Bericht paraphrasiert wurde. Auch wenn die Minderheitssprache Französisch in der Schweiz aufgrund rechtlicher Grundlagen geschützt sei, müsse die französischsprachige Minderheit regelmässig für ihre Gleichbehandlung einstehen; nicht zuletzt auch, weil die Hegemonie des Englischen im Bereich der Wissenschaft und Forschung im grossen Gegensatz zur Mehrsprachigkeit stehe.
Nebst den internationalen Verhandlungen setzte sich die Delegation im Berichtsjahr auch mit internen Themen auseinander wie beispielsweise der Festlegung der Werte und Positionen der Frankophonie, der Zusammenarbeit zwischen Bildungsinstitutionen der Frankophonie und Schweizer Hochschulen, der Unabhängigkeit der Medien im frankophonen Afrika oder der Aktivität der Schweiz zur Unterstützung der Berufsbildung in den Ländern des Südens. Der Bericht schliesst mit der Erkenntnis, dass die APF eine wichtige Kontaktstelle zur Bundesversammlung darstelle und insbesondere im Dialog mit den afrikanischen Vertreterinnen und Vertretern von höchster Bedeutung sei – nicht zuletzt auch, weil Afrika als Ganzes längerfristig immer mehr an Bedeutung in der Organisation gewinnen werde.

Bericht über die Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der Frankophonie (2017)
Dossier: Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der Frankophonie (APF)

Mit 120 zu 59 Stimmen bei 2 Enthaltungen nahm in der Sommersession 2018 auch der Nationalrat die Motion Rieder (cvp, VS) an, mit welcher der Motionär forderte, dass zukünftig Ausreisesperren für potenzielle Gewaltextremisten erlassen werden können. Der Rat folgte damit dem Antrag seiner Kommissionsmehrheit, welche argumentierte, dass sich eine solche Regelung für Hooligans (Art. 24c BWIS) bewährt habe und keine grossen Unterschiede zwischen Hooligans und politisch motivierten, potenziell gewalttätigen Personen bestünden. Eine Minderheit hatte vergeblich auf die aus ihrer Sicht unverhältnismässige Grundrechtsverletzung hingewiesen.

Mo. Rieder: Ausreisesperren für potenzielle Gewaltextremisten

In ihrem Bericht vom Mai 2018 machte die SiK-NR geltend, dass sie sich den Erwägungen sowohl ihrer Schwesterkommission als auch deren Rates anschliesse, und beantragte dem Nationalrat einstimmig (24 zu 0 Stimmen), die Behandlung der Motion Wobmann (svp, SO) zum Verbot der salafistischen Organisation „Lies!“ zu sistieren. Sie erachte es als sinnvoll, zunächst den Entwurf eines Bundesgesetzes über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) abzuwarten, welcher im Frühjahr 2019 unterbreitet werden soll. Den Kantonen und Gemeinden stehe es bis dahin offen, über ein allfälliges Verbot solcher Aktionen zu befinden. Der Nationalrat gab dem Antrag in der Sommersession 2018 stillschweigend statt, womit die Behandlung der Motion für mehr als ein Jahr ausgesetzt wird.

Verbot der salafistischen Organisation "Lies!" und Unterbindung der Verbreitung von jihadistischem Gedankengut (Mo. 17.3583)
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

In der ersten Woche der Sommersession 2018 wurde die Motion Quadri (lega, TI) auch vom Ständerat behandelt. Robert Cramer (gp, GE) wies in seiner Funktion als Kommissionssprecher den Rat darauf hin, dass ein Kommissionsmitglied seit der Veröffentlichung des Kommissionsberichtes im April offensichtlich eine Positionsänderung vollzogen habe. Während sich die RK-SR in ihrem Bericht noch mit 10 zu 0 Stimmen bei einer Enthaltung geschlossen für die Ablehnung der Motion ausgesprochen hatte, beantragte nun Ständerat Minder (parteilos, SH) – er hatte sich zuvor noch der Stimme enthalten – mittels eines Einzelantrags die Annahme derselben. Als Antrieb des Meinungswechsels führte Minder die jüngst erteilte Baubewilligung zum Bau der Aksa-Moschee in seinem Heimatkanton Schaffhausen an, welche von ihm selbst auch als neustes «Sorgenkind» im Rahmen dieses Vorstosses betitelt wurde. Die Kantonsbevölkerung habe ob diesem Grossprojekt grosse Bedenken und es herrsche eine weitläufige Aufregung, nicht nur aufgrund der Bedenken hinsichtlich einer zunehmenden Islamisierung, sondern auch weil sich vermehrt die Frage nach der Finanzierung des Projektes aufdränge – folglich die gleiche Frage, wie sie von der angeführten Motion aufgegriffen werde. Die Diskrepanz zwischen den von der Bauherrschaft angegebenen und von externen Bauexperten geschätzten Kosten sei dermassen frappant, dass sich der Vorstand des Türkisch-Islamischen Vereins genötigt gesehen habe, einen öffentlichen Informationsanlass zu veranstalten, um der sowohl medial als auch in der Bevölkerung geschürten Debatte Einhalt zu gebieten. Laut Minder seien Grossmoscheen in der Schweiz definitiv ein heikles Thema, nicht zuletzt auch seit der Schliessung der An-Nur-Moschee in Winterthur. Zudem zeige der Umstand, dass die Motion von einem Tessiner Volksvertreter eingereicht wurde, dass sich das Problem mittlerweile auf mehrere Kantone ausgeweitet habe. Wenn man die Bedenken der Bevölkerung nicht ernst nehme, sei es lediglich noch eine Frage der Zeit, bis diese eine entsprechende Volksinitiative lancieren werde. Diese würde dann entweder Grossmoscheen gänzlich verbieten oder die Forderung der vorliegenden Motion eines Verbots der Auslandsfinanzierung islamischer Gebetsstätten in der Schweiz sowie einer Offenlegungspflicht der Herkunft ihrer finanziellen Mittel aufgreifen. Daher bat Minder den Ständerat, es dem Nationalrat gleichzutun und die Motion anzunehmen.
Der Ständerat kam dieser Bitte aber nicht nach und lehnte den Vorstoss mit 29 zu 7 Stimmen bei 4 Enthaltungen ab. Offensichtlich hatten die abschliessenden Worte von Bundesrätin Sommaruga zu diesem Thema eine grössere Überzeugungskraft als jene von Ständerat Minder. Mit dem Verweis, dass sie mit dem genannten Projekt in Schaffhausen nicht vertraut sei und entsprechend keine Stellung dazu nehmen könne, bat sie Ständerat Minder, dennoch eine klare Trennlinie zwischen dem Bau einer Moschee und den Überlegungen zur Verhinderung von Terrorismusfinanzierung zu ziehen. Wenn jeder Moscheebau mit dem Generalverdacht der Terrorismusfinanzierung einhergehe, sei dies weder ein Dienst an den hiesigen Behörden, die sich effektiv mit dieser Problematik auseinandersetzten, noch ermögliche dies der muslimischen Gemeinschaft, ihre Gebetskultur in der Schweiz zu pflegen. Mit dem Nationalen Aktionsplan zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus seien genau solche Fragen mit Nachdruck diskutiert worden und man habe sich über die verschiedenen Staatsebenen auf 26 Massnahmen mit entsprechenden Zuständigkeiten geeinigt, deren Umsetzung nun vom Sicherheitsverbund Schweiz in Angriff genommen werde. Die Bundesrätin erläuterte dem Plenum, dass sie am Vorabend der Debatte an einer Diplomübergabe im Rahmen einer Weiterbildung für religiöse Betreuungspersonen an der Universität Bern teilgenommen habe und dort auf einen regen Austausch zwischen verschiedenen Religionsgruppen gestossen sei. Dies zeige ihr auf, wie man religiöse Betreuung in gewünschter Weise sicherstellen könne: interreligiös und in gegenseitigem Respekt vor den unterschiedlichen Religionen. Es gelte folglich, solche Bestrebungen zu unterstützen; und nicht etwa eine Motion, die einfach generell etwas sage und damit ganze Religionsgemeinschaften unter Generalverdacht stelle.

Islamische Gebetsstätten: Verbot der Finanzierung durch das Ausland und Offenlegungspflicht (Mo. 16.3330)
Dossier: Sicherheitsverbund Schweiz (SVS)
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen