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In der Wintersession 2023 beugte sich der Nationalrat über eine zuvor vom Ständerat befürwortete Motion Salzmann (svp, BE) mit der Forderung nach einer Rückführungsoffensive. Während der Nationalrat im Juni 2023 im Rahmen der ausserordentlichen Session «Migration» noch die Ablehnung einer identisch lautenden Motion der SVP-Fraktion (Mo. 23.3073) beschlossen hatte, revidierte er nun diesen Entscheid. Er tat dies auf Anraten einer breiten Mehrheit der SPK-NR, nachdem die Kommission Vertretende der Kantone und der Internationalen Organisation für Migration (IOM), sowie einen Experten für Migrationsrecht angehört und daraufhin Handlungsbedarf ausgemacht hatte. Hingegen erachtete die Kommissionsmehrheit die vom Motionär ebenfalls geforderte Ergreifung von Sanktionen gegenüber Herkunftsländern im Falle einer fehlenden Kooperationsbereitschaft als nicht zielführend, weswegen sie die Annahme der Motion ohne diesen Passus beantragte.
Mit 127 zu 67 Stimmen (0 Enthaltungen) stimmte der Nationalrat für die abgeänderte Version der Motion und sprach sich gegen die unveränderte Annahme der Motion aus, wie dies eine Minderheit Bircher (svp, AG) im Namen der SVP-Fraktion verlangt hatte. Mit ähnlichem Stimmenverhältnis, aber diesmal unter Opposition des links-grünen Ratsspektrum, sprach er sich in der Folge auch gegen einen Einzelantrag von Céline Widmer (sp, ZH) aus, die die komplette Ablehnung der Motion gefordert hatte.

Konzept zur Erhöhung der Anzahl Rückführungen und Ausweisungen (Mo. 23.3073; Mo. 23.3082)

Wie bereits der ständerätliche Entscheid zur Motion Müller (fdp, LU), welche Personen aus Eritrea mit einem negativen Asylentscheid aus der Schweiz in einen aufnahmebereiten Drittstaat wegweisen wollte, fiel auch der Entscheid im Nationalrat relativ knapp aus. Im Unterschied zum Erstrat entschied die grosse Kammer jedoch mit 96 zu 91 Stimmen (6 Enthaltungen) für Ablehnung der Motion. Sie folgte damit dem Antrag der Mehrheit der SPK-NR, die unter anderem nach Anhörung der Kantone zum Schluss gekommen war, dass die Wegweisung in einen Drittstaat aufgrund menschenrechtlicher Bedenken für sie keine Option sei. Zudem hob die Kommissionsmehrheit hervor, dass eine solche Lösung momentan durch keinen europäischen Staat praktiziert werde. Eine aus Mitgliedern der SVP und FDP zusammengesetzte Kommissionsminderheit hatte hingegen die Ansicht vertreten, dass die Motion die Wahl des Drittstaates offen lasse, was ihrer Meinung nach eine im Hinblick auf die Wahrung der Menschenrechte bedachte Auswahl des Aufnahmelandes ermöglichen könnte. Die Kommissionsminderheit stiess im Nationalrat ausserhalb der Fraktionen der SVP und der FDP jedoch kaum auf Gehör. Mit Ausnahme von sechs Enthaltungen, drei aus der Mitte- und drei aus der GLP-Fraktion, lehnten alle anderen Fraktionen den Vorstoss geschlossen ab.
Unmittelbar nach dem Scheitern der Motion im Nationalrat lancierte FDP-Ständerätin Petra Gössi (SZ) eine neue Motion mit einem weiteren Versuch, die Rückführung von abgewiesenen eritreischen Asylsuchenden mit der Unterstützung von Drittstaaten zu verstärken (Mo. 23.4440). Gemäss der Motion Gössi müsste der Drittstaat die Rolle eines Transitlandes und nicht eines Aufnahmestaates einnehmen.

Rückführung von abgewiesenen Personen eritreischer Staatsangehörigkeit in einen Drittstaat (Mo. 23.3176)

Unter anderem in Reaktion auf angebliche Mietkündigungen zugunsten von Asylbewerberinnen und -bewerbern in Windisch (AG) lancierte Martina Bircher (svp, AG) eine Motion gegen Wohnungskündigungen, um Asylsuchende unterzubringen. Weiter sollten auch Zwischennutzungen von Mietwohnungen als Asylunterkünfte fortan nicht mehr rechtens sein, wenn sie zur Auflösung von Mietverträgen führten. Der Bundesrat erwiderte, dass die Mieterschaft fristgerechte Kündigungen des Mietverhältnisses anfechten könne und zum Zeitpunkt der Kündigung oftmals nicht klar sei, zu welchem Zweck und an wen das Wohnobjekt nach einer Mietkündigung vermietet werde. Die von der Motionärin geforderten Massnahmen könnten hier zu Rechtsunsicherheit führen. In der Herbstsession 2023 folgte der Nationalrat dem Antrag des Bundesrats und lehnte die Motion mit 136 zu 53 Stimmen ab. Die geschlossen stimmende SVP-Fraktion unterstützte den Vorstoss ihrer Fraktionskollegin.

Schutz der Schweizer Mieter und Mieterinnen: Kein Rauswurf wegen Asylbewerbern (Mo. 23.3572)

In der Herbstsession 2023 befürwortete der Ständerat in Übereinstimmung mit dem Bundesrat eine Motion der FK-SR, die verlangte, die Kapazitätsplanung im Asylbereich umfassend anzugehen. Stein des Anstosses war die Ankündigung der Armee gewesen, den Grossteil der knapp 4'000 bereitgestellten Plätze für die Erst-Unterbringung von Asylsuchenden im Jahre 2023 wieder zurückzuverlangen. Die Finanzkommission verwies auf die enormen Anstrengungen der Kantone zur Bereitstellung von Kapazitäten und verlangte zu prüfen, wie auch der Bund durch Bereitstellung von Armee- und Zivilschutzunterkünften die Kapazitäten erhöhen könne. Einen Tag vor der Beschlussfassung im Ständerat hatte das SEM zusammen mit dem VBS freilich bereits mitgeteilt, dass die Armee die Unterbringungsplätze bei Bedarf bis Ende 2024 bereitstelle.

Kapazitätsplanung im Asylbereich umfassend angehen (Mo. 23.3636)

Das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) und seine Tätigkeiten wurden 2023 einer Evaluation unterzogen. Der entsprechende Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats von Piero Marchesi (svp, TI) stellte dem SZIG ein gutes Zeugnis aus und entkräftete die Vorwürfe, die der SVP-Politiker in seinem Vorstoss erhoben hatte. Die von ecoplan für den Bundesrat erstellte Evaluation kam im Detail zum Schluss, dass das SZIG keine Prinzipien der Bundesverfassung oder der wissenschaftlichen Integrität verletzt habe. Es gebe auch keine Hinweise darauf, dass das Zentrum zur Islamisierung oder zur Radikalisierung beitrage. Es wurde im Gegenteil festgestellt, dass das SZIG durch seine Tätigkeiten und die Zusammenarbeit mit muslimischen Organisationen zur Verhinderung von Radikalisierung beitrage. Positiv bewertet wurde auch, dass die Doktoratsprogramme und die Masterstudiengänge nicht an die religiöse Zugehörigkeit der entsprechenden Forschenden respektive Studierenden gebunden seien. Entsprechend gebe es keinen Grund, die bereits gesprochenen Bundesbeiträge für das SZIG zurückzufordern oder künftige Mittel zu streichen. Abschliessend empfahlen die Autorinnen und Autoren die Weiterentwicklung des Zentrums; insbesondere in Bezug auf die Profilschärfung, die Intensivierung der Vernetzung sowie die Kommunikation der Forschungsergebnisse. Der Bundesrat beauftragte das SBFI, diese Empfehlungen dem SZIG und der Universität Fribourg weiterzuleiten.

Schweizerisches Zentrum für Islam und Gesellschaft in Freiburg. Stopp der Finanzierung durch öffentliche Gelder prüfen (Po. 21.3767)

Ende November 2022 präsentierte der Bund erste Zwischenergebnisse zur Evaluation des Schutzstatus S, Ende Juni 2023 folgten die definitiven Ergebnisse der Schlussevaluation. Beide Berichte der Evaluationsgruppe unter der Leitung von Alt-National- und -Regierungsrat Urs Hofmann (sp, AG) zogen im Grunde eine positive Bilanz und betonten, dass die rasche Schutzgewährung für die Entlastung des Schweizer Asylsystems unentbehrlich gewesen sei. Der Status S habe sich bewährt und die Entlastung des Asylsystems habe insgesamt gut funktioniert. Dennoch orteten die Evaluatorinnen und Evaluatoren an verschiedenen Stellen Anpassungsbedarf und formulierten im Schlussbericht entsprechende Empfehlungen zuhanden der zuständigen Akteure.

Während sich Personen im ordentlichen Asylverfahren bis zu 140 Tage in einem Bundesasylzentrum (BAZ) aufhielten, belief sich diese Dauer bei Personen aus der Ukraine aufgrund des raschen und unbürokratischen Verfahrens lediglich auf ein bis drei Tage. Dies habe zwar dazu beigetragen, dass das SEM mit den ordentlichen Asylverfahren für Personen aus anderen Staaten nicht überlastet gewesen sei, habe aber «grosse Auswirkungen» auf die unteren föderalen Ebenen und die Städte gehabt, so das Fazit des Zwischenberichts: Diesen sei kaum Zeit geblieben, geeignete Unterkünfte zu suchen oder Massnahmen zur Unterstützung besonders vulnerabler Personen in die Wege zu leiten. Ebenfalls seien die Kantone für die Erstinformation sowie für die medizinischen Abklärungen verantwortlich gewesen; im ordentlichen Verfahren ist jeweils der Bund dafür zuständig. In ihrem Zwischenbericht ortete die Evaluationsgruppe deshalb auch Konkretisierungsbedarf, was die Aufgabenteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden anbelangt.

Ferner lobte die Evaluationsgruppe in ihrem Zwischenbericht die private Unterbringung von schutzsuchenden Personen, die aktuell für 60 Prozent aller Personen mit Schutzstatus S gewährt werden könne und die für die Bewältigung der Krise von grosser Wichtigkeit gewesen sei. Gleichzeitig habe die visumfreie Einreise und die damit möglich gewordene selbständige Unterkunftssuche über Verwandte, Bekannte oder soziale Netzwerke erstmals zu einer «spontanen Niederlassung» geführt, was die Behörden vor Herausforderungen gestellt habe, insbesondere auch was die Einhaltung des vereinbarten Verteilschlüssels angehe. Die private Unterbringung soll in ein Notfallkonzept integriert werden, wozu es jedoch vorgängig noch gewisser Klärungen und Absprachen zwischen Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden bedürfe, so die Evaluationsgruppe.

Im Schlussbericht erachtete die Evaluationsgruppe die Notfallplanung nach wie vor als zu wenig konkret, hier seien weitere Absprachen mit Bund und Kantonen notwendig. Eine konkretisierte Notfallplanung solle insbesondere darauf abzielen, dass allen schutzbedürftigen Personen auch im Falle einer hohen Belastung des Asylsystems und unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien eine Unterbringung und Erstversorgung zukommen könne. Allenfalls wäre in solchen Zeiten zur Entlastung der Bundesasylzentren auch eine Verfahrensdurchführung und Erstunterbringung ausserhalb der Bundesasylzentren denkbar, so die Evaluationsgruppe. Das SEM solle ferner gemeinsam mit den Kantonen beurteilen, ob die Kantone über die nötigen rechtlichen Instrumente zur Beschaffung von entsprechend notwendigen Unterkünften verfügten.

Bereits der Zwischenbericht hatte Unterschiede zwischen dem Schutzstatus S und dem Status der vorläufigen Aufnahme thematisiert, etwa was die Reisefreiheit, die Bewilligungspflicht zur Aufnahme einer Erwerbsarbeit, die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung B oder die Entrichtung einer Integrationspauschale anbelangt. In ihrem Schlussbericht befürwortete die Evaluationsgruppe gewisse Harmonisierungen zwischen dem Status S und der vorläufigen Aufnahme zur Gewährung der Rechtsgleichheit, riet aber von einer vorschnellen Anpassung des Status S ab. Die zuständige Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider beauftragte die Evaluationsgruppe daraufhin, den Angleichungsbedarf in den verschiedenen Bereichen separat und eingehend zu prüfen.

Auch in Bezug auf Fragen rund um die Aufhebung des Status S bestehe Klärungsbedarf, so die Evaluationsgruppe abschliessend, denn diese sei «im Gesetz nur rudimentär geregelt». Die mit dieser Aufgabe betraute Arbeitsgruppe des SONAS solle sich dabei etwa auch mit Fragen zu Ausreisefristen und der Bewilligung von Härtefallgesuchen zeitnah auseinandersetzen und die Schweiz solle sich dabei eng mit den übrigen Schengen-Staaten abstimmen, so die Empfehlung.

Ukraine-Konflikt: Erstmals Schutzstatus S aktiviert
Dossier: Schutzstatus S für Personen aus der Ukraine
Dossier: Schweizer Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine (ab 2014)

Thomas Minder (parteilos, SH) verlangte im März 2023 in einem Postulat eine kritische Evaluation der Schwankungstauglichkeit der neuen Bundesasylzentren inklusive der Formulierung von Verbesserungsvorschlägen. Der Schaffhauser Ständerat bezog sich in seiner Begründung auf die aktuell hohe Zahl an Geflüchteten, die ein Asylgesuch in der Schweiz stellen, sowie auf die Neustrukturierung des Asylbereichs, die im März 2019 in Kraft getreten war. Eine Evaluation sei angezeigt, um zu eruieren, ob eine hohe Anzahl an Asylgesuchen in den Bundesasylzentren aufgefangen und die festgelegten Verfahrensabläufe auch bei hoher Belastung garantiert werden können.
Nachdem der Bundesrat die Annahme empfohlen und die Inangriffnahme der Evaluation ab Winter 2023/2024 in Aussicht gestellt hatte, nahm der Ständerat das Postulat in der Sommersession 2023 stillschweigend an.

Fehlende Schwankungstauglichkeit im Asylwesen. Lösungsvorschläge präsentieren (Po. 23.3084)

Im Rahmen der ausserordentlichen Session zur Migration im Juni 2023 berieten die Räte zwei gleich lautende Motionen, eine Motion der SVP-Fraktion (Mo. 23.3073) und eine initiiert durch den Berner SVP-Ständerat Werner Salzmann (Mo. 23.3082). Sie wollten den Bundesrat damit beauftragen, ein Konzept auszuarbeiten, damit die Anzahl der Rückführungen und Ausweisungen gesteigert wird. Konkret forderten die Motionen, dass der Bundesrat den Unzulässigkeitsgrund der Unzumutbarkeit für den Vollzug der Wegweisung vorläufig aufgenommener Personen überdenken solle. Dieser sei in jüngster Zeit ausgeweitet worden, sodass die Wegweisung heute auch aufgrund von Aspekten des Kindeswohls und des Gesundheitszustands der ausreisepflichtigen Person als unzumutbar beurteilt werde, erklärten die Urheber ihr Anliegen: «[D]iese Praxis» müsse dringend reflektiert werden. Für nicht kooperative Staaten sollten zudem Sanktionen verstärkt werden, etwa bei den Visa oder Kürzungen der Entwicklungshilfe, so die Vorschläge in der Begründung zu den Motionen. Ein besonderes Augenmerk legten die Vorstösse auf die verstärkte Ausweisung von «Straftäter[n] und Gefährder[n]». In seiner ablehnenden Stellungnahme hatte der Bundesrat darauf hingewiesen, dass die Schweiz bereits «zu den vollzugsstärksten Staaten Europas zählt». Darüber hinaus erachtete er die Kürzung der Entwicklungshilfe nicht als zielführend für eine Verbesserung des Wegweisungsvollzugs (Visamassnahmen unter gewissen Umständen jedoch schon).
Mit 99 zu 83 Stimmen (4 Enthaltungen) lehnte der Nationalrat die Motion der SVP ab. Unterstützung erhielt die SVP im Nationalrat von beinahe der gesamten FDP-Fraktion sowie von einem knappen Drittel der Mitte-Fraktion, was nicht für einen Erfolg ausreichte. Anders entschied der Ständerat, der die Motion Salzmann mit 28 zu 15 Stimmen (1 Enthaltung) annahm. Im Ständerat stellten sich neben dem links-grünen Lager lediglich vier Mitte-Vertretende gegen die Motion.

Konzept zur Erhöhung der Anzahl Rückführungen und Ausweisungen (Mo. 23.3073; Mo. 23.3082)

Aufgrund der gemäss Hannes Germann (svp, SH) zum gegebenen Zeitpunkt nicht vorhandenen freien Kapazitäten im Asylbereich beantragte der Schaffhauser Ständerat in einer Motion die Aussetzung des Resettlement-Programms 2024/25. Dieselbe Forderung lancierte die SVP-Fraktion mit einer identischen Motion im Nationalrat (Mo. 23.3072). Ende Mai 2019 hatte sich der Bundesrat bereit erklärt, sich stetig an den Resettlement-Aktivitäten des UNHCR zu beteiligen, in deren Rahmen die Schweiz alle zwei Jahre 1'500 bis 2'000 Personen anerkannter Flüchtlingsgruppen aufnimmt. Der Bundesrat sah keinen zusätzlichen Handlungsbedarf und empfahl die Ablehnung der Motionen. Das für das Resettlement-Programm zuständige EJPD beurteile die Situation laufend und könne auf Basis dessen das Programm temporär suspendieren, was Ende 2022 auf Empfehlung des Sonderstabs Asyl (SONAS) bereits geschehen sei. Auch der Bundesrat werde bei seinem Entscheid zum Antrag des EJPD über das Resettlement-Programm 2024/25 die aktuelle Situation im Asylbereich berücksichtigen, so der Bundesrat weiter. Der Ständerat behandelte die Motion im Rahmen der ausserordentlichen Session zur Migration im Juni 2023, wo er sie mit 26 zu 18 Stimmen befürwortete. Anders entschied am Tag zuvor der Nationalrat in seiner ausserordentlichen Session: Die grosse Kammer lehnte die Motion der SVP-Fraktion mit 112 zu 70 Stimmen (4 Enthaltungen) ab. In der grossen Kammer erhielt die Forderung neben der SVP-Fraktion lediglich Sukkurs von einer Grossmehrheit der FDP-Fraktion.
Einen Tag nach den parlamentarischen Debatten bewilligte der Bundesrat die Weiterführung des Resettlement-Programms 2024/25.

Aussetzung des Resettlement-Programms 2024/25 (Mo. 23.3096, Mo. 23.3072)

Um Kapazitäten für Flüchtlinge in der Schweiz zu erhöhen, verlangte Damian Müller (fdp, LU) in einer Motion die Möglichkeit, Personen aus Eritrea mit einem negativen Asylentscheid aus der Schweiz in einen aufnahmebereiten Drittstaat zurückzuführen. Die momentane Situation sei für abgewiesenen Asylsuchenden aus anderen Ländern ungerecht, da deren Heimatstaaten eine Rückführung der eigenen Staatsangehörigen im Gegensatz zu Eritrea nicht ablehnten, so der Motionär. Da es aufnahmebereite Drittstaaten gebe, gemäss Müller etwa Ruanda, solle der Bundesrat ein Pilotprojekt lancieren, um in der Schweiz abgewiesene eritreische Staatsangehörige als ultima ratio in ein Drittland zurückzuführen. Damit würde auch verhindert, dass diese Personen «soziale[ ] Leistungen missbrauchen», zudem könne so die Ausschaffung eritreischer Straftäter vollzogen werden, schloss der FDP-Ständerat die Begründung seiner Motion.
Der Bundesrat erachtete die beschriebene Situation in seiner Stellungnahme als «nicht zufriedenstellend», empfahl die Motion jedoch zur Ablehnung: Aktuell befänden sich etwas mehr als 300 eritreische Personen mit abgewiesenem Asylentscheid in der Schweiz, wovon die Hälfte Nothilfe beziehe. Ferner seien diese Personen von der Sozialhilfe ausgeschlossen und die Nothilfe decke lediglich die Kosten für den unmittelbaren Erhalt des Lebens, relativierte die Exekutive die Problematik. Bislang sei eine zwangsweise Wegweisung in einen Drittstaat nur zulässig, wenn die wegzuweisende Person zu diesem Staat einen Bezug hat. Auch für ein Pilotprojekt, wie dies der Motionär forderte, fehlten die rechtlichen Grundlagen, so der Bundesrat. Nicht zuletzt gab er zu bedenken, dass die Schweiz die Garantie des Drittstaates einholen müsste, dass dieser menschenrechtliche Standards einhält. Versuche, diese Garantie einzuholen, seien jedoch bislang an der Ablehnung der betreffenden afrikanischen Staaten gescheitert. In diesem Zusammenhang verwies der Bundesrat auch auf den Erlass einer vorsorglichen Massnahme des EGMR gegenüber dem Vereinigten Königreich, um die Abschiebung von Asylsuchenden (ohne Asylentscheid) nach Ruanda zu verhindern.
Im Ständerat sah dies eine knappe Mehrheit jedoch anders. In der Sommersession 2023 nahm die kleine Kammer die Motion mit 20 zu 18 Stimmen bei 5 Enthaltungen an.

Rückführung von abgewiesenen Personen eritreischer Staatsangehörigkeit in einen Drittstaat (Mo. 23.3176)

Ebenso wie im Falle von Eritrea sorgte sich Damian Müller (fdp, LU) auch um Probleme bei der zwangsweisen Rückführung von abgewiesenen Asylsuchenden nach Algerien. Müller forderte den Bundesrat im Februar 2023 mittels einer Motion auf, in Brüssel mit Bezug auf den Schengener Kodex zu intervenieren und Massnahmen gegen Algerien wegen fehlender Kooperation bei der zwangsweisen Rückführung zu verlangen. In seiner Stellungnahme widersprach der Bundesrat dem Motionär und empfahl dem Parlament, die Motion abzulehnen. Nach zwei bilateralen Migrationsdialogen im Jahr 2022 zwischen der Schweiz und Algerien hätten entsprechende, bereits vorher begonnene Verhandlungen abgeschlossen werden können, womit die Rückkehr «auf allen Vollzugsstufen» nun funktioniere. Mittlerweile seien die Rückkehrwerte nicht nur so hoch wie noch nie für Algerien, sondern im Jahr 2022 sogar so hoch wie für fast kein anderes Land – abgesehen von den zahlenmässig noch höheren Ausreisen in die Ukraine.
In der ständerätlichen Ratsdebatte, die in der Sommersession 2023 stattfand, widersprach der Motionär jedoch der zuständigen Bundesrätin: Man müsse die Zahlen nicht nur absolut, sondern auch relativ betrachten. Aufgrund der stark zunehmenden Asylgesuche aus Algerien sei die Zahl der Fälle im Rückführungsunterstützungsprozess gar leicht gestiegen. Zudem erwähne die Regierung in ihrer Stellungnahme nicht, ob auch Rückführungen via Sonderflüge oder über den Seeweg möglich seien – Letzteres fordere eine überwiesene Motion aus seiner Feder (Mo. 20.4477), die noch nicht erfüllt sei. Die zuständige Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider war auch der Ansicht, dass die Asylgesuche aus Algerien zum gegebenen Zeitpunkt «extrêmement nombreuses» seien. Sie verwies jedoch auf die weiterhin positiven Entwicklungen bei den Ausreisen. Die geforderte Intervention könne sich aufgrund der stark verbesserten Situation kontraproduktiv auf die Beziehungen mit Algerien auswirken. Im Anschluss sprach sich jedoch eine klare bürgerliche Ratsmehrheit mit 28 zu 11 Stimmen (3 Enthaltungen) für die Motion aus.

Probleme bei der zwangsweisen Rückführung nach Algerien angehen (Mo. 23.3032)

Mit einem Postulat forderte Walter Wobmann (svp, SO) im Dezember 2021 den Bundesrat auf, einen Bericht zum Stand der muslimischen Religionsgemeinschaften in der Schweiz zu erstellen. Konkret verlangte er eine allgemeine Übersicht über die Akzeptanz, die Sicherheit oder den Dialog der muslimischen Religionsgemeinschaften in der Schweiz mit den staatlichen Stellen. Auf der anderen Seite wollte er Fragen rund um ihre Finanzierung aus dem Ausland beantwortet haben. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Postulates. Die Fragen rund um die Finanzierung aus dem Ausland würden bereits im Rahmen des Postulates der SiK-SR «Imame in der Schweiz» beantwortet werden. Die restlichen Fragen beträfen zudem entweder die Kantone oder würden gegen die Pflicht des Staates, neutral und tolerant gegenüber Religionsgemeinschaften zu sein, verstossen, wie in der schriftlichen Begründung zu lesen war. In der Folge zog Wobmann sein Anliegen im Mai 2023 ohne Begründung zurück.

Zum Stand der muslimischen Religionsgemeinschaften in der Schweiz (Po. 21.4603)

Im September 2021 reichte Nationalrätin Delphine Klopfenstein Broggini (gp, GE) eine Motion ein, mit der sie vom Bundesrat die Schaffung zusätzlicher Resettlement-Kontingente für die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge, insbesondere von Frauen, forderte. Resettlement bezeichnet die dauerhafte Neuansiedlung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter in einem zur Aufnahme bereiten Drittstaat. Die Motionärin verwies auf verschiedene Kantone, Gemeinden und Städte, die ihre Bereitschaft zur Aufnahme von mehr afghanischen Flüchtlingen kundgetan hätten. Der Bundesrat erklärte in seiner Stellungnahme, dass das Resettlement-Programm 2020/21 die Aufnahme von bis zu 1600 besonders vulnerabler Flüchtlinge vorsehe und auch für die Jahre 2022/23 ein Kontingent von bis zu 1600 Resettlement-Flüchtlingen beschlossen worden sei. Der Bundesrat gab jedoch zu Bedenken, dass zurzeit die Hilfe vor Ort im Vordergrund stehe, also der Schutz von intern Vertriebenen und von afghanischen Bürgerinnen und Bürgern, die in Nachbarländern Schutz suchten. Dafür setze der Bund seit September 2021 Beiträge in der Höhe von CHF 33 Mio. ein, wovon CHF 23 Mio. über einen Nachtragskredit finanziert werden. Bis Ende 2022 soll die afghanische Bevölkerung mit rund CHF 60 Mio. unterstützt werden. Aus diesen Gründen beantragte die Exekutive die Ablehnung der Motion.

Der Nationalrat befasste sich in der Sondersession 2023 mit der Motion. Nationalrätin Broggini appellierte an den Rat, den afghanischen Frauen zusätzlichen Schutz vor dem Taliban-Regime zu gewähren, welches mit seiner gewaltsamen Machtübernahme die letzten Jahrzehnte der Demokratisierung und der Emanzipation der Frauen bedrohe. Frauen seien besonders schutzbedürftig und die Hilfe vor Ort reiche schlicht nicht aus, so die Motionärin. Bundesrätin Baume-Schneider räumte zwar ein, dass sich gewisse Städte in Zusammenarbeit mit NGOs zur Aufnahme von Geflüchteten bereit erklärt hätten, bei der Frage der finanziellen Beteiligung herrsche jedoch wenig Klarheit. Die Schweiz habe seit 2021 insgesamt 602 Personen aus Afghanistan aufgenommen. Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 und dem daraus resultierenden Anstieg der Asylgesuche stehe die Schweiz unter starkem internen und externen Druck, weswegen der Sonderstab Asyl einen Aufnahmestopp per 1. April 2023 für das Ressetlement-Programm beschlossen habe. Das EJPD bereite jedoch ein neues Programm zuhanden des Bundesrates vor. Der Nationalrat folgte schliesslich der Empfehlung des Bundesrates und lehnte die Motion mit 98 zu 85 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) ab. Die Ja-Stimmen stammten mehrheitlich von den Fraktionen der SP, der Grünen und der Grünliberalen.

Solidarität mit den afghanischen Frauen: Für zusätzliche Resettlement-Kontingente
Dossier: Humanitäres Engagement der Schweiz in Afghanistan

Faisant suite aux motions Heer (udc, ZH) et Jositsch (ps, ZH), le Conseil fédéral a accordé un crédit de CHF 2.5 millions afin d'ériger un mémorial aux victimes du nazisme. Le monument, qui comportera également des éléments d'informations, prendra place en ville de Berne, annonce le gouvernement dans son communiqué de presse. Il sera accessible à toutes et tous, dans le but de perpétuer le souvenir de l'Holocauste, alors « que le nombre de survivants et de témoins de cette époque ne cesse de diminuer et que l'on observe une recrudescence de l'antisémitisme et des discours relativisant la Shoah ». La Fédération suisse des communautés israélites (FSCI) et la Plateforme des juifs libéraux de Suisse (PJLS) ont salué cette annonce.

Lieu de commémoration en Suisse des victimes du national-socialisme (Mo. 21.3181, Mo 21.3172)

SVP-Nationalrat Michaël Buffat (svp, VD) verlangte in einer im März 2021 eingereichten Motion «keine Ausweitung des Flüchtlingsbegriffs über Umwege». Mit seinem Vorstoss wollte er den Bundesrat damit beauftragen, der UNO mitzuteilen, dass die Schweiz jegliche Ausweitung des Flüchtlingsbegriffs auf klimatisch bedingte Fluchtgründe ablehne. Im Asylgesetz werden Flüchtlinge als Personen definiert, die aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Nationalrat Buffat erklärte, dass diese Nachteile «an die Person an sich gebunden» seien, womit eine Anerkennung klimatisch bedingter Fluchtgründe nicht mit dem Flüchtlingsstatus in bestehenden völkerrechtlichen Verträgen und der Schweizer Rechtsprechung vereinbar sei.
Der Bundesrat hielt in seiner Stellungnahme fest, dass er die Schaffung eines Asylstatus für sogenannte «Klimamigranten» oder eine Ausweitung der Genfer Flüchtlingskonvention inklusive Änderung des Schweizer Asylrechts nicht befürworte. Diese Haltung vertrete der Bundesrat auch auf internationaler Ebene. Da eine derartige Anpassung der Flüchtlingskonvention aber nicht abzusehen sei, müsse man sich auch nicht proaktiv dazu positionieren. Die Schweiz setze sich im Rahmen verschiedener Initiativen für eine Verbesserung des Schutzes von Personen ein, die aufgrund von Naturkatastrophen oder den Folgen des Klimawandels ihre Heimatregion oder gar ihr Heimatland verlassen müssen. Auch im Präventionsbereich der Katastrophenverhinderung sei man aktiv, erklärte der Bundesrat. Aufgrund der fehlenden Dringlichkeit beantragte er die Ablehnung der Motion.

In der Frühjahrssession 2023 wies Motionär Buffat den Nationalrat darauf hin, dass der UNO-Migrationspakt den Klimawandel mehrfach als Migrationsgrund bezeichne. Daraus schloss er, dass ein politischer Wille bestehen müsse, den Inhalt des Flüchtlingsbegriffs auszuweiten. Er warnte, dass die Schweiz ihre humanitäre Tradition nur erhalten könne, wenn diese einigermassen realistisch bleibe. Die Schweiz müsse diese grundlegende Veränderung des Flüchtlingsbegriffs verhindern, weil, wie er befürchtete, der Klimawandel in Afrika – wo die Bevölkerung schnell wachse und der Trend zur Migration nach Europa stark sei – als Argument zur Rechtfertigung für Asylanträge verwendet werden könnte. Bundesrätin Baume-Schneider erklärte der grossen Kammer, dass die Schweiz über die rechtlichen Grundlagen verfüge, um den Schutz von Personen, deren Rückkehr nicht zumutbar sei, gewährleisten zu können. Da eine Revision der Flüchtlingsdefinition auf internationaler Ebene derzeit nicht aktuell sei, sehe der Bundesrat keinen Grund, die zuständigen UNO-Gremien über die Schweizer Position zu informieren. Die Regierung lehne die Motion daher ab. Auch die Mehrheit des Nationalrats sah keinen Handlungsbedarf und lehnte den Vorstoss mit 109 zu 77 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gegen den Willen der SVP- und FDP-Fraktionen ab.

Keine Ausweitung des Flüchtlingsbegriffs über Umwege

Ende Januar 2023 gab das SEM in einer Medienmitteilung bekannt, dass die muslimische Seelsorge in den Bundesasylzentren (BAZ) dauerhaft eingeführt wird. Grund für diesen Entscheid seien die durchwegs positiven Evaluationen des Pilotprojektes zwischen 2021 und 2022 durch das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) der Universität Freiburg. Das Angebot sei von allen Seiten geschätzt worden: Die muslimischen Asylsuchenden nähmen die Seelsorge gerne in Anspruch und die Mitarbeitenden in den Zentren schätzten etwa die Fachkompetenz der Seelsorgenden. Insgesamt sind sechs Personen (davon eine Frau) in den vier Asylregionen (Zürich, Westschweiz, Ostschweiz, Tessin) als muslimische Seelsorgende angestellt.

Aktuell wird das Angebot, welches Kosten von rund CHF 450'000 mit sich bringt, gemäss SEM durch den Betriebskredit der BAZ finanziert. Obwohl das Asylgesetz eine Finanzierung durch das SEM grundsätzlich ermögliche, solle dieses Angebot zukünftig eine klare Aufnahme in das Gesetz finden. Eine entsprechende Vorlage zur Revision des Asylgesetzes ging Ende Januar 2023 in die Vernehmlassung.

Pilotprojekt: Muslimische Seelsorge in Bundesasylzentren

Jahresrückblick 2022: Kultur, Sprache, Kirchen

Nach gut zwei Jahren Covid-19-Pandemie war es dieses Jahr endlich wieder so weit: Die Schweiz durfte die Kultur wieder ohne Einschränkungen geniessen. Bereits am 16. Februar 2022 hob der Bundesrat den Grossteil der nationalen Massnahmen – auch diejenigen im Kulturbereich – auf, woraufhin es in der Kultur ein breites Aufatmen und Erwachen gab. Konzerte und Festivals, sowie Museen, Theater oder Kinos konnten wieder gänzlich ohne Einschränkungen besucht werden. Dies führte auch dazu, dass der Kulturbereich – nach zwei Jahren verstärkter Aufmerksamkeit durch Covid-19 – in den Medien etwas aus dem Fokus geriet, wie Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse zeigt.

Die Kulturpolitik der Schweiz war 2022 von drei grösseren Themen geprägt: der Abstimmung zur Revision des Filmförderungsgesetzes, dem neuen Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele und der Frage, wie die Schweiz mit Nazi-Raubkunst umgehen soll.

Nachdem die Beratungen zur Revision des Filmförderungsgesetzes – Lex Netflix – nach langwierigen Diskussionen als letztes Geschäft der Kulturbotschaft 2021-2024 in der Herbstsession 2021 zu einem Abschluss gekommen war, ergriffen die Jungfreisinnigen, die Jungen Grünliberalen sowie die Junge SVP Ende Januar 2022 erfolgreich das Referendum. Streaming-Anbietende wie Netflix oder Disney+ sollten mit diesem Gesetz unter anderem dazu verpflichtet werden, vier Prozent des Umsatzes in das schweizerische Filmschaffen zu investieren oder für die Bewerbung Schweizer Filme einzusetzen. Zudem mussten die Plattformen 30 Prozent des Angebots mit europäischen Beiträgen füllen. Die bürgerlichen Jungparteien störten sich besonders an diesen beiden Punkten: Zum einen befürchteten sie, mit der Pflichtabgabe würde eine Erhöhung der Abo-Preise einhergehen, und zum anderen erachteten sie die Quote für europäische Filme und Serien als «bevormundend und eurozentristisch». Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nahmen das Gesetz im Mai 2022 jedoch mit 58.1 Prozent Ja-Stimmen an. Der Abstimmungskampf war dann auch das einzige Ereignis des Jahres, welches im Bereich Kulturpolitik zu einem substantiellen Anstieg der medialen Berichterstattung führte (vgl. Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse).

Ohne grosse mediale Beachtung fanden in der Herbstsession 2022 die Beratungen um das neue Bundesgesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele nach gut zwei Jahren ein Ende. Ziel des Gesetzes soll es sein, Kinder und Jugendliche besser vor Gewalt- und Sexualdarstellungen in Filmen und Videospielen zu schützen, etwa durch eine schweizweite Alterskennzeichnung und -kontrolle der Produkte. Die Verantwortung, diese Regelungen zu entwickeln, wurde den Branchenorganisationen überlassen, welche entsprechende Expertinnen und Experten hinzuziehen sollen.

Für hitzige mediale Debatten sorgte hingegen die Kunstsammlung von Emil Bührle, der gemäss Medien ein Nazisympathisant und Waffenlieferant im Zweiten Weltkrieg war. Als Teile seiner Sammlung im Sommer 2021 im Kunsthaus Zürich ausgestellt worden waren, waren darob hitzige Diskussionen entbrannt, insbesondere weil Bührle Nazi-Raubkunst besessen habe und die Provenienz bei einigen Werken der Sammlung nicht endgültig geklärt sei. Diese Debatte ging auch an Bundesbern nicht ohne Spuren vorbei. So nahmen die Räte eine Kommissionsmotion der WBK-NR an, welche die Schaffung einer Plattform für die Provenienzforschung von Kulturgütern forderte. Weiter hiessen sie eine Motion gut, mit der eine unabhängige Kommission für NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter geschaffen werden sollte. Offen liessen die Räte, ob eine solche Kommission auch für Raubkunst aus kolonialen Kontexten geschaffen werden soll.

Rund um die kirchen- und religionspolitische Fragen blieb es in der Bundespolitik im Jahr 2022 eher ruhig, jedoch weckte die katholische Kirche der Schweiz einige mediale Aufmerksamkeit, wie erneut in der APS-Zeitungsanalyse ersichtlich wird. Der Universität Zürich war im Frühling 2022 in Form eines Pilotprojekts ein Forschungsauftrag erteilt worden, mit dem die sexuellen Missbräuche innerhalb der Schweizer katholischen Kirche seit 1950 wissenschaftlich untersucht werden sollten. Dabei sollte ein Fokus auf die Strukturen gelegt werden, welche dabei geholfen hatten, die Missbräuche zu vertuschen. Zu diesem Zweck öffnete die katholische Kirche der Schweiz ihre Geheimarchive für die Forschenden.
Heftige Debatten rief auch der vom Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain eingeführte, für die Angestellten aller Ebenen der katholischen Kirche verbindliche Verhaltenskodex hervor, mit dem sexuellem Missbrauch vorgebeugt werden sollte. Einige Priester von Chur weigerten sich, den Kodex zu unterzeichnen, da einzelne Weisungen daraus der katholischen Lehre entgegenlaufen würden – so untersage er es etwa, sich negativ über die sexuelle Ausrichtung von Menschen auszusprechen.

Anfang 2022 verlängerte das SEM die muslimische Seelsorge in den Bundesasylzentren, welche Anfang 2021 in einzelnen Regionen als Pilotprojekt eingeführt worden war. Zuvor hatte eine Studie des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft (SZIG) der Universität Freiburg eine positive Bilanz gezogen. Sollten die Ergebnisse auch nach diesem Jahr positiv ausfallen, strebt das SEM eine permanente Einführung des Angebots und einen Ausbau auf alle Bundesasylzentren an – sofern die Finanzierung dafür gesichert werden kann. Bereits 2018 war ein entsprechendes Pilotprojekt aufgrund fehlender finanzieller Mittel auf Eis gelegt worden.

Jahresrückblick 2022: Kultur, Sprache, Kirchen
Dossier: Jahresrückblick 2022

Zwischen Mitte 2021 und Mai 2022 wurde ein Pilotprojekt unter dem Namen «Sensibilisierung zu Diversität und Inklusion in der Armee» (SEDIA) durchgeführt, wie der Bundesrat in einer Medienmitteilung verkündete. Initiiert wurde das Projekt von Korpskommandant Hans-Peter Walser (Chef der Kommando Ausbildung) und unter Leitung der Armeeseelsorge gemeinsam mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) durchgeführt. Unter dem Einbezug des Berufsmilitärs und Kaderangehörigen der Milizarmee fanden diverse Veranstaltungen statt, welche mehrheitlich von Mitgliedern der SIG mit speziell auf dieses Projekt angepassten Konzepten durchgeführt worden seien.
Das Projekt steht in Zusammenhang mit der verstärkten Bekenntnis der Schweizer Armee zu Diversität und Inklusion per Anfang 2022, als zudem eine Fachstelle «Frauen in der Armee und Diversity» (FiAD) geschaffen wurde.

Armeeseelsorge

Die überwiesene Motion Abate (fdp, TI) zur finanziellen Unterstützung von Kantonen mit Ausreisezentren an der Grenze wurde vom Parlament während den Beratungen zu einer entsprechende Änderung des AIG in der Wintersession 2022 als erfüllt abgeschrieben.

Aide financière aux cantons qui gèrent des centres de départ à la frontière suisse

Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums von J+S wurde im Sommer 2022 in Tenero ein nationales Jugendlager durchgeführt, an dem 560 Jugendliche teilnahmen. Bei 160 von ihnen handelte es sich um in der Schweiz lebende Flüchtlinge aus der Ukraine und anderen Ländern. Ebenfalls im Lager mit dabei waren Personen mit einer Behinderung. In seiner Medienmitteilung hob das BASPO die Integration als Ziel von J+S hervor. Fairplay, Teamgeist und Toleranz seien Werte, die Kindern und Jugendlichen im Rahmen gemeinsamer sportlicher Aktivitäten nähergebracht werden können, was wiederum die Entwicklung eines respektvollen Umgangs untereinander ermögliche, bei dem niemand aufgrund seiner Herkunft oder körperlicher Fähigkeiten ausgegrenzt werde.

Ukrainische Flüchtlinge im J+S-Sportlager in Tenero

Die SPK-SR folgte im Juni 2022 dem Nationalrat und entschied mit 8 zu 3 Stimmen, der Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt, welche forderte, zusätzliche, in Griechenland gestrandete, besonders schutzbedürftige Personen aufzunehmen, keine Folge zu geben. In einer Medienmitteilung erklärte die Kommission, dass das Anliegen zwar berechtigt sei, der vorgeschlagene Ansatz in den Augen der Kommissionsmehrheit jedoch keine Besserung der Situation bringen würde.

Aufnahme von Menschen aus Griechenland und Auslastung der Asylzentren (Kt.Iv. 21.310)
Dossier: Dublin-Verordnung

Nachdem die SPK-NR entschieden hatte, der Vorlage keine Folge zu geben, beugte sich der Nationalrat in der Sommersession 2022 über die parlamentarische Initiative der Grünen Fraktion, die forderte, dass es Kantonen und Gemeinden ermöglicht werden soll, auf eigene Initiative hin zusätzliche Flüchtlingsgruppen aufzunehmen. Der Minderheitensprecher Balthasar Glättli (gp, ZH) argumentierte für das Anliegen seiner Fraktion, dass es keinen guten Grund gäbe, wieso der Schweizer Föderalismus nicht dazu genutzt werden solle, die Asylpolitik der Schweiz menschlicher und offener zu gestalten. Laut Marianne Binder-Keller (mitte, AG) stünde der vorgeschlagene Mechanismus im Verständnis der Kommissionsmehrheit aber im «Widerspruch zum aktuellen System», welches darauf aufbaue, dass «die Lasten» gemeinsam, statt von einzelnen Gemeinden, getragen würden.
Der Nationalrat entschied mit 119 zu 70 Stimmen, dem Anliegen der Grünen Fraktion keine Folge zu geben. Für die Vorlage sprachen sich lediglich die beiden geschlossen stimmenden Fraktionen der SP und der Grünen sowie die drei Nationalratsmitglieder der EVP aus. Damit blieb der Nationalrat seiner Stellung zu diesem Thema treu – so hatte er bereits eine Woche zuvor einer Standesinitiative aus dem Kanton Basel-Stadt keine Folge gegeben, die eine ähnliche Änderung im Asylwesen gefordert hatte.

Aufnahme von Asylsuchenden: Willkommensstädte und solidarische Gemeinden ermöglichen (Pa.Iv. 21.419)

In der Sommersession 2022 debattierte der Nationalrat über die parlamentarische Initiative von Jean-Luc Addor (svp, VS), welche verlangte, dass nur noch Personen als Flüchtlinge anerkannt werden, die bei der Anreise keinen sicheren Staat passiert haben. Addor erläuterte, dass er eine Lücke im Gesetz sehe: Wenn das Dublin-Abkommen konsequent umgesetzt würde, könnten in der Schweiz nur Personen ein Asylgesuch stellen, welche per Luftweg angekommen sind. Delphine Klopfenstein Broggini (gp, GE) argumentierte für die Kommissionsmehrheit, dass es nie angebracht sei, das Völkerrecht in Frage zu stellen, wie es dieser Vorstoss tue. Für die Kommissionsmehrheit sei klar, dass das Recht, einen Asylantrag zu stellen, sowie das Recht auf Prüfung jedes Asylantrages unbedingt garantiert werden müssten. Entsprechend der Kommissionsmehrheit – bestehend aus 17 befürwortenden zu 7 ablehnenden Stimmen – entschied der Nationalrat mit 136 zu 51 Stimmen (bei 3 Enthaltungen), der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben, wobei die 51 Stimmen für die Vorlage allesamt von Mitgliedern der SVP-Fraktion stammten.

Asylsuchende, die ein sicheres Land durchqueren, sollen nicht als Flüchtlinge gelten (Pa.Iv. 21.420)

Aufgrund einer im August 2021 veröffentlichten externen Evaluation und den daraus abgeleiteten Massnahmen sowie aufgrund des bestehenden Monitorings Asylsystem erachtete der Bundesrat eine angenommene Motion Pfister (cvp, ZG), die eine regelmässige Evaluation der Bundesasylzentren seit Inkrafttreten des revidierten Asylgesetzes forderte, als erfüllt und beantragte dem Parlament die Abschreibung des Geschäfts. National- und Ständerat kamen diesem Antrag in der Sommersession 2022 nach.

Évaluation des centres fédéraux pour requérants d'asile (Mo. 16.3478)

Nachdem sich die SPK-NR entgegen ihrer Schwesterkommission entschieden hatte, der Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt, welche forderte, zusätzliche, in Griechenland gestrandete, besonders schutzbedürftige Personen aufzunehmen, keine Folge zu geben, kam das Anliegen in der Sommersession 2022 in die grosse Kammer.
Marianne Binder-Keller (mitte, AG) argumentierte für die Kommissionsmehrheit, dass die Situation in Griechenland nicht mehr «dermassen tragisch» sei wie im Herbst 2020, weshalb sich die Mehrheit der Kommission dafür ausgesprochen habe, der Standesinitiative keine Folge zu geben. Ausserdem tue die Schweiz bereits viel – etwa in Form von Hilfsgütern oder mit der Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden. Als Sprecherin der Kommissionsminderheit setzte sich Tamara Funiciello (sp, BE) für Folgegeben ein und forderte den Nationalrat auf, «endlich das Richtige» zu tun und mehr humanitäre Verantwortung zu übernehmen. Der Krieg in der Ukraine habe gezeigt, dass die Schweiz durchaus in der Lage sei, schutzbedürftigen Menschen die nötige Sicherheit und Aussicht auf Arbeit zu geben. Die Frage sei nun, wieso dies für Menschen, welche an den europäischen Aussengrenzen unter prekären Umständen ausharren müssen, nicht auch möglich sein soll. Funiciello vermochte jedoch den Nationalrat nicht für das Anliegen zu gewinnen, welcher mit 98 zu 59 Stimmen entschied, der Standesinitiative keine Folge zu geben. Lediglich die Fraktionen der SP und der Grünen stimmten geschlossen für das Anliegen, zusätzliche Unterstützung erfuhr die Standesinitiative darüber hinaus lediglich von den beiden EVP-Nationalrätinnen.

Aufnahme von Menschen aus Griechenland und Auslastung der Asylzentren (Kt.Iv. 21.310)
Dossier: Dublin-Verordnung