Bei der Differenzbereinigung zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative war zu Beginn der Frühjahrssession 2015 der Nationalrat an der Reihe. Im Vorjahr hatte die grosse Kammer zuerst auf eine harte Linie gesetzt, um so allenfalls die Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative zu verhindern. Der Ständerat hatte jedoch nichts von dieser Strategie gehalten und einen Mittelweg zwischen dem Entwurf des Bundesrates und jenem des Nationalrates eingeschlagen. Für die erneute Beratung im Nationalrat lagen nun prinzipiell zwei Konzepte auf dem Tisch: Die Mehrheit der SPK-NR schlug vor, der Version des Ständerates zu folgen; demgegenüber wollte eine Kommissionsminderheit aus Mitgliedern der SVP-Fraktion am letzten Beschluss des Nationalrates festhalten. Die Umsetzung nach Vorschlag des Ständerates verwässere die Absicht der Initiative – nämlich eine deutliche Änderung der Praxis – bis zur Unkenntlichkeit und sei darum im Sinne des Volkswillens klar abzulehnen, so die Begründung der Minderheit. Ein zweiter Antrag derselben Minderheit wollte nicht das gesamte Konzept stürzen, aber wenigstens die vom Ständerat eingeführte sogenannte Härtefallklausel streichen. Die umstrittene Klausel bildet das eigentliche Herzstück des ständerätlichen Entwurfes und sieht vor, dass das Gericht ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen kann, «wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen.» Vertreter der SVP argrumentierten, eine solche Härtefallklausel sei nicht mit dem Volkswillen vereinbar, da das Volk selbst eine solche mit dem direkten Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative abgelehnt habe. Die Befürworter der Klausel betonten indessen, die Klausel im vorliegenden Entwurf sei strikter formuliert und gestehe dem Gericht viel weniger Handlungsspielraum zu als die Regelung, welche im direkten Gegenvorschlag vorgesehen gewesen wäre. Die Fassung des Ständerates stelle somit trotz allem eine Verschärfung gegenüber der heutigen Praxis und auch gegenüber dem abgelehnten Gegenvorschlag dar, da der Ausschaffungsautomatismus wie im Initiativtext vorgesehen darin enthalten sei. Die Härtefallklausel diene allein dazu, gröbste Verletzungen rechtsstaatlicher Prinzipien sowie des Völkerrechts zu vermeiden. Die beiden Minderheitsanträge wurden neben der geschlossenen SVP-Fraktion auch von einzelnen Vertretern der FDP und der CVP unterstützt, unterlagen jedoch mit je einer Zweidrittelmehrheit dem Mehrheitsantrag. Mit diesen Entscheiden machte der Nationalrat eine Kehrtwende und folgte dem vom Ständerat eingeschlagenen Weg. Damit wurde die Umsetzung der Ausschaffungsinitiative endgültig von der bevorstehenden Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative entkoppelt. Die restlichen Änderungsanträge waren weit weniger umkämpft, weil mehrheitlich redaktioneller Natur oder aber kohärent aus dem grundsätzlichen Bekenntnis zum Entwurf des Ständerates folgend. Damit erhielt die kleine Kammer ihre Vorlage fast unverändert zurück und stimmte ihr stillschweigend zu. In der Schlussabstimmung wurde die so erarbeitete Lösung in beiden Räten deutlich angenommen. Der Ständerat votierte mit 36 zu 3 Stimmen bei 5 Enthaltungen dafür, während der Nationalrat mit 109 zu 68 Stimmen bei 18 Enthaltungen zustimmte. Dagegen sprachen sich in der grossen Kammer die geschlossene Fraktion der SVP, die Mehrheit der Grünen sowie einzelne Vertreter der FDP aus.
SVP-Parteipräsident Toni Brunner (svp, SG) zeigte sich enttäuscht über dieses Resultat, aber gleichzeitig durchaus siegessicher in Bezug auf die bevorstehende Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative. Das Referendum gegen das beschlossene Gesetz werde die SVP trotz Unzufriedenheit nicht ergreifen, weil diese Arbeit ohnehin obsolet sei, wenn die Durchsetzungsinitiative angenommen werde. Die Durchsetzungsinitiative wird erst nach Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes zur Ausschaffungsinitiative zur Abstimmung gelangen.
Dossier: Ausschaffungsinitiative – Abstimmung und Umsetzung