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  • Strafmass und Vollzug

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  • Engler, Stefan (cvp/pdc, GR) SR/CE

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In der Sommersession 2020 befasste sich der Ständerat als Erstrat mit der Revision des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, deren Ziel die Harmonisierung der Strafrahmen ist. Wie der Kommissionsberichterstatter Daniel Jositsch (sp, ZH) dem Ratsplenum erläuterte, habe sich die vorberatende RK-SR bei der Diskussion der Strafrahmen an zwei Leitfragen orientiert: Erstens, absolut betrachtet, entspricht ein Strafrahmen nach heutigem Empfinden wertmässig dem Verschulden? Und zweitens, relativ betrachtet, passt ein Strafrahmen wertmässig in das System vergleichbarer Strafen hinein? Die thematischen Schwerpunkte verortete Jositsch zum einen im Bereich Gewalt und Drohung gegenüber Beamten und Behörden, zu dem in der jüngeren Vergangenheit sehr viele Vorstösse eingegangen waren, sowie zum anderen bei den Delikten gegen Leib und Leben, wo generell «eine moderate Anhebung der Strafen» vorgesehen sei. Damit werde korrigiert, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Strafgesetzbuchs in den 1940er-Jahren den Schutz des Vermögens im Vergleich zum Schutz von Leib und Leben «relativ stark gewichtet» habe. Diese Werthaltung, die neu ausgelotet werden müsse, veranschaulichte er mit dem Beispiel, dass auf einfachen Diebstahl heute eine Maximalstrafe von fünf Jahren stehe, während eine fahrlässige Tötung mit maximal drei Jahren bestraft werde. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte, es sei wichtig, dass sich die Bevölkerung mit einem Urteil identifizieren könne: «Nur unter dieser Voraussetzung kann der Rechtsstaat auch seine Glaubwürdigkeit und seine Akzeptanz behalten.» Die öffentliche Debatte sei aber oft vom Eindruck einzelner Vorkommnisse geprägt, die die Forderung nach Mindeststrafen befeuerten. Solche habe der Bundesrat allerdings nur «sehr selektiv» vorgesehen, weil der Strafrahmen nicht nur den denkbar schwersten, sondern immer auch den denkbar leichtesten Fall abdecken müsse.
Über weite Strecken war die umfangreiche Vorlage im Ständerat unbestritten. Bis auf drei Punkte, die sie vertiefter diskutierte, folgte die Ständekammer überall stillschweigend den Anträgen ihrer Kommission. Als wichtigste dieser diskussionslosen Neuerungen hervorzuheben sind die Anhebung der Mindeststrafe für schwere Körperverletzung von bisher sechs Monaten auf ein Jahr sowie die Vereinheitlichung der Mindeststrafe für alle gewerbsmässig begangenen Vermögensdelikte auf sechs Monate. Die Bestimmungen des Sexualstrafrechts klammerte der Ständerat in der Debatte aus, weil diese nach dem Willen seiner Kommission und des Bundesrates in einem separaten Entwurf, der zuerst noch in die Vernehmlassung gegeben wird, behandelt werden sollen.
Die erste der drei umstrittenen Änderungen betraf mit Art. 42 StGB eine Bestimmung aus dem Allgemeinen Teil, der eigentlich gar nicht Gegenstand des Geschäfts war. Die Kommissionsmehrheit habe diese Anpassung dennoch vorgenommen, um den Forderungen nach schärferen Strafen entgegenzukommen, ohne die Mindeststrafen zu erhöhen, wie Jositsch erklärte. Sie schlug vor, den Artikel dahingehend abzuändern, dass das Gericht bei einem Ersttäter oder einer Ersttäterin nicht mehr «in der Regel» eine bedingte Strafe aussprechen muss, sondern dass es dies «kann». Durch die etwas offenere Formulierung wollte sie mehr Möglichkeiten für unbedingte Strafen schaffen. Eine Minderheit Vara (gp, NE) und der Bundesrat beantragten hingegen, beim geltenden Recht zu bleiben. Die Änderung gefährde die Rechtssicherheit, weil die vielen Gerichte in der Schweiz die Kann-Bestimmung vielleicht unterschiedlich anwendeten, so deren Argumentation. «Es kann nicht angehen, dass irgendwelche Gründe dazu führen können, dass der bedingte Strafvollzug, selbst bei einer günstigen Prognose, verweigert werden kann», warnte Justizministerin Keller-Sutter vor unzulässiger Willkür. Kommissionssprecher Jositsch wandte ein, dass es für Täterinnen und Täter eben gerade keine Sicherheit geben solle, dass man beim ersten Mal eine bedingte Strafe erhalte. Die Ratsmehrheit liess sich davon überzeugen und folgte mit 26 zu 15 Stimmen der Kommissionsmehrheit.
Als zweites erörterte der Ständerat die konzeptionelle Frage, ob eine Mindestgeldstrafe automatisch auch eine Mindestfreiheitsstrafe bedeute – an einer konkreten Frage: Wenn für ein Delikt eine Geldstrafe nicht unter 30 Tagessätzen oder eine Freiheitsstrafe vorgeschrieben ist, bedeutet dies dann, dass die Freiheitsstrafe auch mindestens 30 Tage betragen muss? Die Kommissionsmehrheit bejahte diese Frage, die in der juristischen Lehre bislang ungeklärt geblieben war, und wollte dies im StGB nun ausdrücklich festschreiben. Sie sah Geld- und Freiheitsstrafen als «weitestgehend gleichwertig» an, wie es Andrea Caroni (fdp, AR) ausdrückte; dies zeige sich nicht zuletzt auch darin, dass eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen bei Nichtbezahlung eins zu eins in eine Freiheitsstrafe von 30 Tagen umgewandelt werde. Eine Minderheit Mazzone (gp, GE) argumentierte dagegen, eine Freiheitsstrafe stelle einen grösseren Eingriff dar als eine Geldstrafe, weshalb auf eine solche ausdrückliche Gleichsetzung im StGB verzichtet werden sollte. Auch EJPD-Vorsteherin Keller-Sutter plädierte gegen die vorgeschlagenen Ergänzungen bei den betreffenden Artikeln, weil aus der Praxis hierzu keine Unklarheiten moniert worden seien und die Änderung aus Sicht des Bundesrates daher nicht notwendig sei. Etwas spitz bemerkte sie: «Es wurde gesagt, im Lehrbuch Jositsch stehe, dass hier Klärungsbedarf bestehe. Herr Jositsch ist in der Minderheit und sieht offensichtlich, entgegen seinem Lehrbuch, keinen so grossen Klärungsbedarf.» Die Ratsmehrheit folgte mit 24 zu 16 Stimmen dennoch der Kommissionsmehrheit.
Der dritte Streitpunkt betraf die Verschärfung der Strafnorm für Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB). Die Kommissionsmehrheit unterstützte hier das Konzept des Bundesrates, der den Strafrahmen für den Grundtatbestand unverändert liess – d.h. keine Mindeststrafe, maximal drei Jahre Freiheitsstrafe –, während er Gewalttaten, die aus einem zusammengerotteten Haufen heraus begangen werden, neu mit einer Geldstrafe von mindestens 120 Tagessätzen (bisher 30) oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren (wie bisher) bestrafen wollte. Nach dem vorangegangenen Beschluss des Ständerates über die wertmässige Gleichstellung von Geld- und Freiheitsstrafen bedeutete dies, dass Gewalttaten im Kontext einer Zusammenrottung mit einer Geldstrafe von mindestens 120 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe im Umfang von 120 Tagen belegt würden. Eine Minderheit Engler (cvp, GR) wollte die Strafen indes dergestalt verschärfen, dass sie zwar keine Mindeststrafe vorsah, Geldstrafe aber nur in leichten Fällen ausgesprochen werden dürfte. Bei Gewalttaten im Kontext einer Zusammenrottung wäre eine Freiheitsstrafe zwingend. Uneinigkeit herrschte in erster Linie darüber, welche Variante die schärfere war, jene mit der hohen Mindeststrafe oder jene mit der grundsätzlichen Freiheitsstrafe. Wie Beat Rieder (cvp, VS) berichtete, war dies auch der einzige Punkt, in dem sich die Subkommission, die das Geschäft für die RK-SR vorberaten hatte, nicht einig geworden war. Rieder setzte sich für die Minderheit ein, weil es hier um Straftäterinnen und -täter gehe, die «relativ renitent» seien und bei denen Geldstrafen «schlichtweg keine Wirkung» erzielten. Wichtig sei die Signalwirkung der Freiheitsstrafe, sprich, dass Hooligans «am Montag nach dem Samstagsmatch im Büro fehlen». Bundesrätin Keller-Sutter zeigte Verständnis für die Streichung der Geldstrafe in schweren Fällen, gab aber in Bezug auf die Signalwirkung zu bedenken, dass Freiheitsstrafen auch bedingt ausgesprochen werden können. Mit 23 zu 18 Stimmen betreffend den Grundtatbestand und 25 zu 17 Stimmen bezüglich der Zusammenrottungen nahm der Ständerat den Minderheitsantrag Engler an.
In der Gesamtabstimmung opponierte die Grüne Fraktion geschlossen, womit die Kantonskammer das revidierte StGB mit 35 zu 5 Stimmen guthiess. Der zweite Entwurf zur Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht, mit dem vor allem formelle Änderungen vorgenommen wurden, passierte die Gesamtabstimmung unverändert mit 36 zu 6 Stimmen, wobei sich hier auch SP-Ständerat Paul Rechsteiner (sp, SG) zur Grünen Opposition gesellte. Stillschweigend schrieb die kleine Kammer zudem die Vorstösse 06.3554, 09.3366, 08.3131, 10.3634 und 17.3265 ab.

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Im Frühling 2015 setzte der Nationalrat das laufende Differenzbereinigungsverfahren zur Revision des Sanktionenrechts fort. Die umstrittenen Kernpunkte waren nach wie vor die Mindesthöhe der Tagessätze, die Möglichkeiten der Zahlungsfristverlängerung sowie des Vollzugs von Geldstrafen über den Betreibungsweg, der Vorrang von Geldstrafen vor Freiheitsstrafen und die Existenz der bedingten Geldstrafen. Betreffend die Mindesthöhe von Tagessätzen stimmte die grosse Kammer mit 104 zu 87 Stimmen einem Kompromissvorschlag ihrer Kommissionsmehrheit zu. Demnach sollen Tagessätze grundsätzlich mindestens CHF 30 betragen, in Anbetracht der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Bestraften aber ausnahmsweise auf CHF 10 gesenkt werden können. Bundesrätin Sommaruga zeigte sich zufrieden mit diesem Vorschlag, da er die bestehende Praxis klar und eindeutig ins Gesetz schreibe. Die Möglichkeiten zur Verlängerung der Zahlungsfrist von Geldstrafen und zum Vollzug über den Betreibungsweg akzeptierte der Nationalrat mit 124 zu 55 Stimmen und räumte damit diese Differenz aus. Da mit der Wiedereinführung der kurzen Freiheitsstrafen ein Bereich geschaffen wurde, in dem entweder eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe ausgesprochen werden kann, war das Verhältnis dieser beiden Sanktionsformen noch zu regeln. Der Nationalrat akzeptierte den grundsätzlichen Vorrang von Geld- vor Freiheitsstrafen, strich aber gleichzeitig die Begründungspflicht bei Abweichungen vom Grundsatz. Mit den vier verbleibenden Differenzen befasste sich der Ständerat in der Sommersession.

Der Kompromiss betreffend die Tagessätze stiess in der Kantonskammer auf stillschweigende Zustimmung. Die Pflicht zu begründen, warum statt einer Geld- eine Freiheitsstrafe ausgesprochen wird, wollte der Ständerat jedoch beibehalten. Bei den bedingten Geldstrafen folgte er der grossen Kammer und gab seine Position auf, dass Geldstrafen immer zur Hälfte unbedingt ausgesprochen werden müssten. Eine Differenz bezüglich der Strafprozessordnung blieb weiter bestehen, da der Ständerat die vom Nationalrat vorgesehene Ausweitung der Strafbefehlskompetenz des Staatsanwaltes ablehnte. Zum Abschluss ihrer Beratungen fügte die kleine Kammer noch eine Koordinationsbestimmung mit den im März 2015 verabschiedeten Änderungen im Ausschaffungsrecht ein: Im Falle des Inkrafttretens beider Gesetzesrevisionen sollen die Bestimmungen zur Landesverweisung im Ausschaffungsrecht Vorrang haben vor der entsprechenden, weniger weit gehenden Bestimmung im Sanktionenrecht. Die Einigungskonferenz beantragte schliesslich, in beiden verbleibenden Differenzen dem ständerätlichen Standpunkt zu folgen. Dieser Antrag wurde in beiden Kammern stillschweigend angenommen. In der Schlussabstimmung sprach sich der Ständerat einstimmig für die Gesetzesrevision aus, während sie im Nationalrat mit 142 zu 50 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen wurde. Alle ablehnenden Voten kamen aus der Fraktion der SVP.

Stefan Engler (cvp, GR), Sprecher der RK-SR, fragte am Schluss der Ratsdebatte: „Was schaut nach rund drei Jahren Arbeit des Gesetzgebers an wesentlichen Neuerungen heraus?“ Die Freiheitsstrafe erhält gegenüber der Geldstrafe mehr Gewicht, kurze Freiheitsstrafen sind unter Vorbehalt des Vorrangs der Geldstrafe wieder möglich, die gemeinnützige Arbeit ist neu Vollzugsform und nicht mehr eigene Sanktion und es wurde eine gesetzliche Grundlage für das sogenannte Electronic Monitoring geschaffen. Die bedingte Geldstrafe, welche im Zentrum der diese Revision auslösenden Kritik stand, besteht weiter.

Revision des Sanktionenrechts (BRG 12.046)
Dossier: Revision des Sanktionenrechts (Allgemeiner Teil des Strafgesetzbuches)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )