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Jahresrückblick 2021: Verbände

2021 wurde die Verbandslandschaft in der Schweiz wie schon im Vorjahr wesentlich durch das Coronavirus und die Massnahmen zu dessen Bekämpfung geprägt. So versuchten die Dachverbände der Arbeitgebenden und der Gewerkschaften wie auch zahlreiche Branchenverbände wiederholt mit Positionsbezügen auf die Pandemiepolitik der Behörden Einfluss zu nehmen. Während in der Unterstützung für Hilfsgelder und Kurzarbeit im Grossen und Ganzen Einigkeit zwischen Gewerkschaften und Verbänden der Arbeitgebenden aus verschiedenen Branchen herrschte, traten bei anderen Massnahmen deutliche Interessengegensätze zutage. Besonders stark profilierte sich in der Öffentlichkeit GastroSuisse mit seinem Präsidenten Casimir Platzer, der sich im Frühjahr immer wieder mit markigen Worten gegen die Schliessung der Innenräume von Gastbetrieben und im Herbst gegen die Zertifikatspflicht in Restaurants äusserte. Diese Forderungen brachten Platzer nicht nur mit manchen Gegenstimmen aus den eigenen Reihen in Konflikt, sondern auch mit Economiesuisse und dem Schweizer Arbeitgeberverband (SAV): Die beiden Dachverbände befürworteten die Zertifikatspflicht, forderten aber vom Bundesrat verbindliche Aussagen darüber, ab welchen Impfquoten er welche Lockerungsschritte ausrufen werde. Der Gewerbeverband (SGV) gab wie der SAV und Economiesuisse bei beiden Abstimmungen über das Covid-19-Gesetz die Ja-Parole heraus, markierte aber ansonsten grössere Distanz zu den Massnahmen des Bundes.
Auch die Gewerkschafts-Dachverbände SGB und Travail.Suisse unterstützten die beiden Covid-Vorlagen. Darüber hinaus wiesen die Gewerkschaften immer wieder auf die zentrale Bedeutung der Kurzarbeit, des Erwerbsersatzes und der Unterstützungsgelder für betroffene Unternehmen hin, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu begrenzen. Mit der Argumentation, dass ein vorsichtiger Weg letztlich schneller aus der Krise führe, mahnten SGB und Travail.Suisse bei Diskussionen über Massnahmenlockerungen meist zu behutsamen Schritten. Zu ihren Hauptforderungen zählten im Weiteren die Umsetzung und Kontrolle von Schutzkonzepten am Arbeitsplatz sowie die Sicherstellung der Fürsorgepflicht der Arbeitgebenden auch im Homeoffice.

Eine strikte oder sogar absolute Beachtung individueller Freiheitsrechte und ein verhältnismässiges Vorgehen des Staats gehörten zu den Hauptforderungen mehrerer politischer Gruppierungen, die im Zuge der Proteste gegen die Covid-19-Massnahmen entstanden und in der öffentlichen Debatte teilweise starke Beachtung fanden. Zu den prominentesten dieser neuen Organisationen zählten die «Freunde der Verfassung», die im Herbst 2021 bereits über 12'000 Mitglieder zählten und die gleich bei mehreren Referenden und Initiativen eine bemerkenswerte Fähigkeit zum Sammeln von Unterschriften an den Tag legten. Weitere Organisationen, die sich zu Sprachrohren der Covid-Protestbewegung entwickelten, waren die an die jüngere Generation gerichtete Gruppierung «Mass-voll!», das «Aktionsbündnis Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik» sowie die «Freiheitstrychler». Auch wenn es zwischen diesen Organisationen bisweilen Differenzen über Inhalte und Stil gab, waren sie in ihrer Opposition gegen das Covid-19-Gesetz und gegen dessen zweite Revision geeint; sie unterlagen indessen in beiden Volksabstimmungen klar.

Aber auch unabhängig von der Pandemie machten Verbände und Organisationen im Jahr 2021 von sich reden, so beispielsweise die Operation Libero, die sich gleich zu Beginn des Jahres mit einem medienwirksamen Crowdfunding erfolgreich aus einem Engpass bei der Finanzierung ihrer Fixkosten befreite, im Oktober mit Sanija Ameti eine profilierte neue Co-Präsidentin präsentierte und kurz darauf zusammen mit den Grünen eine Volksinitiative für eine engere Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU ankündigte.

Eher gegen den eigenen Willen geriet im Herbst die Gewerkschaft Unia in die Schlagzeilen, weil der beträchtliche Umfang ihres Vermögens bekannt wurde. Die Unia musste sich in der Folge gegen verschiedene Kritikpunkte verteidigen. Die Diskussion befeuerte aber auch übergeordnete Debatten, die bereits davor am Laufen gewesen waren, namentlich jene um eine angemessene Transparenz in der Politikfinanzierung und jene um eine korrekte Abgeltung der Sozialpartner für ihre quasistaatlichen Aufgaben bei der Kontrolle der Einhaltung allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsverträge.

Auf der Seite der Arbeitgeber-Dachverbände bekannten sich Economiesuisse, der SGV und der SAV 2021 zum Ziel, in Zukunft eine stärkere und harmonischere Zusammenarbeit zugunsten der gemeinsamen Interessen zu pflegen. Das Bekenntnis ist als Neuanlauf zu werten, nachdem in den Vorjahren – etwa vor der Abstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative Ende 2020 – beträchtliche Spannungen zwischen SGV und Economiesuisse zutage getreten waren und sich die Wirtschaftsverbände bei verschiedenen Volksabstimmungen nur mit Mühe oder gar nicht hatten durchsetzen können. Dasselbe war im Jahr 2021 namentlich bei den Abstimmungen über das Freihandelsabkommen mit Indonesien und das E-ID-Gesetz der Fall.

Auch andere Verbände engagierten sich mit wechselndem Erfolg in Abstimmungskämpfen. So konnte etwa der Bauernverband nach einer von ihm angeführten Kampagne, die zu einer aussergewöhnlich starken Mobilisierung der ländlichen Bevölkerung beitrug, im Juni die Ablehnung der Trinkwasserinitiative und der Pestizidinitiative feiern. Intern gespalten war bei der Parolenfassung zur Trinkwasserinitiative der Interessenverband der biologischen Landwirtschaft BioSuisse, eine Mehrheit seiner Delegierten entschied sich schliesslich für eine Nein-Empfehlung; die Pestizidinitiative wurde von BioSuisse hingegen unterstützt. Bei der Ablehnung des CO2-Gesetzes gehörten Verbände des Autogewerbes und der Erdölindustrie, der Hauseigentümerverband und GastroSuisse zu den Siegern. Die Gewerkschaften wiederum konnten mit der Ablehnung des E-ID-Gesetzes und der Annahme der vom Berufsverband der Pflegefachleute (SBK) lancierten Pflegeinitiative Erfolge feiern; dies ist umso bemerkenswerter, als davor noch nie in der Schweizer Abstimmungsgeschichte eine gewerkschaftlich initiierte Volksinitiative an der Urne angenommen worden war. Auf ähnlich erfolgreiche Kampagnen in der Zukunft hoffen nebst der Operation Libero mit der oben erwähnten Europainitiative auch GastroSuisse mit seiner im März angekündigten Volksinitiative für «gerechte Entschädigungen» in künftigen Pandemiefällen sowie die GSoA mit ihrer Volksinitiative «Stopp F-35», welche die vom Bund geplante Beschaffung von Kampfflugzeugen des Typs F-35 unterbinden soll und für die 2021 bereits die Unterschriftensammlung begann.

Der Anteil der Verbände an der Presseberichterstattung bewegte sich 2021 auf ähnlichem Niveau wie in den beiden Vorjahren (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse 2021 im Anhang). Im Jahresverlauf nahmen Verbände zwischen September und November am meisten Raum ein (vgl. Abbildung 1). Dies hatte zum einen mit der Berichterstattung zum Unia-Vermögen und zum SBK als Initiant der Pflegeinitiative zu tun. Noch mehr trug die Kategorie «Andere Verbände» bei, von denen neben der Operation Libero und GastroSuisse vor allem Gruppierungen der Klimabewegung – unter anderem mit Protestaktionen von Extinction Rebellion und einer Klage der Klimaseniorinnen – in der Presse von sich reden machten.

Jahresrückblick 2021: Verbände
Dossier: Jahresrückblick 2021

Jahresrückblick 2021: Institutionen und Volksrechte

Der Bundesrat stand auch 2021 vor allem aufgrund seiner Entscheide im Rahmen der Covid-19-Pandemie im Fokus – wobei er je nach Verlauf der Fallzahlen dafür kritisiert wurde, mit zu viel Macht ausgestattet zu sein und zu viele Massnahmen zu ergreifen, oder aber dafür, in Anbetracht der Lage zu wenig zu tun. Die über 60 Prozent Ja-Stimmen bei beiden Covid-Referenden (im Juni und im November) können freilich auch als ziemlich breite Unterstützung der bundesrätlichen Massnahmen-Politik interpretiert werden. Covid-19 bzw. vielmehr das Argument, dass gerade die Pandemie zeige, wie stark die Arbeitsbelastung der sieben Mitglieder der Landesregierung zunehme, stand Pate für die Forderung nach einer Erhöhung der Zahl der Bundesratsmitglieder auf neun – eine Forderung, die seit 1848 schon zwölf Mal gescheitert war. Zwar stiess die Idee in der Wintersession im Nationalrat auf offene Ohren, das Anliegen wird aber im nächsten Jahr im Ständerat wohl auf mehr Widerstand stossen – die SPK-SR hatte sich bereits im Juni dagegen ausgesprochen. Als Institution war die Regierung ansonsten im Vergleich zu früheren Jahren seltener Gegenstand der medialen Berichterstattung. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass im Berichtsjahr für einmal vergleichsweise selten über mögliche Rücktritte von Magistratinnen und Magistraten spekuliert wurde. Seit nunmehr drei Jahren ist die Zusammensetzung der Exekutive unverändert.

Auch für die Mitarbeitenden der Bundesverwaltung wird Covid-19 Folgen haben. Aufgrund der Erfahrungen, die beim Lockdown gemacht worden waren, forderten mehrere Vorstösse, dass der Bund mittels dezentralisierter und digitalisierter Arbeitsplätze im Sinne von Homeoffice nachhaltiges Arbeiten ermöglichen soll. Beide Räte hiessen eine entsprechende Motion gut und rannten damit beim Bundesrat offene Türen ein. Nicht einig waren sich die Räte hingegen bei der Frage, ob für die obersten Kader der sieben grossen Bundesunternehmen ein Lohndeckel gesetzlich festgeschrieben werden soll. Der Ständerat lehnte die Forderung, die auf eine parlamentarische Initiative aus dem Jahr 2016 zurückgeht, ab, der Nationalrat wollte auch in der Wintersession weiter an ihr festhalten.

Auch im Parlament war Covid-19 nach wie vor Thema Nummer 1. Nicht nur war das Virus Gegenstand zahlreicher inhaltlicher Debatten, sondern es zwang auch im Bundeshaus zu unterschiedlichen Verhaltensmassnahmen: Zwar konnten im Gegensatz zu 2020 alle Sessionen im Bundeshaus stattfinden, allerdings mussten auch im Parlament je nach Pandemiesituation die Masken- oder Zertifikatspflicht eingehalten werden. Zudem sollten Plexiglasscheiben an den Plätzen in den Ratssälen zusätzlichen Schutz vor dem Virus gewähren. Auch unter Pandemie-bedingt erschwerten Arbeitsbedingungen wurden Beschlüsse gefasst, die den Parlamentsbetrieb wohl nachhaltig verändern werden: So einigten sich beide Kammern auf ein neues Differenzbereinigungsverfahren bei Motionen. Nicht zuletzt sollen im Ständerat künftig sämtliche Abstimmungsresultate veröffentlicht werden. Nach 20-jähriger Opposition und nicht weniger als acht gescheiterten Vorstössen wird also auch die «Dunkelkammer Ständerat», wie Thomas Minder (parteilos, SH) sie nach der 2014 eingeführten elektronischen Abstimmung bei Gesamt- und Schlussabstimmungen bezeichnet hatte, vollständig ausgeleuchtet. Ob dies nun zu einem «Transparenzexzess» und einer Änderung der Diskussionskultur in der «Chambre de réflexion» führen wird, wie dies die ablehnende Minderheit befürchtete, wird sich weisen.

Das Verhältnis zwischen Legislative und Judikative war im vergangenen Jahr aus zwei gewichtigen Gründen Gegenstand von Diskussionen. Auf der einen Seite führten die im November an der Urne mit 31.9 Prozent Ja-Stimmenanteil recht deutlich abgelehnte Justizinitiative sowie der im Parlament verworfene Gegenvorschlag zur Frage, ob die Wahl von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern durch das Parlament die Unabhängigkeit der dritten Gewalt beeinträchtige. Auf der anderen Seite zeigten die Schwierigkeiten mit der Besetzung der Bundesanwaltschaft – gleich dreimal musste die Stelle ausgeschrieben werden, bis in der Herbstsession ein neuer Bundesanwalt gewählt werden konnte – und die vorgängigen Diskussionen um die Erhöhung der Alterslimite in der höchsten Strafbehörde, wie schwierig es für das Parlament ist, bei der Besetzung von Gerichtsstellen ideologische Gesichtspunkte der Sachpolitik unterzuordnen – so die Kommentare in einigen Medien.

Auch das Funktionieren der direkten Demokratie war 2021 Gegenstand politischer Diskussionen. Das Parlament hiess einen Gegenvorschlag zur Transparenzinitiative gut, der teilweise weiter geht, als von den Initiantinnen und Initianten verlangt. Das Initiativkomitee zog in der Folge sein Begehren zurück. Mit der Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte müssen Parteien ab dem Herbst 2022 ihre Budgets und insbesondere Spenden über CHF 15'000 offenlegen und auch Komitees von Wahl- und Abstimmungskampagnen, die mehr als CHF 50'000 aufwenden, haben ihre Finanzeinkünfte auszuweisen.
Vom Tisch ist hingegen die Möglichkeit, Staatsverträge dem obligatorischen Referendum zu unterstellen. Der Ständerat hatte sich zwar für diesen Ausbau der direkten Demokratie eingesetzt, der Nationalrat wollte aber definitiv nichts davon wissen. Noch hängig ist hingegen ein Entscheid, mit dem allenfalls ein Ausbau partizipativer Elemente im politischen System der Schweiz umgesetzt würde. Noch 2020 hatte sich der Nationalrat dafür ausgesprochen, einer parlamentarischen Initiative, mit der die Einführung des Stimmrechtsalters 16 gefordert wird, Folge zu geben. Auch die SPK-SR konnte sich für den Vorstoss erwärmen. Allerdings machte die SPK-NR im November mit Verweis auf einige kantonale Abstimmungen, bei der die Senkung des Stimm- und Wahlrechtsalters auf grosse Skepsis gestossen war, einen medial stark beachteten Rückzieher – dieses Anliegen wird wohl zukünftig noch zu reden geben. Viel zu reden und zu schreiben gab im Berichtsjahr zudem ein Jubiläum, das auch als Zeugnis dafür gelesen werden kann, dass die direkte Demokratie strukturelle Minderheiten ausserhalb des Entscheidsystems tendenziell benachteiligt: 1971 – also vor 50 Jahren – war das Frauenstimm- und -wahlrecht eingeführt worden – allerdings erst im zweiten Versuch und sehr lange nach den meisten anderen demokratischen Staaten.

Im Gegensatz zum Vorjahr, als eine Volksabstimmung hatte verschoben und verschiedene Fristen hatten verlängert werden müssen, hatte die Pandemie 2021 keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren der direkten Demokratie. Ganz ohne Covid-19 ging es aber auch 2021 nicht: Die Schweizer Stimmbevölkerung war dabei die einzige weltweit, die – wie eingangs erwähnt – zweimal an die Urne gerufen wurde, um über denjenigen Teil der Massnahmen zu befinden, der von Bundesrat und Parlament in ein separates Gesetz gegossen worden war. Zwar wurde die Kampagne insbesondere zur zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes teilweise sehr emotional geführt, im Anschluss an den Urnengang legten sich die Emotionen aber zumindest gegen aussen wieder etwas. Die nicht nur beim zweiten Covid-Referendum, sondern auch bei der Kampagne zum CO2-Gesetz, der Trinkwasser- und der Pestizidinitiative aussergewöhnlich hart geführten Auseinandersetzungen dürften mit ein Grund sein, weshalb die direkte Demokratie mehr Medienaufmerksamkeit generierte als in den beiden Jahren zuvor.

Jahresrückblick 2021: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Jahresrückblick 2021

Vor rund 6 Jahren war im Parlament der letzte Vorstoss abgelehnt worden, der Massnahmen gegen die zunehmende Arbeitsbelastung im Parlament aufgrund der wachsenden Zahl an Vorstössen gefordert hatte. «Wehret der Vorstossflut» war das entsprechende Postulat sinnigerweise überschrieben worden. Im Vergleich zu 2016 (2'115) hatte die Zahl neuer Geschäfte im Jahr 2021 allerdings noch einmal um mehr als die Hälfte zugenommen. Insgesamt wurden in diesem Jahr nicht weniger als 3'332 neue Ideen in den Entscheidungsprozess eingespeist – seit 1848 war diese Zahl noch nie so hoch gewesen.

Freilich wird bzw. wurde lediglich ein kleiner Teil dieser Projekte auch tatsächlich zu einer Arbeitsbelastung für die Parlamentsmitglieder. Bei weit mehr als der Hälfte der 2021 neu vorgelegten Projekte handelte es sich nämlich um Anfragen (94), Fragen (1'254) und Interpellationen (902) – noch nie in der Geschichte des Bundesstaates wollten Parlamentsmitglieder derart viele Auskünfte von der Exekutive erhalten wie 2021. Arbeit wurde damit aber insbesondere für die Bundesverwaltung verursacht, die in der Regel verantwortlich ist für die Beantwortung dieser Vorstösse.
Für das Parlament mehr zu tun geben werden die überdurchschnittlich vielen neu eingereichten Postulate (240; Mittel zwischen 2000 und 2021: 193), Motionen (528; Mittel: 416) und parlamentarischen Initiativen (133; Mittel: 100). Im Gegensatz zu den Postulaten (2020: 240) und Motionen (2020: 601) hatte die Zahl der parlamentarischen Initiativen (2020: 107) dabei 2021 wieder zugenommen.
Die Vorstossaktivität der Kantone hatte 2021 im Vergleich zum Vorjahr wieder abgenommen – 24 im Jahr 2021 neu eingereichte Standesinitiativen im Vergleich zu 45 im Jahr 2020 –, die Zahl an Petitionen schnellte aber wieder in die Höhe (2020: 29; 2021: 53); dies dürfte auch dem Umstand geschuldet sein, dass es in der ersten Phase der Covid-Pandemie wesentlich schwieriger war, Unterschriften zu sammeln. Freilich dürften auch Standesinitiativen und Petitionen für das Parlament weniger Arbeit verursachen als die 72 Geschäfte des Bundesrats, die allerdings in ihrer Zahl unter dem langjährigen Durchschnitt lagen (2000-2021: 82 BRG). 2021 wurden zudem 32 neue Parlamentsgeschäfte zur Entscheidung unterbreitet. Dabei handelt es sich in der Regel um Wahlgeschäfte, die grösstenteils im gleichen Jahr erledigt werden.

Bei der Diskussion um die «Vorstossflut» geht in der Regel ein wenig vergessen, dass Verwaltung und Parlament nach wie vor gut in der Lage scheinen, die Pendenzenberge gleich wieder abzutragen. 2021 wurden nämlich von der Verwaltung 100 Anfragen, 1'253 Fragen und 921 Interpellationen beantwortet bzw. zumindest teilweise im Parlament behandelt – auch die Zahl der erledigten Fragen und Interpellationen entsprach einem neuen Rekord. Dies galt auch für die Anzahl von 298 erledigten Postulaten und auch die Zahlen der erledigten Motionen (647; Schnitt von 2000 bis 2021: 383) und der erledigten parlamentarischen Initiativen (137; Schnitt: 94) lagen weit über dem langjährigen Durchschnitt.

Auch hier muss freilich eingewendet werden, dass nicht sämtliche erledigten Postulate und Motionen vom Parlament behandelt worden waren. Zahlreiche Vorstösse erledigen sich sozusagen von selber, weil sie aufgrund der sogenannten «Guillotine-Klausel» verschwinden: Art. 119 Absatz 5 des Parlamentsgesetzes sieht nämlich vor, dass ein Vorstoss ohne Ratsbeschluss abgeschrieben wird, wenn er zwei Jahre seit Einreichung noch immer nicht behandelt worden ist. 2021 ereilte dieses Schicksal 171 der 647 erledigten Motionen (26.4%) und 57 der 298 erledigten Postulate (19.1%). Interessanterweise zeigt die Betrachtung der Anteile unbehandelt abgeschriebener Motionen und Postulate aber keinen linear ansteigenden Trend. Es ist also nicht so, wie vermutet werden könnte, dass mit der immer stärker wachsenden Zahl an Vorstössen auch immer mehr neue Ideen einfach der Guillotine-Klausel zum Opfer fallen. Die Quote an Vorstössen, die im Jahr 2021 der Guillotine-Klausel unterlag, kam gar noch unter dem langjährigen Schnitt von 2000 bis 2021 zu liegen (Motion: 30.0%; Postulat: 22.9%). Es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass bei zunehmender Zahl an unbehandelten Vorstössen einst auch Forderungen von Parlamentsmitgliedern lauter werden könnten, die sich in ihrem zentralen Vorstossrecht eingeschränkt fühlten, wenn immer mehr Projekte schlicht versandeten.

Motionen und Postulate werden aber nicht nur abgeschrieben, sondern auch zurückgezogen – 2021 war dies der Fall bei 86 Motionen (13.3%) und 19 Postulaten (6.4%). Effektiv beraten wurden vom Parlament 2021 also total 390 Motionen, wovon der Erstrat 80 und der Zweitrat 124 ablehnte. 186 der 647 erledigten Motionen wurden also als Auftrag an den Bundesrat überwiesen (28.7% aller erledigten bzw. 47.7% aller beratenen Motionen). Bei den total 222 beratenen Postulaten beträgt diese Erfolgsrate 58.4 Prozent (174 angenommene von 298 erledigten Postulaten) bzw. 78.4 Prozent, wenn lediglich die 222 beratenen Postulate betrachtet werden – sowohl bei den Motionen als auch bei den Postulaten waren die Erfolgsquoten damit 2021 überdurchschnittlich hoch.

Leicht unterdurchschnittlich war 2021 die Zahl erledigter Bundesratsgeschäfte (2021: 77; Schnitt 2022-2021: 82) und Petitionen (2021: 26; Schnitt: 29). Die im langjährigen Vergleich höchste Zahl erledigter Standesinitiativen (2021: 39; Schnitt: 20) ist dem Umstand geschuldet, dass im Vorjahr eine rekordhohe Zahl von 45 Kantonsvorstössen eingereicht worden war.

Arbeitsbelastung 2021
Dossier: Geschäftsstatistik der Bundesversammlung

Wie viel kostet ein Bericht, der aufgrund eines angenommenen Postulats geschrieben werden muss? Diese Frage trieb Marcel Dobler (fdp, SG) bei der Einreichung seiner Motion für Kostentransparenz bei Erfüllung von Postulaten um. Postulate würden angenommen, obwohl häufig nicht klar sei, ob ein Bericht dann auch tatsächlich Mehrwert schaffe. Deshalb sei es wichtig, dass der Bundesrat künftig bei seiner Stellungnahme zu einem Postulat eine Schätzung abgebe, wie teuer ein Bericht werde und dann bei der Veröffentlichung des Berichts aufgrund eines angenommenen Postulats auch die tatsächlichen Kosten ausweise. Der Bundesrat lehnte zwar den ersten Punkt der Motion ab, weil eine Schätzung schwierig sei und Kosten auch für abgelehnte Postulate entstehen würden. Zudem sollten sich Parlamentsmitglieder nicht an den Kosten, sondern am Inhalt einer Forderung orientieren, wenn sie einen Vorstoss überwiesen. Im Sinne einer besseren Kostentransparenz beantragte er aber die Annahme des zweiten Punkts. Entsprechend leitete der Nationalrat in der Wintersession 2021 die verkürzte Motion diskussionslos an den Ständerat weiter.

Kostentransparenz bei Erfüllung von Postulaten (Mo. 21.4327)
Dossier: Massnahmen gegen zu viele parlamentarische Vorstösse

In der Wintersession entschied sich eine für die kleine Kammer relativ knappe Mehrheit von 23 zu 18 Stimmen, auf die Vorlage zur Änderung des Geschäftsreglements des Ständerats einzutreten, mit der neu bei allen Abstimmungen auch im Ständerat Namenslisten veröffentlicht werden sollen – also nicht nur bei Gesamt- und Schlussabstimmungen, sondern bei allen Abstimmungen, die mit der 2014 eingeführten elektronischen Anlage getätigt werden. Für die SPK-SR, die den Entwurf mit 7 zu 6 Stimmen zur Annahme empfahl, sprach Thomas Minder (parteilos, TG), der Urheber der parlamentarischen Initiative, auf die der Entwurf zurückging: Die Befürchtung der Minderheit, dass sich die Debattenkultur mit Veröffentlichung der Abstimmungsresultate verschlechtere, könne er nicht nachvollziehen. Ganz im Gegenteil habe sie sich seit Einführung der Abstimmungsanlage sogar verbessert. Freilich gebe es in den Medien verbreitete Ratings und Auswertungen zum Abstimmungsverhalten. Die würden aber mit dem Einbezug von Detailabstimmungen zusätzlich «die Hunderte von spannenden Positionsbezügen, mit denen wir aufeinander zugehen, Differenzen zwischen den Räten abbauen, abseits der Parteilinie abstimmen», berücksichtigen und so eine wesentlich breitere Datengrundlage liefern.
Die Minderheit, die gegen Eintreten votierte, wurde von Daniel Jositsch (sp, ZH) vertreten. Es sei schwierig gegen die Vorlage und damit gegen die «Transparenz-Hysterie» anzutreten. Er befürchte aber, dass das Wesentliche, was den Ständerat vom Nationalrat unterscheide, durch die Neuregelung verloren ginge: die Debatte, von der die Abstimmungsresultate lediglich Resultat seien. Er habe überhaupt keine Probleme mit Ratings, wenn aber auch der Ständerat nur noch Abstimmungen für Ratings produziere, müssten sich Journalistinnen und Journalisten nicht mehr die Mühe machen, zu recherchieren, wie ein Resultat genau zustande gekommen sei und welche Argumente vorgebracht wurden. Er befürchte darüber hinaus, dass bald auch die Forderung nach Transparenz von Kommissionssitzungen kommen werde.
Die in der Folge vorgebrachten Meinungen verliefen nicht entlang der Fraktionsgrenzen. So sprach sich etwa Jositschs Fraktionskollege Hans Stöckli (sp, BE) für ein konsequentes Öffentlichkeitsprinzip aus und Lisa Mazzone (gp, GE) gab zu bedenken, dass vor allem den Bürgerinnen und Bürgern ein Dienst erwiesen werde, wenn ihnen Informationen einfacher zur Verfügung gestellt würden. Auf der anderen Seite warb Daniel Fässler (mitte, AI) mit dem Argument gegen Eintreten, dass parteitreues Abstimmen wohl zunehmen werde und man sein Abstimmungsverhalten gegenüber der eigenen Partei, dem Kanton, den Medien wesentlich häufiger rechtfertigen müsse. Auch Alex Kuprecht (svp, SZ) bedauerte, dass der «Ständerat immer nationalrätlicher geworden» sei, und befand, dass die Resistenz gegen den zunehmenden Druck der eigenen Partei nicht mehr so stark sei wie früher. Wichtig sei der Bevölkerung zudem nicht, wie man bei Detailfragen abstimme, sondern wie man zum gesamten Gesetz stehe, weshalb es die Veröffentlichung von Detailabstimmungen auch nicht brauche. Pointiert äusserte sich zum Schluss Roberto Zanetti (sp, SO): Er hätte wohl früher für Nichteintreten gestimmt, weil aber «aus der Chambre de Réflexion (...) eine Chambre der reflexartigen Vertretung der Einzelinteressen (...) und die Rumpelkammer der Steuerumgehung und Steueroptimierung geworden» sei, wolle auch er genauer nachverfolgen können, wer im Detail wie stimme.
Nachdem Eintreten beschlossen worden war, sprach sich auch eine 28 zu 14-Mehrheit für die Vorlage aus. Deutlicher war dann die Schlussabstimmung, bei der die Vorlage mit 32 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen gutgeheissen wurde. Die Gegenstimmen stammten erneut aus allen Fraktionen. Damit werden auch im Ständerat künftig sämtliche elektronisch erfassten Abstimmungsresultate veröffentlicht.

Öffentliche Abstimmungen im Ständerat (Pa.Iv. 19.498)
Dossier: Öffentliche Abstimmungen im Ständerat

Nachdem der Nationalrat entgegen der Mehrheit seiner APK-NR der parlamentarischen Initiative von Jacques Nicolet (svp, VD) Folge gegeben hatte, musste sich auch der Ständerat zur Idee einer Stärkung der demokratischen Rolle des Parlamentes bei Handelsabkommen äussern. Auch die APK-SR empfahl mit 5 zu 3 Stimmen (2 Enthaltungen), dem Anliegen keine Folge zu geben. Es gebe für das Parlament genügend Mitwirkungsmöglichkeiten in der internationalen Handelspolitik der Schweiz und ein stärkeres Einmischen würde den nötigen Verhandlungsspielraum für den Bundesrat zu stark beschränken, argumentierte die Kommissionsmehrheit im Rat, vertreten durch Andrea Gmür-Schönenberger (mitte, LU). Die Minderheit hingegen befürwortete die Schaffung gesetzlicher Grundlagen, um der Aushandlung von Handelsabkommen Leitplanken zu geben. Die kleine Kammer folgte der Kommissionsmehrheit und versenkte den Vorstoss ohne Diskussion.

Stärkung der demokratischen Rolle des Parlamentes bei Handelsabkommen (Pa.Iv. 19.477)

Nachdem die grosse Kammer der parlamentarischen Initiative von Sidney Kamerzin (mitte, VS) Folge gegeben hatte, musste sich das Büro-SR ein weiteres Mal über das Anliegen für ein papierloses Parlament beugen. Zum zweiten Mal empfahl es den Vorstoss zur Ablehnung. Die Möglichkeit, alle Unterlagen elektronisch zu erhalten, bestehe bereits heute, wovon allerdings erst 29 Mitglieder des Nationalrats und 7 des Ständerats Gebrauch machten. Ein Grund für diese geringe Anzahl seien die noch bestehenden Nachteile. Dabei sei nicht nur an die «E-Mailflut» zu denken, sondern an die Schwierigkeit, auf alle Unterlagen zugreifen zu können, so der Bericht des Büros. Dies sei erst ab 2023 mit «CuriaPlus» möglich. Mit dieser sich im Aufbau befindlichen Plattform seien alle Kommissions- und Ratsinformationen zu einem Geschäft zentral erhältlich, durchsuch- und bearbeitbar. CuriaPlus werde eine papierlose parlamentarische Arbeit ohne Zusatzaufwand ermöglichen.
In der ständerätlichen Ratsdebatte machte sich Ruedi Noser (fdp, ZH) für die Unterstützung des nationalrätlichen Beschlusses und für Folgegeben stark. Angelehnt an die Argumente des Büro-SR würde er bei der Ausarbeitung der parlamentarischen Initiative durch das Büro-NR empfehlen, dass nicht ein Verbot von Papier verlangt wird, sondern dass das Prinzip «digital first» eingeführt werde. Anders als heute würden die Unterlagen also nicht automatisch in Papierform verteilt («Papier first»), sondern wer dies wolle, müsse Papier nachfragen. Zudem würde er empfehlen, die Initiative auf die neue Legislatur hin umzusetzen, wenn auch die neue digitale Infrastruktur zur Verfügung stehen werde. Zwar fand Noser in Hans Wicki (fdp, NW), Matthias Michel (fdp, ZG) und Lisa Mazzone (gp, GE) Unterstützung – alle drei brachten in ihren Voten zum Ausdruck, mithelfen zu wollen, weniger Papier zu produzieren. Die Mehrheit des Ständerats wollte der Initiative aber mit 25 zu 15 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) keine Folge geben. Hauptargumente – vorgebracht von Werner Salzmann (svp, BE) und Alex Kuprecht (svp, SZ) – waren ebenfalls, dass CuriaPlus bereits im Entstehen sei und dass eine raschere Umsetzung auch mit Folgegeben der Initiative wohl kaum möglich wäre.

Papierloses Parlament (Pa.Iv. 20.442)

Die grossen Dachverbände der Arbeitgebenden und der Gewerkschaften sowie zahlreiche Branchenverbände bezogen zu verschiedenen Zeitpunkten im Jahr 2021 Position zur Pandemiepolitik der Behörden und stellten Forderungen dazu auf. Während Arbeitgebendenverbände aus verschiedenen Branchen wie auch die Gewerkschaften sich in ihrer Unterstützung für Hilfsgelder und Kurzarbeit im Grossen und Ganzen einig waren, traten bei anderen Massnahmen deutliche Interessengegensätze zutage.

Die Gewerkschafts-Dachverbände SGB und Travail.Suisse unterstützten die beiden Covid-Vorlagen in den Abstimmungen vom Juni und November 2021. Auch darüber hinaus wiesen die Gewerkschaften immer wieder auf die zentrale Bedeutung der Kurzarbeit, des Erwerbsersatzes und der Unterstützungsgelder für betroffene Unternehmen hin, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu begrenzen; Travail.Suisse forderte überdies die Verlängerung dieser Massnahmen, bis die Wirtschaft das Niveau vor März 2020 wieder erreicht hat. Bei Diskussionen über Massnahmenlockerungen mahnten SGB und Travail.Suisse meist zu behutsamen Schritten, denn ein vorsichtiger Weg führe letztlich schneller aus der Krise. Zu ihren Hauptforderungen zählten im Weiteren die Umsetzung und Kontrolle von Schutzkonzepten am Arbeitsplatz sowie die Sicherstellung der Fürsorgepflicht der Arbeitgebenden auch im Homeoffice. Der SGB wies darauf hin, dass es als Folge der Pandemie zu einer Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse etwa bei Kurierdiensten oder im Onlinehandel gekommen sei, was die Notwendigkeit von Gesamtarbeitsverträgen für diese Branchen verstärke. Travail.Suisse setzte sich zudem für eine Beibehaltung der öffentlichen Finanzierung der Testkosten ein und erklärte sich mit der Zertifikatspflicht im Grundsatz einverstanden, warnte aber vor deren Anwendung am Arbeitsplatz.

Besonders stark profilierte sich der Arbeitgebendenverband des Gastgewerbes, GastroSuisse, mit seinem Präsidenten Casimir Platzer, in der Öffentlichkeit. Platzer äusserte sich im Frühjahr immer wieder mit markigen Worten gegen die Schliessung der Innenräume von Gastbetrieben und sprach von einer drohenden «Zerstörung der Branche». Die Öffnung der Innenräume kam schliesslich im Rahmen eines Lockerungspakets per Anfang Juni, freilich mit gewissen Einschränkungen – etwa einer Sitzpflicht und einer Begrenzung auf vier Personen pro Tisch. Vor der Abstimmung vom 13. Juni sprach sich GastroSuisse für ein Ja zum Covid-19-Gesetz aus, das unter anderem die gesetzliche Grundlage für die Härtefallgelder an die Gastrobranche enthielt. Auch wenn Platzer in diesem Abstimmungskampf auf derselben Seite stand wie der Bundesrat, wiederholte er in einem Interview mit der BZ im selben Monat eine Aussage, die er schon im Vorjahr gemacht hatte: Er bewerte die Coronapolitik des Bundesrats weiterhin mit der Note «ungenügend». Seit Ende 2020 machten die Behörden «Panik mit diesen Varianten und Mutanten», was aus Platzers Sicht übertrieben sei, die bis Ende Mai 2021 anhaltenden Einschränkungen der Wirtschaft seien nicht gerechtfertigt. Zudem flössen die Hilfsgelder an die Gastrobetriebe unregelmässig und langsam; damit dies bei einer künftigen Pandemie rascher gehe, hatte GastroSuisse bereits im März eine Volksinitiative angekündigt.
Nach den Sommerferien opponierte GastroSuisse dann scharf, aber vergeblich, gegen die Pläne des Bundesrats zur Ausweitung der Zertifikatspflicht auf die Innenräume von Gastrobetrieben. Weil Ungeimpfte nicht bereit sein dürften, sich für jeden Restaurantbesuch testen zu lassen, befürchtete GastroSuisse – unter anderem gestützt auf eine Umfrage unter seinen Mitgliedern – massive Umsatzeinbussen insbesondere bei Betrieben auf dem Land, wo die Impfquote geringer war als in der Stadt. GastroSuisse-Präsident Platzer sprach in dem Zusammenhang davon, dass der Bundesrat die Impfquote auf dem Buckel des Gastgewerbes steigern wolle; zumindest müsse der Bund die zusätzlichen Umsatzverluste durch Hilfsgelder entschädigen.
In der Folge äusserten nicht nur Medien öffentliche Kritik an Platzer – der Blick nannte ihn etwa «den Dauerempörten», für den «immer die Beizer die Opfer sind» –, sondern vermehrt auch Stimmen aus der Branche selbst. Dazu zählten etwa die Direktorin der Hotelfachschule Luzern Christa Augsburger, der langjährige Präsident des Zürcher Wirteverbands Ernst Bachmann und Präsidenten weiterer Kantonalverbände. Sie machten geltend, dass es auch im Sinn des Gastgewerbes sei, wenn die Zertifikatspflicht zu einer Reduktion der Fallzahlen führe; andernfalls drohe mit einem erneuten Lockdown ein weit schlimmeres Szenario. Ausserdem bedeute das «ewige Gejammer» einen Imageschaden für die Branche. Die Energie solle besser auf den Einsatz für angemessene Hilfsgelder konzentriert werden. Mit Blick auf die Abstimmung über die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes im November, bei der sich die Diskussion vor allem um das Zertifikat drehte, beschloss GastroSuisse dann Stimmfreigabe. Hotelleriesuisse und der Schweizer Tourismusverband unterstützten die Vorlage hingegen, auch weil eine Zertifikatspflicht vielen Gästen – gerade auch aus dem Ausland – Sicherheit gebe.

Manche dieser Forderungen von GastroSuisse waren nicht nur intern umstritten, sondern wurden auch von den grossen Dachverbänden Economiesuisse und Schweizer Arbeitgeberverband (SAV) nicht geteilt. Zu Dissonanzen führte zunächst, dass die beiden Dachverbände im Februar einen Vorschlag für eine stufenweise Lockerung des Lockdowns vorlegten, der die Öffnung der Restaurants erst relativ spät, nach Impfung aller Risikopersonen, ansetzte. Economiesuisse begründete dies damit, dass man mit dem Plan ein «ausgewogenes» Konzept habe vorlegen wollen, «mit dem alle Planungssicherheit gewinnen». Ein erneuter Konflikt mit GastroSuisse entbrannte, als sich Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder im August für eine Zertifikatspflicht auch in Gastbetrieben aussprach. GastroSuisse und Hotelleriesuisse zeigten sich irritiert darüber, dass sie als direkt betroffene Branchenverbände von Economiesuisse vorgängig nicht einmal konsultiert worden seien.
Im Allgemeinen gaben sich Economiesuisse und SAV in ihren Positionen zur Pandemiepolitik vergleichsweise staatstragend und versuchten insbesondere auf mehr Planungssicherheit hinzuwirken. Zumindest in ihren öffentlich vorgetragenen Forderungen war ein gewisses Bestreben zu erkennen, auf Maximalforderungen zugunsten kurzfristiger Wirtschaftsinteressen zu verzichten und vielmehr eine nachhaltige, letztlich auch im Interesse der Wirtschaft liegende Pandemiebewältigung zu unterstützen. Im April handelten sich die beiden Verbände allerdings heftige Kritik ein, als sie davon sprachen, dass bis zu 30'000 Covid-19-Neuinfektionen pro Tag «verkraftbar» seien, sobald die Risikopersonen geimpft seien. Sie mussten diese Aussage in der Folge relativieren, hielten aber daran fest, dass sich die Massnahmen nach einer Impfung breiterer Bevölkerungsgruppen weniger an den Ansteckungszahlen und mehr an den Hospitalisationszahlen orientieren sollten. Ebenfalls im April forderten Economiesuisse und SAV eine Öffnung der Restaurantterrassen und die Umwandlung der Homeoffice-Pflicht in eine Empfehlung. Im Herbst befürworteten die beiden Dachverbände die Zertifikatspflicht, um drastischere Einschränkungen zu vermeiden, und vertraten diese Haltung auch im Abstimmungskampf über die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes. Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder argumentierte in einem Gastbeitrag in der NZZ, das Zertifikat helfe «ein Stück Normalität im Alltag» zu ermöglichen und weitere Lockdowns zu vermeiden. Ausserdem erleichtere es den internationalen Reiseverkehr, was gerade für Geschäftsreisen wichtig sei. Ein Wunsch nach Planungssicherheit war auch in der Forderung von Economiesuisse und SAV vom Herbst zu erkennen, dass der Bund verbindlich erklären solle, ab welchen Impfquoten er einen Ausstieg aus den Massnahmen beschliessen werde. Der Bundesrat lehnte einen solchen Automatismus indessen ab, da die Entwicklung der Pandemie zu unberechenbar sei.

Der Gewerbeverband (SGV) gab wie der SAV und Economiesuisse bei beiden Abstimmungen über das Covid-19-Gesetz die Ja-Parole heraus, markierte aber ansonsten grössere Distanz zu den Massnahmen des Bundes. So forderte er etwa bereits im April eine sofortige Öffnung aller damals aufgrund der zweiten Pandemiewelle geschlossenen Wirtschaftszweige. Als der Bundesrat Ende Juni die Homeoffice-Pflicht und das Testregime für Unternehmen aufhob, begrüsste der SGV dies, forderte aber weitergehende Schritte: So sollten etwa auch die Einschränkungen für Gruppengrössen in Restaurants und – von deutlich grösserer Tragweite – die besondere Lage gemäss Epidemiengesetz aufgehoben werden. Die «Sonderrechte», welche die besondere Lage dem Bundesrat verschaffe, drohten gemäss SGV «die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten ins Unermessliche steigen» zu lassen. Der SGV drang mit dieser Forderung indessen nicht durch; wie die NZZ zu bedenken gab, hätte eine Aufhebung der besonderen Lage zur Folge, dass Massnahmen wie etwa die Maskenpflicht im ÖV oder Vorgaben für Veranstaltungen dann wieder den Kantonen obliegen würden, womit ein Flickenteppich uneinheitlicher Massnahmen drohen würde.

Arbeitgebendenverbände und Gewerkschaften zu Corona-Massnahmen

Im November 2021 entschied das Bundesgericht, dass auch während der Covid-19-Pandemie Ferien- und Feiertagsentschädigungen in die Berechnung von Kurzarbeitsentschädigungen einfliessen müssen. Eine Restaurantbetreiberin hatte im März 2020 Kurzarbeitsentschädigungen aufgrund eines Covid-19-bedingten Umsatzrückgangs beantragt, bei denen aber die Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern Feiertags- und Ferienentschädigungen nicht anrechnen wollte. Dies sei während des summarischen Abrechnungsverfahrens aufgrund der Formulierung der entsprechenden Covid-19-Verordnung nicht erlaubt, argumentierte die Kasse. Im Oktober 2020 hiess das Luzerner Kantonsgericht die gegen diesen Entscheid eingereichte Beschwerde gut, woraufhin die Arbeitslosenkassen den Fall an das Bundesgericht weiterzog. Dabei stellte auch das SECO Rechtsbegehren auf Aufhebung dieses Urteils. Das Bundesgericht urteilte, dass keine hinreichende Regelung auf Gesetzes- oder Verordnungsstufe für eine Nichtberücksichtigung der Ferien oder Feiertage vorliege und diese folglich mindestens «in pauschalisierter Form» angerechnet werden müssten.

Bundesgerichtsurteil zur Bemessung der Kurzarbeitsentschädigungen bei Personen im Monatslohn

Mitte November 2021 legte die SPK-SR ihren Vorschlag für eine Änderung des Geschäftsreglements des Ständerats vor. Fortan sollen sämtliche Abstimmungen im Ständerat veröffentlicht werden und nicht bloss Gesamt- und Schlussabstimmungen bzw. Abstimmungen mit qualifiziertem Mehr und Abstimmungen, bei denen von mindestens zehn Ratsmitgliedern eine Veröffentlichung beantragt wird. Die auf eine parlamentarische Initiative von Thomas Minder (parteilos, SH) zurückgehende Änderung sei sinnvoll, weil das Abstimmungsverhalten auch bei allen anderen Abstimmungen in den Video-Übertragungen der Ratsdebatten sowieso nachvollziehbar sei, begründete die SPK-SR ihren Vorschlag in ihrem Bericht. Die Anpassung an den Nationalrat – dieser veröffentlicht seit 2007 alle individuellen Abstimmungsentscheide – sei aber auch sachlich und politisch bedeutend, weil nicht nur Schluss- und Gesamtabstimmungen, sondern eben auch Abstimmungen während der Detailberatung eines Gesetzesbeschlusses Transparenz verdienten. Die seit 2014 geltende Regelung zur Veröffentlichung ausgewählter Abstimmungen habe zudem an «der spezifischen Diskussions- und Entscheidungskultur des Ständerats» nichts geändert. Nicht zuletzt würde die umfassende Transparenz auch einer Empfehlung der GRECO gerecht, die nach der Ablehnung eines ähnlichen Vorstosses 2017 an den Ständerat gerichtet worden war.

Ob es künftig öffentliche Abstimmungen im Ständerat geben wird, ist aber alles andere als sicher, entschied doch lediglich eine knappe Kommissionsmehrheit mit 7 zu 6 Stimmen, den Entwurf dem Rat zu unterbreiten. Die starke Kommissionsminderheit sah hingegen keinen Nutzen in der Bekanntmachung des Abstimmungsverhaltens und warnte vor einem «Transparenzexzess». Die Ermittlung der Namen aufgrund der Videoübertragung der Ratsdebatten – etwa indem die Abstimmungsresultate auf der elektronischen Abstimmungstafel, die im Ständerat seit 2014 in Betrieb ist, betrachtet und übertragen würden – sei zwar mit Aufwand verbunden, reiche aber aus, wenn jemand bei spezifischen Geschäften Wissen über das Abstimmungsverhalten benötige. Die Veröffentlichung der Namenslisten aller Abstimmungen würde hingegen nur der «Vermessung» der Ständerätinnen und Ständeräte dienen, die aber lediglich schematisch sei, mit der aber die Gründe des individuellen Abstimmungsverhaltens nicht nachvollziehbar seien. Die «parteiübergreifende Kompromisssuche», welche heute die kleine Kammer präge, könnte durch «parteipolitische Auseinandersetzungen» verdrängt werden, weil mit der Veröffentlichung der Abstimmungen der Druck steige, der Parteilinie zu folgen.

Öffentliche Abstimmungen im Ständerat (Pa.Iv. 19.498)
Dossier: Öffentliche Abstimmungen im Ständerat

Mitte Oktober 2021 stellte die GPK-SR in einem Bericht fest, dass die aus der Analyse zur Erfüllung von angenommenen Motionen und Postulaten hergeleiteten Empfehlungen mehrheitlich umgesetzt oder mindestens Massnahmen zur Umsetzung getroffen worden seien. So seien neu etwa die Begründungstexte von Vorstössen in den jährlichen Bericht über die Motionen und Postulate aufgenommen worden. Auch sei die Überarbeitung der Berichterstattung zwecks effizienterer und angemessenerer Gestaltung in Angriff genommen worden. Schliesslich seien Arbeiten eingeleitet worden, die eine medienbruchfreie Bearbeitung dieses Berichtes erlaubten, ohne die bisher nötige mehrfache Erfassung derselben Daten. Dies werde möglich, weil die unterschiedlichen Datenbanken von Parlamentsdiensten und Departementen besser verknüpft würden. Durch diese Verbesserung der Schnittstellen soll es künftig Urheberinnen und Urhebern von Vorstössen möglich werden, den Stand der Umsetzung ihrer Vorstösse genauer verfolgen zu können. Die GPK-SR erachtete ihre Inspektion damit als abgeschlossen. Sie kündigte eine Nachkontrolle zu gegebener Zeit an.

Analyse zur Erfüllung von angenommenen Motionen und Postulaten

Am 13. September 2021 war die Covid-19-Zertifikatspflicht ausgeweitet worden. Dieses Zertifikat galt als Nachweis dafür, dass eine Person gegen Covid-19 geimpft, davon genesen oder negativ dagegen getestet worden war. Das Vorweisen eines solchen Zertifikats war zum Beispiel Bedingung für die Teilnahme an Veranstaltungen, den Besuch von Restaurants oder Kinos oder für Reisen in andere Länder. Explizit ausgenommen von der Zertifikatspflicht waren hingegen Parlamente und Gemeindeversammlungen, damit die politischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger nicht eingeschränkt werden.
Bereits Ende August 2021 hatten sich Gesundheitspolitikerinnen der SP dafür starkgemacht, dass auch für das eidgenössische Parlament eine Zertifikatspflicht eingeführt wird; sie stiessen allerdings sogar in der eigenen Fraktion auf Widerstand. Dies wäre zwar gesundheitspolitisch sinnvoll, rechtlich aber wohl nicht machbar, so die ziemlich einhellige Meinung in allen Parteien. Eine solche Pflicht würde nicht nur gegen den Schutz der politischen Rechte verstossen, es müsste dafür wohl gar eine Gesetzesänderung beschlossen werden.
Darauf hin folgte jedoch ein ziemlich starkes mediales Gewitter: Es sei «absurd», dass das Parlament keine Zertifikatspflicht einführen und einen «Corona-Sonderzug für Politiker» fahren wolle, wetterte etwa der Tages-Anzeiger. Die «zertifikatsfreie Zone» sei ein «verheerendes Signal». Man werde so zudem den Verdacht nicht los, dass die Zertifikatspflicht wohl doch wesentlich einschneidender sei, als der Bundesrat jeweils betone. Selbst ansonsten eher massnahmenkritische SVP-Politikerinnen und -Politiker hätten gemerkt, dass «das Politikerprivileg im Volk schlecht ankommt», analysierte die Sonntags-Zeitung. Man könne nicht Gesetze machen und von den Bürgerinnen und Bürgern verlangen, diese einzuhalten, sich selbst als Parlament dann aber nicht daran halten, zitierte der Blick etwa Alex Kuprecht (svp, SZ). In der Folge forderten sämtliche Parteipräsidentinnen und -präsidenten mit Ausnahme des Präsidenten der SVP in einem offenen Brief an die Verwaltungsdelegation, für die Herbstsession eine Covid-19-Zertifikatspflicht für den Zutritt zum Parlamentsgebäude einzuführen. Es gebe «keinen überzeugenden Grund», Parlamentsmitglieder davon auszunehmen, so der Brief.

Die SPK-SR nahm in der Folge den Ball auf und reichte eine parlamentarische Initiative für eine für die Änderung der Zugangsbedingungen nötige Revision des Parlamentsgesetzes ein. Da für den Zugang nur mindestens ein Covid-19-Test nötig sei, sei es verhältnismässig, eine Covid-19-Zertifikatspflicht auch für den Eintritt zum Bundeshauses zu verlangen, begründete die Kommission ihr Vorgehen. Damit könnten auch Maskenpflicht und Plexiglaswände aufgehoben und somit die Kommunikation zwischen Parlamentsmitgliedern verbessert werden. Da die SPK-NR lediglich einen Tag nach ihrer Einreichung der parlamentarischen Initiative Folge gab, legte die ständerätliche Kommission ein paar Tage später bereits einen dringlichen Entwurf für eine entsprechende Revision des Parlamentsgesetzes vor, der vom Bundesrat begrüsst und noch in der Herbstsession 2021 von beiden Kammern beraten wurde.

Man stehe vor einem staatspolitisch brisanten Entscheid, leitete Andrea Caroni (fdp, AR) die Debatte im Ständerat ein. Man müsse sich bewusst sein, dass man damit unter Umständen Ratsmitglieder von der Teilnahme an einer Session ausschliesse. Freilich sei auch das öffentliche Interesse gross, sei doch viel mediale Kritik auf das Parlament eingeprasselt, weil zwar für den Zugang zu zahlreichen Innenräumen, nicht aber für den Zugang zum Bundeshaus eine Zertifikatspflicht gelte. Die gesetzliche Grundlage für eine Zertifikatspflicht sei nun aber nötig, weil sie nicht nur die Handlungsfähigkeit des Parlaments verbessere, sondern weil man damit auch beweisen könne, dass die vom Parlament beschlossene Pflicht auch im Bundeshaus problemlos umgesetzt werden könne. Die Kommission empfehle die Vorlage mit 9 zu 2 Stimmen zur Annahme, so der Kommissionssprecher Caroni. Mit einem Einzelantrag warb Beat Rieder (mitte, VS) in der Folge für Nichteintreten. Statt auf «Selbstverantwortung, Solidarität und Eigenverantwortung» setze man mit der Zertifikatspflicht auf «einen staatlichen Kontrollmechanismus». All diese Massnahmen würden zudem mit einem Tempo durchgepeitscht, welches die Bevölkerung spalte. Ein Ja zur Vorlage könne zudem auch als Signal an den Bundesrat gelesen werden, ohne Grenzen «grundrechtswidrige Entscheide» treffen zu dürfen. Mit 35 zu 7 Stimmen entschied sich der Ständerat allerdings für Eintreten.
Der Entwurf der SPK-SR sah vor, dass Personen ab dem 16. Altersjahr nur dann Zutritt zum Parlamentsgebäude erhalten, wenn sie ein Covid-19-Zertifikat vorweisen. Die Kosten für notwendige Tests für die Ausstellung eines Zertifikats sollten jenen Personen vergütet werden, die zwingend Zutritt zum Parlamentsgebäude benötigten. Der Verwaltungsdelegation oblag die Definition dieser Personengruppe und die Organisation der Kontrolle. Ihr wurde auch das Entscheidungsrecht übertragen, die Zertifikatspflicht wieder aufzuheben, wenn die epidemiologische Lage dies erlaubt. Stefan Engler (mitte, GR) verlangte in der Detailberatung eine Ausnahmeregelung für Personen, die eine Maske tragen und sich für das Contact Tracing registrieren liessen. Mit 21 zu 14 Stimmen (7 Enthaltungen) hiess der Ständerat diesen Antrag gut. Mit 23 zu 18 Stimmen (2 Enthaltungen) abgelehnt wurde hingegen ein Antrag einer Kommissionsminderheit, die eine Zertifikatspflicht nicht nur für den Zugang zum Parlamentsgebäude, sondern auch zu Kommissionssitzungen und ausserparlamentarischen Aktivitäten verlangt hätte. Die Gesamtabstimmung passierte der so modifizierte Entwurf mit 36 zu 6 Stimmen (1 Enthaltung).

Auch im Nationalrat wurden, einen Tag nach dem ständerätlichen Entscheid, Eintreten und Detailberatung in einer einzigen Debatte durchgeführt. Wie aufgrund des oben erwähnten Briefes der Parteipräsidien zu erwarten, wurde die Einführung einer Zertifikatspflicht von allen Fraktionen ausser der SVP begrüsst. Er habe ein «ungutes Gefühl», argumentierte Gregor Rutz (svp, ZH) für seine Fraktion. Unter Zeitdruck beschlossene Gesetze seien selten gut, weil man in Krisensituationen zu «Flüchtigkeitsfehlern» neige. Dieses schlechte Gefühl nähre sich auch am Umstand, dass man hier aufgrund medialen Drucks agiere und nicht, weil es gesundheitspolitisch nötig sei. Der SVP-Fraktionssprecher erinnerte zudem an die Geschichtsbücher: 1932 seien sozialdemokratische und kommunistische Nationalratsmitglieder per Parlamentsbeschluss ausgeschlossen worden. Der Ausschluss von Parlamentarierinnen und Parlamentariern, die sich weder testen noch impfen lassen wollten, komme dieser «verfassungsrechtlich höchst fragwürdigen» Aktion sehr nahe. Die Fraktion sehe aber auch, dass das Gesetz den Parlamentsbetrieb erleichtern würde. Die Mehrheit der SVP-Fraktion werde sich deshalb der Stimme enthalten.
Eintreten wurde in der Folge ohne Gegenantrag beschlossen. In der Detailberatung lagen zwei Minderheitenanträge vor. Eine Minderheit Binder (mitte, AG) beantragte die Streichung der vom Ständerat gemachten Ausnahme. Die Zertifikatspflicht sei keine Impfpflicht. Man könne von Parlamentsmitgliedern verlangen, dass sie sich testen lassen, weshalb eine Ausnahme nicht nötig sei, so die Argumentation dieser durch Marianne Streiff-Feller (evp, BE) vertretenen Minderheit. Eine zweite Minderheit Rutz wollte die Verwaltungsdelegation verpflichten, alle acht Wochen zu prüfen, ob die Massnahme noch notwendig sei. Beide Minderheiten wurden deutlich abgelehnt. Mit 146 zu 27 Stimmen (bei 17 Enthaltungen) passierte der gegenüber dem Ständerat unveränderte Entwurf die Gesamtabstimmung. Sämtliche Nein-Stimmen und Enthaltungen stammten von der SVP-Fraktion (mit Ausnahme einer Enthaltung aus der grünen Fraktion). 10 SVP-Mitglieder stimmten für die Änderung des Parlamentsgesetzes.

Beide Kammern stimmten wiederum nur wenige Tage später der Dringlichkeitsklausel zu – der Ständerat mit 35 zu 4 Stimmen und der Nationalrat mit 143 zu 35 Stimmen (6 Enthaltungen). Die Stimmenverhältnisse änderten sich auch in den Schlussabstimmungen am Ende der Herbstsession nicht. Der Entwurf wurde im Ständerat mit 38 zu 5 Stimmen (1 Enthaltung) und im Nationalrat mit 149 zu 35 Stimmen (12 Enthaltungen) angenommen.

In der Folge setzte die Verwaltungsdelegation die Zertifikatspflicht um. Ab dem 2. Oktober 2021 – also nach der Herbstsession 2021 – mussten alle Besucherinnen und Besucher des Bundeshauses ein Covid-19-Zertifikat vorlegen. Parlamentsmitglieder und Verwaltungsangestellte, die im Parlamentsgebäude ein- und ausgehen, konnten sich einmalig registrieren lassen, woraufhin ihr Covid-19-Zertifikat auf den elektronischen Zutrittsausweisen vermerkt wurde. Ratsmitglieder, die kein Zertifikat vorwiesen, mussten eine Maske tragen. Für die Wintersession 2021 beschloss die Verwaltungsdelegation dank der Zertifikatspflicht, die Plexiglasscheiben abzubauen und die Maskenpflicht aufzuheben.

Covid-Zertifikatspflicht im Bundeshaus

In der Herbstsession 2021 beriet der Nationalrat über die Einsetzung einer ständigen parlamentarischen OECD-Delegation im Rahmen der Verordnung der Bundesversammlung über die Pflege der internationalen Beziehungen des Parlamentes. Eine Minderheit Aeschi (svp, ZG) beantragte, nicht auf die parlamentarische Initiative der WAK-SR einzutreten. Nationalrat Aeschi argumentierte, dass die OECD ein parlamentarisches Netzwerk unterhalte, welches aber kein Parlament sei und damit keine Entscheidungsbefugnisse besitze. Da es sich nur um ein Informationsgremium handle, lehne die SVP-Fraktion das Anliegen unter anderem aus Kostengründen ab. WAK-Kommissionssprecherin Gigon (gp, VD) sah den Moment gekommen, um die Verbindungen zur OECD zu stärken, damit die Schweiz sich «ernsthaft» an den laufenden Steuerreformen und der Bewältigung künftiger Herausforderungen beteiligen könne. SP-Fraktionssprecher Bendahan (sp, VD) sah in der Vorlage keinen einzigen Nachteil. Unabhängig davon, ob man prinzipiell für oder gegen die OECD sei, führe die ständige Vertretung unweigerlich zu einer verbesserten Vertretung der Schweizer Interessen, argumentierte er. Den kritischen Stimmen, die sich an den Kosten einer solchen Delegation störten, entgegnete er, dass der Schweiz auch Kosten erwachsen würden, wenn sie nicht am OECD-Entscheidfindungsprozess teilnehme, die dadurch gefällten Beschlüsse aber dennoch umsetzen müsse. Markus Ritter (mitte, SG) unterstützte die Initiative im Namen der Mitte-Fraktion und betonte die Bedeutung der dadurch geschaffenen personellen Kontinuität. Dies sei angesichts der anspruchsvollen Aufgaben in den Gremien angemessen. Eine Minderheit der Fraktion stimme gegen die Vorlage, weil man durchaus an der Wirksamkeit der parlamentarischen Versammlung zweifeln könne, erklärte FDP-Sprecher Lüscher (fdp, GE). Trotzdem empfahl die FDP die Annahme der Vorlage, nicht zuletzt weil man damit eine symbolische Geste zugunsten der zuletzt als geschwächt dargestellten internationalen Beziehungen der Schweiz machen könne. Zudem lehne die FDP die Politik des leeren Stuhls ab und sei der Ansicht, dass man Soft Law am besten an der Quelle beeinflussen müsse, weil man sich bei einer Nicht-Teilnahme nicht über die Ergebnisse beschweren könne. Der Nichteintretensantrag Aeschi wurde in der Folge mit 121 zu 56 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) deutlich abgelehnt. In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat den Entwurf mit 120 zu 52 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) ebenso deutlich gegen den Widerstand der SVP-Fraktion und einer kleinen Minderheit der FDP.Liberalen an.
Die Schlussabstimmungen boten keine Überraschungen mehr. Der Nationalrat sprach sich mit 138 zu 58 Stimmen für die Verordnung aus, der Ständerat mit 36 zu 6 Stimmen (bei 1 Enthaltung).

Einsatz einer ständigen parlamentarischen OECD-Delegation

Anfang September 2021 gab die SGK-SR bekannt, dass sie eine Aufnahme des vereinfachten Anmeldeverfahrens und des summarischen Abrechnungsverfahrens für KAE – wie sie im Rahmen der Corona-Pandemie angewandt wurdenins ordentliche Recht mit 9 zu 0 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) ablehne. Die Verfahren erlaubten es nicht, festzustellen, wer Anrecht auf KAE habe. Auch ein Ferien- und Feiertagszugschlag bei den KAE lehnte die Kommission ab, da dadurch bei Kurzarbeit mehr als 80 Prozent des Lohns ausbezahlt würden. In der Herbstsession 2021 setzte sich der Ständerat erneut mit der Motion auseinander, nachdem er den Vorstoss zuvor seiner Kommission zur Vorberatung zugewiesen hatte. Philippe Bauer (fdp, NR) verwies in der Begründung seiner Motion darauf, dass das Bundesgericht bereits eine Entschädigung für Ferien und Feiertage durch die Arbeitslosenversicherung prüfe, weshalb er Ziffer 2 seiner Motion zurückziehe. Er halte aber weiterhin an der Forderung nach Übernahme von Teilen des vereinfachten Verfahrens fest (Ziffer 1). Mithilfe von Kontrollmechanismen sollen dabei Missbräuche verhindert werden. Bundesrat Parmelin erwiderte, dass das SECO das ordentliche Verfahren durch digitale Lösungen zu vereinfachen und den Aufwand sowohl für die Unternehmen als auch für die Kontrollstellen zu verringern versuche. Mit 21 zu 15 Stimmen (bei 1 Enthaltung) lehnte der Ständerat in der Folge Ziffer 1 der Motion ab, die damit vollständig vom Tisch war.

Kurzarbeitsentschädigung. Weitere administrative Hürden abbauen (Mo. 20.4169)

In der Herbstsession 2021 behandelte der Ständerat die Motion der SGK-NR für eine plafonierte Entschädigung für in KMU mitarbeitende Ehegatten bei Kurzarbeit. Zuvor hatte die SGK-SR den Vorstoss ihrer Schwesterkommission mit 9 zu 0 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) zur Ablehnung empfohlen: Man befürworte in dieser schwierigen Lage für die Unternehmen zwar generell unbürokratische Massnahmen, lehne aber eine dauerhafte Erweiterung der Anspruchsberechtigung auf KAE unter anderem wegen des erhöhten Missbrauchsrisikos ab. Stattdessen wolle man die Frage zu den anspruchsberechtigten Personen bei KAE im Rahmen der parlamentarischen Initiative Silberschmidt (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.406) weiter behandeln. Stillschweigend folgte der Ständerat dem Ablehnungsantrag seiner Kommission.

Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (Mo. 20.3454)

Nachdem die Behandlung des Geschäfts mehrmals verschoben worden war – traktandiert wäre es schon in der Frühjahrs- sowie in der Sommersession 2021 gewesen – beugte sich der Ständerat schliesslich in der Herbstsession 2021 über den Entwurf der SPK-NR für eine auf die parlamentarische Initiative von Rudolf Joder (svp, BE) zurückgehende Schaffung einer ausserordentlichen Aufsichtsdelegation (AoDel). In der Zwischenzeit hatte die GPK-SR ihre Meinung geändert und empfahl neu Eintreten. Der Ständerat habe ja ursprünglich nicht auf die Vorlage eintreten wollen, weshalb dieser Sinneswandel der Kommission erklärt werden müsse, eröffnete Kommissionssprecher Daniel Fässler (mitte, AI) die Debatte. In der Tat sei die Kommission nach wie vor nicht dafür, ein neues Gremium zu schaffen. Man wolle aber dann in der Detailberatung einen Vorschlag für eine Änderung des Parlamentsgesetzes unterbreiten, nämlich die «Möglichkeit der Einsetzung einer gemeinsamen Subkommission der Finanzkommissionen und der Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte», wenn Prüfungen notwendig seien, die sowohl die Haushaltsführung (Zuständigkeitsbereich der Finanzdelegationen) als auch die Geschäftsführung (Zuständigkeitsbereich der Geschäftsprüfungskommissionen) betreffen. Solche Subkommissionen seien bereits bei der Untersuchung zur Herausgabe von UBS-Kundendaten an die USA, zum Informatikprojekt «Insieme» und aktuell zu den Hochseeschifffahrt-Bürgschaften eingesetzt worden und hätten sich bewährt. Umstritten sei in der Kommission allerdings die Frage gewesen, mit welchen Rechten diese Subkommissionen ausgestattet werden sollten. Weil kein Gegenantrag vorlag und Eintreten ohne Abstimmung beschlossen wurde, machte sich die kleine Kammer in der Folge gleich an die Klärung dieser Frage. Eine Kommissionsminderheit vertreten durch Hans Stöckli (sp, BE) wollte der neuen Subkommission umfassende Möglichkeiten für Untersuchungen geben, also auch Einsicht in die Protokolle von Bundesratssitzungen, geheime Unterlagen oder Befragungen von Zeuginnen und Zeugen. Diese Informationsrechte gingen der Kommissionsmehrheit allerdings zu weit. Eine Subkommission dürfte nicht mehr Rechte haben als die Kommissionen, die sie einsetzten, so die Begründung von Daniel Fässler. Sei dies nicht ausreichend, müsse wie bis anhin eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) einberufen werden. Würde man den Minderheitsantrag annehmen, wäre man eigentlich wieder bei der AoDel, was der Rat ja aber eigentlich abgelehnt habe. Mit 27 zu 14 Stimmen folgte die kleine Kammer in dieser Frage der Kommissionsmehrheit. Nachdem die verschiedenen sprachlichen Anpassungen am Entwurf ohne Abstimmungen angenommen worden waren, hiess der Rat den Entwurf in der Gesamtabstimmung mit 40 zu 0 Stimmen (3 Enthaltungen) gut.

Stärkung der Geschäftsprüfungskommissionen (Pa.Iv. 15.451)

«Was [in der Pandemie] nur mangelhaft funktioniert hat, ist die Rolle des Parlaments», urteilte Jörg Mäder (glp, ZH) und machte die Ursache dafür im vierteljährlichen Sessionsrhythmus aus. In ausserordentlichen Lagen müsse sich die Bundesversammlung monatlich treffen, verlangte er folglich in einer parlamentarischen Initiative. Statt vier mal drei Wochen pro Jahr solle in solchen Ausnahmesituationen pro Monat eine wöchentliche Session organisiert werden. Am zeitlichen Aufwand würde sich damit nichts ändern, aber der Austausch mit der Exekutive könnte stark verbessert und Entscheidungen zeitnaher gefällt werden.
Als schlecht umsetzbar wurde dieser Vorschlag allerdings von der SPK-NR beurteilt. Es sei nicht im Vornherein klar, wann eine Krisensituation die Änderung des Sessionsrhythmus anzeige. Eine zu kurzfristige Änderung wäre aber für viele Parlamentsmitglieder wohl schwierig einzurichten. Zudem bestehe mit dem Instrument der ausserordentlichen Session bereits jetzt die nötige Flexibilität, um die Bundesversammlung zu einem geeigneten Zeitpunkt und für eine zu definierende Dauer einzuberufen. Mit 17 zu 3 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) empfahl die Kommission deshalb, der Initiative keine Folge zu geben. Eine 124 zu 51-Mehrheit (bei 4 Enthaltungen) des Nationalrats folgte dieser Empfehlung und versenkte den Vorstoss. Neben der geschlossenen GLP-Fraktion stimmte auch die Mehrheit der SP-Fraktion und ein Teil der GP-Fraktion für die Idee.

Sessionsplanung in ausserordentlichen Lagen (Pa.Iv. 20.460)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Weil alles «durchorchestriert» sei und für Parlamentarierinnen und Parlamentarier nur wenige Möglichkeiten bestünden, sich zu äussern, fänden «echte Debatten» im Nationalrat kaum statt, kritisierte Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH) und forderte eine Änderung des Geschäftsreglements. Neu sollen Bundesratsgeschäfte und persönliche Vorstösse der Kategorie I zugeordnet werden. Diese «freie Debatte», während der alle Ratsmitglieder sprechen dürfen, ist bisher praktisch auf Debatten zu Volksinitiativen beschränkt – allerdings seien auch da gar keine spontanen Wortmeldungen möglich, was aber zu einem echten Dialog gehören würde. Persönliche Vorstösse in Kategorie IV würden gar nur Wortmeldungen der Antragstellenden und der Kommissionssprechenden erlauben. Damit könnten persönliche Positionen nicht dargelegt und der Bevölkerung gezeigt werden. Nicht nur im Ständerat, sondern auch in zahlreichen Kantonen gebe es freie Debatten, was zeige, dass die Idee umsetzbar sei. Natürlich müsste die Redezeit entsprechend angepasst werden, ergänzte Katharina Prelicz-Huber in ihrer parlamentarischen Initiative.
Eine freie Debatte im Nationalrat hänge nicht von der zugeordneten Kategorie ab, sondern von der Gesprächskultur und der Disziplin der Parlamentsmitglieder – so die SPK-NR in ihrem Bericht, in dem sie beantragte, dem Vorstoss keine Folge zu geben. Würden Voten weniger abgelesen, spontaner und rhetorisch besser vorgebracht und das Instrument der Zwischenfrage mehr zum spontanen Austausch genutzt, könnte die Forderung der parlamentarischen Initiative mit der aktuellen Regelung teilweise umgesetzt werden. Freie Debatten für die Mehrzahl der Geschäfte wären aber nicht praktikabel und würden unter Umständen tagelange Beratungen nach sich ziehen. Dies sah eine Kommissionsminderheit freilich anders: «Eine gruppendynamische Kontrolle» würde dafür sorgen, dass nicht zu lange und zu viele Voten vorgebracht würden. Der Ständerat mache es vor, argumentierte Balthasar Glättli (gp, ZH) als Angehöriger dieser Minderheit. In der kleinen Kammer werde gesprochen, wenn man etwas zu sagen habe, nicht weil man sprechen dürfe. Es brauche in der Tat eine Änderung der Gesprächskultur, die sich aber erst mit mehr freier Debatte ergeben könne. Dies sahen freilich lediglich 37 Angehörige aus den Fraktionen der SP und der GP so, diese standen 136 ablehnenden Stimmen (und 14 Enthaltungen) gegenüber, womit der Vorstoss versenkt wurde.

Freie Debatte im Nationalrat (Pa.Iv. 20.439)

Weil zwar das Büro-NR nicht aber das Büro-SR der parlamentarischen Initiative von Sidney Kamerzin (mitte, VS) für ein papierloses Parlament Folge geben wollte, wurde der Vorstoss in der Herbstsession im Nationalrat behandelt. Der Initiant hatte seinen Vorstoss mit den Erfahrungen der Corona-Krise begründet, die gezeigt habe, dass es dank Digitalisierung möglich sei, den Parlamentsbetrieb mit digital erstellten, verschickten und bearbeiteten Unterlagen zu organisieren. Das papierlose Parlament sei auch aus Umweltgründen anzustreben.
Nachdem das Büro-SR der Initiative im Mai 2021 mit 2 zu 1 Stimme (bei 2 Enthaltungen) keine Folge geben wollte, beharrte das Büro-NR Mitte September 2021 auf seinem ursprünglich im Februar 2021 mit 7 zu 5 Stimmen gefassten Entscheid zu Gunsten der Vorlage und empfahl dem Nationalrat diesmal mit 7 zu 4 Stimmen der Initiative Folge zu geben. Obwohl bereits entsprechende Digitalisierungsarbeiten im Rahmen von «Curia plus» in Gang seien, solle rasch an den Erfahrungen aus der ausserordentlichen Session in der BernExpo angeknüpft werden, wo alle Dokumente digital zur Verfügung standen. Die Kommissionsmehrheit verspreche sich mit der Annahme der parlamentarischen Initiative auch mehr Druck für die Umsetzung der Motion Frehner (svp, BS, Mo. 17.4026), die den digitalen Ratsbetrieb verlange und am Ursprung von Curia plus stehe. Eine FDP-SVP-Kommissionsminderheit sah hier jedoch keine Notwendigkeit. Im Gegenteil könnte eine rasche Umsetzung von Curia plus eher verhindert werden, wenn weitere Arbeiten in Angriff genommen werden müssten.
In der Ratsdebatte warb Sidney Kamerzin neben mehr Effizienz und Umweltschutz auch mit mehr Geschwindigkeit und Sicherheit für sein Anliegen, die mit Digitalisierung möglich würden. In den kantonalen Parlamenten von Genf, Zürich und Wallis sei das papierlose Parlament zudem bereits umgesetzt. Ein Freund von ihm habe ihm versichert: «Wenn uns dies im Wallis gelungen ist, kann es jeder.»
Für die Kommissionsminderheit ergriff Roland Rino Büchel (svp, SG) das Wort. Der Vorstoss sei «für die Galerie» und komme einer Zwängerei gleich. Es müsse verhindert werden, dass das Projekt Curia plus verzögert werde. Nur ein Nein zur Initiative Kamerzin sei ein Ja zu Digitalisierung. Dieses Nein kam allerdings nur seitens der geschlossenen SVP-, einer Mehrheit der FDP- und einer kleinen Minderheit der Mitte-Fraktion. Die 72 Nein-Stimmen reichten gegen die 101 Ja-Stimmen nicht aus (9 Enthaltungen). Damit muss sich die kleine Kammer nun zum Anliegen äussern.

Papierloses Parlament (Pa.Iv. 20.442)

Am Schluss einer kurzen Debatte folgte der Ständerat in der Sommersession 2021 einem Ordnungsantrag von Daniel Fässler (mitte, AI) und wies die Motion von Jakob Stark (svp, TG) wie auch die Motion von Werner Salzmann (svp, BE) der SPK-SR zur Vorprüfung zu. Die Motion Stark fordert einen besseren Einbezug des Parlaments bei der Bekämpfung zukünftiger Pandemien und schlägt dafür eine Revision des Epidemiengesetzes vor. Darin soll neu festgehalten werden, dass der Bundesrat dem Parlament Notrechtsbeschlüsse vorlegen muss. Bei kurzfristigen Beschlüssen soll eine Genehmigung nachträglich eingeholt werden müssen; wenn immer möglich soll aber auch Notrecht dem Parlament nach einer kantonalen Vernehmlassung direkt unterbreitet werden. Das Parlament werde im Epidemiengesetz mit keinem Wort erwähnt. Dies und der Umstand, dass sich das Parlament zwar mit «der Bewältigung der massiven Folgen der Massnahmen zur Covid-Bekämpfung» beschäftigen müsse, beim Beschluss dieser Massnahmen aber nicht mitreden dürfe, müsse behoben werden, so Stark.
Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion, auch weil sich die SPK-NR bereits intensiv mit dem Thema des besseren Einbezugs des Parlaments in Krisen beschäftige und dieser Arbeit nicht vorgegriffen werden solle.
Dies entschied Mitte August schliesslich auch die SPK-SR: Bevor sie die beiden Motionen vorprüfen werde, wolle sie die Arbeiten der Schwesterkommission abwarten.

Besserer Einbezug des Parlaments bei der Bekämpfung zukünftiger Pandemien (Mo. 21.3033)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Werner Salzmann (svp, BE) forderte mittels Motion, dass das Parlament bei der Anordnung einer ausserordentlichen Lage gemäss EpG einbezogen werden müsse. Die Covid-19-Krise zeige eindrücklich, dass die Folgen für die Wirtschaft aber auch die menschliche Psyche so gravierend seien, «dass das Parlament in der Pflicht steht, hier Verantwortung zu übernehmen». Wenn die Dringlichkeit den unmittelbaren Einbezug des Parlaments verunmögliche, müsse der Bundesrat nachträglich legitimieren lassen, wenn er eine ausserordentliche Lage anordne.
Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion. Er werde eine sorgfältige Evaluation vornehmen und sich überlegen, wie das Parlament in künftigen Krisen besser einbezogen werden könnte. Zudem sei auch die SPK-NR daran, solche Abklärungen vorzunehmen. Mit einer Annahme der Motion würde diesen Arbeiten vorgegriffen.
Im Ständerat kam es in der Sommersession erst zu einem angenommenen Ordnungsantrag: Zusammen mit einer ähnlichen Motion von Jakob Stark (svp, TG) wurde die Motion Salzmann der SPK-SR zur Vorprüfung überwiesen. Diese gab dann im August bekannt, dass sie die beiden Motionen erst behandle, wenn klar werde, was die SPK-NR in dieser Sache plane.

Parlament bei der Anordnung einer ausserordentlichen Lage gemäss EpG mit einbeziehen (Mo. 21.3034)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Während der Sommersession 2021 zog Marianne Binder-Keller (mitte, AG) ihre Motion zurück, mit der sie dringlich eine virtuelle Teilnahme an Parlamentssitzungen gefordert hätte. Zu diesem Entscheid beigetragen hatte wohl auch die Antwort des Büro-NR, das den Vorstoss zwar zur Ablehnung empfohlen hatte, die Diskussion aber als wichtig erachtete. Allerdings werde die Forderung bereits im Rahmen verschiedener parlamentarischer Initiativen (Pa.Iv. Brunner, 20.423; Pa.Iv. Christ, 20.425) und insbesondere im Rahmen der Kommissionsinitiative der SPK-NR zur Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen (Pa.Iv. 20.437) umfassend aufgenommen.

Virtuelle Teilnahme an Parlamentssitzungen (Mo. 20.3904)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Gemäss des Kundgebungsreglements der Stadt Bern gilt während Sessionen des eidgenössischen Parlaments auf dem Bundesplatz ein Demonstrationsverbot. Weil dieses Verbot nicht haltbar sei – insbesondere während Sessionen sollten die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, ihre Volksvertreterinnen und -vertreter auf ihre Sorgen aufmerksam zu machen – müsse sich der Bund bei der Gemeinde Bern für eine Aufhebung dieses Passus im Kundgebungsreglement einsetzen. Dies forderte Aline Trede (gp, BE) in ihrer Motion, mit der sie Aktionen und Demonstrationen auf dem Bundesplatz auch während Sessionen ermöglichen wollte, wie sie ihren Vorstoss betitelte. In der Nationalratsdebatte in der Sommersession 2021 erklärte die Bernerin, dass es ein Bewilligungsverfahren geben solle und Aktionen, die den Sessionsbetrieb zu stark störten oder gar die Sicherheit bedrohten, weiterhin nicht zugelassen werden dürften. Für das Büro-NR, das die Motion ablehnte, ergriff Roland Rino Büchel (svp, SG) das Wort. Das Kundgebungsverbot bestehe seit 1925 und gebe immer wieder Anlass zu Diskussionen. Man habe aber mit der Stadt Bern seit 2016 ein «Memorandum of Understanding», das Kleinstkundgebungen ohne Lärmemissionen erlaube. Die Zusammenarbeit mit der Stadt funktioniere gut. Die unbewilligte Klimademonstration während der letzten Woche der Herbstsession 2020 habe aber eben gezeigt, dass Störungen nicht nur wegen Lärm, sondern auch wegen der Blockierung der Zugänge zum Parlamentsgebäude auftreten können. Bereits früher habe der Nationalrat ähnliche Vorstösse abgelehnt und das Büro bringe nach wie vor dieselben Gegenargumente vor: Das Parlament müsse seine Arbeit «sicher, ordnungsgemäss und störungsfrei» ausführen können und die Stadt Bern sei verpflichtet, dies zu garantieren. Dies sah auch die Ratsmehrheit so und versenkte den Vorstoss mit 117 zu 67 Stimmen. Lediglich die SP- und die GP-Fraktion stimmten geschlossen für eine Öffnung des Demonstrationsverbots.

Aktionen und Demonstrationen auf dem Bundesplatz (Mo. 20.4244)

Nichts wissen wollte der Nationalrat von der Idee zur Schaffung eines Ethikgremiums des Parlaments, die im Rahmen eines Postulats von Mathias Reynard (sp, VS) diskutiert wurde. Der von Britgitte Crottaz (sp, VD) übernommene Vorstoss – Reynard war aus dem Rat ausgeschieden, weil er in die Regierung des Kantons Wallis gewählt worden war – forderte eine Anlaufstelle, die für mehr Transparenz und ethisches Handeln im Parlament sorgen sollte. Dieses Gremium würde nicht nur einen Leitfaden für den Umgang mit Interessenkonflikten schaffen, in die man als Parlamentsmitglied mit einer Verbindung zu Interessenorganisationen unweigerlich gerate, sondern in einer solchen Situation auch Beratungsdienste anbieten. Diese Ethikkommission würde aus Parlamentsmitgliedern, externen Fachleuten sowie Juristinnen und Juristen zusammengesetzt. Brigitte Crottaz nannte in der Ratsdebatte mehrere Länder, die ein solches Ethikgremium eingeführt hätten – so etwa Frankreich oder Belgien. Roland Rino Büchel (svp, SG) erörterte in der Folge die ablehnende Haltung des Büro-NR. Ein «Leitfaden für die Ratsmitglieder zur Annahme von Vorteilen, zu Transparenz- und Offenlegungspflichten und zum Umgang mit Informationen» liege bereits seit Herbst 2019 vor. Zudem müsse jedes Ratsmitglied die Korrektheit und Vollständigkeit der persönlichen Angaben inklusive Interessenbindungen jährlich schriftlich bestätigen. Das Büro-NR sei der Meinung, dass diese Massnahmen ausreichend seien, um genügend Transparenz und ethisches Verhalten sicherzustellen. Zudem plädiere man an die Eigenverantwortung jeder Parlamentarierin und jedes Parlamentariers, worauf «das parlamentarische System der Schweiz» letztlich beruhe. Mit 115 zu 60 Stimmen (bei 7 Enthaltungen) folgte die Mehrheit des Nationalrats der Empfehlung des Büros und versenkte die Idee. Eine links-grüne Ratsminderheit setzte sich für die Schaffung einer parlamentarischen Ethikkommission ein.

Schaffung eines Ethikgremiums des Parlaments (Po. 20.4151)

Als «Sargnägel bezüglich der Konkordanz» bezeichnete Benedikt Würth (mitte, SG) die zunehmenden Indiskretionen im Rahmen von Verhandlungen des Bundesrats. Vor allem während der Covid-19-Pandemie habe das «System» der Indiskretionen noch zugenommen. Er mache den Medien keinen Vorwurf, dass sie von diesem Malaise profitierten, aber es gehe nicht an, dass Anträge von Regierungsmitgliedern in der Presse erschienen, bevor das Kollegium über sie beraten habe, und dann im Nachgang der Beratungen auch noch nachgelesen werden könne, wer im Bundesrat wie gestimmt habe. Wenn die «inhaltliche Konkordanz», also das Kollegialsystem, gerettet werden solle, dann müssten Massnahmen gegen Indiskretionen diskutiert und umgesetzt werden. Indiskretionen würden zudem vor allem die in Krisen bedeutende Kommunikationsstrategie behindern. Der Bundesrat können so nicht mehr mit einer Stimme sprechen. Die Regierung dürfe nicht einfach zu einer «Konferenz von sieben Departementsvorstehern» verkommen. Hart ins Gericht ging Würth deshalb mit der Verwaltung: Die «Stäbe der Departemente [hätten] in ihrem Informationsmanagement letztlich nur die mediale Positionierung des eigenen Bundesrates im Fokus und dabei [sei] jedes Mittel recht». Es müssten deshalb strafrechtliche Konsequenzen für fehlende Integrität geschaffen werden – so die Hauptforderung des Vorstosses. Unterstützung fand der St.Galler Kantonsvertreter bei Andrea Caroni (fdp, AR), der anregte, das Anliegen auch auf die Legislative auszuweiten. Immer wieder könnten «mit schöner Regelmässigkeit» in den Medien Informationen gelesen werden, die eigentlich dem Kommissionsgeheimnis unterstünden. Der Bundesrat, in der Ratsdebatte während der Sommersession 2021 vertreten durch Bundeskanzler Walter Thurnherr, empfahl die Motion zur Ablehnung. Indiskretionen würden zwar die Zusammenarbeit erschweren und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Bundesrat untergraben, seien kriminell und zeugten von Charakterschwäche, es gebe aber bereits klare Regelungen, wie dagegen vorgegangen werden könne. Zudem könne nicht von einem «System» gesprochen werden, weil ganz viele Informationen den Weg nach draussen eben nicht fänden. Thurnherr nannte das Beispiel von als geheim klassierten Geschäften, bei denen Dokumente versiegelt, vom Weibel persönlich überbracht und nur gegen Unterschrift abgegeben würden. Statt vergangene Indiskretionen in einem Bericht aufzuarbeiten, schlage der Bundesrat vielmehr eine klare Haltung gegen Indiskretion und eine striktere Anwendung der geltenden Vorschriften vor. Einer Mehrheit von 29 zu 15 Stimmen genügte dieser bundesrätliche Vorschlag allerdings nicht; sie hiess den Vorstoss gut und schickte ihn weiter an den Nationalrat.

Massnahmen gegen Indiskretionen (21.3080)