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Aufgrund des von den «Freunden der Verfassung» ergriffenen Referendums stimmte die Schweizer Stimmbevölkerung im Juni 2021 über das Covid-19-Gesetz ab. Dieses enthielt einerseits die Regelungen zu den Unterstützungsmassnahmen für die Unternehmen und die Bevölkerung (u.a. Härtefallhilfen, Covid-Erwerbsersatz, Kurzarbeitsentschädigung), andererseits Ermächtigungen für den Bundesrat, zeitlich begrenzt von bestehenden Gesetzen abzuweichen. Während der erste Teil auch bei den Gegnerinnen und Gegnern unumstritten war, kritisierten sie den zweiten Teil stark. Dieser Teil enthielt beispielsweise Regelungen zur Einschränkungen von Behandlungen in den Spitälern, zur Abweichungen von gesetzlichen Fristen, zur elektronischen Durchführungen von Generalversammlungen von Unternehmen oder zu Einschränkungen im Asylbereich. Das Covid-19-Gesetz war nun insofern speziell, als Gesetze üblicherweise erst nach Ablauf der Referendumsfrist in Kraft treten. Da das Gesetz jedoch von einer Mehrheit der Mitglieder beider Kammern dringlich erklärt worden war, war es gleich nach Annahme im Parlament im September 2020 in Kraft getreten – was die Abstimmung darüber gemäss Tages-Anzeiger zu einer «demokratiepolitische[n] Kuriosität» machte. Zusätzlich speziell war, dass das Covid-19-Gesetz zum Zeitpunkt der Abstimmung vom Parlament bereits zweimal revidiert worden war – einmal in der Wintersession 2020 und einmal in der Frühjahrssession 2021. Da das Gesetz mit den Corona-bedingten Veränderungen Schritt halten müsse, seien verschiedene Teile des Gesetzes zum Zeitpunkt der Abstimmung gar nicht mehr in Kraft, betonte der Tages-Anzeiger. Zudem würde das Gesetz bei einer allfälligen Ablehnung an der Urne nicht per sofort ausser Kraft treten, sondern ein Jahr nach seiner Inkraftsetzung, also am 25. September 2021. Die meisten Regelungen des Gesetzes sind auf Ende 2021 befristet, lediglich einzelne dieser Regelungen würden bis Ende 2023 (etwa Regelungen zur Kurzarbeit) oder gar bis Ende 2031 (Regelungen zu den Covid-Krediten) gültig bleiben.

Der Abstimmungskampf zum Referendum gegen das Covid-19-Gesetz war nun geprägt von der Frage, worüber am 13. Juni 2021 genau abgestimmt wird. So betonten die Gegnerinnen und Gegner des Gesetzes im Abstimmungsbüchlein, dass mit dem Referendum sichergestellt werden solle, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger «die höchste Instanz im Land» bleiben. Mit der Ablehnung des Covid-19-Gesetzes solle man zeigen, «dass Krisenmanagement gegen das Volk in der Schweiz nicht geht». So befürchteten sie, dass der Bundesrat das Notrecht durch das Gesetz unnötig verlängern würde und man durch eine Annahme des Gesetzes die bisherige bundesrätliche Corona-Politik legitimiere. Andreas Glarner (svp, AG) etwa argumentierte, dass man dem Bundesrat damit einen Blankocheck für weitere Einschränkungen gebe und sprach sich damit gegen das Gesetz aus – die SVP selbst entschied sich in der Folge für Stimmfreigabe. Gegen diese Argumentationen wehrten sich die Befürworterinnen und Befürworter des Gesetzes, da sie in ihren Augen am Covid-19-Gesetz vorbeizielten. So würden die Gegnerinnen und Gegner insbesondere die Corona-Massnahmen des Bundesrates kritisieren, etwa die Schliessung der Restaurants oder Läden, die jedoch nicht im Covid-19-Gesetz geregelt seien, sondern im 2013 von der Stimmbürgerschaft angenommenen Epidemiengesetz. Diese Bestimmungen würden somit durch eine Ablehnung des Gesetzes auch nicht aufgehoben. Der Kampf gegen das Gesetz stelle gemäss den Befürwortenden folglich bloss eine Art «Stellvertreterkrieg» dar, in dem sich die Gegnerinnen und Gegner ein Misstrauensvotum gegen die bundesrätliche Covid-Politik oder einen Denkzettel an den Bundesrat wünschten.
Die Gegnerschaft kritisierte aber durchaus auch verschiedene Aspekte des Gesetzes selbst: So fürchteten sie eine Diskriminierung oder gar einen Verlust der Grundrechte von ungeimpften Personen aufgrund des Covid-19-Zertifikats, da mit diesem eine Zweiklassengesellschaft, ja gar eine «neue Form der Apartheid», geschaffen werde. Zudem diene das Contact Tracing über die SwissCovidApp zur Massenüberwachung, wie die beiden Co-Präsidenten der «Freunde der Verfassung», Marion Russek und Werner Boxler, in der Weltwoche betonten. Das anfängliche Argument, wonach es aufgrund des Gesetzes zu einer verkürzten Prüfung von Impfstoffen kommen könnte, liess das Komitee nach einer Weile fallen – der Bundesrat hatte erklärt, dass es in der betreffenden Regelung einzig um Arzneimittel, nicht aber um Impfstoffe gehe.
Neben einzelnen Bestimmungen kritisierte die Gegnerschaft aber auch die Verbindung der Unterstützungsmassnahmen mit den zusätzlichen Ermächtigungen für den Bundesrat, da man den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern damit die Möglichkeit nehme, Ersteren zuzustimmen und Letztere abzulehnen. Gleichzeitig betonten sie, dass eine Ablehnung des Covid-19-Gesetzes an der Urne nicht das Ende der Unterstützungsmassnahmen bedeute – was das Hauptargument der Befürworterinnen und Befürworter darstellte. So könne das Parlament die Unterstützungsmassnahmen durch die Annahme einer Motion von Pirmin Schwander (svp, SZ; Mo. 21.3402) innert kürzester Frist in ein eigenes Gesetz giessen. Diese Argumentation teilten die Befürwortenden nicht, vielmehr warnten sie vor drastischen Folgen durch die Ablehnung des Gesetzes: Das vorzeitige Ende der Unterstützungsmassnahmen der Wirtschaft führe nämlich zu einem starken Anstieg der Konkurse, der Arbeitslosigkeit und der Sozialhilfequote. Zwar könne das Parlament allenfalls ein neues Gesetz beschliessen, dabei müsse es sich aber um ein ordentliches Gesetz handeln – ein weiteres dringliches Gesetz sei nicht möglich –, erklärte der Bundesrat. Ein solches könne aber unter anderem aufgrund der Referendumsfrist nicht vor dem 25. September 2021 in Kraft gesetzt werden. Somit käme es bei einer Ablehnung des Covid-19-Gesetzes zu einem Unterbruch der Unterstützungsmassnahmen. Auch der Bundesrat betonte zur Lancierung seines Abstimmungskampfes an einer Pressekonferenz, bei der unter anderem Gesundheitsminister Berset und Bundespräsident Parmelin sowie KdK-Präsident Rathgeb (GR, fdp) anwesend waren, dass das Covid-19-Gesetz die einzige rechtliche Grundlage zur Unterstützung der Betroffenen sei und dessen Ablehnung grosse Unsicherheiten bei Unternehmen und Arbeitnehmenden auslösen würde. Christian Rathgeb verwies auf die zentrale Bedeutung des Gesetzes für die Kantone und mahnte vor einem Bauchentscheid: «Die Menschen brauchen jetzt nicht einen Denkzettel, sondern konkrete finanzielle Unterstützung.»
Die Befürworterinnen und Befürworter wehrten sich auch gegen den Diktatur-Vorwurf der Gegnerschaft an den Bundesrat. So werde das Notrechtregime durch das Covid-19-Gesetz nicht verlängert, sondern wie von der Verfassung verlangt in ordentliches Recht überführt – das entsprechend auch vom Parlament verabschiedet worden sei. «Alles läuft, wie es die Verfassung vorsieht – auch wenn die «Freunde der Verfassung» das nicht wahrhaben wollen», betonte etwa die NZZ. «Wenn dies die Basis für eine Diktatur sein soll, wird es eine ebenso lächerliche wie grosszügige Diktatur sein – eine Diktatur, in der es für fast jeden Zweck Milliardenhilfen gibt und für jeden LKW-Fahrer eine Toilette», verteidigte dieselbe Zeitung das Gesetz mit Verweis auf eine spezifische Regelung im Covid-19-Gesetz zum Toilettenzugang von LKW-Fahrerinnen und -Fahrern.

Zu breiteren medialen Diskussionen im Abstimmungskampf führte auch das Abstimmungsbüchlein: Die Gegnerinnen und Gegner des Gesetzes kritisierten, dass hier das ursprüngliche Covid-19-Gesetz aufgeführt worden war, obwohl dieses in der Zwischenzeit bereits mehrfach revidiert worden war. Dies sei aber insofern korrekt, als das Referendum zum ursprünglichen Gesetz gefasst worden sei – auch wenn die Ablehnung des Gesetzes auch die Revisionen ausser Kraft setzen würde, war der mediale Konsens in dieser Frage. Ansonsten stand das Referendum zum Covid-19-Gesetz deutlich im Schatten der gleichzeitig stattfindenden Abstimmungen zum CO2-Gesetz, zur Trinkwasser- und zur Pestizidinitiative sowie zum kaum beworbenen Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus. Die Studie des fög zählte etwa eine vergleichsweise geringe Anzahl Zeitungsartikel zum Covid-19-Gesetz, deren Tonalität leicht positiv war. Auch in den Inseratespalten schnitt das Covid-19-Gesetz unterdurchschnittlich ab, wie die Studie von Année Politique Suisse zeigte. Die Vorumfragen der SRG (67% Ja respektive 64% Ja) und von Tamedia (66%, 67%, 69%) liessen schliesslich kaum Zweifel an einer Annahme des Gesetzes aufkommen.

In der Zwischenzeit hatten die EDU, die «Freunde der Verfassung», das Aktionsbündnis «Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik» sowie die Gruppe «Mass-voll» die Nein-Parole ausgegeben. Die SVP hatte unter grossem medialen Interesse bereits im März 2021 entschieden, Stimmfreigabe zu erteilen, da sie «die negativen Folgen einer Ablehnung [als] grösser [erachtete] als die einer Zustimmung». Verschiedene Kantonalsektionen wichen jedoch von dieser Parole ab, so sprachen sich die Sektionen der Kantone Bern, Luzern, Waadt und Wallis für eine Annahme und die Sektionen der Kantone Appenzell-Innerrhoden, Basel-Landschaft, Schwyz und Zürich sowie die Junge SVP für eine Ablehnung aus. Ansonsten traf das Covid-19-Gesetz weitgehend auf Unterstützung, etwa durch sämtliche anderen grösseren Parteien (EVP, FDP, GLP, GPS, Mitte, SP) und zahlreiche grösseren Verbände wie Economiesuisse, SGB und Travailsuisse, aber auch durch den SGV oder GastroSuisse.

Am Abstimmungssonntag sollte sich das Bild aus den Vorumfragen bestätigen: Mit 60.2 Prozent bei einer Stimmbeteiligung von 59.7 Prozent sprachen sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger für das Covid-19-Gesetz aus. Zwar war kein Ständemehr nötig, dennoch verdeutlichte die Ablehnung der Vorlage in den Kantonen Uri (45.1%), Schwyz (40.9%), Nidwalden (48.6%), Obwalden (43.3%), Glarus (49.1%), Appenzell Ausserrhoden (47.0%), Appenzell Innerrhoden (39.2%) und Thurgau (49.9%) die Unterschiede zwischen den Regionen: So lag die Zustimmung in der Romandie mit 65.5 Prozent und in der italienischsprachigen Schweiz mit 68.8 Prozent beispielsweise deutlich höher als in der Deutschschweiz (58.3 Prozent).
Die Medien waren sich nicht sicher, wie dieses Resultat zu interpretieren war. Einerseits wurde von einem «Achtungserfolg der Gegner» (AZ) gesprochen – insbesondere da diese nicht von einer grossen Partei unterstützt worden seien (TdG) –, andererseits sei die Abstimmung zuvor als «Plebiszit über die generelle Corona-Politik des Bundesrates» angepriesen worden, weshalb das Resultat nun als Bestätigung ebendieser durch die Stimmbürgerschaft verstanden werden könne (NZZ). Einig war man sich jedoch mehrheitlich, dass dies nicht als Blankocheck für den Bundesrat verstanden werden dürfe – zugleich forderte unter anderem die SVP weitere Lockerungen der Corona-Massnahmen.


Abstimmung vom 13. Juni 2021

Beteiligung: 59.7%
Ja: 1'936'344 Stimmen (60.2%)
Nein: 1'280'128 Stimmen (39.8%)

Parolen:
- Ja: EVP, FDP, GLP, GPS, KVP, Mitte, PdA, SPS; Economiesuisse, Gemeindeverband, KdK, SAV, SGB, SGV, SSV, TravailSuisse, VPOD, GastroSuisse
- Nein: EDU; «Freunde der Verfassung», Aktionsbündnis «Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik», «Mass-voll»
- Stimmfreigabe: SD, SVP*
* verschiedene abweichende Kantonalsektionen: Ja: SVP BE, SVP LU, SVP NE, SVP VD, SVP VS; Nein: SVP AI, SVP BL, SVP SZ, SVP ZH, JSVP CH


Die Nachabstimmungsbefragung von gfs.bern zeigte einige Wochen später, dass die Vorlage von Personen unter 40 Jahren, von Sympathisantinnen und Sympathisanten der SVP sowie von Personen mit geringem bis mittlerem Vertrauen in den Bundesrat mehrheitlich abgelehnt worden war. Als Hauptgrund für ihre Ablehnung nannten die Befragten das Missbrauchspotenzial des Gesetzes (15% der Antworten), während die Befürwortenden vor allem auf die Notwendigkeit einer Gesetzesgrundlage (16%) sowie der finanziellen Unterstützung (12%) verwiesen.

Noch am Abstimmungssonntag kündigten die Junge SVP und die «Freunde der Verfassung» überdies bereits ein Referendum zur zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes und damit hauptsächlich zum Covid-19-Zertifikat an. Die zweite Revision war Mitte März 2021 vom Parlament verabschiedet worden, weshalb die Referendumsfrist nur noch drei Wochen andauerte. Die beiden Komitees zeigten sich überzeugt, dass man die nötigen 50'000 Unterschriften innert dieser kurzen Frist zusammenbekommen werde.

Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid 19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; BRG 20.058)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

Die Revision des Epidemiengesetzes blieb 2013 auch nach der im Vorjahr abgeschlossenen parlamentarischen Beratung aktuell. Die nach mehrmaligem Hin und Her zwischen den beiden Kammern beschlossene Fassung des Gesetzes sah unter anderem ein Impfobligatorium vor, welches unter gewissen Umständen Impfungen für bestimmte Personengruppen vorsah. Diese Bestimmung sorgte für Unmut. Kurz nach der Verabschiedung der Gesetzesvorlage durch das Parlament gaben mehrere Seiten das Ergreifen des Referendums bekannt. Am 17. Januar reichten die Gegner der Vorlage rund 80 000 Unterschriften ein und übertrafen damit das erforderliche Quorum bei Weitem. Mehrere Gruppierungen (Junge SVP, Bürger für Bürger, EDU, Komitee wahre Demokratie, Human Life International, Jugend und Familie, das Netzwerk Impfentscheid) hatten sich an der Unterschriftensammlung beteiligt, jedoch ohne überparteilichen Zusammenschluss. Auch links-grüne Politiker standen dem Gesetz kritisch gegenüber, wollten aber nicht mit rechts-bürgerlichen oder christlich-konservativen Kreisen kooperieren. Eine Art Federführung übernahm das „Netzwerk Impfentscheid“ um den Naturheilpraktiker Daniel Trappitsch, welcher bereits erfolgreich gegen das Tierseuchengesetz gekämpft hatte. Als namhafte Unterstützer waren die Nationalräte Büchler (cvp, SG), Estermann (svp, LU), Freysinger (svp, VS), Kessler (glp, SG) und Schwander (svp, SZ) im Komitee dabei. Die verschiedenen Gruppierungen, welche sich gegen das Gesetz formiert hatten, führten je eigene Gründe gegen die Vorlage an. Einige, in erster Linie christliche Kreise, warnten vor einer «Frühsexualisierung»: Sie verdächtigten den Bund, mit der Gesetzesänderung die Aids-Prävention und obligatorische Sexualerziehung bereits im Kindergarten forcieren zu wollen. Andere, wie zum Beispiel der damalige Vizepräsident der Jungen SVP Schweiz, Anian Liebrand, befürchteten eine Machtkonzentration beim Bund. Tatsächlich würde dieser mit dem neuen Gesetz mehr Kompetenzen für die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erhalten. Hauptargument gegen das revidierte Gesetz war aber der «Impfzwang», wie ihn die Gegner nannten. Sie lehnen Eingriffe in das körpereigene Immunsystem grundsätzlich ab und befürchteten, dem Staat würde mit dem Gesetz ermöglicht, Menschen gegen deren Willen zur Impfung zwingen zu können. Der Gesetzesentwurf sah tatsächlich vor, dass der Bund in besonderen Situationen Impfungen für gefährdete oder exponierte Personen wie z.B. Pflegepersonal anordnen kann. Die Streichung dieser Bestimmung war jedoch bereits in der Nationalratsdebatte 2012 debattiert und schlussendlich mit der Begründung abgelehnt worden, es handle sich hierbei eher um eine Pflicht als einen Zwang. Die öffentliche Gesundheit sei höher einzustufen als die persönliche Freiheit, zwangsgeimpft würde jedoch niemand. Dennoch vermochte dieses Argument bei der Volksabstimmung am meisten zu mobilisieren (siehe unten), auch wenn es sich hierbei nur um einen marginalen Aspekt der gesamten Epidemiengesetz-Revision handelte. Nach der nach aussen hin unscheinbaren Diskussion im Parlament und der deutlichen Verabschiedung mit 149 zu 14 Stimmen im Nationalrat und mit 40 zu 2 im Ständerat sollten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger durch das erfolgreich ergriffene Referendum also trotzdem über das Gesetz befinden.

Noch im September 2013 konnte sich das Volk zum revidierten Epidemiengesetz äussern. Obschon mehrere Gruppierungen gegen das Gesetz mobilisiert hatten und so die Abstimmungsempfehlung von Regierung und Parlament bekämpfen wollten, verlief der Abstimmungskampf eher ruhig. Dies war unter anderem der gleichzeitig stattfindenden und als wichtiger empfundenen Wehrpflichts-Abstimmung zuzuschreiben und liess sich auch anhand einer Analyse von Inseraten in Schweizer Zeitungen erkennen: In den letzten acht Wochen vor Abstimmung fanden sich in über 50 Tages- und Wochenzeitungen lediglich 36 Abstimmungsinserate zum Referendum, wobei zwei Drittel für eine Annahme des Gesetzes warben. Die grössten Schlagabtausche ergaben sich rund um die Frage nach dem Impfobligatorium: Gegner stilisierten dieses zu einem Impfzwang hoch und wurden dabei von den Pressetiteln unterstützt, indem diese die Revision des Epidemiengesetzes bisweilen auf ein „Impfgesetz“ reduzierten. Die Befürworter und der Gesundheitsminister Berset gaben sich Mühe, diese Massnahme zu relativieren und aufzuzeigen, dass niemand gegen seinen Willen geimpft werden könne. Die Argumentationslinien blieben jedoch grundsätzlich starr und so wurde auch die Meinungsbildung vom sogenannten Impfzwang geprägt. Die in zwei Wellen durchgeführten Meinungsumfragen im Vorfeld der Abstimmung deuteten jedoch früh auf eine mögliche Annahme der Revision. Mitte August gaben 49% der Befragten an, eher oder bestimmt dafür zu sein, 39% waren eher oder bestimmt dagegen und 12% waren noch unentschlossen. Auffallend war, dass der grössere Anteil der Befragten ihre Stimmabsicht nur tendenziell formulierte, also „eher“ dafür oder dagegen zu sein schien. Diese Werte änderten sich nicht bis zur zweiten Erhebung rund drei Wochen vor der Abstimmung, so dass zwar nach wie vor eine Ja-Tendenz zu beobachten war, den Gegnern jedoch auch noch gut zwei Wochen für eine Schlussmobilisierung Zeit blieb. Mit fast 60% Ja-Stimmen wurde das Gesetz an der Volksabstimmung bei einer Stimmbeteiligung von 46,8% deutlich angenommen. Einzig in den Innerschweizer Kantonen Schwyz und Uri sowie in den beiden Appenzell sprach sich eine Mehrheit gegen die Vorlage aus.


Abstimmung vom 22. September 2013

Beteiligung: 46,8%
Ja: 1 395 607 (59,0%)
Nein: 968 078 (41,0%)

Parolen:
– Ja: FDP, CVP, SPS, EVP, CSP, GLP, BDP, GPS, Jungfreisinnige, Juso, Junge Grüne; FMH, Hausärzte Schweiz.
– Nein: SVP, JSVP, EDU; Schweizerischer Verein für Homöopathie.

Dass die Mehrzahl der Stimmenden ihr Votum erst sehr spät fällte und die Entschlussfassung schwer fiel, ist auch der VOX-Analyse im Nachgang der Abstimmung zu entnehmen. Eine starke Polarisierung war indes nicht auszumachen; einzig die SVP-Sympathisanten lehnten die Vorlage mit rund 55% Nein-Stimmen der Parteiparole entsprechend ab. Anhänger der FDP, der CVP und der SP hiessen das Gesetz mit Anteilen zwischen 61 und 74% Ja-Stimmen gut, wiederum in Einklang mit den Parteiempfehlungen. Besonders wichtig war in dieser Abstimmung das Regierungsvertrauen: Wer ein hohes Vertrauen in den Bundesrat hatte, folgte in den meisten Fällen der Abstimmungsempfehlung der Regierung (69% Zustimmung). Der Gegenstand der Abstimmung war jedoch nicht allen Stimmenden geläufig, glaubte doch die Mehrheit der Befragten, dass es um die Einführung des Impfzwangs gehe. Allerdings legten auch jene, die das glaubten, nicht zwangsläufig ein Nein in die Urne. Gesetzesbefürworterinnen und -befürworter nannten als häufigstes Argument den nötigen Schutz der Bevölkerung im Falle von Epidemien (21%). Dass die Durchsetzung von Impfobligatorien durch den Bund in bestimmten Fällen gerechtfertigt sei (20%) und es einer Neuregelung der Kompetenzordnung im Kampf gegen Epidemien bedürfe (18%) waren weitere wichtige Argumente für Personen, die an der Urne ein Ja einlegten. Immerhin 16% der Befürworter gaben die Abstimmungsempfehlung des Bundesrates als Hilfe für die eigene Entscheidung an. Unter den Gesetzesgegnern war die Angst um einen vermeintlichen Impfzwang das dominierende Argument in der Meinungsbildung (von 60% angegeben). Das Gesetz soll nach der Annahme per Anfang 2016 in Kraft gesetzt werden.

Totalrevision Epidemiengesetz (BRG 10.107)