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  • Bundesratszusammensetzung

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  • Gutjahr, Diana (svp/udc, TG) NR/CN
  • Cassis, Ignazio (fdp/plr) BR EDA / CF DFAE

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Jahresrückblick 2019: Institutionen und Volksrechte

Der Bundesrat stand aus mindestens vier Gründen 2019 im Fokus der politischen Debatte. Zuerst gab die Departementsverteilung im Nachgang der Bundesratsersatzwahlen vom Dezember 2018, bei denen Doris Leuthard (cvp) und Johann Schneider-Ammann (fdp) durch Viola Amherd (cvp) und Karin Keller-Sutter (fdp) ersetzt worden waren, zu reden (vgl. auch den entsprechenden Peak bei der Medienberichterstattung). Nicht nur, dass mit Viola Amherd zum ersten Mal in der Geschichte der Schweiz eine Frau das VBS übernahm, sondern auch der Wechsel von Guy Parmelin ins WBF und von Simonetta Sommaruga ins UVEK wurden in den Medien diskutiert. Kommentiert wurde dabei insbesondere, dass die Verteilung offenbar erst nach einem Mehrheitsbeschluss innerhalb des Gremiums zustande gekommen war, was als schlechter Start und Herausforderung für die künftige Konkordanz interpretiert wurde. Mit der Wahl von zwei Frauen in die Landesregierung wurde der Debatte um die verfassungsmässige Festschreibung einer Frauenquote im Bundesrat der Wind aus den Segeln genommen. Ein entsprechender Vorstoss, der vom Ständerat noch angenommen worden war, wurde vom Nationalrat versenkt. Auch die Idee einer Karenzfrist, also das Verbot für ehemalige Magistratspersonen, Mandate von Unternehmen anzunehmen, die in Beziehung zu ihrem Regierungsamt stehen, wurde – wie schon 2015abgelehnt. Die Gesamterneuerungswahlen für den Bundesrat Ende Jahr lösten eine breite und medial stark begleitete Debatte um Zauberformel, Konkordanz, Systemstabilität und die Ansprüche der bei den Wahlen 2019 sehr erfolgreichen Grünen Partei auf einen Bundesratssitz aus. Die Mehrheit des Parlaments entschied sich, Regula Rytz, die Sprengkandidatin der Grünen, nicht anstelle von Ignazio Cassis in die Exekutive zu wählen.

Auch die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament war im Berichtjahr Gegenstand parlamentarischer Arbeit. Beraten wurde dabei insbesondere die Idee eines Verordnungsvetos. Die auf eine parlamentarische Initiative Aeschi (svp, ZG; Pa.Iv. 14.422) zurückgehende, 2014 eingereichte Idee sieht vor, dass ein Drittel der Mitglieder eines Rates gegen die Veröffentlichung einer bundesrätlichen Verordnung ein Veto einlegen kann, wenn die Stossrichtung der Verordnung nicht dem Willen des Parlaments entspricht. Während sich eine Mehrheit des Nationalrats davon eine präventive Wirkung erhoffte, lehnte die Mehrheit des Ständerats die Vorlage als zu kompliziert ab. Ein weiteres Mal abgelehnt wurde – ebenfalls nach längeren Diskussionen – die Idee einer Neuorganisation der Legislaturplanung. Das Parlament debattiert in schöner Regelmässigkeit seit der 2002 eingeführten Änderung, ob die Diskussionen um die zahlreichen Änderungsanträge an der Legislaturplanung zielführend seien. Der Antrag, die Planung wie vor 2002 einfach zur Kenntnis nehmen zu können und eben nicht als Bundesbeschluss behandeln zu müssen, stiess aber im Parlament erneut auf taube Ohren. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die Diskussion nach den eidgenössischen Wahlen 2019 erneut losgehen wird.

Im Nationalrat wurde 2019 die Frage erörtert, wie politisch die Verwaltung sei. Während eine Motion Bigler (fdp, ZH; Mo. 17.4127), die eine Offenlegung der Interessenbindungen von Kaderangestellten verlangt, von der grossen Kammer angenommen wurde, lehnte diese ein Postulat Burgherr (svp, AG; Po. 17.3423) ab, mit dem hätte untersucht werden sollen, wann und wie die Verwaltung effektiv politischen Einfluss ausübt. Dauerbrenner im Parlament waren auch 2019 Sparmassnahmen bei den Personalkosten in der Verwaltung. Diese sollten, wäre es nach dem Nationalrat gegangen, mit Hilfe von Digitalisierung oder durch einen Ausgabenstopp in den Griff bekommen werden – der Ständerat verweigerte aber jeweils seinen Segen dazu.

Im letzten Jahr der 50. Legislatur kam es im Parlament noch zu fünf Mutationen. Insgesamt wurden in der 50. Legislatur 26 Nationalrats- und zwei Ständeratsmandate ersetzt; rund ein Drittel der Mutationen war durch die SP-Fraktion zu verantworten. Das Büro-NR will sich in einem Bericht auf ein Postulat Feri (sp, AG; Po. 18.4252) der Vereinbarkeit der Parlamentsarbeit mit Familie und Beruf annehmen, einem Thema, das in den letzten Jahren immer virulenter zu werden scheint, wie verschiedene Vorstösse zeigen. Nicht einig wurde man sich in den Räten über verschiedene Spesenregelungen. Die SPK-NR entschloss sich deshalb, mit einer Kommissionsinitiative (Pa.Iv. 19.431) wenigstens die Übernachtungsentschädigungen einheitlicher zu organisieren. Diskutiert wurde im Parlament auch 2019 wieder über Regeln für transparenteres Lobbying. Die seit Langem schwelende Debatte, die spätestens 2015 mit der sogenannten «Kasachstan-Affäre» viel Fahrt aufgenommen hatte, wurde allerdings stark abgebremst: Fast wäre auch der letzte, ziemlich zahnlose Vorstoss in diese Richtung versandet, wenn nicht der nach den eidgenössischen neu zusammengesetzte Nationalrat den Nichteintretensentscheid auf einen Vorschlag der SPK-SR sozusagen in letzter Minute zurückgenommen hätte.

Etwas stärker in den Fokus als auch schon geriet 2019 die Judikative, was sich auch in der Medienkonjunktur zu diesem Thema zwischen März und September 2019 beobachten lässt. Dies hatte einerseits damit zu tun, dass im Nationalrat über die Revision des ziemlich umstrittenen Bundesgerichtsgesetzes debattiert wurde – insbesondere die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird wohl auch 2020 noch zu reden geben, auch wenn der Ständerat kurz vor Ende Jahr beschloss, nicht auf die Vorlage einzutreten. Andererseits standen einige Ersatzwahlen an, die jedoch in aller Regel geräuschlos über die Bühne gehen. Beinahe wäre jedoch eine Ersatzwahl ans Bundesgericht zur Ausnahme dieser Regel geworden, da die GK entgegen den Gepflogenheiten nicht die am stärksten untervertretene SVP, sondern die CVP berücksichtigte, was beinahe zu einer noch nie vorgekommenen Kampfwahl geführt hätte. Dafür, dass das Gerichtswesen auch in Zukunft im Gespräch bleibt, wird wohl auch die 2019 zustande gekommene Justizinitiative sorgen, die vorschlägt, oberste Richterinnen und Richter per Losverfahren zu bestimmen, um eben diese starke, dem Proporzgedanken geschuldete Verbindung zwischen Judikative und Parteien zu verhindern. Viel zu schreiben gab zudem die Bundesanwaltschaft. Nach langen und stark medial begleiteten Diskussionen zu einer Disziplinaruntersuchung um den amtierenden Bundesanwalts Michael Lauber wurde dieser erst nach einer Verschiebung der Wahl von der Sommer- in die Herbstsession und äusserst knapp für eine dritte Amtsperiode bestätigt.

Im Wahljahr 2019 trat die Nutzung der direkten Demokratie ein wenig in den Hintergrund. An zwei Abstimmungswochenenden wurde lediglich über drei Vorlagen abgestimmt. Dabei folgte die Mehrheit der Stimmbevölkerung sowohl bei den beiden Referenden (STAF und Waffenschutzrichtlinie) als auch bei der Zersiedelungsinitiative der Empfehlung von Parlament und Bundesrat. Die Ablehnung der Zersiedelungsinitiative bedeutet zudem, dass in der 50. Legislatur kein einziges Volksbegehren Erfolg hatte. Die wahlbedingte Abstimmungspause wird wohl in den folgenden Jahren zu einigen Abstimmungswochenenden mit mehreren Vorlagen führen, sind doch Ende 2019 ganze 16 Volksinitiativen im Unterschriftenstadium und 19 abstimmungsreif oder beim Bundesrat oder im Parlament in Beratung. Dafür, dass in Zukunft die direkte Demokratie umfassender genutzt werden könnte, sorgte das Parlament zudem mit seiner Entscheidung zur Kündigung von Staatsverträgen, die zukünftig nicht mehr dem Bundesrat, sondern der Legislative und im Falle eines Referendums der Stimmbevölkerung obliegt. Eines der anstehenden Volksbegehren ist die Transparenzinitiative, für die die SPK-SR 2019 einen indirekten Gegenentwurf in die Vernehmlassung gab, mit dem die Offenlegung der Finanzierung von Wahl- und Abstimmungskampagnen im Gesetz geregelt werden soll und der in der Wintersession vom Ständerat mit Anpassungen gutgeheissen wurde.

Einen herben Dämpfer erlitt 2019 die Idee des elektronischen Wählens und Abstimmens. Nachdem der Kanton Genf bereits Ende 2018 sein E-Voting-System eingestellt hatte und das System der Post in einem öffentlich ausgeschriebenen Stresstest den Anforderungen nicht standgehalten hatte, bestanden keine brauchbaren technischen Angebote mehr für die effektive Durchführung von «Vote électronique». Daher entschied sich der Bundesrat, sein Ziel, E-Voting als ordentlichen Stimmkanal einzuführen, vorläufig zu sistieren. Gegenwind erhielt der elektronische Stimmkanal zudem von einer Anfang 2019 lancierten Volksinitiative für ein E-Voting-Moratorium. Immerhin entschied sich der Nationalrat für eine Motion Zanetti (svp, ZH; Mo. 19.3294) mit dem Ziel, die Abstimmungsunterlagen elektronisch zustellen zu können.

Jahresrückblick 2019: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Jahresrückblick 2019

Eine Folge der eidgenössischen Wahlen 2019, die einen massiven Wahlgewinn der Grünen und eine Niederlage der Polparteien mit sich gebracht hatten, waren die virulenten Diskussionen um die Zusammensetzung und die Bestellung des Bundesrats. Auf der einen Seite wurde eine neue Zauberformel gefordert. Das Parlament müsse bei der Bestellung der Regierung rascher auf Veränderungen reagieren können. Auf der anderen Seite wurden Reformen gefordert, die eine Erhöhung der Zahl der Regierungsmitglieder, Koalitionsverhandlungen oder einen eigentlichen Systemwechsel weg von der Konkordanzidee vorsahen.

Die Zauberformel, die 1959 mit der Idee eingeführt worden war, dass die drei grössten Parteien je zwei und die viertgrösste Partei einen Sitz erhalten soll, wurde durch die aktuellen Wahlresultate gleich mehrfach in Frage gestellt. Jahrzehntelang passte die Formel gut zu den Kräfteverhältnissen, weil die FDP, die CVP und die SP bei den Nationalratswahlen jeweils mehr als 20 Prozent Wähleranteile hinter sich wussten und die SVP auf jeweils etwas mehr als zehn Prozent zählen konnte. Eine erste Verschiebung der Kräfteverhältnisse führte 2003 zu einem Sitzwechsel von der CVP zur SVP. Nach einer durch die Nichtbestätigung von Christoph Blocher 2007 beginnenden Übergangsphase, während der CVP, SVP und BDP je einen Sitz hatten, kehrte man mit der Wahl von Guy Parmelin im Jahr 2015 wieder zu dieser 2-2-2-1-Verteilung zurück – neu mit der CVP als Juniorpartner. War diese Verteilung freilich schon 2015 hinterfragbar, geriet sie 2019 vollends in die Kritik, weil mit der SVP nur noch eine Partei über 20 Prozent Wähleranteil verfügte (25.6%), aber vier Parteien neu über 10 Prozent lagen: Die SP mit 16.8 Prozent, die FDP mit 15.1 Prozent, die Grünen mit 13.2 Prozent und die CVP mit 11.4 Prozent. Diese Verteilung liess Raum für zahlreiche Rechenspiele, die in den Medien für viel Gesprächsstoff sorgten und die Diskussionen im Vorfeld der Bundesratswahlen anheizten.

Eine neue Zauberformel wurde natürlich insbesondere von den Gewinnerinnen und Gewinnern der eidgenössischen Wahlen 2019 gefordert. Die Frage war freilich, auf wessen Kosten die Grünen einen Bundesratssitz erhalten sollten. Wahlweise vorgeschlagen wurde, dass die CVP als neu kleinste Partei verzichten müsse. Aber auch die FDP und die SP hätten eigentlich – je nach Berechnung – keinen Anspruch auf zwei Sitze. Die GP selber forderte – unterstützt von der SP – den Sitz von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis. Mediale Aufmerksamkeit erhielt ein Vorschlag von Christoph Blocher, der eine Proporz-Zusammensetzung vorschlug, die der SVP zwei Sitze und allen anderen Parteien inklusive der GLP (die bei den Wahlen auf 7.8% Wähleranteil gewachsen war) je einen Sitz zugestand. Freilich wurde in der Diskussion auch die Frage laut, ob für die Berechnung der Zusammensetzung lediglich die Wählerprozente, also nur die Zusammensetzung des Nationalrats, oder nicht vielmehr die Sitzverteilung in National- und Ständerat herangezogen werden müssten. Auf der Basis der totalen Anzahl Sitze aus beiden Kammern wäre die CVP (total 38 Sitze) wiederum stärker als die GP (total 33 Sitze), was für den Status Quo sprechen würde.
Eine Erweiterung der Diskussion wurde durch die Überlegung geschaffen, nicht Parteien, sondern Blöcke zu betrachten. Die NZZ schlug vor, den Polen – bestehend aus SVP auf der einen und SP zusammen mit den Grünen auf der anderen Seite – je zwei Sitze und den Parteien in der Mitte (FDP, CVP und allenfalls GLP) drei Sitze zuzusprechen. Wenn die Grünen einen Sitz erhielten und die SP ihre beiden Sitze behalten würde, dann wäre das linke Lager, das kumuliert auf rund 30 Prozent Wählerstärke komme, stark übervertreten, so die Argumentation der NZZ.

Als Problem für eine flexiblere Gestaltung der Regierungszusammensetzung wurde zudem die variable Amtszeit der Bundesrätinnen und Bundesräte ausgemacht. Würde die Amtszeit eines Regierungsmitglieds auf acht Jahre fixiert – inklusive der Verpflichtung, nicht freiwillig vor Ablauf dieser Zeit zurückzutreten – ergäben sich bei jeder Gesamterneuerungswahl Vakanzen, die eine Neuausrichtung der parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesrats vereinfachen würden, schlug CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) als weitere – schon etwas ältere – Idee vor.

Ein weiteres, medial diskutiertes Problem der starren 2-2-2-1-Zauberformel war die Repräsentativität des Bundesrats. Wurden 1959 durch die vier Regierungsparteien noch 85 Prozent der Wählerschaft (gemessen anhand der Wählerprozente bei den Nationalratswahlen) repräsentiert, sank dieser Wert aufgrund der zunehmenden Volatilität, aber auch aufgrund der Ausdifferenzierung des Parteiensystems 2019 erstmals unter 70 Prozent (68.9%). Die «formule magique» verliere ihre Magie, urteilte die Zeitung Le Temps auf Basis dieser Zahlen. In der Regierung müsse sich der Wille der Wählenden unmittelbar niederschlagen; wer fordere, dass die Grünen ihren Wahlerfolg in vier Jahren noch einmal bestätigen müssten, um einen Anspruch auf Einbindung in die Regierung zu haben, sei deshalb «ein schlechter Demokrat», urteilte der Tages-Anzeiger. Letztlich seien es «nicht die Wahlprozente, sondern die Mandatsträger im National- und im Ständerat», welche über die Regierungszusammensetzung entschieden. Dies sei «die eigentliche Machtarithmetik der Bundesratswahlen», kommentierte der emeritierte Historiker Urs Altermatt in der NZZ.

Als Alternative zu einer neuen Zauberformel und als Möglichkeit einer besseren Repräsentation wurde eine weitere alte Idee hervorgekramt: die Erhöhung der Zahl der Regierungsmitglieder auf neun. Zwar waren in der Vergangenheit zahlreiche Vorstösse für eine Umsetzung dieser Idee gescheitert – etwa im Rahmen der Staatsleitungs- und Regierungsreform zu Beginn des Jahrtausends, aber auch bei Debatten zu einzelnen Reformvorschlägen –, die elf Prozent Wähleranteil, die rein arithmetisch bei neun Sitzen für einen Bundesratssitz reichen würden, würden aber ermöglichen, dass die Grünen einen Sitz erhielten, ohne dass die CVP einen Sitz abgeben müsste, so ein Argument in der Aargauer Zeitung. Insbesondere Christian Levrat (sp, FR) machte sich in den Medien für die Erhöhung der Anzahl Regierungsmitglieder stark. Damit könne nicht nur dem Anspruch der Grünen genüge getan werden, so der SP-Parteipräsident, sondern es sei auch nicht mehr zeitgemäss, lediglich sieben Minister zu haben. Dies sei weltweit fast einmalig wenig.

Weitere Vorschläge stellten die Idee der Konkordanz grundsätzlich in Frage. Nicht die wichtigsten Kräfte sollten in der Regierung vertreten sein, stattdessen müsse man ein Oppositionssystem einführen, in welchem wahlweise eine Mitte-Rechts- oder eine Mitte-Links-Regierung einer linken oder rechten Opposition gegenüberstehe, so ein Vorschlag im Tages-Anzeiger. Auch die Idee, dass Parteien mit programmatischen Koalitionsvorschlägen für die Regierung kandidieren könnten, würde das bestehende Konkordanzsystem verändern. Man müsse aber in der Tat mehr über politische Inhalte als bloss über Formeln sprechen, forderte die Aargauer Zeitung.

Man komme wohl in Zukunft nicht darum herum, die Regierungszusammensetzung nach jeden Gesamterneuerungswahlen neu zu diskutieren, folgerte der Tages-Anzeiger. Freilich steht die Konkordanz und die Zusammensetzung der Regierung schon seit einigen Jahren und stets bei Bundesratswahlen zur Diskussion, nur um dann für die nächsten vier Jahre wieder aus dem Fokus der Medien zu verschwinden. Um ebendies nach den Bundesratswahlen 2019, die hinsichtlich Regierungszusammensetzung trotz aller Reformdiskussionen den Status Quo zementierten, zu verhindern, schlug Gerhard Pfister einen «Konkordanzgipfel» vor, wie ihn die Medien betitelten: «Wir müssen die Zauberformel im Bundesrat, die Konkordanz in der Landesregierung, neu erfinden», gab Pfister im Sonntags-Blick zu Protokoll. Es gehöre zum Schweizer System, dass man gemeinsam nach Lösungen suche, begrüsste GLP-Parteipräsident Jürg Grossen (glp, BE) die Initiative der CVP. Alle Parteien waren sich einig, dass die Regeln den zunehmend volatiler werdenden Wahlresultaten angepasst werden müssen. Wie diese Anpassung auszusehen hat, blieb hingegen naturgemäss umstritten.

Reformideen im Nachgang der Bundesratswahlen 2019

Nach den Erfolgen sowohl in den National- als auch in den Ständeratswahlen 2019 forderten die Grünen in den darauffolgenden Bundesratswahlen einen Bundesratssitz. Zwar hatte Parteipräsidentin Regula Rytz (gp, BE) am Wahlsonntag der eidgenössischen Wahlen auf eine klare Aussage dazu verzichtet und lediglich angemerkt, dass die Verteilung der Bundesratssitze nicht mehr passe. Am 22. November 2019 gab Rytz jedoch ihre Kandidatur für die Bundesratswahlen offiziell bekannt. Man habe so lange mit dem Entscheid gewartet – die Ankündigung von Rytz kam fast einen Monat nach den Nationalratsergebnissen und drei Wochen vor den Bundesratswahlen –, da man in Gesprächen mit den anderen Parteien die Wahlchancen abzuschätzen versucht habe, erklärte Rytz gegenüber dem Tages-Anzeiger. Diese Gespräche seien positiv verlaufen, woraufhin die Grünen den FDP-Sitz von Ignazio Cassis angriffen. Die FDP sei im Bundesrat rechnerisch übervertreten, weshalb Rytz eine neue Zauberformel vorschlug, gemäss der die beiden grössten Parteien SP und SVP je zwei Sitze und FDP, CVP und die Grünen je einen Sitz haben sollten. Rytz betonte die Dringlichkeit einer Fortsetzung der Klimaschutzdiskussionen und die entsprechende Unterstützung in der Stimmbevölkerung. Aus diesem Grund sei der Anspruch der Grünen auf einen Bundesratssitz gerechtfertigt, obwohl mit Ignazio Cassis ein Vertreter einer sprachlichen Minderheit angegriffen werde. Man könne – so Rytz – nicht alle Ansprüche befriedigen.
Die Zeitungen kommentierte diese verspätete Kandidatur von Rytz und ihren Start in den Bundesratswahlkampf als misslungen. Die NZZ begründete die späte Bekanntgabe damit, dass Rytz ihrer Ständeratskandidatur Priorität eingeräumt habe und folglich bei einer Wahl in den Ständerat auf die Bundesratskandidatur verzichtet hätte. Stattdessen hätte sich Rytz aus dem Ständeratsrennen nehmen und sich auf die Bundesratswahl konzentrieren müssen – war sich die Presse einig. Als entsprechend klein schätzten sie auch ihre Chancen, gewählt zu werden, ein, betonten dabei aber vor allem die entscheidende Rolle der GLP-Fraktion auf einer Seite und der CVP-EVP-BDP-Fraktion auf der anderen Seite.

Am Tag der Wahl stellte sich neben den Grünen nur die Sozialdemokratische Fraktion offiziell hinter die Forderung, die Zauberformel zu ändern und die grüne Kandidatin Regula Rytz zulasten von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis zu unterstützen. Im Rahmen der parlamentarischen Debatte betonte SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann (sp, VD), dass die Zusammensetzung des Bundesrates mit einer Mehrheit von je zwei Bundesratssitzen der FDP und der SVP aufgrund der Wahlerfolge der Grünen nicht mehr repräsentativ sei für die Schweiz und das Parlament. Keine Unterstützung erhielt Rytz von den übrigen Parteien. Die Grünliberale Fraktion entschied sich zwar für Stimmfreigabe, was für einigen Unmut bei den Grünen sorgte. Einige GLP-Mitglieder äusserten sich diesbezüglich im Tages-Anzeiger und erklärten, dass sie sich eine gemeinsame Strategie mit den Grünen für einen Bundesratssitz gewünscht hätten. Absprachen diesbezüglich hätten jedoch nicht stattgefunden. Auch von der CVP-Fraktion erfuhren die Grünen keine Unterstützung, diese gab an, Ignazio Cassis zu unterstützen. Nach den Wahlen äusserte sich Balthasar Glättli im Sonntags-Blick kritisch gegenüber der CVP und stellte in Aussicht, dass die Grünen zukünftig auch den Sitz von Viola Amherd angreifen könnten, falls die CVP keinen Beitrag zu einer griffigeren Klimapolitik leiste. Da auch die FDP- und die SVP-Fraktion Ignazio Cassis unterstützten, setzte sich dieser mit 145 Stimmen durch. Regula Rytz erhielt 82 Stimmen, 11 Stimmen entfielen auf Verschiedene.

Im Zusammenhang mit der Forderung der Grünen nach einem Bundesratssitz berichteten die Medien ausgiebig über eine neue Zauberformel und somit über eine neue Zusammensetzung des Bundesrates. In einem Interview schlug SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR) vor, den Bundesrat auf neun Mitgliedern zu erweitern; dies gäbe mehr Spielraum, um die grossen Parteien angemessen in die Regierung zu integrieren, die Regionen wären besser vertreten und die Bundesräte würden entlastet. Altbundesrat Christoph Blocher schlug stattdessen vor, dass sowohl die SP als auch die FDP zukünftig nur jeweils einen Sitz haben und stattdessen auch die Grünen und Grünliberalen je einen Sitz erhalten sollten (sogenannte Formel Christoph Blocher: 2-1-1-1-1-1).

Forderung der Grünen um einen Bundesratssitz

Mit 13 zu 10 Stimmen entschied die SPK-NR, der parlamentarischen Initiative Comte (fdp, NE) für eine angemessene Frauenvertretung in der Bundesregierung keine Folge zu geben. Zwar hatte sich der Ständerat rund ein Jahr zuvor knapp für das Anliegen ausgesprochen, das die in der Verfassung festgehaltenen Kriterien für die Wahl von Bundesrätinnen und Bundesräten (Landesgegend und Sprachregion) um das Element «Geschlecht» erweitern wollte. Die Bundesratsersatzwahlen Ende 2018 – so die SPK-NR in ihrer Begründung – hätten aber gezeigt, dass eine solche Ergänzung nicht notwendig sei und dass das Parlament sehr wohl auf die angemessene Vertretung der Geschlechter in der Regierung achte. In der Tat war die Idee für die parlamentarische Initiative Comte – einen inhaltlich praktisch identischen Vorstoss hatte auch Maya Graf (gp, BL) im Nationalrat eingereicht (Pa.Iv. 17.411), nach dem Erfolg der Comte'schen Initiative in der kleinen Kammer aber wieder zurückgezogen – aufgrund der Ersatzwahl von Ignazio Cassis geboren worden. Damals war von verschiedener Seite die Wahl einer Bundesrätin gefordert worden. Die SPK-NR sah auch deshalb keinen Mehrwert eines Verfassungszusatzes, weil es sich hier um ein gesellschaftspolitisches und nicht um ein rechtliches Anliegen handle. Es liege insbesondere an den Parteien, Frauen zu fördern. Die starke Kommissionsminderheit sah es hingegen als sachlich gerechtfertigt an, die angemessene Vertretung von Frauen in der Regierung zu fordern und dies auch so in der Verfassung festzuhalten. Sie pochte auf den Begriff «angemessen», der der Vereinigten Bundesversammlung immer noch genügend Spielraum lasse.
Es stimme, dass bei den letzten Ersatzwahlen zwei Frauen gewählt worden seien, in der 170-jährigen Geschichte des Bundesstaates habe es aber lediglich neun Bundesrätinnen gegeben, verteidigte Angelo Barrile (sp, ZH) den Minderheitsantrag auf Folge geben in der Ratsdebatte. Barbara Steinemann (svp, ZH) gab als Kommissionssprecherin allerdings zu bedenken, dass das Anliegen bloss deklaratorischer Natur sei; eine Annahme würde kaum konkrete Folgen haben, hätte aber ein obligatorisches Referendum zur Folge, was dann doch übertrieben sei. Es vermag ob der Positionen in der Ratsdiskussion nur wenig zu erstaunen, dass die geschlossenen Fraktionen der SP, der GP und der GLP für Folge geben eintraten und die geschlossene SVP-Fraktion dagegen stimmte. Auch die Mehrheit der BDP-Fraktion sowie beide EVP-Mitglieder votierten für einen Verfassungsartikel. Von den zusätzlichen acht bürgerlichen Stimmen stammten fünf von Frauen. Die insgesamt 72 Stimmen für Folge geben reichten jedoch gegen die 107 ablehnenden Voten (1 Enthaltung) nicht aus, mit denen der Vorstoss versenkt wurde.
Die Frauen hätten eine Schlacht auf dem Weg zur Gleichstellung verloren, titelte die Liberté am Tag nach der Abstimmung. Allerdings könne es gut sein, dass es in der Regierung bald wieder eine Frauenmehrheit gebe; dann nämlich, wenn der dienstälteste Magistrat Ueli Maurer zurücktrete, und der Druck auf der SVP hoch sein werde, einen ihrer beiden Exekutivsitze ebenfalls mit einer Frau zu besetzen.

Angemessene Frauenvertretung in der Bundesregierung
Dossier: Frauenanteil im Bundesrat

Die Zusammensetzung des Bundesrates ist immer wieder Gegenstand von Debatten. Sei es die regionale, die sprachliche oder eine gendergerechtere Vertretung – die Diskussionen drehen sich in der Regel um die deskriptive Repräsentation des Exekutivgremiums und weniger um die substanzielle, also die Frage, ob das Kollegium inhaltlich die Interessen der Bevölkerung zu vertreten im Stande ist.
Besonders virulent und medial begleitet werden diese Debatten jeweils bei anstehenden Bundesratswahlen. Bei der Wahl von Guy Parmelin 2015 machte sich etwa Unmut in der Ostschweiz breit, da die sieben Kantone der Ostschweiz (SG, TG, GR, SH, GL, AR, AI), und damit rund 1.1 Mio. Einwohner, zum zweiten Mal seit 1848 nicht in der Bundesregierung vertreten sind, wohingegen die Romandie mit etwa der Hälfte an Einwohnerinnen und Einwohnern mit Parmelin, Burkhalter und Berset sogar dreifach vertreten sei. Roland Eberle (svp, TG) gab in der NZZ zu Protokoll, dass fünf der sieben Bundesräte nun „Burgunder” seien, die wesentlich zentralistischer und etatistischer dächten als „Alemannen”. Die Ostschweiz, die sich „an den Rand gedrängt” fühle (SGT), fordere deshalb eine Korrektur bei der nächsten Vakanz. In der Tat stellte die Ostschweizer Regierungskonferenz diese Forderung in einem Schreiben, um die Parteispitzen zu sensibilisieren.

Bei der Sprachenfrage drehte sich die Debatte bis zur Wahl von Ignazio Cassis 2017 lange um den Aspekt der Vertretung des Tessins in der Landesregierung. Der Südkanton war seit 1999 und dem Rücktritt von Flavio Cotti nicht mehr im Bundesrat vertreten. Zwar hatte die SVP mit Norman Gobbi (TI, lega) bei der Besetzung des leer gewordenen Sitzes von Eveline Widmer-Schlumpf auch einen Tessiner Kandidaten aufgestellt, um die Untervertretung der Südschweiz beheben zu helfen. Weil es sich um einen Lega-Politiker handelte – der im Parlament als kaum wählbar galt –, wurde dieses Manöver allerdings als „wenig glaubhaft” bezeichnet (NZZ). Mit der Wahl von Cassis ebbte die Diskussion um die Vertretung der Sprachregion wieder ab.

Ein zentraler Bestandteil der Debatten ist schliesslich die Frage der Vertretung der Frauen im Bundesrat. Waren Ende September 2010 die Frauen im Bundesrat erstmals in der Mehrheit – das Interregnum dauerte allerdings lediglich 14 Monate –, sieht es nach dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf Ende 2015 und der Rücktrittsankündigung von Doris Leuthard Mitte 2017 so aus, als könnte Simonetta Sommaruga bald die einzige Frau im Kollegium sein. Ein Bundesrat mit nur einer Frau sei kein Abbild der Gesellschaft mehr, liess sich Yvonne Feri (sp, AG), Präsidentin der SP-Frauen, in der NZZ protokollieren. Bereits nach der Wahl von Guy Parmelin hegte Alliance F – der Bund Schweizerischer Frauenorganisationen – die Idee einer Verfassungsbestimmung, gemäss der nicht nur die Landesgegenden und Sprachregionen angemessen im Bundesrat vertreten sein sollen, wie dies die Verfassung bereits vorsieht, sondern auch die Frauen. Zwar hatte die GP bei der Wahl von Parmelin versucht, mit ihren Stimmen für Viola Amherd (cvp, VS) ein Zeichen zu setzen, und die FDP hatte neben dem gewählten Ignazio Cassis und Pierre Maudet (GE) mit Isabelle Moret (VD) auch eine Frau auf das Dreierticket gesetzt – was von verschiedener Seite mit Nachdruck gefordert worden war –, die Wahl fiel letztlich aber in beiden Fällen auf einen Mann. Damit der Bundesrat seine Vorbildfunktion wahrnehmen könne – nur eine ausreichende Frauenvertretung zeige, dass Regieren kein Männerberuf sei – setzte Alliance F Anfang 2017 ihre Idee in die Tat um: Maya Graf (gp, BL), die Präsidentin von Alliance F, reichte eine entsprechende parlamentarische Initiative ein.

Freilich gibt es in diesen Debatten allerdings auch immer wieder etwas leisere Stimmen, die eher den substanziellen Aspekt der Vertretung betonen und die Qualifikation der Magistratinnen und Magistraten höher gewichten als deren regionale oder sprachliche Herkunft. Das beste Argument einer regionalen Vertretung sei eine überzeugende Kandidatur – so etwa ein Kommentar in der NZZ. Darüber hinaus zeigt eine langfristige Betrachtung, dass von einer Untervertretung der verschiedenen Landesteile kaum gesprochen werden kann. Eine stärkere Betonung substanzieller Repräsentation würde auch den Zugang zur Exekutive für andere Parteien öffnen. Mit den Erfolgen der Grünen in den kantonalen Wahlen und einer möglichen „Öko-Allianz” (AZ) zwischen GP und GLP, die nach den Wahlen 2015 zusammen über 11.7 Wähleranteil verfügen, also 0.1 Prozent mehr als die CVP, könnte aus einer Umweltschutz-Perspektive auch ein Anspruch dieser beiden Parteien auf einen Regierungssitz erhoben werden. Auch in dieser Hinsicht werden die eidgenössischen Wahlen 2019 spannend werden.

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