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Jahresrückblick 2023: Bevölkerung und Arbeit

Im Themenbereich «Bevölkerung und Arbeit» stand 2023 die Furcht vor dem Fachkräftemangel im Mittelpunkt. So wurden die Gründe, Folgen und Gegenmittel dazu in den Medien breit diskutiert. Im Parlament hiess der Erstrat eine Motion gut, welche Personen aus Drittstaaten, die eine höhere Berufsbildung in der Schweiz abgeschlossen haben, ein Bleiberecht gewähren wollte. Zugleich hiess das Parlament einen Gesetzesentwurf zur Schaffung einer Plattform zur elektronischen Kommunikation zwischen Vollzugsorganen der flankierenden Massnahmen gut.

Mit dem Fachkräftemangel verbunden waren auch Diskussionen zur Arbeitszeit. So forderten mehrere Vorstösse eine Reduktion der Arbeitszeit auf 35 Wochenstunden oder alternativ eine 4-Tage-Arbeitswoche, eine zusätzliche Ferienwoche für alle oder zumindest sechs Ferienwochen für Lernende bis zum 20. Altersjahr. Sämtliche Vorstösse scheiterten jedoch im Parlament, wobei der Fachkräftemangel als Hauptgrund für die Ablehnung der Forderungen zur wöchentlichen Arbeitszeitreduktion genannt wurde. Hingegen präsentierte die WAK-NR in Umsetzung einer parlamentarischen Initiative einen Entwurf, mit dem die teilhabenden Arbeitnehmenden bei Start-ups von der Pflicht zur Zeiterfassung befreit werden sollten, um den Arbeitsmarkt für Start-ups zu flexibilisieren.

Auch das Thema der Löhne wurde häufig im Kontext des Fachkräftemangels diskutiert. Die entsprechenden Diskussionen verstärkten sich, als das BFS Ende Oktober bekannt gab, dass die in den GAV festgelegten nominalen Effektivlöhne sowie Mindestlöhne im Vergleich zum Vorjahr angestiegen waren. Das Parlament hingegen diskutierte über eine Beschränkung der variablen Lohnbestandteile, insbesondere bei Geschäftsleitung und Verwaltungsrat – auch als Konsequenz des Zusammenbruchs der Credit Suisse. Im Jahr 2023 berichteten die Medien etwas häufiger über die Löhne als in den vergangenen vier Jahren, wie die Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse zeigt.

Aber auch allgemein waren die Arbeitsbedingungen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt Thema, vor allem in Bezug zu Online-Plattformen. So verlangten zwei abgelehnte Vorstösse, dass für Plattform-Mitarbeitende generell das Vorliegen eines Arbeitsvertrags vermutet wird und dass die Kantone die Einhaltung des Arbeitsrechts durch Anbietende von Plattform-Anstellungen überprüfen müssen. Insgesamt erwies sich der Gesundheitszustand der Schweizer Arbeitnehmenden gemäss einer vom SECO durchgeführten Studie im Allgemeinen als gut, insbesondere im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Rund ein Viertel der Befragten erachteten aber ihre Sicherheit oder Gesundheit durch die Arbeit als gefährdet.

Insbesondere im Wahlkampf wurde das Bevölkerungswachstum in der Schweiz diskutiert. So hatte die Wohnbevölkerung (inklusive der nicht ständigen Wohnbevölkerung) der Schweiz im Jahr 2023 die Zahl von 9 Millionen Menschen überschritten. Der Nationalrat nahm in der Folge ein Postulat an, das den Bundesrat beauftragte, das Zukunftsbild einer Schweiz mit einer Wohnbevölkerung von 10 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zu illustrieren. Zudem lancierte die SVP Anfang Juli die Initiative «Nein zur 10-Millionen-Schweiz», um das Bevölkerungswachstum zu stoppen.

Jahresüberblick 2023: Bevölkerung und Arbeit
Dossier: Jahresrückblick 2023

Jahresrückblick 2023: Soziale Gruppen

Von allen Themen im Bereich der «Sozialen Gruppen» berichteten die Medien im Jahr 2023 wie bereits im Vorjahr am häufigsten über Asylfragen (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse). Sowohl parlamentarische als auch ausserparlamentarische Diskussionen drehten sich im Jahr 2023 häufig um potentielle und aktuelle Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung von Asylsuchenden, bedingt durch die stark ansteigenden Asylgesuchszahlen sowie durch zahlreiche Schutzsuchende aus der Ukraine. Dabei kam es auch zu Misstönen zwischen Bund und Kantonen. Die Kantone, aber auch die Schweizer Armee stellten im Frühherbst weitere Unterbringungsplätze zur Verfügung; im Spätherbst war die Lage zwar angespannt, eine Notlage blieb jedoch aus. Eine umfassende, respektive konkretere Notfallplanung nach weiteren Absprachen zwischen Bund und Kantonen empfahl die Evaluationsgruppe zum Schutzstatus S in ihrem Schlussbericht.

Die SVP machte den Asylbereich zu einem ihrer Haupt-Wahlkampfthemen. Anfang Juli lancierte sie die Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» (Nachhaltigkeitsinitiative), mit der sie unter anderem die von ihr empfundenen Missstände im Asylwesen bekämpfen will. Im Berichtsjahr verlangte die SVP zudem gleich drei ausserordentliche Sessionen zur Asylpolitik. Insgesamt fanden die zahlreichen und aus diversen Parteien stammenden Motionen im Bereich Asyl im Jahr 2023 jedoch kaum Mehrheiten im Parlament und scheiterten meist bereits im Erstrat. Der Bundesrat wiederum gab im Berichtsjahr einen Entwurf in die Vernehmlassung, mit dem der Zugang zur beruflichen Ausbildung für abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers erleichtert werden soll.

In der Migrationspolitik gab die Masseneinwanderungsinitiative zu reden. Gleich bei zwei Gesetzesrevisionen wurde die Frage der Vereinbarkeit mit dem durch die Annahme der Initiative im Jahr 2014 in die Bundesverfassung aufgenommenen Zuwanderungsartikel in den Raum gestellt: Sowohl bei der Vorlage zur Beseitigung der Inländerinnen- und Inländerdiskriminierung beim Familiennachzug als auch bei derjenigen zur Lockerung der Zulassungsbestimmungen für ausländische Drittstaatenangehörige mit Schweizer Hochschulabschluss kam es wegen vertiefter Abklärungen der Verfassungsmässigkeit zu einem Marschhalt.

Die Politik setzte sich 2023 auch mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auseinander. So wies ein Postulatsbericht für die Schweiz im europäischen Vergleich einen hohen gesamten geschlechtsspezifischen Einkommensunterschied (Gender Overall Earnings Gap) und einen relativ hohen geschlechtsspezifischen Unterschied bei den Gesamtrenten (Gender Pension Gap) aus. Ein weiterer Postulatsbericht zeigte Einflussfaktoren auf, die einen beruflichen Wiedereinstieg oder die Erhöhung des Arbeitspensums von Frauen mit Kindern begünstigen. Als Mittel zur verstärkten Arbeitsmarktintegration von Frauen verwies der Bundesrat darin auf die Bestrebungen zur Einführung der Individualbesteuerung sowie auf die hängige Vorlage zur Beteiligung des Bundes an den elterlichen Kita-Betreuungskosten, obwohl er Letztere ablehnte. Nachdem der Nationalrat der Vorlage im März ohne die vom Bund verlangte Gegenfinanzierung zugestimmt hatte, bestand die ständerätliche Kommission auf der Prüfung eines alternativen Modells, das 2024 in die Vernehmlassung geschickt werden soll. In jedem Fall wird sich das Parlament in Kürze wieder zur Frage der Subventionierung der Betreuungskosten äussern: Die im Vorjahr lancierte Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle» (Kita-Initiative) kam im Sommer zustande.

Nicht vorgelegt werden der Stimmbevölkerung zwei die Frauen betreffende Volksinitiativen mit dem Ziel der Reduktion von Schwangerschaftsabbrüchen. Diese scheiterten im Berichtsjahr im Sammelstadium. Erfolgreicher war eine aus der Frauensession 2021 resultierende Forderung zur Verstärkung der Erforschung von Frauenkrankheiten, die in Form einer Motion im Berichtsjahr an den Bundesrat überwiesen wurde. Ebenfalls gab der Bundesrat 2023 die Lancierung eines Nationalen Forschungsprogramms zur Gendermedizin bekannt. Die Lohngleichheit war eine der grossen Forderungen am Feministischen Streik 2023, entsprechende parlamentarische Forderungen wurden im Parlament jedoch beinahe allesamt abgelehnt.

Grundsätzlich wurde Massnahmen gegen häusliche Gewalt oder zur Verstärkung des Opferschutzes bei häuslicher Gewalt wie bereits 2022 auch 2023 ein hoher Stellenwert beigemessen. So gab der Bundesrat einen Entwurf in die Vernehmlassung, mit der die gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankert werden soll. Als Erstrat behandelte der Nationalrat in der Wintersession zudem eine Vorlage, die ausländische Opfer von häuslicher Gewalt besser schützen will. Auch einige parlamentarische Initiativen und Motionen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt stiessen 2023 in der Legislative auf Zuspruch.

Ende 2023 läuft die 20-jährige Frist zur Ermöglichung des barrierefreien Zugangs zum ÖV für Menschen mit Handicap ab, wie es das im Jahr 2004 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz vorsah. Im März präsentierte der Bundesrat einen Bericht, der bei der Zugänglichkeit noch beträchtliche Lücken aufzeigte. Die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, sowohl im Verkehr als auch in allen weiteren Lebensbereichen, forderte die im April lancierte Inklusions-Initiative. Ebenfalls mehr Einbindung verlangten im März die Teilnehmenden der ersten Behindertensession, wobei sie ein besonderes Augenmerk auf die Teilhabe an der Politik legten. Ferner diskutierte ein im Herbst vom Bundesrat publizierter Bericht, ob der Stimmrechtsausschluss von Menschen mit einer geistigen Behinderung legitim sei. Durch die medial begleitete (Wieder-)Wahl von Philipp Kutter, Christian Lohr und Islam Alijaj in den Nationalrat dürften Menschen mit Behinderung in Zukunft auch innerhalb des Parlaments ein breiteres Sprachrohr haben.

Auch LGBTQIA-Personen erhielten durch die Kandidatur und schliessliche durch die Wahl von Anna Rosenwasser in Zürich verstärkte Aufmerksamkeit. Zu einem bedeutenden Fortschritt für schwule und bisexuelle Männer kam es dank einer vom Parlament verabschiedeten Änderung des Heilmittelgesetzes, die unter anderem einen diskriminierungsfreien Zugang zur Blutspende ermöglicht. Somit werden in Zukunft grundsätzlich alle schwulen und bisexuellen Männer nach jahrzehntelangem Ausschluss als potentielle Blutspender zugelassen. Im Berichtsjahr überwies das Parlament ferner ein Postulat, das einen Bericht zur Verbesserung der Situation von nicht-binären Personen fordert.

Jahresrückblick 2023: Soziale Gruppen
Dossier: Jahresrückblick 2023

Jahresrückblick 2023: Institutionen und Volksrechte

Das im Jahr 2023 zentrale politische und sehr stark medial begleitete Ereignis im Themenbereich «Institutionen und Volksrechte» waren die eidgenössischen Wahlen vom 22. Oktober (vgl. Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse).

Im Nationalrat wechselten per Saldo lediglich 7.5 Prozent der 200 Sitze die Parteifarbe – wesentlich weniger als noch vor vier Jahren (14.5%) – und in zehn Kantonen kam es zu keinerlei parteipolitischen Sitzverschiebungen. Grösste Wahlsiegerin war die SVP, die netto 9 Sitze gewann (vgl. Jahresrückblick Parteien), was die Medien als «Rechtsrutsch» interpretierten. Sitze gewinnen konnten auch die SP (+2 Sitze), die Mitte und die EDU (je +1 Sitz) sowie das MCG (+ 2 Sitze), das damit erneut ins Parlament einzog. Verluste mussten auf der anderen Seite insbesondere die GLP (-6 Sitze) und die Grünen (-5 Sitze), aber auch die FDP, die EVP, die PdA und Ensemble à Gauche (je -1 Sitz) hinnehmen. Letztere zwei Parteien sind somit nicht mehr im Parlament vertreten. Gemessen an der Sitzzahl überholte die Mitte damit die FDP und wurde neu drittstärkste Partei in der grossen Kammer. Zu reden gab diesbezüglich ein Programmierfehler des Bundesamts für Statistik, das zuerst fälschlicherweise verkündet hatte, dass die Mitte auch hinsichtlich Wählendenstärke knapp vor der FDP liege.

Zu Sitzverschiebungen kam es auch im Ständerat. Die Gesamterneuerungswahlen führten in acht Kantonen zu parteipolitischen Verschiebungen und zu insgesamt 13 neuen Mitgliedern in der kleinen Kammer. Die Reihenfolge bezüglich Sitzstärke blieb freilich weitgehend dieselbe wie schon 2019: Als stärkste Partei in der kleinen Kammer konnte sich die Mitte mit dem Gewinn eines Sitzes halten, während die FDP mit einem Sitzverlust weiterhin am zweitmeisten Sitze im Stöckli besetzte. Darauf folgten die SP, die ihre zwei bei Ersatzwahlen während der Legislatur verlorenen Sitze zurückgewinnen konnte, die SVP, die einen Sitz und mit Thomas Minder ein langjähriges Fraktionsmitglied verlor, die Grünen mit zwei Sitzverlusten sowie die GLP und das MCG, die mit je einem Sitz ins Stöckli einzogen. Während im Ständerat mit vier neuen Frauen ein rekordhoher Frauenanteil von 34.8 Prozent erreicht wurde (2019: 26.1%; Herbstsession 2023: 30.4%), sank der Frauenanteil im Nationalrat wieder unter den bei den Wahlen 2019 erzielten bisherigen Rekordwert von 42 Prozent (neu: 38.5%).

Im Rahmen der im Dezember stattfindenden Bundesratserneuerungswahlen gab es aufgrund des Rücktritts von Alain Berset auch eine Ersatzwahl. Dabei sorgte das Zweierticket der SP für mediale Diskussionen über die seit einigen Jahren befolgte informelle Regel, Vorschläge einer Fraktion nicht zu desavouieren. Die Mehrheit des Parlaments hielt sich an diese Regel und entschied sich im dritten Wahlgang für Beat Jans. Erfolglos blieb der Angriff der Grünen Partei mit Gerhard Andrey auf einen FDP-Sitz; alle bisherigen Bundesratsmitglieder wurden in ihrem Amt bestätigt. Als Überraschung werteten die Medien die Departementsverteilung: Elisabeth Baume-Schneider wechselte nach nur einem Jahr im EJPD ins frei gewordene EDI. Beat Jans übernahm entsprechend die bisherigen Dossiers seiner Parteikollegin.

Wie bereits zu früheren Zeitpunkten sorgte auch die Wahl des neuen Bundeskanzlers für einige Spannung. Der zurückgetretene Walter Thurnherr wurde im zweiten Wahlgang durch den Vizekanzler Viktor Rossi ersetzt, der Mitglied der GLP ist. Zum ersten Mal in der Geschichte der Schweiz stellt somit eine Partei den Bundeskanzler, die nicht in der Regierung vertreten ist.

Neben all diesen Wahlen und Wahlgeschäften gab es im Themenbereich «Institutionen und Volksrechte» aber auch wichtige thematische Entwicklungen. So waren Regierung und Verwaltung etwa mit den Nachwehen der Covid-19-Pandemie beschäftigt. Verschiedene Berichte zu einer Verbesserung der Krisenorganisation der Exekutive forderten einen permanenten Krisenstab, mit dem die Zusammenarbeit zwischen den Departementen, aber auch zwischen Bund und Kantonen und mit der Wissenschaft im Krisenfall verbessert werden soll. Auch das Parlament erhöhte seine Handlungsfähigkeit in Krisensituationen: Künftig können ausserordentliche Sessionen rascher einberufen, virtuelle Teilnahmen an Ratssitzungen ermöglicht sowie Rats- oder Kommissionssitzungen auch digital durchgeführt werden.

2023 erliess das Parlament neue Regeln zur Digitalisierung der Verwaltung, indem es das EMBAG verabschiedete, mit dem der Einsatz von elektronischen Mitteln zur Erfüllung von Behördenaufgaben geregelt wird. Dass eine Verbesserung der digitalen Infrastruktur des Bundes dringend sei, schlossen die Medien aus verschiedenen erfolgreichen Hackerangriffen auf die Bundesverwaltung (vgl. Jahresrückblick Rechtsordnung). Der Bundesrat wurde in einem parlamentarischen Vorstoss aufgefordert, die Verwaltung besser gegen Cyberangriffe zu schützen.

Unter Dach und Fach brachte das Parlament 2023 eine verbesserte Vereinbarkeit von Mutterschaft und Parlamentsmandat. Die auf verschiedene Standesinitiativen zurückgehende Teilrevision des Erwerbsersatzgesetzes sieht vor, dass gewählte lokale, kantonale oder nationale Parlamentarierinnen ihren Anspruch auf Entschädigung nicht mehr verlieren, wenn sie während des Mutterschaftsurlaubs an Kommissions- oder Ratssitzungen teilnehmen.

Einiges zu reden gab 2023 der Teuerungsausgleich für die Löhne des Bundes. Die Anpassung der Löhne von Magistratspersonen ist per Verordnung geregelt und wurde unter medialer Kritik für das Jahr 2023 auf 2.5 Prozent angesetzt. Den rund 40'000 Verwaltungsangestellten gewährte der Bundesrat ebenfalls eine Lohnanpassung von 2.5 Prozent. Allerdings lehnte das Parlament den für die nachträgliche Erhöhung von 2.0 auf 2.5 Prozent benötigten Nachtragskredit ab. Auch für sich selber lehnte das Parlament medienwirksam einen Teuerungsausgleich ab.

Lediglich zu drei eidgenössischen Vorlagen, die auf einen einzigen Abstimmungstermin angesetzt worden waren, konnte sich die Stimmbevölkerung im Berichtsjahr äussern (Klimagesetz, 5. Covid-19-Gesetzesrevision, OECD-Mindestbesteuerung). Das im Jahresvergleich eher geringe mediale Interesse am Unterthema «Direkte Demokratie» (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse) dürfte damit zu erklären sein. Zwar stehen 2024 wieder wesentlich mehr direktdemokratische Urnenentscheide an, diese werden freilich kaum staatspolitischen Inhalt haben: Die Volksinitiativen «Volk und Stände entscheiden über dringlich erklärte Bundesgesetze!» und auch die Forderung für eine Totalrevision der Bundesverfassung scheiterten nämlich 2023 an der Unterschriftenhürde. In diesem Jahr mit der Unterschriftensammlung begann hingegen ein Begehren, das eine Bestätigungswahl für Bundesratsmitglieder durch Volk und Stände verlangt.

Auch 2023 gab es Diskussionen über eine Ausweitung des Kreises an Stimmberechtigten und über die Erleichterung der Wahrnehmung des Stimmrechts. Zum dritten Mal stimmte die grosse Kammer gegen einen Abschreibungsantrag ihrer SPK-NR, die nun eine Vorlage für Stimmrechtsalter 16 ausarbeiten muss. Zu reden geben wird diesbezüglich künftig wohl auch der bisherige Stimmrechtsausschluss von Menschen mit geistigen Behinderungen. Bei den eidgenössischen Wahlen durften zudem in drei Kantonen (BS, SG, TG) nach einiger Zeit wieder Versuche mit E-Voting durchgeführt werden.

Jahresrückblick 2023: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Jahresrückblick 2023

Im Jahr 2023 scheiterten einige Vorstösse zur Stellung der Frau in der Gesellschaft, eingereicht von Frauen aus dem links-grünen Lager, bereits in einem frühen Stadium. Darunter befanden sich Vorstösse, die den Schutz vor Diskriminierung verstärken wollten oder verbesserte Informationsgrundlagen zur Einschätzung des Ausmasses der Diskriminierung verlangten. Bereits im Erstrat abgelehnt wurde eine Motion Marti (sp, ZH) zur Angleichung des Schweizer Gleichstellungsgesetzes an das EU-Gleichbehandlungsrecht im Erwerbsleben (Mo. 21.3938), ein Postulat Feri (sp, AG), das mehr Informationen über das Ausmass der Altersdiskriminierung von Frauen und Möglichkeiten zur Bekämpfung der festgestellten Diskriminierung verlangte (Po. 21.3090), sowie ein Postulat Gysin (gp, TI), das mehr Klarheit über die Konzepte der Gleichstellung und der Diskriminierung aufgrund von biologischem und sozialem Geschlecht schaffen wollte (Po. 22.3714).

Auch Vorstösse mit dem Ziel der Verbesserung der Situation von Frauen im Arbeitsleben scheiterten im Erstrat, namentlich eine Motion Imboden (gp, BE) mit der Forderung nach spezifischen, auf die Digitalisierung und eine nachhaltige Gesellschaft ausgerichtete Aus- und Weiterbildungsprogrammen für Frauen im Niedriglohnsegment (Mo. 22.3623), sowie mehrere Motionen, die verstärkte Massnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verlangten (Mo. 22.3564 Fehlmann Rielle, sp, GE; Mo. 22.3736 Piller Carrard, sp, FR; Mo. 23.3223 Carobbio Guscetti, sp, TI). Von der Urheberin zurückgezogen wurde ferner eine Motion Feri (sp, AG) mit der Forderung nach verstärkter Hilfe für Sexarbeitende aufgrund prekärer Umstände während der Covid-19-Pandemie (Mo. 21.3114). Unbehandelt abgeschrieben wurde schliesslich ein Postulat Prezioso Batou (egsols, GE), das vom Bundesrat einen Bericht zu den arbeitsmarktlichen Auswirkungen von Covid-19 auf die Frauen forderte (Po. 21.3390).

Im Erstrat abgelehnt wurde ferner eine Motion Funiciello (sp, BE) mit der Forderung, dass 0.1 Prozent des BIP zur Bekämpfung geschlechterspezifischer und sexualisierter Gewalt eingesetzt werde (Mo. 21.3768). Zwei weitere Vorstösse zu diesem Thema wurden von den Urheberinnen wieder zurückgezogen: Die Motion Gysin (gp, TI) mit der Forderung nach einer Übernahme der Verfahrenskosten für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt (Mo. 21.3084) und ein Postulat Fellmann Rielle (sp, GE) betreffend der Finanzierung von Frauenhäusern für Opfer von Gewalt (Mo. 21.3073). In punkto Bekämpfung von Gewalt an Frauen wurden 2023 hingegen durch Zustimmung zu anderen Vorstössen und parlamentarischen Interventionen bedeutende Zugeständnisse erzielt.

Schliesslich wurde im Jahr 2023 ein die Gesundheit von Frauen betreffender Vorstoss abgeschrieben, da er nicht innert zwei Jahren vom Parlament behandelt worden war. Bei dieser Abschreibung handelte es sich erneut um ein Postulat Prezioso Batou (egsols, GE). Dieses wollte überprüfen lassen, wie auch Männer verstärkt in die sexuelle und reproduktive Gesundheitsprävention einbezogen werden könnten (Po. 21.3429).

Bereits im Erstrat gescheiterte Vorstösse zu Frauen- und Gleichstellungspolitik (2023)

Ende Oktober 2023 veröffentlichte das BFS die neuen Daten über die Entwicklung der Effektiv- und Mindestlöhne 2023. Im Vergleich zum Vorjahr verzeichneten die nominalen Effektivlöhne im Rahmen der wichtigsten GAV, also der GAV mit mindestens 1500 unterstellten Arbeitnehmenden, einen erheblichen Anstieg: Sie stiegen durchschnittlich um 2.5 Prozent (2022: 0.8%) an. Die in den GAV festgelegten Mindestlöhne erhöhten sich um 1.9 Prozent (2022: 0.6%). Angesichts der Prognosen zur Inflation für das Jahr 2023 wurde eine leicht positive Entwicklung der Reallöhne im GAV erwartet (0.3%).

Entwicklung der Effektiv- und Mindestlöhne 2023
Dossier: Lohnentwicklung

Die Delegierten der Syna wählten im Oktober 2023 Yvonne Feri zu ihrer neuen Präsidentin. Die Wahl von Feri, die per Dezember desselben Jahrs nach zwölf Jahren ihr Amt als SP-Nationalrätin abgab, war für die Syna in doppelter Hinsicht ein Meilenstein: Zum einen bekam die 1998 als erste Allbranchengewerkschaft der Schweiz entstandene Syna erstmals eine Frau als Präsidentin. Zum anderen beendete Feris Wahl auch eine über einjährige Vakanz im Präsidium. Dieses war verwaist gewesen, seitdem 2022 ein Machtkampf zwischen Vorstand und Geschäftsleitung eskaliert war und zur Freistellung der gesamten Geschäftsleitung geführt hatte. Da der Geschäftsleitungschef bis dahin gleichzeitig auch Präsident gewesen war, hatte die Gewerkschaft damit auch ihren Präsidenten verloren.
Diese Verflechtung zwischen strategischen und operativen Leitungsgremien besteht künftig nicht mehr, dafür hatte die Syna bereits vor Feris Wahl mit einer Statutenrevision gesorgt. Die strategische Ausrichtung in politischer und organisatorischer Hinsicht fällt fortan in die Zuständigkeit von Präsidium und Vorstand, während Geschäftsleitung und Zentralsekretariate die operativen Belange wie Vertragsverhandlungen und das Tagesgeschäft verantworten. Der neue Vorsitzende der Geschäftsleitung, Johann Tscherrig, befand, dass mit dieser Neuaufstellung «die Zeit der internen Machtspiele definitiv vorbei» sei. Auch die Aargauer Zeitung sah den Machtkampf als beendet an, der Vorstand habe ihn für sich entschieden. Laut Quellen «aus dem Syna-Umfeld» herrsche intern indessen weiterhin Verunsicherung. Eine Ursache dafür sei, dass sich in einer «Machtdemonstration» des Vorstands alle Geschäftsleitungsmitglieder, die 2022 an die Stelle des gekündigten Vorgängergremiums getreten waren, im neuen Jahr erneut um ihre Jobs bewerben mussten – in einem Fall ohne Erfolg. Daneben wies die Aargauer Zeitung noch auf eine zweite Herausforderung hin: Mit Ausnahme der neuen Präsidentin seien alle Vorstandsmitglieder «Basismitglieder», die nun plötzlich strategische Verantwortung für die mit rund 55'000 Mitgliedern zweitgrösste Gewerkschaft der Schweiz übernehmen müssten. Gewählt worden seien sie aber noch «im alten, von der operativen Geschäftsleitung dominierten System», in dem ihre Rolle eher die eines «Sounding Boards» der Geschäftsleitung gewesen sei.
Nebst der Besetzung des Präsidiums beschloss der Syna-Kongress 2023 auch über die Schwerpunktforderungen der Gewerkschaft für die nächsten vier Jahre. Dazu zählten unter anderem die Einführung einer obligatorischen Krankentaggeldversicherung, die Abschaffung des Koordinationsabzuges in der 2. Säule, ein obligatorischer 13. Monatslohn für alle Arbeitnehmenden oder die Aufwertung des 1. Mai zu einem nationalen Feiertag. Präsidentin Feri nannte als ihre persönlichen Prioritäten zudem Working Poor und Armut, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie physischen und psychischen Gesundheitsschutz.

Umbruch bei der Syna

In der Herbstsession 2023 bekräftigte der Nationalrat die Meinung einer bürgerlichen Mehrheit der WBK-NR und beschloss, drei parlamentarischen Initiativen, die verstärkte Massnahmen zur Herstellung von Lohngleichheit forderten, keine Folge zu geben (Pa.Iv. 22.464; Pa.Iv. 22.473; Pa.Iv. 22.481). Für alle drei Initiativen hatten links-grüne Kommissionsminderheiten Folgegeben beantragt, teilweise unterstützt von je einer Mitte- und EVP-Nationalrätin. Im Nationalrat vermochten die Kommissionsminderheiten über die links-grünen Fraktionsgrenzen hinaus jedoch nicht zu punkten. Die Initiativen waren damit erledigt.

Parlamentarische Initiativen verlangen verstärkte Massnahmen zur Herstellung von Lohngleichheit (Pa.Iv. 22.464; Pa.Iv. 22.473; Pa.Iv. 22.481)
Dossier: Lohngleichheitsanalysen und Diskussionen über die Einführung von Sanktionen

Im Dezember 2022 verlangte Min Li Marti (sp, ZH) in einer Motion, dass zukünftig bei allen Stellenausschreibungen der Bundesverwaltung oder der bundesnahen Betriebe der zu erwartende Lohn angegeben werden muss. Die Lohntransparenz sei wichtig, um die Lohndiskriminierung zu bekämpfen, zudem könne der Bund auf diese Weise eine Vorbildfunktion einnehmen. Der Bundesrat beantragte, die Motion abzulehnen, da eine Nennung des Ziellohns im Stelleninserat zu Missverständnissen bei den Bewerbenden führen könne, weil der Ziellohn das mögliche Gehalt darstellt, das nach mehreren Jahren erreicht werden kann. Zudem habe der Bundesrat das EPA bereits beauftragt, das Lohnsystem zu optimieren sowie zu prüfen, ob weitere Informationen bezüglich der Löhne zur Verfügung gestellt werden sollen. In der Herbstsession 2023 im Nationalrat betonte Bundesrätin Keller-Sutter (fdp, SG) zudem, dass die Lohntabellen des Bundes öffentlich zugänglich seien. Ratsmitglieder befürchteten zudem, dass die Publikation der Löhne bei den Stellenausschreibungen durch den Bund die Privatwirtschaft unter Druck setzen würde. Schliesslich lehnte der Nationalrat den Vorstoss mit 106 zu 82 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) ab. Unterstützt wurde dieser nur von der SP-, der Grünen- und der GLP-Fraktion.

Lohntransparenz bei Stelleninseraten (Mo. 22.4443)

Mit knappen 87 zu 85 Stimmen (9 Enthaltungen) überwies der Nationalrat in der Herbstsession 2023 ein Postulat Fehlmann Rielle (sp, GE), das den Bundesrat dazu auffordert zu prüfen, ob in Erfüllung des Artikels 15 der Istanbul-Konvention eine obligatorische Schulung für Polizeikräfte zum Thema sexuelle Gewalt und Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen eingeführt werden soll.
Der Bundesrat hatte sich ablehnend zum Vorstoss gestellt, da er die Ansicht vertrat, dass dem Anliegen mit den existierenden Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für verschiedene Berufsgruppen, darunter auch für die Polizei, bereits ausreichend Rechnung getragen werde.
Vereinzelte Stimmen und Enthaltungen aus den Fraktionen der SVP, der FDP und der Mitte – bei letzterer unter anderem die drei EVP-Vertretenden – hatten zusammen mit den geschlossen dafür stimmenden Fraktionen der SP, der GLP und der Grünen für die Entscheidung gesorgt.

Prüfung einer obligatorischen Schulung für Polizeikräfte zum Thema sexuelle Gewalt (Po. 21.4215)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Rückblick auf die 51. Legislatur: Rechtsordnung

Autorinnen: Karin Frick und Anja Heidelberger

Stand: 17.08.2023

Zu Beginn der Legislatur stand insbesondere die Stärkung der Terrorismusbekämpfung in der Schweiz im Zentrum des Themenbereichs «Rechtsordnung». Dabei setzte der Bundesrat die Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung mittels drei Projekten um: Das Bundesgesetz über Vorläuferstoffe für explosionsfähige Stoffe soll den bisher im Vergleich zur EU einfacheren Kauf von chemischen Substanzen, die zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden können, erschweren. Durch die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität in Umsetzung des Europarat-Übereinkommens zur Verhütung des Terrorismus sollen bereits Handlungen im Vorfeld eines geplanten terroristischen Aktes strafbar gemacht werden. Und das an der Urne angenommene Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (PMT) soll der Polizei zusätzliche Instrumente gegen terroristische Gefährderinnen und Gefährder liefern, unter anderem indem verdächtige Personen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden.

Während sicherheitspolitische Argumente gemäss Nachabstimmungsbefragung zum Terrorismusgesetz an der Volksabstimmung von zentraler Bedeutung waren, spielten sie bei der Annahme der Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot» im März 2021 eine eher untergeordnete Rolle. Als Hauptargument zur Annahme der Initiative, die ein Verbot der Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum und an öffentlich zugänglichen Orten beinhaltete, wurde der Schutz der Schweizer Werte und Kultur genannt. Der bundesrätliche Gesetzesvorschlag zur Umsetzung der Initiative befand sich Ende der Legislatur noch in parlamentarischer Beratung.

Auch zu Beginn der Legislatur abgeschlossen werden konnte die Totalrevision des Datenschutzgesetzes, wobei vor allem die Voraussetzungen, unter denen das sogenannte Profiling, d.h. die Verknüpfung von Daten zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen, zulässig ist, umstritten waren. Im Juni 2021 lehnten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zudem die Einführung einer E-ID ab, wobei nicht in erster Linie die E-ID an sich, sondern deren Herausgabe durch private Anbieter anstelle des Staates kritisiert wurde.

Das grösste Gesetzgebungsprojekt im Themenbereich «Rechtsordnung» war die Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht – tatsächlich widmete das Parlament in dieser Legislatur keiner anderen Vorlage mehr Diskussionszeit (gemessen an der Anzahl Wörter). Damit sollten die aus den 1940er-Jahren stammenden Strafen mit den heutigen Werthaltungen in Einklang gebracht und deren Verhältnis zueinander neu ausgelotet werden. Diskutiert wurde dabei insbesondere über eine Verschärfung der Strafen für Gewalt gegen Behörden und Beamte sowie über die Revision des Sexualstrafrechts, welche aber aufgrund des grossen Besprechungsbedarfs in einen eigenen Entwurf ausgelagert wurde. Dabei entschied sich das Parlament nach langen Diskussionen, die auch in der Gesellschaft und den Medien widerhallten, gegen eine neue «Nur-Ja-heisst-Ja»-Regelung, die Vergewaltigung zukünftig als sexuelle Handlungen ohne Einwilligung des Opfers definiert hätte. Stattdessen ergänzte es die sogenannte «Nein-heisst-Nein»-Regelung dahingehend, dass auch ein allfälliger Schockzustand des Opfers erfasst wird. Nach der neuen Definition wird bei einer Vergewaltigung nicht mehr vorausgesetzt, dass das Opfer zur sexuellen Handlung genötigt wurde. Zudem können künftig nicht mehr nur Frauen als Opfer einer Vergewaltigung anerkannt werden.

Ausführlich debattiert wurde auch die Revision der Strafprozessordnung (StPO). Nachdem das Parlament – nach einem Urteil des EGMR – kurzfristig bereits eine Gesetzeslücke bei der Sicherheitshaft geschlossen hatte, befasste es sich mit problematischen Aspekten der Strafprozessordnung, um die Praxistauglichkeit bestimmter Bestimmungen zu verbessern. Im Hauptstreitpunkt, wonach Beschuldigte zukünftig nicht mehr bei allen Einvernahmen anderer Personen anwesend sein sollten, damit es nicht zu Absprachen kommt, lehnte das Parlament nach langen Diskussionen eine Änderung des Status quo ab.

Schliesslich stand neben dem Strafrecht auch das Zivilrecht im Mittelpunkt des Interesses, als in der Zivilprozessordnung der Zugang zum Gericht erleichtert und die Rechtssicherheit verbessert werden sollte. Die Aufmerksamkeit galt aber vielmehr einer vom Parlament verschärften Regelung, welche eine Verhinderung des Erscheinens von Medienartikeln durch eine superprovisorische Verfügung einfacher möglich machte (siehe auch Legislaturrückblick «Médias»).

Für mediale Aufmerksamkeit sorgten während der 51. Legislatur auch immer wieder Demonstrationen gegen im Zuge der Covid-19-Pandemie beschlossene Massnahmen. Diese verstärkten sich im Laufe des Jahres 2021 und erreichten nach Einführung der Zertifikatspflicht gegen Ende des Jahres 2021 ihren Höhepunkt. Die aufgeladene Stimmung gipfelte darin, dass das Bundeshaus aufgrund befürchteter Ausschreitungen am Abstimmungssonntag zur zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes von der Polizei grossräumig abgeriegelt wurde – eine weitere Eskalation blieb jedoch aus.


Zu den Jahresrückblicken:
2020
2021
2022

Rückblick auf die 51. Legislatur: Rechtsordnung
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Rückblick auf die 51. Legislatur: Bevölkerung und Arbeit

Autorinnen: Giada Gianola, Diane Porcellana und Anja Heidelberger

Stand: 17.08.2023

Die Arbeitswelt wurde in der 51. Legislatur von der Corona-Pandemie heftig durchgeschüttelt. So mussten zu Beginn der Pandemie, als der Bundesrat Homeoffice empfahl, in vielen Unternehmen erst neue Homeoffice-Strukturen geschaffen oder die bestehenden Strukturen ausgeweitet werden. Von Beginn des Lockdowns bis Mitte Juni 2020 arbeitete fast jede zweite Person im Homeoffice. Zwar hatte es bereits vor der Pandemie Bestrebungen gegeben, Homeoffice oder Telearbeit auf Bundesebene neu zu regeln, diese erhielten in der Folge aber zusätzlichen Auftrieb.
Erschwert wurde die Arbeit im Homeoffice während der Pandemie für viele Eltern dadurch, dass sie durch die Aussetzung des Präsenzunterrichts an den Schulen und der teilweisen Schliessung der Kindertagesstätten zusätzlich zu ihrer Erwerbsarbeit auch die Betreuung ihrer Kinder sicherstellen mussten.

Die Pandemie warf aber gleichzeitig auch ein Licht auf systemrelevante Berufe, welche üblicherweise wenig Aufmerksamkeit erhalten und vergleichsweise schlecht bezahlt sind. Denn während der Bundesrat die Schliessung sämtlicher Läden, Märkte, Restaurants, Bars, Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe verordnete, blieben die Lebensmittelläden und Gesundheitseinrichtungen offen – zumal die Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sichergestellt werden musste. Da die Spitäler an ihre personellen Grenzen gelangten, hob der Bundesrat zudem die Bestimmungen zu Arbeits- und Ruhezeiten in den Spitälern temporär auf.

Doch nicht nur im Arbeitsbereich hatte die Pandemie grosse Auswirkungen, sondern vor allem auch in der Bevölkerungsentwicklung. Hier weist das BFS für die Über-65-Jährigen eine beträchtliche Übersterblichkeit aufgrund der Covid-19-Pandemie auf. So stieg die Übersterblichkeit in der ersten Welle zwischen Ende März 2020 und Mitte April 2020 sowie insbesondere in der zweiten Welle zwischen Ende Oktober 2020 und Ende Januar 2021 deutlich an. Eine weitere Welle sieht man überdies von Mitte November 2021 bis Ende 2021.

Mit der als Folge der Pandemie verstärkten Nutzung flexibler Arbeitsformen und der verstärkten Digitalisierung im Arbeitsbereich wurde auch die bereits in der 50. Legislatur aufgeworfene Frage nach einer Liberalisierung der Arbeitszeiten wieder aktuell. Einen entsprechenden Vorschlag der WAK-SR schrieb der Ständerat jedoch zugunsten einer Verordnungsänderung, mit der der Bundesrat eine Übereinkunft der Sozialpartner umsetzen wollte, ab.

Während die Corona-Pandemie grosse Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hatte, wirkte sich die Energiekrise und die steigende Inflation vor allem auf die Reallöhne der Beschäftigten aus: Zwar hatten die Gewerkschaften bereits in den vorangegangenen Jahren Lohnerhöhungen für die Angestellten gefordert, diese wurden im Jahr 2022 jedoch besonders vehement vertreten, um eine Reduktion des Reallohns aufgrund der Teuerung zu verhindern.

Relevant war die Frage der Löhne auch bei der Revision des Entsendegesetzes, mit der sich Bundesrat und Parlament in der 51. Legislatur befassten. Die bundesrätliche Botschaft sah unter anderem vor, dass kantonale Mindestlöhne zukünftig auf entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewendet werden müssen. Diese Änderung des Entsendegesetzes scheiterte jedoch am Widerstand des Ständerats, der darin eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmenden aus EFTA- und EU-Staaten sah. Obwohl das Anliegen erfolglos blieb, wurde es vom Parlament – gemessen an der Anzahl Wörter – in diesem Themenbereich am ausgiebigsten diskutiert. Im Jahr 2023 hiess das Parlament jedoch eine andere Änderung des Entsendegesetzes gut, mit der eine gesetzliche Grundlage für die Plattform zur elektronischen Kommunikation zwischen Vollzugsorganen der flankierenden Massnahmen geschaffen werden sollte.


Zu den Jahresrückblicken:
2020
2021
2022

Rückblick auf die 51. Legislatur: Bevölkerung und Arbeit
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Mit 14 zu 9 Stimmen beschloss die WBK-NR im August 2023, einer parlamentarischen Initiative aus der Feder von Natalie Imboden (gp, BE) keine Folge zu geben. Die Initiantin verlangt, dass Arbeitnehmende von ihren (zukünftigen) Arbeitgebenden Auskünfte über das individuelle und kollektive Lohngefüge des Betriebs, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und Funktion, erhalten können. Zusätzlich soll es auch Arbeitnehmendenvertretungen ermöglicht werden, kollektive Daten eines Betriebs in aggregierter Form zu beziehen. Die 9-stimmige Kommissionsminderheit plädierte auf Folgegeben, da sie sich von dieser Massnahme zur Förderung von Lohntransparenz eine Verbesserung der Geschlechtergleichstellung in der Arbeitswelt versprach. Die Kommissionsmehrheit, die 14 Stimmen auf sich vereinte, wollte hingegen die Lohnvertraulichkeit schützen und vorerst die in Zusammenhang mit der Revision des Gleichstellungsgesetzes für 2025 in Aussicht gestellte Zwischenbilanz abwarten. Ebenso verwies sie auf eine im Ständerat hängige Motion zur Einführung von Sanktionen im Falle der Nichteinhaltung der Lohngleichheit. Auch das Schicksal dieses Vorstosses gelte es abzuwarten.

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Lohntransparenz fördern, Verhandlungsposition stärken (Pa.Iv. 22.493)
Dossier: Lohngleichheitsanalysen und Diskussionen über die Einführung von Sanktionen

Im Dezember 2022 reichte Marcel Dobler (fdp, SG) ein Postulat ein, mit dem er den Bundesrat beauftragen wollte, eine wissenschaftliche Studie in Auftrag zu geben, welche bei der Analyse der Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen zusätzliche Faktoren wie Mutterschaft, Erwerbsunterbrüche, Zivilstand oder Berufserfahrung nach Altersstufen berücksichtigt. Die vom BFS veröffentlichten Statistiken gäben gemäss Dobler zu wenig Auskunft darüber, welche Rolle solche Variablen beim Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern spielen.
In seiner Stellungnahme vom Februar 2023 beantragte der Bundesrat, das Postulat abzulehnen. Die vom BFS publizierten Statistiken und die dazu verwendeten Methoden entsprächen internationalen Standards, die auch in anderen Erhebungen verwendet würden, argumentierte die Regierung. Zudem könnten bestimmte Variablen zwar Geschlechterunterschiede beim Lohn erklären, aber – auch mit Verweis auf das Gleichstellungsgesetz – nicht rechtfertigen.
Der Nationalrat beriet den Vorstoss im Rahmen der ausserordentlichen Session zur Gleichstellung am Tag des feministischen Streiks und nahm es mit 141 zu 21 Stimmen (8 Enthaltungen) an. Eine Mehrheit der Grünen- und eine Minderheit der SVP-Fraktion sprachen sich gegen Annahme aus.

Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern (Po. 22.4500)

Durch die im Juni 2022 veröffentlichte Statistik über gewaltbetroffene Mädchen und junge Frauen und den Bedarf an Schutzplätzen erachtete der Bundesrat das Postulat Wasserfallen (sp, BE) als erfüllt und beantragte dessen Abschreibung. Der Nationalrat kam diesem Antrag in der Sommersession 2023 im Rahmen der Behandlung des Berichts über Motionen und Postulate der eidgenössischen Räte im Jahr 2022 stillschweigend nach.

Statistik über gewaltbetroffene Mädchen und Bedarfsabklärung für Schutzplätze (Po. 19.4064)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Nach Erscheinen des Berichts in Erfüllung des Postulates der WBK-NR zur Stärkung der Charta der Lohngleichheit schrieb der Nationalrat den Vorstoss in der Sommersession 2023 als erfüllt ab. Der Bundesrat hatte die Abschreibung zuvor in seinem Bericht über Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahre 2022 beantragt.

Stratégie de renforcement de la charte sur l'égalité salariale (Po. 20.4263)

In der Sommersession 2023 hiessen die Räte den Antrag des Bundesrats auf Abschreibung des Postulats von Peter Hegglin (mitte, ZG) gut. Mit Vorlegen des Berichts erachtete die Regierung den Vorstoss, mit dem eine zeitgemässe Besoldungs- und Ruhegehaltsregelung für Magistratspersonen diskutiert werden sollte, als erfüllt.

Zeitgemässe Besoldungs- und Ruhestandsregelungen für Magistratspersonen (Po. 20.4099)
Dossier: Ruhestandsgehälter von Magistratspersonen

Mit 29 zu 11 Stimmen trat der Ständerat in der Sommersession 2023 nicht auf den Entwurf seines Büro-SR ein, den dieses auf der Basis einer eigenen parlamentarischen Initiative mit dem Ziel ausgearbeitet hatte, den Parlamentsmitgliedern einen Teuerungsausgleich zu gewähren. Eva Herzog (sp, BS), die Sprecherin des Büros, argumentierte vergeblich, dass die Anpassung der Parlamentsentschädigungen an die Teuerung «eine gesetzliche Pflicht» sei: Das Parlamentsressourcengesetz schreibe einen Teuerungsausgleich zu Beginn jeder Legislaturperiode vor. Darauf zu verzichten, sei «ein falsches Signal», so die Sozialdemokratin. Ein Parlamentsmandat sei genauso «entschädigungswürdig» wie andere entlöhnte Tätigkeiten. Zudem beantrage das Büro nicht den vollen seit 2012 aufgelaufenen Teuerungsausgleich von 3.2 Prozent, sondern denselben Ansatz wie für die Bundesangestellten, also 2.5 Prozent. Dies würde Mehrausgaben von CHF 1.3 Mio. pro Jahr generieren.
Eine Minderheit des Büros, bestehend aus Werner Salzmann (svp, BE) und Andrea Caroni (fdp, AR), plädierte für Nichteintreten. Werner Salzmann begründete dies mit der prekären Situation des Bundeshaushaltes. Die wirtschaftliche Entwicklung gelte als unsicher und der «grosse Schuldenberg aus der Pandemie» müsse abgebaut werden. Der Ständerat habe zudem gleichentags die zusätzliche Finanzierung für den Teuerungsausgleich der Angestellten der Bundesverwaltung abgelehnt und ein paar Wochen zuvor auf den vollen Teuerungsausgleich bei der AHV verzichtet. Deshalb könne man jetzt nicht für sich selber Forderungen stellen. Vergeblich appellierte Stefan Engler (mitte, GR) in der Debatte an seine Ratskolleginnen und -kollegen, auf die Vorlage einzutreten. Parlamentsarbeit habe einen Wert, der einen Teuerungsausgleich rechtfertige. Weil das Geschäft zudem nur alle vier Jahre vorliege und seit 2012 keine Teuerung mehr ausgeglichen worden sei, sei es vor allem «sehr populistisch», mit dem Parlament «als Vorbild» zu argumentieren.

Löhne der Parlamentsmitglieder 2023 (Pa. Iv. 23.404)
Dossier: Entschädigung von Parlamentsmitgliedern

Während sich die RK-NR im Vorjahr noch grossmehrheitlich dafür ausgesprochen hatte, sechs parlamentarischen Initiativen Folge zu geben, die fordern, dass Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts der Antirassismus-Strafnorm unterstellt werden sollen, entschied sich ihre Schwesterkommission im Mai 2023 anders: Mit 6 zu 4 Stimmen bei einer Enthaltung gab die RK-SR dem durch sechs Parlamentarierinnen unterschiedlichster politischer Couleur portierten Anliegen keine Folge. Somit wird sich der Nationalrat im Vorprüfungsverfahren mit der Frage auseinanderzusetzen haben.

Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts sollen strafbar werden (Pa.Iv. 21.513, 21.514, 21.515, 21.516, 21.522, 21.527)

Im Oktober 2022 und im Mai 2023 gaben die RK-NR und die RK-SR einer parlamentarischen Initiative von Céline Amaudruz (svp, GE) Folge, die eine systematische aktive elektronische Überwachung von gewaltausübenden Personen forderte. Die Genfer SVP-Nationalrätin begründete ihr Anliegen mit jüngsten, in Erfüllung eines Postulats Arslan (basta, BS; Po. 19.4369) gewonnenen Erkenntnissen: Die an der Universität Bern erstellte Untersuchung kam zum Schluss, dass eine solche Massnahme – sofern richtig eingesetzt und kombiniert mit einem Tracker und einem Notfallknopf – Opfer effektiver vor Gewalt schützen könnte. Beide Kommissionen fällten ihre Entscheide einstimmig. Auch der Bundesrat hatte bereits in seiner Medienmitteilung zum Bericht in Erfüllung des Postulats im Dezember 2021 seine Unterstützung für den Einsatz elektronischer Hilfsmittel zur Bekämpfung häuslicher Gewalt kundgetan.

Leben retten. Aktive elektronische Überwachung (Pa.Iv. 22.409)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Anfang Dezember 2022 beschloss der Bundesrat, die Ergebnisse der Lohnverhandlungen zwischen den Personalverbänden und Finanzminister Ueli Maurer zu bestätigen. Konkret war dort Mitte November 2022 vorgesehen worden, dass das Bundespersonal für 2023 einen Teuerungsausgleich von 2.5 Prozent erhalten soll. Da die Teuerung seit dem Beschluss zum Voranschlag 2023 noch einmal zugenommen habe, müsse ein Nachtragskredit beantragt werden, so der Bundesrat in seiner Medienmitteilung. Tatsächlich war im Budget lediglich ein Teuerungsausgleich von 2.0 Prozent vorgesehen gewesen. Die Personalverbände hatten eigentlich den vollen Teuerungsausgleich von 3.0 Prozent gefordert – von dieser Jahresteuerung war die Expertengruppe «Konjunkturprognose Bund» ausgegangen. Bei den Verhandlungen habe Ueli Maurer die Sozialpartner aber davon überzeugen können, dass die aktuelle Haushaltslage dies nicht zulasse.

Im Februar 2023 gab in den Medien eine Studie des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern (IWP) zu reden, die einen «Private/Public Pay Gap» festgestellt hatte. Bundesangestellte verdienten laut dieser Studie CHF 14'000 mehr als Personen mit gleicher Ausbildung in der Privatwirtschaft. Die Studie begründete dies mit einer «Verwaltungslohnprämie». Bereits beim Eintritt ins Berufsleben zeige sich eine Differenz von 3.4 Prozent: Wer nach der KV-Lehre eine Anstellung in der Bundesverwaltung hat, erhält also im Schnitt 3.4 Prozent mehr Lohn als jemand, der eine ähnliche Stelle in der Privatwirtschaft besetzt. Diese Differenz könne sich laut Studie auf bis zu 17 Prozent erhöhen; vor allem bei Teilzeitangestellten und in nicht-akademischen Berufen. Die Studie warnte vor einer Verzerrung von Arbeits- und Bildungsmarkt. In der NZZ wurde in der Folge Kritik laut. Da der Bund höhere Löhne bezahle, locke er immer mehr Fachkräfte an, die daraufhin in der Privatwirtschaft fehlten. Nicht nur «die Überbezahlung der Verwaltungsangestellten» müsse ein Ende finden, sondern im Namen der Steuerzahlenden auch das Wachstum der Verwaltung.
Allerdings wurde die Studie des IWP auch kritisiert. Sie vergleiche eine sehr grosse urbane Arbeitgeberin mit Handwerksbetrieben in Randregionen, ignoriere also relevante Benchmarks, erklärte etwa Personalverbandleiter Matthias Humbel in der NZZ. Im besten Fall sei dies «ein Vergleich von Äpfeln mit einem ganzen Früchtekorb». Im Gegenteil sei die Rekrutierung von Fachkräften für den Bund schwierig, weil er auch hinsichtlich Lohn in vielen Bereichen nicht mit der Privatwirtschaft mithalten könne.

Mitte Mai beantragte die FK-NR im Rahmen der Verhandlungen zu den erwähnten Nachträgen für den Voranschlag 2023, die vom Bundesrat beantragte Erhöhung des Teuerungsausgleichs um 0.5 Prozent gegenüber dem Voranschlag abzulehnen. Falls die Räte dieser Empfehlung nachkommen würden, könnten Einsparungen von rund CHF 31.2 Mio. gemacht werden, so die Finanzkommission. Zwar müsste der bereits versprochene Teuerungsausgleich trotzdem bezahlt werden, bei Ablehnung müssten die Departemente, Behörden und Gerichte dies aber selber finanzieren und intern kompensieren, so die FK-NR in ihrer Medienmitteilung.

Teuerungsausgleich 2023 für das Bundespersonal

Im Mai befasste sich die WBK-NR mit drei parlamentarischen Initiativen, die verstärkte Massnahmen zur Herstellung von Lohngleichheit verlangten. Darunter war eine Initiative Prelicz-Huber (gp, ZH; Pa.Iv. 22.464), die Sanktionen bei der Nichteinhaltung der Pflicht zur Information der Mitarbeitenden über die Ergebnisse der Lohnanalyse und bei Nichtbehebung der festgestellten Lohngleichheit sowie die Ausweitung der Pflicht zur Durchführung von Lohnanalysen auf alle Betriebe ab mehreren Mitarbeitenden forderte. Sanktionen bei wiederholter Feststellung geschlechtsspezifischer Lohndiskriminierung verlangte ebenfalls die parlamentarische Initiative aus der Feder von Barbara Gysi (sp, SG; Pa.Iv. 22.473), während die parlamentarische Initiative von Valérie Piller Carrard (sp, FR; Pa.Iv. 22.481) forderte, dass Lohngleichheit in der Schweiz zur Pflicht erklärt wird. Mit Verweis auf die für 2025 versprochene Zwischenbilanz zur Revision des Gleichstellungsgesetzes, mit der verbindliche Lohnanalysen für Unternehmen mit über 100 Mitarbeitenden eingeführt worden waren, sowie auf eine vom Nationalrat als Erstrat bereits angenommene Motion (Mo. 21.3944), die ebenfalls Sanktionen bei Nichteinhaltung der Lohngleichheit forderte, erachtete es die Kommissionsmehrheit jedoch als verfrüht, zum jetzigen Zeitpunkt die Forderungen der parlamentarischen Initiativen weiterzuverfolgen. Aus diesem Grund beantragte sie, den Initiativen keine Folge zu geben. Eine Kommissionsminderheit beantragte jeweils Folgegeben, unter anderem mit dem Wunsch, den Anwendungsbereich der gesetzlichen Bestimmungen auszuweiten.
Darüber hinaus behandelte die Kommission an ihrer Sitzung zwei aus der Frauensession stammende Petitionen, die zur Durchsetzung der Lohngleichheit eine Revision des Gleichstellungsgesetzes (Pet. 21.2032) sowie ganz generell zusätzliche Massnahmen verlangten, um die Chancengleichheit im Erwerbsleben sicherzustellen (Pet. 21.2030). Dabei zeigten sich ähnliche Kräfteverhältnisse und Argumente wie bei der Beratung der drei parlamentarischen Initiativen. Entsprechend beantragte die Kommissionsmehrheit, den Petitionen keine Folge zu gegeben, während Kommissionsminderheiten die Zuweisung an die Kommission empfahlen.
Schliesslich wurden die Mitglieder der Kommission während ihrer Sitzung auch über Berichte zu zwei Postulaten in Kenntnis gesetzt, die zum einen untersuchten, wie Indikatoren zu geschlechterspezifischen Einkommensunterschieden in der Schweiz regelmässig erhoben werden könnten (Po. 19.4132), und zum anderen, wie die Charta der Lohngleichheit gestärkt werden könnte (Po. 20.4263).

Parlamentarische Initiativen verlangen verstärkte Massnahmen zur Herstellung von Lohngleichheit (Pa.Iv. 22.464; Pa.Iv. 22.473; Pa.Iv. 22.481)
Dossier: Lohngleichheitsanalysen und Diskussionen über die Einführung von Sanktionen

Im Jahr 2021 startete Lorenz Hess (mitte, BE) mittels Motion einen erneuten Versuch, Sanktionen für Unternehmen bei Nicht-Einhaltung der Lohngleichheit einzuführen. Bereits während der ersten Revision des Gleichstellungsgesetzes (GlG) war über diese Möglichkeit diskutiert worden, schliesslich hatte das Parlament jedoch auf die Einführung von Sanktionen verzichtet. Gerade im Zuge der aktuellen Bestrebungen zur Erhöhung des Rentenalters der Frauen im Rahmen der laufenden AHV-Revision werde wieder deutlich, dass verstärkte Bestrebungen unternommen werden müssten, um die bestehende Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern zu beseitigen, so der Motionär. Eine Erhöhung des Frauenrentenalters bei fehlender Umsetzung des verfassungsmässigen Auftrags der Lohngleichheit sei den Frauen nicht vermittelbar.
In seiner ablehnenden Antwort verwies der Bundesrat auf weitere parlamentarische Vorstösse mit ähnlicher Stossrichtung, die kürzlich im Parlament keine Mehrheit gefunden hätten (Kt.Iv. 18.323; Pa.Iv. 19.444; Pa.Iv. 19.452; Pa.Iv. 19.453; Pa.Iv. 20.400). Die Regierung erachtete es als verfrüht, bereits so kurz nach der erfolgten GlG-Revision eine erneute Revision anzugehen. Sie plädierte daher für das Abwarten der mit der verabschiedeten Revision in Aussicht gestellten Evaluation. Er sei jedoch offen für eine Zwischenbilanz «nach einer gewissen Zeit», so der Bundesrat. Anders sah dies der Nationalrat, der die Motion in der Sondersession im Mai 2023 mit 102 zu 84 Stimmen annahm. Unterstützt wurde die Motion von den geschlossen stimmenden Fraktionen der SP, der Grünen und der GLP sowie von der grossen Mehrheit der Mitte-EVP-Fraktion.

Motion fordert Sanktionen bei Nicht-Einhaltung der Lohngleichheit (Mo. 21.3944)
Dossier: Lohngleichheitsanalysen und Diskussionen über die Einführung von Sanktionen

In der Sondersession im Mai 2023 überwies der Nationalrat zwei gleichlautende Postulate Funiciello (sp, BE; Po. 22.4566) und von Falkenstein (lpd, BS), die einen Bericht forderten, der Auskunft darüber gibt, welche Gründe Opfer sexualisierter Gewalt davon abhalten, eine Anzeige zu erstatten. In der Begründung wiesen die Postulantinnen unter anderem darauf hin, dass das unabhängige Gremium von Expertinnen und Experten des Europarats zur Istanbul-Konvention (GREVIO) die Schweiz bereits aufgefordert habe, die Sicht der Opfer bei der Bekämpfung von Gewalt verstärkt zu berücksichtigen. Der Bundesrat hatte die Postulate zur Annahme empfohlen, diese waren jedoch von Therese Schläpfer (svp, ZH) in der Frühjahrssession 2023 bekämpft worden. Die SVP-Nationalrätin vertrat unter anderem die Ansicht, das Anliegen sei mit Überweisung der Motionen zur Schaffung von Krisenzentren für Opfer sexualisierter und geschlechtsbezogener Gewalt (Mo. 22.3234; Mo. 22.3333; Mo. 22.3334) bereits erfüllt worden. Der Nationalrat nahm die Postulate in der Sondersession im Mai 2023 schliesslich mit je 49 Gegenstimmen aus der sich fast einhellig ablehnend positionierten SVP-Fraktion an.

Welche Gründe halten Opfer sexualisierter Gewalt davon ab, eine Anzeige zu erstatten (Po. 22.4565; Po. 22.4566)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Gemeinnützige Organisationen sollen zukünftig den Rechnungslegungsstandard «Swiss GAAP FER» einhalten müssen, wenn ihnen staatliche Beiträge oder Steuerbefreiungen gewährt werden sollen, forderte Lukas Reimann (svp, SG) in einer im Mai 2021 eingereichten Motion. Diese Rechnungslegungsstandards beinhalteten gemäss dem Motionär spezifische Branchenregelungen unter anderem für Nonprofit-Organisationen. Relevant seien insbesondere die individuellen Entschädigungen der Mitglieder der oberen Leitungsorgane und der Führungskräfte dieser spendenfinanzierten Organisationen.
In seiner Stellungnahme vom Juni 2021 beantragte der Bundesrat, die Motion abzulehnen. Auch mittlere und kleine gemeinnützige Organisationen zur Einhaltung dieses Rechnungslegungsstandards zu verpflichten, sei unverhältnismässig, da dies mit hohem Aufwand verbunden wäre. Zudem sei eine Steuerbefreiung bereits heute nur möglich, wenn Führungskräfte «grundsätzlich ehrenamtlich» tätig seien.
In der Sondersession vom Mai 2023 lehnte der Nationalrat den Vorstoss mit 116 zu 72 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) ab. Nur die Mitglieder der SVP- und die Mehrheit der Mitte-Fraktion unterstützten das Anliegen.

Motion "Angemessene Cheflöhne und Transparenz für gemeinnützige Organisationen" (Mo. 21.3587)

Ende April 2023 publizierte das BFS die Daten und Analysen zur Lohnentwicklung 2022. Im Vergleich mit 2021 hatten sich die Nominallöhne durchschnittlich um 0.9 Prozent erhöht, wobei sie im sekundären Sektor um 0.7 Prozent und im tertiären Sektor um 1 Prozent angestiegen waren. In Bezug auf die Geschlechtsunterschiede verzeichneten die Nominallöhne der Männer einen Anstieg von 1.1 Prozent, während diejenigen der Frauen um 0.8 Prozent zunahmen. Die Sozialpartner der wichtigsten GAV hatten für das Jahr 2022 eine kollektivvertragliche Erhöhung der Nominallöhne um 0.3 Prozent beschlossen.
Weniger erfreulich war hingegen die Entwicklung der Kaufkraft der Löhne – also der Reallöhne. Diese waren in Anbetracht der Inflation und der «Krise der Lebenskosten» um 1.9 Prozent zurückgegangen. Dabei hatten sich die Reallöhne in fast allen Branchen verringert, nur in der Herstellung von chemischen und pharmazeutischen Erzeugnissen rechnete man mit einem Anstieg. Wie die NZZ verdeutlichte, stiegen die Löhne vor allem in jenen Branchen, in denen die Produktivität höher war.
In den Medien war die Lohnentwicklung bereits ab März 2022 ein grosses Thema. So war ab Beginn des Ukraine-Krieges ein Preisanstieg spürbar, wodurch auch die Forderungen der Gewerkschaften nach Lohnerhöhungen lauter wurden. Im Juni forderte gemäss Tages-Anzeiger auch Bundesrat Guy Parmelin (svp, VD) Lohnverhandlungen zwischen den Sozialpartnern und den Unternehmen. Zum Leidwesen der Arbeitnehmenden wollten jedoch die meisten Unternehmen die Löhne nicht erhöhen, wie eine in den Medien im März 2022 zitierte Umfrage unter den Personal­verantwortlichen von 337 Deutschschweizer Unternehmen mit 680'000 Mit­arbeitenden zeigte. Im November 2022 deutete eine von der UBS durchgeführte Umfrage bei 290 Unternehmen und Verbänden aus 22 Branchen an, dass nur 20 Prozent der Firmen einen vollständigen Teuerungsausgleich für die Jahre 2022 und 2023 vornehmen würden. Emilie Gaschet, Ökonomin bei der Credit Suisse, erklärte gegenüber dem Tages-Anzeiger, dass die Arbeitnehmenden mit ihren Lohnforderungen zurückhaltend seien, um das Risiko der Arbeitslosigkeit zu minimieren.

Lohnetnwicklung 2022
Dossier: Lohnentwicklung