Suche zurücksetzen

Inhalte

  • Antirassismus-Strafnorm
  • Bundesstrafgericht

Akteure

Prozesse

130 Resultate
Als PDF speichern Weitere Informationen zur Suche finden Sie hier

Auch im Nationalrat stiess die in der parlamentarischen Initiative der RK-SR geforderte Aufstockung der Vollzeitstellen am Bundesstrafgericht von bisher maximal drei auf maximal vier Stellen auf keinerlei Widerstand. Die Arbeitsbelastung, aber auch Engpässe aufgrund sprachlicher Verteilungen der Fälle seien eine Tatsache. Mit vier statt drei Richterstellen könne beidem begegnet werden, führte Sibel Arslan für die RK-NR aus. Einstimmig, mit 139 zu 0 Stimmen, teilte der gesamte Nationalrat diese Begründung.
Auch die Schlussabstimmungen passierte die entsprechende Verordnung ohne Opposition; 195 Stimmen erhielt sie im Nationalrat und 44 Stimmen im Ständerat.

Anpassung der Ressourcen des Bundesstrafgerichts (Pa.Iv. 21.401)
Dossier: Anzahl Richterinnen- und Richterstellen an den eidgenössischen Gerichten

Nachdem die beiden Kammern in der Sommersession 2021 einen Gegenvorschlag verworfen und die Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)» fast einstimmig zur Ablehnung empfohlen hatten, setzte der Bundesrat den Termin für die Abstimmung über das Volksbegehren auf den 28. November 2021 fest.

Das Ziel der Initiative war eine Reform des Wahlsystems der Bundesrichterinnen und Bundesrichter. Am aktuellen Vorgehen wurde kritisiert, was in der Zeitung «Republik» als «Unheilige Dreifaltigkeit» bezeichnet wurde: Parteizugehörigkeit, Mandatssteuer und Wiederwahl. In der Tat bedingt die Idee des Parteienproporz, also die Verteilung der Sitze an den höchsten eidgenössischen Gerichten entsprechend der Stärke der Parteien im Parlament, dass Kandidierende für höchste Richterämter einer Partei angehören sollten, um gewählt werden zu können. Alle Parteien fordern zudem von ihren Mandatsträgerinnen und -trägern eine Abgabe, die Mandatssteuer. In den Medien wurden zu diesem Obolus von Gerichtspersonen verschiedene Zahlen herumgereicht: Eine Befragung der CH-Medien bei den Parteien wies ein Total aller Abgaben von allen Richterinnen und Richtern aus allen Bundesgerichten zwischen CHF 30'000 bei der GLP und CHF 265'000 bei der SP aus (FDP: CHF 35'000; Grüne: CHF 100'000; Mitte: CHF 65'000; SVP: CHF 172'000). Das aktuelle Wahlsystem sieht schliesslich vor, dass Bundesrichterinnen und -richter nicht nur vom Parlament gewählt, sondern alle sechs Jahre bestätigt werden müssen. Das Initiativkomitee kritisierte, dass diese drei Elemente letztlich die Unabhängigkeit der Judikative gefährdeten, und forderte deshalb mit seinem Begehren, dass ein vom Bundesrat ernanntes Fachgremium Kandidierende nach fachlicher Eignung auswählt und dass die Bundesrichterinnen und Bundesrichter aus einem mit diesen Kandidierenden gefüllten Pool per Losverfahren gezogen werden. Die Gewählten sollen zudem keiner Amtszeitbeschränkung mehr unterliegen, sondern bis maximal fünf Jahre nach Pensionsalter in ihrem Amt verbleiben dürfen, falls sie nicht mittels eines neu einzuführenden Abberufungsverfahrens aufgrund von Fehlverhalten abgesetzt würden. Beim Losverfahren würde einzig eine sprachliche Repräsentation berücksichtigt.

Das Initiativkomitee – neben dem «Vater» der Initiative, dem Multimillionär und Unternehmer Adrian Gasser, sassen der Politikwissenschafter Nenad Stojanovic und die Mitte-Politikerin Karin Stadelmann (LU, mitte) federführend im Komitee – lancierte den Abstimmungskampf am 30. September 2021. An einer Pressekonferenz und in späteren Interviews betonten die Initiantinnen und Initianten, dass mit Annahme ihres Begehrens der Pool an geeigneten Richterinnen und Richtern vergrössert würde: Auch Parteilose könnten am Bundesgericht Einsitz nehmen und es müssten zukünftig nicht mehr zahlreiche geeignete Kandidierende hintanstehen, wenn eine Partei – wie aktuell etwa die Grünen nach ihren Wahlerfolgen 2019 – stark untervertreten sei und deshalb bei Vakanzen lediglich Kandidierende dieser Partei berücksichtigt würden. Adrian Gasser strich in mehreren Interviews das in seinen Augen grosse Problem der Parteiabhängigkeit und der Mandatssteuer hervor: «Die politischen Parteien haben sich die Macht angeeignet, diese Ämter unter sich aufzuteilen, dafür Geld zu verlangen und eine opportun erscheinende Gesinnung einzufordern [...] Vorauseilender Gehorsam ist garantiert», klagte er etwa in einem NZZ-Meinungsbeitrag. In Le Temps behauptete er, dass die fehlende Unabhängigkeit der Gerichte dazu führe, dass in 95 Prozent der Fälle Individuen vor Gericht verlieren würden, wenn sie gegen den Staat antreten müssten.

Obwohl keine einzige etablierte Partei und kein Verband das Begehren unterstützte, wollte keine Organisation die Federführung für eine Nein-Kampagne übernehmen. Ende September gründete deshalb Andrea Caroni (fdp, AR) ein «überparteiliches Nein-Komitee». Weil er wie bereits 2014 bei der sogenannten «Pädophileninitiative» den liberalen, demokratischen Rechtsstaat bedroht sehe, wolle er sich wehren, betonte der FDP-Ständerat im Sonntags-Blick. Im Komitee sassen Mitglieder aller grossen Parteien: Heidi Z’graggen (mitte, UR); Laurence Fehlmann Rielle (sp, GE), Nicolas Walder (gp, GE), Beat Flach (glp, AG) und Yves Nidegger (svp, GE). In den Medien tat sich freilich vor allem Andrea Caroni mit Stellungnahmen hervor. Mit dem Slogan «Wählen statt würfeln, Demokratie statt Lotterie» griff er vor allem das Losverfahren an, das auf Glück beruhe und deshalb nicht geeignet sei, fähige Kandidierende auszuwählen. Darüber hinaus habe sich das bestehende System, das eine repräsentative Vertretung unterschiedlicher politischer Grundhaltungen in der Judikative garantiere, bewährt. Im Verlauf der Kampagne warf Andrea Caroni den Initiantinnen und Initianten zudem auch vor, «falsch und verleumderisch» zu argumentieren.

Am 11. Oktober erörterte Karin Keller-Sutter an einer Pressekonferenz die Position des Bundesrats, der die Initiative zur Ablehnung empfahl. Das Volksbegehren sei «zu exotisch» und stelle das politische System und die demokratische Tradition der Schweiz «auf fundamentale Weise» in Frage, so die Justizministerin. Die Wahl durch das Parlament würde durch Losglück ersetzt, womit die demokratische Legitimation Schaden nehme. Das Losverfahren sei zudem ein «Fremdkörper im institutionellen Gefüge», so die Bundesrätin. Mit dem heute angewandten Parteienproporz werde hingegen gewährleistet, dass politische Grundhaltungen, aber auch das Geschlecht und die regionale Herkunft am Bundesgericht «transparent und ausgewogen» vertreten seien, war in der Medienmitteilung zu lesen. Die Praxis zeige zudem, dass die Unabhängigkeit gewährleistet sei und kein Druck von Parteien auf die Bundesrichterinnen und Bundesrichter ausgeübt werde. Noch nie in der jüngeren Geschichte sei ein Richter oder eine Richterin aus politischen Gründen abgewählt worden, so Karin Keller-Sutter, was zeige, dass der von den Initiantinnen und Initianten kritisierte Konformitätsdruck aufgrund der Angst vor einer Wiederwahl gar nicht bestehe. Es sei zudem falsch anzunehmen, dass parteilose Richterinnen und Richter nicht ebenfalls Werte vertreten würden, die allerdings nicht so transparent seien, wie bei Parteimitgliedern. Die Justizministerin nahm schliesslich auf die aktuelle Pandemie-Diskussion Bezug: Viele Stimmen kritisierten momentan demokratisch nicht legitimierte Gremien aus Expertinnen und Experten. Mit Annahme der Initiative würde mit der vorgesehenen Fachkommission aber ein weiteres solches Gremium geschaffen.

In den Medien wurde laut APS-Analyse und FöG-Abstimmungsmonitor nur selten über die Justizinitiative berichtet. Dies war einerseits dem Umstand geschuldet, dass vor allem das Referendum gegen die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes sehr viel Platz in der medialen Berichterstattung einnahm, andererseits ist dies aber wohl auch der Komplexität des Themas zuzuschreiben. In der Tat kamen in den Printmedien neben Adrian Gasser und Andrea Caroni vor allem Expertinnen und Experten, aber auch ehemalige Richterinnen und Richter zu Wort.
Auffällig war, dass die meisten dieser Expertinnen und Experten der Initiative relativ wohlwollend gegenüberstanden. So wurden etwa Studien zitiert, die zeigten, dass eine längere Amtszeit zu mehr richterlicher Unabhängigkeit führe. Kurze Amtszeiten und vor allem die Wiederwahl könnten hingegen als Disziplinierungsmöglichkeit von Parteien erachtet werden, mit der Linientreue von Richterinnen und Richtern erzwungen werde, so etwa der Politikwissenschafter Adrian Vatter in der NZZ. Die Wiederwahl sichere Bodenhaftung der Richter und trage dazu bei, dass «sich die Justiz nicht verselbständigt» und dass Richterinnen und Richter nicht zu einer «Elite ohne Legitimation» würden, meinte hingegen Katharina Fontana, ehemalige Mitarbeiterin im BJ und NZZ-Journalistin für das Themengebiet Recht und Gesellschaft. Bemängelt wurde zudem der Umstand, dass parteilose Kandidierende aktuell keine Chance hätten, gewählt zu werden. Wenn wirklich Repräsentation das Ziel sei, dann dürften in den Gerichten nicht nur Parteimitglieder sitzen, da die grosse Mehrheit der Bevölkerung keine Parteibindung aufweise, so die Argumentation. Adrian Vatter schlug entsprechend ein Modell mit 50 Prozent Parteilosen und 50 Prozent Parteimitgliedern vor. Debattiert wurde auch über die Frage, ob Richterinnen und Richter überhaupt ideologisch neutral sein könnten oder ob Gerichte eben nicht auch genuin politische Institutionen seien. In diesem Falle wäre aber der Parteienproporz folgerichtig, so die NZZ. Auch das Losverfahren erhielt einige Aufmerksamkeit – einige Expertinnen und Experten erachteten es als geeignetes Mittel zur Auswahl von Richterinnen und Richtern. Es sei schliesslich schon von Aristoteles als «Grundlage wahrer Demokratie» betrachtet worden, warb der Ökonom Bruno S. Frey. Das Los sei über längere Frist ebenso repräsentativ wie das momentane Auswahlverfahren, funktioniere aber wesentlich unabhängiger, argumentierte die Ökonomin Margit Osterloh, die zudem betonte, dass das Losverfahren nicht einfach eine Lotterie sei, sondern dass durch das qualitative Losverfahren mit Vorselektion letztlich geeignetere Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt würden als von menschlichen Expertinnen und Experten, die in ihrer Wahl eben nicht frei seien von Beeinflussung. Die anfänglich wohl geringere Akzeptanz des Losverfahrens würde rasch zunehmen und das Vertrauen in die Judikative dadurch gar noch verstärkt, so die Ökonomin. In den medialen Kommentaren stand hingegen die Fachkommission, die gemäss der Justizinitiative vom Bundesrat zusammengestellt werden müsste, eher in der Kritik. Die Diskussion um eine optimale Besetzung würde sich von der Richterinnen- und Richterwahl auf die Bestellung dieser Fachkommission verschieben. Es sei nicht klar, wie diese zusammengesetzt werden solle und ob diese eben nicht auch wiederum politisch agieren würde, so der Tenor der Kritikerinnen und Kritiker. Die Weltwoche sprach gar von einer «brandgefährlichen Illusion», zu meinen, es könne ein Gremium eingesetzt werden, das «objektive Qualifikationsmerkmale» bestimmen könne. Andrea Caroni warnte vor «einer obskuren, bundesratsnahen Kommission [...], die weder Qualität noch Vielfalt noch demokratische Legitimation gewährleisten kann». Allerdings stand auch die Frage im Raum, ob die parlamentarische Gerichtskommission (GK), die momentan mit der Auswahl der Kandidierenden betraut ist, fachlich wirklich dafür geeignet sei. Ein eher pragmatisches Argument gegen die Initiative wurde schliesslich von Rechtsprofessor Lorenz Langer vorgebracht: Da sich die Initiative auf das Bundesgericht beschränke, stelle sich die Frage, woher bei Annahme der Initiative die Kandidierenden kommen sollen, da Bewerbende für einen Bundesgerichtsposten in der Regel an anderen Bundesgerichten (Bundesstrafgericht, Bundesverwaltungsgericht, Bundespatentgericht) oder an kantonalen Gerichten tätig seien, wo aber meist noch nach Parteienproporz gewählt würde. Es gäbe somit nicht mehr viele der verlangten «objektiven», also eben parteiunabhängigen Kandidierenden.

In der medialen Diskussion wurde von Seiten der Befürworterinnen und Befürworter auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das aktuelle System – auch im internationalen Vergleich – sehr gut funktioniere. Die Geschichte zeige, dass Richterinnen und Richter unabhängig seien und sich nicht vor einer Wiederwahl fürchteten. In der Tat wurden bisher lediglich drei Bundesrichter abgewählt – zwei aus Altersgründen zu Beginn der modernen Schweiz sowie Bundesrichter Martin Schubarth 1990, der freilich sofort wiedergewählt worden war.
Diskutiert wurde zudem der «Fall Donzallaz»: Die SVP hatte «ihren Bundesrichter» nicht mehr zur Wiederwahl empfohlen, weil er in einigen Urteilen nicht mehr die Parteilinie verfolgt habe. Yves Donzallaz wurde aber in der Folge von allen anderen Fraktionen bei seiner Wiederwahl unterstützt und schliesslich gar zum Bundesgerichtspräsidenten gewählt. Dies zeige, dass sich Richterinnen und Richter nicht von den eigenen Parteien unter Druck setzen liessen. Die Aargauer Zeitung kritisierte freilich, dass sich bei Yves Donzallaz das Problem der Parteifarbe besonders gut zeige: Um Bundesrichter zu werden, habe er einen Parteiwechsel von der CVP zur SVP vorgenommen. Dies komme häufig vor, so die Zeitung: Kandidierende wechselten ihre «Parteifarbe wie Chamäleons», um ihre Wahlchancen zu steigern.
Der einzige Nationalrat, der die Initiative unterstützt hatte, kam ebenfalls in den Medien zu Wort. Lukas Reimann gab zu Protokoll, dass er die Arbeit der GK als deren Mitglied als wenig seriös erlebt habe, da die Kandidierendenauslese eher eine politische als eine fachliche Frage gewesen sei. Einmal habe die Kommission einem sehr geeigneten, aber parteilosen Kandidaten gar offen empfohlen, der GLP oder der BDP beizutreten, damit er zur Wahl eingeladen werden könne.

Für Gesprächsstoff sorgten zudem einige pensionierte Richterinnen und Richter, die den Medien Red und Antwort standen. Praktisch unisono gaben alt-Bundesstrafrichter Bernard Bertossa sowie die alt-Bundesrichter Jean Fonjallaz, Karl Hartmann, Ulrich Meyer und Hans Wiprächtiger, aber auch die Luzerner alt-Oberrichterin Marianne Heer (fdp) zu Protokoll, von ihrer Partei nie auch nur irgendeinen Druck verspürt zu haben – auch ihre Kolleginnen und Kollegen nicht. Angesprochen auf die Angst vor einer Nicht-Wiederwahl erzählte Hans Wiprächtiger, dass sich das Bundesgericht viel mehr vor schlechter Presse als vor dem Parlament fürchte. Zur Sprache kam auch die von der Greco kritisierte Mandatssteuer. Man müsse die Parteien unterstützen, damit die Demokratie in der Schweiz funktioniere, äusserte sich Jean Fonjallaz hierzu. Er habe vielmehr das Gefühl, dass die Partei mehr von ihm als Beitragszahlendem abhängig sei als er von ihr, so der alt-Bundesrichter. Von Ämterkauf könne nur die Rede sein, wenn Höchstbietende einen Posten kriegten; die Abgaben seien aber innerhalb einer Partei für alle gleich.
Eine gegenteilige Meinung vertrat einzig der Zürcher alt-Oberrichter Peter Diggelmann. Es gebe zwar keine offenen Drohungen, den Druck der Parteien spüre man aber etwa an Fraktionsausflügen oder Parteianlässen. Er selber sei zudem zu einer Mandatssteuer gezwungen worden und wäre wohl nicht mehr nominiert worden, wenn er der entsprechenden Mahnung nicht nachgekommen wäre. Im Gegensatz zu Kolleginnen und Kollegen, die momentan im Amt seien und deshalb aus Angst keine öffentliche Kritik anbrächten, sei es ihm als pensioniertem Richter und aufgrund seines Parteiaustritts möglich, Kritik zu äussern. Das Interview von Peter Diggelmann im Tages-Anzeiger blieb nicht unbeantwortet. Andrea Caroni sprach tags darauf in der gleichen Zeitung von «verleumderischen Unterstellungen». Er kenne keinen Richter und keine Richterin, die sich unter Druck gesetzt fühlten.

Beliebtes Mediensujet war auch der Kopf der Initiative, Adrian Gasser. Der Multimillionär und Chef der Lorze Gruppe, einem Firmenkonglomerat mit Sitz in Zug, habe sich seit seiner Jugendzeit für richterliche Unabhängigkeit interessiert. Als Wirtschaftsprüfer habe er einige Fälle erlebt, bei denen diese Unabhängigkeit nicht gegeben gewesen sei, sagte er in einem Interview. 1987 habe Adrian Gasser im Kanton Thurgau erfolglos für den National- und 1999 für den Ständerat kandidiert – als Parteiloser. Erst 40 Jahre nach diesen Erlebnissen könne er sich nun aber die Finanzierung einer Volksinitiative leisten. In der Tat soll Adrian Gasser laut Medien rund CHF 1 Mio für die Sammlung der Unterschriften aufgeworfen haben. «Andere haben ein Motorboot in Monaco, ich habe mir eine Initiative im Interesse der Schweiz geleistet», so Gasser bei der Einreichung seiner Initiative im St. Galler Tagblatt.

Auch für die Abstimmungskampagne schien das Initiativkomitee einiges an Geld aufgeworfen zu haben. Im Sonntags-Blick wurde vermutet, dass Adrian Gasser für die Kampagne kaum weniger aufgewendet haben dürfte als für die Unterschriftensammlung, was Andrea Caroni in derselben Zeitung zum Vorwurf verleitete, dass sich «eine Einzelperson [...] praktisch eine Initiative gekauft und die Schweiz zuplakatiert» habe. Der Gegnerschaft fehle es hingegen an spendablen Geldgebenden. Bei der APS-Inserateanalyse zeigt sich zwar in der Tat ein Ungleichgewicht zugunsten der Befürwortenden, allerdings finden sich von beiden Lagern kaum Inserate in den grössten Schweizer Printmedien.

Bei den Abstimmungsumfragen im Vorfeld des Urnengangs vom 28. November zeigte sich ein für Initiativen typisches Bild. Hätten Mitte Oktober noch 48 Prozent der Befragten Ja oder eher Ja zur Initiative gesagt, lag dieser Anteil rund zwei Wochen vor der Abstimmung noch bei 37 Prozent. Für eine inhaltlich komplexe Vorlage ebenfalls gängig war der hohe Anteil Befragter, die sich zu Beginn der Kampagne noch keine Meinung gebildet hatten (Anteil «weiss nicht» am 15.10.2021: 19%; 17.11.2021: 7%).

Wie aufgrund der Umfragewerte zu vermuten, wurde die Initiative am Abstimmungssonntag deutlich verworfen. Bei einer wohl vor allem dem gleichzeitig stattfindenden Referendum gegen das Covid-19-Gesetz, aber auch der «Pflegeinitiative» geschuldeten aussergewöhnlich hohen Stimmbeteiligung von fast 65 Prozent lehnten mehr als zwei Drittel der Stimmberechtigten eine Reform des geltenden Systems der Wahlen von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern ab.


Abstimmung vom 28. November 2021

Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)»
Beteiligung: 64.7%
Ja: 1'382'824 Stimmen (31.9%) / 0 Stände
Nein: 2'161'272 Stimmen (68.1%) / 20 6/2 Stände

Parolen:
-Ja: Piratenpartei
-Nein: EDU, EVP, FDP, GLP (2), GPS (2), Mitte, PdA, SD, SP, SVP; SGV
-Stimmfreigabe: BastA
* in Klammern Anzahl abweichende Kantonalsektionen


Die Medien sprachen am Tag nach der Abstimmung von einer deutlichen Niederlage. Das Resultat zeige, dass die Stimmberechtigten mit dem System zufrieden seien, liessen sich die Gegnerinnen und Gegner vernehmen. «Das Volk hält den Wert der Institutionen hoch», interpretierte Justizministerin Karin Keller-Sutter das Resultat. Die Initiative habe zwar einige wunde Punkte aufgezeigt, sei aber zu extrem gewesen, um diese Probleme zu lösen, meinte Matthias Aebischer (sp, BE) in La Liberté. Die Initiantinnen und Initianten erklärten sich die Niederlage mit der zu wenig gut gelungenen Information der Bürgerinnen und Bürger über die Probleme des jetzigen Systems. Adrian Gasser machte zudem die einseitige Information durch die Bundesbehörden und die öffentlich-rechtlichen Medien, welche die Meinungsbildung beeinträchtigt habe, für das Scheitern der Initiative verantwortlich. Er kündigte zudem noch am Abend des Abstimmungssonntags einen weiteren Anlauf an. Innert zwei bis drei Jahren könne die Bevölkerung für die Fehlfunktionen im Justizsystem besser sensibilisiert werden. Er wolle deshalb bald mit der Sammlung von Unterschriften für eine identische Initiative beginnen.
Diskutiert wurden in den Medien freilich auch noch einmal die Schwachstellen des Systems, die nun angegangen werden sollten. Die Justizinitiative habe eine «Debatte rund um das Schweizer Justizsystem ausgelöst und uns zu Verbesserungen angespornt», lobte etwa Andrea Caroni im St. Galler-Tagblatt. So dürften die Diskussionen um mehr Transparenz bei den Parteienfinanzen zu einer Offenlegung der Mandatssteuern führen. Im Parlament hängig war zudem die in einer parlamentarischen Initiative von Beat Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468) aufgeworfene Frage, ob diese Mandatssteuern nicht gänzlich abgeschafft werden sollen. Mit der Ablehnung eines Gegenvorschlags zur Justizinitiative schien hingegen die Frage einer Amtszeitverlängerung der Bundsrichterinnen und Bundesrichter vom Tisch, wie sie von der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richtern am Tag nach der Abstimmung erneut gefordert wurde. Eine mögliche Professionalisierung der Kandidierendenauswahl bzw. die Ergänzung der GK durch eine Fachkommission, die Bewerbungen für Richterinnen- und Richterämter mitsichten soll, war ebenfalls Gegenstand einer noch hängigen parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 21.452).

Die VOX-Analyse fand nur schwache Muster, mit denen das Abstimmungsverhalten bei der Justizinitiative erklärt werden könnte. Personen mit einer Berufsbildung sagten etwas stärker Nein als andere Bildungskategorien. Sympathisantinnen und Sympathisanten der Grünen sagten mehrheitlich Ja – im Gegensatz zu den Anhängerinnen und Anhänger aller anderer Parteien. Hohes Vertrauen in die Judikative ging zudem eher mit einem Nein einher. Bei den Motiven für ein Ja zeigte sich der Wunsch nach Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern von den Parteien sowie nach einem System, das auch für Parteilose Chancen einräumt, als zentral. Ein Nein wurde hingegen laut VOX-Analyse eher mit der Skepsis gegenüber dem Losverfahren und der Meinung, dass das bisherige System gut funktioniere, begründet.

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Im Ständerat stiess die Umsetzung der parlamentarischen Initiative der RK-SR auf keinerlei Widerstand. Kommissionssprecher Beat Rieder (mitte, VS) führte aus, dass nicht nur die RK-NR der parlamentarischen Initiative mit 23 zu 0 Stimmen Folge gegeben habe, mit der in der Verordnung der Bundesversammlung über die Richterstellen am Bundesstrafgericht eine Erhöhung der Vollzeitstellen am Bundesstrafgericht von bisher maximal drei auf maximal vier festgehalten wird, sondern in der Zwischenzeit auch der Bundesrat. Karin Keller-Sutter ergänzte im Namen der Regierung, dass auch die Verwaltungskommission des Bundesgerichtes das Gesuch für eine Aufstockung der Stellen unterstütze. Ohne Gegenantrag wurde zuerst Eintreten beschlossen, anschliessend passierte der Entwurf die kleine Kammer mit 30 zu 0 Stimmen (keine Enthaltungen).

Anpassung der Ressourcen des Bundesstrafgerichts (Pa.Iv. 21.401)
Dossier: Anzahl Richterinnen- und Richterstellen an den eidgenössischen Gerichten

Hauptsächlicher Gegenstand der Berichterstattung zum Geschäftsbericht des Bundesgerichts 2020 waren in der Sommersession 2021 in beiden Räten die steigenden Fallzahlen an allen eidgenössischen Gerichten. So rechnete im Nationalrat Manuela Weichelt (al, ZG) als GPK-Kommissionssprecherin vor, dass die 38 Stellen für ordentliche Bundesrichterinnen und Bundesrichter auf total rund 7'400 Fälle pro Jahr ausgerichtet seien. Allerdings sei diese Fallzahl lediglich in den Jahren 2010 und 2011 nicht überschritten worden. 2020 sei die Fallzahl zum zweiten Mal seit der Einführung des Bundesgerichtsgesetzes 2005 auf über 8'000 Fälle angestiegen (laut Bericht: 8'024 Fälle; 2019: 7'881). Die Revision ebendieses Bundesgerichtsgesetzes war 2020 gescheitert, so dass die Bundesgerichte intern Massnahmen beschlossen hätten, um die Arbeitslast zu verteilen, was trotz der Covid-19-Pandemie gelungen sei. Der Pendenzenberg sei daher nur geringfügig angewachsen, berichtete Manuela Weichelt. Isabelle Pasquier-Eichenberger (gp, GE), die Kommissionssprecherin französischer Sprache, informierte die grosse Kammer zudem darüber, dass die GPK daran sei, die Transparenz bei der Spruchkörperbildung zu untersuchen. Auch das Dossier zu den Vorkommnissen im Bundesstrafgericht sei nach wie vor im Fokus der GPK.
Auch die neue Bundesgerichtspräsidentin und erste Frau an der Spitze des Bundesgerichts, Martha Niquille, meldete sich zu Wort und betonte, dass die Covid-19-Pandemie gut habe gemeistert werden können: «Die Arbeit der Juristinnen und Juristen eignet sich auch sehr gut, um von zuhause aus arbeiten zu können.» Der leichte Anstieg der Pendenzen sei deshalb nicht der Pandemie, sondern den «wirklich sehr hohen Fallzahlen» zuzuschreiben. Dies könne so nicht mehr weitergehen. Wenn immer mehr Fälle ans Gericht gelangten, aber nicht mehr Personal zur Verfügung stehe, leide die Qualität und die Rechtssicherheit. Man habe nach dem Scheitern der Revision des Bundesgerichtsgesetzes versucht, intern die Belastung besser zu verteilen. Die Gerichte hätten also gehandelt, sie seien aber «darauf angewiesen, dass auch vonseiten des Parlamentes Massnahmen ergriffen werden». In der Folge nahm der Nationalrat den Bundesbeschluss über den Geschäftsbericht des Bundesgerichtes 2020 diskussionslos an.

Auch der Ständerat hiess den Bundesbeschluss noch in der Sommersession diskussionslos gut. Hans Stöckli (sp, BE) berichtete in der kleinen Kammer. Die GPK habe sich den Satz «Das Bundesgericht erachtet die Situation als kritisch im Hinblick auf die Erfüllung seiner ihm von der Verfassung zugedachten Aufgabe» angestrichen und man müsse diesem Beachtung schenken. Der Pendenzenberg sei zwar nur geringfügig, aber doch auf total 2'862 Fälle angewachsen. Die GPK habe die beiden Rechtskommissionen aufgefordert, die unbestrittenen Punkte der Bundesgerichtsgesetzrevision in eine neue Vorlage aufzunehmen. Dies wünschte sich auch die Bundesgerichtspräsidentin, die auch bei der Beratung in der kleinen Kammer zugegen war. Wenn man aber wirklich eine Entlastung wolle, müsse man gewillt sein, den Zugang zum Bundesgericht einzuschränken, so Martha Niquille.

Geschäftsbericht 2020 des Bundesgerichts
Dossier: Geschäftsberichte des Bundesgerichts

Einstimmig überwies der Ständerat in der Sommersession 2021 ein Postulat seiner SiK, womit der Bundesrat darüber Bericht erstatten muss, ob zum Thema Hassreden gesetzliche Lücken bestehen. Er soll insbesondere darlegen, was für strafrechtliche, präventiv-polizeiliche und andere öffentlich-rechtliche Mittel zur Verfügung stehen, um das öffentliche Auffordern zu Hass sowie die Einfuhr und Verbreitung von extremistischem Propagandamaterial zu unterbinden. Die Kommission hatte das Postulat im Anschluss an eine Expertenanhörung zur Bedrohung der Schweiz durch den dschihadistisch motivierten Terrorismus eingereicht.

Hassreden. Bestehen gesetzliche Lücken? (Po. 21.3450)

In Erfüllung des 2019 überwiesenen Postulats Rechsteiner (sp, SG) veröffentlichte der Bundesrat Anfang Juni 2021 einen Bericht zur Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Darin anerkannte die Regierung den Wert und die praktische Relevanz der rechtlich nicht bindenden Definition «als Leitfaden für die Identifikation antisemitischer Vorfälle». Sie könne insbesondere als Ausgangspunkt dienen, um spezifische, auf den jeweiligen Anwendungsbereich und -zweck ausgerichtete Definitionen zu verfassen. Allerdings erachtete der Bundesrat eine explizite Bestätigung der Definition durch die Schweizer Behörden als nicht angezeigt, weil es sich um einen nicht bindenden internationalen Text handle. Bei der Verwendung der Definition müsse überdies darauf geachtet werden, dass die Meinungsfreiheit gewahrt werde; Kritik an der israelischen Politik müsse beispielsweise – auch in einem politisch heiklen Kontext – frei geäussert werden können. Es seien in diesem Sinne immer alle Bestandteile der Definition – sie umfasst neben der Basisdefinition auch Erläuterungen, Erklärungen und Beispiele – heranzuziehen sowie situativ und kontextuell zu beurteilen. In der Rechtsprechung könne die Anwendung der Definition «helfen, mögliche Verschleierungsstrategien zu entlarven, und dazu führen, dass antisemitische Motivationen bei der Strafverschärfung berücksichtigt werden». Im zweiten Teil des Berichts betrachtete die Regierung die Politik und Massnahmen gegen Antisemitismus auf nationaler und internationaler Ebene und formulierte eine Reihe von konkreten Empfehlungen, um gesamtschweizerisch noch umfassender und konsequenter gegen Antisemitismus vorzugehen. Demnach wünschte sich der Bundesrat eine bessere Koordination von Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene durch die Klärung von Verantwortlichkeiten, die Stärkung des Austauschs und die Förderung einer gemeinsamen strategischen Planung. Auf Bundesebene betraute er die Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) und die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) mit der Umsetzung.

Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (Po. 19.3942)

Anfang 2021 reichte die RK-SR eine parlamentarische Initiative ein, mit der die Vollzeitstellen am Bundesstrafgericht von drei auf vier erhöht werden sollten, was eine Revision der entsprechenden Verordnung verlangte. Die Kommission, die den Beschluss mit 8 zu 3 Stimmen fasste, kam damit der Bitte von Roy Garré nach, dem Präsidenten der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts, wo die zusätzliche Richterstelle geschaffen werden soll.
Nachdem auch die RK-NR Ende März 2021 mit 23 zu 0 Stimmen (1 Enthaltung) grünes Licht gegeben hatte, konnte die RK-SR die entsprechende Änderung der Verordnung der Bundesversammlung über die Richterstellen am Bundesstrafgericht aufsetzen.

Anpassung der Ressourcen des Bundesstrafgerichts (Pa.Iv. 21.401)
Dossier: Anzahl Richterinnen- und Richterstellen an den eidgenössischen Gerichten

Ohne weitere Diskussion nahm der Nationalrat in der Frühjahrssession Kenntnis vom Jahresbericht 2020 der GPK und GPDel. Die drei Sprecher und die Sprecherin für die Kommission fassten kurz die wichtigsten Punkte des Berichts zusammen. Erich von Siebenthal (svp, BE) berichtete zudem, dass die GPK, die GPDel und die verschiedenen Subkommissionen 2020 insgesamt 116 Sitzungen durchgeführt hätten. Yvonne Feri (sp. AG) bedankte sich bei den anwesenden Nationalrätinnen und Nationalräten dafür, «dass Sie bereits da sind, obwohl der GPK-Jahresbericht traktandiert ist. Das interessiert ja leider nicht so viele»; dies sei schade, weil der Bericht viele interessante Punkte beinhalte. Wie seine Vorrednerin und sein Vorredner bedankte sich auch Thomas de Courten (svp, BL) für die Arbeit der Sekretariate. Alfred Heer (svp, ZH) schliesslich, der als Präsident der GPDel das Wort ergriff, lobte die Zusammenarbeit mit allen Mitgliedern beider GPK. Es handle sich um ein «sehr gutes Team aus Nationalrat und Ständerat».
Die Sprechenden ebendieser ständerätlichen Kommissionen informierten ein paar Tage später die kleine Kammer über die wichtigsten Punkte des Jahresberichts. Maya Graf (gp, BL) erinnerte an die Bedeutung der Oberaufsicht – «gerade in der aktuellen Covid-19-Krise». Daniel Fässler (mitte, AI) hob hervor, dass die GPK beider Kammern auf ebendiese Covid-19-Krise bzw. deren Bewältigung in Zukunft ein besonderes Augenmerk legen würden. Auch Marco Chiesa (svp, TI) und Philippe Bauer (fdp, NE) beantragten Kenntnisnahme des Berichts, nachdem sie auch die zentralen Punkte aus ihren Subkommissionen wiederholt hatten. Ohne Diskussion folgte auch die kleine Kammer einstimmig diesem Antrag.

Jahresbericht 2020 der GPK und der GPDel
Dossier: Jahresberichte der GPK und der GPDel

Anfang Februar 2021 entschied die RK-NR mit 13 zu 11 Stimmen (1 Enthaltung), dem Nationalrat die Ablehnung der Justizinitiative zu beantragen und auf einen eigenen indirekten Gegenvorschlag zu verzichten. Zwei Minderheiten beantragten allerdings die Ausarbeitung eines indirekten Gegenvorschlags oder gar eines direkten Gegenentwurfs. Die Anträge fussten auf einem Arbeitspapier des BJ, das Vorschläge für die Umsetzung der parlamentarischen Initiative der Kommission für einen Gegenvorschlag zur Justizinitiative beinhaltet und das die Kommission trotz ihres ablehnenden Entscheids einige Tage später publizierte. Das Arbeitspapier erörtert konkret die zentralen Vorschläge der Kommissionsinitiative: Die Schaffung eines Fachbeirats, verschiedene Varianten für die Wiederwahl von Richterinnen und Richtern, Fragen zur Amtszeit, das Verfahren für eine Amtsenthebung und ein Verbot der Mandatsabgabe, also der finanziellen Beiträge, die Richterinnen und Richter an Parteien bezahlen.
Die Schaffung eines Fachbeirats, der die fachliche (inkl. sprachliche) Eignung von Kandidierenden zuhanden der GK beurteilen solle, wurde im Arbeitspapier als einfach umsetzbar erachtet. Dessen Umsetzung in Form eines indirekten Gegenvorschlags sei mit einer Änderung des Parlamentsgesetzes leicht möglich. Als «wenig sinnvoll» wurde im Papier hingegen die Idee einer stillen, also automatischen Wiederwahl beurteilt. Weil das Parlament, ein Teil des Parlaments oder gar ein einzelnes Parlamentsmitglied die verfassungsrechtlich garantierte Kompetenz behalten müsse, eine Wiederwahl zu fordern und so Druckversuche durch Parteien weiterhin möglich wären, wäre die Einführung einer stillen Wahl keine Verbesserung im Sinne von mehr Unabhängigkeit der Judikative. Wenn alleine die GK die Kompetenz erhalten solle, die Wiederwahl zu beschliessen (auch unter Beizug der Fachkommission), wäre eine Verfassungsänderung und entsprechend ein direkter Gegenentwurf (statt eines indirekten Gegenvorschlags) nötig. Auch für eine Neuregelung des Amtsenthebungsverfahrens und für die Verlängerung der Amtszeit (also die einmalige Wahl einer Richterin oder eines Richters bis zu einem bestimmten Altersjahr oder aber die Verlängerung der Amtsperiode von 6 auf 12 oder 16 Jahre) bräuchte es laut Arbeitspapier eine Verfassungsänderung. Ein indirekter Gegenvorschlag wäre hingegen möglich für eine Regelung hinsichtlich Mandatsabgabe, die nicht gesetzlich verankert ist. Das Arbeitspapier schlägt ein Verbot vor, das im Bundesgerichtsgesetz verankert werden könnte: Richterinnen und Richter dürften demnach keine finanziellen Beiträge an politische Parteien leisten. Ein Verbot auf Verfassungsstufe sei freilich vorzuziehen, weil so eine schweizweit einheitliche Regelung (auch auf Kantonsebene) garantiert und den Empfehlungen der GRECO für eine bessere Unabhängigkeit der Gerichte in der Schweiz entsprochen werden könnte. Dazu wäre jedoch wiederum ein direkter Gegenentwurf erforderlich. Im Arbeitspapier wurde für diesen Punkt auf die parlamentarische Initiative von Beat Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468) verwiesen, die ein solches Verbot von Mandatsabgaben fordert.

Unabhängige und kompetente Richterinnen und Richter des Bundes. Indirekter Gegenvorschlag zur Justizinitiative (Pa.Iv. 20.480)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Die Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte (GPK-NR und GPK-SR) üben die parlamentarische Oberaufsicht über den Bundesrat, die Bundesverwaltung und die Bundesgerichte aus. Über die Aktivitäten (Inspektionen, Evaluationen, Prüfung von Geschäftsberichten, Behandeln von Aufsichtseingaben) des ablaufenden Jahres berichteten die GPK sowie die GPDel im Jahresbericht 2020. Seit 2017 verfolgen die GPK die Massnahmen im Rahmen der Hochseeschifffahrts-Bürgschaften, die dem Bund hohe Verluste beschert hatte. Auch das elektronische Patientendossier bzw. die Verzögerungen bei dessen Einführung stand im Fokus der Aufsichtsbehörden. Nicht nur aufgrund der Covid-19-Krise beschäftigten sich die GPK mit dem Problem des Impfstoffmangels. Insbesondere bei Säuglingsimpfstoffen bestehe die Gefahr von problematischen Lieferengpässen. Der Frage nach der Transparenz von Gesetzesrevisionen gingen die Kommissionen am Beispiel der Transplantationsverordnung nach. Geschlossen wurde hingegen das Dossier zur Vergabepraxis im BAG, die aufgrund eines Auftrags an die «Schweizerische Koordinations- und Fachstelle Sucht» in die Kritik geraten war. Keine Massnahmen ergriff die GPK nach ihrer Anhörung des Swiss Investment Fund for Emerging Marklets (SIFEM) im Juni, eine sich im Besitz des Bundes befindende Aktiengesellschaft, die die Entwicklungsfinanzierung des Bundes regelt. Auch der Dienststellenbesuch beim Institut für geistiges Eigentum verlief zur Zufriedenheit der Aufsichtskommissionen. Die 2018 aufgedeckten Schwächen der Strategie des Integrated Border Managements (IBM), mit dem die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen gegen grenzüberschreitende Kriminalität koordiniert werden soll, seien laut Bericht mit der neu entwickelten Strategie behoben worden und auch das Thema «Internationale Rechtshilfe» konnte vorläufig abgeschlossen werden – hier waren 2017 knappe Ressourcen im Direktionsbereich als Problem ausgemacht worden. Die Massnahmen des SEM gegen Gewalt gegen Frauen in Bundesasylzentren wurden von den GPK als genügend eingestuft. Man werde deren Umsetzung zu gegebener Zeit überprüfen. Auch die 2019 von der GPK geforderten Massnahmen, welche die BK gegen «Fehler in Abstimmungsbüchlein» unternommen hätten, wurden im Bericht begrüsst.
2020 nahmen sich die GPK zudem dem Problem von Sponsoringaktivitäten durch die öffentliche Verwaltung an. Insbesondere im VBS sollen Leitlinien für aktives Sponsoring (Verwaltungseinheiten als Sponsor) wie für passives Sponsoring (Verwaltungseinheit ist Sponsoringnehmer) erarbeitet werden. Im Bericht Erwähnung fanden auch die internen Probleme am Bundesstrafgericht bzw. der Bericht der bundesgerichtlichen Aufsichtskommission über diese Probleme. Die GPK will die Vorkommnisse weiterverfolgen. Damit einher geht auch die nach wie vor sehr schleppenden Planung und der Aufbau einer Berufungskammer am Gericht in Bellinzona und die Frage, wie der weiterhin bestehende Handlungsbedarf nach dem Scheitern der Bundesgerichtsgesetzesrevision rasch befriedigt werden könnte. Im Fokus standen auch 2020 weiterhin die Cybersicherheit bzw. die Organisation des nationalen Zentrums für Cybersicherheit (NCSC) sowie die Gefahreneinschätzung belasteter Standorte (Mitholz). Drei Arbeitsbereiche der GPK betrafen Verkehr und Infrastruktur: Abgeschlossen wurde das Dossier zur Frage der Zustelltarife für abonnierte Zeitungen und Zeitschriften, über die sich die Post und mehrere Verlegerverbände streiten und für die das BAKOM eine Lösung finden sollte. Eine Begleitung durch die GPK benötigt hingegen weiterhin das nach wie vor nicht gelöste Problem der Doppelstockzüge der SBB von Bombardier sowie die Störungen im Swisscom-Netz. Nach wie vor auf dem Radar der GPK bleiben auch die «Postauto-Affäre» und das Aufsichtsverhältnis zwischen der AB-BA und der Bundesanwaltschaft.
Ein eigenes Berichtskapitel war der «Inspektion Covid-19-Pandemie» gewidmet. Die GPK hatten im Mai 2020 beschlossen, die Massnahmen des Bundesrats zur Bewältigung der Pandemie zu untersuchen. Im Fokus standen die Organisation des EDI und des BAG bei der Krisenbewältigung; konkret die Zusammenarbeit mit den Kantonen, die internationale Zusammenarbeit, die wissenschaftlichen Informationsgrundlagen des BAG, das Management des medizinischen Materials, die Angemessenheit des Epidemiengesetzes und die Massnahmen im Bereich der Sozialversicherungen. Aber auch die Covid-19-bedingten Massnahmen im öffentlichen Verkehr und den bundesnahen Unternehmen und deren Auswirkungen auf das Bundespersonal und auf den Grenzverkehr wurden genauer untersucht. Auch für die Organisation der Covid-19-Kredite und der Kurzarbeitsentschädigung, für die Zweckmässigkeit der wirtschaftlichen Landesversorgung oder für die Informationsbeschaffung durch das EDA-Aussennetz wurden Untersuchungen eingeleitet. Die Mobilmachung der Armee, die Rolle der Armeeapotheke, die Grenzschliessungen und die Rechtmässigkeit der Anwendung von Notrecht wurden von der GPK ebenso als untersuchungswürdig erachtet wie das Krisenmanagement des Bundesrats. Die Covid-Krise dürfte also durch die GPK in ziemlich umfassender Weise aufgearbeitet werden. Erste Berichte seien für 2021 zu erwarten.

Im Bericht wurden auch die Tätigkeiten der GPDel aufgeführt, welche die Oberaufsicht der Bundesaktivitäten im Bereich «Nachrichtendienst» inne hat. Im Fokus standen hier insbesondere die Crypto-AG, aber auch verschiedene Steuerungsinstrumente. Im Berichtsanhang wurden zudem die Aktivitäten der PVK, dem «Evaluationsdienst der Bundesversammlung» aufgeführt. 2020 wurden Evaluationen zum Expertenbeizug in der Bundesverwaltung (Kurzevaluation mit der Nachkontrolle einer 2007 veröffentlichten Evaluation) sowie zur Geschäftsverteilung bei den eidgenössischen Gerichten verfasst, die nun bei den GPK diskutiert werden. Noch laufend waren Evaluationen zum Controlling von Offset-Geschäften (Kompensationsgeschäfte bei Rüstungsgütern; z.B. beim Kauf neuer Kampfflugzeuge), zum Grundwasserschutz in der Schweiz und zur Mitwirkung des Parlaments im Bereich von Soft-Law.

Jahresbericht 2020 der GPK und der GPDel
Dossier: Jahresberichte der GPK und der GPDel

Das Bundesstrafgericht geriet Ende 2019 stark in den Fokus der Medien. Mit einem Gerichtsentscheid gegen Bundesanwalt Michael Lauber wurde eine eigentliche Lawine ausgelöst. Im Anschluss an den Entscheid des Gerichts mit Sitz in Bellinzona, Bundesanwalt Michael Lauber wegen Befangenheit vom «Fifa-Fall» auszuschliessen, vermuteten die Medien Klüngelei und erhoben teilweise schwere Vorwürfe, die im Verlauf des Jahres 2020 schliesslich auch die Politik zum Reagieren zwangen.

Hinter dem Entscheid gegen Lauber Mitte Juni 2019 vermutete die Weltwoche auch personelle Verstrickungen. «Dass sich Anwälte, Strafverfolger und Richter in der kleinen Schweiz kennen und sich ihre Wege immer wieder mal kreuzen, lässt sich nicht verhindern. Umso wichtiger ist es, jeglichen Anschein von Befangenheit zu vermeiden» – so die Weltwoche. Der Ausschluss von Lauber vom Fifa-Fall zog weitere Kreise als bekannt wurde, dass der für das Befangenheitsurteil verantwortliche Richter – Giorgio Bomio (sp) – vom Kollegium (also allen Richterinnen und Richtern am Bundesstrafgericht) nicht wie üblich für eine zusätzliche Amtsperiode zum Präsidenten der Beschwerdekammer gewählt worden war. Statt Bomio war Roy Garré (sp) zum Vorsitzenden bestimmt worden. Die NZZ vermutete, dass Meinungsverschiedenheiten wegen der Kritik an Lauber zur Nichtwahl von Bomio geführt hätten. Da sowohl Bomio wie auch Garré der SP angehörten, könnten parteipolitische Überlegungen ausgeschlossen werden, so die Neue Zürcher Zeitung. Die Sonntagszeitung und die Tribune de Genève doppelten nach und sprachen von einem «Putsch». Neben Bomio sei auch Claudia Solcà (cvp) nicht mehr als Präsidentin der Berufungskammer bestätigt worden – stattdessen hatte das Gremium Olivier Thormann (fdp) zum Präsidenten der Berufungskammer gewählt. Auch Solcà galt als Kritikerin Laubers, so soll sie als Vorsitzende der Berufungskammer im Fall der Beschwerde Laubers gegen seine Befangenheit das für den Fall zuständige Richtergremium «sehr eigenwillig» zusammengestellt haben. Ihr seien aber auch grobe Führungsmängel vorgeworfen worden, berichteten die Medien.

Aufgrund dieser Ereignisse begannen Mitarbeitende der CH-Media-Gruppe die Vorkommnisse am Bundesstrafgericht eingehender zu recherchieren. Ende 2019 sprach die Aargauer Zeitung von einer «Art Sittenzerfall in Bellinzona» und untermauerte diese Behauptung mit einer Reihe von Argumenten: Das Bundesstrafgericht werde von der SVP und von Deutschschweizern dominiert. In der Tat bestand das Präsidium aus zwei SVP-Richtern – Stephan Blättler und Sylvia Frei als Präsident und Vizepräsidentin. Zwar wählte die Vereinigte Bundesversammlung in der Wintersession 2019 dann als drittes Mitglied in die Gerichtsleitung nicht wie vom Bundesstrafgericht vorgeschlagen Andrea Blum, auch sie eine Richterin der SVP, sondern Olivier Thormann (fdp), auch er allerdings Deutschschweizer. Diese dreiköpfige Verwaltungskommission habe gewichtige Kompetenzen, die laut internen Quellen auch zu Privilegien- und Günstlingswirtschaft geführt hätten, so die AZ weiter. Von rückwirkender Erhöhung von Pensen, Spesenexzessen, aber auch von Mobbing und Sexismus würden anonyme interne Quellen gemäss der Zeitung berichten. Kritikerinnen und Kritiker dieses Systems würden abgestraft – die Nichtbestätigung von Bomio und Solcà müsse auch in diesem Licht betrachtet werden. Als wesentliches Problem des Gerichts machte die AZ gestützt auf Beobachterinnen und Beobachter die Dominanz der SVP aus: Der Verdacht bestehe, «dass politischer Einfluss genommen wird, dass die Gewaltenteilung nicht mehr eingehalten wird, dass Entscheide plötzlich nicht mehr mit der nötigen Unabhängigkeit getroffen werden».

Die medialen Vorwürfe warfen Wellen bis ins Bundeshaus und führten zu zahlreichen Reaktionen. Verschiedene Mitglieder der GK gaben sich verblüfft über die Zustände und forderten eine Aufklärung durch die GPK. Der Präsident der GPK, Erich von Siebenthal (svp, BE), versprach laut Aargauer Zeitung, dass er sich der Sache annehmen werde.

Aktiv wurde in der Folge dann das Bundesgericht, dem die administrative Oberaufsicht über das Bundesstrafgericht obliegt. Eine bundesgerichtliche Verwaltungskommission – bestehend aus Bundesgerichtspräsident Ulrich Meyer (sp), Vizepräsidentin Martha Niquille (cvp) sowie Yves Donzallaz (svp) – leitete Ende Januar ein aufsichtsrechtliches Verfahren ein, um die in der Presse geäusserten Vorwürfe zu untersuchen.
In den Medien stiess die Untersuchung auf Interesse: Das Bundesgericht müsse nun beweisen, dass es seine Aufsichtsaufgabe ernst nehme und «nicht nur einmal im Jahr zum Kaffeetrinken in trauter Runde nach Bellinzona» fahre, forderte die NZZ. In der Untersuchung am «Bundesstreitgericht» – so der Tages-Anzeiger – müssten die «persönlichen Animositäten, Intrigen und Machtkämpfe» beleuchtet werden. Das Waschen dieser dreckigen Wäsche führe zwar dazu, dass die Schweizer Justiz an Glaubwürdigkeit verliere, es zeige sich aber auch, «dass Richter nicht Säulenheilige von Recht und Moral sind, sondern oft allzu menschlich und machtsüchtig agieren», erinnerte die Weltwoche.

Mitte April 2020 legte die bundesgerichtliche Verwaltungskommission ihren Aufsichtsbericht vor, in dem die Vorwürfe allesamt entkräftet wurden. Es gebe insbesondere keine Hinweise auf Spesenmissbrauch, sexuelle Übergriffen oder Mobbing. In den Medien war man sich jedoch einig, dass der Bericht die Vorwürfe nicht gänzlich hätte widerlegen können. Der Bericht zeige vielmehr auf, wie schlecht die Führungsarbeit am Bundesstrafgericht funktioniere, weil «Streit und Selbstherrlichkeit» herrschten, wie der Tages-Anzeiger kommentierte. Die Weltwoche vermutete freilich, dass die Kommission wohl nicht neutral geurteilt habe, um die «leidige Sache einfach möglichst schnell vom Tisch [zu] haben».

Auch die GPK, welcher die parlamentarische Oberaufsicht über die Bundesgerichte obliegt, äusserte harsche Kritik am Aufsichtsbericht und liess kein gutes Haar daran. Die bundesgerichtliche Verwaltungskommission habe gravierende Fehler begangen und angeschuldigten Personen das rechtliche Gehör verweigert. Die GPK veröffentlichte gar eine nur sehr selten angewendete oberaufsichtliche Feststellung, in der sie Richtigstellungen am Bericht anbrachte. Erschwerend kam hinzu, dass ein vertraulicher Vorentwurf ihrer Feststellung an die Öffentlichkeit gelangt war und die Untersuchung selber dadurch in den Medien viel Aufmerksamkeit erhalten hatte. Die GPK reichte deswegen Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Verletzung des Amts- und Kommissionsgeheimnisses ein. In ihrer Feststellung äusserte die GPK «einen gewissen Handlungsbedarf», die Rechtsgrundlagen der bundesgerichtlichen Aufsicht zu prüfen, da diese nur «rudimentär geregelt» sei.

Im Juli 2020 gelangten dann einige Mitglieder des Bundesstrafgerichts mit einem an die Aufsichtskommission des Bundesgerichts gerichteten Brief an die Öffentlichkeit. Sie wollten sich gegen den Reputationsschaden durch die wiederholt negativen Schlagzeilen in den Medien wehren, die «weitgehend unbegründet und gegenstandslos» seien. Allerdings zeigte der Brief auch auf, dass in Bellinzona nach wie vor nicht Eitel Freude herrschte: Die Verfasserinnen und Verfasser des Briefs kritisierten die «Unterstellungen einiger weniger Personen», die diese extern gegenüber Medien und Parlamentsmitgliedern bewirtschaften würden. Damit wollten diese «wenigen Mitarbeitenden [...] dem Bundesstrafgericht, der Direktion und der grossen Mehrheit der Mitarbeitenden bewusst [...] schaden». Vorrangiges Interesse des gesamten Bundesstrafgerichts sei es nun, die gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen und das Arbeitsklima wieder auf ein solides Fundament zu stellen. Dafür seien einige Prozesse eingeleitet worden, schloss der Brief. Zwar wurden im Brief keine Namen genannt, lediglich 15 der 20 Bundesstrafrichterinnen und -richter hatten den Brief aber unterzeichnet.
In den Medien löste das Schreiben Kopfschütteln aus. Es sei beschämend, dass «medienwirksam und anonym» Kolleginnen und Kollegen gegeisselt würden. Damit werde sich die Situation in Bellinzona kaum verbessern, kommentierte etwa die NZZ. Die Ereignisse rund um das Bundesstrafgericht würden zudem wohl auch die Diskussionen um die Justiz-Initiative anheizen, war man sich in den medialen Kommentarspalten einig.

Bundesstrafgericht - Kritik und deren Aufarbeitung
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative

Jahresrückblick 2020: Rechtsordnung

Die innere und äussere Sicherheit der Schweiz waren im Kapitel Rechtsordnung aufgrund der fortwährenden internationalen Terrorismusgefahr auch 2020 dominante Themen. So verabschiedeten die eidgenössischen Räte gleich drei Gesetzesvorlagen zur Umsetzung der Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung. Erstens wurden mit der Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung des Terrorismus und das dazugehörige Zusatzprotokoll umgesetzt. Damit sind neu bereits bestimmte Handlungen im Vorfeld eines geplanten terroristischen Aktes strafbar, insbesondere das Anwerben und Ausbilden von Terroristinnen und Terroristen, das Reisen für terroristische Zwecke (sog. Dschihadreisen) und die entsprechende Finanzierung. Das Vorläuferstoffgesetz reguliert zweitens den Zugang von Privatpersonen zu bestimmten Chemikalien, die zur Herstellung von Sprengstoff missbraucht werden können. Das dritte und umstrittenste der drei neuen Antiterrorgesetze war das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT), auf dessen Grundlage die Polizei präventiv gegen terroristische Gefährderinnen und Gefährder vorgehen kann. Die PMT umfassen unterschiedlich starke Freiheitseinschränkungen von einer Meldepflicht bis zum Hausarrest und können gegen potenziell gefährliche Personen verhängt werden. Die Gegnerschaft sah damit den Rechtsstaat in Gefahr, weil die betroffenen Personen keine Straftat begangen hätten und die Massnahmen aufgrund blosser Indizien angeordnet würden. Die Jungen Grünen, die Juso und die Junge GLP ergriffen zusammen mit der Piratenpartei und dem Chaos Computer Club das Referendum gegen das Gesetz und begannen im Oktober mit der Unterschriftensammlung. Neben dem Parlament beschäftigte sich auch das Bundesstrafgericht mit der terroristischen Bedrohung, indem es mehrere Prozesse wegen der Unterstützung terroristischer Aktivitäten führte.

Unabhängig von der spezifisch terroristischen Bedrohung trieb das Parlament die Informationssicherheit des Bundes weiter voran, indem es die bereits 2017 begonnenen Beratungen zum Informationssicherheitsgesetz fortführte und in der Wintersession 2020 zum Abschluss brachte. Im Februar erschütterte überdies die sogenannte Crypto-Affäre die Schweizer Politlandschaft, als bekannt wurde, dass die Zuger Firma Crypto AG über Jahrzehnte von der CIA und dem BND manipulierte Chiffriergeräte in alle Welt verkauft hatte. Über Wochen wurde in den Medien gemutmasst, wer wie viel darüber wusste, welche Rolle der NDB, die Armee, die Bundesanwaltschaft, das Fedpol und der Bundesrat gespielt hatten und inwiefern sich die Schweizer Behörden und einzelne Führungsfiguren damit zu Komplizen ausländischer Nachrichtendienste gemacht hatten. Die ausgiebige Berichterstattung liess die Anzahl Zeitungsartikel im Themenbereich innere und äussere Sicherheit im Februar denn auch markant nach oben schnellen, während er über das ganze Jahr 2020 im Vergleich mit den Vorjahren medial eher schwach abgedeckt war (vgl. Abb. 1: Anteil Zeitungsberichte pro Monat und Abb. 2: Anteil Zeitungsberichte pro Jahr). Das Ansinnen der Grünen und der sozialdemokratischen Fraktion, zur Aufarbeitung der Ereignisse rund um die Crypto AG eine PUK einzusetzen, scheiterte vorerst am Widerstand des Büros-NR, das den beiden entsprechenden parlamentarischen Initiativen im November keine Folge gab. Es erachtete die Untersuchung der GPDel, die kurz zuvor ihren Bericht veröffentlicht hatte, als ausreichend.

Im Bereich Strafrecht schlossen die eidgenössischen Räte den ersten Teil der Revision der Strafprozessordnung ab. Die Bestimmungen zur Sicherheitshaft wurden infolge einer Verurteilung der Schweiz durch den EGMR als dringend revidierungsbedürftig eingestuft und der Revision der gesamten Strafprozessordnung deshalb zeitlich vorgezogen. Auch zum zweiten laufenden, umfassenden Revisionsprojekt im Strafrecht, der Revision des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs (BT), nahm das Parlament die Beratungen in Angriff. Hauptbestandteil der BT-Revision bildet die Harmonisierung der Strafrahmen, mit der die im Strafgesetzbuch aus den 1940er-Jahren angedrohten Strafen mit den heutigen Werthaltungen in Einklang gebracht und deren Verhältnis zueinander neu ausgelotet werden sollen. Die von der Öffentlichkeit mit Spannung erwartete Anpassung der sexualstrafrechtlichen Normen wurde vorerst jedoch weiter aufgeschoben, da der Ständerat diese Bestimmungen im Einvernehmen mit dem Bundesrat in einen separaten Entwurf auslagerte, der zuerst noch in die Vernehmlassung gegeben werden soll.

Im Bereich Zivilrecht verabschiedete das Parlament sowohl die erste Etappe der Erbrechts-Revision, mit der durch die Verkleinerung der Pflichtteile die Verfügungsfreiheit von Erblasserinnen und Erblassern erhöht wird, als auch die Änderung des Zivilgesetzbuches zur einfacheren Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister für Menschen mit Transidentität oder einer Variante der Geschlechtsentwicklung. Betreffend das internationale Privatrecht wurden die Normen über die internationale Schiedsgerichtsbarkeit modernisiert, um die Schweiz als internationalen Schiedsplatz attraktiv zu halten.

Mit dem Datenschutzgesetz fand ein weiteres, grosses Gesetzgebungsprojekt 2020 seinen Abschluss. Knapp vier Jahre nach dem Beginn der Vernehmlassung und drei Jahre nach Beginn der parlamentarischen Beratung stimmten die eidgenössischen Räte dem Antrag der Einigungskonferenz zu und brachten damit das hart umkämpfte Geschäft in trockene Tücher. Umstritten waren vor allem die Voraussetzungen, unter denen das sogenannte Profiling, d.h. die Verknüpfung von Daten zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen, zulässig ist. Im Sinne eines Kompromisses setzte sich ein risikobasierter Ansatz durch, der strengere Voraussetzungen, wie beispielsweise die ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Person, stellt, wenn die Datenverknüpfung die Beurteilung wesentlicher Aspekte der Persönlichkeit der betroffenen Person ermöglicht. Damit hat die Schweiz nun ein modernes Datenschutzrecht, das nach Einschätzung des Bundesrates und des Parlaments dem Datenschutzniveau der EU gleichwertig sein sollte. Der diesbezügliche Äquivalenzbeschluss, der wie ein Damoklesschwert über den Verhandlungen hing und der eigentlich für 2020 angekündigt war, ist indes noch ausstehend.

Die Corona-Krise wurde im Kapitel Rechtsordnung vor allem in zwei Dimensionen sichtbar. Einerseits wurde die Einführung der Corona-Warn-App «SwissCovid» von einer ausführlichen Datenschutz-Diskussion begleitet. Andererseits gab es im ganzen Land zahlreiche Demonstrationen gegen die und trotz der Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Gegen die Corona-Massnahmen wurde ab Anfang Mai demonstriert, weil sich die Bürgerinnen und Bürger in ihren Grundrechten eingeschränkt sahen, nicht zuletzt gerade durch das Versammlungsverbot. Menschen, die nicht an die Gefährlichkeit des Virus glaubten, wehrten sich so gegen die aus ihrer Sicht ungerechtfertigten Freiheitsbeschränkungen. Der Pandemie zum Trotz demonstrierten im Juni – in Folge der antirassistischen Proteste in den USA als Reaktion auf den durch Polizeigewalt verursachten Tod des Afroamerikaners George Floyd – auch in den Schweizer Städten Tausende unter dem Motto «Black Lives Matter». Die Ereignisse lösten eine grosse gesellschaftliche Debatte über strukturellen Rassismus in der Schweizer Gesellschaft aus, die sich um systematische Benachteiligung nichtweisser Menschen, Polizeigewalt und Racial Profiling, und nicht zuletzt auch um die umstrittene Bezeichnung einer Süssigkeit drehte. Diese Debatte machte zusammen mit der Grundrechtsdiskussion um die Corona-Massnahmen die Bürgerrechte über den Sommer zum in der Presse meistdiskutierten Themenfeld des Kapitels Rechtsordnung (vgl. Abb. 1: Anteil Zeitungsberichte pro Monat). Über das ganze Jahr zeichnete zudem der Themenbereich innere Konflikte und Krisen für einen deutlich höheren Anteil an der Zeitungsberichterstattung verantwortlich als in den Vorjahren (vgl. Abb. 2: Anteil Zeitungsberichte pro Jahr).

Jahresrückblick 2020: Rechtsordnung
Dossier: Jahresrückblick 2020

Anfang November 2020 reichte die RK-NR eine parlamentarische Initiative ein, mit der eine Grundlage für einen indirekten Gegenvorschlag zur Justizinitiative geschaffen werden soll. Der Vorschlag sah vor, dass die Richterinnen und Richter für alle Gerichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Bundesgericht, Bundesstrafgericht, Bundesverwaltungsgericht, Bundespatentgericht) nach wie vor von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt werden sollen. Allerdings soll die Wahl nicht mehr nur auf einem Antrag der Gerichtskommission (GK) beruhen, sondern zusätzlich auf einer Vorselektion, die durch eine zu bestimmende Fachkommission getroffen wird, welche die fachliche und persönliche Eignung der Kandidierenden evaluiert. Die Amtsdauer aller nationalen Richterinnen und -richter soll auf sechs Jahre festgelegt werden, wobei die Wiederwahl automatisch geschehen soll – allenfalls durch die GK auf Empfehlung der genannten Fachkommission. Dies stellte eine Konzession an die Initianten dar, da im aktuellen Verfahren das Parlament die Wiederwahl vornimmt. Auch zukünftig soll Abberufung jedoch bei schwerer Pflichtverletzung möglich sein, wobei die Fachkommission den Sachverhalt zu klären hätte. Die Parteien selber müssten gemäss Vorschlag der RK-NR die Unabhängigkeit ihrer Richterinnen und Richter gewährleisten, wobei explizit Alternativen zu Mandatsabgaben gefordert werden. Letzteres wurde auch von einer noch nicht behandelten parlamentarischen Initiative Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468) vorgeschlagen.
Anfang Dezember stimmte die RK-SR dem Begehren ihrer Schwesterkommission knapp mit 6 zu 6 Stimmen bei einer Enthaltung und Stichentscheid des Präsidenten Beat Rieder zu. Die Kommission sei der Ansicht, dass sich das aktuelle Wahlsystem für Bundesrichterinnen und -richter bewährt habe, dass es aber prüfenswerte Fragen gebe. Die RK-NR solle aber nur «die für absolut notwendig erachteten Verbesserungen» ausarbeiten.

Unabhängige und kompetente Richterinnen und Richter des Bundes. Indirekter Gegenvorschlag zur Justizinitiative (Pa.Iv. 20.480)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Rund 70 Terrorismusstrafverfahren waren Medienberichten zufolge Anfang 2020 am Bundesstrafgericht hängig. Eine Handvoll weitere kamen im Verlauf des Jahres hinzu. Im Dunstkreis der Genfer IS-Zelle um die Moschee Petit-Saconnex, die unter anderem den enthüllten Terroranschlag auf das Treibstofflager in Vernier geplant hatte, kam es etwa zu neuen Anklagen gegen zwei Männer, die 2015 versucht hatten, nach Syrien zu reisen und sich dem IS anzuschliessen. Obwohl sie von den türkischen Behörden an der Weiterreise nach Syrien gehindert worden seien, hätten sie bereits in der Türkei logistische Unterstützung des IS in Anspruch genommen und diesen finanziell unterstützt, lauteten die Vorwürfe. Grosse Medienaufmerksamkeit generierte auch die Messerattacke von Morges (VD) im September, als ein nachrichtendienstlich bekannter Islamist einen Kunden eines Kebaplokals mit einem Messer angriff und tödlich verletzte. Die Bundesanwaltschaft ermittelte zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr wegen versuchter Brandstiftung an einer Tankstelle gegen den Mann, weil die Polizei bereits damals Hinweise auf einen dschihadistischen Hintergrund festgestellt hatte. Ob die Tat von Morges als erster islamistischer Terroranschlag in der Schweiz gelten kann, wird gemäss Einschätzung der NZZ allerdings nur schwer zu klären sein. Die Grenze zwischen religiösem Fanatismus und psychischer Erkrankung könne nicht klar gezogen werden und es stehe die Frage im Raum, inwiefern radikal-islamistische Kreise die angebliche psychische Erkrankung des Mannes für ihre Zwecke missbraucht hätten, so die Zeitung.
Ebenfalls 2020 brachte das Bundesstrafgericht zwei Verfahren gegen Islamisten aus dem Netzwerk um die An'Nur-Moschee in Winterthur zum Abschluss, die auf reges mediales Interesse stiessen. Im August standen Sandro V. – die mutmassliche Schlüsselfigur im Winterthurer Islamistennetzwerk – sowie ein weiterer Mann aus diesem Umfeld vor den Richtern in Bellinzona. Als Syrien-Rückkehrer – bereits 2013 und damals noch unbehelligt verbrachte Sandro V. drei Wochen im Kriegsgebiet, nach eigenen Aussagen lediglich auf einer humanitären Hilfsmission – wurde der Hauptangeklagte in der Szene als «Emir» verehrt, genoss hohes Ansehen und grossen Einfluss. Laut Anklageschrift hatte er eine «Intermediärstellung» zu radikalen Geistlichen im Ausland inne. Als Verantwortlicher der Koranverteilungsaktion «Lies!» in der Schweiz und der Kampfsportschule «MMA Sunna» schuf er ein «Auffangbecken für die Jugendlichen, die sich vom radikalen Islamismus angezogen fühlten» und wurde zum «Dschihad-Reiseleiter», wie die NZZ ausführte. Schlagzeilen machten während des Prozesses nicht zuletzt die Zeugen, die ihre wichtigsten belastenden Aussagen aus den Ermittlungen nun nicht mehr bestätigten und so die Beweisführung der Bundesanwaltschaft erheblich erschwerten. Nichtsdestotrotz sah das Gericht die Vorwürfe gegen Sandro V. als erwiesen an und verurteilte ihn wegen Beteiligung und Unterstützung einer kriminellen Organisation sowie wegen Besitzes von Gewaltdarstellungen zu 50 Monaten Freiheitsstrafe – mehr als die Anklage gefordert hatte. Die Presse zitierte aus dem Urteil, der Mann habe als «fanatischer Anhänger des IS» und als «ideologische[r] Überzeugungstäter» mit «grosse[r] kriminelle[r] Energie» «kaltblütig und menschenverachtend» Dschihad-Reisende, darunter auch Minderjährige, rekrutiert. Seinem Mitangeklagten wurde eine bedingte Geldstrafe wegen der Verbreitung von IS-Propagandabildern auferlegt. Der Vorwurf, er habe eine Beziehung zu einem 15-jährigen Mädchen geführt und sie zur Reise ins Kriegsgebiet verführt – sie war der weibliche Teil des medial bekannten minderjährigen Geschwisterpaars aus Winterthur, das in den Dschihad gezogen war –, konnte mangels Beweisen nicht bestätigt werden. Die NZZ beklagte anschliessend, dass der Prozess der «ratlosen Öffentlichkeit» keine Antworten geliefert habe; es gebe immer noch keine einleuchtende Erklärung für die «merkwürdig[e] Häufung von Jihad-Reisen aus dem Raum Winterthur» und es bleibe offen, wie gefährlich diese radikalen Kreise für die Sicherheit der Schweiz seien.
Einen Monat später musste sich auch Azad M., der in der Winterthurer An'Nur-Moschee als Hilfs-Imam amtete, vor dem Bundesstrafgericht verantworten. Laut Anklage soll er die Schweiz als sicheren Hafen benutzt haben, um von hier aus unbemerkt dem IS zu dienen. Das Gericht kam zum Schluss, er habe sich «in multifunktionaler Rolle und mit grossem Zeitaufwand» für den IS eingesetzt. So habe er in Kontakt mit der Führungsriege des IS und selbst in «mittlerer Kaderrolle» gestanden, Geld an den IS überwiesen und zusammen mit seiner Frau ein Selbstmordattentat im Libanon geplant. Dass er auch Terroranschläge in der Schweiz vorbereitet haben soll, wie die Bundesanwaltschaft vermutet hatte, sei indes «reine Spekulation». Der Iraker wurde zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten, wovon er gut die Hälfte bereits in Untersuchungshaft verbüsst hatte, und 15 Jahren Landesverweis verurteilt. Gemäss NZZ sei dies die höchste Strafe, die bisher gegen einen IS-Anhänger in der Schweiz ausgesprochen worden sei.
Bereits zum zweiten Mal verhandelte das Bundesstrafgericht im Herbst 2020 den Fall der Terrorpropaganda durch den IZRS. Dessen Präsident Nicolas Blancho und der Medienverantwortliche Qaasim Illi waren 2018 wegen Formfehlern seitens der Bundesanwaltschaft noch freigesprochen worden; nur der dritte im Bunde, Naim Cherni, der den strittigen Film über den islamistischen Geistlichen Abdallah al-Muhaysini in Syrien realisiert hatte, war verurteilt worden. Das Bundesgericht hatte im März 2020 dann die Verurteilung Chernis bestätigt und die Entscheide Blancho und Illi ans Bundesstrafgericht zurückgewiesen. Dieses annullierte die Freisprüche im Herbst, sprach die beiden IZRS-Exponenten der Terrorismusunterstützung schuldig und verhängte bedingte Freiheitsstrafen von 18 Monaten für Illi und 15 Monaten für Blancho. Der Film sei Propaganda, weil die dschihadverherrlichenden und antisemitischen Aussagen des Interviewten nicht kritisch dargestellt und in keinerlei Kontext gesetzt würden. Somit hätten sich Illi mit der Veröffentlichung und Blancho mit der Bewerbung des Videos strafbar gemacht.

Terrorismusprozesse am Bundesstrafgericht 2020

In der Herbstsession wurde der Geschäftsbericht des Bundesgerichts 2019 von den Räten zur Kenntnis genommen und gutgeheissen. Die Sprecherin und der Sprecher der GPK und der Subkommissionen Gerichte – Manuela Weichelt-Picard (al, ZG) und Philippe Nantermod (fdp, VS) – empfahlen dem Nationalrat, den Bericht zu genehmigen, und fassten die wichtigsten Elemente zusammen.
Die Geschäftslast sei – vor allem in der strafrechtlichen, der zweiten zivilrechtlichen und den beiden öffentlich-rechtlichen Abteilungen – nach wie vor sehr hoch, habe aber trotz Pensionierung und Ersatz von 6 von 38 ordentlichen Bundesrichterinnen und Bundesrichtern im Verlauf des Berichtjahres bewältigt werden können. Insgesamt seien 7'937 Fälle behandelt worden (2018: 8'041). Die Personalstrategie sei angepasst worden und man habe noch vor Corona Home-Office für die Gerichtsschreibenden eingeführt sowie mit der Beteiligung an einer Institution mit Krippenplätzen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesorgt.
Die Digitalisierung schreite auch im Rahmen des Projekts «Justitia 4.0» voran, wenn auch nicht so rasch wie gewünscht. 2019 sei die Revision des Bundesgerichtsgesetzes zwar gescheitert, Bundesgerichtspräsident Ulrich Meyer (sp) ersuche die Räte aber, die nicht strittigen Punkte aus der Revision möglichst rasch wieder aufzunehmen. Weichelt-Picard berichtete auch über die Aufsichtsaufgaben, welche das Bundesgericht gegenüber den anderen eidgenössischen Gerichten hat. Das Bundesgericht sei 2019 gebeten worden, die Probleme beim Bundesstrafgericht zu untersuchen. In den Medien waren Führungsschwäche und Mobbing vermutet worden. Der Bundesgerichtspräsident habe sich zuerst zwar noch verhalten optimistisch zur Lage am Bundesstrafgericht geäussert, allerdings seien Ende 2019 neue Vorwürfe aufgetaucht, denen das Bundesgericht nun zusätzlich nachgehen müsse. Der Nationalrat nahm den Bundesbeschluss über den Geschäftsbericht in der Folge diskussionslos an.

Der Ständerat verspürte grössere Lust zur Diskussion über den Bericht. Carlo Sommaruga (sp, GE) erinnerte daran, dass der Jahresbericht des Bundesgerichts in der Regel im ersten Semester und nicht erst drei Monate vor Ende des Jahres debattiert werde. Covid-19 habe aber nun zu dieser Verschiebung geführt und er behalte sich deshalb vor, neben seinem Bericht für die Kommission auch ein paar Bemerkungen zu aktuellen Ereignissen einfliessen zu lassen. Auch er ging auf die Fallzahlen ein: 2019 seien 7'884 neue Fälle ans Bundesgericht gelangt, 86 mehr als im Vorjahr. Die Zahl pendenter Fälle habe im Vergleich zum Vorjahr hingegen marginal abgenommen. Im Schnitt habe die Zeit für die Erledigung eines Falls 140 Tage betragen.
Sommaruga hob aus dem Bericht weiter hervor, dass die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts noch immer nicht in einem anderen Gebäude untergebracht sei, wie dies eigentlich geplant gewesen war.
Das Bundesverwaltungsgericht habe 2019 mit 6'965 neuen Fällen ebenfalls eine hohe Geschäftslast gehabt, führte Sommaruga weiter aus; mit 7'157 erledigten Prozessen und einer Verringerung der Dauer eines Falls (von 2018 durchschnittlich 284 auf 264 Tage) hätten die Pendenzen aber abgebaut werden können.
Auch im Ständerat war die Untersuchung der Vorkommnisse beim Bundesstrafgericht Thema. Leider – so Sommaruga – sei der Untersuchungsbericht gleichzeitig bei der GPK und bei der Presse gelandet, was viel Ärger ausgelöst habe. Die Geschichte sei aber noch nicht zu Ende.
In der Folge nahm Bundesgerichtspräsident Ulrich Meyer als Gast der kleinen Kammer Stellung zu diesem «Fall Bellinzona». Man habe bereits im Januar 2020 mit der Untersuchung begonnen und dann den Abschlussbericht im April 2020 gleichzeitig im Internet aufgeschaltet und der GPK abgegeben. Dies entspreche der eigenen Praxis und sei mit der Subkommission Gerichte abgesprochen gewesen. Nach acht Jahren Tätigkeit in der Aufsichtsbehörde des Bundesgerichts wolle er die Empfehlung abgeben, dass die GPK und die Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten und nicht Gegensätze suchen sollten. Ziel müsse es sein, sicherzustellen, dass die Gerichte ordnungsgemäss funktionierten. Dass dies der Fall sei, könne er garantieren. Carlo Sommaruga insistierte in der Folge, dass die Veröffentlichung des Berichts im Internet mit Namensnennung nicht abgesprochen gewesen sei.
Ebenfalls bezugnehmend auf ein aktuelles Ereignis stellte in der Folge Beat Rieder (cvp, VS) «unverblümt eine direkte Frage an den Herrn Bundesgerichtspräsidenten», nämlich wie er zu Gesuchen auf Verschiebung der Bundesrichterwahlen stehe. In der Tat standen am folgenden Tag die Gesamterneuerungswahlen des Bundesgerichtes an, bei denen aufgrund der Forderung der SVP, einen Bundesrichter nicht zu bestätigen, ein Verschiebungsgesuch der SP diskutiert werden sollte. Meyer argumentierte, dass er sich als Bundesrichter nicht in parlamentarische Geschäfte einmischen wolle. Dies sei gelebte Gewaltenteilung. Seine persönliche Meinung, nachdem er zwölfmal gewählt und wiedergewählt worden sei, sei aber, dass man mit einer Verschiebung keine Probleme lösen würde.
Auch der Ständerat nahm den Bundesbeschluss schliesslich ohne Diskussion an.

Geschäftsbericht 2019 des Bundesgerichts
Dossier: Geschäftsberichte des Bundesgerichts

Weil der Ständerat Mitte Juni 2020 die gleichlautende Motion 19.4391 seiner eigenen RK-SR annahm, galt auch die Motion der RK-NR für die Änderung der Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht als angenommen. Der Bundesrat wird entsprechend eine Gesetzesrevision vorlegen müssen, mit der geregelt wird, dass für nebenamtliche Richterinnen und Richter lediglich für das Bundesstrafgericht ein Verbot berufsmässiger Vertretung Dritter besteht.

Änderung der Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht (Mo. 19.4377)

Die beiden Rechtskommissionen (RK-NR und RK-SR) hatten im November 2019 je eine gleichlautende Kommissionsmotion eingereicht, mit der die Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht neu geregelt werden sollen. Der Nationalrat hatte die Motion seiner Kommission (Mo. 19.4377) bereits in der Wintersession 2019 angenommen, der Ständerat folgte mit der Annahme der Motion der RK-SR im Juni 2020. Kommissionssprecher Beat Rieder (cvp, VS) führte aus, dass die Bestimmungen gelockert werden sollen, um die Suche nach geeigneten nebenamtlichen Richterinnen und Richtern am Bundesstrafgericht zu erleichtern. Für dieses Amt, das ein Arbeitspensum von 10 bis 20 Prozent umfasse, würden sich kaum Kandidierende melden, da die bisherigen Unvereinbarkeitsregelungen das Verbot einer berufsmässigen Vertretung Dritter vor sämtlichen Gerichten vorsehen und somit für viele potentielle Amtsträgerinnen und Amtsträger zu starke berufliche Einschränkungen bedeuteten. Die ursprüngliche Idee war, dass alle Mitglieder des Bundesstrafgerichts vollständig von forensischer Anwaltstätigkeit ausgeschlossen werden, um Risiken von Interessenkonflikten von Beginn weg zu vermeiden. Neu soll ein solches Verbot für nebenamtliche Strafrichterinnen und Strafrichter nur noch vor Bundesgericht gelten. Justizministerin Karin Keller-Sutter warnte zwar, dass es mit der Umsetzung der Motion allenfalls zu Zweifelsfällen bezüglich Ausstandspflicht kommen könne. Da die Änderung aber nur für nebenamtliche Mitglieder des Bundesstrafgerichts gelte, empfehle der Bundesrat die Annahme der Motion trotzdem. Dieser Empfehlung folgte der Ständerat stillschweigend und hiess damit gleichzeitig auch die Kommissionsmotion des Nationalrats gut.

Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht (Mo. 19.4391)

Lediglich 158 gültige Stimmen erhielt Alberto Fabbri (cvp) bei seiner Wahl zum ordentlichen Richter am Bundesstrafgericht. Damit übersprang er zwar das absolute Mehr (85) bei weitem, die 43 leeren und die 3 ungültigen Stimmen sowie die 11 Stimmen, die auf Diverse entfielen, sind aber für Wahlen ans Bundesstrafgericht eher eine Seltenheit. Üblicherweise erhalten Kandidierende für Ämter am Gericht in Bellinzona im Schnitt der letzten rund 20 Jahre jeweils mehr als 200 gültige Stimmen.
Fabbri, Staatsanwalt von Basel-Stadt und Mitglied der CVP, war jedoch ins Fadenkreuz der SVP geraten, weil er 2007 «aktenkundig Teil einer Verschwörung gegen den damaligen Justizminister Christoph Blocher» gewesen sei, wie die Volkspartei mit Verweis auf die «Roschacher-Affäre» bekannt gab. Fabbri habe damals mitgeholfen, die sich später als haltlos erweisenden Vorwürfe gegen den ehemaligen SVP-Bundesrat zu verbreiten, wonach dieser ein Komplott zur Absetzung von Bundesanwalt Roschacher geschmiedet habe. Er sei nicht nur deshalb für die SVP nicht wählbar, führte SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (svp, ZG) vor dem Wahlakt in der Vereinigten Bundesversammlung aus, sondern auch aufgrund zahlreicher anderer Verfehlungen, «handwerklicher Fehler» und «charakterlicher Mängel», die Aeschi in der Folge aufführte. Andrea Gmür-Schönenberger (cvp, LU), die als Sprecherin für die CVP auf Aeschi folgte, bezeichnet die Vorwürfe als haltlos. Die Mitte-Fraktion habe sämtliche Anschuldigungen überprüft und Alberto Fabbri habe sich «nie, nicht ein einziges Mal, irgendetwas zuschulden kommen lassen». Besonders stossend empfand die CVP-Ständerätin die Anschuldigungen, zumal die GK den Kandidaten bereits geprüft und als Nachfolger für den zurücktretenden Emmanuel Hochstrasser (svp) für den Rest der Amtsperiode 2016-2021 empfohlen habe, was von sämtlichen Fraktionen – inklusive der SVP-Fraktion – bestätigt worden sei. Erst nach Ablauf der Fristen sei seitens der SVP Kritik lauf geworden, betonte Gmür-Schönenberger.

Bundesstrafgericht. Wahl eines ordentlichen Richters

Weil es seit dem Rücktritt von Rosa Maria Cappa keine italienischsprachige nebenamtliche Gerichtsperson an der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts mehr gab – Cappa musste aufgrund der im Parlament in der Zwischenzeit diskutierten Unvereinbarkeitsregelung betreffend die berufsmässige Vertretung von Dritten an Gerichten ihr Amt niederlegen –, hatte die GK seit Herbst 2019 versucht, mittels zweier Ausschreibungen Kandidierende für das Amt zu finden. Eingegangen waren vier Bewerbungen, darunter jene von Maria-Antonella Bino (fdp) und Katharina Giovannone-Hofmann (gp), die beide von der GK als «unbescholtene Person» zur Wahl empfohlen wurden. Beide gehörten zudem Parteien an, die am BStGer untervertreten sind. Die Vereinigte Bundesversammlung wählte die zwei neuen nebenamtlichen Richterinnen am Bundesstrafgericht in der Sommersession 2020 mit 210 (Bino) bzw. 202 Stimmen (Giovannone-Hofmann). Eingelegt worden waren total 217 Wahlzettel.

Zwei neue nebenamtliche Richterinnen am Bundesstrafgericht

La population suisse a accepté le 9 février 2020 de pénaliser les propos homophobes à 61.3 pourcent des voix. Avec une participation de 41.69 pourcent, le référendum contre l'initiative parlementaire Reynard n'a pas passé la rampe. L'initiative du socialiste valaisan bénéficiait d'un large soutien. A l'exception de l'UDC, tous les partis représentés sous la coupole et leur section jeunes se sont prononcés pour, ainsi que le jeune parti évangélique et le parti pirate. Dans la société civile, outre les associations LGBTQIA+, des organisations féministes et de défense des droits humains ont soutenu la campagne, de même que l'USS et pro familia. Du côté des Eglises, la fédération suisse des communautés israélites et les Eglises évangéliques réformées ont offert un soutien remarqué. Les affiches du comité «pour une protection contre les discriminations» mettaient en scène, sur fond rose pâle, deux cœurs entrelacés à l'abri d'un parapluie. Ces affiches, portant le slogan «non à la haine» pouvaient être aperçues dans de nombreux magasins, bars et restaurants les semaines précédant la votation.
Le résultat de la votation n'a pas créé la surprise, l'analyse SRG Trend estimait en décembre 2019 à 69 pourcent les votant-e-s en faveur de l'objet, une erreur de 8 points de pourcentage par rapport au résultat effectif. Seuls les cantons d'Uri, Appenzell Rhodes Intérieures et Schwyz se sont opposés à la loi contre les discriminations.
L'analyse VOTO révèle que les participant-e-s au sondage ont voté en faveur de l'objet principalement pour lutter contre les discriminations et protéger les personnes LGBTQIA+. L'argument brandis par les adversaires de l'initiative, à savoir que l'élargissement de la norme antiraciste représentait une limitation de la liberté d'expression n'a convaincu que 10% des enquêté-e-s. Il s'agissait plutôt pour les adversaires de ne pas ajouter d'interdictions à une loi en vigueur selon elles et eux déjà suffisante.

Votation du 9 février 2020
Participation: 41.69%
Oui: 1'414'160 (63.1%) / Cantons: 20 1/2
Non: 827'235 (36.9%) / Cantons: 2 1/2

Consignes de vote:
- Oui: Les Verts, PS, PLR, PDC, Vert'libéraux, Union des villes suisses, Union syndicale suisse (USS), Eglise évangélique-réformée (EERS), Fédération suisse des communautés israélites (FSCI)
- Non: UDC. UDF, Association des propriétaires fonciers (HEV), Réseau évangélique suisse
- Liberté de vote: PEV

Pénaliser les propos homophobes (Iv.pa. 13.407)

Im Spätherbst 2019 reichten die RK-NR (Mo. 19.4377) bzw. die RK-SR (Mo. 19.4391) zwei gleichlautende Motionen ein, mit denen eine Änderung der Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht gefordert wurde. Die bisherige Unvereinbarkeitsregelung sieht vor, dass nebenamtliche Richterinnen und Richter am BStGer Dritte an keinem anderen Gericht vertreten dürfen. Die beiden RK sahen diese Regelung als zu streng an und wollten diese Regel nur noch für das Strafgericht selber anwenden. Damit erhofften sich die beiden Kommissionen auch, dass mehr Bewerbungen von Kandidierenden für nebenamtliche Gerichtsposten eingehen, die mit einer Einschränkung der bestehenden Regeln weiterhin als Anwältinnen oder Anwälte tätig sein könnten.
Der Bundesrat beantragte ohne inhaltliche Stellungnahme die Annahme der Motion und im Nationalrat wurde der Vorstoss denn auch stillschweigend angenommen.

Änderung der Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht (Mo. 19.4377)

Das Differenzbereinigungsverfahren zum Voranschlag 2020 dauerte deutlich kürzer als in den Vorjahren: In nur zwei Sitzungen bereinigte das Parlament das Budget für das Jahr 2020. Dies war gemäss Hannes Germann (svp, SH) auch die Absicht der FK-SR, die möglichst viele Differenzen bereinigt habe, um «mit dem neu zusammengesetzten Rat [...] nicht, wie sonst üblich, bis in die Einigungskonferenz gehen [zu] müssen». Am 10. Dezember 2019 beriet der Ständerat die vom Nationalrat geschaffenen 24 Differenzen und folgte dabei stillschweigend den Anträgen seiner Kommission. Er stimmte der Erhöhung des Globalbudgets der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts im Voranschlagsjahr und den Finanzplanjahren, des Fedpol und des BWL sowie der Reduktion der Betriebsausgaben der Bundesasylzentren und der Sozialhilfe für Asylbewerbende und Flüchtlinge diskussionslos zu. Die Erhöhung des Budgets des Fedpol knüpfte er an eine Verstärkung der Bekämpfung der Pädokriminalität, die zwei zusätzlichen Kredite für das Bundesamt für Landwirtschaft machte er von der Bekämpfung der drohenden Unterfinanzierung des Aufbaus des Kompetenzzentrums Boden sowie als Finanzhilfen für das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) fest. Auch im Bereich der Bildung sprachen sich Kommission und Ständerat für den nationalrätlichen Vorschlag aus, der eine geringere Erhöhung vorsah als ihr eigener Vorschlag. Die Medien betonten in der Folge jedoch vor allem den Anstieg der Bildungsausgaben um CHF 101 Mio. gegenüber der Version des Bundesrates. Auch bei den Sollwerten und Planungsgrössen willigte der Ständerat grösstenteils ein, «wenn auch da und dort mit etwas Befremden oder Staunen», wie der Kommissionssprecher betonte. Man wolle deswegen nicht eine Einigungskonferenz riskieren und pflichte hier «aus verfahrensökonomischer Vernunft» bei, betonte der Kommissionssprecher.
Damit blieben zwei Differenzen zum Nationalrat übrig: Einerseits bestand die kleine Kammer auf der Erhöhung der finanziellen Unterstützung von Selbsthilfeprojekten für das Jahr 2020 und für die Finanzplanjahre, andererseits reduzierte sie die Finanzierung für die Institutionen der Forschungsförderung um CHF 1.1 Mio., da diese im Konzept des Nationalrats aufgrund der zwei angenommenen Minderheiten doppelt enthalten seien. Der Ständerat beharrte zudem auf der Forderung, die Aufstockung des entsprechenden Budgets um CHF 15 Mio. dem SNF zukommen zu lassen. Als Kompromiss schlug er aber vor, die vom Nationalrat beschlossene Förderung der Akademien der Wissenschaften Schweiz in der Höhe von CHF 1.1 Mio. ebenfalls in den Rahmenbedingungen der Kreditvergabe festzuschreiben.
Stillschweigend stimmte der Nationalrat der Version des Ständerates in diesen Fragen zwei Tage später zu und bereinigte damit den Voranschlag 2020. Dieser budgetiert nun bei Einnahmen von CHF 75.666 Mrd. und Ausgaben von CHF 75.323 Mrd. einen Überschuss von CHF 344 Mio. anstelle des vom Bundesrat geplanten Überschusses von CHF 435 Mio.

Voranschlag 2020 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2021-2023 (BRG 19.041)
Dossier: Bundeshaushalt 2020: Voranschlag und Staatsrechnung

Nur einen Tag später ging die Debatte um den Voranschlag 2020 im Nationalrat weiter. Auch dieses Jahr drehte sich die Eintretensdebatte vor allem um die Frage, wie gut die wirtschaftliche Lage des Bundes wirklich sei und wie grosszügig das Parlament folglich mit dessen finanziellen Ressourcen umgehen könne. Eintreten war nicht umstritten, ganz im Gegensatz zur Detailberatung: Neben den Mehrheitsanträgen standen zahlreiche Minderheitsanträge der SP- und der SVP-Fraktion auf dem Programm. Doch obwohl der Nationalrat den Voranschlag während über 9 Stunden diskutierte, schuf er – verglichen mit der Anzahl Minderheitsanträge – nur wenige Differenzen zum Ständerat.
Die meisten dieser Differenzen waren im Nationalrat unumstritten, etwa die Erhöhung des Globalbudgets der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts um CHF 709’300 CHF. In verschiedenen Fällen verband die Kommission zudem Aufstockungen mit der Definition neuer Grenz- und Sollwerte oder der Neudefinitionen der Rahmenbedingungen der Kreditverwendung, Instrumenten des Neuen Führungsmodells des Bundes für die Bundesverwaltung. Mit diesen können Bedingungen zur Verwendung der Gelder mit Budgetpositionen verbunden werden. Die Aufstockung des Globalbudgets der Landwirtschaft um CHF 500'300 begründete der Nationalrat mit der drohenden Unterfinanzierung des Aufbaus des Kompetenzzentrums Boden und definierte dessen Finanzierung als Rahmenbedingung für den Kredit. Auch die Forschungsbeiträge für die Landwirtschaft erhöhte er zugunsten des Forschungsinstituts für biologischen Landbau um CHF 2.5 Mio. im Voranschlagsjahr sowie in den Finanzplanjahren. Gegen die Aufstockung der Direktzahlungen für die Landwirtschaft stellte sich eine Minderheit Schneider Schüttel (sp, FR), die diesbezüglich dem Ständerat folgen wollte, jedoch mit 63 zu 127 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) unterlag. Abgelehnt hatten die Änderung die einstimmig stimmenden SP- und GLP-Fraktionen sowie Minderheiten der FDP- und der Grünen-Fraktion. Auf Antrag Mattea Meyer (sp, ZH) stockte der Nationalrat mit 112 zu 81 Stimmen (bei 1 Enthaltung) auch das Globalbudget des Fedpol im Voranschlagsjahr sowie in den Finanzplanjahren um CHF 600'000 auf. Damit sollte eine Reduktion aus den Finanzplanjahren 2017 bis 2019 korrigiert werden, um damit eine Stellenaufstockung um vier Stellen zur Erfüllung der Zentralstellenaufgaben des Fedpol im Bereich Internetkriminalität, insbesondere der Pädokriminalität, zu ermöglichen. Die SVP- und die FDP-Fraktionen hatten sich dagegen gewehrt, weil diese Stellen intern über das Globalbudget finanziert werden sollten, wie Albert Vitali (fdp, LU) betonte.
Sparsamer als der Ständerat zeigte sich die grosse Kammer bezüglich der finanziellen Unterstützung von Selbsthilfeprojekten beim Bundesamt für Justiz: Hier sperrte sie sich stillschweigend gegen die vom Ständerat beschlossene Ausgabenerhöhung auf CHF 2 Mio. Ohne Minderheit akzeptiert wurden auch die Anträge zum SEM: Die Betriebsausgaben zu den Bundesasylzentren senkte der Rat nach Absprache der Kommission mit dem SEM um CHF 27 Mio. und die Beiträge für die Sozialhilfe Asylsuchender und vorläufig Aufgenommener reduzierte er aufgrund aktualisierter Zahlen um 12.8 Mio. Dies obwohl Finanzminister Maurer darauf hingewiesen hatte, dass man damit an den Leistungen des Bundes «überhaupt nichts» ändere, denn diese seien gesetzlich vorgegeben. Ein solcher Beschluss führe später aber allenfalls zu Nachtragskrediten, wenn sich die Flüchtlingssituation ändern sollte.
Umstritten waren auch im Nationalrat vor allem die Bildungsausgaben. Diesbezüglich lagen neben dem Mehrheitsantrag drei Minderheitsanträge vor. Die Mehrheit wollte in den meisten Bildungsfragen dem Bundesrat folgen und die Bildungsausgaben nicht um die ehemaligen Teuerungsbeiträge erhöhen. Einzig bezüglich der Berufsbildung befürwortete sie eine zusätzliche Erhöhung. Eine Minderheit I Schneider Schüttel forderte, dem Ständerat folgend, die im Rahmen der BFI-Botschaft 2017-2020 beschlossenen Beträge, eine Minderheit II Bourgeois (fdp, FR) bevorzugte hingegen mehrheitlich einen Mittelweg zwischen Ständerat und Bundesrat. Dieser basierte auf den Aufstockungen des Budgets im Bildungsbereich, welche das Parlament bereits 2019 vorgenommen hatte, abzüglich der Teuerungskorrektur nach Dittli (fdp, UR; Mo. 16.3705) um -0.1 Prozent. Mit 132 zu 60 Stimmen (bei 1 Enthaltung) und 139 zu 52 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) setzte sich die Minderheit II gegen die Minderheit I und die Mehrheit durch. Zudem sprach sich der Nationalrat beim Bildungsbudget zusätzlich für eine Minderheit III Schneider Schüttel aus, welche bei den Institutionen der Forschungsförderung eine zusätzliche Erhöhung um CHF 1.1 Mio. forderte, die zugunsten der Akademien der Wissenschaften Schweiz eingesetzt werden sollte.
Schliesslich nahm der Nationalrat verglichen mit dem Ständerat einige Änderungen bei den Sollwerten vor, insbesondere im Gesundheitsbereich. Der Messwert für den Anteil Rauchender in der Bevölkerung, gemäss dem nicht mehr als 25 Prozent der Bevölkerung rauchen sollen, wurde gestrichen, da dessen Messung gemäss Kommission keine Aufgabe des Staates sei. Dies obwohl Finanzminister Maurer vor der Streichung gewarnt und diese als falsches Signal bezeichnet hatte. Gesteigert werden sollte hingegen der Anteil Arztpraxen mit elektronischer Krankengeschichte der Patientinnen und Patienten. Heute liegt dieser bei 76 Prozent, im Jahr 2020 soll er bei 80 Prozent zu liegen kommen und für die Finanzplanjahre weiter gesteigert werden. Bei der Militärversicherung soll der Anteil der Verwaltungskosten an den Gesamtkosten von 10.7 Prozent auf 10 Prozent gesenkt werden. Diese Änderungen waren nicht umstritten, genauso wenig wie die Reduktion des Grenzwertes zum Auftreten von gentechnisch verändertem Raps entlang von Bahngeleisen (von 0.5 Prozent auf 0.25 Prozent aller untersuchten Proben). Schliesslich erhöhte der Nationalrat auch die Messgrösse bei den Besucherinnen und Besuchern der bundeseigenen Museen von 60'000 auf 65'000 Personen – obwohl dies gemäss Bundesrat Maurer «nicht mehr Leute in die Museen» locken werde.
Die übrigen Änderungen, meistens beantragt von Mitgliedern der SP- oder der SVP-Fraktion, lehnte die Ratsmehrheit jeweils deutlich ab. Verschiedene linke Minderheiten setzten sich für Budgeterhöhungen im Bereich des Umweltschutzes ein. So versuchte eine Minderheit Schneider Schüttel unter anderem die Überprüfung von Wirkstoffen zur Senkung des Risikos von Pflanzenschutzmitteln für aquatische Organismen für das Jahr 2020 von 20 auf 30 Wirkstoffe zu erhöhen sowie die dazu nötigen acht zusätzlichen Stellen bei vier verschiedenen Bundesämtern zu schaffen. Mit 105 zu 84 Stimmen (bei 1 Enthaltung) lehnte der Rat den Antrag gegen den Willen der SP-, GPS- und GLP-Fraktionen sowie der Mitglieder der EVP ab. Da sich der Überprüfungsrhythmus an jenen der EU anlehne, sei eine Aufstockung hier nicht angebracht, erklärte Alois Gmür (cvp, SZ) für die Kommission. Eine weitere Minderheit Schneider Schüttel wollte CHF 20 Mio. mehr für die Revitalisierung von Gewässern einsetzen, weil die Nachfrage nach Bundesmittel in diesem Bereich stark angestiegen sei und im kommenden Jahr zahlreiche Projekte realisiert werden sollten. Mit 96 zu 95 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) lehnte der Rat jedoch auch diesen Antrag ab, wobei Kommissionssprecher Gmür darauf hinwies, dass bei tatsächlichem Fehlen von Mitteln Nachtragskredite eingereicht werden könnten. Zudem setzte sich eine Minderheit Masshardt (sp, BE) für eine Verdoppelung des Betrags für den Technologietransfer beim Bundesamt für Energie von CHF 20 Mio. auf CHF 40 Mio. ein. Dieses Geld diene dazu, dass neue, noch nicht marktreife Technologien erprobt werden könnten. Eine Erhöhung sei nicht nötig, weil die Privatwirtschaft solche Ideen kostensparend entwickeln könne, argumentierte Sandra Sollberger (svp, BL) und begründete damit auch ihre Minderheit II Sollberger, die den Betrag auf CHF 10 Mio. reduzieren wollte. Mit 142 zu 52 Stimmen respektive 107 zu 86 Stimmen (bei 1 Enthaltung) setzte sich der Mehrheitsantrag gegen die Anträge der Minderheit II respektive der Minderheit I durch.
Doch nicht nur im Umweltbereich, auch zu anderen Themen reichte die SP-Fraktion erfolglos Vorstösse ein. So wollten linke Minderheiten etwa das Globalbudget des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann aufstocken, die Kulturabgeltung an die Stadt Bern in den Finanzplanjahren fortsetzen, dem BIT eine grössere Konstanz in der Personalentwicklung als neues Ziel vorschreiben sowie eine Aufstockung beim Eidgenössischen Personalamt vornehmen, das in der Folge Lehrstellen und Hochschulpraktika zur Integration von Menschen, die aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, anbieten soll.
Die SVP hingegen versuchte vor allem, dem Stellenzuwachs beim Bund – im Voranschlag 2020 beträgt dieser gemäss Franz Grüter (svp, LU) 267 zusätzliche Stellen – Einhalt zu gebieten. Dazu wollte Grüter allgemein die Ausgaben für den Personalaufwand im Voranschlag 2020 sowie in den Finanzplanjahren bei CHF 6 Mrd. plafonieren – zum ersten Mal überhaupt überstiegen die geplanten Ausgaben für das Personal die Grenze von CHF 6 Mrd. Mit 134 zu 51 Stimmen lehnte der Rat den Minderheitsantrag Grüter gegen den Willen der geschlossen stimmenden SVP ab. Zudem wollte eine weitere Minderheit Grüter den Betrag für die Lohnmassnahmen halbieren; 0.5 Prozent der Lohnsumme reichten für Lohnverhandlungen, erklärte der Minderheitensprecher. Mit 140 zu 52 Stimmen lehnte der Rat auch diesen Antrag ab. Auch die weiteren Minderheitsanträge, die vorsahen, die Ausgaben des Büros für Konsumentenfragen auf dem Stand der Rechnung von 2018 zu plafonieren, auf die Budgeterhöhung der Parlamentsdienste zur Schaffung von drei neuen Vollzeitstellen sowie auf Erhöhungen in den Personalbereichen des EDA, des BAG und des BFS zu verzichten, lehnte der Nationalrat ab.
Zu reden gaben schliesslich auch die Bereiche Entwicklungszusammenarbeit und Sicherheit. Während eine Minderheit I Keller (svp, NW) die Ausgaben für multilaterale Entwicklungszusammenarbeit deutlich kürzen wollte, schlug eine Minderheit II Gysi (sp, SG) in diesem Bereich eine Erhöhung des Budgets vor, um erneut auf die in der Botschaft 2017-2020 vereinbarten Ausgaben zu kommen und um im Jahr 2023 eine APD-Quote von 0.5 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erreichen. Finanzminister Maurer wehrte sich gegen eine weitere Kürzung in diesem Bereich – die Schweiz habe hier in den letzten Jahren die grössten Kürzungen vorgenommen, obwohl sie weiterhin ihren Verpflichtungen nachkommen müsse, erklärte er. Kommissionssprecher Gmür betonte hingegen, dass es sich bei der APD-Quote weder um ein finanzpolitisches Steuerungsinstrument, noch um einen Zielwert handle, sondern um einen Richtwert. Mit 140 zu 51 Stimmen und 106 zu 84 Stimmen (1 Enthaltung) sprach sich die grosse Kammer für den Mittelweg, den Mehrheitsantrag, aus und beliess die entsprechenden Ausgaben auf ihrer ursprünglichen Höhe.
Mit 135 zu 54 Stimmen nahm der Nationalrat schliesslich den Bundesbeschluss Ia über den Voranschlag für das Jahr 2020, der verglichen mit dem bundesrätlichen Budgetvorschlag Mehrausgaben von CHF 245 Mio. mit sich bringe, wie die beiden Kommissionssprecher Gmür und Nicolet (svp, VD) erklärten, in der Gesamtabstimmung an. Abgelehnt wurde er einstimmig von der SVP und von Stefania Prezioso Batou (gps, GE). Kaum bis gar nicht umstritten waren der Bundesbeschluss Ib über die Planungsgrössen im Voranschlag für das Jahr 2020, der Bundesbeschluss II über den Finanzplan für die Jahre 2021-2023, der Bundesbeschluss III über die Entnahmen aus dem Bahninfrastrukturfonds für das Jahr 2020 sowie der Bundesbeschluss IV über die Entnahmen aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds für das Jahr 2020.

Voranschlag 2020 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2021-2023 (BRG 19.041)
Dossier: Bundeshaushalt 2020: Voranschlag und Staatsrechnung

Ein Element im Rahmen der Strafuntersuchung im Zusammenhang mit der Fédération Internationale de Football Association (Fifa) war das in den Medien so bezeichnete «Sommermärchen-Verfahren» (Tages-Anzeiger), in welchem die Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 an Deutschland untersucht und die Spitze des Deutschen Fussballbundes angeklagt werden sollte. Dieses drohe aufgrund des schleppenden Tempos der Bundesanwaltshaft zu verjähren, da die Verjährungsfrist 15 Jahre betrage. Die strittige Zahlung, die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stand – dem Fifa-Funktionär Mohamed bin Hammam sollen CHF 10 Mio. überwiesen worden sein, um ihn günstig zu stimmen –, soll Ende April 2005 gemacht worden sein. Den in diesem Zusammenhang stehenden, international hohe Wellen werfenden Untersuchungen gegen Sepp Blatter, Franz Beckenbauer, die beiden Ex-Präsidenten des deutschen Fussballbundes, Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach, sowie gegen den Generalsekretär des Deutschen Fussballbundes Horst Schmidt und den Schweizer Ex-Fifa-Generalsekretär Urs Linsi drohten zudem Verzögerungen, weil aufgrund der Treffen Laubers mit Infantino tatsächlich ein Ausstandsbegehren, also ein Verdacht auf Befangenheit, beim Bundesstrafgericht eingereicht worden war.
Darüber hinaus reichte Zwanziger bei der Bundesanwaltschaft eine Strafanzeige gegen Infantino wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung ein. Und auch Blatter gab bekannt, rechtliche Schritte gegen seinen Nachfolger unternehmen zu wollen.

Öl ins Feuer – so die NZZ – goss dann auch noch der ehemalige Präsident der Uefa, Michel Platini. Er kolportierte via französische Medien, dass die Schweizer Bundesanwaltschaft just in dem Moment ein Strafverfahren gegen Josef Blatter und ihn eingeleitet habe – Platini stand unter Verdacht, von Blatter ein Honorar von CHF 2 Mio. erhalten zu haben –, als Platini sich für die Präsidentschaft der Fifa beworben habe. Zwei Monate vor der Eröffnung dieses Verfahrens habe ein Treffen zwischen Bundesanwalt Lauber und Infantino stattgefunden – Infantino wurde später zum Fifa-Präsidenten gewählt. In der Fachwelt wurde spekuliert, wie die Bundesanwaltschaft von der Millionen-Zahlung, die Grundlage für die Einleitung des Strafverfahrens gewesen war, Kenntnis haben konnte. Freilich räumte Platini ein, dass er keine Beweise habe.

Mitte Juni 2019 kam es dann zu «Laubers Waterloo», wie die Aargauer Zeitung titelte: Das Bundesstrafgericht erklärte den Bundesanwalt rückwirkend auf 2016 für befangen im Fifa-Fall. Lauber habe Verfahrensregeln verletzt und sich aktiv in laufende Verfahren eingemischt, wobei der Zweck sowie Inhalt der Treffen zwischen Lauber und Infantino nicht klar seien. Das Gebot der Gleichbehandlung aller Verfahrensbeteiligten sei missachtet worden. Wenn solche Treffen, wie Lauber stets beteuert habe, einer effizienten Beweissicherung und Sachverhaltsabklärung dienen würden, dann müssten sich diese auch in konkreten Verfahren niederschlagen, was bisher nicht der Fall sei, so das Gericht in seiner Begründung. Da das Urteil rechtskräftig war, musste Lauber beim Fifa-Dossier ab sofort in den Ausstand treten. Die Leitung des Verfahrens-Komplexes werde vom stellvertretenden Bundesanwalt Jacques Rayroud übernommen, der kurz zuvor vom Parlament in seinem Amt bestätigt worden war. Ob und wie sich diese «Schlappe» und dieses «Fiasko» (St. Galler Tagblatt) für den Bundesanwalt hinsichtlich seiner auf den Herbst verschobenen Wiederwahl auswirken würde, wurde zur zentralen Frage in den Medien. Die Stimmen, die seiner Bestätigung skeptisch gegenüberstünden, würden sich mit dem Befangenheitsurteil wohl noch mehren, urteilte die NZZ.

Doch die Geschichte war damit für Lauber noch nicht zu Ende. Er wehrte sich gegen den Entscheid des Bundesstrafgerichts, indem er einem der drei urteilenden Bundesrichter selber Befangenheit vorwarf. Lauber erkläre den Krieg, titelte Le Temps. Auf das mit dem Vorwurf verknüpfte Revisionsgesuch ging dann die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts allerdings nicht ein – Befangenheitsentscheide seien keine revisionsfähigen Urteile, so die gerichtliche Begründung –, so dass der «Befreiungsschlag» zum «Rohrkrepierer» geworden sei, wie die Basler Zeitung Mitte Juli kommentierte.

Anfang August kam es dann zu ersten Anklagen gegen Spitzenfunktionäre aus dem Sommermärchen-Fall. Angeklagt wurden Zwanziger, Niersbach, Schmidt und Linsi. Ebenfalls angeklagt worden wäre Franz Beckenbauer. Da dieser aber aus gesundheitlichen Gründen nicht vernehmungsfähig war, wurde das Verfahren gegen ihn abgetrennt. Auch das Strafverfahren gegen Blatter wegen mutmasslicher ungetreuer Geschäftsbesorgung lief parallel weiter. Im Blick wurde gemutmasst, dass Lauber mit den Anklagen den «Befreiungsschlag» versuche, um seine «Karten auf eine Wiederwahl im September zu verbessern». Weil die Wiederwahl schliesslich Ende September gelang, wurde es in den Medien um die Fifa-Affäre bis Ende Jahr wieder still.

Der «Fifa-Fall» 2018 bis 2020
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Stillschweigend überwies der Ständerat in der Herbstsession 2019 ein Postulat Rechsteiner (sp, ZH), das vom Bundesrat verlangte, die Verwendung der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance in der Innen- und Aussenpolitik des Bundes darzulegen. Der geforderte Bericht muss gemäss Postulatstext aufzeigen, welche rechtlichen Implikationen die Definition hat, wie sie der Sensibilisierungs-, Präventions-, Beratungs- und Interventionsarbeit auf allen Staatsebenen dient und inwiefern sie für die gezielte Erhebung von Fallzahlen, für die Forschungsarbeit und von den Gerichten genutzt wird oder werden kann.

Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (Po. 19.3942)