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Im Jahr 2023 behandelte das Parlament eine Vielzahl von Motionen zum Thema Asyl, die meisten davon wurden jedoch bereits im Erstrat abgelehnt.

Darunter befanden sich etliche Vorstösse aus der Feder der SVP-Fraktion oder deren Mitglieder, so etwa eine Serie von Geschäften mit der Forderung nach verstärkten «Massnahmen gegen die illegale Migration», die darauf abzielen sollten, Sans Papiers die Anwesenheit in der Schweiz zu erschweren. Die entsprechenden sieben Motionen wurden vom Nationalrat abgelehnt (Mo. 21.3487; Mo. 21.3488; Mo. 21.3489; Mo. 21.3490; Mo. 21.3491; Mo. 21.3492; Mo. 21.3493), wobei lediglich zwei dieser Vorstösse ein paar weitere befürwortende Stimmen aus anderen Fraktionen erhielten. Zwei parlamentarische Initiativen mit ähnlicher Stossrichtung wurde im Berichtsjahr keine Folge gegeben (Pa.Iv. 21.445; Pa.Iv. 21.446) und auch eine weitere Motion eines SVP-Vertretenden, die die Banken dazu verpflichten wollte, regelmässig zu überprüfen, ob sich Inhaberinnen und Inhaber ihrer Bankkonten nicht irregulär in der Schweiz aufhalten (Mo. 21.3560), wurde schon im Erstrat abgelehnt.

Ein weiterer Schwerpunkt der SVP-Forderungen betraf die Durchführung von Asylverfahren ausserhalb der Schweiz (Mo. 21.3785; Mo. 21.3992; Mo. 22.4397; Mo. 23.3086; Mo. 23.3851; Mo. 23.3950). Weder im Ständerat noch im Nationalrat fanden sich allerdings Stimmen ausserhalb der SVP-Fraktion, womit alle Vorstösse auch hier jeweils schon im Erstrat scheiterten.

Abgelehnt wurden auch weitere Motionen von Mitgliedern der SVP-Fraktion, darunter ein Vorstoss betreffend die Globalpauschale für asylsuchende und schutzbedürftige Personen (Mo. 21.4295), eine Motion zur Unterbindung der irregulären Migration von männlichen Afghanen (Mo. 23.4246), eine Motion zu den mit der Neustrukturierung des Asylbereichs geschaffenen Rechtsvertretenden (Mo. 21.3993), eine Forderung zur Bereitstellung der Armee- und Bundesliegenschaften für Schutzsuchende (Mo. 22.4506), die Forderung zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen (Mo. 22.4397; Mo. 23.3086) sowie zwei Motionen, die eine im Sinne der SVP konsequente Durchsetzung des Dublin-Abkommens forderten (Mo. 23.3200; Mo. 23.3211): Auf Asylgesuche sollte laut der SVP nur eingetreten werden, wenn die betreffende Person glaubhaft versichern kann, dass sie nicht über ein angrenzendes Land eingereist ist. Einen Teilerfolg konnte indes ein ähnliches Anliegen verbuchen; so nahm der Nationalrat in der Herbstsession 2023 eine Motion der FDP-Fraktion an (Mo. 23.3533), die unter anderem forderte, dass der Bund auf Asylgesuche von Personen, die sich zuvor in einem sicheren Drittland aufgehalten hatten, konsequent nicht mehr eintritt.

Auch Forderungen von Links-grün waren nicht von Erfolg gekrönt. Darunter befanden sich einige Vorstösse, die eine Verbesserung der Situation von Asylsuchenden verlangten, etwa eine Motion für die Wiedereinführung des Botschaftsasyls (Mo. 21.3273), für die Schaffung eines Flüchtlingsstatus für Klimaopfer (Mo. 22.3092), zur alternativen Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (Mo. 21.3710), für eine bessere Berücksichtigung des Gesundheitszustands von Asylbewerbenden in Bundesasylzentren (Mo. 21.3250) oder zur verstärkten psychologischen Unterstützung von Geflüchteten mit Schutzstatus S (Mo. 22.3090). Vertretende der Grünen und der SP-Fraktion hatten zudem Motionen zur privaten Unterbringung (Mo. 22.4147) und zur Unterbringung in umgestalteten Bundesasylzentren (Mo. 21.3711) sowie für ein Moratorium zum Bau neuer Bundesasylzentren (Mo. 21.3672) eingereicht, die ebenfalls 2023 schon im Erstrat abgelehnt wurden. Das gleiche Schicksal ereilte auch eine Motion, die die Berufsvorbereitung für Geflüchtete und andere spät Zugewanderte erleichtern wollte (Mo. 21.4064).

Ebenfalls abgelehnt wurde eine von links-grüner Seite eingereichte Motion zur Neubeurteilung von Asylgesuchen aus Afghanistan (Mo. 21.4055). Kurz nach Ablehnung letzterer Motion beschloss das SEM im Juli jedoch eine Praxisänderung, gemäss welcher weiblichen afghanischen Asylsuchenden grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Diese Praxisänderung stiess bei Vertretenden der FDP und SVP auf Widerstand, der sich in Form mehrerer neu eingereichter Vorstösse (Mo. 23.4020; Mo. 23.4241; Mo. 23.4246; Mo. 23.4247) und einer ausserordentlichen Session ausdrückte.

Im Erstrat abgelehnte Vorstösse zum Thema Asyl (2023)

Nach Überweisung der Motion 22.3392 der SPK-NR in der Wintersession 2022, die den Bundesrat damit beauftragte, den Zugang zur beruflichen Ausbildung für abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers zu erleichtern, schickte der Bundesrat im Juni 2023 nach Prüfung verschiedener Varianten eine entsprechende Änderung der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) in die Vernehmlassung. Darin beantragte er, dass betroffene Personen zum Zweck der beruflichen Grundbildung eine Aufenthaltsbewilligung mittels Härtefallgesuch erhalten können, wenn sie mindestens zwei Jahre ununterbrochen die obligatorische Schule in der Schweiz besucht haben. Die bestehende Verordnung ermöglicht es erst nach mindestens fünf Jahren ununterbrochenen Besuchs der obligatorischen Schule in der Schweiz, ein Härtefallgesuch zu stellen, damit eine berufliche Grundbildung absolviert werden kann. Zudem möchte der Bundesrat mit der vorgesehenen Verordnungsänderung die Frist für die Einreichung eines entsprechenden Härtefallgesuchs nach Absolvierung der obligatorischen Schule von einem Jahr auf zwei Jahre ausdehnen. Die geltenden Kriterien für die Integration sowie zur Erteilung einer Härtefallbewilligung sollen allesamt beibehalten werden.

In seinem Bericht nahm der Bundesrat ebenfalls Stellung zu einer Motion Markwalder (fdp, BE; Mo. 20.3322), die vom Ständerat und dessen vorberatender Kommission zuvor aus formalen Gründen abgelehnt worden war, da eine Erfüllung des Anliegens im Rahmen der Umsetzung der erwähnten Motion der SPK-NR in Aussicht gestellt worden war. Die Erfüllung des Anliegens, das erreichen möchte, dass Asylsuchende nach abgelehntem Asylentscheid ihre Lehre in der Schweiz beenden dürfen, werde mit der Änderung einer Weisung des SEM in die Wege geleitet, so der Bundesrat. Demgemäss werde das SEM in Zukunft die Ausreisefrist von Personen, die bereits einen Lehrvertrag besassen, bevor ihr Asylgesuch abgelehnt wurde, bis nach Beendigung der beruflichen Grundbildung ausdehnen.

Verordnungsänderung zur Erleichterung des Zugangs zur beruflichen Grundbildung für abgewiesene Asylsuchende und Sans Papiers
Dossier: Lehrabschlüsse für abgewiesene Asylsuchende und Sans Papiers

Im Juni 2023 veröffentlichte der Bundesrat in Erfüllung eines Postulats von Marianne Maret (mitte, VS) einen Bericht zur sozialen Sicherheit der Kulturschaffenden in der Schweiz. Der Bericht legte dar, dass die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden insbesondere aufgrund der häufiger auftretenden «atypischen Beschäftigungsverhältnisse» – das bedeutet beispielsweise mehr Teilzeitarbeit und häufigere selbstständige Erwerbstätigkeit – schlechter sei als jene von Personen aus anderen Erwerbsgruppen. Hinzu komme ein durchschnittlich tieferes Einkommen, was dazu führe, dass viele Kulturschaffende eine ungenügende Altersvorsorge aufweisen sowie ungenügend gegen krankheits- oder unfallbedingte Ausfälle versichert sind.
Seit dem letzten Bericht 2007 zu diesem Thema habe der Bundesrat diverse Massnahmen zur Verbesserung der Situation umgesetzt. So erwarte er etwa von der vom Parlament beschlossenen BVG-Reform eine bessere Absicherung für Mehrfachbeschäftigte – wie sie im Kulturbereich häufig anzutreffen sind. Denn häufig erreichten die Kulturschaffenden die BVG-Eintrittsschwelle bei den einzelnen Anstellungen nicht, womit sie nicht obligatorisch versichert seien. Das Parlament habe diese Eintrittsschwelle nun reduziert.
Zudem hätten Kulturverbände und andere Akteure im Kulturbereich weitere Vorschläge für eine Verbesserung der Vorsorgesituation von Kulturschaffenden eingereicht, welche der Bundesrat im Bericht diskutierte. Diese zielten mehrheitlich entweder auf eine Revision des Sozialversicherungsrechts oder auf eine Sonderlösung für die Kulturbranche ab. Beides beurteilte der Bundesrat im Bericht als nicht umsetzbar, stattdessen wollte er auf Lösungen «ausserhalb des Sozialversicherungsrechts» setzen. Dazu schlug er sechs Massnahmen vor, welche ebenfalls in die Vernehmlassung zur Kulturbotschaft 2025-2028 aufgenommen wurden. Dazu gehörte etwa die Schaffung einer Beratungs- und Dienstleistungsstelle für Kulturschaffende oder die Forderung, dass faire Löhne für die Kulturschaffenden in Zukunft ein Kriterium bei der Vergabe von Fördergeldern darstellen soll: falls die Arbeitgebenden keine angemessenen Löhne auszahlten, werde der Bundesrat nicht auf den Antrag eintreten.

Wie steht es um die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden in der Schweiz? (Po. 21.3281)

Jahresrückblick 2022: Soziale Gruppen
von Viktoria Kipfer und Marlène Geber

Die Schweizer Asylpolitik wurde vor allem im Frühjahr 2022 primär durch den Krieg in der Ukraine geprägt, wie auch die Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse zeigt. So aktivierte die Schweiz im März 2022 erstmals den Schutzstatus S, der es den Geflüchteten aus der Ukraine erlaubt, ohne reguläres Asylverfahren in der Schweiz eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Bis im November 2022 fanden so rund 70'000 Flüchtende aus der Ukraine in der Schweiz Schutz. Das Zusammenleben zwischen Geflüchteten aus der Ukraine und Schweizerinnen und Schweizern nahm zu Beginn des Krieges eine Hauptrolle in der medialen Berichterstattung ein. So zeigten sich viele Schweizerinnen und Schweizer vor allem zu Beginn solidarisch mit den Flüchtenden, von denen in der Folge rund die Hälfte bei Privatpersonen unterkam, wie die SFH berichtete. Gleichzeitig wurde der Schutzstatus S aber auch als «faktische Ungleichbehandlung» der Ukrainerinnen und Ukrainer gegenüber allen anderen Asylsuchenden kritisiert. Folglich wurden im Parlament zahlreiche Vorstösse zum neuen Schutzstatus eingereicht, welche diesen unter anderem einschränken oder anpassen wollten – jedoch erfolglos. Insgesamt führte die Zeitungsberichterstattung zur Asylpolitik im Zuge des Ukraine-Kriegs zu einem deutlichen Anstieg des medialen Interesses des Jahres 2022 zum Thema «Soziale Gruppen» gegenüber dem Vorjahr (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse).

Diskutiert wurden auch allgemeine Neuregelungen bei den Asylsuchenden, etwa zur Schaffung der Möglichkeit, dass Asylsuchende nach einem negativen Aufenthaltsentscheid ihre Lehre in der Schweiz beenden dürften. Dieser Vorschlag scheiterte jedoch im Ständerat. Hingegen sprach sich der Nationalrat für zwei Motionen für eine Erleichterung des Zugangs zu einer beruflichen Ausbildung für abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papier sowie für die Ermöglichung der Erwerbstätigkeit auch im Falle eines negativen Asylentscheids aus. Unverändert bestehen blieben die zwangsweisen Covid-19-Tests von Abgewiesenen bei der Rückstellung in ihr Herkunftsland, welche das Parlament bis ins Jahr 2024 verlängerte. Finanzielle Unterstützung wollte der Bundesrat schliesslich Kantonen mit Ausreisezentren an der Landesgrenze in Ausnahmesituationen gewähren, National- und Ständerat nahmen jedoch gewichtige Änderungen an der entsprechenden Revision des AIG vor.

Im Jahre 2022 unternahmen Bundesrat und Parlament einige Anstrengungen bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Gewalt an Frauen. Einerseits inspirierte ein Bericht zu Ursachen von Homiziden im häuslichen Umfeld eine Vielzahl verschiedener Vorstösse, andererseits diente auch die Ratifikation der Istanbul-Konvention als Ansporn zur Lancierung parlamentarischer Vorlagen gegen häusliche und geschlechterbezogene Gewalt. Als Erbe der letztjährigen Frauensession wurde zudem ein erster Vorstoss, der nationale Präventionskampagnen gegen Gewalt fordert, überwiesen. Während sich bei diesem Thema eine Allianz von Frauen verschiedenster Parteien beobachten liess, fand ein Vorstoss aus dem rechten Lager, mit dem Gewalt an Frauen künftig mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden müsste, im Parlament keine Mehrheit. Des Weiteren rückte auch die Mehrdimensionalität der Gewalt an Frauen im Rahmen intersektionaler Vorstösse in den Fokus. Einerseits erhielt die Forderung nach verbessertem Schutz ausländischer Opfer vor häuslicher Gewalt mehr Aufmerksamkeit, andererseits wurde die Schutzbedürftigkeit von Menschen mit Behinderung bei häuslicher Gewalt hervorgehoben. Zwei weitere, im Frühjahr 2022 lancierte Vorlagen mit dem Titel «Wer schlägt, geht!» beschäftigten sich mit dem Wohnverhältnis nach Vorfällen der häuslichen Gewalt, während sich der Nationalrat in der Sommersession für eine nationale Statistik über Kinder, die Zeuginnen und Zeugen von häuslicher Gewalt sind, aussprach. Zuletzt forderten Vertreterinnen unterschiedlicher Parteien in sechs parlamentarischen Initiativen, Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts der Antirassismus-Strafnorm zu unterstellen, was von der erstberatenden RK-NR befürwortet wurde.

Die Idee eines «pacte civil de solidarité» (Pacs) treibt die Schweiz bereits seit mehreren Jahren um, was im Frühjahr 2022 in einem Bericht des Bundesrats über die «Ehe light» mündete. Auf Grundlage des Berichts wurde bereits ein parlamentarischer Vorstoss zur Schaffung entsprechender Rechtsgrundlagen im Ständerat eingereicht. Auch die Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen fand im Jahr 2022 Platz auf der politischen Agenda. Denn Ende 2021 hatten Vertreterinnen und Vertreter der SVP zwei Volksinitiativen lanciert, welche die Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen reduzieren wollten: einerseits die Initiative «Für einen Tag Bedenkzeit vor jeder Abtreibung (Einmal-darüber-schlafen-Initiative)» und andererseits die Initiative «Für den Schutz von ausserhalb des Mutterleibes lebensfähigen Babys (Lebensfähige-Babys-retten-Initiative)». 2022 führten diese Anliegen auch innerhalb der SVP zu Diskussionen; insbesondere jüngere Vertreterinnen der Volkspartei äusserten sich dezidiert dagegen. Dieser Konflikt mündete unter anderem in der Ablehnung hauseigener Vorstösse durch eine Minderheit der SVP-Fraktion in der Sondersession 2022. Umgekehrt hatten es auch Vorstösse, die auf einen flächendeckenden und hürdenfreien Zugang zu Abtreibung abzielten, 2022 nicht leicht im Parlament.

Betreffend die Familienplanung sprachen sich beide Räte für eine Legalisierung der Eizellenspende für Ehepaare aus. Unter anderem weil die parlamentarische Initiative zur Überführung der Anstossfinanzierung für die familienexterne Kinderbetreuung in eine zeitgemässe Lösung den Sprung ins Sessionsprogramm 2022 verpasst hatte, stimmten National- und Ständerat einer Verlängerung der Bundesbeiträge an die familienexterne Kinderbetreuung bis Ende 2024 zu. Um jedoch die Kosten für die familienergänzende Kinderbetreuung zu senken und die Anzahl Kitaplätze zu erhöhen, wurde im Frühjahr 2022 eine Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita-Initiative)» lanciert. Auch die Annahme der «Ehe für alle» im September 2021 blieb nicht folgenlos im Parlament: Da gleichgeschlechtliche Paare nach der Heirat bei der Familienplanung weiterhin eingeschränkt seien, setzten sich zwei Motionen mit der rechtlichen Anerkennung der Elternschaft gleichgeschlechtlicher Paare auseinander, um deren Gleichberechtigung auch über die «Ehe für alle» hinaus voranzutreiben.

Darüber hinaus wurde 2022 eine Reihe von Forderungen aus der zweitägigen Frauensession 2021 vom Parlament aufgegriffen. Zwei Motionen zum Einbezug der Geschlechterperspektive in der Medizin stiessen in der Herbstsession 2022 in der grossen Kammer auf Akzeptanz. In Anbetracht des bevorstehenden digitalen Wandels fokussierten andere, auf die Frauensession zurückgehende erfolgreiche parlamentarische Vorstösse auf den Einbezug von Frauen in die Digitalisierungsstrategie des Bundes. In Anbetracht der in der Frauensession eingereichten Petitionen reichten die betroffenen Kommissionen auch mehrere Postulate ein, welche unter anderem Berichte zur Strategie zur Integration von Frauen in MINT-Berufen, zur Evaluation der schulischen Sexualaufklärung und zur Aufwertung der Care-Arbeit forderten – sie wurden allesamt angenommen.

In der LGBTQIA-Politik nahm besonders die Diskussion über die Existenz und das Verbot von Konversionstherapien viel Platz ein. Nach der Annahme der «Ehe für alle» waren 2021 drei parlamentarische Initiativen zum Verbot von Konversionstherapien eingereicht, später aber wegen einer lancierten Kommissionsmotion zurückgezogen worden. Angenommen wurde hingegen ein Postulat, das die Datengrundlage zum Vorkommen von Konversionsmassnahmen in der Schweiz verbessern möchte.

Auch die Gleichstellung gehörloser und hörbehinderter Menschen sollte gemäss Parlament vorangetrieben werden, weshalb National- und Ständerat eine Motion zur Schaffung eines Gesetzes zur Anerkennung der Gebärdensprachen annahmen.

Jahresrückblick 2022: Soziale Gruppen
Dossier: Jahresrückblick 2022

Nachdem sich der Nationalrat in der Sommersession 2022 bereits dafür ausgesprochen hatte, den Zugang zur beruflichen Ausbildung für abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers zu erleichtern, stützte der Ständerat diesen Entscheid in der Wintersession. Dabei folgte er einer linken Kommissionsminderheit, die den Erfolg einer im Jahr 2010 überwiesenen Motion Barthassat (cvp, GE; Mo. 08.3616) mit ähnlicher Stossrichtung als «sehr bescheiden» bewertete, weswegen die Anforderungen zu senken seien. Die Kommissionsmehrheit sah aufgrund der beschleunigten Asylverfahren und bestehenden Härtefallregelungen hingegen keinen Handlungsbedarf und war der Ansicht, dass dadurch Anreize für einen unrechtmässigen Aufenthalt geschaffen würden. Die Kommissionsmehrheit unterlag im Ständerat relativ knapp mit 19 zu 21 Stimmen.

Erweiterte Härtefallregelung zum Zugang zu beruflichen Ausbildungen (Mo. 22.3392)
Dossier: Lehrabschlüsse für abgewiesene Asylsuchende und Sans Papiers

Mit 135 zu 55 Stimmen schloss sich der Nationalrat seiner SPK-NR an und gab einer parlamentarischen Initiative der SVP, welche die Aufhebung der Versicherungspflicht für Sans-Papiers forderte, in der Wintersession 2022 keine Folge. Lediglich die SVP-Fraktion und vier Mitglieder der FDP.Liberalen-Fraktion hatten sich für Folgegeben ausgesprochen. Die SVP erachtete es als «stossend», Sans-Papiers trotz nicht Vorliegen einer Aufenthaltsbewilligung einer Versicherungspflicht zu unterstellen, womit deren Aufenthalt quasi legitimiert werde, anstatt die Personen auszuweisen. Die Kommissionsmehrheit erachtete die vorgeschlagene Massnahme hingegen nicht als geeignet, da durch das Verwehren des Zugangs zur Krankenversicherung insbesondere das Recht der betroffenen Personen auf medizinische Grundversorgung beeinträchtigt werde und dies unter anderem gesundheitliche Folgen hätte, was längerfristig zu höheren Kosten führen würde. Das Anliegen ist somit erledigt – ebenso wie eine weitere parlamentarische Initiative aus derselben Geschäftsserie der SVP, die der Rat zeitgleich mit ähnlichem Stimmverhältnis ablehnte (Pa.Iv. 21.446).

Keine Versicherungspflicht für Sans Papiers (Pa.Iv. 21.445)

Nach seiner Kommission stellte sich in der Wintersession 2022 auch der Nationalrat gegen die Forderung einer parlamentarischen Initiative der SVP-Fraktion, die verlangte, dass wesentliche Vertragsabschlüsse nur noch bei Vorliegen einer Wohnsitzbestätigung möglich sein sollen. Der Nationalrat gab der parlamentarischen Initiative mit 133 zu 57 Stimmen keine Folge. Die SVP hatte auf diese Weise versucht, die Schweiz für illegal anwesende Personen weniger attraktiv zu machen. Im Namen der Kommissionsmehrheit bezeichnete Tiana Angelina Moser (glp, ZH) «die Situation mit den Sans-Papiers [als] rechtsstaatlich unbefriedigend». Gleichzeitig erachtete die Kommissionsmehrheit die Initiative aber nicht als angemessen oder zielführend; weder für die betroffenen Personen noch für die Gesamtgesellschaft könne diese Verbesserungen bringen, so Moser. Neben der geschlossen befürwortenden SVP-Fraktion wurde die Initiative von sechs Mitgliedern der FDP.Liberalen-Fraktion unterstützt. Zeitgleich erledigte der Nationalrat eine weitere parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion mit ähnlicher Stossrichtung (Pa.Iv. 21.445). Beide Initiativen gehörten zu einer 9-teiligen Geschäftsserie, mit der die SVP-Fraktion zusätzliche Massnahmen gegen die irreguläre Migration forderte (siehe auch Mo. 21.3487-Mo. 21.3493).

Massnahmen gegen Sans-Papiers: Wesentliche Vertragsabschlüsse nur mit Wohnsitzbestätigung (Pa.Iv. 21.446)

Im April 2022 beschloss die SPK-NR mit 11 zu 10 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) die Lancierung einer Motion, mit welcher sie einen «erleichterten Zugang zur beruflichen Ausbildung für abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers» forderte. Seit 2013 muss eine Person mindestens fünf Jahre lang durchgehend die obligatorische Schule in der Schweiz besucht haben und eine gute Integration vorweisen können, um eine Härtefallbewilligung für eine Berufslehre zu erhalten. Der Bericht des Bundesrates «Gesamthafte Prüfung der Problematik der Sans-Papiers» habe nun aber gezeigt, dass so bis ins Jahr 2020 lediglich 61 jugendliche Sans-Papiers eine Berufsausbildung hätten starten können. Folglich sei diese Regelung zu restriktiv, wie Céline Widmer (sp, ZH) im Namen der Kommissionsmehrheit im Nationalrat für die Vorlage argumentierte. Basierend auf den Empfehlungen des Berichts solle der Bundesrat nun konkret prüfen, ob der erforderliche Besuch der obligatorischen Schule in der Schweiz von mindestens fünf auf zwei Jahre herabgesetzt werden könne und ob auch Jugendliche, welche die obligatorische Schule für weniger als zwei Jahre oder gar nicht besucht haben, miteinbezogen werden könnten. Darüber hinaus solle auch die Möglichkeit von anonymisierten Gesuchen geprüft werden. Barbara Steinemann (svp, ZH) begründete die ablehnende Position der Minderheit unter anderem damit, dass Lehrbetriebe diese Anpassung dazu nutzen könnten, Asylsuchenden dabei zu helfen, eine Aufenthaltsbewilligung zu erlangen, denn diese würde für die Dauer der beruflichen Grundbildung automatisch gewährt. Auch der Bundesrat lehnte die Motion ab, wobei Justizministerin Karin Keller-Sutter unter anderem ausführte, dass damit eine Ungleichbehandlung gegenüber jungen Asylsuchenden und Sans-Papiers geschaffen würde, die studieren möchten, da diese strengeren Zulassungskriterien unterworfen wären. Entgegen der Kommissionsminderheit und dem Bundesrat entschied sich der Nationalrat jedoch mit 111 zu 73 Stimmen (bei 4 Enthaltungen), die Motion anzunehmen. Die Fraktionen der SP, Grünen und der GLP stimmten geschlossen für die Vorlage und wurden dabei von der Hälfte der FDP.Liberalen- sowie einer Zweidrittelmehrheit der Mitte-Fraktion unterstützt.

Erweiterte Härtefallregelung zum Zugang zu beruflichen Ausbildungen (Mo. 22.3392)
Dossier: Lehrabschlüsse für abgewiesene Asylsuchende und Sans Papiers

In Form einer im Herbst 2020 eingereichten Motion verlangte die SVP-Fraktion unter anderem, dass Personen ohne geregelten Aufenthaltsstatus, mit Ausnahme der Notfallversorgung, von der Sozialversicherungspflicht ausgeschlossen werden. In der Sommersession 2022 befand der Nationalrat über die Vorlage. Justizministerin Karin Keller-Sutter führte aus, dass im neuen Bericht des Bundesrates zur «Gesamthaften Prüfung der Problematik der Sans-Papiers» aufgezeigt werde, dass ein Ausschluss der Sans-Papiers von der Sozialversicherungspflicht auf Grund von völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht möglich sei. Der Nationalrat lehnte die Vorlage in der Folge mit 135 zu 53 Stimmen (0 Enthaltungen) deutlich ab, wobei alle 53 befürwortenden Stimmen aus der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion stammten.

Für eine kohärente Praxis bei illegalen Einwanderern (Sans-Papiers) (Mo. 20.3987)

Mit insgesamt neun im Jahr 2021 lancierten Vorstössen verlangte die SVP-Fraktion verstärkte «Massnahmen gegen die illegale Migration». Im April 2022 behandelte die SPK-NR zwei parlamentarische Initiativen aus dieser Serie. Mit 13 zu 8 Stimmen lehnte sie die erste parlamentarische Initiative ab, die die Aufhebung der Versicherungspflicht für Sans-Papiers forderte. Die SVP-Fraktion argumentierte, dass es aufgrund der «Rechtswidrigkeit ihres Aufenthalt[s] [...] stossend» sei, die Allgemeinheit für die Versicherungskosten von Sans-Papiers aufkommen zu lassen. Durch die Versicherungspflicht werde der Aufenthalt von Sans-Papiers zudem noch legitimiert, so die Volkspartei. Bei einem Wegfall der Versicherungspflicht müssten die Gesundheitskosten von den Gemeinden und Kantonen finanziert werden, was nur konsequent sei, da diese den Aufenthalt der betreffenden Personen duldeten. Die Mehrheit der Kommission erachtete die Situation von Personen ohne Aufenthaltsbewilligung als «unbefriedigend»; ihr erschien die vorgeschlagene Massnahme jedoch nicht als geeignet, um diese unbefriedigende Situation zu verbessern. Mit ebendieser Argumentation gab sie auch der zweiten parlamentarischen Initiative in der oben erwähnten Serie keine Folge (Pa.Iv. 21.446). Noch ausstehend ist die Erstberatung der verbleibenden sieben Vorstösse – allesamt Motionen – durch den Nationalrat.

Keine Versicherungspflicht für Sans Papiers (Pa.Iv. 21.445)

Mit insgesamt neun im Jahr 2021 lancierten Vorstössen verlangte die SVP-Fraktion verstärkte «Massnahmen gegen die illegale Migration». Im April 2022 behandelte die SPK-NR zwei parlamentarische Initiativen aus dieser Serie. Dabei lehnte sie die Forderung, dass wesentliche Vertragsabschlüsse nur noch bei Vorliegen einer Wohnsitzbestätigung möglich sein sollen, mit 16 zu 7 Stimmen ab. Die Annahme der Forderung der SVP würde dazu führen, dass etwa der Abschluss eines Mietvertrags, einer Unfall- oder Fahrzeugversicherung oder auch eines Mobilfunkvertrags für Sans-Papiers erheblich erschwert würde. Die Mehrheit der Kommission erachtete die Situation von Personen ohne Aufenthaltsbewilligung als «unbefriedigend»; ihr erschien die vorgeschlagene Massnahme jedoch nicht als geeignet, «um diese Problematik anzugehen». Mit ebendieser Argumentation gab sie am selben Tag auch der zweiten parlamentarischen Initiative in der oben erwähnten Serie keine Folge (Pa.Iv. 21.445).

Massnahmen gegen Sans-Papiers: Wesentliche Vertragsabschlüsse nur mit Wohnsitzbestätigung (Pa.Iv. 21.446)

Ende März 2022 veröffentlichte der Bundesrat den Bericht «Übersicht über das Konkubinat im geltenden Recht – Ein PACS nach Schweizer Art?» in Erfüllung der Postulate Po. 15.3431, Po. 15.4082 und Po. 18.3234.

Übersicht über das Konkubinat im geltenden Recht (Po. 18.3234)
Dossier: Ein Pacs nach Schweizer Art?

An der Delegiertenversammlung des Schweizerischen Verbands für Seniorenfragen (SVS) im März 2022 wurde Rudolf Joder zum neuen Präsidenten gewählt. Joder, der früher Präsident der Berner SVP-Kantonalpartei und Nationalratsmitglied gewesen war, folgte im Verbandspräsidium auf Karl Vögeli.
Der SVS vereint als Dachorganisation lokale, regionale und kantonale Senioren- und Rentnerverbände sowie gesamtschweizerisch tätige Pensioniertenvereinigungen, die im Frühling 2022 insgesamt rund 40’000 Mitglieder zählten. Statutarischer Zweck des Verbands ist die Förderung der Lebensqualität, der Interessen und der Würde der älteren Menschen in der Schweiz. Zusammen mit der Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfeorganisationen der Schweiz (VASOS) bildet er seit 2001 den Schweizerischen Seniorenrat (SSR).

Rudolf Joder neuer Präsident des Schweizerischen Verbands für Seniorenfragen

Zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie und zum gesundheitlichen Schutz von Personen ohne rechtlich geregelten Aufenthaltsstatus verlangte Stefania Prezioso Batou (egsols, GE) in einer im Mai 2020 eingereichten Motion die generelle Legalisierung von Sans-Papiers. Die Genfer Nationalrätin befürchtete, dass sich Sans-Papiers bei Erkrankungen nicht in Gesundheitseinrichtungen wagen würden, da sie Angst hätten, denunziert und ausgewiesen zu werden. Ebenfalls würde eine Legalisierung dieser Personengruppe auch Zugang zur Sozialhilfe verschaffen, was in Zeiten einer «Wirtschafts- und Gesellschaftskrise» besonders wichtig sei. Der Bundesrat stellte sich ablehnend zum Anliegen. Zum einen befürchtete er eine Sogwirkung durch eine «kollektive Regularisierung» und zum anderen vertrat er die Ansicht, dass die bestehenden Bestimmungen und Massnahmen im Sozial- und Gesundheitsbereich ausreichten. Ferner verwies er auf den in Erfüllung eines Postulats der SPK-NR zu erstellenden Bericht, der unter anderem Lösungswege betreffend Sozialversicherungsansprüche von Sans-Papiers aufzeigen soll. In der Frühjahrssession 2022 teilte die Mehrheit des Nationalrats die Ansicht der Regierung und lehnte die Motion mit 127 zu 63 Stimmen ab. Das Anliegen wurde lediglich von den geschlossen stimmenden Fraktionen der SP und der Grünen befürwortet.

Generelle Legalisierung von Sans-Papiers und garantierter Zugang zu Sozialhilfe für die ganze Bevölkerung (Mo. 20.3339)

Das BFS publizierte im Februar 2022 eine Studie zu den Bildungsverläufen von jungen Erwachsenen. Es hatte dazu im Jahr 2020 die Bildungsabschlüsse aller damals 25-Jährigen, die seit mindestens zehn Jahren in der Schweiz lebten, analysiert. In der Studie wurde dargelegt, dass 91.4 Prozent dieser rund 82'500 jungen Erwachsenen einen Abschluss auf der Sekundarstufe II – also im Wesentlichen eine eidgenössisch anerkannte Maturität oder eine berufliche Grundbildung (Lehre) – erreicht hatten. Wichtige Faktoren, die einen Einfluss darauf haben, ob eine Person diese Zertifizierung erlangt hat oder nicht, sind gemäss Studie die Aufenthaltsdauer in der Schweiz, der Bildungsverlauf in der obligatorischen Schule sowie das Bildungsniveau der Eltern. So hatten von den im Ausland geborenen 25-Jährigen, die aber kurz nach der Geburt in die Schweiz gekommen sind, 84.2 Prozent eine Zertifizierung auf der Sekundarstufe II gegenüber 77 Prozent der im Alter von 12 bis 15 Jahren in die Schweiz gezogenen Jugendlichen. Im Hinblick auf den Bildungsverlauf zeigte sich, dass insbesondere Jugendliche, die ein Jahr der obligatorischen Schulzeit wiederholen mussten, im Vergleich zu den anderen Jugendlichen grössere Schwierigkeiten hatten, einen Abschluss auf der Sekundarstufe II zu erlangen. Schliesslich erreichten lediglich 84.5 Prozent der Jugendlichen, deren Eltern über keine nachobligatorische Ausbildung verfügten, eine Zertifizierung auf der Sekundarstufe II; dies im Gegensatz zu 95.2 Prozent der Jugendlichen, bei denen mindestens ein Elternteil einen Tertiärabschluss erlangt hatte.

Soziale Herkunft, Aufenthaltsdauer und Bildungsverlauf beeinflussen stark die Zertifizierung auf Sekundarstufe II

Ende Februar 2022 kündigte der Genfer Regierungsrat ein Pilotprojekt an, das zum Ziel hat, Mieterinnen und Mietern in Zahlungsschwierigkeiten finanziell zu unterstützen, so dass sie ihre Mietwohnung behalten können. Das «Domos» getaufte Projekt richtet sich laut dem Regierungsrat hauptsächlich an Personen der «unteren Mittelschicht», also Menschen, die zu reich sind, um Sozialhilfe zu erhalten, aber zu arm, um plötzlich sinkende Einkommen abzufedern. Vorübergehende finanzielle Schwierigkeiten, ausgelöst etwa durch die Coronavirus-Pandemie, Trennung oder Arbeitslosigkeit, sollen für diese Menschen durch rasche und unkomplizierte finanzielle Zuschüsse ausgeglichen werden, so dass ihnen nicht der Mietvertrag gekündigt wird.
Der Regierungsrat begründete das Projekt mit aus der Pandemie gezogenen Lehren. Erstens habe man gemerkt, dass die existierenden Systeme der sozialen Sicherheit nicht auf plötzliche Einkommensausfälle ausgerichtet seien. Zweitens könnten gerade im Wohnbereich solche Ausfälle schnell drastische Folgen haben. Zusammen mit Partnerorganisationen aus dem Immobilien- und Sozialbereich – die Union suisse des professionnels de l'immobilier (USPI Genève), die Chambre genevoise immobilière (CGI), der Mieterinnen- und Mieterverband Schweiz (MV) und das Hospice général – stellte der Kanton deshalb Domos auf die Beine. Hauptverantwortlich für die Prüfung von Anträgen soll das Hospice général sein, das bei einem positiven Entscheid Geld aus einem privaten Fonds nehmen und rasch als Zuschuss an die betroffenen Personen überweisen soll. Laut den beteiligten Organisationen sei das Projekt eine win-win-Lösung, die für alle Beteiligten Vorteile habe: Die Mieterinnen und Mieter könnten in schwierigen Zeiten in ihren Wohnungen bleiben, die Verwaltungen bekämen ihre Mieten, hätten Stabilität und müssten keinen administrativen Aufwand betreiben. Für den Kanton habe das Projekt den Vorteil, dass dadurch die Warteliste für Sozialwohnungen nicht noch stärker anwachsen würde. Das Pilotprojekt ist anfänglich für zwei Jahre geplant. Der Regierungsrat schätzt, dass Domos etwa 350 Personen pro Jahr helfen werde.

Genfer Pilotprojekt «Domos»

Am 13. Februar 2022 beschloss die Genfer Stimmbevölkerung, den Zugang zu Sozialwohnungen zu erschweren. Konkret haben mit der Änderung nur noch Personen, die mindestens vier der letzten acht Jahre im Kanton Genf gewohnt haben, Zugang zu einer der knapp 20'000 Genfer Sozialwohnungen. Bisher lag diese Frist bei zwei Jahren Aufenthalt innerhalb der letzten fünf Jahre. Wie die Zeitung Tribune de Genève berichtete, seien aktuell rund 7'300 Personen auf der Warteliste für eine Sozialwohnung, wobei rund 90 Prozent der Bewerbenden das Vierjahreskriterium erfüllen dürften.
Die Änderung ging auf eine vom MCG im Genfer Grossen Rat angestossene und von rechten Parteien mitgetragene Gesetzesänderung zurück. Der MCG begründete sein Anliegen damit, dass es nicht fair sei, dass jemand nach bereits 24 Monaten Aufenthalt Zugang zu einer Sozialwohnung bekomme. Dieser Umstand habe Menschen in prekären Situationen von ausserhalb des Kantons angezogen und dazu geführt, dass Genferinnen und Genfer keine Wohnung finden könnten und gezwungen seien, Genf Richtung Frankreich oder den Kanton Waadt zu verlassen. Die Gesetzesänderung war im Juli 2021 vom Parlament beschlossen worden, wobei anschliessend linke Parteien, Gewerkschaften und Mietverbände das Referendum ergriffen hatten. Die linken Parteien, die sich gegen die Anpassung ausgesprochen hatten, beschrieben das Projekt als «diskriminierend und unsozial» und monierten, dass es nichts am eigentlichen Problem ändere: dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Genf. Ausserdem kritisierten sie die Vorlage für ihren «spaltenden und rein propagandistischen» Charakter. Eine knappe Mehrheit von 50.7 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sprach sich für die Änderung aus. Die Stimmbeteiligung lag bei 54.0 Prozent.

Erschwerter Zugang zu Sozialwohnungen im Kanton Genf

Jahresrückblick 2021: Soziale Gruppen

Eine überaus wichtige Neuerung im Themenbereich der sozialen Gruppen wurde 2021 für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt. Im September nahm die Stimmbevölkerung mit einem deutlichen Ja-Anteil von 64 Prozent die «Ehe für alle» an. Neben der Möglichkeit der Eheschliessung waren damit für gleichgeschlechtliche Paare weitere Ungleichheiten im Familienleben beseitigt worden: In Zukunft ist es auch ihnen möglich, gemeinsam ein Kind zu adoptieren, zudem erhalten verheiratete Frauenpaare Zugang zur Samenspende. Die Relevanz dieser Abstimmung widerspiegelt sich im Ergebnis der APS-Zeitungsanalyse 2021, die einen diesem Ereignis geschuldeten Höchststand an Artikeln zur Familienpolitik im Abstimmungsmonat aufzeigt (vgl. Abbildung 1 im Anhang). Kein anderes Thema im Bereich der sozialen Gruppen erzielte im beobachteten Jahr eine ähnlich hohe mediale Aufmerksamkeit.

Erstmals in der Geschichte der Schweizer Frauen- und Gleichstellungspolitik veröffentlichte der Bundesrat 2021 eine nationale Gleichstellungsstrategie, die jedoch von Frauenorganisationen und linken Parteien kritisiert wurde. Ferner gaben die Kommissionen einer parlamentarischen Initiative Folge, welche die befristete Finanzierung für die familienergänzende Kinderbetreuung durch eine dauerhafte, vom Bund unterstützte Lösung ersetzen will. Der 2022 vorzulegende Entwurf soll die Eltern bei der Finanzierung der Betreuungsplätze massgeblich entlasten und somit zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen. Gleichzeitig wurden im Berichtsjahr aber verschiedene Vorstösse mit ähnlichen, bereits konkreter ausformulierten Vorstellungen in Form einer parlamentarischen Initiative, einer Standesinitiative und einer Motion abgelehnt. Ebenfalls zur Verbesserung der Stellung der Frauen im Beruf beitragen soll die 2018 geschaffene Revision des Gleichstellungsgesetzes, mit der Unternehmen mit über 100 Mitarbeitenden zur Durchführung von Lohnanalysen verpflichtet worden waren. Erste, im August 2021 publizierte Analyseergebnisse von ausgewählten Unternehmen zeichneten ein positives Bild, das jedoch unter anderem wegen fehlender Repräsentativität in Zweifel gezogen wurde. Nach wie vor sind Unternehmen nicht verpflichtet, die Ergebnisse ihrer Lohnanalysen an den Bund zu übermitteln. Gegen eine entsprechende Regelung hatte sich der Ständerat im Juni erfolgreich gewehrt.

Nachdem im Vorjahr der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub in einer Volksabstimmung angenommen worden war, gingen die politischen Diskussionen rund um die Ausdehnung von Urlaubsmöglichkeiten für Eltern 2021 weiter. Eine Standesinitiative aus dem Kanton Jura und eine parlamentarische Initiative mit diesem Ziel stiessen im Parlament indes auf wenig Gehör. Der Nationalrat verabschiedete jedoch ein Kommissionspostulat, das die volkswirtschaftlichen Auswirkungen einer Elternzeit aufzeigen soll. In den Räten setzte sich zudem mit Annahme einer Vorlage zum Adoptionsurlaub eine langjährige Forderung in der Minimalvariante durch: Eltern, die ein Kind unter vier Jahren adoptieren, haben künftig Anrecht auf einen zweiwöchigen Urlaub.

Auch das Thema der Gewalt gegen Frauen blieb 2021 auf der politischen Agenda, immer wieder angetrieben durch Zeitungsberichte über häusliche Gewalt und Femizide. Das Parlament überwies drei Motionen, welche die Bereitstellung eines 24-stündigen Beratungsangebots für von Gewalt betroffene Personen forderten, wozu sich die Schweiz 2017 im Rahmen der Ratifikation der Konvention von Istanbul verpflichtet hatte. Ein Zeichen gegen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche setzte der Nationalrat auch durch Befürwortung einer Motion, die das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung im Zivilgesetzbuch verankern möchte. Der Ständerat äusserte sich bis Ende Jahr noch nicht zum Geschäft. Ebenfalls kam es zu breiten medialen Vorwürfen bezüglich Gewalt in Bundesasylzentren, woraufhin das SEM einen Bericht erarbeiten liess.

Nicht zuletzt wurde im Berichtsjahr mit verschiedensten Publikationen und Aktionen auf das 50-jährige Bestehen des Frauenstimm- und -wahlrechts Bezug genommen. Mit Corona-bedingter Verspätung fand im September die offizielle Feier des Bundes statt. Ende Oktober tagte zum zweiten Mal nach 1991 die Frauensession, die insgesamt 23 Forderungen zu unterschiedlichen Themen als Petitionen verabschiedete. Darüber hinaus wurde an diesen Anlässen auch über die Gewährung politischer Rechte an weitere Gruppen diskutiert, so etwa an Personen ohne Schweizer Pass, Minderjährige und Menschen mit einer Beeinträchtigung. Bezüglich Letzteren nahm der Ständerat im Herbst 2021 ein Postulat an, das den Bundesrat aufforderte, Massnahmen aufzuzeigen, damit auch Menschen mit einer geistigen Behinderung uneingeschränkt am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können.

Wie die APS-Zeitungsanalyse 2021 zeigt, erhielten Fragen rund um die Familien- und Gleichstellungspolitik im Jahr 2021 im Gegensatz zu Fragen zur Asyl- und Migrationspolitik überaus starke mediale Aufmerksamkeit. Der Zeitvergleich macht überdies deutlich, dass die Berichterstattung im Bereich Asyl und Migration über die letzten Jahre konstant an Bedeutung eingebüsst hat.

Dieses fehlende Interesse der Medien ist ob der umstrittenen Gesetzesänderungen des Parlaments im Bereich Asylpolitik, welche die Grundrechte der Asylsuchenden einschränkten, bemerkenswert. So können Schweizer Behörden künftig mobile Geräte der Asylsuchenden verwenden, um beim Fehlen von Ausweispapieren Rückschlüsse auf die Identität einer Person zu gewinnen. Dieser Beschluss provozierte eine negative Reaktion des UNHCR. Zudem schuf das Parlament ein Reiseverbot für vorläufig aufgenommene Personen und entschied, dass Personen in Ausschaffungshaft zum Wegweisungsvollzug zur Durchführung eines Covid-19-Tests gezwungen werden können. Unterschiedliche Ansichten vertraten die beiden Räte in Bezug auf junge Asylbewerbende. So lehnte es der Ständerat ab, die Administrativhaft für Minderjährige abzuschaffen, nachdem sich der Nationalrat für diese Forderung im Vorjahr noch offen gezeigt hatte. Ebenso setzte sich der Nationalrat im Berichtsjahr durch Unterstützung einer Motion dafür ein, dass Personen mit abgewiesenem Asylentscheid ihre berufliche Ausbildung beenden dürfen, während sich der Ständerat nach der Beratung einer anderen Motion gegen diese Möglichkeit aussprach. Schliesslich wollte der Ständerat den Familiennachzug von Schutzbedürftigen erschweren, wogegen sich der Nationalrat aber erfolgreich sträubte. Im Sammelstadium scheiterte überdies eine Volksinitiative des ehemaligen Nationalrats Luzi Stamm, gemäss welcher Asylbewerbende in der Schweiz nur noch mit Sachleistungen hätten unterstützt werden sollen: Seine Volksinitiative «Hilfe vor Ort im Asylbereich», die in erster Linie Flüchtlingen primär in der Nähe der Krisengebiete und nicht in der Schweiz helfen wollte, scheiterte an den direktdemokratischen Hürden.

Jahresrückblick 2021: Soziale Gruppen
Dossier: Jahresrückblick 2021

Nachdem der Ständerat die Motion von Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU) aufgrund eines Ordnungsantrages an die SPK-SR zur Vorberatung überwiesen hatte, empfahl diese den Vorstoss im März 2021 mit 8 zu 4 Stimmen zur Ablehnung. In der Herbstsession 2021 beugte sich sodann der Ständerat über die Motion, welche forderte, dass der Bundesrat in Krisenzeiten die Situation von Menschen, die keinen rechtlich geregelten Status haben, berücksichtigt. Eine Kommissionsmehrheit und der Bundesrat lehnten den Vorstoss unter anderem ab, weil es sich erstens um Personen handle, die eigentlich gar nicht in der Schweiz sein dürften, sie zweitens bereits jetzt Zugang zum Gesundheitswesen sowie zu Nothilfe hätten und weil drittens das AIG während Krisenzeiten bereits erlaube, dass Härtefälle eine Aufnahmebewilligung erhielten, wie Philippe Bauer (fdp, NE) für die Kommission ausführte. Mathias Zopfi (gps, GL) hielt im Namen der Minderheit dagegen, dass sich gerade Sans-Papiers aus Angst vor einer Abschiebung eben nicht trauen würden, mit den Behörden in Kontakt zu treten, um Nothilfe zu beantragen, weshalb diese Motion aus seiner Sicht zielführendere Lösungen in Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen vorsehe. Dies schien den Ständerat aber nicht zu überzeugen – er lehnte die Vorlage mit 27 zu 13 Stimmen (1 Enthaltung) ab.

Prendre en considération la situation des personnes sans statut légal (Mo. 20.3420)

Die Mehrheit der SGK-SR sah bei ihrer Vorberatung der Motion zu den Ersatzleistungen für befristete Drittbetreuungskosten durch den krankheits- oder unfallbedingten Ausfall von Betreuungspersonen «keinen Handlungsbedarf auf Ebene des Bundes». Zwar sei diese Problematik in der Tat nicht geregelt, eine entsprechende bedarfsorientierte Notfallhilfe liege jedoch in der Verantwortung der Kantone. Die Kommissionsminderheit verwies hingegen auf mögliche Notsituationen, weshalb die Problemstellung geprüft werden solle. Nach ausführlichen Wortmeldungen sprach sich der Ständerat in der Sommersession 2021 äusserst knapp mit 21 zu 20 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) gegen die Annahme der Motion aus, womit diese Problematik weiterhin ungeregelt bleibt.

Ersatzleistungen für befristete Drittbetreuungskosten infolge krankheits- oder unfallbedingter Unfähigkeit zur Betreuung von betreuungsbedürftigen Personen

In der Sommersession 2021 schrieben die eidgenössischen Räte die beiden gleichlautenden Motionen ihrer Rechtskommissionen «Gerechtigkeit für Verdingkinder» (Mo. 19.3971 und 19.3973) ab. Deren Forderung, den ehemaligen Verdingkindern die Genugtuung ohne Anrechnung an die Ergänzungsleistungen auszubezahlen, war mit der parlamentarischen Initiative 19.476 inzwischen erfüllt worden.

Gerechtigkeit für Verdingkinder: Gewährleistung der Ergänzungsleistungen (Mo. 19.3971 und 19.3973, Pa.Iv. 19.476)
Dossier: Wiedergutmachung für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen

Im Rahmen der Beratungen zum Bericht über Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahr 2020 schrieb der Nationalrat das Postulat der SPK-NR, das eine gesamthafte Prüfung der Problematik der Sans-Papiers verlangte, in der Sommersession 2021 nach Erscheinen eines entsprechenden Berichts in Erfüllung des Vorstosses ab.

Pour un examen global de la problématique des sans-papiers (Po. 18.3381)

Ständerätin Marianne Maret (mitte, VS) forderte im März 2021 in einem Postulat vom Bundesrat, den Bericht von 2007 über die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden in der Schweiz zu aktualisieren und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die laufende Pandemie habe aufgezeigt, in welch prekärer Lage sich viele Kulturschaffende befänden, wobei Freischaffende sowie Personen mit befristeten Anstellungen ganz besonders betroffen seien, erörterte die Mitte-Ständerätin. Dem stimmte auch Bundesrat Alain Berset – welcher die Annahme des Postulates beantragte – zu, wobei er betonte, dass die Pandemie diesen Umstand nicht verursacht habe. Vielmehr liege die Problematik im Schweizer Sozialversicherungssystem, welches nicht auf flexible Arbeitsverhältnisse, wie sie im Kultursektor dominieren, ausgerichtet sei. Dies führe zu einem ungenügenden Schutz der Betroffenen. In Zukunft werde es das Ziel sein, das System der Realität der Bevölkerung anzupassen und Lücken in der Sozialversicherung zu schliessen. Die Erarbeitung dieses Berichts würde auf dem Bericht des BFS von Oktober 2020 basieren und würde vom BAK übernommen, wobei dieses eng mit dem BSV und dem SECO zusammenarbeiten würde, wie es bereits 2007 der Fall gewesen sei. Das Postulat wurde im Ständerat stillschweigend und ohne weitere Diskussionen angenommen.

Wie steht es um die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden in der Schweiz? (Po. 21.3281)

Jahresrückblick 2020: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport

Die Gesundheitspolitik stand 2020, wie die gesamte Schweizer Politik, ganz im Zeichen der Corona-Pandemie, welche die Schweiz im Februar – damals noch als Epidemie eingestuft – erreichte und seither in Atem hält. Die steigenden Infektionszahlen veranlassten den Bundesrat dazu, am 28. Februar die «besondere Lage» gemäss Epidemiengesetz auszurufen, mit welcher der Bund die Weisungsbefugnisse gegenüber den Kantonen sowie die Verantwortung für die Krisenbewältigung übernahm. Zudem verabschiedete die Regierung die Verordnung über «Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19)», durch welche Grossveranstaltungen mit über 1'000 Personen bis auf Weiteres verboten wurden. Dennoch stiegen die Fallzahlen in der Folge drastisch an, so dass der Bundesrat am 13. März in einer zweiten Verordnung die Einreise aus Risikoländern einschränkte und das Zusammenkommen von über 100 Personen untersagte.
Nachdem auch diese Massnahmen dem Anstieg der Fallzahlen keinen Einhalt gebieten konnten, verkündete der Bundesrat am 16. März die ausserordentliche Lage gemäss dem Epidemiengesetz und ordnete einen Lockdown an, um weiterhin genügend freie Betten in Krankenhäusern garantieren zu können. Abgesehen von Lebensmittelgeschäften und Gesundheitseinrichtungen mussten sämtliche Läden, Restaurants, Bars sowie Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe schliessen. Öffentliche und private Veranstaltungen wurden untersagt, der Präsenzunterricht in Schulen wurden verboten und die Bevölkerung wurde dazu angehalten, zuhause zu bleiben und wenn möglich Homeoffice zu betreiben. Einhalten der Hygienemassnahmen und Abstand wahren – was sich in den darauffolgenden Monaten noch als Social Distancing durchsetzen sollte –, waren die Devise. Die Grenzen zu sämtlichen noch offenen grossen Nachbarländern wurden geschlossen und Schweizerinnen und Schweizer zurück ins Land gerufen. In diesem Zusammenhang organisierte die Regierung Rückholaktionen von im Ausland gestrandeten Bürgerinnen und Bürgern, an der sich auch die Rega beteiligte.
Am 20. März reduzierte die Landesregierung die erlaubte Gruppengrösse von öffentlichen Versammlungen weiter auf fünf Personen. Da die Spitäler stark beansprucht waren, verbot sie zudem die Durchführung von nicht dringend notwendigen Untersuchungen, Eingriffen und Therapien in medizinischen Einrichtungen], was dazu führte, dass die Spitäler erhebliche finanzielle Einbussen erlitten. Gleichzeitig hob der Bundesrat die Bestimmungen zu Arbeits- und Ruhezeiten im Gesundheitswesen auf, um der Problematik der knappen personellen Ressourcen begegnen zu können.
Am 8. April verlängerte der Bundesrat die Massnahmen der ausserordentlichen Lage bis zum 26. April, kündigte aber am 16. April erste Lockerungsschritte an, die bis im Juni erfolgten. In der Folge entspannte sich die Situation während den Sommermonaten, so dass der Bundesrat das Corona-Zepter an die Kantone zurückgegeben konnte. Diese Beruhigung der Lage war jedoch nur von begrenzter Dauer: Aufgrund der steigenden Fallzahlen erliess der Bundesrat am 18. Oktober erneut landesweite Massnahmen wie zum Beispiel ein Versammlungsverbot von mehr als 15 Personen.
Weil die vom Bundesrat erlassenen Notverordnungen nach sechs Monaten automatisch ausser Kraft treten, mussten die darin enthaltenen Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in Bundesgesetz gegossen werden. In der Herbstsession behandelte das Parlament entsprechend das stark umstrittene dringliche Covid-19-Gesetz, zu dem der Verein «Freunde der Verfassung» das Referendum ergreifen wollte. Bereits in der Wintersession und somit noch vor Ablauf der Referendumsfrist nahm das Parlament auf Antrag des Bundesrates zudem einige Anpassungen am neuen Gesetz vor, die es dem Bundesrat ermöglichen sollen, die Auswirkungen der zweiten Welle abzudämpfen.

Obwohl die Corona-Pandemie den Parlamentsbetrieb zweifelsohne dominierte, wurden auch andere Geschäfte in der Gesundheitspolitik behandelt. Im Bereich der Krankenpflege war dies zum Beispiel der indirekte Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative, dem sich die beiden Räte in mehreren Sessionen annahmen. Der Pflegeberuf hatte durch die Coronakrise zwar an Ansehen gewonnen, trotzdem gab es zwischen den beiden Parlamentskammern unter anderem noch Differenzen bezüglich des eigenständigen Abrechnens durch die Pflegefachpersonen mit den Krankenkassen oder bezüglich der Ausbildungsbeiträge durch die Kantone.
Weiter ermöglichten die beiden Räte in der Herbstsession Versuche zur kontrollierten Abgabe von Cannabis, von denen man sich einen Erkenntnisgewinn zu alternativen Regulierungsformen erhoffte. Auch medizinischer Cannabis war 2020 ein Thema: So beabsichtigte der Bundesrat, den Zugang zu medizinischen Cannabisbehandlungen zu ermöglichen. Die Volkskammer befasste sich in der Wintersession mit dem Geschäft und hiess die entsprechende Änderung am BetmG gut.
Im Spätsommer gab die Landesregierung bekannt, dass sie die Initiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» zur Ablehnung empfehle, da ihr das Anliegen zu weit gehe. Es müsse ein gewisses Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen Interessen und den Interessen der öffentlichen Gesundheit bestehen, was der Bundesrat beim Volksbergehren, das ein weitreichendes Verbot für Tabakproduktewerbung vorsah, als nicht gegeben erachtete. Er unterstütze allerdings den Jugendschutz im Rahmen der parlamentarischen Debatte zum Tabakproduktegesetz, mit dem sich der Nationalrat im Dezember 2020 auseinandersetzte.

Während in der Sportpolitik zu Beginn des Jahres Themen wie die in Lausanne organisierten Olympischen Winterjugendspiele und das Fortbestehen des Lauberhornrennens in den Schlagzeilen waren, wichen diese Ende Februar Artikeln im Zusammenhang mit Covid-19. So traf die Absage von Grossveranstaltungen vor allem die Profiligen des Fussballs und des Eishockeys hart. Nachdem die Ligen zuerst eine vorläufige Pause eingelegt hatten, wurden die Saisons am 12. März (Eishockey) respektive 30. April (die unteren Ligen im Fussball) definitiv abgebrochen. Zwischenzeitlich kam es zu Diskussionen, ob Geisterspiele durchgeführt oder ganz auf den Spielbetrieb verzichtet werden sollte. Um die wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus zu dämpfen, sagte der Bundesrat am 20. März der Sportbranche CHF 100 Mio. zu, wobei die eine Hälfte in Form von zinslosen Darlehen an den Spitzensport und die andere Hälfte als A-fonds-perdu-Beiträge an den Breitensport gehen sollten. Da dies nicht ausreichte, wurde Mitte Mai ein Stabilisierungspaket im Umfang von einer halben Milliarde Franken festgelegt. Im Rahmen der Behandlung des Covid-19-Gesetzes im September einigten sich National- und Ständerat darauf, dass nicht die Ligen, sondern die Sportvereine selber Darlehen erhalten sollen, wobei sie Sicherheiten im Umfang von einem Viertel ihres betrieblichen Aufwandes der Saison 2018/19 zu leisten haben. Anfang November stellte Sportministerin Amherd ein Hilfspaket für den Sport vor, das bis Ende 2021 CHF 350 Mio. für den Spitzensport und CHF 200 Mio. für den Breitensport vorsah und von dem auch semiprofessionelle Teams verschiedener weiterer Sportarten profitieren können sollen.

Nicht nur für die Unternehmen und die Sportvereine, sondern auch für die Schweizer Bevölkerung hatte die Corona-Pandemie grosse finanzielle Einbussen zur Folge, weshalb sich auch im Themenbereich Sozialhilfe einiges tat. Dabei würden aber nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich stark von der Krise getroffen, berichteten die Medien. Der Krise besonders stark ausgesetzt seien die unteren Einkommensschichten, wo bereits einige Hundert Franken, die beispielsweise wegen dem durch Kurzarbeit für viele Personen auf 80 Prozent reduzierten Lohn wegfielen, einen grossen Unterschied machten. Aus diesem Grunde hielt die Hilfsorganisation Caritas den Bundesrat und das Parlament dazu an, Unterstützungsprogramme, die einmalige Direktzahlungen in der Höhe von CHF 1'000 beinhalteten, für armutsbetroffene Haushalte und Einzelpersonen zu beschliessen. Die durch die Pandemie gemäss Medien verstärkten Ungleichheiten in der Bevölkerung wurden insbesondere anhand der teilweise über einen Kilometer langen Menschenschlangen vor Lebensmittelausgabestellen in Genf oder Zürich ersichtlich. Besonders stark auf solche Angebote angewiesen waren viele Sans-Papiers, die keine Sozialhilfe beziehen können, sowie Ausländerinnen und Ausländer mit Aufenthalts- bzw. Niederlassungsbewilligung, da diese einen Widerruf ihrer Bewilligungen riskierten, wenn sie Sozialhilfe bezögen.
Bereits im Vorjahr – also noch vor der Pandemie – hatte der Ständerat eine Motion der WBK-SR (Mo. 19.3953) behandelt, welche die Einrichtung eines fünfjährigen Monitoring-Zyklus zur Prävention und Bekämpfung von Armut beabsichtigte. Der Nationalrat stimmte dem Kommissionsbegehren in der Sommersession 2020 zu; dies wohl auch im Lichte der gegebenen Umstände, wie einige Medien mutmassten.

Welch gewaltigen Raum die Thematik rund um die Covid-19-Pandemie in der Medienberichterstattung einnahm, widerspiegelt sich auch in der Anzahl dazu veröffentlichter Zeitungsartikel (siehe APS-Zeitungsanalyse 2020). Dabei dominierte die Pandemie nicht nur die Berichterstattung im Themenbereich «Gesundheitspolitik» (siehe Abb. 1), sondern machte zu Zeiten, wo die Covid-19-Fallzahlen sehr hoch waren – sprich im Frühjahr und im Herbst –, sogar gut ein Drittel beziehungsweise ein Viertel der abgelegten Zeitungsberichte über alle untersuchten Zeitungen und Themen hinweg aus. Während sich die Artikelzahl zur Sozialhilfe 2020 auf konstant tiefem Niveau hielt, ist für den Sport im Mai ein leichter Peak erkennbar. Im September, als das Parlament das Covid-19-Gesetz beriet, von welchem auch der Sport stark betroffen war, fiel die Medienpräsenz hingegen sehr gering aus.

Jahresrückblick 2020: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Dossier: Jahresrückblick 2020

Der in Erfüllung eines Postulats der SPK-NR erschienene Bericht zur gesamthaften Prüfung der Problematik der Sans-Papiers evaluierte in erster Linie die Auswirkungen der geltenden Sozialversicherungspflicht für die schätzungsweise 76'000 in der Schweiz lebenden Sans-Papiers. Für Personen ohne geregelten Aufenthaltsstatus gilt in der Schweiz die Pflicht, sich bestimmten Sozialversicherungen anzuschliessen, und das Recht, entsprechende daraus erwachsende Leistungen zu beziehen. Da zum Anschluss an die Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die AHV, die IV, die Erwerbsersatzordnung und die Familienzulagen in der Regel kein Nachweis des rechtmässigen Aufenthalts erbracht werden muss, können sich Sans-Papiers diesen Versicherungen anschliessen – dies im Unterschied zur Sozialhilfe, zu den Ergänzungsleistungen und zur Arbeitslosenversicherung. In seinem Bericht kam der Bundesrat zum Schluss, dass ein Ausschluss von Sans-Papiers von den Sozialversicherungen verschiedenen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz, insbesondere im Rahmen des UNO-Pakts I, der Kinderrechtskonvention und der EMRK, zuwiderlaufen würde. Auch mit den in der Bundesverfassung festgehaltenen Sozialzielen wäre ein solcher Ausschluss nicht vereinbar. Nicht zuletzt befürchtete der Bundesrat bei einem Sozialversicherungsausschluss eine Umwälzung der Kosten auf die Kantone und Gemeinden via die Nothilfe sowie einen stärkeren finanziellen Anreiz für Arbeitgebende zur Beschäftigung von Sans-Papiers, da sie für diese keine Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten hätten. Aus diesen Gründen und nach Prüfung möglicher Alternativen möchte der Bundesrat an der bisherigen Praxis festhalten. Ebenso lehnte der Bundesrat in seinem Bericht Teilregularisierungen oder kollektive Regularisierungen dieser Personengruppe ab. Auch hier verwies er auf die geltenden Bestimmungen, die den föderalen Einheiten ausreichend Spielraum für die Bewilligung von Härtefällen lassen würden.

Pour un examen global de la problématique des sans-papiers (Po. 18.3381)