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In der Wintersession 2021 stand die Behandlung einer parlamentarischen Initiative Heer (svp, ZH) bezüglich einer Änderung des Epidemiengesetzes (EpG) auf der Traktandenliste des Nationalrates. Der Initiant störte sich insbesondere an Artikel 6 des Gesetzes, in welchem die besondere Lage definiert ist und welcher dem Bundesrat in diesen Ausnahmesituationen Vollmachten verleiht. Das «Hüst und Hott» der Landesregierung im Rahmen der Covid-19-Pandemie sei nicht länger hinnehmbar, vielmehr erfordere eine solche Einschränkung von Grundrechten, wie sie durch das Epidemiengesetz möglich seien, eine breitere Abstützung durch die Bundesversammlung. Kommissionssprecherin Flavia Wasserfallen (sp, BE) erklärte, dass die SGK-NR zwar die Meinung vertrete, dass es einer Revision des EpG bedürfe – deshalb sei auch die Kommissionsmotion 21.3963 eingereicht worden –, allerdings sei eine umfassende Überarbeitung des Gesetzes und eine Überprüfung aller darin enthaltener Aspekte nötig. Dies erfordere Zeit, da dafür die im Rahmen der Pandemie ergriffenen Massnahmen analysiert und die verschiedenen Zuständigkeiten überprüft werden müssten. Mit 17 zu 5 Stimmen beantragte die Kommission daher, auf Folgegeben zu verzichten, wobei sich eine Kommissionsminderheit für Folgegeben aussprach. Der Nationalrat folgte mit 135 zu 51 Stimmen deutlich seiner Kommissionsmehrheit.

Änderung des Epidemiengesetzes (Pa.Iv. 20.503)

Nachdem die grosse Kammer der parlamentarischen Initiative von Sidney Kamerzin (mitte, VS) Folge gegeben hatte, musste sich das Büro-SR ein weiteres Mal über das Anliegen für ein papierloses Parlament beugen. Zum zweiten Mal empfahl es den Vorstoss zur Ablehnung. Die Möglichkeit, alle Unterlagen elektronisch zu erhalten, bestehe bereits heute, wovon allerdings erst 29 Mitglieder des Nationalrats und 7 des Ständerats Gebrauch machten. Ein Grund für diese geringe Anzahl seien die noch bestehenden Nachteile. Dabei sei nicht nur an die «E-Mailflut» zu denken, sondern an die Schwierigkeit, auf alle Unterlagen zugreifen zu können, so der Bericht des Büros. Dies sei erst ab 2023 mit «CuriaPlus» möglich. Mit dieser sich im Aufbau befindlichen Plattform seien alle Kommissions- und Ratsinformationen zu einem Geschäft zentral erhältlich, durchsuch- und bearbeitbar. CuriaPlus werde eine papierlose parlamentarische Arbeit ohne Zusatzaufwand ermöglichen.
In der ständerätlichen Ratsdebatte machte sich Ruedi Noser (fdp, ZH) für die Unterstützung des nationalrätlichen Beschlusses und für Folgegeben stark. Angelehnt an die Argumente des Büro-SR würde er bei der Ausarbeitung der parlamentarischen Initiative durch das Büro-NR empfehlen, dass nicht ein Verbot von Papier verlangt wird, sondern dass das Prinzip «digital first» eingeführt werde. Anders als heute würden die Unterlagen also nicht automatisch in Papierform verteilt («Papier first»), sondern wer dies wolle, müsse Papier nachfragen. Zudem würde er empfehlen, die Initiative auf die neue Legislatur hin umzusetzen, wenn auch die neue digitale Infrastruktur zur Verfügung stehen werde. Zwar fand Noser in Hans Wicki (fdp, NW), Matthias Michel (fdp, ZG) und Lisa Mazzone (gp, GE) Unterstützung – alle drei brachten in ihren Voten zum Ausdruck, mithelfen zu wollen, weniger Papier zu produzieren. Die Mehrheit des Ständerats wollte der Initiative aber mit 25 zu 15 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) keine Folge geben. Hauptargumente – vorgebracht von Werner Salzmann (svp, BE) und Alex Kuprecht (svp, SZ) – waren ebenfalls, dass CuriaPlus bereits im Entstehen sei und dass eine raschere Umsetzung auch mit Folgegeben der Initiative wohl kaum möglich wäre.

Papierloses Parlament (Pa.Iv. 20.442)

Mit 7 zu 4 Stimmen (bei 1 Enthaltung) sprach sich die WAK-SR im April 2022 dagegen aus, der Forderung ihrer Schwesterkommission, die Gewinne der SNB aus den Straf- respektive Negativzinsen der AHV zukommen zu lassen, Folge zu geben. Dennoch hielt die nationalrätliche Kommission mehrheitlich an ihrem Anliegen fest und beantragte dem Nationalrat mit 14 zu 9 Stimmen Folgegeben. Zwar ermögliche eine solche Regelung keine nachhaltige Reform der AHV, man könne damit aber die hohe Belastung der Sozialwerke durch die Negativzinsen teilweise kompensieren, wurde argumentiert. Eine Minderheit Müller (mitte, LU) befürchtete, dass eine solche Regelung strukturelle Reformen bei der AHV verzögere oder gar verunmögliche, und kritisierte sie als Eingriff in die Unabhängigkeit der SNB.
Ende November 2021 sprach sich der Nationalrat mit 108 zu 71 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) für Folgegeben aus. Die geschlossen stimmenden Fraktionen der GLP und FDP.Liberalen, die Mehrheit der Mitte-Fraktion sowie eine Minderheit der SVP-Fraktion sprachen sich gegen die Initiative aus.

Gewinne der Schweizerischen Nationalbank aus den Straf- resp. Negativzinsen der AHV zuweisen (Pa.Iv. 20.432)
Dossier: Was tun mit den Erträgen der Schweizerischen Nationalbank?

In der Begründung seiner parlamentarischen Initiative warnte Jean-Luc Addor (svp, VS) explizit vor einer parlamentarischen Initiative der Grünen Fraktion. Er selber verlange eine gerichtliche Kontrolle von Notrecht durch das Bundesgericht, wenn gegen notrechtliche Beschlüsse des Bundesrats Beschwerde eingereicht werde. Im Gegensatz dazu fordere der Vorstoss der Grünen Fraktion die Kontrolle nicht nur von bundesrätlichen, sondern auch von parlamentarischen Notverordnungen durch das Bundesgericht, was eine «gefährliche Büchse der Pandora» öffne, weil dadurch die Balance zwischen den Gewalten ausgehebelt würde. Es sei richtig, dass es in der Schweiz keine Verfassungsgerichtsbarkeit gebe – dieser Idee käme die von den Grünen geforderte abstrakte Normenkontrolle durch das Bundesgericht aber sehr nahe. Die Bundesversammlung als oberste Gewalt wähle die Judikative und könne deshalb von dieser eben nicht kontrolliert werden. Dieser Grundsatz gelte aber eigentlich nicht für die Exekutive. Hier herrsche eine Lücke im Bundesrecht. «Bürgerinnen und Bürger, die sich als Opfer von ungerechtfertigten Verletzung ihrer Grundrechte sehen», hätten heute nur die Möglichkeit, «die durch das Notrecht auferlegten Einschränkungen zu missachten». Mit der Ermöglichung einer Beschwerde beim Bundesgericht gegen Notrechtsbeschlüsse des Bundesrats könnte diese Lücke geschlossen werden. Mitte Oktober 2021 zog Addor seinen Vorstoss zurück.

Gerichtliche Kontrolle von Notrecht (Pa.Iv. 21.404)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Am 13. September 2021 war die Covid-19-Zertifikatspflicht ausgeweitet worden. Dieses Zertifikat galt als Nachweis dafür, dass eine Person gegen Covid-19 geimpft, davon genesen oder negativ dagegen getestet worden war. Das Vorweisen eines solchen Zertifikats war zum Beispiel Bedingung für die Teilnahme an Veranstaltungen, den Besuch von Restaurants oder Kinos oder für Reisen in andere Länder. Explizit ausgenommen von der Zertifikatspflicht waren hingegen Parlamente und Gemeindeversammlungen, damit die politischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger nicht eingeschränkt werden.
Bereits Ende August 2021 hatten sich Gesundheitspolitikerinnen der SP dafür starkgemacht, dass auch für das eidgenössische Parlament eine Zertifikatspflicht eingeführt wird; sie stiessen allerdings sogar in der eigenen Fraktion auf Widerstand. Dies wäre zwar gesundheitspolitisch sinnvoll, rechtlich aber wohl nicht machbar, so die ziemlich einhellige Meinung in allen Parteien. Eine solche Pflicht würde nicht nur gegen den Schutz der politischen Rechte verstossen, es müsste dafür wohl gar eine Gesetzesänderung beschlossen werden.
Darauf hin folgte jedoch ein ziemlich starkes mediales Gewitter: Es sei «absurd», dass das Parlament keine Zertifikatspflicht einführen und einen «Corona-Sonderzug für Politiker» fahren wolle, wetterte etwa der Tages-Anzeiger. Die «zertifikatsfreie Zone» sei ein «verheerendes Signal». Man werde so zudem den Verdacht nicht los, dass die Zertifikatspflicht wohl doch wesentlich einschneidender sei, als der Bundesrat jeweils betone. Selbst ansonsten eher massnahmenkritische SVP-Politikerinnen und -Politiker hätten gemerkt, dass «das Politikerprivileg im Volk schlecht ankommt», analysierte die Sonntags-Zeitung. Man könne nicht Gesetze machen und von den Bürgerinnen und Bürgern verlangen, diese einzuhalten, sich selbst als Parlament dann aber nicht daran halten, zitierte der Blick etwa Alex Kuprecht (svp, SZ). In der Folge forderten sämtliche Parteipräsidentinnen und -präsidenten mit Ausnahme des Präsidenten der SVP in einem offenen Brief an die Verwaltungsdelegation, für die Herbstsession eine Covid-19-Zertifikatspflicht für den Zutritt zum Parlamentsgebäude einzuführen. Es gebe «keinen überzeugenden Grund», Parlamentsmitglieder davon auszunehmen, so der Brief.

Die SPK-SR nahm in der Folge den Ball auf und reichte eine parlamentarische Initiative für eine für die Änderung der Zugangsbedingungen nötige Revision des Parlamentsgesetzes ein. Da für den Zugang nur mindestens ein Covid-19-Test nötig sei, sei es verhältnismässig, eine Covid-19-Zertifikatspflicht auch für den Eintritt zum Bundeshauses zu verlangen, begründete die Kommission ihr Vorgehen. Damit könnten auch Maskenpflicht und Plexiglaswände aufgehoben und somit die Kommunikation zwischen Parlamentsmitgliedern verbessert werden. Da die SPK-NR lediglich einen Tag nach ihrer Einreichung der parlamentarischen Initiative Folge gab, legte die ständerätliche Kommission ein paar Tage später bereits einen dringlichen Entwurf für eine entsprechende Revision des Parlamentsgesetzes vor, der vom Bundesrat begrüsst und noch in der Herbstsession 2021 von beiden Kammern beraten wurde.

Man stehe vor einem staatspolitisch brisanten Entscheid, leitete Andrea Caroni (fdp, AR) die Debatte im Ständerat ein. Man müsse sich bewusst sein, dass man damit unter Umständen Ratsmitglieder von der Teilnahme an einer Session ausschliesse. Freilich sei auch das öffentliche Interesse gross, sei doch viel mediale Kritik auf das Parlament eingeprasselt, weil zwar für den Zugang zu zahlreichen Innenräumen, nicht aber für den Zugang zum Bundeshaus eine Zertifikatspflicht gelte. Die gesetzliche Grundlage für eine Zertifikatspflicht sei nun aber nötig, weil sie nicht nur die Handlungsfähigkeit des Parlaments verbessere, sondern weil man damit auch beweisen könne, dass die vom Parlament beschlossene Pflicht auch im Bundeshaus problemlos umgesetzt werden könne. Die Kommission empfehle die Vorlage mit 9 zu 2 Stimmen zur Annahme, so der Kommissionssprecher Caroni. Mit einem Einzelantrag warb Beat Rieder (mitte, VS) in der Folge für Nichteintreten. Statt auf «Selbstverantwortung, Solidarität und Eigenverantwortung» setze man mit der Zertifikatspflicht auf «einen staatlichen Kontrollmechanismus». All diese Massnahmen würden zudem mit einem Tempo durchgepeitscht, welches die Bevölkerung spalte. Ein Ja zur Vorlage könne zudem auch als Signal an den Bundesrat gelesen werden, ohne Grenzen «grundrechtswidrige Entscheide» treffen zu dürfen. Mit 35 zu 7 Stimmen entschied sich der Ständerat allerdings für Eintreten.
Der Entwurf der SPK-SR sah vor, dass Personen ab dem 16. Altersjahr nur dann Zutritt zum Parlamentsgebäude erhalten, wenn sie ein Covid-19-Zertifikat vorweisen. Die Kosten für notwendige Tests für die Ausstellung eines Zertifikats sollten jenen Personen vergütet werden, die zwingend Zutritt zum Parlamentsgebäude benötigten. Der Verwaltungsdelegation oblag die Definition dieser Personengruppe und die Organisation der Kontrolle. Ihr wurde auch das Entscheidungsrecht übertragen, die Zertifikatspflicht wieder aufzuheben, wenn die epidemiologische Lage dies erlaubt. Stefan Engler (mitte, GR) verlangte in der Detailberatung eine Ausnahmeregelung für Personen, die eine Maske tragen und sich für das Contact Tracing registrieren liessen. Mit 21 zu 14 Stimmen (7 Enthaltungen) hiess der Ständerat diesen Antrag gut. Mit 23 zu 18 Stimmen (2 Enthaltungen) abgelehnt wurde hingegen ein Antrag einer Kommissionsminderheit, die eine Zertifikatspflicht nicht nur für den Zugang zum Parlamentsgebäude, sondern auch zu Kommissionssitzungen und ausserparlamentarischen Aktivitäten verlangt hätte. Die Gesamtabstimmung passierte der so modifizierte Entwurf mit 36 zu 6 Stimmen (1 Enthaltung).

Auch im Nationalrat wurden, einen Tag nach dem ständerätlichen Entscheid, Eintreten und Detailberatung in einer einzigen Debatte durchgeführt. Wie aufgrund des oben erwähnten Briefes der Parteipräsidien zu erwarten, wurde die Einführung einer Zertifikatspflicht von allen Fraktionen ausser der SVP begrüsst. Er habe ein «ungutes Gefühl», argumentierte Gregor Rutz (svp, ZH) für seine Fraktion. Unter Zeitdruck beschlossene Gesetze seien selten gut, weil man in Krisensituationen zu «Flüchtigkeitsfehlern» neige. Dieses schlechte Gefühl nähre sich auch am Umstand, dass man hier aufgrund medialen Drucks agiere und nicht, weil es gesundheitspolitisch nötig sei. Der SVP-Fraktionssprecher erinnerte zudem an die Geschichtsbücher: 1932 seien sozialdemokratische und kommunistische Nationalratsmitglieder per Parlamentsbeschluss ausgeschlossen worden. Der Ausschluss von Parlamentarierinnen und Parlamentariern, die sich weder testen noch impfen lassen wollten, komme dieser «verfassungsrechtlich höchst fragwürdigen» Aktion sehr nahe. Die Fraktion sehe aber auch, dass das Gesetz den Parlamentsbetrieb erleichtern würde. Die Mehrheit der SVP-Fraktion werde sich deshalb der Stimme enthalten.
Eintreten wurde in der Folge ohne Gegenantrag beschlossen. In der Detailberatung lagen zwei Minderheitenanträge vor. Eine Minderheit Binder (mitte, AG) beantragte die Streichung der vom Ständerat gemachten Ausnahme. Die Zertifikatspflicht sei keine Impfpflicht. Man könne von Parlamentsmitgliedern verlangen, dass sie sich testen lassen, weshalb eine Ausnahme nicht nötig sei, so die Argumentation dieser durch Marianne Streiff-Feller (evp, BE) vertretenen Minderheit. Eine zweite Minderheit Rutz wollte die Verwaltungsdelegation verpflichten, alle acht Wochen zu prüfen, ob die Massnahme noch notwendig sei. Beide Minderheiten wurden deutlich abgelehnt. Mit 146 zu 27 Stimmen (bei 17 Enthaltungen) passierte der gegenüber dem Ständerat unveränderte Entwurf die Gesamtabstimmung. Sämtliche Nein-Stimmen und Enthaltungen stammten von der SVP-Fraktion (mit Ausnahme einer Enthaltung aus der grünen Fraktion). 10 SVP-Mitglieder stimmten für die Änderung des Parlamentsgesetzes.

Beide Kammern stimmten wiederum nur wenige Tage später der Dringlichkeitsklausel zu – der Ständerat mit 35 zu 4 Stimmen und der Nationalrat mit 143 zu 35 Stimmen (6 Enthaltungen). Die Stimmenverhältnisse änderten sich auch in den Schlussabstimmungen am Ende der Herbstsession nicht. Der Entwurf wurde im Ständerat mit 38 zu 5 Stimmen (1 Enthaltung) und im Nationalrat mit 149 zu 35 Stimmen (12 Enthaltungen) angenommen.

In der Folge setzte die Verwaltungsdelegation die Zertifikatspflicht um. Ab dem 2. Oktober 2021 – also nach der Herbstsession 2021 – mussten alle Besucherinnen und Besucher des Bundeshauses ein Covid-19-Zertifikat vorlegen. Parlamentsmitglieder und Verwaltungsangestellte, die im Parlamentsgebäude ein- und ausgehen, konnten sich einmalig registrieren lassen, woraufhin ihr Covid-19-Zertifikat auf den elektronischen Zutrittsausweisen vermerkt wurde. Ratsmitglieder, die kein Zertifikat vorwiesen, mussten eine Maske tragen. Für die Wintersession 2021 beschloss die Verwaltungsdelegation dank der Zertifikatspflicht, die Plexiglasscheiben abzubauen und die Maskenpflicht aufzuheben.

Covid-Zertifikatspflicht im Bundeshaus

«Was [in der Pandemie] nur mangelhaft funktioniert hat, ist die Rolle des Parlaments», urteilte Jörg Mäder (glp, ZH) und machte die Ursache dafür im vierteljährlichen Sessionsrhythmus aus. In ausserordentlichen Lagen müsse sich die Bundesversammlung monatlich treffen, verlangte er folglich in einer parlamentarischen Initiative. Statt vier mal drei Wochen pro Jahr solle in solchen Ausnahmesituationen pro Monat eine wöchentliche Session organisiert werden. Am zeitlichen Aufwand würde sich damit nichts ändern, aber der Austausch mit der Exekutive könnte stark verbessert und Entscheidungen zeitnaher gefällt werden.
Als schlecht umsetzbar wurde dieser Vorschlag allerdings von der SPK-NR beurteilt. Es sei nicht im Vornherein klar, wann eine Krisensituation die Änderung des Sessionsrhythmus anzeige. Eine zu kurzfristige Änderung wäre aber für viele Parlamentsmitglieder wohl schwierig einzurichten. Zudem bestehe mit dem Instrument der ausserordentlichen Session bereits jetzt die nötige Flexibilität, um die Bundesversammlung zu einem geeigneten Zeitpunkt und für eine zu definierende Dauer einzuberufen. Mit 17 zu 3 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) empfahl die Kommission deshalb, der Initiative keine Folge zu geben. Eine 124 zu 51-Mehrheit (bei 4 Enthaltungen) des Nationalrats folgte dieser Empfehlung und versenkte den Vorstoss. Neben der geschlossenen GLP-Fraktion stimmte auch die Mehrheit der SP-Fraktion und ein Teil der GP-Fraktion für die Idee.

Sessionsplanung in ausserordentlichen Lagen (Pa.Iv. 20.460)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Weil zwar das Büro-NR nicht aber das Büro-SR der parlamentarischen Initiative von Sidney Kamerzin (mitte, VS) für ein papierloses Parlament Folge geben wollte, wurde der Vorstoss in der Herbstsession im Nationalrat behandelt. Der Initiant hatte seinen Vorstoss mit den Erfahrungen der Corona-Krise begründet, die gezeigt habe, dass es dank Digitalisierung möglich sei, den Parlamentsbetrieb mit digital erstellten, verschickten und bearbeiteten Unterlagen zu organisieren. Das papierlose Parlament sei auch aus Umweltgründen anzustreben.
Nachdem das Büro-SR der Initiative im Mai 2021 mit 2 zu 1 Stimme (bei 2 Enthaltungen) keine Folge geben wollte, beharrte das Büro-NR Mitte September 2021 auf seinem ursprünglich im Februar 2021 mit 7 zu 5 Stimmen gefassten Entscheid zu Gunsten der Vorlage und empfahl dem Nationalrat diesmal mit 7 zu 4 Stimmen der Initiative Folge zu geben. Obwohl bereits entsprechende Digitalisierungsarbeiten im Rahmen von «Curia plus» in Gang seien, solle rasch an den Erfahrungen aus der ausserordentlichen Session in der BernExpo angeknüpft werden, wo alle Dokumente digital zur Verfügung standen. Die Kommissionsmehrheit verspreche sich mit der Annahme der parlamentarischen Initiative auch mehr Druck für die Umsetzung der Motion Frehner (svp, BS, Mo. 17.4026), die den digitalen Ratsbetrieb verlange und am Ursprung von Curia plus stehe. Eine FDP-SVP-Kommissionsminderheit sah hier jedoch keine Notwendigkeit. Im Gegenteil könnte eine rasche Umsetzung von Curia plus eher verhindert werden, wenn weitere Arbeiten in Angriff genommen werden müssten.
In der Ratsdebatte warb Sidney Kamerzin neben mehr Effizienz und Umweltschutz auch mit mehr Geschwindigkeit und Sicherheit für sein Anliegen, die mit Digitalisierung möglich würden. In den kantonalen Parlamenten von Genf, Zürich und Wallis sei das papierlose Parlament zudem bereits umgesetzt. Ein Freund von ihm habe ihm versichert: «Wenn uns dies im Wallis gelungen ist, kann es jeder.»
Für die Kommissionsminderheit ergriff Roland Rino Büchel (svp, SG) das Wort. Der Vorstoss sei «für die Galerie» und komme einer Zwängerei gleich. Es müsse verhindert werden, dass das Projekt Curia plus verzögert werde. Nur ein Nein zur Initiative Kamerzin sei ein Ja zu Digitalisierung. Dieses Nein kam allerdings nur seitens der geschlossenen SVP-, einer Mehrheit der FDP- und einer kleinen Minderheit der Mitte-Fraktion. Die 72 Nein-Stimmen reichten gegen die 101 Ja-Stimmen nicht aus (9 Enthaltungen). Damit muss sich die kleine Kammer nun zum Anliegen äussern.

Papierloses Parlament (Pa.Iv. 20.442)

Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie beschäftigte sich die SGK-NR im Juni 2021 mit einer parlamentarischen Initiative Heer (svp, ZH) zu einer dringlich erklärten, auf fünf Jahre befristeten Änderung des Epidemiengesetzes (EpG). Der Initiant beabsichtigte mit seinem Vorstoss einerseits, die besonderen Lage nicht länger durch die WHO – «einer fremden Institution» –, sondern durch Schweizer Behörden feststellen zu lassen. Andererseits wollte er die Anordnungskompetenz von Grundrechtseingriffen mittels genereller Massnahmen an die Bundesversammlung und damit an die Gesetzgeberin delegieren. Er begründete diese Zuständigkeitsübertragung mit der «Schwere, Häufigkeit und Dauer» der bisherigen auf dem EpG basierenden Interventionen des Bundesrates. Das Gleiche sah er für Massnahmen im Kontext der ausserordentlichen Lage vor. Insgesamt strebe er damit die Beseitigung eines Zustandes an, in dem sich die Bevölkerung «fast täglich» vor möglichen Freiheitseinschränkungen durch die Landesregierung fürchten müsse, erklärte Heer. Mit 17 zu 5 Stimmen beantragte die Kommission, dem Geschäft keine Folge zu geben, da das EpG ihres Erachtens nicht nur im Zusammenhang mit der Funktion des Parlaments, sondern in seiner Gesamtheit überarbeitet werden sollte.

Änderung des Epidemiengesetzes (Pa.Iv. 20.503)

In der Sommersession 2021 beschäftigte sich der Nationalrat mit zwei parlamentarischen Initiativen zum Mietrecht, welche beide im Sommer 2020 von Christian Dandrès (sp, GE) eingereicht worden waren. Mit der ersten der beiden Initiativen (Pa.Iv 20.419) wollte Dandrès erreichen, dass Mieterinnen und Mieter, denen aufgrund nicht oder zu spät bezahlter Miete gekündigt wurde, weiterhin in den Mieträumlichkeiten bleiben können, sofern sie die Mietzinse in den kommenden Monaten fristgerecht zahlen. Nach sechs Monaten ohne Zahlungsverzug soll die Kündigung gegenstandslos werden. Dandrès begründete sein Anliegen unter anderem mit den finanziellen Folgen der Covid-19-Krise, welche es für viele Mieterinnen und Mieter schwierig machen könne, ihre Miete zu bezahlen. Die RK-NR beantragte anlässlich ihrer Vorprüfung eine Ablehnung der Initiative – hauptsächlich weil sie befand, dass deren Umsetzung falsche Anreize setzen würde und weil sie es als störend erachtete, dass ein rechtmässig aufgelöster Vertrag ohne neue Willenserklärung wieder in Kraft treten soll.
Die zweite Initiative (Pa.Iv 20.450) verlangte, dass im Falle des Todes eines Mieters oder einer Mieterin, die Familienwohnung inklusive aller Rechte und Pflichten aus dem Mietvertrag an die Ehegattin oder den Ehegatten übertragen werden kann, selbst wenn die hinterbliebene Person den Mietvertrag nicht unterschrieben und das Erbe ausgeschlagen hatte. So drohen Hinterbliebene, welche ein Erbe ausschlagen, auch ihre Wohnung zu verlieren, weil der Mietvertrag als Vermögenswert gilt. Die RK-NR beantragte auch in diesem Fall die Ablehnung, da sie die Initiative für einen zu starken Eingriff in die Rechte der Vermietenden befand.
Im Rat hatten beide Anliegen keine Chance. Mit einer Ausnahme stimmten nur Nationalrätinnen und Nationalräte der Grünen und der SP-Fraktion für die Initiativen, während die anderen Fraktionen geschlossen dagegen stimmten. Die erste Initiative wurde mit 118 zu 67 Stimmen und die zweite mit 121 zu 67 Stimmen abgelehnt.

Zwei Parlamentarische Initiativen zum Mietrecht abgelehnt (Pa.Iv. 20.450 & 20.419)
Dossier: Mietzinse: Bestimmung der Missbräuchlichkeit und Anfechtung

Christian Dandrès (sp, GE) forderte im Dezember 2020 in seiner parlamentarischen Initiative, dass die Unterstützungsmassnahmen für Freischaffende in Theater und Film ausgebaut werden. Konkret verlangte der Sozialdemokrat, dass die Rahmenfristen für die Beitragszeit und für den Leistungsbezug für die Betroffenen von zwei auf vier Jahre verdoppelt werden sollen und die ersten 60 Tage der Beitragszeit bei befristeten Stellen doppelt gezählt wird.
Der Kultursektor sei einer der am stärksten durch die Massnahmen gegen die Corona-Pandemie betroffenen Bereichen, wie Dandrès in der Nationalratsdebatte in der Sommersession 2021 argumentierte. Trotz der Öffnungsschritte bleibe die Zukunft der Schweizer Kulturszene ungewiss, Planung sei quasi unmöglich. Dies werde nach Dandrès dazu führen, dass Kulturschaffende defacto bis zu zwei Jahre nicht arbeiten könnten, was starke Auswirkungen auf ihren Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gehabt habe und haben werde. Dabei sei zu betonen, dass die Situation von Freischaffenden im Kultursektor bezüglich Arbeitslosenversicherung bereits vor Corona prekär gewesen sei, wie bereits im Postulat Maret (mitte, VS) anerkannt wurde.
Die WBK-NR beantragte mit 16 zu 9 Stimmen, der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben, da die aktuellen Unterstützungsmassnahmen bereits ausreichten und die in der Initiative vorgeschlagenen Massnahmen zu einer Ungleichbehandlung der verschiedenen von der Krise betroffenen Sektoren führen würde. Eine Minderheit Piller-Carrard (sp, FR) beantragte die Annahme der Initiative, weil dadurch die prekäre Situation der Freischaffenden in Theater und Film, welche die Pandemie ans Tageslicht gebracht habe, dauerhaft verbessert werden könne.
Die grosse Kammer folgte der WBK-NR und lehnte die parlamentarische Initiative mit 120 zu 69 Stimmen deutlich ab. Einzig die Fraktionen der SP und der Grünen stimmten geschlossen für Annahme, unterstützt wurden sie von Jacqueline de Quattro (fdp, VD) und Benjamin Roduit (mitte, VS).

Unterstützungsmassnahmen für Freischaffende in Theater und Film. Für die Rettung der Kultur und der Kulturschaffenden

In der Sommersession 2021 beschäftigte sich der Nationalrat mit der Frage, ob die Regelung zur Versorgungssicherheit in der Verfassung ergänzt werden solle, ob also die Verantwortung des Bundesrates für die Versorgung der Bevölkerung mit «den wichtigsten sensiblen Medikamenten, Wirkstoffen und Schutzmaterial» sowie für Schutzmassnahmen gegen eine Pandemie explizit in die Verfassung geschrieben werden soll. Manuela Weichelt-Picard (al, ZG) begründete den Antrag der Kommissionsminderheit, der parlamentarischen Initiative Folge zu geben, mit dem Verweis auf die Unzulänglichkeiten der bisherigen Regelung, welche die Corona-Pandemie deutlich aufgezeigt habe. Die Relevanz der Problematik zeigten überdies auch Pläne für ähnliche Standesinitiativen sowie für eine Volksinitiative, betonte Weichelt-Picard. Die beiden Kommissionssprecher Benjamin Roduit (mitte, VS) und Thomas de Courten (svp, BL) anerkannten zwar die Relevanz der Frage und die Notwendigkeit entsprechender Massnahmen, bestritten aber die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung. Die nötigen gesetzlichen Grundlagen seien bereits vorhanden, insbesondere in Form des Landesversorgungsgesetzes (LVG). Es seien auch bereits ähnliche Vorstösse angenommen worden (Mo. 20.3166 und Po. 20.3241), zudem habe der Bundesrat auf Anfang 2022 die Erarbeitung konkreter Massnahmen angetönt. Mit 121 zu 66 Stimmen (bei einer Enthaltung) entschied sich der Nationalrat, der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben. Einzig bei den geschlossen stimmenden SP- und Grünen-Fraktionen stiess der Vorstoss auf Anklang.

Parlamentarische Covid-19-Verordnung. Konkretisierung von Artikel 102 der Bundesverfassung bezüglich Versorgungssicherheit (Pa.Iv. 20.429)

Kommissionssprecher Andrea Caroni (fdp, AR) erläuterte in der Debatte in der Sommersession 2021 die Argumente der RK-SR gegen die parlamentarische Initiative von Beat Rieder (mitte, VS), mit der dieser die Schaffung einer Rechtsdelegation gefordert hatte, die bundesrätliche Notverordnungen überprüfen soll: Erstens würde die Forderung mit den beiden parlamentarischen Initiativen der beiden SPK zur Stärkung der Handlungsfähigkeit des Parlaments generell (Pa.Iv. 20.437) und zur Regelung des Verhältnisses zwischen Legislative und Exekutive in Notsituationen (Pa.Iv. 20.438) umfassender aufgenommen. Zweitens gäbe es Probleme inhaltlicher Art mit dem Vorstoss Rieders, da die Forderung nach einer möglichen Verhinderung von Notverordnungen mit der Verfassung nicht vereinbar sei. Beat Rieder selber zitierte in der Folge Carl Schmitt: «Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.» Im durch die Covid-19-Pandemie nötigen Ausnahmezustand sei aber nicht das Parlament souverän gewesen. Es sei im Gegenteil «einfach nachhause» gegangen. Das Parlament müsse – und deshalb sei sein Vorstoss eben wichtig – in Notsituationen ein Instrument haben, um die Souveränität zu behalten und diese nicht dem Bundesrat alleine zu überlassen. Hans Stöckli (sp, BE), der als damaliger Ständeratspräsident stark in die Entscheidungsprozesse während der Notrechtsituation eingebunden gewesen war, erinnerte daran, dass die Kommunikation zwischen Exekutive und Legislative stets funktioniert habe. Der Bundesrat sei jederzeit bereit gewesen, an Kommissionssitzungen Fragen zu beantworten und Verordnungen anzupassen. Dieses «Gentlemen's Agreement» habe wahrscheinlich einfacher funktioniert, als es wäre, den ganzen Parlamentsbetrieb in Gang zu setzen. Er danke aber seinem Ratskollegen, dass er die Diskussion anstosse, da es wichtig sei, dass das Parlament auch in Krisensituationen handlungsfähig bleibe. Er plädiere deshalb aber gegen Folgegeben, weil diese Forderung im Rahmen der beiden SPK-Initiativen besser umgesetzt werden könne. Eine 23 zu 8-Stimmenmehrheit schien dies ebenso zu sehen und versenkte die Initiative Rieder. 12 Ratsmitglieder enthielten sich der Stimme.

Schaffung einer Rechtsdelegation (Pa.Iv. 20.414)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Ende Mai 2021 zog Philipp Bregy (mitte, VS) seine parlamentarische Initiative zur Schaffung einer Rechtsdelegation zurück. Diese Rechtsdelegation hätte die Exekutive in Krisenzeiten überwachen sollen, indem ihr bundesrätliche Erlasse – etwa in Form von Notverordnungen – hätten vorgelegt werden sollen.
Zwei Gründe dürften für den Rückzug verantwortlich gewesen sein. Erstens war die Behandlung der exakt gleichlautenden parlamentarischen Initiative (20.414) von Bregys Fraktionskollegen Beat Rieder (mitte, VS) im Ständerat für die Sommersession 2021 traktandiert. Zweitens hatte die SPK-SR signalisiert, dass sie dem Begehren ablehnend gegenüberstand – auch weil sie bereits zwei ähnliche Kommissionsvorstösse (Pa.Iv 20.437 und Pa.Iv 20.438) lanciert hatte.

Schaffung einer Rechtsdelegation (ReDel; Pa.Iv. 20.418)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Die Covid-19-Pandemie bzw. der Abbruch der Frühlingssession 2020 habe vor Augen geführt, dass das Parlament in Krisensituationen nicht zuverlässig funktioniere. Mit dieser Begründung wurden zahlreiche Vorstössen eingereicht, mit denen eine höhere Krisenresistenz des Parlaments zu erreichen versucht wurde. Darunter fand sich eine parlamentarische Initiative von Thomas Brunner (glp, SG), der situationsgerechte Flexibilisierungsmöglichkeiten für den Parlamentsbetrieb bei aussergewöhnlichen Umständen forderte. Konkret soll die Arbeitsorganisation so angepasst werden, dass «das Klumpenrisiko» der «gleichzeitigen Versammlung aller Volksmandatierten am selben Ort» verringert werden kann. Brunner nannte «Stimmabgaben aus Home-Offices» oder «regionale Parlamentsteile», die örtlich getrennt tagen, als mögliche Beispiele.
Die SPK-NR sah die Notwendigkeit für entsprechende Überlegungen und gab der parlamentarischen Initiative Brunner, wie auch einer ähnlichen Idee von Lukas Reimann (svp, SG; Pa.Iv. 20.479), einstimmig Folge. Mit 14 zu 11 Stimmen empfahl die SPK-NR darüber hinaus, auch einer parlamentarischen Initiative von Katja Christ (glp, BS; Pa.Iv. 20.425) Folge zu geben, die ganz konkret Gesetzesgrundlagen für einen digitalen Parlamentsbetrieb forderte. Zur Ablehnung empfahl die Kommission hingegen die Forderung, dass eine digitale Teilnahme an Sitzungen geringer entschädigt werden soll als eine Teilnahme vor Ort, wie dies von einer parlamentarischen Initiative von Gregor Rutz (svp, ZH; Pa.Iv. 20.431) gefordert wird.

Situationsgerechte Flexibilisierungsmöglichkeiten für den Parlamentsbetrieb bei aussergewöhnlichen Umständen (Pa.Iv. 20.423)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Verschiedene Vorstösse zielten während der Covid-19-Pandemie darauf ab, das Parlament auch in Krisensituationen handlungsfähig zu erhalten. Insbesondere der Abbruch der Frühjahrssession 2020 hatte gezeigt, dass es rechtliche Grundlagen für einen digitalen Parlamentsbetrieb respektive die digitale Teilnahme am physischen Betrieb braucht. Mit einer entsprechenden parlamentarischen Initiative, der die SPK-NR im Mai 2021 zusammen mit einer Reihe von ähnlichen Vorstössen Folge gab, wollte Katja Christ (glp, BS) nicht nur eine Schwäche des Systems ausmerzen, sondern auch die «digitalen Möglichkeiten im 21. Jahrhundert» nutzbar machen.

Schaffung der rechtlichen Grundlagen für einen digitalen Parlamentsbetrieb respektive die digitale Teilnahme am physischen Betrieb (Pa.Iv. 20.425)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Zwar habe das Parlament gestützt auf das Bundesgesetz «über die Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen» (AS 2011 1381) die Möglichkeit, auf finanzrechtliche Aspekte und konkrete Befristungen von Notverordnungen Einfluss zu nehmen, die Möglichkeit einer juristischen Kontrolle im Sinne einer abstrakten Normenkontrolle von Notverordnungen durch das Bundesgericht gebe es hingegen nicht, begründete die GP-Fraktion ihre parlamentarische Initiative zur Schaffung einer solchen. Die Verhältnismässigkeit von bundesrätlichen und parlamentarischen Notverordnungen, die unter Umständen sehr lange in Kraft seien und von anderen Gewalten nicht kontrolliert werden könnten, müsse insbesondere in Krisenzeiten gewahrt bleiben. Es gehe hier explizit nicht um die Einführung eines Verfassungsgerichts, sondern darum, die Rechtmässigkeit von Notrecht rasch abstrakt prüfen zu können.
Zwar habe in der SPK-NR «eine gewisse Skepsis» gegenüber einer bundesgerichtlichen Normenkontrolle geherrscht, mit 13 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen hätte sich aber eine knappe Mehrheit der Kommission dafür ausgesprochen, der Idee Folge zu geben, wie der Medienmitteilung der Kommission Mitte Mai 2021 zu entnehmen war.

Abstrakte Normenkontrolle von Notverordnungen (Pa.Iv. 20.430)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Wie soll die Arbeitsorganisation des Parlamentes geregelt werden? Diese Frage wurde in verschiedenen allerdings erfolglosen Vorstössen immer wieder gestellt, etwa indem eine Änderung der Sessionsrhythmen gefordert wird, um die Vereinbarkeit der Parlamentsarbeit mit Familie und Beruf zu verbessern. Neu und in Form einer parlamentarischen Initiative stellte Ada Marra (sp, VD) im Oktober 2020 die Forderung auf, dass der Versammlungsrhythmus so angepasst werden solle, dass das Parlament auch im Krisenfall rasch tagen könnte. Die SPK-NR gab der Initiative im Mai 2021, wenn auch nur knapp mit 12 zu 11 Stimmen (bei 1 Enthaltung), Folge. Sie erachte den Vorstoss als Auftrag, den Sitzungsrhythmus generell zu analysieren. Im Gegensatz dazu empfahl die Kommission eine parlamentarische Initiative von Jörg Mäder (glp, ZH; Pa.Iv. 20.460), die eine monatliche Wochensession in Krisenzeiten vorschlug, zur Ablehnung.

Arbeitsorganisation des Parlamentes anpassen (Pa.Iv. 20.476)
Dossier: Parlament in Krisensituationen
Dossier: Vereinbarkeit der Parlamentsarbeit mit Familie und Beruf

Im Mai 2021 beriet die WAK-NR die parlamentarische Initiative Romano (mitte, TI) für eine Kürzung der Verjährungsfrist von Steuerhinterziehung auf ein Jahr. Diese Massnahme käme «faktisch einer Steueramnestie gleich», sei unfair gegenüber denjenigen Personen, die ihre Steuern ordnungsgemäss bezahlt hätten, und schade der Steuermoral, begründete die Kommission ihre ablehnende Haltung dagegen. Zudem sprach ihr die Kommission eine langfristige finanzielle Effizienz ab, da dadurch im Unterschied zum ordentlichen Verfahren der Selbstanzeige keine Nachsteuern eingezogen werden könnten. In der Herbstsession 2021 zog der Initiant seinen Vorstoss zurück.

Covid-19. Um den Wirtschaftskreislauf wieder in Gang zu bringen, müssen Vermögenswerte und Zinsen offengelegt werden

Bei der durch die Covid-19-Pandemie verursachten ausserordentlichen Lage gab es zahlreiche mediale und politische Stimmen, welche die Beziehung zwischen Legislative und Exekutive als nicht sehr krisenresistent betrachteten. Die als veritable «Krise des Parlaments» bezeichnete Situation sei vor allem im Rahmen der vom Bundesrat gefällten Notverordnungen sichtbar geworden, bei denen das Parlament seine Kontrollfunktion über die Exekutive verloren habe. Aus dieser Diskussion erwuchs eine Reihe von Vorstössen, die auf eine Stärkung der Legislative in Krisenzeiten zielten. Darunter fand sich auch eine parlamentarische Initiative von Stefan Rieder (mitte, VS), der die Schaffung einer Rechtsdelegation anregte. Diese solle in ausserordentlichen Lagen die Erlasse und Notverordnungen des Bundesrates einer Prüfung unterziehen und diese zeitnah beraten können, ähnlich wie dies die FinDel bei finanzpolitischen Entscheiden auch im Rahmen der Covid-Krise leistete.
In ihrer Sitzung Ende April 2021 sprach sich die SPK-SR allerdings mit 8 zu 0 Stimmen bei 4 Enthaltungen gegen Rieders Idee aus. Man sei sehr wohl der Ansicht, dass Verbesserungen angebracht seien, habe diese aber mit zwei eigenen parlamentarischen Initiativen (Pa.Iv 20.437 und Pa.Iv 20.438) aufgegleist, weshalb dieser Vorstoss nicht nötig sei. In der Sommersession 2021 hatte sich der Ständerat dieses Vorstosses anzunehmen.

Schaffung einer Rechtsdelegation (Pa.Iv. 20.414)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Im Zeichen der Corona-Pandemie stand auch eine parlamentarische Initiative von Marco Chiesa (svp, TI), mit der der Initiant «bestimmte Produkte mit Schutzwirkung», insbesondere Masken, Handdesinfektionsmittel und Handschuhe, von der Mehrwertsteuer ausnehmen oder zu einem reduzierten Satz besteuern wollte. Bereits jetzt seien Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer möglich – etwa aus sozialen oder konjunkturellen Gründen –, nun sollten auch die Kosten dieser momentan unentbehrlichen Produkte gesenkt werden, um das Alltagsbudget der Menschen zu entlasten, forderte Chiesa. Mit denselben Überlegungen habe der Bundesrat auch bereits die Zölle auf diese Produkte ausgesetzt.
Mit 11 zu 1 Stimme entschied sich die SGK-SR gegen Folgegeben. Mit dem Vorschlag würden nicht die Preise reduziert, sondern lediglich die Marge der Importeure erhöht, argumentierte die Kommission. Zudem käme es zu Abgrenzungsproblemen, etwa mit Bauschutzmasken. Schliesslich könne das Thema in die Revision des Mehrwertsteuergesetzes aufgenommen werden, falls die Problematik im Herbst 2021 noch relevant sein sollte.

Grundprodukte, die die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung schützen, von der Mehrwertsteuer ausnehmen (Pa.Iv. 20.420)

Im Mai 2020, also in der Frühphase der Corona-Pandemie, reichte die Grüne Fraktion eine parlamentarische Initiative ein, mit der sie die Konkretisierung der Regelung zur Versorgungssicherheit in der Verfassung (Art. 102 BV) forderte. Demnach sollte die Verantwortung des Bundesrates für die Versorgung der Bevölkerung mit «den wichtigsten sensiblen Medikamenten, Wirkstoffen und Schutzmaterial» sowie für Schutzmassnahmen gegen eine Pandemie in der Verfassung verankert werden. Bezüglich entsprechender Medikamente und Wirkstoffe läge durch die Verlagerung der Produktion nach Asien ein Quasi-Monopol vor, das eine «Gefahr für die Gesundheitsversorgung» der Schweizer Bevölkerung darstelle. Hier müsse der Staat eingreifen, da der reine Markt die Grundversorgung der Bevölkerung im Krisenfall nicht garantieren könne.
Mit 14 zu 7 Stimmen (bei 1 Enthaltung) entschied sich die SGK-NR mit Verweis auf ihre angenommene Motion 20.3166 und das angenommene Postulat 20.3241 der FDP-Fraktion gegen Folgegeben. Aufgrund dieser Vorstösse seien per Anfang 2022 konkrete Massnahmen zu erwarten, die überdies auf Gesetzesstufe festgeschrieben werden könnten, argumentierte die Kommissionsmehrheit. Eine Verfassungsänderung erachtete die Kommission – im Gegensatz zu einer Kommissionsminderheit Weichelt-Picard (al, ZG) – überdies als nicht nötig.

Parlamentarische Covid-19-Verordnung. Konkretisierung von Artikel 102 der Bundesverfassung bezüglich Versorgungssicherheit (Pa.Iv. 20.429)

Nachdem die RK-NR 2018 der parlamentarischen Initiative Nantermod (fdp, VS) Folge gegeben, sich ihre Schwesterkommission aber im Herbst 2019 mit 8 zu 0 Stimmen bei einer Enthaltung gegen die Abschaffung der Vergütung auf Werkverwendungen in privaten Räumlichkeiten von Hotels, Ferienwohnungen, Spitälern und Gefängnissen ausgesprochen hatte, kam die Vorlage in der Frühjahrssession 2021 in die grosse Kammer. Die Rechtskommission des Nationalrats beantragte in ihrem Bericht vom Januar 2021 zwar weiterhin, der Initiative Folge zu geben, dies jedoch mit einem neuen Stimmenverhältnis von 13 zu 11 bei einer Enthaltung und einem Minderheitsantrag Brenzikofer (gp, BL) auf Ablehnung. Die Kommissionsmehrheit erachtete es als notwendig, insbesondere den Begriff «private Räumlichkeiten» neu zu definieren und so dafür zu sorgen, dass in diesen privaten Räumlichkeiten keine Urheberrechtsentschädigungen anfallen. Dies könne in der von der Coronakrise stark gebeutelten Hotelbranche zu Kostensenkungen führen. Die Minderheit vertrat hingegen die Ansicht, dass man den äusserst fragilen AGUR-Kompromiss zur URG-Revision nicht gefährden dürfe, zumal sich der Konsum von Multimediainhalten verändert habe, was von der betroffenen Branche berücksichtigt werden müsse. Im Weiteren handle es sich bei den zu entrichtenden Beiträgen um so geringe Summen, dass eine Annahme des Vorstosses die Hotellerie nicht wirklich entlasten würde.
Der Nationalrat schloss sich mit 119 zu 65 Stimmen bei einer Enthaltung dem Mehrheitsantrag an und sprach sich für Folgegeben aus. Wohl nicht zuletzt teilte der Rat die Auffassung von Nationalrat Bregy (cvpo, VS), dass man mit diesem Vorstoss die Möglichkeit habe, ein Zeichen für den Abbau von Gebühren, Abgaben und der Bürokratie zu setzen – auch wenn es sich hierbei um verhältnismässig kleine Beträge handle. Die parlamentarische Initiative ging in der Folge für weitere Beratungen an die Rechtskommission des Ständerats (RK-SR).

Abschaffung der Vergütung auf Werkverwendung in privaten Räumlichkeiten von Hotels, Ferienwohnungen, Spitälern und Gefängnissen (Pa. Iv. 16.493)
Dossier: Revision des Urheberrechts

Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurden im Parlament einige Vorstösse lanciert, mit denen das Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive in Notlagen neu geregelt werden sollte. Darunter war die parlamentarische Initiative von Alfred Heer (svp, ZH), die verlangte, dass der Bundesrat Notrecht nur mit dem Parlament sprechen dürfe. In der Tat sieht Artikel 185 BV vor, dass der Bundesrat selbst entscheidet, wie er von seiner Kompetenz Gebrauch macht, Notrecht zu sprechen, welches dann bis zu sechs Monaten Geltung haben kann. Mit seinem Vorstoss wollte der Zürcher SVP-Politiker eine Genehmigung von Notrecht durch eine 2/3-Mehrheit des Parlaments einführen. Mit einfacher Mehrheit sollte die Bundesversammlung zudem geltendes Notrecht innerhalb der 6-Monatsfrist aufheben können. Es gehe nicht, dass «auch in einer kleinen Krise vom Notrecht exzessiv Gebrauch gemacht wird», betonte Heer in der Parlamentsdebatte. Deshalb müssten das Parlament gestärkt und die «Vollmachten des Bundesrats» eingeschränkt werden.
Anders sah dies die SPK-NR, die mit einer 18 zu 6-Stimmenmehrheit beantragte, der Initiative keine Folge zu geben, da sie «nicht krisentauglich» sei. Die Bestätigung durch das Parlament würde viel Zeit in Anspruch nehmen. Dürfte Notrecht gar erst nach der Zustimmung durch das Parlament in Kraft treten – dazu sage der Vorstoss allerdings nichts –, könnte in einer Krise grosser Schaden und Rechtsunsicherheit entstehen. Das Parlament sei darüber hinaus ja nicht machtlos, so der Bericht. Es könne bundesrätliches Notrecht mit einer Verordnung der Bundesversammlung oder einem eigenen Gesetz zumindest teilweise wieder ausser Kraft setzen. Zudem bestehe ein Konsultationsrecht der Kommissionen.
Die Mehrheit der grossen Kammer folgte den Empfehlungen ihrer Kommission und gab der Initiative mit 135 zu 51 Stimmen bei 1 Enthaltung keine Folge. Der Vorstoss von Alfred Heer wurde lediglich von seiner Fraktion grossmehrheitlich unterstützt.

Notrecht nur mit Parlament (Pa.Iv. 20.452)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Kaum war das eiligst beschlossene Gesetz für die Möglichkeit einer Teilnahme an Abstimmungen in Abwesenheit für an Covid-19 erkrankte oder sich in Isolation oder Quarantäne befindende Nationalratsmitglieder in Kraft getreten, kam es auch schon zur Anwendung. Sophie Michaud Gigon (gp, VD) wurde zum ersten Nationalratsmitglied, das sich von ausserhalb des Ratssaales an einer Abstimmung beteiligte. Die Parlamentsdienste hatten in der Zwischenzeit eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut: Wer am Bildschirm von zuhause aus abstimmen müsse, müsse sich am Vortag anmelden und sich am Computer authentifizieren.

Teilnahme an Abstimmungen in Abwesenheit - wenigstens für Nationalratsmitglieder (Pa.Iv. 20.483)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Gerade einmal 20 Tage vergingen zwischen der Einreichung der parlamentarischen Initiative der SPK-NR für die Ermöglichung der Teilnahme an Abstimmungen in Abwesenheit – wenigstens für Nationalratsmitglieder – und der Annahme ihrer Umsetzung in beiden Räten. Die SPK-SR hatte beim neuerlichen Vorstoss der Schwesterkommission (nach der gescheiterten Pa.Iv. 20.475) – wohl auch aufgrund der wieder ansteigenden Covid-19-Fallzahlen – ein Einsehen und gab dem Ansinnen Ende November mit 8 zu 4 Stimmen Folge.
Nur einen Tag später – am zweiten Tag der Wintersession 2020 – unterbreitete die SPK-NR dann ihrem Rat eine dringliche bis Ende der Herbstsession 2021 befristete Revision des Parlamentsgesetzes. Ziel sei es, die Vorlage rasch durch die Räte zu bringen und ein Differenzbereinigungsverfahren zu verhindern, damit die Möglichkeit einer Teilnahme bei Abstimmungen für von Covid-19 betroffene Nationalratsmitglieder von ausserhalb des Nationalratssaals zumindest für die dritte Sessionswoche gegeben sei. Die Mehrheit der Kommission begründete das Ansinnen damit, dass es zu einer Verzerrung der Abstimmungen kommen könnte, wenn zu viele Ratsmitglieder aufgrund von vorgeschriebener Isolation oder Quarantäne in Folge einer Covid-19-Erkrankung abwesend wären und dies etwas eine Fraktion stärker als eine andere betreffen würde. Ein erneuter Abbruch der Session müsse verhindert werden.
Das Gesetz gelte nur für den Nationalrat, weil dort Proportionalität wichtiger sei als im Ständerat, führte Kommissionssprecherin Marianne Binder-Keller (cvp, AG) in der Nationalratsdebatte aus. Sie betonte, dass lediglich von Covid-19 betroffene Nationalratsmitglieder das Recht erhalten sollen, ihre Stimme in Abwesenheit abgeben zu können. Dies gelte zudem lediglich für Abstimmungen, nicht aber für Voten im Rat, das Einreichen von Vorstössen oder die Teilnahme bei Wahlen. Gäbe es technische Schwierigkeiten, würden deshalb keine Abstimmungen wiederholt. Eine Kommissionsminderheit beantragte Nicht-Eintreten. Ihr Sprecher Gregor Rutz (svp, ZH) fragte sich, ob man auf dem Weg zum «Pyjama-Parlament» sei. Man müsse in der jetzigen Situation «ruhig Blut bewahren» und dürfe diese «unausgegorene, widersprüchliche und verfassungswidrige» Vorlage nicht «überschnell» einführen. Parlamentarische Arbeit sei nicht einfach Abstimmen, sondern beinhalte Willensbildung, die nur vor Ort geschehen könne. Man könnte ansonsten ja auch einfach Fragebogen an die Parlamentsmitglieder verschicken, was eine Menge an Kommissionsarbeit sparen würde. Zudem werde der Grundsatz des Zweikammersystems verletzt, wenn das Gesetz nur für die grosse Kammer gelte. Wenn nur an Covid-19 Erkrankte vom Recht Gebrauch machen dürften, sei darüber hinaus die Gleichbehandlung verletzt. Er sehe nicht ein, weshalb jemand mit einer «normalen Grippe» oder einem «Beinbruch» nicht auch von zu Hause aus abstimmen dürfe. Wenn es wirklich so weit kommen würde, dass eine erhebliche Anzahl an Nationalrätinnen und Nationalräten nicht mehr an der Session teilnehmen könnte – «was wir nicht glauben» –, dann müsste man die Session, wie von Verfassung und Gesetz vorgesehen, abbrechen. «Die Schweiz würde nicht untergehen, wenn wir mal eine Woche nicht tagen würden». Auf diese «Bastelarbeit» dürfe aber nicht eingetreten werden, so Rutz.
Nachdem alle anderen Fraktionen für Eintreten plädiert hatten – es herrschte Konsens, dass das Parlament seine Verantwortung auch in einer Krisensituation wahrnehmen können müsse, auch wenn es sich bei der Vorlage nicht um eine perfekte Lösung handle –, wurde mit 125 zu 61 Stimmen (3 Enthaltungen) Eintreten beschlossen. Zur geschlossen stimmenden SVP-Fraktion gesellten sich acht Mitglieder der FDP- und zwei Mitglieder der Mitte-Fraktion, die ebenfalls gegen Eintreten stimmten. Ohne weitere Diskussion nahm dann eine Mehrheit von 123 gegen 62 Stimmen (5 Enthaltungen) den Entwurf an, der damit an den Ständerat ging.

Dort sprach Kommissionssprecher Andrea Caroni (fdp, AR) zwei Tage später von einem «historischen» Projekt, da zum ersten Mal seit 1848 die Grundlage für Abstimmungen ohne Anwesenheit im Parlamentsgebäude geschaffen werde. Die Vorlage sehe allerdings einzig vor, den Abstimmungsknopf zuhause am Computer über einen gesicherten Link statt vor Ort zu drücken. Eine Kommissionsminderheit brachte zahlreiche staatspolitische und institutionelle Bedenken vor, wie sie zuvor bereits im Nationalrat zu vernehmen gewesen waren. Lisa Mazzone (gp, GE) argumentierte hingegen mit «respect institutionnel». Sie sei ebenfalls unzufrieden mit der Vorlage, wolle aber dem Nationalrat nicht im Wege stehen und die Vorlage in Anbetracht ihrer Befristung gutheissen. Man könne sich ja auch der Stimme enthalten und den Nationalrat machen lassen, ergänzte Philippe Bauer (fdp, NE). In der Folge entbrannte in der kleinen Kammer eine lebhafte und recht ausführliche Diskussion darüber, ob man dem Schwesterrat eine Sonderregelung zugestehen solle, wie sich Daniel Jositsch (sp, ZH) ausdrückte, oder ob mit einer solchen Regelung leichtfertig oder gar fast fahrlässig Gesetze beschlossen werden könnten, wie dies Hannes Germann (svp, SH) befürchtete. Schliesslich schien die Meinung zu überwiegen, dass der Nationalrat das Recht haben soll, die Möglichkeit für Abstimmen in Abwesenheit in dieser aussergewöhnlichen Situation für sich selbst zu schaffen. Mit 27 zu 13 Stimmen bei 4 Enthaltungen hiess entsprechend auch der Ständerat die Vorlage gut.

Damit konnten in einem nächsten Schritt beide Kammern über die Dringlichkeitsklausel abstimmen. Im Nationalrat wurde diese mit 130 zu 35 Stimmen (4 Enthaltungen) und im Ständerat mit 29 zu 11 Stimmen (3 Enthaltungen) angenommen. Damit stand den Schlussabstimmungen, die Mitte der Wintersession durchgeführt wurden, nichts mehr im Wege. Mit 125 zu 65 Stimmen (4 Enthaltungen) nahm die grosse Kammer die Teilnahme in Abwesenheit für an Covid-19 erkrankte Nationalratsmitglieder an. Die kleine Kammer hiess die Vorlage mit 25 zu 7 Stimmen (3 Enthaltungen) gut.

Teilnahme an Abstimmungen in Abwesenheit - wenigstens für Nationalratsmitglieder (Pa.Iv. 20.483)
Dossier: Parlament in Krisensituationen