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En prenant exemple sur une étude de l'UE, le groupe socialiste a déposé un postulat qui demande une analyse des dépendances stratégiques de la Suisse. Le rapport permettrait de cartographier les biens vitaux et non vitaux qui rendent la Suisse dépendante d'autres Etats. Selon le groupe socialiste, posséder une telle carte permettrait à la Suisse d'établir un plan d'action en cas de crise. Durant les débats, le vaudois Samuel Bendahan (ps, VD) a, au nom des socialistes, mentionné la crise du Covid-19 et la guerre en Ukraine, qui ont mis en lumière les conséquences que la dépendance énergétique ou matérielle peut avoir pour le pays.
Pour le Conseil fédéral, les entreprises sont les mieux placées pour observer les interdépendances et agir en fonction de leur impact. De plus, via différentes mesures, le Conseil fédéral soutient la diversification des marchés d'approvisionnement. Aussi, le gouvernement affirme que dans le cadre de son prochain rapport sur l'économie suisse, des analyses similaires à la demande du postulat seront disponibles. Ces dernières pourront également être complétées par le rapport sur l'économie de l'OCDE qui sera publié prochainement. C'est pourquoi le Conseil fédéral a demandé de rejeter le postulat.
Le postulat a été adopté par 135 voix contre 49 (4 abstentions). La minorité était composée des libéraux-radicaux et d'une majorité de l'UDC.

Conséquences de la guerre en Ukraine. Identifier et réduire les dépendances stratégiques de long terme (Po. 22.3405)

Im August 2023 präsentierte der Bundesrat seine Botschaft zum Verpflichtungskredit für die Bundesgarantien für Pflichtlagerdarlehen 2025–2034. Darin erläuterte er zuerst die aktuelle Situation der Pflichtlagerhaltung: Der Bund beauftragt im Rahmen der Pflichtlagerhaltung zur wirtschaftlichen Landesversorgung und basierend auf dem Landesversorgungsgesetz private Unternehmen in den Bereichen «Ernährung», «Energie» und «Heilmittel» damit, Lager mit lebenswichtigen Gütern anzulegen. Die Güter bleiben jedoch Eigentum der entsprechenden Unternehmen, was durch sogenannte Pflichtlagerverträge mit dem BWL geregelt wird. Der Bund unterstützt die betroffenen Unternehmen durch Bundesgarantien bei den kreditgebenden Banken in der Höhe des Warenwerts der Pflichtlager, wodurch die Unternehmen von niedrigeren Zinsen profitieren können.
Der aktuelle Verpflichtungskredit des Bundes für die Bundesgarantien in der Höhe von CHF 540 Mio. war begrenzt auf Ende 2024. In seiner Botschaft beantragte der Bundesrat daher einen neuen Verpflichtungskredit in der Höhe von CHF 750 Mio. bis Ende 2034. Die Krediterhöhung erklärte er mit einer geplanten Erhöhung der Pflichtlagerbestände sowie mit einer «noch nicht absehbaren Entwicklung hinsichtlich der Finanzierung der Pflichtlager im Bereich der Nahrungs- und Futtermittel».

Verpflichtungskredit für Bundesgarantien für Pflichtlagerdarlehen 2025–2034 (BRG 23.056)

Rückblick auf die 51. Legislatur: Institutionen und Volksrechte

Autorinnen und Autoren: Marc Bühlmann und Marlène Gerber

Stand: 17.08.2023

Auf dem Prüfstand befanden sich die Institutionen in der 51. Legislatur vor allem wegen der Covid-19- Pandemie, was sich nicht zuletzt in den Voten zur Erklärung des Bundesrates zur Corona-Pandemie – insgesamt das am viertlängsten diskutierte Geschäft in diesem Themenbereich – zeigte. Viel diskutiert wurden in der Folge auch die Konsequenzen des Ausrufens der ausserordentlichen Lage und der Anwendung von Notrecht für das Machtgefüge zwischen der Exekutive und der Legislative. Der Abbruch der Frühjahrssession 2020 durch das Parlament wurde ebenfalls als Indiz dafür gewertet, dass das Parlament krisenresistenter werden sollte, was mit einer Vielzahl von parlamentarischen Geschäften denn auch angestrebt wurde. Zwei parlamentarische Initiativen der SPK-NR, die diese Ideen bündelten und die Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen verbessern wollten sowie mehr Kontrolle des bundesrätlichen Notrechts verlangten, wurden ausführlich debattiert, aber weniger umfassend umgesetzt, als von zahlreichen Vorstössen gefordert. Auch für die Volksrechte blieb die Pandemie nicht ohne Folgen: So beschloss der Bundesrat die Verschiebung eines Abstimmungstermins, den Fristenstillstand und Erleichterung bei Unterschriftensammlungen.

Die ausführlichsten Diskussionen (gemessen an der Anzahl Wörter) im Themenbereich «Institutionen und Volksrechte» führte das Parlament über die Legislaturplanung 2019-2023, wobei weniger die vom Bundesrat verfasste Bilanz zur vergangenen Legislatur oder die Leitlinien für die neue Legislatur im Zentrum standen als die Frage, in welcher Form die Legislaturplanung zukünftig diskutiert werden soll. Von grösserer inhaltlicher Relevanz war der ebenfalls breit diskutierte indirekte Gegenvorschlag zur Transparenz-Initiative, der nach erfolgreicher Einigungskonferenz verabschiedet werden konnte. Die damit geschaffenen Regelungen für mehr Transparenz bei der Politikfinanzierung gelten erstmals bei den eidgenössischen Wahlen 2023. Damit trat die Schweiz nicht zuletzt auch der zunehmenden Kritik der Greco an ihrer intransparenten Parteienfinanzierung entgegen.

Ebenfalls bereits von der Greco kritisiert worden war die Judikative respektive der Umstand, dass Schweizer Richterinnen und Richter einer Partei angehören und dieser eine sogenannte Mandatssteuer entrichten müssen. Um die dadurch in Frage gestellte richterliche Unabhängigkeit zu erhöhen, hatte ein Bürgerkomitee im Jahr 2018 die Justiz-Initiative initiiert, gemäss welcher die Bundesrichterinnen und -richter im Losverfahren bestimmt werden sollten. Diese sowie ein schlussendlich verworfener indirekter Gegenvorschlag beschäftigten das Parlament intensiv, bevor die Stimmbevölkerung die Volksinitiative im November 2021 deutlich bachab schickte. Für einige Diskussionen sorgte in der ersten Hälfte der Legislatur auch die Bundesanwaltschaft aufgrund des Rücktritts des Bundesanwalts und der schwierigen Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger.

Viel Gesprächsstoff im Parlament bargen diverse weitere Geschäfte, deren Beratungen jedoch am Ende wie häufig, wenn es um institutionelle Reformen geht, ergebnislos blieben, so etwa ein obligatorisches Referendum für völkerrechtliche Verträge mit Verfassungscharakter oder die Stärkung der Geschäftsprüfungskommissionen. Zustande kam hingegen die fünfte parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) der Schweizer Geschichte (siehe Kapitel «Geld, Währung und Kredit»).

Für sehr grosse mediale Aufmerksamkeit sorgten die Bundesratsersatzwahlen 2022, die aufgrund der Rücktritte von Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga während der laufenden Legislatur nötig wurden; die Vereinigte Bundesversammlung wählte neu Elisabeth Baume-Schneider und Albert Rösti in die Exekutive. Einiges an Druckerschwärze verursachte auch die Digitalisierung der Demokratie, namentlich «E-Voting»: Nachdem Sicherheitsmängel zu einem Marschhalt gezwungen hatten, wurde Anfang 2023 eine Neuausrichtung des Testbetriebs gestartet.


Zu den Jahresrückblicken:
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Rückblick auf die 51. Legislatur: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Rückblick auf die 51. Legislatur: Wirtschaftspolitik

Autorinnen und Autoren: Marco Ackermann, Guillaume Zumofen und Anja Heidelberger

Stand: 17.08.2023

Die Schweizer Wirtschaft wurde in der 51. Legislatur von verschiedenen Krisen durchgeschüttelt. Während man sich zu Beginn der Legislatur noch vor der schwächelnden Weltwirtschaft fürchtete, stand kurz darauf die Covid-19-Pandemie und die daraus folgenden Probleme für die Wirtschaft, insbesondere für Veranstaltungsbetriebe, das Gastgewerbe und den Tourismus, im Zentrum. Mit einer Ausweitung der Kurzarbeitsentschädigungen für Angestellte und neu auch für Selbständigerwerbende, mit Überbrückungskrediten in der Höhe von CHF 40 Mrd., bei denen der Bund die Solidarhaftung übernahm, mit Massnahmen zur Vermeidung oder Aussetzung von Betreibungen und Konkursen, mit Härtefallhilfen sowie mit einmaligen Hilfezahlungen für bestimmte, besonders betroffene Sektoren versuchte der Bund die Auswirkungen der Pandemie auf die Schweizer Wirtschaft möglichst gering zu halten. Dennoch litt die Wirtschaft stark unter der Pandemie, im Jahr 2020 sank das BIP um 2.4 Prozent – zwischenzeitlich war es gar um 8.2 Prozent geradezu abgestürzt. Zwar erholte sich die Wirtschaft insgesamt in der Folge relativ rasch – 2021 lag das BIP-Wachstum bereits wieder bei 4.2 Prozent –, einzelne Bereiche blieben aber weiterhin stark von der Pandemie betroffen und mussten vom Bund weiterhin mit Härtefallhilfen unterstützt werden. Die letzten Einschränkungen für die Unternehmen fielen erst Anfang April 2022, als der Bundesrat zur normalen Lage gemäss Epidemiengesetz zurückkehrte (siehe auch Legislaturrückblick zur Gesundheitspolitik).

Die Covid-19-Krise wurde aus wirtschaftlicher Sicht aber sogleich von einer «Krise der Lebenskosten» abgelöst: Nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs stiegen die Energiepreise und in der Folge auch die übrigen Preise vergleichsweise stark an, im August 2022 lag die Inflation gegenüber dem Vorjahresmonat bei 3.5 Prozent, dem höchsten Wert seit 1993 – aber noch immer deutlich niedriger als in den meisten anderen Ländern Europas. Sowohl die Covid-19-Pandemie als auch der Ukraine-Krieg zeigten verschiedene wirtschaftliche Versorgungsprobleme auf und verdeutlichten die wirtschaftliche Abhängigkeit der Schweiz vom Ausland, was folglich immer häufiger Thema im Parlament wurde.

Über die Krisen hinaus stand insbesondere die Revision des OR bezüglich des Aktienrechts im Zentrum der parlamentarischen Diskussionen – über kein Geschäft wurde in diesem Themenbereich ausgiebiger gesprochen. Dieses bestand aus vier Teilen: aus Regelungen zur Stärkung der Aktionärsrechte in Umsetzung der Abzockerinitiative, aus einer wenig verbindlichen Frauenquote in den Unternehmensführungen, aus Vereinfachungen und Erleichterungen für Aktiengesellschaften sowie aus einer Stärkung der Transparenz im Rohstoffsektor. Letzteres wurde in einem eigenen Entwurf als indirekter Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative behandelt. Wie die Initiative beinhaltete auch der Gegenvorschlag neue Pflichten zur Berichterstattung und Sorgfaltsprüfung, beim Gegenvorschlag sollten diese jedoch international abgestimmt werden und keine Haftungsregeln z.B. für Tochtergesellschaften beinhalten. Nachdem die Konzernverantwortungsinitiative im November 2020 am Ständemehr gescheitert war, trat der Gegenvorschlag im Januar 2022 in Kraft.

Am selben Tag wurde auch die Initiative «Für ein Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten» abgelehnt. In ihrer Initiative hatten die Urheberinnen und Urheber ein Finanzierungsverbot für sämtliche Waffen vorgesehen, bislang besteht lediglich ein solches für Atomwaffen. Banken, Pensionskassen oder auch die AHV hätten demnach nicht mehr in Fonds von Unternehmen investieren dürfen, die mehr als 5 Prozent ihres Jahresumsatzes mit Waffen erzielen.

Ausgiebig diskutiert wurde im Parlament schliesslich auch ein weiterer Gegenvorschlag, nämlich derjenige zur Fair-Preis-Initiative. Durch kartellrechtliche Vorschriften, etwa durch Einschränkungen für relativ marktmächtige Unternehmen oder durch ein Diskriminierungsverbot im Online-Handel, sollte die Beschaffungsfreiheit von Schweizer Unternehmen im In- und Ausland gestärkt werden. In seinem Gegenvorschlag schlug der Bundesrat eine Stärkung der Parallelimporte vor. Nachdem das Parlament den bundesrätlichen Vorschlag im Sinne des Initiativkomitees noch verschärft und so verändert angenommen hatte, zogen die Initiantinnen und Initianten ihr Anliegen zurück.

Bei Abschluss der 51. Legislatur erst am Anfang seiner Behandlung, aber bereits äusserst umstritten, war die Totalrevision des Zollgesetzes, mit der die Eidgenössische Zollverwaltung weiterentwickelt und digitaler werden soll. Gegen den Willen seiner Kommission trat der Nationalrat auf die 57 Gesetze umfassende Revision ein.

Zudem startete das Parlament in Umsetzung zweier Motionen in die Beratung eines neuen Unternehmensentlastungsgesetzes, mit dem vermeidbare Bürokratie abgebaut werden soll, etwa durch die Prüfung des Entlastungspotenzials neuer Regulierungen oder durch die Stärkung der elektronischen Plattform «EasyGov». Darüber hinaus wurde in einem eigenen Entwurf eine sogenannte Regulierungsbremse vorgeschlagen, die ein qualifiziertes Mehr für Erlasse mit starker Belastung für die Unternehmen vorsah. Während der Ständerat im Juni 2023 die Unternehmensentlastung guthiess, trat er nicht auf die Regulierungsbremse ein.


Zu den Jahresrückblicken:
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Rückblick auf die 51. Legislatur: Wirtschaftspolitik
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Rétrospective sur la 51ème législature : Energie

Auteur.e.s : Guillaume Zumofen, Marco Ackermann et Anja Heidelberger

Etat au 17.08.2023

Durant la 51ème législature, la discussion autour de l’approvisionnement en électricité fut centrale pour la politique énergétique. Au début de la législature, l’accent a été mis sur la révision de la loi sur l’énergie (EnG) qui devait permettre de prolonger les mesures d’encouragements en vigueur depuis 2017 ainsi que de renforcer leur compétitivité. D’autre part, un avant-projet de la révision de la loi sur l’approvisionnement en électricité prévoyant la libéralisation complète du marché électrique était déjà en discussion à ce moment-là, alors qu’un accord sur l’électricité avec l’UE restait sujet à des négociations en lien avec ce dossier. En 2021, ce dernier s’est vu retardé en raison de l’interruption des négociations sur l’accord cadre. En effet, comme l’accord-cadre était pour l’UE une condition préalable pour un accord sur l’électricité, les échanges sur l’accord sur l’électricité ont été mis de côté.
En juin 2021, le Conseil fédéral a présenté son message pour une loi fédérale relative à un approvisionnement en électricité sûr reposant sur des énergies renouvelables, dans laquelle il a combiné les deux révisions en suspens. Ainsi, la loi comprenait une augmentation des capacités nationales en énergies renouvelables, la création d'une réserve d'électricité pour l'hiver et la libéralisation complète du marché suisse de l'électricité. Au cours de la 51e législature, aucun autre projet n'a été aussi longuement débattu au Parlement (mesuré par le nombre de mots utilisé par les politicien.ne.s). Cependant, la loi n’a pas encore pu être finalisée. Afin d'éviter l'expiration fin 2022 de certaines mesures de promotion de l'énergie prévues dans le premier paquet énergétique de la stratégie énergétique 2050, le Parlement a établi une solution transitoire.

Le thème de l’approvisionnement en électricité a occupé le haut de l'agenda durant l’année 2022. Premièrement, le prix et la demande en énergie ont augmenté en raison de la forte volatilité du marché international de l’énergie – renforcée par la guerre en Ukraine et les sanctions occidentales qui l’ont accompagnées – et ont généré de l’inflation. De plus, l’instabilité des centrales nucléaires françaises a donné naissance à des inquiétudes concernant une pénurie d’électricité durant l’hiver 2022/2023 et des prix encore plus hauts pour l’année suivante. En réaction, le Conseil fédéral a pris plusieurs mesures sur le court et moyen terme. Il a suggéré la création d’une réserve hydroélectrique et de centrales à gaz de réserve, a réduit le débit résiduel des centrales hydroélectriques, a prévu d’accélérer et de simplifier les procédures d'autorisation pour les grandes installations hydroélectriques et éoliennes et a aussi élaboré une stratégie en cas de pénurie d’électricité et de gaz. Le Parlement a, en outre, écrit une loi urgente pour l’expansion du photovoltaïque, notamment en montagne, tout comme pour confirmer le rehaussement du barrage de Grimsel. Le soutien financier d’entreprises électriques d’importance systémique a aussi été nécessaire, afin de contrer une faillite à cause d’un manque de liquidité – Alpiq et Axpo ont notamment été touchés par des difficultés financières. Cette loi a suscité des débats importants au Parlement. Parallèlement, le Parlement a adopté de nombreuses interventions visant à garantir l'approvisionnement énergétique de la Suisse sur le long terme.

Le nucléaire est un sujet qui n’a cessé de revenir sur le tapis. Il a été central en un sens le 20 décembre 2019 avec la mise à l’arrêt de la centrale nucléaire de Mühleberg (BE); première centrale nucléaire conventionnelle à être mise à l'arrêt en Suisse. En septembre 2022, après de nombreuses années de procédure d’analyse, la Nagra a défini un lieu en profondeur sur le site nord de Lägern entre les cantons d’Argovie et de Zurich qui permettra de stocker les déchets radioactifs. Mais aussi, compte tenu de la pénurie d'électricité, l'exigence de lever l'interdiction de construire de nouvelles centrales nucléaires, basée sur la Stratégie énergétique 2050, a reçu un nouvel élan en 2022 – stimulé entre autres par le lancement de l'initiative populaire «De l'électricité pour tous en tout temps. Stop au black-out», qui voulait considérer comme admissibles «toute forme de production d’électricité respectueuse du climat».

En conclusion, afin de sécuriser l’approvisionnement énergétique helvétique, le Parlement n’a, d’un côté, pas hésité à booster à long terme les énergies renouvelables comme le photovoltaïque, l’éolien ou encore l’hydroélectrique mais également, d’un autre côté, n’a pas hésité à ressortir de sa manche des énergies non renouvelables comme le gaz ou le nucléaire.


Les rétrospectives annuelles:
2020
2021
2022

Rétrospective sur la 51ème législature: Energie
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Rétrospective de la 51e législature : La gestion du système politique face aux (grandes) crises

Auteures: Anja Heidelberger et Marlène Gerber

Traduction: Lloyd Fletcher et Karel Ziehli

Etat au 17.08.2023

Les événements, histoires et débats politiques qui ont eu lieu en très grand nombre au cours de la 51e législature peuvent être retracés de manière détaillée dans nos rapports de législature, classés par thèmes politiques. Toutefois, on se souviendra sans doute surtout des différentes crises qui ont secoué la Suisse au cours de cette législature. En effet, pratiquement aucun domaine politique n'a échappé à au moins une grande crise au cours des quatre dernières années. Par conséquent, nous mettons l'accent, dans cette rétrospective transversale de la 51e législature, sur ces crises et leurs nombreuses répercussions sur la politique et la société.

La pandémie de Covid-19
La pandémie de Covid-19 a eu des répercussions sur presque tous les domaines politiques. En effet, outre le système de santé fortement touché et mis à contribution, les mesures de lutte contre la pandémie ont posé de gros problèmes à différentes branches et catégories de personnes – en particulier aux entreprises et aux indépendants, que le Conseil fédéral a aidés en étendant les allocations pour perte de gain et le chômage partiel et en créant des crédits-relais et des aides pour les cas de rigueur. Les médias, les acteurs culturels, les ligues et associations sportives ainsi que les transports publics et le transport aérien ont également bénéficié de soutiens financiers, tandis que des mesures d’un autre type ont été réclamées dans le domaine des écoles ainsi que pour les loyers commerciaux. Les mesures exhaustives prises pour lutter contre la pandémie ont entraîné un déficit budgétaire considérable, amenant le Parlement à prolonger le délai du remboursement de la dette afin d’éviter des coupes budgétaires draconiennes. La pandémie a également été une charge pour la population, avec des baisses de salaires (lors du chômage partiel), la garde d'enfants en télétravail ou encore l'anxiété. En outre, la pandémie a également posé un problème à la société dans son ensemble, en entraînant (ou en renforçant) une perte de confiance d'une partie de la population dans le gouvernement. Une partie de la population suisse s’est montrée sceptique quant à la vaccination contre le Covid-19, ce qui a suscité des débats émotionnels autour de l'introduction dudit certificat Covid-19. En revanche, tant l'armée, la protection civile et le service civil – en effectuant de nombreuses heures dans des interventions, notamment dans le domaine de la santé – que le monde de la recherche qui a développé des vaccins et des médicaments contre le Covid-19 ont pu démontrer leur utilité dans le cadre de la pandémie. Enfin, la pandémie a également stimulé le télétravail et, plus généralement, la flexibilisation et la numérisation du monde du travail. Au cours de la 51e législature, le peuple et les cantons ont également accepté l'initiative sur les soins, qui contenait des mesures visant à garantir les soins infirmiers de base, dont l'importance a été soulignée pendant la pandémie.

La pandémie a également eu des répercussions sensibles sur le système institutionnel. Au début, le gouvernement a clairement pris les choses en main, prenant toutes les décisions importantes après la proclamation de la situation extraordinaire au sens de la loi sur les épidémies grâce à des décrets d'urgence fondés sur la Constitution et à la loi sur les épidémies, tandis que le Parlement a interrompu prématurément sa session de printemps en raison du début de la pandémie. Le Parlement a obtenu davantage de marge de manœuvre lorsque les ordonnances d'urgence ont dû être remplacées par une loi au bout de six mois, conformément à la Constitution – l'examen de la loi Covid 19 et de ses cinq révisions à ce jour ont donné lieu à des débats animés au Parlement et parfois à des modifications centrales des projets du Conseil fédéral. Les droits populaires ont également connu un coup d'arrêt temporaire, bien que le corps électoral a pu ensuite s'exprimer à trois reprises sur les révisions de la loi Covid 19, qu'il a à chaque fois approuvées. Non seulement les relations entre l'exécutif et le législatif, mais aussi la position des cantons dans la pandémie ont fait l'objet de discussions récurrentes. Ainsi, la déclaration de la situation extraordinaire avait clairement fait basculer le rapport de force en faveur de la Confédération. Certaines phases durant lesquelles les cantons ont temporairement pris le contrôle ont abouti à des patchworks de réglementations entre cantons et à des appels fréquents pour que la Confédération prennent à nouveau les décisions. L'année 2022 a finalement été marquée par les premières tentatives de résoudre politiquement la crise de la Covid-19, avec des propositions discutées pour rendre la Confédération et le Parlement plus résistants aux crises.

La guerre en Ukraine et les problèmes d'approvisionnement en énergie
Immédiatement après la pandémie, la guerre d'agression contre l'Ukraine a attiré l'attention sur des thèmes qui étaient auparavant moins mis en lumière. Ainsi, la guerre a déclenché en Suisse des discussions animées sur l'orientation de la politique étrangère et de la neutralité, après que la Confédération a repris les sanctions décidées par l'UE contre la Russie et que la question de la livraison d’armes à l’Ukraine s’est posée. Cette crise a conduit à l'accueil de réfugié.e.s ukrainien.ne.s en Suisse et à la première utilisation du statut de protection S, ainsi qu'à l'augmentation du budget militaire jusqu'en 2030 et à des discussions sur la sécurité de l'approvisionnement dans le secteur agricole. De plus, la Banque nationale suisse (BNS) a enregistré une perte de 150 milliards de CHF en 2022, qu'elle a notamment attribué aux conséquences de la guerre en Ukraine sur l'économie mondiale.

Conséquence directe de la guerre en Ukraine, les problèmes d'approvisionnement en énergie se sont intensifiés, entraînant une hausse des prix de l'énergie, ce qui s'est répercuté sur les autres prix. En réaction à une possible pénurie d'énergie, le Conseil fédéral a principalement misé sur les énergies renouvelables, tout en faisant construire des centrales de réserve à gaz en cas d'urgence. Des débats sur les avantages de l'énergie nucléaire ont également refait surface dans le monde politique. Enfin, on suppose que la crise énergétique a contribué à la majorité en faveur du contre-projet indirect à l'initiative des glaciers, bien que des projets d'expansion de l'approvisionnement en électricité en hiver aient été privilégiés au Parlement par rapport aux préoccupations environnementales.

Dans l'ensemble, les différentes crises survenues au cours de la 51e législature ont mis en évidence une vulnérabilité d’une ampleur inattendue en matière de sécurité de l'approvisionnement dans de nombreux domaines, en particulier dans le domaine médical, comme les unités de soins intensifs et les médicaments, ainsi que dans le domaine économique, notamment en matière d'énergie et d'agriculture.

Ce qui a également été important
Bien entendu, la 51e législature a également été marquée par des événements, des choix et des décisions politiques importants, indépendamment des crises.

La rupture des négociations sur l'accord-cadre institutionnel en avril 2021 a particulièrement marqué les relations entre la Suisse et l'UE. Le refus de l'accord-cadre a conduit tant à un blocage de la participation suisse au programme de recherche européen « Horizon Europe »; une situation que même le déblocage du deuxième milliard de cohésion ne changera pas. Après plusieurs autres entretiens exploratoires entre la Suisse et l'UE, le Conseil fédéral a adopté en 2023 des lignes directrices pour un nouveau mandat de négociation avec l'UE.

L'effondrement de Credit Suisse en mars 2023 et son rachat par UBS ont également suscité une attention particulière. C’est pour enquêter sur ces événements que le Parlement a décidé d’instituer la cinquième commission d'enquête parlementaire de l'histoire suisse.

Les femmes ont écrit l'histoire en augmentant de manière significative leur représentation dans les deux chambres lors des élections fédérales de 2019. Près de cinquante ans après l'introduction du droit de vote des femmes – la 51e législature a également été l'occasion de célébrer le 50e anniversaire –, la proportion de femmes au Conseil national a dépassé pour la première fois les 40 pour cent, tandis que celle au Conseil des États s'élevait à 26 % après les élections.

Bien que le Parlement soit devenu plus vert avec les dernières élections fédérales, les questions climatiques ont surtout été au centre de l'attention en 2021, lorsque le corps électoral a rejeté de justesse la révision totale de la loi sur le CO2. En revanche, la loi sur le climat et l'innovation, qui constituait un contre-projet indirect à l'initiative des glaciers, été approuvée en votation populaire en 2023.

De manière générale, le taux d'acceptation des projets soumis au référendum facultatif au cours de la 51e législature a été relativement faible par rapport aux législatures précédentes, avec 7 échecs sur un total de 21 référendums. De plus, la participation électorale a été élevée de 5 points de pourcentage en plus par rapport à la moyenne depuis 1990, ce qui pourrait être lié au climat politique enflammé pendant la pandémie de Covid-19. Le taux d'acceptation des initiatives lors de la 51e législature a été relativement élevé (3 initiatives sur 13), tandis que le nombre d'initiatives populaires soumises au vote a été moins élevé que lors des législatures précédentes. En revanche, le Conseil fédéral et le Parlement ont élaboré de nombreux contre-projets directs ou indirects aux initiatives populaires au cours de cette législature.


Vous trouverez des informations sur les votations populaires ainsi que des explications sur les objets parlementaires et des descriptions des événements centraux de la 51e législature dans les différentes rétrospectives thématiques de la législature ainsi que dans les rétrospectives annuelles qui y sont liées.

Liens vers les rapports de législature, classés par thèmes politiques:
Problèmes politiques fondamentaux
Ordre juridique
Institutions et droits populaires
Structures fédéralistes
Elections
Politique étrangère
Armée
Politique économique
Crédit et monnaie
Agriculture
Finances publiques
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Transports et communications
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Enseignement et recherche
Culture, langues, églises
Médias

Rückblick auf die 51. Legislatur: Vom Umgang des politischen Systems mit (grossen) Krisen
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Rückblick auf die 51. Legislatur: Vom Umgang des politischen Systems mit (grossen) Krisen

Autorinnen: Anja Heidelberger und Marlène Gerber

Stand: 17.08.2023

Die unzähligen Geschichten, Ereignisse und politischen Diskussionen, die sich während der 51. Legislatur ereigneten, lassen sich ausführlich in unseren thematischen Legislaturrückblicken nachlesen. In Erinnerung bleiben werden aber wohl in erster Linie die verschiedenen Krisen, welche die Schweiz in dieser Legislatur beschäftigt haben. So war denn auch kaum ein Themenbereich nicht von mindestens einer grossen Krise betroffen. Folglich stellen wir die Krisen und deren zahlreiche Auswirkungen für Politik und Gesellschaft in den Fokus dieses themenübergreifenden Rückblicks auf die 51. Legislatur.

Die Covid-19-Pandemie
Insbesondere die Covid-19-Pandemie hatte Auswirkungen auf fast alle Politikfelder, denn neben dem stark betroffenen und belasteten Gesundheitssystem stellten die Massnahmen im Kampf gegen die Pandemie verschiedene Branchen und Personengruppen vor grosse Probleme – insbesondere auch die Unternehmen und Selbständigerwerbenden, denen der Bundesrat etwa durch Ausdehnung des Erwerbsersatzes und der Kurzarbeit sowie mit der Schaffung von Corona-Krediten und Härtefallhilfen entgegen kam. Finanziell unterstützt wurden insbesondere auch die Medien, die Kulturunternehmen und Kulturschaffenden, die Sportligen und -vereine sowie der öffentliche Verkehr und der Luftverkehr, während etwa im Bereich der Schulen, aber auch bei den Geschäftsmieten alternative Regelungen gefragt waren. Die umfassenden Massnahmen gegen die Pandemie führten in der Folge zu einem grossen Loch im Bundeshaushalt, dessen Abbaufrist das Parlament verlängerte, um einschneidende Sparrunden zu verhindern. Eine Belastung war die Pandemie auch für die Bevölkerung, welche etwa durch tiefere (Kurzarbeits-)Löhne, Kinderbetreuung im Home-Office oder Angstgefühle. Zudem stellte die Pandemie auch ein Problem für die Gesellschaft als Ganzes dar, indem sie bei Teilen der Bevölkerung zu einem Vertrauensverlust in die Institutionen führte (oder diesen verstärkte). Teile der Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz standen denn auch der Covid-19-Impfung skeptisch gegenüber, was zu besonders emotionalen Diskussionen rund um die Einführung des sogenannten Covid-19-Zertifikats führte. Hingegen konnten Armee, Zivilschutz und Zivildienst in zahlreichen Einsatzstunden v.a. im Gesundheitsbereich, aber etwa auch die Forschung bei der Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gegen Covid-19 ihren Nutzen im Rahmen der Pandemie unter Beweis stellen. Schub bedeutete die Pandemie schliesslich für die Förderung von Homeoffice und allgemein für die Flexibilisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt. In der 51. Legislatur nahmen Volk und Stände auch die Pflegeinitiative an, welche Massnahmen enthielt, um die pflegerische Grundversorgung zu sichern, deren Wichtigkeit im Zuge der Pandemie noch verdeutlicht worden war.

Spürbare Auswirkungen hatte die Pandemie auch auf das Institutionengefüge. Zu Beginn nahm eindeutig die Regierung das Zepter in die Hand, welche nach Ausrufen der ausserordentlichen Lage gemäss Epidemiengesetz mithilfe von auf der Verfassung beruhenden Notverordnungen und dem Epidemiengesetz alle wichtigen Entscheidungen traf, während das Parlament wegen des Ausbruchs der Pandemie die eigene Frühjahrssession vorzeitig abbrach. Mehr Spielraum erhielt das Parlament, als die Notverordnungen nach sechs Monaten verfassungsmässig durch ein Gesetz ersetzt werden mussten – die Beratung des Covid-19-Gesetzes und seine bisher fünfmalige Revision führten zu angeregten Debatten im Parlament und teilweise zu zentralen Änderungen an den bundesrätlichen Entwürfen. Zwischenzeitlich zum Stillstand kamen auch die Volksrechte, zu den Revisionen der Covid-19-Gesetze konnte sich die Stimmbevölkerung jedoch dann insgesamt dreimal äussern, wobei sie diese jeweils guthiess. Doch nicht nur das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative, sondern auch die Stellung der Kantone in der Pandemie sorgte immer wieder für Diskussionen. So hatte die Ausrufung der ausserordentlichen Lage die Kräfteverhältnisse eindeutig zugunsten des Bundes verschoben. Einzelne Phasen, in denen die Entscheidungsgewalt temporär bei den Kantonen lag, endeten zudem jeweils in sogenannten Flickenteppichen an Regelungen zwischen den Kantonen und nicht selten auch in dem Ruf nach erneuten Entscheidungen durch den Bund. Das Jahr 2022 stand schliesslich im Zeichen erster politischer Aufarbeitung der Covid-19-Krise, wobei insbesondere Vorstösse diskutiert wurden, mit denen Bund und Parlament krisenresistenter gemacht werden sollten.

Krieg in der Ukraine und Energiekrise
Gleich im Anschluss an die Pandemie erhielten mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine zuvor etwas weniger beleuchtete Themenbereiche aussergewöhnlich hohe Aufmerksamkeit. So löste der Krieg in der Schweiz hitzige Diskussionen zur Ausrichtung der Aussen- und Neutralitätspolitik aus, nachdem der Bund die von der EU beschlossenen Sanktionen gegen Russland und in der Folge auch alle Ausweitungen übernommen hatte und überdies über Waffenlieferungen an die Ukraine diskutiert wurde. Der Krieg führte in der Schweiz unter anderem zur Aufnahme von Flüchtenden aus der Ukraine und zur ersten Ausrufung des Schutzstatus S, aber auch zur Aufstockung des Militärbudget bis 2030 sowie zu Diskussionen über die Versorgungssicherheit im Landwirtschaftsbereich. Darüber hinaus verzeichnete die SNB im Jahr 2022 einen Verlust von CHF 150 Mrd., den sie unter anderem auf die weltwirtschaftlichen Folgen des Ukrainekriegs zurückführte.

Als direkte Folge des Ukraine-Krieges verstärkte sich zudem die Versorgungsproblematik im Energiebereich, woraufhin die Energiepreise anstiegen, was sich auch auf die übrigen Preise auswirkte. Als Reaktion auf die mögliche Energieknappheit wollte der Bundesrat in erster Linie auf erneuerbare Energien setzen, für den Notfall liess er jedoch Reservegaskraftwerke bauen. Auch flammten in der Politik gleichzeitig Diskussionen um die Vorteile von Atomkraft auf. Schliesslich wird vermutet, dass die Energiekrise dem indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative zu einer Mehrheit verhalf, gleichzeitig wurde aber Ausbauprojekten zur Stromversorgung im Winter im Parlament Vorrang gegenüber Umweltbedenken gegeben.

Insgesamt zeigten die verschiedenen Krisen während der 51. Legislatur eine ungeahnt grosse Vulnerabilität bezüglich der Versorgungssicherheit in zahlreichen Bereichen auf, insbesondere im medizinischen Bereich, etwa bei den Intensivstationen und den Medikamenten, aber auch im wirtschaftlichen Bereich, hier insbesondere bei der Energie und in der Landwirtschaft.

Was sonst noch wichtig war
Natürlich brachte die 51. Legislatur auch unabhängig von den Krisen wichtige Ereignisse, Weichenstellungen und politische Entscheide mit sich.

Der im April 2021 erfolgte Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen prägte die Beziehungen der Schweiz mit der EU in besonderem Masse. So führte der Verhandlungsabbruch etwa auch zu einer Blockierung der Teilnahme am EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe», woran auch die Freigabe der zweiten Kohäsionsmilliarde nichts änderte. Nach verschiedenen weiteren Sondierungsgesprächen zwischen der Schweiz und der EU verabschiedete der Bundesrat 2023 Eckwerte für ein neues Verhandlungsmandat mit der EU.

Für besonderes Aufsehen sorgte auch der im März 2023 bekannt gewordene Untergang der Credit Suisse respektive deren Übernahme durch die UBS. Zur Aufarbeitung dieser Geschehnisse wurde die fünfte parlamentarische Untersuchungskommission der Schweizer Geschichte initiiert.

Geschichte schrieben auch die Frauen, die bei den eidgenössischen Wahlen 2019 ihre Vertretung in den beiden Räten signifikant hatten steigern können. Fast fünfzig Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts – in der 51. Legislatur fanden auch die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum statt – betrug der Frauenanteil im Nationalrat erstmals über 40 Prozent, derjenige im Ständerat belief sich nach den Wahlen auf 26 Prozent.

Generell war die Annahmequote von durch das fakultative Referendum initiierten Abstimmungsvorlagen in der 51. Legislatur im Vergleich zu vorherigen Legislaturen eher niedrig, so scheiterten 7 von insgesamt 21 solcher Referendumsvorlagen. Zudem lag die Abstimmungsbeteiligung im langjährigen Schnitt (seit 1990) um 5 Prozentpunkte höher, was mit der während der Covid-19-Pandemie aufgeheizten politischen Stimmung in Zusammenhang stehen könnte. Die Annahmequote von Initiativen in der 51. Legislatur war vergleichsweise hoch (3 von 13 Initiativen), während gleichzeitig eher über weniger Volksbegehren abgestimmt wurde als in früheren Legislaturen. Dafür erarbeiteten Bundesrat und Parlament in dieser Legislatur auch zahlreiche direkte Gegenentwürfe oder indirekte Gegenvorschläge zu Volksinitiativen.


Informationen zu den Abstimmungsvorlagen sowie Ausführungen zu den in den jeweiligen Themenbereichen zentralen Geschäften und Ereignissen der 51. Legislatur finden Sie in den einzelnen thematischen Legislaturrückblicken sowie in den dort verlinkten Jahresrückblicken.

Zu den thematischen Legislaturrückblicken:
Politische Grundfragen
Rechtsordnung
Institutionen und Volksrechte
Föderativer Aufbau
Wahlen
Aussenpolitik
Landesverteidigung
Wirtschaftspolitik
Geld, Währung, Kredit
Landwirtschaft
Öffentliche Finanzen
Energie
Verkehr und Kommunikation
Raumplanung und Wohnungswesen
Umweltschutz
Bevölkerung und Arbeit
Gesundheit
Sozialversicherungen
Soziale Gruppen
Bildung und Forschung
Kultur, Sprache, Kirche
Medien

Rückblick auf die 51. Legislatur: Vom Umgang des politischen Systems mit (grossen) Krisen
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Eine Mehrheit der Mitglieder in Verwaltungsräten von systemrelevanten Unternehmen sollen das Schweizer Bürgerrecht besitzen und in der Schweiz wohnhaft sein, damit diese nachhaltige Entscheidungen im Sinne der gesamtschweizerischen Interessen fällen, so die Forderung einer im April 2023 eingereichten Motion von Ständerat Marco Chiesa (svp, TI). Der SVP-Parteipräsident war der Ansicht, dass sich Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte zentraler Unternehmen mit der Schweiz identifizieren müssen, um auch abschätzen zu können, welche Folgen ein Entscheid auf das ganze Land hat. Die Motion war im Nachgang zum Zusammenbruch der Schweizer Grossbank Credit Suisse im März desselben Jahres eingereicht worden.
Ein Ordnungsantrag der SVP-Fraktion in der Frühlingssession 2023 im Nationalrat zur Zuweisung der Motion auf die Traktandenliste der ausserordentlichen Session zur Notfusion der Grossbank CS mit der UBS scheiterte mit 130 Stimmen zu 50 Stimmen deutlich, nachdem Nationalratspräsident Martin Candinas (mitte, GR) darauf verwiesen hatte, dass der Antrag gegen das ParlG verstosse, da der Bundesrat noch keine Gelegenheit für eine Stellungnahme gehabt habe.
Letzterer hatte sich im Vorfeld der ständerätlichen Behandlung schliesslich für eine Ablehnung der Motion ausgesprochen, da er die vorgeschlagene Massnahme als nicht zielführend erachtete, um verantwortungsvolle Entscheide in Teppichetagen sicherzustellen. Zudem widerspreche eine solche Massnahme dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU, gab die Regierung im Mai 2023 zu bedenken.
In der Sommersession 2023 befasste sich der Ständerat mit dem Anliegen. Die Motion wurde dabei zusammen mit sieben weiteren Vorstössen (Mo. 23.3217; Mo. 23.3449; Po. 23.3450; Mo. 23.3451; Mo. 23.3452; Mo. 23.3494; Mo. 23.3495) behandelt, welche ebenfalls im Zuge des Zusammenbruchs der Credit Suisse eingereicht worden waren. Ruedi Noser (fdp, ZH) verlangte mit einem Ordnungsantrag, die acht Vorstösse der zuständigen WAK-SR zur Vorberatung zuzuweisen. Mit einer Gesamtschau könne die Krise schneller und effizienter angegangen werden. Die Kommission könne bei der Beratung der acht Vorstösse die Vorlage des Bundesrates zur staatlichen Liquiditätssicherung für systemrelevante Banken (PLB-Vorlage), den Bericht zur Aufarbeitung der CS-Übernahme sowie weitere Vorstösse aus dem Nationalrat (etwa Mo. 21.3910 und Mo. 21.3909) einbeziehen. Thomas Minder (parteilos, SH) zeigte sich hingegen empört über den Ordnungsantrag und verlangte mit der Behandlung der Vorstösse im Rat ein schnelleres Vorgehen. Er sprach im Zusammenhang mit der früheren Rettung der UBS, der aktuellen CS-Rettung und den Diskussionen rund um Too-big-to-fail von «gravierenden Fehlentscheidungen» und wollte nicht «zum wiederholten Male seit der Finanzkrise 2007 eine Tour d'Horizon machen, x umfangreiche Berichte schreiben und Studien verfassen [...]». Das Problem «too big to fail» sei stattdessen jetzt anzugehen. Mit 31 zu 5 Stimmen bei 8 Enthaltungen folgte der Rat jedoch dem Antrag Noser und wies die Vorlagen der Kommission zur Vorprüfung zu.

Systemrelevante Unternehmen. Entscheidungen im Interesse der Schweiz gewährleisten (Mo. 23.3448)

Vor dem Hintergrund der Medikamentenknappheit, die sich sowohl 2022 als auch 2023 in der Schweiz bemerkbar gemacht und den Bundesrat dazu veranlasst hatte, verschiedene Pflichtlager freizugeben, wurde im Frühjahr 2023 die Volksinitiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit» lanciert. Das Komitee hinter dem Volksbegehren setzte sich aus 23 Personen und laut eigenen Angaben aus sämtlichen Bereichen des Gesundheitswesens zusammen. Dieses führte in seiner Medienmitteilung aus, dass hierzulande rund 1'000 verschiedene Medikamente fehlten. Anlässlich der Covid-19-Pandemie sei zudem ersichtlich geworden, dass manchmal gewisse Materialien, die beispielsweise zentral für die Durchführung von Tests gewesen seien, nicht mehr an Labore hatten geliefert werden können. Für diese Probleme verantwortlich machte das Initiativkomitee den jahrelangen massiven Preisdruck, aufgrund dessen die Herstellung von Medikamenten und anderen medizinischen Gütern nicht länger in der Schweiz oder in Europa stattfinden könne. Stattdessen sei die Herstellung in den asiatischen Raum verlagert worden. So würden Antibiotika und weitere essentielle Medikamente inzwischen fast ausschliesslichen in Staaten wie China und Indien produziert. Die Zuverlässigkeit bezüglich Lieferung der Unternehmen vor Ort sei auch zu normalen Zeiten nicht gegeben, so das Initiativkomitee weiter. Angesichts dessen sei die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung gefährdet und Handlungsbedarf angezeigt. Es existierten von Seiten der Verwaltung zwar bestimmte Massnahmen, diese seien allerdings unzureichend, um der Problematik zu begegnen. Um die Versorgungssicherheit tatsächlich zu verbessern, beabsichtigte die vorliegende Volksinitiative die Schaffung einer Bundeskompetenz anstelle von 26 verschiedenen Zuständigkeiten. Ausserdem soll der Standort Schweiz inklusive seiner Forschung, Entwicklung, Produktion und Lagerhaltung gestärkt werden. Die dritte Forderung des Volksbegehrens umfasste das Etablieren zuverlässiger Lieferketten aus dem Ausland. Aus dem Gesundheitswesen aktive Unterstützung erfuhr die Initiative von 16 Verbänden, Organisationen und Unternehmen. Dazu zählten etwa die Ärzte- und Apothekerschaft sowie Akteure aus der Pharmaindustrie. Nachdem die Bundesverwaltung die Initiative am 21. März 2023 vorgeprüft hatte, startete am 4. April 2023 die Unterschriftensammlung. Das Initiativkomitee gab bekannt, dass diese in über 3'000 Apotheken, Drogerien, Arztpraxen und Unternehmen des Gesundheitswesens stattfinde.

Volksinitiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit»
Dossier: Medikamentenengpass

Im März 2023 stand eine Motion von Roberto Zanetti (sp, SO) zur Sicherstellung des metallischen Materialkreislaufes in der Schweiz auf der Traktandenliste des Ständerats. Der Solothurner Ständerat forderte, dass der Bundesrat ein Massnahmenpaket ausarbeitet, um den Produktions- und Recyclingstandort für Metalle in der Schweiz zu sichern. In einem längeren Votum legte Zanetti dar, weshalb die Motion so wichtig sei: Die Branche – er verwies dabei vor allem auf das grösste Stahlwerk in der Schweiz, die Stahl Geralfingen AG, welches Metalle in grosser Menge rezykliert und wiederaufbereitet – sei sehr energieintensiv und die Energiekrise mache der Branche zu schaffen. Die derzeitigen Energiepreissubventionen in der EU hätten indes grosse Wettbewerbsnachteile für die Schweizer Unternehmen zur Folge, welche keine Entlastung erhalten würden. Ohne gezielte Unterstützung «sei der Verlust von industrieller Substanz in grossem Ausmass zu befürchten», zitierte Zanetti Jean-Philippe Kohl, den Leiter für Wirtschaftspolitik beim Verband Swissmem. Würde beispielsweise das Gerlafinger Stahlwerk wegfallen, müssten Unmengen an Stahl aus dem Ausland – Norditalien oder Süddeutschland – importiert werden, was gravierende negative ökonomische als auch ökologische Folgen impliziere. Die Massnahme sei nicht zuletzt eine «ökonomische und ökologische Landesverteidigung» im Sinne der Versorgungssicherheit, um eine «wichtige Schlüsselindustrie» im Land zu behalten. Wie der Sozialdemokrat ausführte, erfahre seine Motion zudem über die Parteigrenzen hinweg Unterstützung – ganze 29 Ständerätinnen und Ständeräte hätten mitunterzeichnet: Darunter beispielsweise Jakob Stark (svp, TG), der im Rat daraufhin aufzeigte, dass sich diese Frage generell auf den Industriestandort Schweiz ausweiten liesse. Es sei zu klären, welche Industrien systemrelevant und welche zu schützen seien – auch im Hinblick auf andere energieintensive Industrien. Er verwies dabei auf seine Interpellation zu ebendiesem Thema (Ip. 22.4371). Bundesrat Guy Parmelin blieb im Rat beim Standpunkt des Gremiums, dass sich die Schweiz nicht in diesen Subventionswettlauf begeben dürfe, wie es im Ausland der Fall sei. Zudem würde dies weitere Industriezweige zu Forderungen bewegen. Weiter führte Parmelin aus, dass der Energiepreisanstieg in der Schweiz weniger stark ausgefallen sei als im Ausland und die Absicherung gegen Energiepreisrisiken bei solchen Branchen zum Kerngeschäft gehöre. Des Weiteren sei die Beschäftigung im Land gut, die Inflation und die Steuerbelastung tief, was alles gute Rahmenbedingungen darstellten. Letztere – und nicht die Chancengleichheit – seien auch das Ziel der Schweizer Wirtschaftspolitik. Zu guter Letzt habe sich der Bundesrat im Rahmen des Postulats 18.3509) vorgenommen, neue Massnahmen zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft im Bausektor und damit auch der Rezyklierung metallischer Abfälle zu prüfen. Trotz der vielen Ausführungen des Bundesrates zeigte sich im Ständerat schliesslich ein deutliches Bild: Mit 35 zu 5 Stimmen bei 2 Enthaltungen nahm dieser die Motion an.

Metallischer Materialkreislaufs in der Schweiz sichern (Mo. 22.4447)

Jahresrückblick 2022: Institutionen und Volksrechte

Spätestens seit dem Rücktritt von Ueli Maurer als Bundesrat Ende September dominierte die Suche nach seiner Nachfolgerin oder seinem Nachfolger den Themenbereich «Institutionen und Volksrechte» (vgl. Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse). Mit dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga Ende November standen im Dezember 2022 gleich zwei Bundesratsersatzwahlen an. Maurer hatte seinen Rücktritt mit dem Wunsch begründet, noch einmal etwas Neues machen zu wollen, und Simonetta Sommaruga hatte sich entschieden, in Folge eines Schlaganfalles ihres Mannes ihr Leben neu auszurichten. Wie bei Bundesratsersatzwahlen üblich, überboten sich die Medien mit Spekulationen, Expertisen, Interpretationen und Prognosen. Bei der SVP galt die Kandidatur von Hans-Ueli Vogt (svp, ZH), der sich 2021 aus der Politik zurückgezogen hatte, als Überraschung. Dennoch zog ihn die SVP-Fraktion anderen Kandidatinnen und Kandidaten vor und nominierte ihn neben dem Favoriten Albert Rösti (svp, BE) als offiziellen Kandidaten. Bei der SP sorgte der sehr rasch nach der Rücktrittsrede von Simonetta Sommaruga verkündete Entscheid der Parteileitung, mit einem reinen Frauenticket antreten zu wollen, für Diskussionen. Die medialen Wogen gingen hoch, als Daniel Jositsch (ZH) dies als «Diskriminierung» bezeichnete und seine eigene Bundesratskandidatur verkündete. Die SP-Fraktion entschied sich in der Folge mit Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU) und Eva Herzog (sp, BS) für zwei Kandidatinnen. Zum Nachfolger von Ueli Maurer wurde bereits im 1. Wahlgang Albert Rösti mit 131 von 243 gültigen Stimmen gewählt. Hans-Ueli Vogt hatte 98 Stimmen erhalten (Diverse: 14). Für die SP zog Elisabeth Baume-Schneider neu in die Regierung ein. Sie setzte sich im dritten Wahlgang mit 123 von 245 gültigen Stimmen gegen Eva Herzog mit 116 Stimmen durch. Daniel Jositsch hatte in allen drei Wahlgängen jeweils Stimmen erhalten – deren 6 noch im letzten Umgang. Die Wahl der ersten Bundesrätin aus dem Kanton Jura wurde von zahlreichen Beobachterinnen und Beobachtern nicht nur als Überraschung gewertet, sondern gar als Gefahr für das «Gleichgewicht» der Landesregierung kommentiert (Tages-Anzeiger). Die rurale Schweiz sei nun in der Exekutive übervertreten, wurde in zahlreichen Medien kritisiert.

Der Bundesrat stand aber nicht nur bei den Wahlen im Zentrum des Interesses. Diskutiert wurde auch über Vor- und Nachteile einer Erhöhung der Zahl der Regierungsmitglieder, wie sie eine parlamentarische Initiative Pa.Iv. 19.503 forderte – es war bereits der sechste entsprechende Vorstoss in den letzten 30 Jahren. Die Begründungen hinter den jeweiligen Anläufen variieren zwar über die Zeit – der neueste Vorstoss wollte «die Konkordanz stärken», also mehr Spielraum für parteipolitische aber auch für gendergerechte Vertretung schaffen – die Projekte nahmen bisher aber stets denselben Verlauf: Auch in diesem Jahr bevorzugte das Parlament den Status quo.
Verbessert werden sollte hingegen die Krisenorganisation des Bundesrates. Dazu überwiesen beide Kammern gleichlautende Motionen und Postulate der GPK beider Räte, die Rechtsgrundlagen für einen Fach-Krisenstab sowie eine Gesamtbilanz der Krisenorganisation des Bundes anhand der Lehren aus der Corona-Pandemie verlangten.

Auch das Parlament sollte als Lehre aus der Pandemie krisenresistenter gemacht werden. Aus verschiedenen, von Parlamentsmitgliedern eingereichten Ideen hatte die SPK-NR eine einzige Vorlage geschnürt, die 2022 von den Räten behandelt wurde. Dabei sollten aber weder der Bundesrat in seiner Macht beschränkt, noch neue Instrumente für das Parlament geschaffen werden – wie ursprünglich gefordert worden war. Vielmehr sah der Entwurf Möglichkeiten für virtuelle Sitzungsteilnahme im Falle physischer Verhinderung aufgrund höherer Gewalt und die Verpflichtung des Bundesrates zu schnelleren Stellungnahmen bei gleichlautenden dringlichen Kommissionsmotionen vor. Umstritten blieb die Frage, ob es statt der heutigen Verwaltungsdelegation neu eine ständige Verwaltungskommission braucht. Der Nationalrat setzte sich für eine solche ein, der Ständerat lehnte sie ab – eine Differenz, die ins Jahr 2023 mitgenommen wird.
Nicht nur die Verwaltungskommission, auch die Schaffung einer ausserordentlichen Aufsichtsdelegation war umstritten. Die vom Nationalrat jeweils mit grosser Mehrheit unterstützte Idee, dass es neben der PUK und den Aufsichtskommissionen ein mit starken Informationsrechten ausgerüstetes Gremium geben soll, das als problematisch beurteilte Vorkommnisse in der Verwaltung rasch untersuchen könnte, war beim Ständerat stets auf Unwille gestossen. Auch nach einer Einigungskonferenz konnten sich die Räte nicht auf eine Lösung verständigen, woraufhin der Ständerat das Anliegen versenkte, zumal er die bestehenden Instrumente und Akteure als genügend stark erachtete.

Seit vielen Jahren Zankapfel zwischen den Räten ist die Frage nach der Höhe der Löhne in der Bundesverwaltung. In diesem Jahr beendete der Ständerat eine beinahe sechsjährige Diskussion dazu, indem er auf eine entsprechende Vorlage der SPK-SR auch in der zweiten Runde nicht eintrat, obwohl der Nationalrat deutlich für eine Obergrenze von CHF 1 Mio. votiert hatte. Die SPK-NR sorgte in der Folge mit einer neuerlichen parlamentarischen Initiative für ein Verbot von «goldenen Fallschirmen» für Bundeskader dafür, dass diese Auseinandersetzung weitergehen wird.

In schöner Regelmässigkeit wird im Parlament auch die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit diskutiert. Zwei entsprechende Motionen wurden in diesem Jahr von der Mehrheit des Ständerats abgelehnt, da das aktuelle System, in welchem die Letztentscheidung dem direktdemokratischen Element und nicht der Judikative überlassen wird, so gut austariert sei, dass ein Verfassungsgericht nicht nötig sei. Freilich ist sich das Parlament der Bedeutung der obersten Bundesgerichte durchaus bewusst. Ein Problem stellt dort seit einiger Zeit vor allem die chronische Überlastung aufgrund der hohen Fallzahlen dar. Daher werde gemäss Justizministerin Karin Keller-Sutter mittelfristig eine Modernisierung des Bundesgerichtsgesetzes geprüft, kurzfristig sei eine Entlastung aber nur durch eine Erhöhung der Zahl der ordentlichen Richterinnen und Richter zu erreichen. Eine entsprechende parlamentarische Initiative der RK-NR hiessen beide Kammern gut, allerdings jeweils gegen die geschlossen stimmende SVP-Fraktion, die in der Erhöhung lediglich «Flickwerk» sah.

Die mittels direktdemokratischer Abstimmungen verhandelte Schweizer Politik zeigte sich 2022 einigermassen reformresistent. Nachdem im Februar gleich beide zur Abstimmung stehenden fakultativen Referenden (Gesetz über die Stempelabgaben und Medienpaket) erfolgreich waren, wurde in den Medien gar spekuliert, ob die Bundespolitik sich nun vermehrt auf Blockaden einstellen müsse. Allerdings passierten dann im Mai und im September 4 von 5 mittels Referenden angegriffenen Bundesbeschlüsse die Hürde der Volksabstimmung (Filmgesetz, Organspende, Frontex, AHV21). Einzig die Revision des Verrechnungssteuergesetzes wurde im September an der Urne ausgebremst. 2022 war zudem die insgesamt 25. Volksinitiative erfolgreich: Volk und Stände hiessen die Initiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» gut. Die beiden anderen Volksbegehren (Massentierhaltungsinitiative, Initiative für ein Verbot von Tier- und Menschenversuchen) wurden hingegen abgelehnt.

Dass in der Schweizer Politik manchmal nur ganz kleine Schritte möglich sind, zeigen die erfolglosen Bemühungen, den Umfang an Stimm- und Wahlberechtigten zu erhöhen. Der Nationalrat lehnte zwei Vorstösse ab, mit denen das Stimmrecht auf Personen ohne Schweizer Pass hätte ausgeweitet werden sollen. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Stimmrechtsalter in naher Zukunft auf 16 gesenkt werden wird, hat sich im Jahr 2022 eher verringert: Zwar wies eine knappe Mehrheit des Nationalrats den Abschreibungsantrag für eine parlamentarische Initiative, welche eine Senkung des Alters für das aktive Stimmrecht verlangt und welcher 2021 beide Kammern Folge gegeben hatten, ab und wies sie an die SPK-NR zurück, damit diese eine Vorlage ausarbeitet. In zwei Kantonen wurde die Senkung des Stimmrechtsalters im Jahr 2022 an der Urne aber deutlich verworfen: in Zürich im Mai mit 64.8 Prozent Nein-Stimmenanteil, in Bern im September mit 67.2 Prozent Nein-Stimmenanteil.

Allerdings fielen 2022 auch Entscheide, aufgrund derer sich das halbdirektdemokratische System der Schweiz weiterentwickeln wird. Zu denken ist dabei einerseits an Vorstösse, mit denen Menschen mit Behinderungen stärker in den politischen Prozess eingebunden werden sollen – 2022 nahmen etwa beide Kammern eine Motion an, mit der Einrichtungen geschaffen werden, die helfen, das Stimmgeheimnis für Menschen mit Sehbehinderung zu gewährleisten. Zudem gaben National- und Ständerat einer parlamentarischen Initiative für die Barrierefreiheit des Live-Streams der Parlamentsdebatten Folge, damit auch hörgeschädigte Menschen diesen folgen können. Andererseits verabschiedete der Bundesrat die Verordnung zu den künftigen Transparenzbestimmungen bei Wahlen und Abstimmungen. Ob und wie die erstmals für die eidgenössischen Wahlen 2023 bzw. für das Finanzjahr 2023 vorzulegenden Kampagnen- und Parteibudgets die politischen Debatten beeinflussen werden, wird sich weisen.

Jahresrückblick 2021: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Jahresrückblick 2022

Die 182 zu 1 Stimmen im Nationalrat liessen darauf schliessen, dass die Motion Dobler (fdp, SG), die bei eidgenössischen Abstimmungen auf dem Stimmzettel einen Hinweis auf bestehende indirekte Gegenvorschläge verlangt, auf den ersten Blick «nachvollziehbar und sympathisch» sei, führte Mathias Zopfi (gp, GL) als Sprecher der SPK-SR die ständerätliche Debatte zum Vorstoss in der Wintersession 2022 ein. Der Kommission habe allerdings ein zweiter Blick genügt, um die Ablehnung der Motion zu beantragen. Im Gegensatz zum Motionär sei die Kommission der Meinung, dass die Willensbildung durch zusätzliche Informationen auf dem Stimmzettel nicht gefördert, sondern im Gegenteil gefährdet werde. Ein indirekter Gegenvorschlag sei ein politisches Argument und gehöre deshalb sicher nicht auf den Stimmzettel, der möglichst schlicht bleiben und nicht mit Hinweisen überladen werden soll. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger seien sehr wohl in der Lage, sich zum Beispiel im Abstimmungsbüchlein über bestehende Gegenvorschläge zu informieren. In der Tat war die Information über indirekte Gegenvorschläge in den Abstimmungserläuterungen mit deren Überarbeitung 2018 stark verbessert worden. Einen Minderheitsantrag auf Annahme gab es nicht, obwohl die SPK-SR die Ablehnungsempfehlung mit 9 zu 1 Stimmen und 1 Enthaltung beschloss. Weil er als Einziger in der Kommission für die Motion gestimmt habe, habe er auf einen Antrag verzichtet, so Thomas Minder (parteilos, SH). Er fände es aber eigentlich «logisch», wenn auf dem Stimmzettel vermerkt würde, über welche Alternativen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger verfügten beziehungsweise welche Folgen die Ablehnung einer Initiative habe. Er denke nicht, dass alle Stimmberechtigten wüssten, was ein indirekter Gegenvorschlag sei. Auch Bundeskanzler Walter Thurnherr ergriff das Wort und führte für den Bundesrat, der die Motion ebenfalls zur Ablehnung empfohlen hatte, aus, dass das geltende Recht vorsehe, dass Abstimmungsfragen neutral formuliert sein und keinen Informationsauftrag erfüllen müssen. Es wäre unzulässig, ein Argument für oder gegen eine Vorlage in die Abstimmungsfrage einzufügen, und auch «demokratiepolitisch problematisch», wenn Hinweise auf Stimmzetteln die Meinungsbildung beeinflussen würden. Ohne Abstimmung lehnte die kleine Kammer die Motion in der Folge ab.

Hinweis auf bestehende indirekte Gegenvorschläge auf dem Abstimmungszettel (Mo. 22.3132)
Dossier: Stimmzettel als Informationsträger?

Ende Oktober 2022 gab der Bundesrat bekannt, dass es am 12. März 2023 zu keinem Urnengang über eidgenössische Abstimmungsvorlagen komme, da keine Erlasse vorlägen. Einigermassen speziell an dieser Mitteilung war, dass schon rund vier Monate früher eine praktisch identische Mitteilung angekündigt hatte, dass der Termin im November 2022 nicht genutzt werde. Auch für den Termin von November 2022 gab es weder abstimmungsreife Initiativen oder obligatorische Referenden noch erfolgreich zustande gekommene fakultative Referenden, die einem Volksentscheid harrten.
Diese «Ruhepause für das helvetische System der halbdirekten Demokratie», wie sie von Swissinfo bezeichnet wurde, ist ein eher seltenes Ereignis. Der Bund setzt jeweils rund 20 Jahre im Voraus sogenannte Blanko-Abstimmungstermine für eidgenössische Urnengänge fest. Alle vier Jahre werden an einem dieser Blankotermine die eidgenössischen Wahlen abgehalten und in der Regel wird der auf die Wahlen folgende Termin ebenfalls nicht für eidgenössische Abstimmungen genutzt. Damit kommt es also jeweils bei den eidgenössischen Wahlen ebenfalls zweimal hintereinander nicht zu Abstimmungen. Zudem gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder einzelne Blankotermine, die nicht genutzt wurden – so etwa der 17. Mai 2020, als die Abstimmungen aufgrund der Covid-Pandemie verschoben werden mussten, im November 2017 oder der im Mai 2011. Im Jahr 2011 wurde gar insgesamt lediglich über eine einzige eidgenössische Vorlage abgestimmt. Dass – losgelöst von den Wahlpausen – gleich zwei Abstimmungstermine hintereinander nicht wahrgenommen wurden, kam das letzte Mal 1980 vor. Damals verstrichen zwischen zwei Urnengängen 273 Tage. Aktuell, also zwischen dem letzten Abstimmungstermin am 27. September und dem nächsten möglichen Termin am 18. Juni 2023, werden es 266 Tage sein. Gar 910 Tage verstrichen zwischen dem 3. Mai 1942 und dem 29. Oktober 1944 – der Allzeitrekord seit der Einführung des fakultativen Referendums 1874, wie Berechnungen von Swissvotes zeigen.

Keine Abstimmungen im November 2022 und im März 2023

Im August 2022, also über ein Jahr nach der Abstimmung in Moutier über einen Kantonswechsel des Städtchens von Bern zu Jura, reichten elf Stimmberechtigte eine Beschwerde gegen das Abstimmungsergebnis ein. Sie machten geltend, die jurassische Kantonsregierung habe die Stimmberechtigten vor der Abstimmung mit ihren Aussagen zur Zukunft des Spitals von Moutier in die Irre geführt. Das Spital gehört zu den grössten Arbeitgebern in Moutier und die Gegnerinnen und Gegner eines Kantonswechsels hatten schon seit Längerem argumentiert, ein Kantonswechsel würde die Zukunft des Spitals in Frage stellen. Die Zusicherung des jurassischen Regierungsrats, dass sich bei einem Kantonswechsel nichts an den im Spital Moutier angebotenen Leistungen ändern werde, hatte im Abstimmungskampf vor dem Urnengang vom 28. März 2021 deshalb viel Aufmerksamkeit erhalten. Ein Jahr nachdem sich die Stimmbevölkerung Moutiers 2021 schliesslich mit einer Mehrheit von 54.9 Prozent für einen Wechsel zum Kanton Jura ausgesprochen hatte, schickte das Gesundheitsamt des Kantons Jura indessen einen Entwurf für eine Spitalliste in die Vernehmlassung, mit welchem die Leistungen des Spitals Moutier – anders als im Abstimmungskampf versprochen – künftig reduziert würden.
Über die Beschwerde hatte die bernische Regierungsstatthalterin für den Berner Jura, Stéphanie Niederhauser, zu entscheiden, welche bereits 2018 eine frühere Abstimmung über einen Kantonswechsel Moutiers annulliert und diesen Entscheid unter anderem mit unzulässiger Abstimmungspropaganda durch die Gemeindebehörden begründet hatte. Die Geschichte wiederholte sich allerdings nicht: Im Oktober 2022 gab die Regierungsstatthalterin bekannt, dass sie die Beschwerde als unzulässig («irrecevable») erachte und nicht auf sie eintrete. Sie begründete dies damit, dass die künftige Spitalliste noch gar nicht definitiv sei. Ein Sprecher der Beschwerdeführenden gab daraufhin bekannt, man werde nun die definitive Spitalliste abwarten; falls diese weiterhin eine Reduktion des Leistungskatalogs beim Spital Moutier vorsehen und damit den jurassischen Zusicherungen aus dem Abstimmungskampf widersprechen sollte, werde man einen erneuten Rekurs prüfen. Die jurassische Regierungsrätin Nathalie Barthoulot (sp) wiederum liess verlauten, die medizinische Versorgung der Bevölkerung von Moutier werde auf jeden Fall garantiert; man werde sich bei der definitiven Festlegung der Spitalliste aber nicht von den Gegnerinnen und Gegnern des Kantonsübertritts unter Druck setzen lassen.

Votation communale du 18 juin 2017 à Moutier sur l'appartenance cantonale et répétition du 28 mars 2021
Dossier: Moutier und der Jurakonflikt

Ende April 2022 kam das Referendum gegen die AHV21 zustande. Damit wurde an der Urne nicht nur über die Mehrwertsteuererhöhung um 0.4 Prozentpunkte respektive 0.1 Prozentpunkte und somit über eine Zusatzfinanzierung für die AHV von CHF 12.4 Mrd. bis 2032 abgestimmt – diese musste als Verfassungsänderung sowieso der Stimmbürgerschaft vorgelegt werden –, sondern auch über die übrigen Massnahmen des Reformprojekts. Dieses sah vor, das Rentenalter der Frauen in vier Schritten (2024 bis 2027) demjenigen der Männer anzupassen, wodurch die AHV bis 2032 CHF 9 Mrd. weniger ausgeben respektive mehr einnehmen sollte als bisher. Im Gegenzug sollten die ersten neun betroffenen Frauenjahrgänge Zuschläge zu ihren Renten oder günstigere Bedingungen beim Rentenvorbezug erhalten, die insgesamt CHF 2.8 Mrd. kosten sollten. Allgemein sollte der Start des Rentenbezugs flexibilisiert und neu zwischen 63 und 70 Jahren möglich werden – mit entsprechenden Abzügen und (teilweise) Gutschriften bei früherem oder späterem Bezug –, wobei die Rente nicht mehr nur vollständig, sondern auch teilweise bezogen werden kann. Dies würde bis 2032 etwa CHF 1.3 Mrd. kosten. Insgesamt könnten die AHV-Ausgaben bis ins Jahr 2032 um insgesamt CHF 4.9 Mrd. gesenkt werden.

Die Gegnerinnen und Gegner der AHV21-Reform wehrten sich vor allem gegen die Finanzierung der Reform auf dem «Buckel der Frauen» (Tages-Anzeiger), also durch die Erhöhung des Frauenrentenalters. Dadurch würde den Frauen faktisch die Rente gekürzt – ein Jahr weniger Rente entspreche CHF 26'000, rechnete das Referendumskomitee vor. Diese Reduktion würde noch nicht einmal für diejenigen Jahrgänge, welche Kompensationsmassnahmen erhielten, vollständig ausgeglichen. Besonders störend daran sei, dass Frauen noch immer einen deutlich geringeren Lohn für ihre Arbeit und einen Drittel weniger Rente als die Männer erhielten, während sie gleichzeitig sehr viel mehr unbezahlte Arbeit leisteten. Darüber hinaus erachtete die Gegnerschaft die Erhöhung des Frauenrentenalters auch als ersten Schritt hin zum Rentenalter 67, das sie jedoch unter anderem mit Verweis auf die schlechten Arbeitsmarktchancen älterer Arbeitnehmender sowie auf die Erhöhung der Langzeitarbeitslosigkeit und der Sozialhilfequote ablehnte. Schliesslich erachteten die Gegnerinnen und Gegner auch die aktuelle Situation der AHV als weniger gravierend als die Befürwortenden der Revision: Die AHV sei solide, werde aber immer durch dramatische Prognosen schlechtgeredet – diese seien bisher jedoch nie eingetroffen. Die Nein-Parole zu beiden AHV-Vorlagen gaben die SP, die Grünen, die PdA sowie die SD aus, sie wurden von den Gewerkschaften unterstützt.

Die Befürwortenden der Reform betonten, dass die AHV struktureller Reformen bedürfe, zumal sie ansonsten bereits in wenigen Jahren mehr ausgeben als einnehmen werde. Die AHV21-Reform führe durch Massnahmen sowohl auf Einnahmeseite – durch die Mehrwertsteuererhöhung – als auch auf Ausgabenseite – durch die Erhöhung des Frauenrentenalters – zu einer Verbesserung der AHV-Finanzen. Bezüglich des Arguments der Gegnerschaft, dass vor allem die Frauen für die Reform aufkommen müssten, verwiesen die Befürwortenden auf die «substanziellen Kompensationen», welche die Frauen der Übergangsgeneration erhielten. Zudem sei eine Rentenaltererhöhung der Frauen auf 65 Jahre gerechtfertigt, da sie einerseits als Teil der Gleichstellung erachtet werden könne und da die grossen Rentenunterschiede andererseits nicht aus der AHV, sondern aus der beruflichen Vorsorge stammten. Im Gegenzug forderten jedoch auch verschiedene Mitglieder der Pro-Komitees Verbesserungen für die Frauen in der zweiten Säule, vor allem beim Koordinationsabzug, welcher gesenkt werden sollte. Die Ja-Parole zu beiden Vorlagen gaben die SVP, die FDP, die Mitte, die GLP, die EVP und die EDU sowie etwa Economiesuisse, der Arbeitgeberverband, der Gewerbeverband und der Bauernverband aus.

In der medialen Berichterstattung stand vor allem die Frage nach den Auswirkungen für die Frauen sowie der Fairness ihnen gegenüber im Mittelpunkt. Im Zentrum des Interesses stand dabei der Bund Schweizerischer Frauenorganisationen, Alliance f. So zeigten sich die im Verband organisierten Frauen öffentlich gespalten: Selbst der Vorstand des Verbands bestand aus Befürworterinnen und Gegnerinnen der AHV21. Alliance f sei in einer «delikate[n] Ausgangslage», betonten folglich etwa die AZ-Medien. Als Konsequenz gab der Verband Stimmfreigabe heraus und schuf zwei Frauenallianzkomitees, ein befürwortendes und ein ablehnendes. Damit wolle man sich trotz unterschiedlicher Positionen in die Diskussion einbringen und somit verhindern, dass die Männer die Debatte um das Frauenrentenalter dominierten, betonte etwa Co-Präsidentin von Alliance f und Präsidentin des befürwortenden Frauen-Komitees, Kathrin Bertschy (glp, BE).

Zusätzliche Aufmerksamkeit erhielt die AHV21-Abstimmung Ende Mai, als das BSV die neuen Finanzperspektiven der AHV herausgab. So war der Bundesrat in der Botschaft zur AHV21 im August 2019 von einem negativen Betriebsergebnis der AHV im Jahr 2030 von CHF 4.6. Mrd. ausgegangen. Im Juni 2021 hatte das BSV für 2030 ein Defizit von CHF 3.7 Mrd. prognostiziert, in den neusten Finanzperspektiven Ende Mai 2022 war hingegen nur noch von einem Defizit von CHF 1.8 Mrd. die Rede. Das BSV erklärte diese Veränderungen mit dem guten Betriebsergebnis des AHV-Ausgleichsfonds 2021 sowie mit einem stärkeren Beschäftigungs- und Reallohnwachstum als erwartet. Diese Entwicklung zeige auf, dass die AHV in einer «systematische[n] Angstmacherei zulasten der Bevölkerung» schlechtgeredet werde, liess der SGB verlauten. Die NZZ erachtete diese Zahlen trotz der Korrekturen noch immer als schlecht, «die AHV [werde] so oder so ins Minus» rutschen.

Im Juni 2022 entschied die SGK-SR, dass ihr Entwurf zur Pensionskassenreform BVG21 noch nicht reif für die Behandlung in der Herbstsession 2022 sei. Die Gegnerinnen und Gegner der AHV21-Reform sahen darin einen Versuch, kritische Debatten zur BVG21-Reform vor der Abstimmung über die AHV21 zu verhindern. Doch auch Befürwortende der AHV21-Reform störten sich an diesem Vorgehen der Kommission, zumal man bei einer Behandlung der BVG21-Reform den Frauen hätte zeigen wollen, dass man als Ausgleich zur Rentenaltererhöhung wie mehrfach versprochen ihre Pensionskassenrenten erhöhen werde.

Zu medialen Diskussionen führten in der Folge auch die Vorumfragen. Bereits Anfang Mai berichtete die SonntagsZeitung mit Verweis auf eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Demoscope, welche gemäss SonntagsBlick von den Befürwortenden in Auftrag gegeben worden war, dass sich 62 Prozent der SP-Sympathisierenden und 59 Prozent der Sympathisierenden der Grünen für die AHV21 aussprechen wollten. Insgesamt machte die Studie eine Zustimmung zur AHV21 von 55 Prozent aus. Darob publizierte jedoch der SGB die Resultate einer eigenen, zuvor beim Forschungsinstitut Sotomo in Auftrag gegebenen Studie, gemäss welcher die Sympathisierenden der SP die AHV21 zu 63 Prozent ablehnten, während der durchschnittliche Ja-Stimmenanteil über alle Parteien hinweg bei 48 Prozent zu liegen kam. Die Diskussion darüber, wie verlässlich Studien sind, welche von den Befürwortenden respektive der Gegnerschaft einer Vorlage in Auftrag gegeben werden, währte in den Medien jedoch nicht lange. Ab August konzentrierte sich die mediale Debatte auf die Vorumfragen von SRG/gfs.bern und Tamedia/Leewas, welche auf eine mehr oder weniger deutliche Annahme der zwei Vorlagen hindeuteten (Mehrwertsteuererhöhung: zwischen 54 und 65 Prozent, AHVG: zwischen 52 und 64 Prozent). Vor allem zeichnete sich in den Vorumfragen aber bereits ein deutlicher Geschlechtergraben ab, so sprachen sich beispielsweise Anfang August 2022 in der ersten Tamedia-Umfrage 71 Prozent der Männer für die Änderung des AHVG und somit für die Erhöhung des Frauenrentenalters aus, während diese nur 36 Prozent der Frauen befürworteten.

Hatten die Vorumfragen letztlich doch eine relativ deutliche Annahme beider AHV21-Vorlagen in Aussicht gestellt, wurde es am Abstimmungssonntag für die Gesetzesänderung sehr eng: Mit 50.55 Prozent Ja-Stimmen und gut 31'000 Stimmen Unterschied sprach sich die Stimmbürgerschaft für Annahme der Reform aus. Deutlicher fiel das Verdikt für die Zusatzfinanzierung über eine Mehrwertsteuererhöhung aus (55.07%).


Abstimmung vom 25. September 2022

Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG; AHV21)
Beteiligung: 52.2%
Ja: 1'442'591 Stimmen (50.5%)
Nein: 1'411'396 Stimmen (49.5%)

Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer
Beteiligung: 52.2%
Ja: 1'570'813 Stimmen (55.1%)
Nein: 1'281'447 Stimmen (44.9%)

Parolen:
-Ja: SVP, FDP, Mitte, GLP, EVP, EDU; Economiesuisse, SAV, SBV, SGV
-Nein: SP, GPS, PdA, SD; SGB, Travail.Suisse, VPOD
* in Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen


«Männer haben Frauen überstimmt», titelte in der Folge der «Blick», von einem «eklatante[n] Geschlechtergraben, wie es ihn noch nie gegeben hat», sprach die WOZ. In der Tat zeigten verschiedene Nachbefragungen einen grossen Zustimmungsunterschied zwischen Frauen und Männern. In der Vox-Analyse lag die Zustimmung zur Gesetzesänderung bei den Frauen im Schnitt bei 38 Prozent, bei den Männern bei 64 Prozent – wobei die direktbetroffenen Frauen unter 65 Jahren der Vorlage nur mit 25 Prozent (18-39 Jährige) respektive mit 29 Prozent (40-64 Jährige) zustimmten, die Frauen im Rentenalter hingegen mit 63 Prozent. In der Folge kam es in Bern und anderen Städten zu Demonstrationen, in denen Teile der Gegnerinnen der Vorlage ihre Wut über das Ergebnis ausdrückten. In einer Rede zeigte sich Tamara Funiciello (sp, BE) gemäss Medien empört darüber, dass «alte, reiche Männer» entschieden hätten, dass «Kita-Mitarbeiterinnen, Nannys, Reinigungskräfte und Pflegefachfrauen» länger arbeiten müssten. Dies führte im Gegenzug zu Unmut bei Vertreterinnen und Vertretern der bürgerlichen Parteien, welche kritisierten, dass «die Linke» den Stimmentscheid nicht akzeptieren wolle. Zudem sprach Regine Sauter (fdp, ZH) Funiciello die Berechtigung ab, im Namen aller Frauen zu sprechen, zumal Frauen keine homogene Masse bildeten. Funiciello hingegen betonte gemäss Tages-Anzeiger, dass es «für Verbesserungen [...] den Druck von der Strasse und den Dialog im Bundeshaus» brauche.

Doch nicht nur zwischen den Geschlechtern, auch zwischen den Sprachregionen zeigten sich bereits am Abstimmungssonntag grosse Unterschiede. Sämtliche mehrheitlich romanischsprachigen Kantone lehnten die Reform ab, allen voran die Kantone Jura (29% Ja-Stimmen), Neuenburg (35%) und Genf (37%), während sich nur drei deutschsprachige Kantone mehrheitlich gegen die Reform des AHV-Gesetzes aussprachen (Basel-Stadt: 47% Zustimmung; Solothurn: 49.8%, Schaffhausen: 50.0%). Die höchste Zustimmung fand sich in den Kantonen Zug (65%), Nidwalden (65%) und Appenzell-Innerrhoden (64%). «Die Deutschschweiz sichert die AHV», bilanzierte folglich etwa die NZZ, während SGB-Präsident und Nationalrat Maillard (sp, VD) die Unterschiede zwischen den Sprachregionen kritisierte, neben dem Geschlechtergraben und dem Sprachgraben aber auch einen Einkommensgraben ausmachte. Diese Ergebnisse bestätigte später auch die Vox-Analyse, welche für Personen mit Haushaltseinkommen unter monatlich CHF 3'000 eine deutlich tiefere Zustimmung zur Gesetzesänderung ermittelte als für Personen mit höheren Haushaltseinkommen (unter CHF 3'000: 32%; CHF 3'000-5'000: 49%, CHF 5'000-9'000: 52%, CHF 9'000-11'000: 59%, CHF über 11'000: 60%). Dieselben Unterschiede waren jeweils auch bei der Mehrwertsteuererhöhung erkennbar, wenn auch in geringerem Ausmass.

Als Motive für ihren Stimmentscheid machte die Vox-Analyse bei den Befürwortenden die Notwendigkeit zur Stabilisierung der AHV aus – sowohl bei der Gesetzesänderung (41%) als auch bei der Mehrwertsteuererhöhung (64%) wurde dieser Punkt häufig genannt. Zusätzlich erachteten aber die Befürwortenden die Gesetzesänderung – also wohl vor allem die Rentenaltererhöhung – auch als Schritt hin zur Gleichberechtigung (45%). Die Gegnerinnen und Gegner erachteten sowohl die Gesetzesänderung als ungerecht (84%), insbesondere im Hinblick auf die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern, als auch auf die Mehrwertsteuererhöhung (46%), die vor allem einkommensschwache Personen treffe und allgemein ein «schlechtes Finanzierungsmittel» (Vox-Analyse) darstelle.

Bereits am Tag nach der Volksabstimmung zur AHV21 schwenkte das mediale Interesse weg von der Reform der AHV hin zur BVG21-Reform. Denn nicht nur die Gegnerinnen und Gegner der AHV21-Reform, sondern auch weite Teile der Befürwortenden wiesen auf die Verpflichtung oder gar das «Versprechen» (AZ) hin, die mit dieser Annahme der Reform einhergingen: Im Gegenzug müsse das Bundesparlament die Benachteiligung der Frauen bei der Altersvorsorge im Rahmen der anstehenden BVG21-Reform korrigieren.

Reform «Stabilisierung der AHV (AHV 21)» (BRG 19.050)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters

Immer wieder tut sich bei Volksabstimmungen in der Schweiz ein Röstigraben auf, indem die Romandie und die Deutschschweiz deutlich unterschiedlich abstimmen. Auch 2022 gab es wieder zwei ausgeprägte Beispiele für dieses Phänomen: Sowohl beim Ja zur AHV-21-Reform als auch beim Nein zum Medienpaket wurde die Romandie von einer Mehrheit der Deutschschweiz überstimmt. Der AHV-Entscheid war aus Sicht der frankophonen Gegnerschaft auch deshalb besonders bitter, weil schon eine leicht höhere Stimmbeteiligung in den französischsprachigen Kantonen wohl gereicht hätte, um das knappe Ja gesamtschweizerisch in ein knappes Nein zu verwandeln. Die NZZ schrieb nach der AHV-Abstimmung deshalb von einer «gespaltenen Schweiz», und die Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider (JU, sp) – als Romande, Linke und Frau Teil von gleich drei überstimmten Gruppen – befand, solche Abstimmungsgräben seien für den Zusammenhalt der Willensnation Schweiz «nicht die beste aller Nachrichten».
Zwei im Berichtsjahr erschienene Studien, die den Röstigraben bei Volksabstimmungen auf lange Sicht untersuchten (Mueller und Heidelberger 2022; Jaquet und Sciarini 2022), gaben indessen eher Anlass zu Gelassenheit: Zwar werden die Kantone der sprachlichen Minderheiten in der Tat öfter überstimmt, allerdings gehören auch sie noch in über drei Vierteln aller Abstimmungen zu den Gewinnerkantonen. Die ausgeprägt konservativen Deutschschweizer Kantone Schwyz und Appenzell Innerrhoden standen zudem ähnlich häufig auf der Verliererseite wie die ausgeprägt progressiven Kantone der Romandie. Stimmten alle Kantone der Romandie geeint ab (wie es beim AHV-21-Gesetz der Fall war, nicht aber beim Medienpaket und der AHV-Zusatzfinanzierung), so blieben sie gesamtschweizerisch nur selten in der Minderheit, nämlich in weniger als vier Prozent der Urnengänge. Zu einem «perfekten» Röstigraben, bei dem sämtliche mehrheitlich französischsprachigen Kantone auf der einen und sämtliche Deutschschweizer Kantone auf der anderen Seite standen, kam es bisher sogar nicht einmal in jeder hundertsten Volksabstimmung. Die Sprachgemeinschaften stehen sich an der Urne also nur sehr selten als homogene Blöcke gegenüber. Nicht zuletzt bestätigt die Untersuchung von Mueller und Heidelberger (2022) schliesslich frühere Forschungsergebnisse, wonach der abstimmungspolitische Röstigraben mittlerweile weniger ausgeprägt ist als noch vor einigen Jahrzehnten.

Röstigraben bei Volksabstimmungen 2022

Im Mai 2022 fand die eidgenössische Abstimmung über die Änderung des Transplantationsgesetzes statt, mit der die erweiterte Widerspruchslösung eingeführt werden sollte.

Die Gegnerinnen und Gegner der erweiterten Widerspruchslösung waren breit zusammengewürfelt und liessen sich nicht klar auf dem politischen Spektrum verorten. Angeführt wurde das Komitee «Nein zur Organspende ohne explizite Zustimmung» von einem pensionierten Arzt und einer Hebamme. Der Arzt, Alex Frei, war ebenfalls Vorsitzender der Ärzte und Pflegefachpersonen gegen Organspende am Lebensende (ÄPOL) – einer Vereinigung, die sich grundsätzlich gegen Organspende an für tot erklärte Personen stellte. Die Hebamme, Susanne Clauss, ihres Zeichens Co-Präsidentin der SP Biel, wehrte sich lediglich gegen die Organentnahme an verstorbenen Personen, sofern von diesen keine explizite Einwilligung vorliegt. Unterstützung erhielten die beiden Personen von Philosophie-, Rechts- und Theologieprofessorinnen und -professoren sowie von bekannten Köpfen verschiedenster Parteien. So etwa von der Thurgauer SVP-Nationalrätin Verena Herzog, der Berner EVP-Nationalrätin Marianne Streiff-Feller, dem Urner FDP-Ständerat Josef Dittli sowie von den ehemaligen Parlamentarierinnen Verena Diener (glp, ZH) und Gret Haller (sp, BE). Nein-Parolen beschlossen schliesslich die EVP, die SVP und die EDU. Als Hauptargument gegen die Widerspruchslösung führten die Gegnerinnen und Gegner ins Feld, dass es immer Leute geben werde, die nicht wissen, dass ihnen auch ohne ihre explizite Zustimmung Organe entnommen werden können. Dies verletze deren Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit und sei unethisch. Zudem würden dadurch bei Nichtvorliegen des Willens der verstorbenen Person die Angehörigen unter Druck gesetzt, da deren Ablehnung als unsolidarisches Verhalten aufgefasst werden könnte.

Gerade anderer Ansicht waren die Befürworterinnen und Befürworter der erweiterten Widerspruchslösung. Sie erachteten die neue Regelung gar als Entlastung für die Angehörigen, gab etwa Reto Stocker, ein ehemaliger Leiter der chirurgischen Intensivstation des Universitätsspitals Zürich dem Tages-Anzeiger zu Protokoll. Zudem soll mit einer grossen und regelmässigen Informationskampagne sichergestellt werden, dass die Bevölkerung über die neue Regelung informiert wird und niemand wider Willen zum Organspender oder zur Organspenderin wird, versicherte Bundesrat Alain Berset an einer Medienkonferenz zur Abstimmungsvorlage. Zur Umsetzung der Vorlage werde der Bund ein neues sicheres und datenschutzkonformes Register schaffen, wo jede Person ihren Willen zur Organspende festhalten und laufend aktualisieren kann, so der Bundesrat. Mit der beschlossenen Regelung folge man vielen europäischen Ländern, die eine Widerspruchslösung mit oder ohne Einbezug von Angehörigen kennen und die im Schnitt eine höhere Organspenderate aufwiesen als Länder mit einer Zustimmungslösung, so der Bundesrat weiter. Von den Parteien gaben die SP, die Grünen, die Mitte, die GLP und die FDP die Ja-Parole aus.

Jedoch waren sich die Parteien intern nicht immer einig, was sich auch in abweichenden Kantonalsektionen zeigte. Während bei den Grünen und der SP fünf Kantonalsektionen die Nein-Parole oder Stimmfreigabe erteilten und sich die Mitte-Sektion des Kantons Schaffhausen gegen die Gesetzesänderung stellte, beschlossen die Junge EVP und die SVP Freiburg Stimmfreigabe und die SVP Jura gar die Ja-Parole. Dies stimmte auch mit der Einschätzung der Co-Leiterin des Contra-Komitees, Susanne Clauss, überein, welche Organspende denn auch als «en aucun cas [...] une question fondamentaliste ni de politique gauche-droite, mais [...] une question purement personnelle et éthique» erachtete. Insgesamt waren die Parteien im Abstimmungskampf denn auch weder auf der gegnerischen noch auf der befürwortenden Seite effektiv sichtbar.

Im Vorfeld der Abstimmung rezitierten die Medien häufig Zahlen zur Organspende in der Schweiz. Ende 2021 hätten 1'434 Personen auf ein Organ gewartet; jährlich würden ungefähr 450 Personen eines erhalten. Lediglich 16 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer besässen eine Karte, auf der ihr Wille für oder gegen die Organspende ausgewiesen sei, dabei gingen gewisse Umfragen von einer Spendebereitschaft in der Bevölkerung von 80 Prozent aus. Diese Umfragen seien jedoch durch Swisstransplant in Auftrag gegeben worden, wurde die Gegnerschaft in den Medien zitiert. Eine im Auftrag des BFS durchgeführte Umfrage, die nicht nur nach der Entnahme von Organen, sondern auch nach derjenigen von Gewebe fragte, komme hingegen auf konservativere Ergebnisse, wonach sich lediglich etwa die Hälfte der Bevölkerung für oder eher für eine Spende aussprechen würde. Ebenfalls zweifelten die Gegnerinnen und Gegner daran, dass sich die Widerspruchslösung direkt und positiv auf die Organspenderate auswirken werde, wobei sie sich auf Aussagen der Nationalen Ethikkommission aus dem Jahr 2019 stützten. Dass die Organspenderate bei Ländern mit Widerspruchslösung nur in der Tendenz höher sei und es bei beiden Modellen Ausreisser gebe, bestätigten indes auch Bundesrat Alain Berset und die ehemalige Nationalrätin Yvonne Gilli (gp, SG) als Präsidentin des Dachverbands der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), der den Wechsel zur Widerspruchslösung ebenfalls unterstützte. Auch weitere Faktoren wie etwa die Ressourcen in den Spitälern oder die Ausbildung des Fachpersonals beeinflussten die Organspendebereitschaft, war schliesslich auch im Abstimmungsbüchlein nachzulesen. Vereinzelt klärten Medienberichte auch über den Hirntot auf und erläuterten den Ablauf bei der Organentnahme. Häufiger liessen sie indes Organempfängerinnen und -empfänger, Personen auf der Warteliste für ein Organ oder Angehörige von Spendenden zu Wort kommen. Auch prominente Gegnerinnen und Gegner der Gesetzesrevision konnten überdies ihre Position darlegen. In seinem Abstimmungsmonitoring kam das fög denn auch zum Schluss, dass die Medienberichterstattung in der Tonalität erstaunlich ambivalent ausfiel, denn für gewöhnlich generierten dem fakultativen Referendum unterstellte Vorlagen ein positiveres Echo in den Medien. Ganz grundsätzlich war die Medienresonanz zur Abstimmungsvorlage gemäss fög gering – ebenso wie zu den beiden anderen zur Abstimmung stehenden Vorlagen (Frontex und Filmgesetz). Inserate für oder gegen die Änderung des Transplantationsgesetzes suchte man in den Printmedien mit wenigen Ausnahmen vergebens. Generell schienen die Meinungen zur Organspende auch bereits von Anfang an gemacht, denn die verschiedenen Wellen der Tamedia-Vorabstimmungsbefragungen registrierten kaum merkliche Verschiebungen beim Ja-Anteil, der zwischen 61 und 62 Prozent lag.

Somit war die Annahme des Transplantationsgesetzes an der Urne denn auch nicht überraschend. Bei einer tiefen Wahlbeteiligung von 40.3 Prozent sprach sich die Stimmbevölkerung am 15. Mai 2022 mit 60.2 Prozent Ja-Stimmen für die erweiterte Widerspruchslösung aus. Lediglich die Stimmenden der beiden Appenzell, von Schaffhausen und Schwyz lehnten die Änderung knapp ab. Weitaus die höchsten Ja-Anteile fanden sich in den Westschweizer Kantonen (durchschnittlich 76.4%) gefolgt vom Tessin (65.5%) – der Sprachgraben zeigte sich bei dieser Vorlage überaus deutlich (Durchschnitt Deutschschweizer Kantone: 53.3%). Der am deutlichsten befürwortende Deutschschweizer Kanton, Basel-Stadt (60.9% Ja), sagte noch immer mit mehr als 10 Prozentpunkten weniger deutlich Ja als der am wenigsten stark zustimmende Kanton der Romandie (Wallis: 72.4% Ja). Somit sprachen sich auch die katholischen Kantone Freiburg, Jura und Wallis klar für die Gesetzesänderung aus, obwohl sich die katholische Kirche für ein Nein eingesetzt hatte. Nicht der Katholizismus, sondern das unterschiedliche Verhältnis der Sprachregionen zum Staat hätten also die Meinungen beeinflusst, folgerte der Tages-Anzeiger kurz nach der Abstimmung. Auf der anderen Seite des Zustimmungsspektrums führte der Vorsteher des Ausserrhodener Gesundheitsdepartementes das Nein in seinem Kanton auf eine besonders ausgeprägte Naturverbundenheit seiner Einwohnerinnen und Einwohner zurück, die sich auch in einer Präferenz für Naturheilkunde gegenüber gewissen schulmedizinischen Angeboten äussere. Tatsächlich bestätigte die VOX-Nachbefragung, dass die Frage, wie stark jemand der Schulmedizin, dem Spitalpersonal, der Wissenschaft und dem BAG vertraut, mit der Zustimmung zur Revision zusammenhängt. Ebenso sprachen sich Personen mit hohem Vertrauen in Freikirchen besonders häufig gegen die Gesetzesänderung aus. Und obwohl der Abstimmungskampf in Abwesenheit der Parteien geführt worden war, erwies sich die politisch-ideologische Selbsteinstufung einer Person durchaus als relevant für deren Stimmentscheid. So legten links stehende Personen besonders häufig ein Ja ein, während sich der Ja-Anteil mit zunehmender Ausrichtung auf die rechte Seite des politischen Spektrums verringerte. Insgesamt folgten jedoch alle Parteisympathisierenden mehrheitlich der Parole ihrer Partei. Das Recht auf einen unversehrten Körper sei zentral und der Staat solle sich nicht in die Organspende einmischen, lauteten gemäss VOX-Umfrage die zentralen Argumente für ein Nein. Auf der anderen Seite zeigten sich die Befürwortenden überzeugt, dass es in der Schweiz momentan zu wenig Organspenden gebe und sich mit dieser staatlich geförderten Regelung Leben retten liessen. Zudem entlaste sie Angehörige, da diese nicht mehr stellvertretend für die verstorbene Person entscheiden müssten.


Abstimmung vom 15. Mai 2022

Änderung des Bundesgesetzes über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz)
Beteiligung: 40.3%
Ja: 1'319'276 Stimmen (60.2%)
Nein: 872'119 Stimmen (39.8%)

Parolen:
-Ja: SP (2*), FDP, Grüne (3*), GLP, Mitte (1*); Konsumentenforum, FMH
-Nein: EDU, EVP, SVP (2*); Schweizerische Bischofskonferenz, NZZ
* in Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Sogleich nach dem Urnengang stellten die Medien die Frage, wie es nun weitergehe. So informierten etwa die Zeitungen am Tag nach der Abstimmung darüber, was man tun müsse, wenn man sich dazu entschliesse, (keine) Organe spenden zu wollen, wann die Umstellung auf die erweiterte Widerspruchslösung erfolge und was dazu noch erforderlich sei. Einiges, meinte etwa der Tages-Anzeiger zu letzterer Frage, denn für ein neues und sicheres Spenderegister sei «eine elektronische Identität [nötig], die es in der Schweiz noch nicht gibt. Zudem müssen sechs Millionen Erwachsene informiert werden.» Im Vorfeld der Abstimmung war nicht zuletzt auch das bestehende Register von Swisstransplant in Kritik geraten; wegen einer durch die SRF-Sendung «Kassensturz» Anfang Jahr bekannt gewordenen Sicherheitslücke hatte eine beliebige Drittperson eine andere als Organspender oder Organspenderin erfassen können. Da sich dieser Fehler nicht so rasch beheben liess, war eine Neuregistrierung für oder gegen die Organspende im bestehenden Register von Swisstransplant gerade während des Abstimmungskampfes, als sich vermutlich einige Menschen mit der Frage der eigenen Organspendebereitschaft befassten, nicht möglich. Mit einer E-ID gebe es keine solche Sicherheitslücke, kommentierten IT-Experten gegenüber dem Tages-Anzeiger. Der Bundesrat hingegen liess zum Zeitpunkt der Abstimmung noch offen, ob die von ihm zu präsentierende Lösung eine E-ID erfordere. Nur ein Jahr zuvor hatte die Bevölkerung eine Gesetzesvorlage zur Einführung einer elektronischen Identität an der Urne wuchtig verworfen. Obwohl der Bundesrat daraufhin ein neues E-ID-Gesetz vorzulegen plante, prüfe man zum Zeitpunkt auch andere sichere und datenschutzkonforme Eintragungsarten, so der Bundesrat. Sowohl ablehnende als auch befürwortende Politikerinnen und Politiker forderten vom Bundesrat nach dem Abstimmungsausgang eine umfassende Informationskampagne auf verschiedenen Kanälen. So müsse sichergestellt werden, dass auch Personen ohne ausreichende Sprach- und Lesekenntnisse ausführlich über die Widerspruchslösung informiert würden, forderte etwa SVP-Nationalrätin Verena Herzog als Mitglied des Nein-Komitees. Flavia Wasserfallen (sp, BE), Co-Präsidentin de Unterstützungskomitees, gab darüber hinaus zu bedenken, dass die digitalen Fähigkeiten innerhalb der Bevölkerung variierten und somit sowohl die Information der Behörden als auch ein Eintrag ins Spenderegister über den Postweg möglich sein müssten. Beim BAG sah man dies hingegen anders: Es werde lediglich ein Online-Register geben, allerdings soll es möglich sein, die Eintragung via Vertretungsvollmacht etwa vom Hausarzt oder der Hausärztin vornehmen zu lassen. Ebenfalls klar schien bereits, dass Swisstransplant einen Leistungsauftrag erhalten werde, um das Register des Bundes zu führen, worüber sich die Gegnerschaft der Gesetzesänderung nicht erfreut zeigte. Gemäss Aussagen des BAG kurz nach der Abstimmung werde die Umstellung frühestens Mitte 2024 erfolgen.

Im Oktober 2022 gab Swisstransplant bekannt, dass das eigene Spenderegister wegen der Sicherheitsbedenken per sofort eingestellt werde. Die Spitäler kritisierten diesen Entscheid. Für sie verkomplizierten sich dadurch die Abklärungen bis zum neuen Bundesregister. Unterdessen hatte der Bund den Zeitplan zu dessen Inbetriebnahme bereits etwas nach hinten verschoben: Das eigene Register werde «frühestens ab 2025 eingeführt», so das BAG.

Organspende-Initiative und indirekter Gegenvorschlag (BRG 20.090)
Dossier: Transplantation von Organen, Geweben und Zellen

Noch am Tag der Schlussabstimmungen über die Revision des Filmgesetzes (FiG), kündigten die Jungfreisinnigen, die Jungen Grünliberalen sowie die Junge SVP ein gemeinsames Referendum an. Am 20. Januar 2022 reichte das Bündnis insgesamt 69'797 Unterschriften ein, wovon die BK am 14. März 2022 51'872 als gültig bestätigte, womit das Referendum gegen die «Lex Netflix» Realität wurde.

Die Gegnerinnen und Gegner der Revision des Filmgesetzes (FiG), die Jungparteien, störten sich insbesondere an zwei Elementen des neuen Filmgesetzes: Der erste Kritikpunkt war, dass Streaming-Plattformen wie Disney+ oder Netflix neu 4 Prozent ihres in der Schweiz erzielten Bruttogewinns in den Schweizer Film investieren müssen. Diese Differenz war bereits in den eidgenössischen Räten heiss umstritten gewesen und konnte erst in der Differenzbereinigung ausgemerzt werden. Zwei Mitträger des Referendums, Nicolo Carle, Mitglied der Jungen Mitte, und Luis Deplazes aus der Jungen FDP kritisierten dies als Versuch, künstlich eine Industrie «hochzuzüchten». Sie verstünden nicht, «wieso man aus der Schweiz ums Verrecken eine grosse Filmnation machen wolle», liessen sie sich im Tages-Anzeiger zitieren. Nach Alec von Barnekow, dem Vizepräsidenten der Jungfreisinnigen, ist es nicht richtig, zur Finanzierung des Schweizer Films erfolgreiche Wirtschaftsakteure zu bestrafen, nur weil sie eine breite Kundschaft anziehen könnten.
Zweitens zeigte sich das Referendumskomitee nicht damit einverstanden, dass das Gesetz neu eine Mindestquote von 30 Prozent an europäischen Filmen vorsieht, welche die Plattformen in ihr Angebot aufnehmen müssten. Nach Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen und des Referendumskomitees, würde dies dazu führen, dass beliebte Filme und Serien aus den USA, Asien oder Afrika wegfallen würden, was der Filmvielfalt schaden würde, wie er gegenüber dem «Blick» bemerkte. Alec von Barnekow erachtete dies gar als Frontalangriff auf die liberalen Werte der Schweiz. Camille Lothe, Präsidentin der Jungen SVP Zürich, vertrat gegenüber dem Tages-Anzeiger die Meinung, dass der Staat mit dieser Gesetzesrevision versuchen würde, die Menschen in einem sehr privaten Bereich zu erziehen, was zu weit gehe. Wieder einmal würde der Staat damit in etwas Gutes «reinfingern». Generell, so lautete der Tenor der jungbürgerlichen Parteien, sei die Lex Netflix eine «politische Sünde». Dies werde sich direkt in den Abopreisen der Konsumentinnen und Konsumenten niederschlagen, welche dann für Filme zahlen würden, die sie gar nicht sehen möchten.

Die Befürwortenden argumentierten auf der einen Seite damit, dass die Revision neue Arbeitsplätze und Aufträge an die lokale Wirtschaft mit sich bringe. Durch die bessere Investition würden mehr Filmschaffende und Schauspielende in der Schweiz bleiben oder hierher kommen, die bis anhin ihr Glück auf Grund tieferer Kosten im Ausland gesucht hatten. Dies würde wiederum neue Arbeitsstellen schaffen – immerhin brauche eine Filmproduktion um die 200 Angestellte, wie Regisseurin Lisa Brühlmann gegenüber den Medien erklärte. Auch die Qualität des Schweizer Films würde gemäss Marianne Binder (mitte, AG) dadurch steigen, so hätte die Förderung in den Nachbarländern zu einem Aufblühen der Branchen geführt – sie nannte dazu etwa die spanische Serie «La Casa de Papel» (Haus des Geldes), welche dank Netflix zu einem weltweiten Erfolg geworden war. Mit der entsprechenden Förderung sei es durchaus auch möglich, dass der nächste Hit aus der Schweiz kommen könne, was letztendlich auch den Plattformen zugute kommen würde.
Auf der anderen Seite argumentierten etwa Elena Tatti und Daniel Wyss als Co-Präsidium der «Association romande de production audiovisuelle» (AROPA), dass seit der Pandemie die Gewinne der Branche, gerade von Netflix, in der Schweiz stark angestiegen seien, was die geplante Abgabe rechtfertige. Ausserdem sei eine Investitionspflicht von 4 Prozent durchaus legitim, international seien die entsprechenden Abgaben um einiges höher – in Frankreich etwa lägen sie bei 26 Prozent. Dass sich diese auf die Preise der Streaming-Anbietenden auswirken würden, wie das Referendumskomitee befürchtete, erachteten bereits Bundesrat und Parlament derweil als unwahrscheinlich, so sei dies in anderen Ländern mit sehr hohen Ansätzen auch nicht eingetroffen. Zudem hätten die Plattformen dies gleich selbst widerlegt: die meisten hätten gemäss Medien öffentlich bekannt gegeben, dass die Preisgestaltung unabhängig von solchen neuen Regeln entschieden werde.

Der Abstimmungskampf zur Revision des Filmgesetzes (FiG) blieb lange Zeit unterdurchschnittlich, sowohl bezüglich Medieninteresse, wie eine Studie des fög aufzeigte, als auch bezüglich Zeitungsinseraten, wie Année Politique Suisse verdeutlichte. Für Aufsehen sorgte hingegen Mitte April 2022 ein Zwischenfall in der SRF-Sendung «Arena», als Kulturminister Berset unerwartet mit einem Fehler im Abstimmungsbüchlein konfrontiert wurde. Demnach seien in einer Grafik, welche die Investitionspflicht in anderen europäischen Staaten aufzeigen sollte, auch Staaten ohne strikte Investitionspflicht aufgeführt gewesen. Nachdem das Referendumskomitee in vier Kantonen Abstimmungsbeschwerden eingereicht hatte, gab die Bundeskanzlei bekannt, dass ergänzende Erklärungen zur Grafik veröffentlicht werden würden. Da das Abstimmungsbüchlein zu diesem Zeitpunkt aber bereits an die Stimmbevölkerung verschickt worden war, konnten die Änderungen nur noch auf der Internetseite des Bundes vorgenommen werden. Da dem Komitee die Anpassungen zu wenig weit gingen, verzichtete es auf einen Rückzug der Beschwerden und reichte Ende April ergänzend Beschwerde beim Bundesgericht in Lausanne ein. Dieses erachtete jedoch eine umfassende Information der Stimmberechtigten durch die öffentlich zugänglichen Präzisierungen der BK als zulässig und lehnte die Beschwerde ab.

Am 15. Mai 2022 nahm das Schweizer Stimmvolk das neue Filmförderungsgesetz mit einem Ja-Stimmenanteil von 58.4 Prozent an – damit wurde das Schweizer Recht im Filmwesen an neue Entwicklungen in der EU angeglichen. Die Medien erachteten das Ergebnis als erstaunlich deutlich, zumal das Referendumskomitee im Verlauf des Abstimmungskampfes gemäss Vorumfragen einen beachtlichen Anstieg an Unterstützung erreicht und damit die Filmfreundinnen und -freunde unerwartet nervös gemacht hatte. So zeigte etwa die erste Vorumfrage des SRG/gfs vom 18. März 2022, dass 16 Prozent Nein (16 Prozent eher Nein) stimmen würden. Zum Zeitpunkt der letzten Tamedia/Leewas-Vorumfrage vom 4. Mai 2022 war dieser Anteil auf 40 Prozent (5 Prozent eher Nein) angestiegen.


Abstimmung vom 15. Mai 2022

Beteiligung: 40.03%
Ja: 1'255'038 Stimmen (58.4%)
Nein: 893'370 Stimmen (41.6%)

Parolen:
-Ja: Grüne, GLP (4)*, Mitte (3)*, SP, EVP, PdA, Junge Grüne, Juso, Junge Mitte (4)*; SGB, SSV, VPOD, cinésuisse, Suisseculture, Suisa, Europäische Bewegung Schweiz, Gewerbeverband AI, Ensemble à Gauche, ML-CSP FR, CSP OW, PCSI JU, Filmschaffende.
-Nein: FDP (3)*, SVP, EDU, SD, Piratenpartei, Junge FDP, Junge SVP, Junge GLP; NZZ, eco, SGV, Verband Schweizer Privatfernsehen, Schweizerisches Konsumentenforum (KF), Telesuisse, Economiesuisse, Swico, SuisseDigital.
*in Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Wie zu erwarten zeigten sich die Gegnerinnen und Gegner des Filmgesetzes wenig erfreut über das Ergebnis. Die NZZ etwa, welche sich gemäss fög während des Abstimmungskampfes klar gegen die Vorlage positioniert hatte, sprach von einem «Film-Heimatschutz der Linken». Ob damit der Konsum von Schweizer Filmen tatsächlich steigen werde oder ob es nur einfach erzwungenermassen mehr Angebot geben werde, müsse sich noch weisen. Auch Schweizer Privatsender, welche sich bereits im Abstimmungskampf kritisch gegenüber dem neuen Gesetz geäussert hatten, zeigten sich enttäuscht. Der Präsident der Jungfreisinnigen, Matthias Müller, welcher das Referendumsteam angeführt hatte, erachtete das Ergebnis immerhin als «Achtungserfolg». Immerhin sei dank dem Referendum über die Thematik diskutiert worden. Die Medien rühmten den Abstimmungskampf der bürgerlichen Jungparteien derweil als «geschickt» und «laut» und beleuchteten die jüngsten Erfolge der Jungfreisinnigen, etwa ihren Einsatz gegen das Geldspielgesetz oder für die Renteninitiative.

Die Befürwortenden der Revision präsentierte sich gegenüber den Medien zufrieden und hoffnungsvoll. Der Direktor von Pro Helvetia, Philippe Bischof, twitterte etwa, dass dieses Abstimmungsergebnis «ein gutes Zeichen für den Umgang mit Streaming-Plattformen und gerechter Mittelverteilung zwischen Vertrieb und Kreation» sei. Die SP deutete das Ergebnis als «Zeichen gegen die Selbstbedienungsmentalität der grossen Konzerne» und als wichtiges Signal für die sprachliche und kulturelle Vielfalt der Schweiz. Die Mitte freute sich darüber, dass die erwünschten «gleich langen Spiesse» zwischen den Streaming-Anbietenden und den Schweizer Fernsehsendern nun zum Zuge kommen würden.

Die Medien nutzten das Abstimmungsergebnis auch für einen Ausblick. Nun erhoffe sich auch die Musikbranche eine Verbesserung ihrer Lage, etwa in Form einer möglichen «Lex Spotify». Demnach machten Musikplattformen in der Schweiz Millionenumsätze – ohne überhaupt ein Büro in der Schweiz zu besitzen. Dies sei in den letzten Jahren bereits in drei Vorstössen (Mo. 19.3807; Po. 20.3685; Po. 21.3635) erfolglos thematisiert worden – die Annahme des Filmgesetzes gebe nun aber Auftrieb.

Im Juni 2022 erschien schliesslich die VOX-Analyse zur Abstimmung und gab Hinweise auf das Stimmverhalten der Bürgerinnen und Bürger. Abgelehnt wurde die Revision des Filmgesetzes vor allem von Personen am rechten Pol des politischen Spektrums sowie von Personen, welche mit der SVP sympathisieren. Als Hauptargument nannten die Gegnerinnen und Gegner die unerwünschte «Einmischung des Staates in die Wirtschaft» und die bereits ausreichenden Subventionen der Kulturbranche. Die Befürwortenden der Revision erachteten die Revision als Stärkung der Schweizer Filmbranche. Die grösste Zustimmung erhielt das Argument, dass damit Arbeitsplätze und Aufträge an Schweizer Produzierende geschaffen würden und das mit einem vielfältigeren Angebot einhergehe. Das Streamingdienste in Zukunft einen Teil ihres Gewinns aus der Schweiz wieder in die Schweizer Filmbranche investieren müssen, wurde zudem als gerecht wahrgenommen. Insgesamt erachteten die Befragten die persönliche Bedeutung dieser Revision im Vergleich zu den anderen beiden Vorlagen des Abstimmungssonntags (Transplantationsgesetz, Frontex) aber als gering.

Revision des Filmgesetzes (Lex Netflix; BRG 20.030)

Wer die Schweizer Politik finanziert, ist eine Frage, die ebendiese Schweizer Politik schon seit Langem umtreibt. Just zu der Zeit, als auf Bundesebene erstmals eine Transparenzgesetzgebung in Kraft trat und in mehreren Kantonen ähnliche Bestrebungen liefen, um mehr Licht ins Dunkel von Parteien- und Kampagnenfinanzen zu bringen, knöpfte sich anfangs 2022 auch ein neues Buch das Thema vor. Verfasst hatten es Peter Buomberger, ehemaliger Chefökonom der UBS, und Daniel Piazza (LU, mitte), früherer Finanzchef der CVP Schweiz und mittlerweile Mitte-Kantonsrat in Luzern. Für die Jahre 2019 – ein eidgenössisches Wahljahr – und 2020 – das Jahr mit dem äusserst intensiv geführten Abstimmungskampf zur Konzernverantwortungsinitiative – untersuchten sie, wie viel Geld Parteien, Verbände, NGOs und Komitees für Abstimmungs- und Wahlkampagnen sowie sonstige politische Arbeit eingesetzt und aus welchen Quellen sie sich finanziert hatten. Dabei stützten sich die Autoren mangels öffentlicher Angaben auf Interviews mit Insidern und Expertinnen und leiteten daraus Schätzungen ab. Die Aargauer Zeitung und der Tages-Anzeiger hoben unter anderem die folgenden Erkenntnisse aus dem Buch hervor:

Erstens seien die Parteien in finanzieller Hinsicht bei weitem nicht die potentesten Akteure der Schweizer Politik: Rechne man die Budgets der untersuchten Wirtschaftsverbände und links-grünen NGOs zusammen, sei die Summe doppelt so gross wie für alle Parteien zusammen. Mit anderen Worten: Von den insgesamt gegen 65 Millionen, die 2019 für die politische Arbeit eingesetzt worden seien, sei nur ein Drittel auf die Parteien entfallen. Wie Buomberger in der NZZ erklärte, weise der Trend sogar in Richtung eines noch geringeren Anteils der Parteien an den politischen Spendengeldern, sowohl auf bürgerlicher als auch auf linker Seite. Der Grund dafür sei gemäss seinen Erkenntnissen, dass ein zunehmender Teil der Spenderinnen und Spender sich sicherer seien, wofür eine NGO oder ein monothematischer Politakteur stehe, während Parteien offenbar als weniger greifbar gelten. Viele seiner Auskunftspersonen dächten deshalb, dass man «mehr konkreten Nutzen für sein Geld [bekommt], wenn man es beispielsweise eher dem WWF statt einer linken Partei gibt und eher Avenir Suisse statt einer bürgerlichen Partei», so Buomberger.

Zweitens seien links-grüne NGOs mittlerweile finanzstärker als Wirtschaftsverbände: Das Buch kam zum Schluss, dass links-grüne Nichtregierungsorganisationen einschliesslich der Gewerkschaften bei den Abstimmungskämpfen in den Jahren 2019 und 2020 insgesamt etwa einen Drittel mehr Geld eingesetzt hätten als die bürgerlichen Wirtschaftsverbände. Gemäss dem Tages-Anzeiger zeigten sich die beiden Buchautoren «sicher», dass sich das Blatt somit gewendet habe, seit 2011 eine Studie des Politgeografen Michael Hermann festgehalten hatte, dass die Linke sich in fast allen Kampagnen mit einer finanziellen Übermacht der Bürgerlichen konfrontiert sehe. Die Medien wiesen indessen darauf hin, dass der Untersuchungszeitraum der neuen Studie mit zwei Jahren relativ limitiert war und einige Kampagnen umfasste, die von NGO-Seite aussergewöhnlich intensiv geführt worden waren, so etwa die Konzernverantwortungsinitiative 2020; als weiteres Beispiel für eine ungewöhnlich starke NGO-Kampagne wäre das Jagdgesetz 2020 zu nennen (Flückiger/Bühlmann 2020).

Drittens bildeten gemäss Piazzas und Buombergers Erkenntnissen nicht etwa Firmen oder der Staat, sondern Einzelpersonen das Rückgrat der Schweizer Politikfinanzierung: Insgesamt seien im Wahljahr 2019 rund CHF 100 Mio. für Wahl- und Abstimmungskampagnen zusammengekommen, im Jahr 2020 rund CHF 63 Mio. Davon stammten jeweils rund zwei Drittel von Privaten (69 bzw. 40 Mio.), was die Beiträge der Unternehmen (24 bzw. 19 Mio.) sowie die staatliche Finanzierung in Form von Fraktionsbeiträgen (7 bzw. 4 Mio.) deutlich übertroffen habe. Zu den Privatpersonen zählten die Buchautoren dabei auch die Mandatsbeiträge, die Amtsträgerinnen und -träger an ihre Parteien abliefern.

Viertens allerdings unterschieden sich die Gewichte der Finanzierungsquellen je nach Partei deutlich: Bei den bürgerlichen Parteien machten Beiträge von Firmen gut einen Drittel des Budgets aus, Beiträge von Privaten etwas weniger als einen Drittel. Bei den links-grünen Parteien stammten hingegen über 70 Prozent der Einnahmen von Einzelpersonen und weniger als 10 Prozent von Unternehmen. Die staatlichen Fraktionsbeiträge machten bei allen Parteien rund einen Viertel aus.

Fünftens würden Wahlkampagnen zu einem deutlich grösseren Teil von den Kandidierenden als von den Parteien bestritten, jedenfalls im eidgenössischen Wahljahr 2019: Von insgesamt rund CHF 60 Mio. Wahlkampfausgaben seien 80 Prozent auf die einzelnen Kandidierenden entfallen und nur etwa 20 Prozent auf die Parteien. Die Kandidierenden wiederum hätten ihre Mittel grösstenteils von Privatpersonen erhalten.

Buch «Wer finanziert die Schweizer Politik?»
Dossier: Finanzierung der Politik

Au terme d'une campagne acharnée, la population suisse a refusé le paquet d'aide aux médias à 54.56 pour cent. Soutenu par le Conseil fédéral et la majorité des partis (les partis en faveur du oui représentaient 54.7% du poids électoral selon Swissvotes), le projet a rencontré de fortes résistances, particulièrement en Suisse alémanique, où la majorité des cantons l'a rejeté, à l'exception de Bâle-Ville et d'Uri. Parmi les rejets les plus prononcés, Schwyz, les deux Appenzell, Schaffhouse, Saint-Gall ou encore Thurgovie sont restés largement en-dessous des 40 pour cent de oui. À l'inverse, la Suisse romande a exprimé son soutien à l'objet. Les cantons du Jura et de Neuchâtel ont voté oui à plus de 60 pour cent. Seul le canton du Valais l'a refusé, fortement influencé par le vote du Haut-Valais. Au total, 16.5 cantons se sont prononcés contre le paquet. Déjà apparu lors de la votation sur l'initiative No-Billag en 2018, ce Röstigraben était prévisible selon le chercheur Linards Udris, de l'Institut pour les sciences de la communication et la recherche sur les médias de l'Université de Zurich. En effet, les romandes et romands sont plus conscients des problèmes financiers des médias, notamment car «le marché est plus petit et peu de médias sont encore complètement indépendants». En Suisse alémanique, les milieux conservateurs de droite bénéficient de plus de poids et de visibilité dans la presse. Ainsi, le terreau y était plus fertile pour les opposant.e.s au projet soumis à votation.

Le paquet d'aide aux médias avait pour but principal de remédier aux problèmes de financement grandissants de la presse, face notamment à la baisse des recettes publicitaires, tout en donnant les moyens aux médias d'entamer ou de poursuivre leur transformation numérique. Il avait déjà suscité de vifs débats dans les chambres fédérales. Celles-ci s'étaient montrées généreuses, augmentant substantiellement les aides prévues initialement dans le projet du Conseil fédéral. Lors du vote final, le projet avait été accepté par 115 voix contre 75 et 6 abstentions au Conseil national et par 28 voix contre 10 et 6 abstentions au Conseil des États. La gauche avait soutenu le paquet d'aides alors que l'UDC s'y était majoritairement opposée. Au sein du Centre et du PLR, on se montrait plus divisé.

Pour rappel, les aides prévues par le Parlement se découpaient de la manière suivante: CHF 50 millions pour la distribution de la presse en abonnement (CHF 20 millions supplémentaires par rapport à la situation actuelle), CHF 40 millions pour la distribution matinale des journaux dominicaux en abonnement (rien actuellement) et CHF 30 millions pour la distribution de la presse associative (CHF 10 millions supplémentaires); au maximum CHF 109 millions pour les radios et télévisions locales et régionales au bénéfice d'une concession (CHF 28 millions supplémentaires par rapport à la situation actuelle); CHF 28 millions pour les agences de presse, la formation, les organismes d'autorégulation et les projets numériques, contre 5 actuellement, et enfin une nouvelle aide de CHF 30 millions pour les médias en ligne. Le financement de ces aides devait être assuré par les ressources générales de la Confédération et la redevance radio-TV.

Dès la validation du paquet par l'Assemblée fédérale, un comité s'est formé pour récolter les signatures nécessaires à la tenue d'un référendum. Aidé notamment par les «Amis de la Constitution», le comité a annoncé avoir rassemblé plus de 110'000 signatures, largement plus que les 50'000 nécessaires. 64'443 signatures ont été officiellement validées par la Chancellerie fédérale. L'opposition au paquet d'aide a été incarnée par trois hommes, très présents dans les médias tout au long de la campagne. L'ancien conseiller national saint-gallois Peter Weigelt, membre du PLR, se trouvait à la tête du comité. Ce spécialiste des relations publiques et fin connaisseur du monde médiatique – il a notamment présidé le conseil d'administration de la «Wiler Zeitung» avant que celle-ci ne soit vendue au groupe NZZ – avait à ses côtés Bruno Hug, éditeur et fondateur de divers journaux gratuits, et Philipp Gut, ancien journaliste à la Weltwoche. Ce sont eux qui ont été à l'origine du référendum.
Les opposant.e.s ont fait valoir deux arguments principaux durant la campagne. D'une part, ils ont soutenu que les augmentations des aides seraient un pas de plus en direction d'un contrôle de l'État sur les médias. Le camp du non craignait donc que les médias fassent preuve de complaisance envers les autorités et perdent leur qualificatif de «quatrième pouvoir», en tant qu'observateurs critiques de l'action de l'État. Cet argument a été étayé par une controverse survenue au début du mois de janvier, avec la publication d'un article du journal satirique Nebelspalter, dont l'auteur n'était autre que Philipp Gut. Cet article reprenait des propos du CEO de Ringier, Marc Walder. En février 2021, lors d'une visio-conférence enregistrée, celui-ci avait déclaré vouloir «soutenir le gouvernement à travers [la] couverture médiatique afin que nous puissions tous traverser la crise en toute sécurité». Ces propos, qui faisaient écho au traitement médiatique de la pandémie de Covid-19, ont provoqué de vives réactions, apportant de l'eau au moulin des opposant.e.s. Le groupe Ringier s'est défendu, jugeant que le témoignage avait été «mal interprété et sorti de son contexte». La vidéo dont le Nebelspalter tire les propos de Walder n'était par ailleurs pas destinée au public, a précisé le groupe de presse. Cette polémique, qui a trouvé un grand écho dans la presse, a véritablement lancé la campagne début janvier.
L'autre argument principal soulevé par le camp du non concernait la part des subventions supplémentaires qui tomberaient dans la poche des grands éditeurs. Alors que l'administration fédérale a indiqué que 20 pour cent des fonds seraient alloués aux trois plus grands groupes de presse, CH Media, Ringier et TX Group, les détracteurs et détractrices ont avancé d'autres chiffres. D'après leurs calculs, ce sont près de 70 pour cent des moyens qui seraient revenus aux grands groupes en cas d'acceptation de l'objet. Cette question a cristallisé l'attention durant la campagne. Les affiches du comité référendaire clamaient d'ailleurs le slogan «non aux milliards des contribuables pour les millionnaires des médias». Il a également beaucoup été fait mention des «millionnaires zurichois des médias», allusion aux sièges de TX Group, Ringier et du groupe NZZ, tous situés au bord de la Limmat. Cependant, les chiffres des opposant.e.s ont été remis en cause par la presse: pour ses calculs, le comité du non a extrapolé des chiffres récoltés dans la presse et dans une lettre d'information de la banque cantonale zurichoise, afin d'estimer les subventions perçues, en cas d'acceptation de l'objet, par les dix plus grands éditeurs du pays. Parmi ceux-ci figurait par exemple le groupe Gassmann, éditeur du Bieler Tagblatt et du journal du Jura, et actif uniquement dans la région de Bienne-Seeland et du Jura bernois. Contacté par le Nouvelliste, son directeur général s'est montré surpris d'être classé parmi les grands groupes du pays. Peter Weigelt n'a par ailleurs pas été en mesure de communiquer la liste complète des dix groupes pris en considération. Après avoir reconsidéré les chiffres du comité, le journal valaisan est arrivé à la conclusion que les aides alloués au trio de grands éditeurs – TX Group, Ringier et CH Media – s'élèverait à moins de 30 pour cent du total des aides.

De manière similaire, la question de la répartition des aides a constitué le cheval de bataille des partisan.e.s du paquet d'aide aux médias. Ces dernier.ère.s ont martelé tout au long de la campagne la nécessité pour les petits médias indépendants de pouvoir bénéficier d'aides supplémentaires, mettant l'accent sur le système de distribution dégressif censé éviter le subventionnement de grands groupes de presse. En outre, la conseillère fédérale Simonetta Sommaruga, chargée de défendre le projet, a rappelé à plusieurs reprises que les montants des aides étaient fixés dans la loi. Il ne revenait donc pas au Conseil fédéral de décider à qui il accordait des aides en fonction du contenu du journal, s'est évertué à souligner la cheffe du DETEC, répondant à l'argument des opposant.e.s craignant que l'Etat ne contrôle les médias. Elle a également relevé l'importance des médias régionaux, qui «contribuent à l'information de toutes les régions du pays, à la formation de l'opinion politique et à la cohésion sociale», mettant en garde contre la disparition probable de nombreux journaux dans les prochaines années sans un coup de pouce de l'État, notamment pour les aider à effectuer leur transition numérique. Par ailleurs, les divers comités en faveur de l'objet ont évoqué à plusieurs reprises des études mettant en avant le lien entre pluralité médiatique et bon fonctionnement de la démocratie, notamment aux États-Unis. Avec les aides supplémentaires prévues dans le paquet, ils souhaitaient éviter l'apparition de «déserts d'information», des régions où il n'existe plus de média local pour renseigner la population sur l'actualité régionale.

L'analyse de la couverture médiatique d'Année Politique Suisse indique que la campagne a commencé relativement tôt: habituellement, les campagnes pour les votations fixées en février débutent après les fêtes de fin d'année. Dans le cas des votations du 13 février 2022, un nombre relativement élevé d'articles de presse a déjà été publié dans le courant du mois de décembre, notamment consacrés au paquet d'aide aux médias. De plus, 412 annonces concernant le paquet ont été recensées dans les principaux journaux suisses, un nombre supérieur à la moyenne des différentes votations depuis 2013. Ce sont en grande majorité les partisan.e.s de l'aide aux médias qui ont publié ces annonces (391 annonces «pour» contre 19 «contre»). Les opposant.e.s ont probablement misé sur d'autres canaux que les annonces dans les journaux.

Le jour de la votation, le suspens a été de courte durée. Les deux camps se sont rejoints sur le fait que l'argument d'un soutien financier inadéquat favorisant les grands groupes de presse avait atteint sa cible. Parmi les partisan.e.s, on a notamment regretté un paquet surchargé par des chambres fédérales qui se sont montrées trop généreuses. De ce compromis «mal-né» a résulté une campagne laborieuse pour le camp du oui. Celui-ci n'a pas exposé assez concrètement les dangers d'un refus pour le paysage médiatique suisse, relève le magazine Republik. À l'inverse, les référendaires ont su amener des émotions dans le débat, maniant l'art de la provocation avec habileté. Le refus a laissé un goût amer pour les cantons dans lesquels une majorité de la population a soutenu le paquet: puisque la proposition au niveau fédéral n'a pas passé la rampe, la possibilité de mettre en place des aides au niveau cantonal a été évoquée dans la presse. L'autre discussion qui est fréquemment revenu concernait la possibilité de sauver certaines mesures du paquet. Ces discussions devront être poursuivies dans les travées du Palais fédéral, car la politique médiatique fera rapidement son retour dans l'agenda du Parlement. Le peuple, quant à lui, pourrait à nouveau se prononcer sur la question de la redevance radio-TV ces prochaines années. En effet, l'UDC, galvanisée par ce refus, a réitéré sa volonté de s'attaquer au financement de la SSR par le biais d'une initiative, qui devrait être lancée prochainement.

Votation du 13 février 2022
Participation: 44.13%
Oui: 1'085'237 (45.44%) / Cantons: 6 1/2
Non: 1'303'243 (54.56%) / Cantons: 14 5/2

Consignes de vote:
- Oui: PS, Les Verts, PEV (3), Vert'libéraux (6), Centre (7), PST-POP; USS, SSP, TravS, «Médias Suisses», «Médias d'Avenir», Groupement suisse pour les régions de montagne, Suisseculture, Syndicom, association suisse des radios privées, Operation Libero
- Non: UDC, PLR (3xoui), Lega, UDF, economiesuisse, USAM, les Amis de la Constitution, association suisse des médias régionaux
*entre parenthèses: nombre de sections cantonales divergentes

Massnahmenpaket zur Förderung der Medien (BRG 20.038)
Dossier: Vorstösse zur Presseförderung (2000-)
Dossier: Die geräteunabhängige Radio- und Fernsehabgabe für Unternehmen in der Kritik
Dossier: Diskussionen zur Förderung von Online-Medien

Am 13. Februar 2022 stimmte die Schweizer Stimmbevölkerung neben dem Massnahmenpaket zugunsten der Medien und der Abschaffung der Emissionsabgabe auch über die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» ab. Der Bundesrat hatte sich gegen das Volksbegehren ausgesprochen, da dieses unter anderem einen zu starken Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit darstelle. Stattdessen verwies er auf den vom Parlament ausgearbeiteten indirekten Gegenentwurf, der dem Jugendschutz Rechnung trage, der aber weniger weit gehe als die Volksinitiative und weiterhin an Erwachsene gerichtete Tabakwerbung ermögliche.

Die Befürworterinnen und Befürworter der Vorlage, unter anderem bestehend aus den Parteien SP, GLP, Grüne und EVP, der Ärztinnen- und Apothekerschaft sowie weiteren Berufen und Organisationen des Gesundheitswesens, dem Lehrerinnen- und Lehrerverband und Swiss Olympic, erachteten den Gegenvorschlag als «Alibiübung»: Tabakwerbung bleibe im Internet und in Gratiszeitungen nach wie vor erlaubt, obwohl junge Menschen gerade mit diesen Medien in Kontakt kämen. Es müsse bedacht werden, dass Rauchen chronische Krankheiten zur Folge haben könne und in der Schweiz jährlich 10'000 Personen an den Folgen des Rauchens stürben. Dies entspreche 15 Prozent aller Todesfälle. Weil mehr als die Hälfte der Rauchenden vor ihrer Volljährigkeit mit dem Konsum anfingen, sei es wichtig, insbesondere das Konsumverhalten von Kindern und Jugendlichen anzugehen. Das Verbot von Tabakwerbung für diese Altersgruppe stelle daher einen sinnvollen Ansatz dar. Zudem hätten Studien gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, mit Rauchen zu beginnen, höher sei, wenn man im Kinder- oder Jugendalter oft Tabakwerbung ausgesetzt gewesen sei.

Auf die Seite der Gegnerinnen und Gegner standen die bürgerlichen Parteien SVP, FDP und Mitte, das Schweizerische Konsumentenforum und der Verband «Schweizer Medien» sowie mit der Economiesuisse und dem Gewerbeverband zwei gewichtige Akteure aus der Wirtschaft. Sie erachteten die Initiative als unverhältnismässigen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit und argumentierten, dass es sich bei Tabak um ein legales Produkt handle und legale Produkte auch beworben werden dürften. Nicht vergessen werden dürfe auch, dass die Werbung eine wichtige Geldquelle für Medien, kulturelle Anlässe und kleine Läden darstelle und Arbeitsplätze auf dem Spiel stünden. Zudem sei der Anteil rauchender Jugendlicher in Ländern mit strengeren Werbeverboten nicht geringer als hierzulande. Stimmen aus der SVP fürchteten sich ferner davor, dass in einem zweiten Schritt weitere Produkte wie Fleisch, Alkohol, Süssigkeiten, fettige Speisen oder Flugreisen in Zukunft nicht mehr beworben werden dürften.

Die Presse diskutierte die Frage, wie attraktiv Jugendliche heutzutage das Rauchen überhaupt finden. Der Tages-Anzeiger ging auf eine Studie der Universitäten Lausanne und Basel ein, gemäss welcher das Rauchen aufgrund seines Imageverlusts bei den meisten Jugendlichen immer weniger Anklang finde. Nichts von einem Imageverlust wissen wollte hingegen die SonntagsZeitung, die von einem «positive[n] Bild [bei den Jugendlichen], das die Tabakindustrie ihren Produkten verleiht», berichtete. Besonders umstritten war die Höhe des Anteils der Jugendlichen oder Minderjährigen, welche heute rauchen, hier war von Werten zwischen 6 Prozent (Republik), über einen Viertel (NZZ) bis hin zu ungefähr einem Drittel (Aargauer Zeitung & SonntagsZeitung) die Rede.

Die Medien berichteten überdies, dass die Schweiz verglichen mit den anderen europäischen Ländern nur wenig restriktive Reglementationen zur Tabakwerbung kenne. Ein Verbot bestehe bisher lediglich für Werbung in Radio und Fernsehen, zudem sei die Abgabe von Gratismustern an Minderjährige untersagt. Weiter existierten auf kantonaler Ebene weitergehende Einschränkungen. So betreffe das Werbeverbot in 17 Kantonen auch Plakatwerbung und in 6 Kantonen dürfe keine Tabakwerbung in Kinos geschalten werden.

Die vergleichsweise wenig restriktiven Werbeverbote brachten die Medien teilweise mit der Stellung der Tabakkonzerne in der Schweiz in Verbindung. So existierten in der Schweiz laut 24 Heures etwa 30 Firmen, die Produkte und Dienstleitungen im Zusammenhang mit der Herstellung von Tabak anbieten. Alleine Philipp Morris sei gemäss Republik zudem für zwei Drittel aller Unternehmenssteuern des Kantons Neuenburg verantwortlich. Dem Tages-Anzeiger zufolge hätten in den letzten Jahren die Tabakkonzerne jedoch ihre Ausgaben zur Bewerbung ihrer Produkte deutlich reduziert (2000: CHF 69.8 Mio.; 2020: CHF 9.7 Mio.), was 0.2 Prozent der gesamten hierzulande getätigten Werbeausgaben entspreche. Folglich träfe sie ein Werbeverbot heute weniger stark als in der Vergangenheit.

Stärker betroffen von einem Tabakwerbeverbot wäre hingegen der Kulturbereich, argumentierte die Presse. Dem Heiteren Open Air drohe beispielsweise eine Erhöhung der Ticketpreise um 10 Prozent, da durch das Werbeverbot rund 25 Prozent der Sponsoring-Einnahmen wegfallen würden. Hingegen wurden auch Beispiele angefügt, die bereits jetzt komplett auf Tabakwerbung verzichteten.

Ferner zu reden gaben auch (angebliche) Ungereimtheiten in Bezug auf den indirekten Gegenentwurf, welche sich im offiziellen Abstimmungsbüchlein des Bundes finden lassen würden. Zum einen handelte es sich um die Aussage, dass der Gegenentwurf «erstmals» schweizweit gültige Einschränkungen zum Inhalt habe, obschon bereits solche vorhanden seien. Der Fehler wurde anschliessend in der Onlineversion der Abstimmungsbroschüre korrigiert. Zum anderen beklagte sich Damian Müller (fdp, LU) über eine «irreführende» Übersichtstabelle, in welcher beim Gegenvorschlag Werbung in Zeitschriften und Internet als «erlaubt» bezeichnet worden war. Da an anderer Stelle im Abstimmungsbüchlein jedoch klargestellt werde, dass diese auch beim indirekten Gegenvorschlag untersagt sei, wenn sie «für Minderjährige bestimmt» sei, handelte es sich aus Sicht der Bundeskanzlei nicht um einen Fehler.

In den Vorumfragen zur Abstimmung von SRG/gfs.bern und Tamedia/LeeWas sprachen sich Ende Dezember 2021 beziehungsweise Anfang Januar 2022 51 Prozent respektive 53 Prozent für und 22 Prozent respektive 14 Prozent eher für die Initiative aus. Ende Januar 2022 lag die Zustimmung bei 46 Prozent respektive 55 Prozent («für Annahme der Initiative») und bei 17 Prozent respektive 5 Prozent («eher für Annahme der Initiative»).

Am 13. Februar 2022 nahm die Schweizer Stimmbevölkerung die Volksinitiative mit 56.7 Prozent Ja-Stimmen an, zudem stellte sich in 16 Kantonen (mit 15 Standesstimmen) die Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hinter die Vorlage. Besonders deutlich fiel das Ergebnis in der französischsprachigen Schweiz aus, wo über 60 Prozent der Stimmenden ein Ja in die Urne legten. Selbst im Kanton Neuenburg, in welchem die Tabakindustrie stark verankert ist, stimmte die Mehrheit der Stimmberechtigten im Sinne der Initiantinnen und Initianten. Abgelehnt wurde die Initiative dagegen von Innerschweizer und Ostschweizer Kantonen.

Am Folgetag der Abstimmung wanden die Zeitungen dem Initiativkomitee ein Kränzchen. Schliesslich hätten Volksinitiativen normalerweise einen schweren Stand. Dies gelte insbesondere, wenn sich die bürgerlichen Parteien und die Wirtschaftsverbände gegen eine Vorlage aussprechen. Zudem sei die Gegnerschaft der Befürworterschaft mit ihrer Kampagne finanziell überlegen gewesen. Hans Stöckli (sp, BE) vom Initiativkomitee sprach denn auch davon, dass man als David gegen Goliath gewonnen habe.

Die NZZ diskutierte mögliche Gründe für die Annahme und zog dabei Parallelen zur Pflegeinitiative. Zum einen wurde das Ergebnis auf «ein erhöhtes Gesundheitsbewusstsein» zurückgeführt, das durch die Covid-19-Pandemie und die damit verbundene Belastung des Gesundheitswesens angestossen worden sei. Weiter sei die Initiative mit Kindern und Jugendlichen einer Personengruppe zugutegekommen, die als Sympathieträger gelte, während die Zigarettenherstellerinnen und -hersteller als «Bösewichte» abgestempelt worden seien. Der Initiative zuträglich gewesen sei ebenfalls, dass es keinen parteipolitischen Absender, sondern vielmehr eine breite Allianz an Unterstützenden gegeben habe. Die Vox-Analyse zur Abstimmung ergab, dass junge Personen, Menschen mit einem hohen Bildungsabschluss und der Mittelstand der Initiative mehrheitlich zugestimmt hatten, ebenso Sympathisierende von Parteien, die sich links oder in der Mitte des politischen Spektrums verorten lassen. Sympathisierende von SVP und FDP hätten sich hingegen grösstenteils gegen das Volksbegehren ausgesprochen. Der Vox-Analyse zufolge begründeten die Ja-Stimmenden ihren Stimmentscheid mit dem Kinderschutz, der Gesundheit der Bevölkerung und damit, dass sie ein «Zeichen gegen die Tabak- und Werbe-Industrie» setzen wollten. Die Nein-Stimmenden begründeten ihr Stimmverhalten mit der freien Gesellschaft, den wirtschaftlichen Folgen und damit, dass das Werbeverbot unnütz sei.


Abstimmung vom 13. Februar 2022

Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung (Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung)»
Beteiligung: 44.24%
Ja: 1'371'177 Stimmen (56.65%) / 15 Stände
Nein: 1'049'107 Stimmen (43.35%) / 8 Stände

Parolen:
- Ja: EDU, EVP, GLP, GPS, PdA, SD, SP, VPOD, FMH, VSAO, SAJV, Krebsliga, Lungenliga, Blaues Kreuz, SPO, Berufsverband der Kinderärztinnen und Kinderärzte, SBK, pharmaSuisse, Schweizer Drogistenverband, LCH, Stiftung für Konsumentenschutz, Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen, Swiss Olympic, Piratenpartei, ML-CSP FR
- Nein: FDP, Mitte (12), SVP, Economiesuisse, SBV, SGV, Verlegerinnen- und Verlegerverband «Schweizer Medien», Schweizerisches Konsumentenforum, Vereinigung des schweizerischen Tabakwarenhandels, Vereinigung Schweizer Weinhandel, Schweizer Werbe-Auftraggeberverband (SWA), Verband Tankstellenshops Schweiz, Verts'libéraux du Jura bernois

* in Klammern die Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung (Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung)» (BRG 20.068)
Dossier: Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» und deren Umsetzung

Am 13. Februar 2022 beschloss die Genfer Stimmbevölkerung, den Zugang zu Sozialwohnungen zu erschweren. Konkret haben mit der Änderung nur noch Personen, die mindestens vier der letzten acht Jahre im Kanton Genf gewohnt haben, Zugang zu einer der knapp 20'000 Genfer Sozialwohnungen. Bisher lag diese Frist bei zwei Jahren Aufenthalt innerhalb der letzten fünf Jahre. Wie die Zeitung Tribune de Genève berichtete, seien aktuell rund 7'300 Personen auf der Warteliste für eine Sozialwohnung, wobei rund 90 Prozent der Bewerbenden das Vierjahreskriterium erfüllen dürften.
Die Änderung ging auf eine vom MCG im Genfer Grossen Rat angestossene und von rechten Parteien mitgetragene Gesetzesänderung zurück. Der MCG begründete sein Anliegen damit, dass es nicht fair sei, dass jemand nach bereits 24 Monaten Aufenthalt Zugang zu einer Sozialwohnung bekomme. Dieser Umstand habe Menschen in prekären Situationen von ausserhalb des Kantons angezogen und dazu geführt, dass Genferinnen und Genfer keine Wohnung finden könnten und gezwungen seien, Genf Richtung Frankreich oder den Kanton Waadt zu verlassen. Die Gesetzesänderung war im Juli 2021 vom Parlament beschlossen worden, wobei anschliessend linke Parteien, Gewerkschaften und Mietverbände das Referendum ergriffen hatten. Die linken Parteien, die sich gegen die Anpassung ausgesprochen hatten, beschrieben das Projekt als «diskriminierend und unsozial» und monierten, dass es nichts am eigentlichen Problem ändere: dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Genf. Ausserdem kritisierten sie die Vorlage für ihren «spaltenden und rein propagandistischen» Charakter. Eine knappe Mehrheit von 50.7 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sprach sich für die Änderung aus. Die Stimmbeteiligung lag bei 54.0 Prozent.

Erschwerter Zugang zu Sozialwohnungen im Kanton Genf

Jahresrückblick 2021: Rechtsordnung

Das erste Halbjahr 2021 stand im Zeichen von drei Volksabstimmungen, die die öffentliche Debatte im Bereich der Rechtsordnung prägten. Am 7. März 2021 kamen die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und das E-ID-Gesetz zur Abstimmung. Am 13. Juni 2021 folgte das Referendum zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT). Die damit einhergehenden Abstimmungskampagnen waren in der Medienkonjunktur deutlich zu erkennen, wie die APS-Zeitungsanalyse zeigt: Das Thema Bürgerrechte, worunter das Verhüllungsverbot fällt, verzeichnete über das ganze Jahr gesehen den höchsten Anteil an Zeitungsartikeln zur Rechtsordnung (vgl. Abbildung 2 im Anhang) und dominierte die Medienberichterstattung im Bereich Rechtsordnung von Januar bis März (vgl. Abbildung 1). An zweiter Stelle lag im ersten Quartal das Thema Öffentlicher Dienst, dem die E-ID zuzuordnen ist. Von April bis Juni galt die meiste Beachtung dem Thema Innere Sicherheit, wo das PMT-Referendum angesiedelt ist.

Nach einem intensiven und vielschichtigen Abstimmungskampf, in dem viele Argumente gleichzeitig von der Pro- und der Contra-Seite verwendet wurden, nahm die Schweizer Stimmbevölkerung die vom Egerkinger Komitee lancierte Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot» am 7. März 2021 mit 51.2 Prozent Ja-Stimmen an. Während das befürwortende Lager den Volksentscheid als klares Zeichen gegen den Islamismus in der Schweiz wertete, beklagte das unterlegene Lager einen unnötigen Eingriff in die Grundrechte von Musliminnen. Die für das Geschäft zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter, die den Erfolg der Initiative trotz indirekten Gegenvorschlags nicht hatte abwenden können, legte viel Wert darauf zu betonen, das Resultat sei nicht als Votum gegen die Musliminnen und Muslime in der Schweiz zu verstehen. Die Vox-Analyse bestätigte denn auch, dass das Ja nicht nur von kulturellen, sondern ebenso von sicherheitspolitischen und feministischen Argumenten getragen wurde.

Am selben Tag erlitt Justizministerin Karin Keller-Sutter mit dem Nein zur E-ID auch beim zweiten Geschäft aus ihrem Zuständigkeitsbereich eine Niederlage. Die Schweizer Stimmbevölkerung versenkte das Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste in der Referendumsabstimmung mit 64.4 Prozent Nein-Stimmen deutlich. Gemäss der Vox-Nachbefragung war es den Behörden nicht gelungen, das Misstrauen gegenüber den privaten Anbieterinnen und Anbietern der E-ID abzubauen, das die Abstimmungskampagne dominiert hatte. Die E-ID ist damit nicht grundsätzlich gescheitert, allerdings würde von der Stimmbevölkerung eine staatliche Lösung gewünscht.

In der dritten Volksabstimmung des Jahres im Bereich Rechtsordnung konnte die Justizministerin schliesslich einen Erfolg verbuchen. Eine klare Mehrheit von 56.6 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hiess am 13. Juni 2021 das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) an der Urne gut. Angesichts der wahrgenommenen Terrorgefahr überwog das Vertrauen in den Bundesrat und die Polizei letztlich die Bedenken bezüglich polizeilicher Willkür und Verlust der Rechtsstaatlichkeit, wovor das Referendumskomitee gewarnt hatte, so die Schlussfolgerung der Vox-Analyse. Der Staat erhält damit verschiedene präventiv-polizeiliche Mittel – von der Meldepflicht bis zum Hausarrest –, um terroristische Gefährderinnen und Gefährder zu kontrollieren.

In der zweiten Jahreshälfte zog das Thema Innere Konflikte und Krisen zunehmende Aufmerksamkeit auf sich, sodass es im September und Oktober im Bereich der Rechtsordnung das von den Medien meistbeachtete Thema war (vgl. Abbildung 1). Dafür verantwortlich waren hauptsächlich die Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen. Insbesondere im Herbst, als der Bundesrat die Zertifikatspflicht beschloss, intensivierten sich die Proteste. So fanden in der Bundesstadt wöchentliche Kundgebungen der Massnahmenkritikerszene statt. Nachdem es mehrmals zu Ausschreitungen gekommen war und die Stadt Bern die Kundgebungen nicht mehr bewilligte – was die Massnahmengegnerinnen und -gegner aber nicht davon abhielt, weiter zu demonstrieren –, wurde auch die Radikalisierung der Szene in den Medien debattiert. Im Vorfeld der Referendumsabstimmung über die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes Ende November erhitzten sich die Gemüter weiter. Die aufgeladene Stimmung gipfelte darin, dass aufgrund befürchteter Ausschreitungen am Abstimmungssonntag das Bundeshaus von der Polizei grossräumig abgeriegelt wurde. Eine weitere Eskalation blieb dann aber glücklicherweise aus.

Etwas abseits der Medienaufmerksamkeit widmete sich das Parlament 2021 mehreren umfangreichen Gesetzesrevisionen im Strafrecht. In der Frühjahrssession nahm der Nationalrat die Revision der Strafprozessordnung in Angriff, die der Ständerat in der Wintersession fortsetzte. Das Revisionsprojekt geht auf eine 2015 überwiesene Motion der RK-SR zurück, die den Bundesrat beauftragt hatte, die Strafprozessordnung auf ihre Praxistauglichkeit zu prüfen und allfällige Anpassungen vorzuschlagen. Nachdem die Räte die Bestimmungen zur Sicherheitshaft aufgrund ihrer Dringlichkeit ausgekoppelt und 2020 bereits verabschiedet hatten, begannen 2021 die Beratungen zum Hauptentwurf. Das zweite zentrale Gesetzgebungsprojekt im Strafrecht, die Harmonisierung der Strafrahmen, durchlief 2021 die Differenzbereinigung. Einer der Hauptstreitpunkte dieser Vorlage war, inwieweit die Strafen für Gewalt gegen Behörden und Beamte verschärft werden sollen. Zusammen mit der Revision des Sexualstrafrechts bildet die Strafrahmenharmonisierung die zweite Etappe einer umfassenden StGB-Revision, in der nach dem Allgemeinen Teil (abgeschlossen 2016) nun auch der Besondere Teil erneuert wird. Aufgrund des festgestellten Diskussionsbedarfs hatte das Parlament die Revision des Sexualstrafrechts in einen eigenen Entwurf ausgelagert, der Anfang 2021 in die Vernehmlassung gegeben wurde. Des Weiteren brachten die eidgenössischen Räte in der Wintersession 2021 die Änderung des DNA-Profil-Gesetzes zum Abschluss. Nach Inkrafttreten dürfen die Ermittlungsbehörden neu mittels sogenannter Phänotypisierung äusserliche Merkmale wie Haar-, Haut- und Augenfarbe oder das Alter der gesuchten Person aus DNA-Spuren bestimmen.

Jahresrückblick 2021: Rechtsordnung
Dossier: Jahresrückblick 2021

Jahresrückblick 2021: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport

Auch im Jahr 2021 bestimmte die Covid-19-Pandemie massgeblich den Takt in der Schweizer Gesundheitspolitik. Unabhängig davon gaben hingegen insbesondere Geschäfte im Zusammenhang mit verschiedenen Volksinitiativen zu reden.

Am prominentesten diskutiert wurde in den Medien die Pflegeinitiative, wie beispielsweise Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse (im Anhang) zeigt – noch nie in den letzten vier Jahren wurde anteilsmässig häufiger über das Thema «Pflege» diskutiert als im Jahr 2021 (vgl. Abbildung 2). Die Pflegeinitiative zielte auf eine Verbesserung des Pflegendenstatus ab und wollte durch eine genügende Anzahl diplomierter Pflegefachpersonen den «Zugang aller zu einer ausreichenden Pflege von hoher Qualität» sicherstellen. Ende November 2021 nahm eine Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Vorlage an (61.0%). Mit Ausnahme eines Kantons sagten ferner alle Stände Ja und hörten damit nicht auf ihre Vertreterinnen und Vertreter in Bundesbern, welche die Initiative zur Ablehnung empfohlen hatten. Stattdessen wollten Regierung und Parlament den in der Initiative dargelegten Problemen mittels eines von der SGK-NR ausgearbeiteten indirekten Gegenvorschlags auf Gesetzesebene begegnen. Dieser hätte neben einer Ausbildungsoffensive auch eine Kompetenzerweiterung bezüglich selbständiger Abrechnung von Pflegeleistungen vorgesehen. In den Medien wurde der Abstimmungserfolg des Initiativkomitees unter anderem – aber nicht ausschliesslich – mit der Covid-19-Pandemie erklärt.

2021 ebenfalls auf der Traktandenliste des Parlaments stand die Organspende-Initiative und der dazu vom Bundesrat lancierte indirekte Gegenvorschlag. Einigkeit herrschte darüber, dass der Status quo der Zustimmungslösung nicht zufriedenstellend sei. Das Volksbegehren, welches beabsichtigte, dass neu alle Menschen automatisch zu Organspenderinnen und -spendern werden sollten, falls sie sich nicht explizit dagegen ausgesprochen hatten, ging jedoch sowohl dem Bundesrat als auch den beiden Kammern zu weit. Die Landesregierung forderte daher in ihrem Gegenvorschlag eine erweiterte Zustimmungslösung, bei der die Meinung der Angehörigen ebenfalls berücksichtigt wird. Nachdem der Nationalrat das Volksbegehren zunächst (denkbar knapp) zur Annahme empfohlen hatte, folgte er in der Herbstsession dem Ständerat, der sich einstimmig gegen die Initiative ausgesprochen hatte. Der indirekte Gegenvorschlag hingegen war weitgehend unbestritten und wurde von beiden Räten grossmehrheitlich für eine gute Lösung befunden, worauf das Initiativkomitee die Initiative bedingt zurückzog.

Die dritte Volksinitiative, mit der sich das Parlament 2021 im Gesundheitsbereich beschäftigte, war die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung», welche ein lückenloses Tabakwerbeverbot zum Inhalt hat. Auch dieses Volksbegehren ging National- und Ständerat zu weit, weshalb sie die Initiative zur Ablehnung empfahlen. Parallel dazu befasste sich das Parlament mit einem neuen Tabakproduktegesetz, das im Herbst 2021 verabschiedet wurde und unter anderem ebenfalls Bestimmungen zu Tabakwerbung beinhaltete. Die beiden Kammern präsentierten die Gesetzesrevision als indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative.

Als Folge der ersten Welle der Covid-19-Pandemie im Vorjahr beklagten viele Spitäler finanzielle Einbussen. Die Kantone Schaffhausen, Aargau, Tessin und Basel-Stadt reagierten 2021 mit vier Standesinitiativen, mittels welcher sie den Bund dazu auffordern wollten, für die Ertragsausfälle, die in Zusammenhang mit dem vom Bundesrat angeordneten Verbot «nicht dringend angezeigte[r] medizinische[r] Eingriffe und Therapien» entstanden waren, aufzukommen. Der Ständerat gab den Geschäften in der Wintersession 2021 mit 21 zu 19 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) keine Folge.

Verglichen mit dem Vorjahr, als die Medien sehr ausführlich über die Sportpolitik berichteten (vgl. Abbildung 2), erhielt dieses Thema im Jahr 2021 nur beschränkt Beachtung. Erneut medial diskutiert wurden unter anderem die finanziellen Schwierigkeiten der Sportvereine, deren Unterstützung auch vom Ausgang der Abstimmung über die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes abhing.
Im Parlament wurde insbesondere die Frage diskutiert, wie eine Mitsprache der Bevölkerung bei der Organisation und der finanziellen Unterstützung Olympischer Spiele ermöglicht werden kann. Diesbezüglich zeigte sich der Nationalrat offener als der Ständerat, als er in der Sommersession ein entsprechendes Postulat der WBK-NR annahm und einer parlamentarischen Initiative Semadeni (sp, GR) Folge gab. Letztere schickte der Ständerat in der darauffolgenden Session allerdings bachab. Das Parlament diskutierte des Weiteren über die Finanzhilfen an Sportanlagen von nationaler Bedeutung 2022–2027 (NASAK 5), wobei der Ständerat den bundesrätlichen Entwurf in der Herbstsession guthiess und der Nationalrat ihm in der Wintersession folgte.

Im Bereich Sozialhilfe beugte sich die kleine Kammer in der Frühjahrssession 2021 über eine Motion Carobbio Guscetti (sp, TI), welche darauf abzielte, Sofortmassnahmen gegen das durch die Covid-19-Pandemie verursachte Armutsrisiko zu ergreifen. Das Geschäft fand jedoch bei den Kantonsvertreterinnen und -vertretern keine Mehrheit. Medial thematisiert wurden unter anderem die möglichen Folgen der Pandemie für die Sozialhilfe sowie ein Urteil des EGMR, in welchem der Kanton Genf bezüglich seines Bettelverbotes kritisiert wurde.

Jahresrückblick 2021: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Dossier: Jahresrückblick 2021

Jahresrückblick 2021: Covid-19-Pandemie

Auch 2021 hielt die Covid-19-Pandemie Politik und Gesellschaft in Atem. Im Vergleich zum Vorjahr waren insbesondere zwei Aspekte neu: Zum einen verfügte der Bund dank Zulassung und Zugänglichkeit der Covid-19-Impfungen und dem darauf beruhenden Covid-19-Zertifikat über zwei neue Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Zum anderen erhielt die Stimmbevölkerung die Möglichkeit, sich gleich zweimal an der Urne zu dem im Covid-19-Gesetz geregelten Teil der Covid-19-Massnahmen zu äussern. Insbesondere die Diskussionen um das Covid-19-Zertifikat führten dabei laut Medien zu einer aufgeheizten Stimmung in der Bevölkerung. Nicht nur deshalb behielt die Pandemie im Jahr 2021 ihre überragende Stellung in der öffentlichen Diskussion: Fast 18 Prozent aller von der APS-Zeitungsanalyse gezählten Artikel hatten im Jahr 2021 Covid-19 zum Thema, im Vorjahr waren es 20 Prozent (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse 2021 im Anhang). Dabei folgte die Anzahl Zeitungsberichte im Laufe des Jahres grob den laborbestätigten Covid-19-Fallzahlen, wie Abbildung 1 verdeutlicht.

Die seit Jahresbeginn verfügbare Covid-19-Impfung stellte Bund und Kantone vor viele praktische Probleme und logistische Herausforderungen. So kam es zu grossen Unterschieden in der Impfgeschwindigkeit zwischen den Kantonen sowie zu Verzögerungen durch ausbleibende Impfstofflieferungen, was nicht selten auch zu Kritik an Bund und Kantonen führte. Ab Mitte April begann jedoch das Impftempo anzuziehen, so dass Ende Juli die Hälfte der Gesamtbevölkerung doppelt geimpft war. In der Folge nahm die Anzahl Personen, die sich wöchentlich impfen liessen, jedoch deutlich ab, weswegen der Bund in der ersten Novemberhälfte eine nationale Impfwoche mit verschiedenen Aktionen in Kantonen und Gemeinden zur Erhöhung der Impfmotivation durchführte. Die Impfwoche wurde durch eine breite Werbekampagne – aber auch durch Misstöne und Störaktionen – begleitet, verzeichnete aber nur einen geringen Erfolg: Bis Ende November betrug der Anteil doppelt Geimpfter 66 Prozent – ein im europäischen Vergleich tiefer Wert. Da sich abzuzeichnen begann, dass sich die Schutzwirkung der Impfung nach sechs Monaten vor allem bei der älteren Generation abschwächt – Impfdurchbrüche begannen sich zu häufen –, lancierte der Bund bereits Ende Oktober die sogenannte Booster-Impfung für Personen, die seit mehr als sechs Monaten doppelt geimpft waren. Mitte Dezember wurde diese Frist dann auf vier Monate gesenkt, was prompt zu Kritik aus einigen Kantonen führte, die befürchteten, der starken Nachfrage nach Auffrischimpfungen nicht nachkommen zu können.

Zu Beginn des Jahres kam das vom Verein «Freunde der Verfassung» ergriffene Referendum gegen das im September 2020 vom Parlament verabschiedete Covid-19-Gesetz zustande, was die Richtung der Diskussionen im Themenbereich «Covid-19» für den Rest des Jahres vorgab. Die Gegnerinnen und Gegner des Covid-19-Gesetzes wehrten sich dagegen, dass die ausserordentlichen Kompetenzen des Bundesrates während der Pandemie mit dem Gesetz rückwirkend legitimiert und bis Ende 2021 verlängert werden sollten. Sie störten sich zudem an der Verknüpfung von Unterstützungsmassnahmen für die Wirtschaft mit zusätzlichen Ermächtigungen für den Bundesrat im selben Covid-19-Gesetz. Thema im Rahmen des Abstimmungskampfes war auch immer wieder die Skepsis gegenüber den in Rekordzeit entwickelten Impfstoffen, zumal die Gegnerinnen und Gegner eine Impfpflicht fürchteten – auch wenn dieser Aspekt nicht im Covid-19-Gesetz geregelt war. Am 13. Juni 2021 sprachen sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mit 60.2 Prozent Ja-Stimmen für das Covid-19-Gesetz aus, das entsprechend bis zu seiner Ablauffrist Ende 2021 in Kraft bleiben sollte. Der Abstimmung waren zwar teilweise gehässige Diskussionen, aber nur ein vergleichsweise schwacher Abstimmungskampf vorausgegangen. Das Abstimmungsresultat zeigte deutliche Unterschiede in der Zustimmung zwischen den kleineren deutschsprachigen Kantonen der Inner- und Ostschweiz, in denen sich jeweils eine Mehrheit gegen das Gesetz aussprach, und den anderen, mehrheitlich zustimmenden Kantonen auf.

Noch bevor das Covid-19-Gesetz im Juni 2021 zur Abstimmung gelangt war, hatte es das Parlament in der Frühjahrssession bereits ein zweites Mal revidiert und befand sich in der Sommersession gar an der dritten Revision. Mit den Revisionen verlängerte das Parlament bestehende Massnahmen, sprach weitere Kredite zur Unterstützung der Betroffenen – insbesondere in der Form von Kurzarbeitsentschädigungen und Erwerbsersatz – und baute zentrale Regelungen aus, etwa im Bereich der Härtefallmassnahmen. Gleichzeitig schuf das Parlament im Rahmen der zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes auch die gesetzliche Grundlage für das sogenannte Covid-19-Zertifikat (3G-Regel): Dieser individuelle Nachweis einer Impfung, einer Genesung oder eines negativen Covid-19-Tests sollte es verschiedenen Veranstalterinnen und Veranstaltern zukünftig ermöglichen, auf weiterführende Massnahmen wie Abstandsregeln, beschränkte Personenzahl oder Maskenpflicht zu verzichten. Koordiniert mit der EU sollte das Zertifikat überdies eine geordnete Reisetätigkeit zumindest zwischen den Schengen-Staaten ermöglichen.

In der Folge knüpfte der Bundesrat seine Öffnungsstrategie, das sogenannte Drei-Phasen-Modell, an den Impfstatus der Bürgerinnen und Bürger: Bevor nicht zumindest alle impfwilligen und besonders gefährdeten Personen geimpft waren, verzichtete der Bundesrat trotz zahlreicher entsprechender Forderungen – etwa auch einer Erklärung des Nationalrates – auf Öffnungen. Nach Erreichen dieses Etappenziels sollten zwar erste Öffnungsschritte möglich sein, auch dann wollte die Regierung jedoch vorerst zurückhaltend bleiben. Breite Lockerung bis hin zu einer vollständigen Aufhebung aller verbliebenen Massnahmen sollten folglich erst möglich werden, nachdem alle impfwilligen erwachsenen Personen geimpft sind.

Unmittelbar nach der Juni-Abstimmung über das Covid-19-Gesetz ergriffen die «Freunde der Verfassung» zusammen mit anderen Organisationen auch das Referendum gegen die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes vom März 2021, über das am 28. November 2021 abgestimmt wurde. In diesem zweiten Referendum ging es den Gegnerinnen und Gegnern neben allgemeineren Punkten in erster Linie um die Covid-19-Zertifikate. Weil der nichtgeimpfte Teil der Gesellschaft nur nach einem vorgängigen negativen Covid-19-Test am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könne – in der Zwischenzeit waren zum Beispiel Restaurantbesuche nur noch mit gültigem Zertifikat möglich –, führe diese Massnahme zu einer Spaltung der Gesellschaft und zu einer Diskriminierung der Ungeimpften, argumentierten die Gegnerinnen und Gegner. Zusätzliche Virulenz erhielt dieses Argument, als der Bundesrat im September entschied, die Covid-19-Tests für Personen ohne Symptome zukünftig kostenpflichtig zu machen.

Im Vorfeld dieser zweiten Abstimmung wurden die Debatten um die Covid-19-Massnahmen und gleichzeitig um das Covid-19-Gesetz immer gehässiger. Immer häufiger drückten Massnahmengegnerinnen und -gegner ihren Unmut in Demonstrationen aus, wobei es teilweise auch zu Ausschreitungen kam. Die Medien sorgten sich in der Folge um die Kohäsion der Schweiz, machten dafür aber grösstenteils die Gegnerschaft der Massnahmen verantwortlich. Die Gegnerinnen und Gegner fühlten sich hingegen unfair behandelt, zum Beispiel durch den Titel der Covid-19-Gesetzesrevision, der nur die wirtschaftlichen Aspekte, nicht aber das Zertifikat ansprach. Zudem fürchtete sich ein Teil der Gegnerinnen und Gegner im Vorfeld vor Ungereimtheiten bei der Abstimmung und kündigte an, ein ablehnendes Abstimmungsergebnis nicht akzeptieren zu wollen. Diese Aussage stiess in den Medien auf grosse Aufmerksamkeit. Verschiedene Kommentatorinnen und Kommentatoren sahen in den Geschehnissen während der Abstimmungskampagnen über das Covid-19-Gesetz einen Beweis für die Spaltung der Gesellschaft, die durch die Abstimmungen noch befeuert werde.

Ende November 2021 fand schliesslich die Abstimmung über die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes statt. Bei einer hohen Stimmbeteiligung von 65.3 Prozent sprachen sich 62 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger – und damit nur 0.2 Prozent weniger als noch im Juni – für Annahme der zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes aus. Dabei hatten sich die Unterschiede zwischen den Regionen etwas ausgeglichen – ablehnende Mehrheiten gab es nun nur noch in den Kantonen Appenzell-Innerrhoden und Schwyz. Nach dem Abstimmungsentscheid glätteten sich die Wogen zumindest gegen aussen wieder etwas, auch wenn sich die Gegnerinnen und Gegner des Covid-19-Gesetzes nur teilweise versöhnt zeigten.

Trotz dem zweifachen klaren Ja zum Covid-19-Gesetz schloss das zweite Pandemiejahr mit vielen Unsicherheiten. Kurz vor dem Novemberabstimmungstermin waren die Fallzahlen im nahen Ausland, insbesondere in Deutschland und Österreich, drastisch angestiegen, so dass die beiden Staaten neue Einschränkungen erliessen. Gerade die Einschränkung des Zertifikats auf Geimpfte und Genesene (2G) stiess dabei auch in der Schweiz auf einiges mediales Interesse, zumal sich nun auch in der Schweiz eine fünfte Welle abzeichnete. Zusätzliche Unsicherheit schuf auch die Ende November neu entdeckte Virusvariante «Omikron», die angeblich deutlich ansteckender sein soll als die bisher vorherrschende Delta-Variante. Bis Ende 2021 konnte denn auch nicht abschliessend geklärt werden, wie gut die bestehenden Impfungen gegen die neue Variante wirken würden. Geäussert wurde aber auch die Hoffnung, dass die neue Variante zwar ansteckender, aber für das Individuum weniger gefährlich sein könnte.

Vor diesem Hintergrund behandelte und verabschiedete das Parlament in der Wintersession die vierte Revision des Covid-19-Gesetzes, die eine Verlängerung zahlreicher Massnahmen vorsah, um der Pandemie auch in ihrem dritten Jahr angemessen begegnen zu können. Obwohl die meisten Massnahmen ursprünglich bis Ende 2021 befristet waren, drehten sich die Diskussionen weniger um die Verlängerung an sich, sondern um die Frage, ob die Massnahmen neu auf Ende Juni oder Ende Dezember 2022 befristet werden sollten – das Parlament entschied sich für Letzteres. Zudem legten National- und Ständerat fest, dass der Bund per sofort die Testkosten für Antigen-Schnelltests und Speichel-PCR-Pooltests wieder übernehmen muss. Damit könne womöglich die Anzahl durchgeführter Tests erhöht werden, wurde argumentiert. Gleichzeitig würde dies auch den Zugang zum Zertifikat für Ungeimpfte wieder erleichtern – sofern die 3G-Regel nicht durch eine 2G-Regel ersetzt würde, wie es der Bundesrat als mögliche Massnahme in die Vernehmlassung gegeben hatte. Zuvor hatte das Parlament verschiedene Anträge von Mitgliedern der SVP-Fraktion, 1G oder 2G zu verbieten, abgelehnt. Kurz vor Weihnachten entschied der Bundesrat schliesslich, die Massnahmen im Kampf gegen Covid-19 – insbesondere gegen die sich immer stärker ausbreitende Omikron-Variante – zu verschärfen: Er setzte für Innenräumen wie Restaurants oder Kinos neu die 2G-Regel in Kraft – Zutritt erhielten also nur noch Geimpfte oder Genesene – und verhängte erneut eine Homeoffice-Pflicht.

Jahresrückblick 2021: Covid-19-Pandemie
Dossier: Jahresrückblick 2021