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Jahresrückblick 2021: Institutionen und Volksrechte

Der Bundesrat stand auch 2021 vor allem aufgrund seiner Entscheide im Rahmen der Covid-19-Pandemie im Fokus – wobei er je nach Verlauf der Fallzahlen dafür kritisiert wurde, mit zu viel Macht ausgestattet zu sein und zu viele Massnahmen zu ergreifen, oder aber dafür, in Anbetracht der Lage zu wenig zu tun. Die über 60 Prozent Ja-Stimmen bei beiden Covid-Referenden (im Juni und im November) können freilich auch als ziemlich breite Unterstützung der bundesrätlichen Massnahmen-Politik interpretiert werden. Covid-19 bzw. vielmehr das Argument, dass gerade die Pandemie zeige, wie stark die Arbeitsbelastung der sieben Mitglieder der Landesregierung zunehme, stand Pate für die Forderung nach einer Erhöhung der Zahl der Bundesratsmitglieder auf neun – eine Forderung, die seit 1848 schon zwölf Mal gescheitert war. Zwar stiess die Idee in der Wintersession im Nationalrat auf offene Ohren, das Anliegen wird aber im nächsten Jahr im Ständerat wohl auf mehr Widerstand stossen – die SPK-SR hatte sich bereits im Juni dagegen ausgesprochen. Als Institution war die Regierung ansonsten im Vergleich zu früheren Jahren seltener Gegenstand der medialen Berichterstattung. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass im Berichtsjahr für einmal vergleichsweise selten über mögliche Rücktritte von Magistratinnen und Magistraten spekuliert wurde. Seit nunmehr drei Jahren ist die Zusammensetzung der Exekutive unverändert.

Auch für die Mitarbeitenden der Bundesverwaltung wird Covid-19 Folgen haben. Aufgrund der Erfahrungen, die beim Lockdown gemacht worden waren, forderten mehrere Vorstösse, dass der Bund mittels dezentralisierter und digitalisierter Arbeitsplätze im Sinne von Homeoffice nachhaltiges Arbeiten ermöglichen soll. Beide Räte hiessen eine entsprechende Motion gut und rannten damit beim Bundesrat offene Türen ein. Nicht einig waren sich die Räte hingegen bei der Frage, ob für die obersten Kader der sieben grossen Bundesunternehmen ein Lohndeckel gesetzlich festgeschrieben werden soll. Der Ständerat lehnte die Forderung, die auf eine parlamentarische Initiative aus dem Jahr 2016 zurückgeht, ab, der Nationalrat wollte auch in der Wintersession weiter an ihr festhalten.

Auch im Parlament war Covid-19 nach wie vor Thema Nummer 1. Nicht nur war das Virus Gegenstand zahlreicher inhaltlicher Debatten, sondern es zwang auch im Bundeshaus zu unterschiedlichen Verhaltensmassnahmen: Zwar konnten im Gegensatz zu 2020 alle Sessionen im Bundeshaus stattfinden, allerdings mussten auch im Parlament je nach Pandemiesituation die Masken- oder Zertifikatspflicht eingehalten werden. Zudem sollten Plexiglasscheiben an den Plätzen in den Ratssälen zusätzlichen Schutz vor dem Virus gewähren. Auch unter Pandemie-bedingt erschwerten Arbeitsbedingungen wurden Beschlüsse gefasst, die den Parlamentsbetrieb wohl nachhaltig verändern werden: So einigten sich beide Kammern auf ein neues Differenzbereinigungsverfahren bei Motionen. Nicht zuletzt sollen im Ständerat künftig sämtliche Abstimmungsresultate veröffentlicht werden. Nach 20-jähriger Opposition und nicht weniger als acht gescheiterten Vorstössen wird also auch die «Dunkelkammer Ständerat», wie Thomas Minder (parteilos, SH) sie nach der 2014 eingeführten elektronischen Abstimmung bei Gesamt- und Schlussabstimmungen bezeichnet hatte, vollständig ausgeleuchtet. Ob dies nun zu einem «Transparenzexzess» und einer Änderung der Diskussionskultur in der «Chambre de réflexion» führen wird, wie dies die ablehnende Minderheit befürchtete, wird sich weisen.

Das Verhältnis zwischen Legislative und Judikative war im vergangenen Jahr aus zwei gewichtigen Gründen Gegenstand von Diskussionen. Auf der einen Seite führten die im November an der Urne mit 31.9 Prozent Ja-Stimmenanteil recht deutlich abgelehnte Justizinitiative sowie der im Parlament verworfene Gegenvorschlag zur Frage, ob die Wahl von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern durch das Parlament die Unabhängigkeit der dritten Gewalt beeinträchtige. Auf der anderen Seite zeigten die Schwierigkeiten mit der Besetzung der Bundesanwaltschaft – gleich dreimal musste die Stelle ausgeschrieben werden, bis in der Herbstsession ein neuer Bundesanwalt gewählt werden konnte – und die vorgängigen Diskussionen um die Erhöhung der Alterslimite in der höchsten Strafbehörde, wie schwierig es für das Parlament ist, bei der Besetzung von Gerichtsstellen ideologische Gesichtspunkte der Sachpolitik unterzuordnen – so die Kommentare in einigen Medien.

Auch das Funktionieren der direkten Demokratie war 2021 Gegenstand politischer Diskussionen. Das Parlament hiess einen Gegenvorschlag zur Transparenzinitiative gut, der teilweise weiter geht, als von den Initiantinnen und Initianten verlangt. Das Initiativkomitee zog in der Folge sein Begehren zurück. Mit der Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte müssen Parteien ab dem Herbst 2022 ihre Budgets und insbesondere Spenden über CHF 15'000 offenlegen und auch Komitees von Wahl- und Abstimmungskampagnen, die mehr als CHF 50'000 aufwenden, haben ihre Finanzeinkünfte auszuweisen.
Vom Tisch ist hingegen die Möglichkeit, Staatsverträge dem obligatorischen Referendum zu unterstellen. Der Ständerat hatte sich zwar für diesen Ausbau der direkten Demokratie eingesetzt, der Nationalrat wollte aber definitiv nichts davon wissen. Noch hängig ist hingegen ein Entscheid, mit dem allenfalls ein Ausbau partizipativer Elemente im politischen System der Schweiz umgesetzt würde. Noch 2020 hatte sich der Nationalrat dafür ausgesprochen, einer parlamentarischen Initiative, mit der die Einführung des Stimmrechtsalters 16 gefordert wird, Folge zu geben. Auch die SPK-SR konnte sich für den Vorstoss erwärmen. Allerdings machte die SPK-NR im November mit Verweis auf einige kantonale Abstimmungen, bei der die Senkung des Stimm- und Wahlrechtsalters auf grosse Skepsis gestossen war, einen medial stark beachteten Rückzieher – dieses Anliegen wird wohl zukünftig noch zu reden geben. Viel zu reden und zu schreiben gab im Berichtsjahr zudem ein Jubiläum, das auch als Zeugnis dafür gelesen werden kann, dass die direkte Demokratie strukturelle Minderheiten ausserhalb des Entscheidsystems tendenziell benachteiligt: 1971 – also vor 50 Jahren – war das Frauenstimm- und -wahlrecht eingeführt worden – allerdings erst im zweiten Versuch und sehr lange nach den meisten anderen demokratischen Staaten.

Im Gegensatz zum Vorjahr, als eine Volksabstimmung hatte verschoben und verschiedene Fristen hatten verlängert werden müssen, hatte die Pandemie 2021 keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren der direkten Demokratie. Ganz ohne Covid-19 ging es aber auch 2021 nicht: Die Schweizer Stimmbevölkerung war dabei die einzige weltweit, die – wie eingangs erwähnt – zweimal an die Urne gerufen wurde, um über denjenigen Teil der Massnahmen zu befinden, der von Bundesrat und Parlament in ein separates Gesetz gegossen worden war. Zwar wurde die Kampagne insbesondere zur zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes teilweise sehr emotional geführt, im Anschluss an den Urnengang legten sich die Emotionen aber zumindest gegen aussen wieder etwas. Die nicht nur beim zweiten Covid-Referendum, sondern auch bei der Kampagne zum CO2-Gesetz, der Trinkwasser- und der Pestizidinitiative aussergewöhnlich hart geführten Auseinandersetzungen dürften mit ein Grund sein, weshalb die direkte Demokratie mehr Medienaufmerksamkeit generierte als in den beiden Jahren zuvor.

Jahresrückblick 2021: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Jahresrückblick 2021

Weil die amtierende Bundesverwaltungsgerichtspräsidentin Marianne Ryter (sp) in der Sommersession 2021 ans Bundesgericht gewählt worden war, wurde eine Ersatzwahl für das Präsidium des Bundesverwaltungsgerichts nötig. Die GK schlug für den Rest der Amtsperiode 2021-2022 vor, den amtierenden Vizepräsidenten, Vito Valenti (fdp), zum Präsidenten zu wählen und Kathrin Dietrich (mitte), die seit 2005 am BVGer amtete, zur Vizepräsidentin zu küren.
Die Vorschläge waren unbestritten, was sich auch bei der Wahl durch die Vereinigte Bundesversammlung zeigte: Vito Valenti erhielt 234 von 234 gültigen Stimmen – von den 235 eingelangten Wahlzetteln war einer leer geblieben. Auf Kathrin Dietrich entfielen 227 Stimmen. Bei ihr waren von den 235 eingelangten Wahlzetteln 8 leer geblieben.

Ersatzwahl für das Präsidium des Bundesverwaltungsgerichts

Die Vereinigte Bundesversammlung hatte für die Amtsperiode 2022-2023 das Präsidium und Vizepräsidium des Bundesstrafgerichts neu zu besetzen. Gemäss Strafbehördenorganisationsgesetz hat das Bundesstrafgericht dem Parlament einen Wahlvorschlag zu unterbreiten. Es schlug Alberto Fabbri (mitte) als Präsidenten und Joséphine Contu Albrizio (fdp) als Vizepräsidentin vor. Die GK merkte in ihrem Bericht an, dass sie den Vorschlag unterstütze, auch wenn sie bedauere, dass beide Personen deutscher Muttersprache seien und die lateinische Schweiz nicht an der Spitze des BStGer vertreten sei. Bei Alberto Fabbri merkte sie zudem an, dass er zwar erst seit 2021 Bundesstrafrichter sei, aber dank der Leitung der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt über langjährige Führungserfahrung verfüge.
In den Medien wurde die Hoffnung geäussert, dass mit dem Wechsel an der Spitze des BStGer wieder Ruhe am «Krisengericht» einkehren möge, so etwa der Tages-Anzeiger. Fabbri stehe für einen «Neuanfang», urteilte auch die NZZ. Das Bundesstrafgericht war aufgrund von in den Medien angestellten Vermutungen über Mobbing und Sexismus in die Schlagzeilen geraten.
In der Wintersession folgte das Parlament den Empfehlungen und wählte Fabbri mit 209 von 235 eingelangten Stimmen. 26 Wahlzettel waren leer geblieben. Da Fabbri schon bei seiner Wahl ins Bundesstrafgericht von der SVP als «nicht wählbar» bezeichnet worden war, liegt die Vermutung nahe, dass die Leerstimmen in erster Linie von Vertretenden der SVP-Fraktion stammten. Mit 226 von 235 eingelangten Stimmen wurde Contu Albrizio zur Vizepräsidentin gekürt. Bei ihr bleiben 9 Wahlzettel leer.

Präsidium und Vizepräsidium des Bundesstrafgerichts

Weil Claudia Solcà (mitte) und Stephan Blättler (svp) per Ende 2021 aus dem Amt ausschieden und Cornelia Cova (svp) ihren Rücktritt per Ende April 2022 eingereicht hatte, mussten drei neue Richterinnen oder Richter ans Bundesstrafgericht gewählt werden. Auf die Stellenausschreibungen der GK – gesucht waren eine Person mit italienischer Muttersprache für die Berufungskammer und zwei Personen mit deutscher Muttersprache für die Beschwerdekammer – meldeten sich insgesamt 32 Kandidierende (darunter 4 Frauen), wobei 12 abgewiesen werden mussten, da es sich um italienische Staatsangehörige handelte. Die GK entschied sich für Maric Demont (gp) und Felix Ulrich (svp), die als ordentliche Richter den in der Beschwerdekammer untervertretenen Parteien angehörten, sowie für Maurizio Albisetti Bernasconi (mitte), der mit seiner Wahl die Untervertretung der Mitte-Partei an der Berufungskammer abschwächte.
Die drei Wahlvorschläge wurden in der Wintersession von der Vereinigten Bundesversammlung bestätigt. Auf den 235 eingelangten Wahlzetteln stand 232 Mal der Name Felix Ulrich, 231 Mal der Name Maurizio Albisetti Bernasconi und 217 Mal der Name Maric Demont.

Wahlen ans Bundesstrafgericht

Am Bundesverwaltungsgericht mussten drei Stellen neu besetzt werden. Die Vakanzen ergaben sich durch die Rücktritte von Roland Flury (fdp) und Gérard Scherrer (parteilos) sowie aufgrund der Wahl von Marianne Ryter (sp) ans Bundesgericht. Auf die Ausschreibung für eine Richterstelle für eine Person mit französischer und zwei Stellen für Personen mit deutscher Muttersprache bewarben sich 18 Männer und neun Frauen. Aus diesen Bewerbungen entschied sich die GK für die deutschsprachigen Christoph Errass (glp) und Iris Widmer (gp) und die französischsprachige Chrystel Tornare Villanueva (svp).
Die Nomination der SVP-Richterin stiess bei den Fraktionen der GP und der SP auf Widerstand. Sibel Arslan (basta, BS) reichte einen Ordnungsantrag ein, mit dem sie eine Verschiebung der Wahl für die französische Richterstelle beantragte. Sie begründete dies in der Debatte der Vereinigten Bundesversammlung in der Wintersession 2021 mit dem fehlenden Parteienproporz in der Abteilung IV des BVGer. Sie zitierte eine Studie, die vor allem in den beiden Asylabteilungen einen Zusammenhang zwischen Parteizugehörigkeit einer Richterin oder eines Richters und Gutheissen einer Asylrechtsbeschwerde aufzeige: Gerichtspersonen, die der SVP angehörten, würden signifikant weniger Beschwerden gutheissen als jene von SP und GP. Freilich sei bei «pluralistisch zusammengesetzten Spruchkörpern» die «Gefahr der Verpolitisierung» kleiner, weshalb es eben Diversität brauche. Mit der Wahl von Chrystel Tornare Villanueva wäre die SVP in den beiden Asylabteilungen stark übervertreten, zudem würden die drei französischsprachigen Richterinnen und Richter gar alle drei «von der rechten politischen Seite» stammen. Ihr Antrag richte sich keinesfalls gegen die Person Tornare Villanueva, betonte Arslan. Sie sei im Gegenteil erfreut, dass eine Frau gewählt würde, aber diese parteipolitische Konstellation müsse verhindert werden. Für die GK brachte Andrea Caroni (fdp, AR) die Argumente gegen den Ordnungsantrag vor. Bei Richterwahlen müsse es darum gehen, fachlich geeignete Personen zu wählen. Dies sei bei Chrystel Tornare Villanueva unbestritten der Fall. Die Wahl der Partei folge der Vertretung am Gesamtgericht und die SVP sei am BVGer untervertreten. Zudem sei der Antrag nicht konsequent. In der Abteilung IV sei demnach nicht nur die SVP übervertreten, sondern auch die GP. Im September 2021 sei aber trotz leichter Übervertretung zusätzlich «eine grüne Richterin» gewählt worden. Damals habe niemand einen Ordnungsantrag gestellt, so Caroni.
Bei der Abstimmung über ebendiesen Ordnungsantrag sprachen sich 41 Ständerätinnen und -räte unter Namensaufruf gegen die Verschiebung der Wahl aus, eine Ständerätin dafür. Auch der Nationalrat lehnte den Antrag mit 156 zu 28 Stimmen deutlich ab.
In der Folge wurden alle drei vorgeschlagenen Kandidierenden gewählt. Bei 234 eingelangten Wahlzetteln entfielen 223 Stimmen auf Christoph Errass, 201 Stimmen auf Iris Widmer und 187 Stimmen auf Chrystel Tornare Villanueva.

Wahl ans Bundesverwaltungsgericht

Weil der Ständerat auf einer Entschlackung der Legislaturplanung beharrt hatte, musste die parlamentarische Initiative von Damian Müller (fdp, LU) auch vom Nationalrat noch einmal beraten werden. Die SPK-NR empfahl freilich nach wie vor, der Initiative keine Folge zu geben. Auch die Argumente waren noch immer die gleichen: Der Vorstoss komme einer Entmachtung des Parlaments gleich. Wenn es den Bericht zur Legislaturplanung lediglich zur Kenntnis nehmen könne, komme es seiner Mitwirkungspflicht nicht nach. In der letzten Beratung der Legislaturplanung habe die neu gewählte Bundesversammlung im Bereich der Gleichstellung oder der Klimapolitik durchaus Akzente gesetzt. Eine Kommissionsminderheit aus FDP-Mitgliedern argumentierte in der Debatte während der Wintersession 2021 vergeblich, dass das aktuelle Vorgehen nicht befriedigend sei und eine neue Lösung gesucht werden sollte. Wenn das Parlament der parlamentarischen Initiative Folge gebe, könne eine solche alternative Lösung mindestens gesucht werden: «Wenn Sie heute Folge geben, können Sie am Ende des Verfahrens immer noch Nein sagen, wenn Sie wirklich denken, dass es sich um keine gute Lösung handelt», argumentierte etwa Damien Cottier (fdp, NE). Und Kurt Fluri (fdp, SO) fragte, ob denn Motionen und parlamentarische Initiativen nicht «präzisere und schärfere Waffen» seien als die Legislaturplanung. Die Entgegnung von Kommissionssprecher Gerhard Pfister (mitte, ZG), dass man das Instrument der Legislaturplanung bei Interesse an scharfen Instrumenten eben nicht noch stumpfer machen solle, schien auch die Meinung der nationalrätlichen Mehrheit zu sein: Mit 166 zu 26 Stimmen versenkte die grosse Kammer die parlamentarische Initiative Müller definitiv. Einzig die fast geschlossen stimmende FDP.Liberalen-Fraktion unterstützt von Roger Köppel (svp, ZH) sprach sich für Folgegeben aus.

Fitnesskur für das Parlament – Entschlackung der Legislaturplanung (Pa.Iv. 20.446)
Dossier: Verfahren bei der Legislaturplanung

Nachdem die beiden Kammern in der Sommersession 2021 einen Gegenvorschlag verworfen und die Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)» fast einstimmig zur Ablehnung empfohlen hatten, setzte der Bundesrat den Termin für die Abstimmung über das Volksbegehren auf den 28. November 2021 fest.

Das Ziel der Initiative war eine Reform des Wahlsystems der Bundesrichterinnen und Bundesrichter. Am aktuellen Vorgehen wurde kritisiert, was in der Zeitung «Republik» als «Unheilige Dreifaltigkeit» bezeichnet wurde: Parteizugehörigkeit, Mandatssteuer und Wiederwahl. In der Tat bedingt die Idee des Parteienproporz, also die Verteilung der Sitze an den höchsten eidgenössischen Gerichten entsprechend der Stärke der Parteien im Parlament, dass Kandidierende für höchste Richterämter einer Partei angehören sollten, um gewählt werden zu können. Alle Parteien fordern zudem von ihren Mandatsträgerinnen und -trägern eine Abgabe, die Mandatssteuer. In den Medien wurden zu diesem Obolus von Gerichtspersonen verschiedene Zahlen herumgereicht: Eine Befragung der CH-Medien bei den Parteien wies ein Total aller Abgaben von allen Richterinnen und Richtern aus allen Bundesgerichten zwischen CHF 30'000 bei der GLP und CHF 265'000 bei der SP aus (FDP: CHF 35'000; Grüne: CHF 100'000; Mitte: CHF 65'000; SVP: CHF 172'000). Das aktuelle Wahlsystem sieht schliesslich vor, dass Bundesrichterinnen und -richter nicht nur vom Parlament gewählt, sondern alle sechs Jahre bestätigt werden müssen. Das Initiativkomitee kritisierte, dass diese drei Elemente letztlich die Unabhängigkeit der Judikative gefährdeten, und forderte deshalb mit seinem Begehren, dass ein vom Bundesrat ernanntes Fachgremium Kandidierende nach fachlicher Eignung auswählt und dass die Bundesrichterinnen und Bundesrichter aus einem mit diesen Kandidierenden gefüllten Pool per Losverfahren gezogen werden. Die Gewählten sollen zudem keiner Amtszeitbeschränkung mehr unterliegen, sondern bis maximal fünf Jahre nach Pensionsalter in ihrem Amt verbleiben dürfen, falls sie nicht mittels eines neu einzuführenden Abberufungsverfahrens aufgrund von Fehlverhalten abgesetzt würden. Beim Losverfahren würde einzig eine sprachliche Repräsentation berücksichtigt.

Das Initiativkomitee – neben dem «Vater» der Initiative, dem Multimillionär und Unternehmer Adrian Gasser, sassen der Politikwissenschafter Nenad Stojanovic und die Mitte-Politikerin Karin Stadelmann (LU, mitte) federführend im Komitee – lancierte den Abstimmungskampf am 30. September 2021. An einer Pressekonferenz und in späteren Interviews betonten die Initiantinnen und Initianten, dass mit Annahme ihres Begehrens der Pool an geeigneten Richterinnen und Richtern vergrössert würde: Auch Parteilose könnten am Bundesgericht Einsitz nehmen und es müssten zukünftig nicht mehr zahlreiche geeignete Kandidierende hintanstehen, wenn eine Partei – wie aktuell etwa die Grünen nach ihren Wahlerfolgen 2019 – stark untervertreten sei und deshalb bei Vakanzen lediglich Kandidierende dieser Partei berücksichtigt würden. Adrian Gasser strich in mehreren Interviews das in seinen Augen grosse Problem der Parteiabhängigkeit und der Mandatssteuer hervor: «Die politischen Parteien haben sich die Macht angeeignet, diese Ämter unter sich aufzuteilen, dafür Geld zu verlangen und eine opportun erscheinende Gesinnung einzufordern [...] Vorauseilender Gehorsam ist garantiert», klagte er etwa in einem NZZ-Meinungsbeitrag. In Le Temps behauptete er, dass die fehlende Unabhängigkeit der Gerichte dazu führe, dass in 95 Prozent der Fälle Individuen vor Gericht verlieren würden, wenn sie gegen den Staat antreten müssten.

Obwohl keine einzige etablierte Partei und kein Verband das Begehren unterstützte, wollte keine Organisation die Federführung für eine Nein-Kampagne übernehmen. Ende September gründete deshalb Andrea Caroni (fdp, AR) ein «überparteiliches Nein-Komitee». Weil er wie bereits 2014 bei der sogenannten «Pädophileninitiative» den liberalen, demokratischen Rechtsstaat bedroht sehe, wolle er sich wehren, betonte der FDP-Ständerat im Sonntags-Blick. Im Komitee sassen Mitglieder aller grossen Parteien: Heidi Z’graggen (mitte, UR); Laurence Fehlmann Rielle (sp, GE), Nicolas Walder (gp, GE), Beat Flach (glp, AG) und Yves Nidegger (svp, GE). In den Medien tat sich freilich vor allem Andrea Caroni mit Stellungnahmen hervor. Mit dem Slogan «Wählen statt würfeln, Demokratie statt Lotterie» griff er vor allem das Losverfahren an, das auf Glück beruhe und deshalb nicht geeignet sei, fähige Kandidierende auszuwählen. Darüber hinaus habe sich das bestehende System, das eine repräsentative Vertretung unterschiedlicher politischer Grundhaltungen in der Judikative garantiere, bewährt. Im Verlauf der Kampagne warf Andrea Caroni den Initiantinnen und Initianten zudem auch vor, «falsch und verleumderisch» zu argumentieren.

Am 11. Oktober erörterte Karin Keller-Sutter an einer Pressekonferenz die Position des Bundesrats, der die Initiative zur Ablehnung empfahl. Das Volksbegehren sei «zu exotisch» und stelle das politische System und die demokratische Tradition der Schweiz «auf fundamentale Weise» in Frage, so die Justizministerin. Die Wahl durch das Parlament würde durch Losglück ersetzt, womit die demokratische Legitimation Schaden nehme. Das Losverfahren sei zudem ein «Fremdkörper im institutionellen Gefüge», so die Bundesrätin. Mit dem heute angewandten Parteienproporz werde hingegen gewährleistet, dass politische Grundhaltungen, aber auch das Geschlecht und die regionale Herkunft am Bundesgericht «transparent und ausgewogen» vertreten seien, war in der Medienmitteilung zu lesen. Die Praxis zeige zudem, dass die Unabhängigkeit gewährleistet sei und kein Druck von Parteien auf die Bundesrichterinnen und Bundesrichter ausgeübt werde. Noch nie in der jüngeren Geschichte sei ein Richter oder eine Richterin aus politischen Gründen abgewählt worden, so Karin Keller-Sutter, was zeige, dass der von den Initiantinnen und Initianten kritisierte Konformitätsdruck aufgrund der Angst vor einer Wiederwahl gar nicht bestehe. Es sei zudem falsch anzunehmen, dass parteilose Richterinnen und Richter nicht ebenfalls Werte vertreten würden, die allerdings nicht so transparent seien, wie bei Parteimitgliedern. Die Justizministerin nahm schliesslich auf die aktuelle Pandemie-Diskussion Bezug: Viele Stimmen kritisierten momentan demokratisch nicht legitimierte Gremien aus Expertinnen und Experten. Mit Annahme der Initiative würde mit der vorgesehenen Fachkommission aber ein weiteres solches Gremium geschaffen.

In den Medien wurde laut APS-Analyse und FöG-Abstimmungsmonitor nur selten über die Justizinitiative berichtet. Dies war einerseits dem Umstand geschuldet, dass vor allem das Referendum gegen die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes sehr viel Platz in der medialen Berichterstattung einnahm, andererseits ist dies aber wohl auch der Komplexität des Themas zuzuschreiben. In der Tat kamen in den Printmedien neben Adrian Gasser und Andrea Caroni vor allem Expertinnen und Experten, aber auch ehemalige Richterinnen und Richter zu Wort.
Auffällig war, dass die meisten dieser Expertinnen und Experten der Initiative relativ wohlwollend gegenüberstanden. So wurden etwa Studien zitiert, die zeigten, dass eine längere Amtszeit zu mehr richterlicher Unabhängigkeit führe. Kurze Amtszeiten und vor allem die Wiederwahl könnten hingegen als Disziplinierungsmöglichkeit von Parteien erachtet werden, mit der Linientreue von Richterinnen und Richtern erzwungen werde, so etwa der Politikwissenschafter Adrian Vatter in der NZZ. Die Wiederwahl sichere Bodenhaftung der Richter und trage dazu bei, dass «sich die Justiz nicht verselbständigt» und dass Richterinnen und Richter nicht zu einer «Elite ohne Legitimation» würden, meinte hingegen Katharina Fontana, ehemalige Mitarbeiterin im BJ und NZZ-Journalistin für das Themengebiet Recht und Gesellschaft. Bemängelt wurde zudem der Umstand, dass parteilose Kandidierende aktuell keine Chance hätten, gewählt zu werden. Wenn wirklich Repräsentation das Ziel sei, dann dürften in den Gerichten nicht nur Parteimitglieder sitzen, da die grosse Mehrheit der Bevölkerung keine Parteibindung aufweise, so die Argumentation. Adrian Vatter schlug entsprechend ein Modell mit 50 Prozent Parteilosen und 50 Prozent Parteimitgliedern vor. Debattiert wurde auch über die Frage, ob Richterinnen und Richter überhaupt ideologisch neutral sein könnten oder ob Gerichte eben nicht auch genuin politische Institutionen seien. In diesem Falle wäre aber der Parteienproporz folgerichtig, so die NZZ. Auch das Losverfahren erhielt einige Aufmerksamkeit – einige Expertinnen und Experten erachteten es als geeignetes Mittel zur Auswahl von Richterinnen und Richtern. Es sei schliesslich schon von Aristoteles als «Grundlage wahrer Demokratie» betrachtet worden, warb der Ökonom Bruno S. Frey. Das Los sei über längere Frist ebenso repräsentativ wie das momentane Auswahlverfahren, funktioniere aber wesentlich unabhängiger, argumentierte die Ökonomin Margit Osterloh, die zudem betonte, dass das Losverfahren nicht einfach eine Lotterie sei, sondern dass durch das qualitative Losverfahren mit Vorselektion letztlich geeignetere Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt würden als von menschlichen Expertinnen und Experten, die in ihrer Wahl eben nicht frei seien von Beeinflussung. Die anfänglich wohl geringere Akzeptanz des Losverfahrens würde rasch zunehmen und das Vertrauen in die Judikative dadurch gar noch verstärkt, so die Ökonomin. In den medialen Kommentaren stand hingegen die Fachkommission, die gemäss der Justizinitiative vom Bundesrat zusammengestellt werden müsste, eher in der Kritik. Die Diskussion um eine optimale Besetzung würde sich von der Richterinnen- und Richterwahl auf die Bestellung dieser Fachkommission verschieben. Es sei nicht klar, wie diese zusammengesetzt werden solle und ob diese eben nicht auch wiederum politisch agieren würde, so der Tenor der Kritikerinnen und Kritiker. Die Weltwoche sprach gar von einer «brandgefährlichen Illusion», zu meinen, es könne ein Gremium eingesetzt werden, das «objektive Qualifikationsmerkmale» bestimmen könne. Andrea Caroni warnte vor «einer obskuren, bundesratsnahen Kommission [...], die weder Qualität noch Vielfalt noch demokratische Legitimation gewährleisten kann». Allerdings stand auch die Frage im Raum, ob die parlamentarische Gerichtskommission (GK), die momentan mit der Auswahl der Kandidierenden betraut ist, fachlich wirklich dafür geeignet sei. Ein eher pragmatisches Argument gegen die Initiative wurde schliesslich von Rechtsprofessor Lorenz Langer vorgebracht: Da sich die Initiative auf das Bundesgericht beschränke, stelle sich die Frage, woher bei Annahme der Initiative die Kandidierenden kommen sollen, da Bewerbende für einen Bundesgerichtsposten in der Regel an anderen Bundesgerichten (Bundesstrafgericht, Bundesverwaltungsgericht, Bundespatentgericht) oder an kantonalen Gerichten tätig seien, wo aber meist noch nach Parteienproporz gewählt würde. Es gäbe somit nicht mehr viele der verlangten «objektiven», also eben parteiunabhängigen Kandidierenden.

In der medialen Diskussion wurde von Seiten der Befürworterinnen und Befürworter auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das aktuelle System – auch im internationalen Vergleich – sehr gut funktioniere. Die Geschichte zeige, dass Richterinnen und Richter unabhängig seien und sich nicht vor einer Wiederwahl fürchteten. In der Tat wurden bisher lediglich drei Bundesrichter abgewählt – zwei aus Altersgründen zu Beginn der modernen Schweiz sowie Bundesrichter Martin Schubarth 1990, der freilich sofort wiedergewählt worden war.
Diskutiert wurde zudem der «Fall Donzallaz»: Die SVP hatte «ihren Bundesrichter» nicht mehr zur Wiederwahl empfohlen, weil er in einigen Urteilen nicht mehr die Parteilinie verfolgt habe. Yves Donzallaz wurde aber in der Folge von allen anderen Fraktionen bei seiner Wiederwahl unterstützt und schliesslich gar zum Bundesgerichtspräsidenten gewählt. Dies zeige, dass sich Richterinnen und Richter nicht von den eigenen Parteien unter Druck setzen liessen. Die Aargauer Zeitung kritisierte freilich, dass sich bei Yves Donzallaz das Problem der Parteifarbe besonders gut zeige: Um Bundesrichter zu werden, habe er einen Parteiwechsel von der CVP zur SVP vorgenommen. Dies komme häufig vor, so die Zeitung: Kandidierende wechselten ihre «Parteifarbe wie Chamäleons», um ihre Wahlchancen zu steigern.
Der einzige Nationalrat, der die Initiative unterstützt hatte, kam ebenfalls in den Medien zu Wort. Lukas Reimann gab zu Protokoll, dass er die Arbeit der GK als deren Mitglied als wenig seriös erlebt habe, da die Kandidierendenauslese eher eine politische als eine fachliche Frage gewesen sei. Einmal habe die Kommission einem sehr geeigneten, aber parteilosen Kandidaten gar offen empfohlen, der GLP oder der BDP beizutreten, damit er zur Wahl eingeladen werden könne.

Für Gesprächsstoff sorgten zudem einige pensionierte Richterinnen und Richter, die den Medien Red und Antwort standen. Praktisch unisono gaben alt-Bundesstrafrichter Bernard Bertossa sowie die alt-Bundesrichter Jean Fonjallaz, Karl Hartmann, Ulrich Meyer und Hans Wiprächtiger, aber auch die Luzerner alt-Oberrichterin Marianne Heer (fdp) zu Protokoll, von ihrer Partei nie auch nur irgendeinen Druck verspürt zu haben – auch ihre Kolleginnen und Kollegen nicht. Angesprochen auf die Angst vor einer Nicht-Wiederwahl erzählte Hans Wiprächtiger, dass sich das Bundesgericht viel mehr vor schlechter Presse als vor dem Parlament fürchte. Zur Sprache kam auch die von der Greco kritisierte Mandatssteuer. Man müsse die Parteien unterstützen, damit die Demokratie in der Schweiz funktioniere, äusserte sich Jean Fonjallaz hierzu. Er habe vielmehr das Gefühl, dass die Partei mehr von ihm als Beitragszahlendem abhängig sei als er von ihr, so der alt-Bundesrichter. Von Ämterkauf könne nur die Rede sein, wenn Höchstbietende einen Posten kriegten; die Abgaben seien aber innerhalb einer Partei für alle gleich.
Eine gegenteilige Meinung vertrat einzig der Zürcher alt-Oberrichter Peter Diggelmann. Es gebe zwar keine offenen Drohungen, den Druck der Parteien spüre man aber etwa an Fraktionsausflügen oder Parteianlässen. Er selber sei zudem zu einer Mandatssteuer gezwungen worden und wäre wohl nicht mehr nominiert worden, wenn er der entsprechenden Mahnung nicht nachgekommen wäre. Im Gegensatz zu Kolleginnen und Kollegen, die momentan im Amt seien und deshalb aus Angst keine öffentliche Kritik anbrächten, sei es ihm als pensioniertem Richter und aufgrund seines Parteiaustritts möglich, Kritik zu äussern. Das Interview von Peter Diggelmann im Tages-Anzeiger blieb nicht unbeantwortet. Andrea Caroni sprach tags darauf in der gleichen Zeitung von «verleumderischen Unterstellungen». Er kenne keinen Richter und keine Richterin, die sich unter Druck gesetzt fühlten.

Beliebtes Mediensujet war auch der Kopf der Initiative, Adrian Gasser. Der Multimillionär und Chef der Lorze Gruppe, einem Firmenkonglomerat mit Sitz in Zug, habe sich seit seiner Jugendzeit für richterliche Unabhängigkeit interessiert. Als Wirtschaftsprüfer habe er einige Fälle erlebt, bei denen diese Unabhängigkeit nicht gegeben gewesen sei, sagte er in einem Interview. 1987 habe Adrian Gasser im Kanton Thurgau erfolglos für den National- und 1999 für den Ständerat kandidiert – als Parteiloser. Erst 40 Jahre nach diesen Erlebnissen könne er sich nun aber die Finanzierung einer Volksinitiative leisten. In der Tat soll Adrian Gasser laut Medien rund CHF 1 Mio für die Sammlung der Unterschriften aufgeworfen haben. «Andere haben ein Motorboot in Monaco, ich habe mir eine Initiative im Interesse der Schweiz geleistet», so Gasser bei der Einreichung seiner Initiative im St. Galler Tagblatt.

Auch für die Abstimmungskampagne schien das Initiativkomitee einiges an Geld aufgeworfen zu haben. Im Sonntags-Blick wurde vermutet, dass Adrian Gasser für die Kampagne kaum weniger aufgewendet haben dürfte als für die Unterschriftensammlung, was Andrea Caroni in derselben Zeitung zum Vorwurf verleitete, dass sich «eine Einzelperson [...] praktisch eine Initiative gekauft und die Schweiz zuplakatiert» habe. Der Gegnerschaft fehle es hingegen an spendablen Geldgebenden. Bei der APS-Inserateanalyse zeigt sich zwar in der Tat ein Ungleichgewicht zugunsten der Befürwortenden, allerdings finden sich von beiden Lagern kaum Inserate in den grössten Schweizer Printmedien.

Bei den Abstimmungsumfragen im Vorfeld des Urnengangs vom 28. November zeigte sich ein für Initiativen typisches Bild. Hätten Mitte Oktober noch 48 Prozent der Befragten Ja oder eher Ja zur Initiative gesagt, lag dieser Anteil rund zwei Wochen vor der Abstimmung noch bei 37 Prozent. Für eine inhaltlich komplexe Vorlage ebenfalls gängig war der hohe Anteil Befragter, die sich zu Beginn der Kampagne noch keine Meinung gebildet hatten (Anteil «weiss nicht» am 15.10.2021: 19%; 17.11.2021: 7%).

Wie aufgrund der Umfragewerte zu vermuten, wurde die Initiative am Abstimmungssonntag deutlich verworfen. Bei einer wohl vor allem dem gleichzeitig stattfindenden Referendum gegen das Covid-19-Gesetz, aber auch der «Pflegeinitiative» geschuldeten aussergewöhnlich hohen Stimmbeteiligung von fast 65 Prozent lehnten mehr als zwei Drittel der Stimmberechtigten eine Reform des geltenden Systems der Wahlen von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern ab.


Abstimmung vom 28. November 2021

Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)»
Beteiligung: 64.7%
Ja: 1'382'824 Stimmen (31.9%) / 0 Stände
Nein: 2'161'272 Stimmen (68.1%) / 20 6/2 Stände

Parolen:
-Ja: Piratenpartei
-Nein: EDU, EVP, FDP, GLP (2), GPS (2), Mitte, PdA, SD, SP, SVP; SGV
-Stimmfreigabe: BastA
* in Klammern Anzahl abweichende Kantonalsektionen


Die Medien sprachen am Tag nach der Abstimmung von einer deutlichen Niederlage. Das Resultat zeige, dass die Stimmberechtigten mit dem System zufrieden seien, liessen sich die Gegnerinnen und Gegner vernehmen. «Das Volk hält den Wert der Institutionen hoch», interpretierte Justizministerin Karin Keller-Sutter das Resultat. Die Initiative habe zwar einige wunde Punkte aufgezeigt, sei aber zu extrem gewesen, um diese Probleme zu lösen, meinte Matthias Aebischer (sp, BE) in La Liberté. Die Initiantinnen und Initianten erklärten sich die Niederlage mit der zu wenig gut gelungenen Information der Bürgerinnen und Bürger über die Probleme des jetzigen Systems. Adrian Gasser machte zudem die einseitige Information durch die Bundesbehörden und die öffentlich-rechtlichen Medien, welche die Meinungsbildung beeinträchtigt habe, für das Scheitern der Initiative verantwortlich. Er kündigte zudem noch am Abend des Abstimmungssonntags einen weiteren Anlauf an. Innert zwei bis drei Jahren könne die Bevölkerung für die Fehlfunktionen im Justizsystem besser sensibilisiert werden. Er wolle deshalb bald mit der Sammlung von Unterschriften für eine identische Initiative beginnen.
Diskutiert wurden in den Medien freilich auch noch einmal die Schwachstellen des Systems, die nun angegangen werden sollten. Die Justizinitiative habe eine «Debatte rund um das Schweizer Justizsystem ausgelöst und uns zu Verbesserungen angespornt», lobte etwa Andrea Caroni im St. Galler-Tagblatt. So dürften die Diskussionen um mehr Transparenz bei den Parteienfinanzen zu einer Offenlegung der Mandatssteuern führen. Im Parlament hängig war zudem die in einer parlamentarischen Initiative von Beat Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468) aufgeworfene Frage, ob diese Mandatssteuern nicht gänzlich abgeschafft werden sollen. Mit der Ablehnung eines Gegenvorschlags zur Justizinitiative schien hingegen die Frage einer Amtszeitverlängerung der Bundsrichterinnen und Bundesrichter vom Tisch, wie sie von der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richtern am Tag nach der Abstimmung erneut gefordert wurde. Eine mögliche Professionalisierung der Kandidierendenauswahl bzw. die Ergänzung der GK durch eine Fachkommission, die Bewerbungen für Richterinnen- und Richterämter mitsichten soll, war ebenfalls Gegenstand einer noch hängigen parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 21.452).

Die VOX-Analyse fand nur schwache Muster, mit denen das Abstimmungsverhalten bei der Justizinitiative erklärt werden könnte. Personen mit einer Berufsbildung sagten etwas stärker Nein als andere Bildungskategorien. Sympathisantinnen und Sympathisanten der Grünen sagten mehrheitlich Ja – im Gegensatz zu den Anhängerinnen und Anhänger aller anderer Parteien. Hohes Vertrauen in die Judikative ging zudem eher mit einem Nein einher. Bei den Motiven für ein Ja zeigte sich der Wunsch nach Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern von den Parteien sowie nach einem System, das auch für Parteilose Chancen einräumt, als zentral. Ein Nein wurde hingegen laut VOX-Analyse eher mit der Skepsis gegenüber dem Losverfahren und der Meinung, dass das bisherige System gut funktioniere, begründet.

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Die Wahl von drei neuen Mitgliedern des Bundesverwaltungsgerichts war in der Herbstsession 2021 gänzlich unbestritten: Susanne Christine Bolz-Reimann (gp; 207 Stimmen), Regina Derrer (gp; 204 Stimmen) und Thomas Segessenmann (glp, 208 Stimmen) erhielten alle drei fast alle gültigen 209 Stimmen. Die Ersatzwahl war nötig geworden, weil Christa Luterbacher (sp) und Daniel Stufetti (svp) pensioniert wurden und Maria Amgwerd (mitte) ihren Rücktritt eingereicht hatte. Die drei neuen Bundesverwaltungsrichterinnen und -richter waren von der GK aus insgesamt 20 Bewerbungen (9 Frauen) auserkoren worden. Alle drei brachten als Gerichtsschreiberinnen bzw. Gerichtsschreiber Kenntnisse des BVGer mit. Mit ihrer Wahl wurde die Untervertretung der GP und der GLP am Gericht «wenigstens teilweise ausgeglichen», wie dem Bericht der GK zu entnehmen war.

Bundesverwaltungsgericht. Wahl von drei Mitgliedern

18 der 20 Richterinnen und Richter am Bundesstrafgericht stellten sich für die Gesamterneuerungswahlen für die Amtsdauer 2022–2027 erneut zur Verfügung. Ihren Rücktritt hatten Claudia Solcà und Stephan Blättler gegeben. Unter den wieder Antretenden befand sich auch die aktuelle Präsidentin des Bundesstrafgerichts, Sylvia Frei, die im Rahmen der Kritik am Bundesstrafgericht 2019 in die Schlagzeilen geraten war, woran die NZZ im Vorfeld der Gesamterneuerungswahlen erinnerte. Die Aargauer Zeitung wusste überdies zu berichten, am BStGer gehe «die Angst um», nicht wiedergewählt zu werden, obwohl die GK alle 18 Kandidierenden zur Wiederwahl empfohlen hatte. Dasselbe galt für alle 13 für eine weitere Amtsperiode kandidierenden nebenamtlichen Richterinnen und Richter. Die GK zitierte in ihrem Wahlvorschlag die GPK, die bei ihrer Untersuchung der «Krise am Bundesstrafgericht» (Aargauer Zeitung) keine Kritikpunkte gefunden habe, «welche die fachliche oder persönliche Eignung der sich zur Wiederwahl stellenden Richterinnen und Richter ernsthaft infrage stellen» würden. Die beiden frei werdenden Sitze sowie das Präsidium würden in der kommenden Wintersession 2022 neu bestellt, so die Kommission.
Die Vereinigte Bundesversammlung bestätigte sowohl die haupt- als auch die nebenamtlichen Richterinnen und Richter in der Herbstsession 2022 in globo: Auf den Wahlzetteln waren jeweils alle 18 bzw. 13 Personen aufgeführt, die lediglich gestrichen werden konnten. Davon machten die Parlamentsmitglieder vor allem bei jenen Kandidierenden Gebrauch, die 2019 in die Schlagzeilen geraten waren. Auf den 212 eingelangten und gültigen Wahlzetteln wurde etwa der Name von Sylvia Frei 45 Mal gestrichen. Auch Jean-Luc Bacher (179 Stimmen), Andrea Blum (170 Stimmen) und Olivier Thormann (163 Stimmen) erhielten weniger als 180 Stimmen – auch sie waren 2019 in negatives mediales Rampenlicht geraten. Die Namen aller anderen voll- und nebenamtlichen Richterinnen und Richter wurden weniger als 16 Mal gestrichen. Das absolute Mehr von 107 Stimmen übersprangen freilich alle Kandidierenden locker.

Das Bundesstrafgericht setzt sich für die Amtsperiode 2022 bis 2027 entsprechend aus folgenden Personen zusammen:
Der FDP gehören an: Jean-Luc Bacher (179 Stimmen), Joséphine Contu Albrizio (206), Fiorenza Bergomi (205) und Olivier Thormann in der Berufungskammer (163).
Der GP gehören an: Daniel Kipfer-Fasciati (203) und Nathalie Zufferey (199).
Der Mitte gehören an: Stefan Heimgartner (204), Martin Stupf (203) und Alberto Fabbri (196).
Der SP gehören an: Miriam Forni (200), Giorgio Bomio-Giovanascini (198), Roy Garré (202) und Stéphane Zenger (201).
Der SVP gehören an: Sylvia Frei (177), Cornelia Cova (206), David Bouverat (206) und in der Berufungskammer Andrea Blum (170).
Parteilos ist Patrick Robert-Nicoud (204).

Bundesstrafgericht. Gesamterneuerung für die Amtsdauer 2022 – 2027

Im Rahmen ihrer Beratungen zur Justizinitiative beschloss die RK-SR, eine parlamentarische Initiative einzureichen, mit der die Idee eines Fachbeirats umgesetzt werden soll, der die Gerichtskommission (GK) beim Verfahren zur Auswahl neuer Richterinnen oder Richter unterstützt. Die RK-SR betonte, dass dieser Vorschlag unabhängig von der Justizinitiative betrachtet werden solle – also kein indirekter Gegenentwurf sei. Die Justizinitiative fordert unter anderem ein Expertengremium, welches geeignete Gerichtspersonen auswählt, die dann per Los gewählt würden.
Die RK-NR hatte ihrerseits Ende 2020 einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative unterbreitet, mit dem ebenfalls eine solche Fachkommission verlangt worden wäre. Die entsprechende parlamentarische Initiative war allerdings Anfang 2021 zurückgezogen worden, weil sie neben dem Expertengremium weitere Punkte gefordert hatte (stille Wiederwahl von Richterinnen und Richtern, Regelung der Mandatssteuern), die von der RK-NR, gestützt auf ein Gutachten des Bundesamtes für Justiz (BJ), als nicht umsetzbar erachtet worden waren. Wohl auch weil die Schaffung eines Fachbeirates damals allerdings als einfache und gute Lösung taxiert worden war, stimmte die RK-NR der parlamentarischen Initiative ihrer Schwesterkommission im August mit 12 zu 9 Stimmen bei 1 Enthaltung zu. Damit wird die RK-SR eine entsprechende Rechtsgrundlage ausarbeiten.

Fachbeirat für die Auswahlverfahren der Gerichtskommission (Pa.Iv. 21.452)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative

In der Sommersession 2021 beriet der Ständerat die Justiz-Initiative. Im Vorfeld hatte die RK-SR die Initiative einstimmig zur Ablehnung empfohlen. Allerdings lag – wie bereits in der Frühjahrssession im Nationalrat – ein Minderheitenantrag auf einen direkten Gegenentwurf vor, mit dem die Möglichkeit für eine stille Wiederwahl von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern geschaffen werden sollte. Diesen Antrag empfahl die Kommission mit 9 zu 3 Stimmen bei 1 Enthaltung zur Ablehnung.
In der Ratsdebatte führte der Präsident der RK-SR, Beat Rieder (mitte, VS), als Kommissionssprecher die Argumente aus, mit welcher seine Kommission ihre Ablehnung gegen das Begehren begründete. Mit dem Losverfahren würde ein direktdemokratisches Wahlverfahren durch ein «aleatorisches» ersetzt, was der Tradition der Schweiz widerspreche. Ein solches Verfahren würde nicht nur die Legitimation der Gerichte untergraben, sondern auch die Vereinigte Bundesversammlung eines ihrer Rechte berauben und sie so schwächen. Darüber hinaus sehe die Initiative zwar eine angemessene sprachliche Verteilung vor, eine Repräsentation der Geschlechter oder verschiedener Landesteile und Regionen sei aber nicht vorgesehen und würde durch das Los wohl kaum abgedeckt. Eine möglichst repräsentative Vertretung sei aber eben Bedingung für eine hohe Akzeptanz der Judikative. Auch eine Expertenkommission, die gemäss der Initiative anstelle der Gerichtskommission (GK) die geeigneten Richterinnen und Richter bestimmen soll, die dann zum Losverfahren zugelassen würden, bestehe aus Mitgliedern, die «persönliche und gesellschaftspolitische Ansichten» hätten. Politische Neutralität, wie sie vom Begehren angestrebt werde, sei auch von einem solchen Gremium nicht zu erwarten. Zudem hätten auch ausgeloste Richterinnen und Richter politische Grundhaltungen, die per Los aber nicht unbedingt ausgewogen verteilt wären. Nicht das Los, sondern der freiwillige Parteienproporz sorge eben dafür, dass unterschiedliche politische Werthaltungen möglichst ausgewogen vertreten seien. Zwar könne ein Expertengremium nach objektiven Kriterien wohl über fachliche Eignung und Qualität von Gerichtspersonen befinden. Innerhalb dieser Qualifikationen dürfte es aber Unterschiede geben und mit dem Losverfahren würden dann eben wahrscheinlich nicht die Personen mit der besten Eignung gewählt. Allerdings sei die Idee, mehr Expertise in die Auswahl der Richterinnen und Richter aufzunehmen, gut. Die RK-SR habe deshalb eine parlamentarische Initiative für einen Fachbeirat eingereicht, der die GK beim Auswahlverfahren unterstützen solle. Ein weiteres Problem der Justizinitiative sei, dass sie keine Wiederwahl, sondern lediglich eine Amtsenthebung von Richterinnen und Richtern durch Bundesrat und Parlament vorsehe. Auch hier gebe es viel Potenzial für Misstrauen und Legitimationsverlust. Das jetzige System habe sich bewährt, schloss Rieder sein Plädoyer gegen die Initiative; das «Schweizerische Bundesgericht kann als eines der weltweit besten angesehen werden».
Lisa Mazzone (gp, GE) warb für den Gegenvorschlag. Einen solchen brauche es nur schon, um der Initiative möglichst viel Unterstützung zu entziehen. Jedes Ja-Prozent sei nämlich ein Zeichen für schädliches Misstrauen gegen die Judikative. Das Parlament dürfe nicht so tun, als gäbe es keine Probleme. Ein solches Problem stelle die Wiederwahl der Richterinnen und Richter dar, die immer wieder von unschönen Tönen begleitet werde und stark politisiert sei. Der Gegenvorschlag, der freilich im Nationalrat abgelehnt worden sei und deshalb von der Kommission noch verbessert werden müsste, müsse ein Verfahren anstreben, mit dem die Wiederwahl durch das Parlament und die damit verbundenen, in der Bevölkerung Misstrauen schürenden, politischen Spielchen vermieden werden. Andrea Caroni (fdp, AR) nahm den Ball auf und erwähnte, dass es in der Geschichte lediglich in drei Fällen zu Abwahlen gekommen sei. Im 19. Jahrhundert sei dies aufgrund des Alters zweier Richter geschehen. Dem sei mit der gesetzlich geregelten Alterslimite – Amtsausübung bis längstens fünf Jahre nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters – begegnet worden. «Das institutionelle Immunsystem» habe aber auch im dritten Fall, bei der «persönlich motivierten» Abwahl von Bundesrichter Schubarth 1990, funktioniert, weil dieser anschliessend sofort wiedergewählt worden sei. Das System sei nicht perfekt, aber sehr gut und es brauche entsprechend auch keinen Gegenvorschlag. In der Debatte wurden weitere Analogien zur Geschichte gezogen: Heidi Z'graggen (mitte, UR) führte die ausgelosten Richter ins Feld, die Sokrates zum Tod verurteilt hatten, und Mathias Zopfi (gp, GL) berichtete, dass das Losverfahren im Kanton Glarus bis ins 17. Jahrhundert angewendet worden sei, sich aber nicht bewährt habe. Justizministerin Karin Keller-Sutter schloss die Debatte schliesslich mit dem Hinweis, dass eine einmalige Wahl und eine lange Amtsdauer die Unabhängigkeit der Judikative in der Tat grundsätzlich stärken und Parteilose mit dem Losverfahren eher eine Richterstelle erhalten würden. Trotzdem sei der Bundesrat gegen das Begehren, weil das Losverfahren nicht dem Leistungsprinzip entspreche, die demokratische Legitimation der Judikative untergrabe und die Vorzüge des tief im System der Schweiz verankerten freiwilligen Parteienproporz, wie etwa Transparenz und Repräsentativität, ohne Not verschenke. Auch das Bundesgericht selber sehe zudem keinen Handlungsbedarf und sei mit der Stellungnahme des Bundesrats einverstanden. Die Magistratin verwies schliesslich auf die bereits angestossenen Revisionen, die auf Teilforderungen der Initiative eingingen – etwa die Diskussionen in der GK für ein besseres Auswahlverfahren, das auch Parteilose berücksichtigen könnte, die parlamentarische Initiative der RK-SR für einen Fachbeirat oder die parlamentarische Initiative von Beat Walti (fdp, ZH; Pa.Iv. 20.468), mit der die Mandatssteuern geregelt werden sollen. Eine stille Wahl – so das Argument des Bundesrats gegen den Antrag für einen Gegenvorschlag – wäre zudem weniger demokratisch und transparent als eine Wiederwahl. Und auch eine von einer Expertenkommission beantragbare Nichtwiederwahl mache «sogenannte Denkzettel» möglich. Ein solcher Gegenvorschlag würde zudem den Erwartungen der Initiantinnen und Initianten wohl zu wenig stark entgegenkommen und sei deshalb nicht geeignet, der Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen. In der darauffolgenden Abstimmung lehnte der Ständerat Eintreten auf den Minderheitenantrag für einen Gegenvorschlag mit 26 zu 8 Stimmen (0 Enthaltungen) ab und empfahl die Initiative zur Ablehnung.

In den am Ende der Sommersession 2021 abgehaltenen Schlussabstimmungen zum Bundesbeschluss über die Justizinitiative, mit dem die Initiative zur Ablehnung empfohlen werden sollte, waren die Verhältnisse dann sehr deutlich. Im Nationalrat stimmte einzig Lukas Reimann (svp, SG) für eine Empfehlung auf Annahme der Initiative. Er stand 191 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen gegenüber. Im Ständerat fiel die Empfehlung zur Ablehnung des Begehrens mit 44 Stimmen einstimmig aus (0 Enthaltungen).

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Damian Müller (fdp, AG) ergriff in der Sommersession 2021 gleichzeitig als Urheber seiner parlamentarischen Initiative für eine Entschlackung der Legislaturplanung und als Kommissionssprecher der SPK-SR, die seinen Vorstoss mit 10 zu 3 Stimmen unterstützte, das Wort. Die Debatte in der kleinen Kammer war nötig geworden, weil die SPK-NR die Initiative zur Ablehnung empfohlen hatte. Müller bezeichnete das Argument der nationalrätlichen Kommission, seine Idee würde das Parlament entmachten, als nicht stichhaltig. Die Möglichkeiten, die das Parlament bei der Legislaturplanung habe, seien sowieso schon sehr beschränkt. Die «Beerdigung» des Rahmenabkommens durch den Bundesrat zeige zudem, dass sich dieser selber nicht an die Legislaturplanung halte. Von einer Entmachtung zu sprechen sei also nicht angebracht. Statt alle vier Jahre im Rahmen der Legislaturplanung «Scheindebatten» zu führen, müssten die bestehenden Instrumente genutzt werden. Mit Vorstössen könne mehr bewegt werden als mit der letztlich wirkungslosen Beratung der Legislaturplanung – so der Aargauer Freisinnige. Hans Stöckli (sp, BE) wehrte sich gegen die Idee und setzte sich für den Minderheitsvorschlag gegen Folgegeben ein. Er merkte an, dass das Parlament eine aktive, gestalterische Rolle spielen müsse und die wichtige Legislaturplanung nicht einfach zur Kenntnis nehmen dürfe. Die Mehrheit der Kantonsvertreterinnen und -vertreter sah dies jedoch anders und gab der Initiative Müller mit 25 zu 13 Stimmen Folge. Damit geht das Geschäft wieder zurück an die SPK-NR.

Fitnesskur für das Parlament – Entschlackung der Legislaturplanung (Pa.Iv. 20.446)
Dossier: Verfahren bei der Legislaturplanung

Mit 10 zu 3 Stimmen beschloss die SPK-SR Ende März 2021 an ihrer bereits Mitte November 2020 beschlossenen Empfehlung, der parlamentarischen Initiative Damian Müller (fdp, LU) Folge zu geben, festzuhalten. Das Verfahren zur Legislaturplanung sei zu kompliziert und koste Zeit und Geld, weshalb es vereinfacht werden müsse, auch wenn verschiedene bisherige Anläufe gescheitert seien und auch wenn die Schwesterkommission das Anliegen deutlich abgelehnt habe, gab die Kommission in einer Medienmitteilung bekannt. In der Tat hatte die SPK-NR kein Gefallen an einer «Fitnesskur für das Parlament» und an einer «Entschlackung der Legislaturplanung», wie Müller seinen Vorstoss betitelt hatte, gefunden. Mit 18 zu 4 Stimmen bei einer Enthaltung hatte sich die nationalrätliche Kommission im Februar 2021 deutlich gegen Folgegeben ausgesprochen. Die Idee Müllers käme einer Entmachtung des Parlaments gleich, das auch bei der Legislaturplanung «qualifiziert mitwirken» müsse, so die damalige Begründung der SPK-NR. Mit dem neuerlichen Antrag der ständerätlichen Kommission musste sich also die kleine Kammer des Vorstosses annehmen.

Fitnesskur für das Parlament – Entschlackung der Legislaturplanung (Pa.Iv. 20.446)
Dossier: Verfahren bei der Legislaturplanung

In der Frühjahrssession nahm sich der Nationalrat der Justiz-Initiative an. Zur Debatte standen dabei drei Minderheitsanträge, welche die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags bezweckten, was der Bundesrat in seiner Vorlage abgelehnt hatte. Ein Minderheitsantrag Min Li Marti (sp, ZH) verlangte die Rückweisung des Geschäfts an die RK-NR, damit diese ihren in Form einer parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 20.480) bereits eingereichten indirekten Gegenvorschlag weiter ausarbeite. Zwei weitere links-grüne Minderheiten präsentierte einen eigenen direkten Gegenentwurf, der gleichzeitig mit der Initiative zur Abstimmung kommen soll.
Die RK-NR selber sehe aber keinen Handlungsbedarf mehr, berichtete Barbara Steinemann (svp, ZH) für die Kommission. Nach einigen Anhörungen sei man zum Schluss gekommen, dass sich das aktuelle System bewährt habe. Die Wahl von Richterinnen und Richtern, wie sie heute praktiziert werde, sei nicht über alle Zweifel erhaben und es gebe durchaus «diskussionswürdige Punkte», so die Kommissionssprecherin. Alle anderen Systeme seien aber «noch weniger perfekt», weshalb die Kommission mit 22 zu 0 Stimmen (3 Enthaltungen) empfehle, die Volksinitiative ohne indirekten Gegenvorschlag und ohne direkten Gegenentwurf abzulehnen.
In der Begründung ihres Rückweisungsantrags machte Min Li Marti (sp, ZH) auf die wunden Punkte aufmerksam, auf welche die Initiative die Finger legt: Die Frage der Wiederwahl – Richterinnen und Richter müssen periodisch in ihrem Amt bestätigt werden, was in jüngerer Zeit nicht immer reibungslos vonstatten gegangen war –; die Mandatsabgaben, die von Richterinnen und Richtern an ihre Parteien bezahlt werden müssen und die auch von der Greco kritisiert werden, weil sie das bestehende Abhängigkeitsverhältnis noch verstärken; oder die Auswahl der Richterinnen und Richter durch die Gerichtskommission, die kein eigentliches Fachgremium darstellt und weniger auf Fachkompetenz als auf politische Einstellungen und Parteizugehörigkeit achtet. Diese Punkte müssten von der Rechtskommission noch einmal überdacht und in eine Gesetzesrevision gegossen werden, forderte die Zürcher Sozialdemokratin. Sibel Arslan (basta, BS) skizzierte in der Folge die beiden direkten Gegenentwürfe. Vorgesehen war eine Erhöhung der Amtsdauer von Richterinnen und Richter auf zwölf oder sechzehn Jahre in Verbindung mit einem noch zu regelnden Amtsenthebungsverfahren. Das bisherige Wiederwahlverfahren gefährde die Unabhängigkeit der Judikative, weil Richterinnen und Richter mit ihrer Wiederwahl unter Druck gesetzt werden könnten, so die Begründung der Baslerin.

In der nachfolgenden Debatte wiesen auch zahlreiche Votantinnen und Votanten auf die Mängel des bestehenden Systems hin. Freilich war umstritten, ob diese Mängel mit einem Gegenvorschlag oder einem Gegenentwurf behoben werden müssten oder ob sie sich «im Rahmen der heutigen Strukturen lösen» lassen, wie sich etwa Pirmin Schwander (svp, SZ) überzeugt zeigte. Wichtig sei freilich, dass man bereits bei der Selektion der Kandidierenden die «richtigen Persönlichkeiten» auswähle. Das System funktioniere, befand auch Christoph Eymann (ldp, BS). Änderungen seien weder auf Gesetzes- noch auf Verfassungsstufe nötig. Der von der Initiative kritisierte Parteienproporz bei Richterwahlen sei gar nicht so schlecht, führte dann Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) aus. Er garantiere vielmehr eine Vertretung aller «ideologischen Richtungen». Auch die regelmässigen Wiederwahlen wurden verteidigt: In Realität seien die Richterinnen und Richter unabhängig von ihren Parteien und zu einer Abwahl komme es praktisch nie, argumentierte Sidney Kamerzin (mitte, VS) gegen eine Reform des Systems. Gegen ein zu hastiges Vorgehen mit Hilfe von Gegenvorschlägen und Gegenentwürfen stellte sich auch Kurt Fluri (fdp, SO). Man müsse die bestehenden Probleme in Ruhe angehen. So sei ja etwa eine Motion von Beat Walti (fdp, ZH) für ein Verbot von Mandatssteuern bereits eingereicht worden.
Die Ratslinke – unterstützt von der GLP, für die Beat Flach (glp, AG) Handlungsbedarf aufgrund der undurchsichtigen Mandatsabgaben feststellte – hätte hingegen die Initiative gerne als Treiberin für nötige Reformen genutzt. Es sei ein Glücksfall, dass es dank der Initiative zu einer öffentlichen Debatte über die Judikative komme, lobte Matthias Aebischer (sp, BE). Wenn ein indirekter Gegenentwurf jetzt ausgearbeitet werden müsse, könnten die «kritischen und berechtigten Aspekte der Initiative» aufgenommen werden, warb auch Ursula Schneider Schüttel (sp, FR) für die Rückweisung an die Kommission.

Eine solche wurde dann allerdings von der Ratsmehrheit mit 99 zu 81 Stimmen (1 Enthaltung) abgelehnt. Dabei zeigte sich der aufgrund der vorgängigen Diskussion zu erwartende Graben zwischen SVP-, FDP- und der Mehrheit der Mitte-Fraktion, die den Rückweisungsantrag ablehnten, und den Fraktionen von SP, GP und GLP sowie der EVP. Auf die beiden Vorlagen für mögliche direkte Gegenentwürfe mochte der Rat sodann gar nicht erst eintreten. Mit 102 zu 79 Stimmen (3 Enthaltungen) wurde eine mögliche Debatte abgelehnt. Dabei zeigten sich die praktisch gleichen Fronten wie bei der abgelehnten Rückweisung.

Die Initiative selber fand bei den Rednerinnen und Rednern kaum Unterstützung. Das Losverfahren sei «schlicht unseriös», urteilte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS). Der Zufall mache seine Sache nur selten gut, befand auch Nicolas Walder (gp, GE) und mit dem Los bestünde das grosse Risiko, dass nicht alle politischen Sensibilitäten in der Judikative repräsentiert seien. Auch die Idee eines Fachgremiums, mit dem die auszulosenden Kandidierenden bestimmt würden, stiess auf Kritik. Auch die Mitglieder eines solchen Gremiums könnten nicht politisch neutral sein, warnte Matthias Aebischer (sp, GE). Eine durch Los oder ein Fachgremium bestimmte Judikative sei demokratisch weniger legitimiert als durch das Parlament oder die Stimmbevölkerung gewählte Richterinnen und Richter, pflichtete Andreas Glarner (svp, AG) bei. Ein «Sympathie-Ja» erhielt das Begehren einzig von Lukas Reimann (svp, SG): Richterwahlen seien sehr wohl politisch und die Parteizugehörigkeit verhindere die Auswahl der besten Kandidierenden, begründete der St. Galler seine Unterstützung.
Der Nationalrat folgte stillschweigend dem Antrag der Kommission, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. Die NZZ sprach nach der nationalrätlichen Debatte von einer verpassten Chance. Es sei fraglich, ob das Parlament ohne den Druck einer Volksinitiative gewillt sei, die Mängel im bestehenden System zu beheben.

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Es kommt nur sehr selten vor, das die GK Empfehlungen für Wahlen an eidgenössische Gerichte nicht einstimmig abgibt. Dies war allerdings der Fall bei den Wahlen des Präsidiums und des Vizepräsidiums für das Bundesgericht für die Jahre 2021-2022. Das Bundesgericht hatte die amtierende Vizepräsidentin Martha Niquille (cvp) als Präsidentin und Bundesrichter Yves Donzallaz (svp) als Vizepräsidenten vorgeschlagen. Die GK und das Parlament seien zwar nicht weisungsgebunden, aus «Respekt vor den Institutionen und der Gewaltentrennung» entspreche die Kommission aber dem Antrag des Bundesgerichts, war in der Wahlempfehlung der GK zu lesen. Die SVP-Minderheit in der GK beantragte allerdings, dass das Parlament den Wahlvorschlag zurückweist, damit die GK zwei neue Personen zur Wahl vorschlagen könne.
Als Grund dafür führte Pirmin Schwander (svp, SZ), der den Antrag der GK-Minderheit in der Wintersession 2020 in der Debatte der Vereinigten Bundesversammlung vertrat, die Rolle der beiden Kandidierenden in der Untersuchung der Vorkommnisse am Bundesstrafgericht an. Die Kandidierenden waren in die Schlagzeilen geraten, weil sie der Verwaltungskommission des Bundesgerichts angehörten, die die entsprechenden Ereignisse untersuchen sollten. Der aus dieser Untersuchung resultierende Bericht war bei der GPK auf einige Kritik gestossen und hatte gar eine Strafanzeige gegen die drei Berichterstatter – neben Niquille und Donzallaz hatte auch der zurückgetretene Ulrich Meyer (sp) der Kommission angehört – nach sich gezogen. Auch in den Medien war der Bericht als mangelhaft hinsichtlich dem Verfahren und inhaltlich problematisch bezeichnet worden. Pirmin Schwander nannte den Bericht eine «Missachtung des parlamentarischen Auftrages, ein[en] Aufsichtsbericht, der unter Missachtung rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien erstinstanzliche Richter mittels Publikation im Internet an den Pranger stellte.» Die «auch in den Medien aufgegriffene Unprofessionalität» habe das Vertrauen in die Judikative geschmälert. Vertrauen und Professionalität könnten nur wiederhergestellt werden, wenn Personen das Präsidium übernähmen, die von internen Querelen unbelastet seien, so Schwander. Von Schwander unerwähnt blieb hingegen, dass sich die SVP im Rahmen der Gesamterneuerungswahlen der Bundesrichterinnen und -richter bereits gegen die Wiederwahl ihres Richters Yves Donzallaz gestellt hatte, weil dieser die Grundhaltung «seiner Partei» nicht mehr teile, wie damals das Verdikt der SVP lautete. Donzallaz war damals trotzdem bestätigt worden.
Der Sprecher für die Mehrheit der GK, Andrea Caroni (fdp, AR) berichtete, dass der Untersuchungsbericht sehr wohl auch Gegenstand der Anhörung der beiden Kandidierenden gewesen sei. Beide hätten ihr Verhalten erklären können und hätten sich motiviert gezeigt, die Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Institutionen – Bundesgericht, Bundesstrafgericht und GPK – zu befördern. Martha Niquille habe sich zudem für die Tonalität im Bericht entschuldigt. Caroni erinnerte auch daran, dass das Bundesgericht bei Annahme des Rückweisungsauftrags bis frühestens zur Frühjahrssession 2021 ohne Präsidium sein würde.
Dieser Rückweisungsantrag wurde unter Namensaufruf der Ständeratsmitglieder und mittels elektronischer Abstimmung der Nationalratsmitglieder mit 168 zu 54 Stimmen (ohne Enthaltungen) abgelehnt. Lediglich sämtliche Mitglieder der SVP-Fraktionen stimmten für eine Rückweisung. In der Folge interessierten dann die Wahlresultate: Martha Niquille erhielt 173 gültige Stimmen. Eingelangt waren 227 Wahlzettel, von denen 53 leer eingelegt wurden und einer einen anderen Namen enthielt. Für Yves Donzallaz gingen 223 Wahlzettel ein; auf 160 davon stand sein Name, 62 waren leer geblieben und einer enthielt einen anderen Namen.
Ob den unschönen Tönen ging etwas unter, dass mit Martha Niquille zum ersten Mal in der 162-jährigen Geschichte des Bundesgerichts eine Frau an die Spitze des obersten eidgenössischen Gerichts gewählt worden war.

Bundesgericht. Präsidium und Vizepräsidium 2021-2022
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative

Das Präsidium des Bundesverwaltungsgerichts wird alle zwei Jahre neu bestellt. Der Vorschlag für die Besetzung wird dabei vom Gericht selber der GK unterbreitet, die den Antrag an die Fraktionen weiterleitet. Dass für die Jahre 2021/2022 Marianne Ryter (sp) zur Präsidentin und Vito Valenti (fdp) zum Vizepräsidenten gewählt werden sollen, war in keiner Fraktion umstritten. Entsprechend erlangte Marianne Ryter in der Wintersession 2020 208 von 227 eingelangten Stimmen (5 leer, 14 ungültig) und wurde damit an die Spitze des Gerichts mit Sitz in St. Gallen gewählt. Vito Valenti erhielt 218 Stimmen; von den 227 eingelangten Wahlzetteln waren bei ihm neun leer geblieben.

Bundesverwaltungsgericht - Wahl des Präsidiums

In der Wintersession 2020 wählte die Vereinigte Bundesversammlung einen neuen nebenamtlichen Richter ans Bundesgericht. Die aufgrund der Wahl von Christoph Hurni (glp) zum ordentlichen Bundesrichter vakant gewordene Stelle sollte von einer Person mit Hauptsprache Italienisch und Kenntnissen im Zivilrecht besetzt werden. Von den 14 Bewerbungen (davon 6 Frauen) entschied sich die GK für Mattia Pontarolo (cvp), der nicht nur alle Voraussetzungen erfülle, sondern dessen Wahl auch zu einer Korrektur der leichten Untervertretung der Mitte-Fraktion im Bundesgericht führen würde. Die Bundesversammlung folgte der Empfehlung der GK und wählte Pontarolo mit 219 von 227 eingelangten Stimmen. 8 Wahlzettel waren leer geblieben.

Wahl eines nebenamtlichen Richters am Bundesgericht

Ein Verbot von Mandatssteuern und Parteispenden für Mitglieder der Gerichte des Bundes forderte Beat Walti (fdp, ZH) in einer parlamentarischen Initiative, die er Ende September 2020 einreichte. Die FDP wolle die «Richtersteuer abschaffen», titelte in der Folge die Aargauer Zeitung. Zwar habe die Staatengruppe gegen Korruption des Europarats (GRECO) die Schweiz bereits vor Jahren gemahnt, dass die Unabhängigkeit der Judikative gefährdet sei, weil Richterinnen und Richter einer Partei angehören müssten, aber auch weil sie ihrer Partei Abgaben zu entrichten hätten, um die eigene Wiederwahl nicht zu gefährden. Von CHF 20'000 (GP) bis CHF 30'000 (FDP) pro Jahr und Bundesrichter wusste die Aargauer Zeitung zu berichten. Bei den Grünen hätten die Einnahmen 2015 zu 10 Prozent aus Mandatsabgaben ihrer Richterinnen und Richter bestanden. Ein Verbot könne dem Eindruck entgegenwirken, dass zwischen politischen Parteien und Mitgliedern von Gerichten eine Abhängigkeit bestehe, gab Beat Walti der Zeitung zu Protokoll.
Die RK-NR gab Mitte Januar 2021 bekannt, dass sie mit der Beratung der parlamentarischen Initiative Walti noch zuwarten wolle, bis die auf die Frühjahrssession 2021 terminierten Diskussionen im Nationalrat über die Justizinitiative und über einen allfälligen indirekten Gegenvorschlag geführt worden seien.

Verbot von Mandatssteuern und Parteispenden für Mitglieder der Gerichte des Bundes (Pa.Iv. 20.468)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Die in der Regel als relativ unbestritten geltenden Gesamterneuerungswahlen des Bundesgerichts wurden 2020 zur Vorlage für eine fast epische Diskussion um die Gewaltenteilung. Den Wahlen für die Amtsperiode 2021-2026 war nämlich die medial virulent diskutierte Ankündigung der SVP vorausgegangen, Yves Donzallaz, einen der SVP angehörenden Bundesrichter, nicht wiederzuwählen.
Ursprung der Weigerung der SVP war unter anderem ein Entscheid des Bundesgerichtes im Sommer 2019, einem Amtshilfegesuch Frankreichs zuzustimmen, das die Auslieferung von Bankkundendaten verlangte. In diesem Urteil hatte besagter Donzallaz laut Blick «das Zünglein an der Waage» gespielt, zum Unverständnis seiner Partei. In der Folge stellten SVP-Politiker in den Medien offen die Frage, «ob wir Bundesrichter unserer Partei wiederwählen wollen, wenn sie in keiner Weise unser Gedankengut vertreten» – so etwa Fraktionschef Thomas Aeschi (svp, ZG) in der Sonntagszeitung. Pirmin Schwander (svp, SZ) forderte in der gleichen Zeitung gar ein Amtsenthebungsverfahren gegen den eigenen Bundesrichter. Thomas Matter (svp, ZH) wiederum kündigte in der Liberté an, dass er den Namen dieses Richters bei dessen Wiederwahl sicher nicht vergessen werde. Donzallaz war laut der Basler Zeitung bereits 2015 von der Weltwoche als «Abweichler» bezeichnet worden, weil er mitentschieden hatte, dass das Freizügigkeitsabkommen mit der EU Vorrang vor der Masseneinwanderungsinitiative der SVP habe.
Gegen die Reaktion der SVP wurde in den Medien rasch Kritik laut. Sie wurde von vielen Kommentatorinnen und Kommentatoren als Angriff auf die Unabhängigkeit der Judikative oder als Respektlosigkeit gegenüber der Gewaltenteilung verurteilt. Diskutiert wurde in der Folge auch, ob Parteipolitik überhaupt einen Einfluss auf die Rechtsprechung haben dürfe – eine Frage, die auch mit der Justizinitiative einer Antwort harrt, die im Tages-Anzeiger als «grösste Profiteurin der Querelen» bezeichnet wurde. Auch die Weltwoche kritisierte einen Angriff auf die Gewaltenteilung, allerdings aus alternativer Perspektive: Die Judikative setze sich beim Urteil über die Herausgabe der Bankkundendaten im Verbund mit der Exekutive über die Legislative und den Souverän hinweg. Zu reden gab schliesslich auch der unmittelbar nach der SVP-Kritik gefällte Entscheid des SVP-Fraktionschefs Thomas Aeschi, in der Gerichtskommission Einsitz zu nehmen. Die SVP mache «die Richterwahlen zur Chefsache», urteilte die Aargauer Zeitung.

Kurz nach der Entscheidung des Bundesgerichtes im Herbst 2019 ebbte die entsprechende Diksussion zwar wieder ab, allerdings nur um rund ein Jahr später bei der Vorbereitung der Wiederwahl der Richterinnen und Richter des Bundesgerichts wieder sehr laut zu werden. Der Sonntagsblick berichtete rund drei Wochen vor der für die Herbstsession 2020 angesetzten Wahl von mehreren Quellen, die bestätigten, dass die SVP in der vorberatenden GK beantragt habe, Yves Donzallaz nicht mehr als Vertreter der SVP zu behandeln und ihn nicht mehr zur Wiederwahl zu empfehlen. Die Kommissionsmehrheit habe jedoch nicht auf die Forderungen eingehen wollen. In der NZZ gab Donzallaz zu Protokoll, dass die SVP seit Jahren versuche, die Justiz zu instrumentalisieren. Den Versuchen, das Recht einer politischen Ideologie zu unterwerfen, müsse aber entschieden entgegengetreten werden. Er sei nicht verpflichtet, gegenüber einer Partei Entscheidungen zu rechtfertigen. Zwar sei es legitim, die Rechtsprechung zu kritisieren, nicht aber Richterinnen und Richter persönlich anzugreifen. Donzallaz berichtete auch, dass er von keinen Druckversuchen durch andere Parteien wisse. «Ganz ehrlich glaube ich, es handelt sich dabei um ein spezifisches Problem der SVP», betonte er. In der Aargauer Zeitung bestätigte ein ehemaliger SVP-Bundesrichter, der jedoch nicht namentlich genannt werden wollte, dass Druckversuche der Volkspartei schon in den 1990er Jahren vorgekommen seien. Man habe sich aber stets auf den Standpunkt gestellt, dass man nicht auf das Parteibuch vereidigt worden sei.

Einige Wellen warf auch, dass Donzallaz von seiner eigenen Partei vor dem Wahlgeschäft zu einem Hearing eingeladen wurde. Der Bundesrichter selber sprach von einer «Gewissensprüfung». Er habe während der Diskussion vor der Fraktion ausgeschlossen, dass er beim Urteilen ein Parteiprogramm anwenden könne, da er nur Verfassung und Gesetz verpflichtet sei. Für die SVP-Fraktion argumentierte hingegen Gregor Rutz (svp, ZH), dass jede Richterin und jeder Richter eine politische Grundhaltung habe, die das eigene Urteil beeinflussen würde. Der Parteienproporz sei dazu da, dies zu berücksichtigen und auszugleichen. Wenn nun aber ein Richter die Grundhaltung «seiner Partei» nicht mehr teile, dann müsse Letztere korrigierend eingreifen. Laut Tages-Anzeiger machte die SVP ihrem Richter das Angebot, aus der Partei auszutreten. Als Parteiloser würde er auch von der SVP wiedergewählt, sei ihm beschieden worden.

Die politische Kritik am Verhalten der SVP wurde in der Folge lauter. Dass die Volkspartei die Institutionen nicht mehr respektiere, müsse Konsequenzen haben, forderte CVP-Präsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) im Tages-Anzeiger. SP-Präsident Christian Levrat (sp, FR) forderte ein Nachdenken über ein neues Wahlsystem, wenn sich die SVP aus dem Konsens über einen freiwilligen Parteienproporz und die Unabhängigkeit der eigenen Richterinnen und Richter verabschiede. Diskutiert wurde etwa eine Wahl auf Lebenszeit, um Unabhängigkeit nach einer gewissen pluralistisch garantierten Wahl zu garantieren. Kritisiert wurden auch die Mandatssteuern, mit denen Richter zu stark an die eigene Partei gebunden würden. Zudem müsste auch eine Anzahl parteiloser Richter gewählt werden, vorgeschlagen etwa von einer unabhängigen Fachkommission. Freilich gab CVP-Bundesrichterin Julia Hänni im Blick zu bedenken, dass die Unabhängigkeit der Judikative in jedem System vor allem auch vom Respekt der Politik vor dieser Unabhängigkeit abhänge.

Am 9. September 2020 entschied die GK, alle wieder antretenden Bundesrichterinnen und Bundesrichter zur Wiederwahl zu empfehlen. Tags darauf gaben die Parteispitzen der CVP, FDP und SP bekannt, den eigentlich für die anstehende Herbstsession geplanten «Konkordanzgipfel», bei dem das Verfahren für die Besetzung des Bundesrats beziehungsweise die Suche nach einer neuen Zauberformel hätten diskutiert werden sollen, nicht durchführen zu wollen. Man könne mit einer Partei, welche die Institutionen geringschätze, nicht über Konkordanz diskutieren – so die Begründung. Die NZZ schlussfolgerte daraus, dass die SVP nicht nur die Unabhängigkeit der Justiz gefährde, sondern auch ihre eigene Position – auf dem Spiel stünden gar die eigenen Bundesratssitze. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi wehrte sich gegen den Vorwurf, die Partei halte nichts von der Gewaltentrennung. Bei den Gesprächen mit Donzallaz habe sich gezeigt, dass dieser die Werte der SVP nicht mehr vertrete. Die Partei könne deshalb die Verantwortung für dessen Wahl nicht mittragen. Seine Weigerung, aus der Partei auszutreten, zeuge zudem von «Charakterschwäche». Über Konkordanz werde man so oder so wieder reden; die Absage des Gipfels sei wohl eher dem Umstand geschuldet, dass man dafür keinen geeigneten Termin gefunden habe.

Noch mehr Öl ins Feuer goss dann die SP mit der Forderung, die Richterwahlen zu verschieben. Fraktionschef Roger Nordmann (sp, VD) wollte einen entsprechenden Ordnungsantrag einreichen. Es sei vor der Wahl abzuklären, wie unabhängig die Richterinnen und Richter der SVP seien. Sollte dieser Antrag nicht durchkommen, drohte Christian Levrat im Sonntagsblick, würde er gegen die Wiederwahl aller SVP-Richterinnen und -Richter stimmen. Auch dies provozierte Kritik: So äusserte sich etwa der Grüne Ständerat Matthias Zopfi (gp, GL) im Tages-Anzeiger, dass die anderen Parteien die Richterwahlen nicht noch mehr «verpolitisieren» sollten. Für GLP-Präsident Jürg Grossen (glp, BE) wäre eine kollektive Nichtwahl eine weitere Schwächung der Institution. Man habe ja kein Problem mit dem Gericht, sondern mit der SVP.

Wie so vieles in der Schweizer Politik wurde dann auch die Wahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichter parlamentarisch wesentlich weniger heiss gegessen als es im Vorfeld medial aufgekocht wurde. Freilich wurden am 23. September 2020 in der Vereinigten Bundesversammlung im Rahmen des Ordnungsantrags der SP-Fraktion nochmals die parteipolitischen Klingen gekreuzt. Daniel Jositsch (sp, ZH) führte für seine Partei aus, dass die SVP «den politischen Kampf aus dem Parlament hinaus ins Bundesgericht tragen» wolle. Die Abwahlempfehlung eines eigenen Bundesrichters werfe die Frage auf, ob andere SVP-Richterinnen und -Richter noch unabhängig urteilen würden, wenn sie eine Abwahl befürchten müssten. Die Frage nach der Unabhängigkeit der SVP-Richterinnen und -Richter müsse die GK ab sofort vor jeder Wiederwahl prüfen, weshalb die Wahlen auf die Wintersession verschoben werden sollten. Andrea Caroni (fdp, AR) fasste als Sprecher der GK das Prozedere zusammen: Weil bei keiner der 37 wieder kandidierenden Personen Hinweise auf Amtspflichtverletzung gefunden worden seien, würden auch alle zur Wiederwahl empfohlen – diese Überprüfung sei nota bene die einzige Aufgabe der GK. Alle Fraktionen hätten den Entscheid, alle Richterinnen und Richter zur Wiederwahl zu empfehlen, unterstützt – mit Ausnahme der SVP, die die Wiederwahl von Bundesrichter Yves Donzallaz nicht unterstütze. Man habe in der GK auch über eine Verschiebung der Wahl und eine Art Gewissensprüfung diskutiert, dies aber verworfen, eben gerade weil die Unabhängigkeit der Judikative geschützt werden müsse. Mit einer Verschiebung würden alle 37 Kandidierenden dem Generalverdacht ausgesetzt, «Parteisoldaten» zu sein. Andererseits sei kaum zu erwarten, dass sich aufgrund einer Gewissensprüfung jemand als «fremdgesteuerten Parteisoldat» bezeichnen werde.
In der Folge legte Thomas Aeschi für die SVP auch im Parlament noch einmal dar, weshalb sie ihren Bundesrichter nicht zur Wiederwahl empfehlen könne. «Nicht die SVP politisiert die Justiz; die Justiz hat begonnen zu politisieren», führte der Fraktionschef aus. Da dürfe es nicht verwundern, dass die Zusammensetzung des Bundesgerichtes zum Thema werde. Man befürchte insbesondere, dass EU-Recht über Schweizer Recht gestellt werde, wogegen sich die SVP vehement wehre. Wenn nun aber ein eigener Richter die Werthaltungen seiner Partei nicht mehr teile, dann könne die SVP die Verantwortung für ihn nicht mehr tragen. «Wenn Sie, die anderen Fraktionen, Yves Donzallaz wiederwählen, sind Sie verantwortlich für sein künftiges richterliches Wirken: Dann ist er Ihr Richter, dann ist es Ihre Verantwortung», so Aeschi zum Schluss.

In der Folge wurde der Ordnungsantrag der SP-Fraktion mit 42 zu 190 Stimmen (6 Enthaltungen) abgelehnt – Zustimmung fand er ausschliesslich bei den Mitgliedern der SP-Fraktion. Anschliessend wurden alle 37 Kandidierenden wiedergewählt. Da auf den Wahlzetteln alle 37 Namen standen und lediglich gestrichen werden konnten, interessierten natürlich die individuellen Resultate. Am wenigsten von den 239 möglichen Stimmen erhielt wie erwartet Yves Donzallaz. Seine 177 Stimmen lagen aber klar über den nötigen 120 (absolutes Mehr). Die restlichen Kandidierenden erhielten zwischen 197 (Andreas Zünd, SP) und 236 Stimmen (Luca Marazzi, FDP; Thomas Stadelmann, CVP).
Auch die zur Wiederwahl stehenden 12 nebenamtlichen Bundesrichterinnen und -richter schafften die erneute Wahl problemlos (mit zwischen 220 und 236 von 240 möglichen Stimmen). Für den zurücktretenden Ulrich Meyer (SP) wurde Christoph Hurni (GLP) zum ordentlichen Richter gewählt (mit 232 von 241 Stimmen; 9 Wahlzettel blieben leer). Und schliesslich barg auch die Ergänzungswahl von sechs nebenamtlichen Richterinnen und Richtern keine Überraschungen mehr. Auch hier erhielten alle mehr als 200 von 239 möglichen Stimmen.

Freilich – so schloss die NZZ bereits am Tag vor der Wahl – stand das Schweizer Justizsystem bei diesen Wiederwahlen auf dem Prüfstand, auch wenn der Wahltag selbst ohne Überraschung endete. Eine Justizreform sei unumgänglich, folgerte auch der Tages-Anzeiger. Der Angriff der SVP sei zwar gescheitert und ein «Psychodrama» sei verhindert worden – so auch Le Temps, Tribune de Genève und Liberté –, die Justiz stehe nun aber unter Spannung. Dafür, dass die Diskussionen um die Wahl von Richterinnen und Richtern nicht versandet, wird auf jeden Fall die Justiz-Initiative sorgen.

Bundesgericht. Gesamterneuerungswahlen für die Amtsperiode 2021-2026
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative

Mit Stellungnahmen aller Fraktionssprecherinnen und -sprecher ging die Debatte über die Legislaturplanung 2019–2023 gegen Ende der Herbstsession im Nationalrat weiter. Das Büro hatte 60 Minuten für diese Stellungnahmen vorgesehen, in denen auch die Minderheitsanträge ausgeführt werden sollten. Anders als bei üblichen Einigungskonferenzen führt die Ablehnung eines Antrags der Einigungskonferenz bei der Legislaturplanung zur gesamthaften Streichung der entsprechenden Bestimmung. Die Kommissionssprecherin Céline Widmer (sp, ZH) machte die Nationalrätinnen und Nationalräte ausdrücklich auf diese Sonderregelung aufmerksam: Eine unbedachte Ablehnung eines Antrags könne also mitunter den Aufbau und die Systematik der Legislaturplanung gefährden. Auch der Nationalrat musste zudem – wie bei der Legislaturplanung vorgesehen – alle Anträge der Einigungskonferenz einzeln gutheissen oder eben ganz streichen, mit Ausnahme natürlich der vom Ständerat bereits gestrichenen Anträge. Zwar gab es in der Tat noch zwei Minderheitsanträge gegen einen Antrag der Einigungskonferenz: Eine rechtsbürgerliche Minderheit wollte das Ziel einer Teilnahme der Schweiz an CreativeEurope (EU-Kulturprogramm 2021-2027) streichen und eine Mitte-Links-Minderheit wollte keine Vorlage zur Weiterentwicklung der AHV. Der erste Antrag war aber chancenlos und der zweite war gegenstandslos geworden, nachdem der Ständerat die entsprechende Bestimmung bereits gestrichen hatte. Da alle anderen Anträge der Einigungskonferenz gutgeheissen wurden, galt die Legislaturplanung 2019-2023 als angenommen. Eine Schlussabstimmung ist für dieses Geschäft nicht vorgesehen.

Legislaturplanung 2019-2023 (BRG 19.078)
Dossier: Legislaturplanungsberichte

Nur drei Tage nach der Beratung der Legislaturplanung 2019–2023 im Nationalrat, debattierte der Ständerat die Differenzen. Anders als bei regulären Debatten schaltet sich bei der Legislaturplanung die Einigungskonferenz bereits im Falle von Differenzen nach der ersten Beratung ein. Sie hatte sich der 26 Abweichungen angenommen, die durch die Ergänzungen durch den Nationalrat entstanden waren.
Die Mehrheit der Vorschläge des Nationalrats wurden von der Einigungskonferenz zur Übernahme empfohlen oder sprachlich leicht angepasst. Fünf Änderungen der grossen Kammer stiessen hingegen auf Widerstand. Zur Streichung beantragt wurde der Vorschlag des Nationalrats, ausgeglichene und stabile Bundesfinanzen im Legislaturprogramm festzuschreiben. Auch die Stabilisierung der Personalausgaben wollte die Einigungskonferenz nicht als Ziel festhalten. Die Wirtschaftsbeziehungen mit der EU, mit Grossbritannien und den USA sollten zwar gewährleistet, aber nicht vertieft werden. Bei der Bildung- und Forschungspolitik soll laut der Einigungskonferenz die Chancengleichheit nicht als Ziel festgehalten werden. Und auch der flächendeckende Ausbau der 5G-Technologie soll nicht als Legislaturziel formuliert werden.
Der Ständerat folgte mit Ausnahme zweier Anträge allen Empfehlungen der Einigungskonferenz. Insbesondere aus redaktionellen Gründen wollte eine knappe 20 zu 16 Stimmen-Mehrheit zum einen die Ausführungen zu einer Aussenwirtschaftsstrategie streichen. Zum anderen wurde das Ziel einer Botschaft für eine weitere AHV-Reform noch in der laufenden Legislatur als zu ambitiös erachtet. Auch Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga plädierte dafür, hier dem Antrag der Einigungskonferenz nicht zu folgen, da ein mehrheitsfähiger Kompromiss im AHV-Dossier, das grossen Reformbedarf aufweise, Zeit brauche. Die abgelehnten Punkte wurden definitiv aus dem Legislaturprogramm gestrichen und die Behandlung des Geschäfts war für den Ständerat damit abgeschlossen. Es ging freilich noch einmal zurück an den Nationalrat. Man habe die Legislaturplanung also noch verabschieden können, bevor die Legislatur zu Ende sei, schloss Ständeratspräsident Hans Stöckli (sp, BE) die Debatte.

Legislaturplanung 2019-2023 (BRG 19.078)
Dossier: Legislaturplanungsberichte

Aufgrund der Covid-19-Pandemie beugte sich der Nationalrat als Zweitrat erst in der Herbstsession 2020 über die Legislaturplanung 2019–2023. Covid-19 war denn auch Gegenstand der Ausführungen der beiden Kommissionssprecherinnen, Céline Widmer (sp, ZH) und Simone De Montmollin (fdp, GE). Das Virus habe die Bundespolitik «durcheinandergeschüttelt». Die vor der Pandemie Ende Januar 2020 verfasste Legislaturplanung basiere auf «rosigen Zukunftsaussichten», die mitunter wie aus der Zeit gefallen wirkten, betonte etwa Widmer. Der Ständerat habe den Text bereits Corona-tauglicher gemacht, indem er in einer Präambel klargestellt habe, dass die Lehren aus der Pandemie in die Umsetzung der übergeordneten Leitlinien (Wohlstand, Zusammenhalt und Sicherheit; ergänzt mit Klimaschutz und Digitalisierung) einfliessen müssten – eine Aufforderung, die Simonetta Sommaruga in der Eröffnungsdebatte als selbstverständlich entgegennahm. In einer zweitägigen Sitzung habe die nationalrätliche Legislaturplanungskommission (LPK) aus über hundert Anträgen 25 Änderungen vorgenommen, die jene des Ständerats ergänzten und die Legislaturplanung «Corona-tauglich» machten, schloss Céline Widmer ihre Zusammenfassung. In der Detailberatung müsse allerdings auch über 60 Minderheitsanträge debattiert werden, worunter sich auch ein Rückweisungsantrag befand.
Dieser kam aus der Fraktion der Grünen, die den Bundesrat beauftragen wollten, die Legislaturplanung stärker «in den Kontext der Klimanotlage» zu stellen, wie Franziska Ryser (gp, SG) den Rückweisungsantrag begründete. Da allerdings keine der anderen Fraktionen den Antrag unterstützten und dieser entsprechend mit 166 zu 30 Stimmen abgelehnt wurde, konnte die Detailberatung mit über 80 Wortmeldungen und mehr als 50 Abstimmungen beginnen. Die von den Kommissionssprecherinnen angetönten Ergänzungen betrafen zuerst die übergeordneten Leitlinien: Die Leitlinie der Wohlstandsicherung wurde mit den Chancen nachhaltiger Entwicklung sowie dem Ziel ausgeglichener und stabiler Bundesfinanzen angereichert. In der Folge wurden die diversen Ziele der drei Leitlinien in drei Blöcken diskutiert.
Beim Thema Wohlstand (Block 1) soll laut der Mehrheit neu auch festgehalten werden, dass der Bundesrat dem Parlament eine Botschaft über die ausserordentlichen Covid-Ausgaben unterbreitet. Im Rahmen der Personalstrategie wurde der Bundesrat zu einer Stabilisierung der Personalausgaben angehalten. Ebenfalls im Rahmen der Leitlinie der Sicherung des Wohlstands war eine Mehrheit der grossen Kammer dafür, dass der Bundesrat noch in der laufenden Legislatur eine Botschaft für eine Individualbesteuerung vorlegt und eine nationale Strategie zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie verabschiedet. Zudem sollen geeignete aussenwirtschaftliche Massnahmen in ein Aussenwirtschaftsgesetz gegossen und die Vertiefung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen mit der EU, Grossbritannien und den USA explizit im Bericht verankert werden. Das Ziel der Schweiz, in Bildung und Forschung führend zu bleiben, soll mit der Forderung nach Chancengleichheit ergänzt werden. Zudem sollen Anreizstrategien für die Schaffung von Lehrstellen ausgearbeitet, die Schweizer Beteiligung bei Erasmus+ gesichert und eine Strategie zur Initiierung von Forschungsprogrammen verabschiedet werden. Auch der flächendeckende Ausbau von 5G-Technologien wurde von der Mehrheit gemäss Vorschlag der LPK in die Legislaturplanung aufgenommen. Die insgesamt 20 Minderheitsanträge für die Leitlinie «Wohlstandförderung» von linker und rechter Ratsseite fanden hingegen keine Mehrheiten.
Dies war auch bei der zweiten Leitlinie (Förderung des nationalen Zusammenhalts und Stärkung der internationalen Zusammenarbeit; Block 2) mehrheitlich der Fall. Keiner der 17 Minderheitenanträge fand eine Mehrheit – mit einer Ausnahme: Eine Minderheit Humbel (cvp, AG) beantragte erfolgreich, dass der Bundesrat einen Bericht über die langfristigen Folgen der demografischen Entwicklung auf die Generationenbeziehungen ins Legislaturprogramm aufzunehmen hat. Der Begriff «Demografie» komme im Legislaturprogramm bisher überhaupt nicht vor, obwohl der demografische Wandel ein zentraler «Megatrend» sei, begründete Ruth Humbel den erfolgreichen Antrag der Mitte-Links-Minderheit. Auch bei der zweiten Leitlinie wurden alle Anträge der LPK gutgeheissen: Der Bund hat ein Verhandlungsmandat am EU-Kulturprogramm 2021-2027 (CreativeEurope) anzustreben; es sollen ein nationaler Aktionsplan zur Verminderung von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt sowie die Botschaft zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter Einbezug der Kantone verabschiedet werden; eine Vorlage zur Weiterentwicklung und langfristigen Sicherung der AHV soll vernehmlassungsreif gemacht werden; ein Massnahmenplan zur Umsetzung der digitalen Transformation im Gesundheitswesen, Massnahmen zur Sicherstellung einer nachhaltigen Heilmittelversorgung sowie eine Botschaft zur Einführung der digitalen Patientenkarte sollen in der Gesundheitspolitik verabschiedet werden.
Im Block 3, der das Leitziel «Sicherheit und Klimaschutz» umfasste, kamen die Volksvertreterinnen und -vertreter der Bitte der Kommissionssprecherin vollumfänglich nach, nämlich «den Anträgen der Mehrheit zu folgen und die Anträge der Minderheiten abzulehnen»: In der Tat wurden die 16 Minderheitsanträge allesamt abgelehnt und die drei Ergänzungen der LPK-Mehrheit gutgeheissen: Die Förderung der Agrarforschung mit dem Ziel, Klimaveränderungen und der Verknappung natürlicher Ressourcen vorzubeugen, wurde entsprechend neu ebenso als Ziel in die Legislaturplanung 2019-2023 aufgenommen wie der Beitrag der Schweiz zur Erreichung der international vereinbarten Klimaziele, die Erhaltung der Biodiversität und ein zu verabschiedender Bericht für eine «Umfassende Risikoanalyse und -bewertung der Schweiz».
Die vom Ständerat bereits in der Sommersession vorgenommenen Vorschläge wurden von der grossen Kammer alle gutgeheissen.

Legislaturplanung 2019-2023 (BRG 19.078)
Dossier: Legislaturplanungsberichte

Mitte August 2020 legte der Bundesrat seine Botschaft zur Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)» vor. Er empfahl das Begehren – ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag – zur Ablehnung, da das Losverfahren systemfremd sei. Richterinnen oder Richter würden in der Schweiz von der Bevölkerung (verschiedene Kantone) oder vom Parlament (Kantons- und Bundesebene) gewählt. Die demokratische Legitimation würde geschwächt, wenn das Los über die Besetzung von Gerichten entscheiden würde. Dem Anliegen sei aber einiges abzugewinnen, so der Bundesrat. Es sei ein «gewisses Spannungsverhältnis» zwischen dem aktuellen Parteienproporz (Richterinnen und Richter müssen faktisch Parteimitglied sein und ihrer Partei Mandatssteuern abgeben) und der Idee der Unabhängigkeit der Judikative feststellbar. Zudem sei es in der Vergangenheit bei Bestätigungswahlen (vgl. 20.212; 20.204) zu Druckversuchen von Parteien gekommen, die Richterinnen und Richtern mit Nichtwiederwahl gedroht hätten, was sich ebenfalls negativ auf die richterliche Unabhängigkeit auswirken könne. Der Vorschlag einer einmaligen Amtsdauer ohne Wiederwahl, wie er von der Initiative gemacht werde, könne dem entgegenwirken. Zudem würde es das Losverfahren auch Parteilosen ermöglichen, an den Bundesgerichten zu amten. Die Nachteile des Zufallsverfahrens seien aber gravierender als dessen Vorteile. Nicht die besten Kandidierenden, sondern jene, die vom Los begünstigt würden, würden gewählt. Das Los schwäche nicht nur die Stellung von Parlament und Parteien, sondern berge die Gefahr, dass Gerichtsurteilen geringere Akzeptanz entgegengebracht werden könnte. Zudem werde die demokratische Legitimation der Justiz untergraben, auch wenn die Initiative ein Abberufungsverfahren durch das Parlament vorsehe. Verschiedene Punkte lasse die Initiative schliesslich offen. So werde etwa nicht bestimmt, wie das Losverfahren genau abzulaufen habe oder wie eine «ausgewogene Zusammensetzung des Gerichts [...] hinsichtlich Geschlecht, regionaler Herkunft sowie politischer Grundhaltung» gewährleistet würde.
Auf die Bedeutung der ideologischen Ausgewogenheit wies auch ein Kommentar in der NZZ hin: Auch Richterinnen und Richter seien Menschen mit Überzeugungen und Haltungen. Der freiwillige Parteienproporz – aber nicht das Los – garantiere, dass ein «möglichst breites Spektrum dieser Überzeugungen vertreten» sei und «die Weltanschauungen der einzelnen Richterinnen und Richter transparent» seien.
Nicht gänzlich einverstanden mit dem Vorschlag des Bundesrates war in der Folge die RK-NR, die eine parlamentarische Initiative (Pa.Iv. 20.480) einreichte, die sie als Gegenvorschlag zur Justizinitiative verstand: Eine Fachkommission solle in Zukunft die Kandidierenden vorselektieren und zur Wiederwahl vorschlagen, die in diesem Fall automatisch erfolgen würde. Ein ähnliches Verfahren kennt der Kanton Freiburg. Zudem reichte Beat Walti (fdp, ZH) eine parlamentarische Initiative (Pa.Iv. 20.468) ein, mit der er die Mandatssteuern verbieten will, um damit die richterliche Unabhängigkeit zu stärken.

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Weil der Ständerat Mitte Juni 2020 die gleichlautende Motion 19.4391 seiner eigenen RK-SR annahm, galt auch die Motion der RK-NR für die Änderung der Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht als angenommen. Der Bundesrat wird entsprechend eine Gesetzesrevision vorlegen müssen, mit der geregelt wird, dass für nebenamtliche Richterinnen und Richter lediglich für das Bundesstrafgericht ein Verbot berufsmässiger Vertretung Dritter besteht.

Änderung der Unvereinbarkeitsbestimmungen am Bundesstrafgericht (Mo. 19.4377)

Mit Sonja Koch und Beatrice van de Graaf waren im Herbst 2019 zwei nebenamtliche Richterinnen zu ordentlichen Richterinnen am Bundesgericht berufen worden. Diese beiden Nebenämter galt es nun wieder zu besetzen. Die Wahl durch die Vereinigte Bundesversammlung wäre eigentlich für die Frühjahrssession vorgesehen gewesen, wurde aber aufgrund des Covid-19-bedingten Sessionsabbruchs auf die Sommersession verschoben. Die beiden Frauen wurden durch zwei Männer ersetzt. Die GK hatte sich für Christoph Hurni und Christian Kölz entschieden, die aus insgesamt 31 Bewerbungen (davon 8 Frauen) hervorgestochen seien, so die GK in ihrem Bericht. Beide gehörten zudem Parteien an, die am BGer untervertreten sind, nämlich der GLP und der GP. Bei den nebenamtlichen Gerichtsstellen sei die Geschlechterverteilung zudem mit der Wahl der beiden neuen ausgeglichen (9 Frauen und 8 Männer). Bei der Wahl der zwei nebenamtlichen Richter ans Bundesgericht durch die Vereinigte Bundesversammlung entfielen von den 218 eingelangten Wahlzetteln 209 auf Christoph Hurni und 207 auf Christian Kölz.

Wahl von zwei nebenamtlichen Richter.innen