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Mit einer parlamentarischen Initiative forderte die Grüne Fraktion ein qualifiziertes Ständemehr bei Doppelmehr-Abstimmungen. Der Vorstoss wurde am Tag nach der Volksabstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative eingereicht, die unter anderem von den Grünen unterstützt worden war. Sie hatte zwar eine Mehrheit von 50.7 Prozent der Stimmenden erzielt, war jedoch am Ständemehr gescheitert (14.5 ablehnende Stände gegenüber 8.5 annehmenden Ständen). Es handelte sich um die zweite Volksinitiative und die insgesamt zehnte Vorlage seit 1848, bei der das Volksmehr vom Ständemehr ausgehebelt wurde. Genau für solche Situationen, in denen Volks- und Ständemehr auseinanderfallen, forderte die parlamentarische Initiative nun eine Neuregelung: Um eine Verfassungsänderung zu blockieren, die von einer Volksmehrheit befürwortet wird, solle künftig eine Zweidrittelmehrheit der Standesstimmen erforderlich sein, was 15.5 Standesstimmen entspricht.
In der Begründung zum Vorstoss verwiesen die Grünen insbesondere auf die demographische Entwicklung: Weil das Bevölkerungswachstum in den Städten seit Jahrzehnten deutlich stärker sei als auf dem Land, benachteilige das Ständemehr die grossen Kantone heute noch viel stärker als früher. So habe 1848 eine Neinstimme aus Appenzell Innerrhoden bei einem Doppelmehrreferendum noch das 11-fache einer Zürcher Neinstimme gezählt, heute sei es hingegen das 44-fache. Um eine Balance zwischen Föderalismusprinzip (Gleichheit der Gliedstaaten) und Demokratieprinzip («one (wo)man, one vote») zu erreichen, sei deshalb eine Abschwächung des Ständemehrs nötig. In der Vergangenheit waren schon mehrmals Vorstösse mit ähnlicher Stossrichtung eingereicht, aber stets abgelehnt worden.

Qualifiziertes Ständemehr bei Doppelmehr-Abstimmungen (Pa.Iv. 20.484)
Dossier: Vorstösse zur Abschwächung des klassischen Ständemehrs

Nachdem die SPK-NR der von einer parlamentarischen Initiative Wermuth (sp, AG) vorgeschlagenen Einführung eines konstruktiven Referendums noch positiv gegenübergestanden und der Initiative mit 15 zu 10 Stimmen Folge gegeben hatte, lehnte die SPK-SR das Begehren Ende Juni 2020 mit 10 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen deutlich ab. Cédric Wermuth schlug vor, dass 50'000 Bürgerinnen und Bürger oder 8 Kantone mit einem Referendum einen Gegenvorschlag zu einem Bundesbeschluss oder einem Gesetz vorbringen können. Es sei unbefriedigend, lediglich Ja oder Nein sagen zu dürfen, wenn man nur mit Teilen einer Vorlage einverstanden sei. Zudem könne ein Referendum ergriffen werden, ohne Verantwortung für die Folgen eines Neins übernehmen zu müssen. Ein «Volksgegenvorschlag» wie der Aargauer Genosse seine Idee nannte, würde die Komitees hingegen stärker in die Lösungsfindung einbinden.
Die SPK-SR begründete ihre Ablehnung mit der Angst vor einer Schwächung des institutionellen Gefüges. Das Parlament und nicht die Stimmbevölkerung sei in der Pflicht, einen tragfähigen Kompromiss zu schmieden. Zudem würden – da für die Ausformulierung eines konstruktiven Referendums Expertenwissen benötigt werde – nicht die Volksrechte gestärkt, sondern eher die Einflussmöglichkeiten der Verbände verbessert. Schliesslich würde das Abstimmungsprozedere für ein Referendum mit Gegenvorschlag wesentlich komplizierter.

Einführung eines konstruktiven Referendums (Pa. Iv. 18.446)

Die SPK-SR beantragte dem Ständerat, die parlamentarische Initiative Minder (parteilos, SH), die den Grundsatz der Einheit der Materie auch für Bundeserlasse forderte, abzulehnen. Dies, nachdem sie das Begehren zuerst gutgeheissen, nach dem ablehnenden Entscheid ihrer Schwesterkommission aber umgeschwenkt war. Andrea Caroni (fdp, AR) erörterte in der entsprechenden Sommersessions-Debatte 2020 in der kleinen Kammer für seine Kommission diesen Stimmungswandel. In der Bundesverfassung sei explizit vorgesehen, dass der Grundsatz für Verfassungsrevisionen gelte, nicht aber für Bestimmungen des Gesetzgebers. Man habe also bei der Verfassung strenger sein wollen als beim Gesetzgebungsprozess, wo ein gewisser Spielraum bestehen müsse. Die Willensfreiheit sei zudem bei Paketen – also Gesetzesvorlagen mit Verknüpfungen von eigentlich sachfremden Teilen – nicht eingeschränkt. Die Stimmberechtigten könnten sagen, ob sie dieses Paket wollten oder nicht. «Nein» sagen könne zudem auch, wer grundsätzlich gegen Paketlösungen sei. Schliesslich sei das Kriterium der Einheit der Materie «extrem wolkig» und man würde eigentlich immer einen Zusammenhang finden. Man würde Gefahr laufen, dass das Kriterium nicht rechtlich, sondern politisch verwendet würde. Thomas Minder meldete sich anschliessend als Urheber des Vorstosses zu Wort. Es zeige sich, dass nun selbst Juristinnen und Juristen «mehr Freude am politischen Kuhhandel als an einer juristisch sauberen Gesetzgebung haben». Der Bundesrat selber lege kein Gesetz vor, das nicht der Einheit der Materie entspreche. Es sei dem Parlament vorbehalten, eine bundesrätliche Vorlage dann in unterschiedliche Erlasse aufzuteilen, aber diese Ergänzung einer Vorlage mit zahlreichen weiteren Themen sei nicht der Sinn der Sache. Es sei ein «seltsames staatspolitisches Verständnis», wenn Einheit der Materie auf Verfassungsstufe gelten solle, «wenn das Volk legiferiert», nicht aber «wenn wir auf Bundesebene legiferieren» – so Minder. Kompromisse seien auch ohne Pakete möglich, wenn diese gesplittet und Kuhhändel sozusagen sequentiell getätigt würden. Eine 28 zu 11 Stimmen-Mehrheit des Ständerats sah dies jedoch wie dessen Kommission und versenkte den Vorschlag.

Einheit der Materie (Pa. Iv. 18.436)

Weil die SPK-NR der zuvor von ihrer Schwesterkommission gutgeheissenen parlamentarischen Initiative Minder (parteilos, SH) für die Wahrung der Einheit der Materie auch bei Erlassen nicht Folgegeben wollte, musste die SPK-SR entscheiden, ob sie dem Ständerat Antrag für Folgegeben stellen wollte.
Mit 8 zu 3 Stimmen bei 2 Enthaltungen entschied sich die Kommission dagegen und kam damit auf ihren ursprünglichen Entscheid zurück. Man sei zum Schluss gekommen, dass es genügend Spielraum für Kompromisse geben müsse und die Räte die Möglichkeit haben sollten, verschiedene Themen zu verknüpfen, damit ein Konsens gefunden werden könne. Aufgabe des Parlaments sei es, «gesetzgeberische Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu suchen». Ein von der parlamentarischen Initiative vorgeschlagenes gesetzlich geregeltes Verbot sei nicht zielführend, weil es verhindere, dass durch Kombination verschiedener Gegenstände möglichst breite Mehrheiten geschaffen werden können. Wenn die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mit der Verknüpfung sachfremder Themen nicht einverstanden seien, könnten sie dies an der Urne kundtun und eine entsprechende Vorlage ablehnen. Interessant war dabei die Begründung hinsichtlich der ursprünglichen Kritik des Vorstosses, nämlich der Gefahr, dass bei Fehlen einer Einheit der Materie die unverfälschte Stimmabgabe nicht möglich sei. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern seien auch im Alltag damit vertraut, Vorteile und Nachteile gegeneinander abzuwägen, betonte die Kommission. Es sei auch bei solchen verknüpften Vorlagen so, dass sie abgelehnt würden, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten zwar gewisse Vorteile fänden, die Nachteile insgesamt aber überwiegten. Von der Kommission nicht angesprochen wurde jedoch die Frage, weshalb dies bei Gesetzesvorlagen, nicht aber bei Volksinitiativen der Fall sein soll, bei der das Fehlen der Einheit der Materie ja Grund für eine Ungültigerklärung bleibt.

Einheit der Materie (Pa. Iv. 18.436)

Im Nationalrat hatten beide parlamentarischen Initiativen (17.446 und 18.417), welche die Einführung eines Finanzreferendums forderten, keine Chance. Weil beide Vorstösse praktisch identisch waren, fand nur eine Abstimmung statt, bei der sich eine Mehrheit von 115 zu 79 Stimmen bei einer Enthaltung gegen Folge geben aussprach. Zu den Minderheiten-Stimmen aus den Fraktionen der Urheber gesellten sich je drei CVP- und BDP-Stimmen. Neben den Voten der Kommissionssprecher sowie der Urheber der Vorstösse – Adrian Amstutz (svp, BE) für die SVP-Fraktion bzw. Martin Bäumle (glp, ZH) – verlangte niemand das Wort. Die Idee eines Finanzreferendums dürfte damit wieder eine Weile vom Tisch sein.

Finanzreferendum (Pa.Iv. 17.446 und Pa.Iv. 18.417)
Dossier: Einführung eines Finanzreferendums auf nationaler Ebene

Reto Lindegger, directeur de l'Association des communes suisses (ACS), associé au consultant indépendant Andreas Müller, proposent la création d'un droit de référendum communal contre les lois fédérales. Au même titre que les cantons, les communes pourraient convoquer un référendum populaire au niveau national. A l'échelon cantonal, sept cantons (BL, GR, LU, SO, TI, ZH, JU) offrent cette possibilité pour les objets cantonaux. Le référendum serait validé si 200 communes réparties sur 15 cantons le demandent. Ce chiffre équivaut à 10% des communes recensées en Suisse et est en moyenne le pourcentage de communes requis dans les sept cantons. La proposition des auteurs a été portée aux chambres par Stefan Müller-Altermatt (pdc, SO) au moyen d'une initiative parlementaire.
Plusieurs raisons motivent cette requête. Les intérêts des communes ne seraient pas considérés correctement par les instances supérieures. L'autonomie des communes et leur marge de manœuvre seraient de plus en plus menacées, les causes en étant l'augmentation de la complexité de leurs tâches, la judiciarisation et la centralisation des compétences. Ces entités deviennent alors de simples organes d'exécution des décisions prises par la Confédération et les cantons. Avec ce nouveau droit, elles pourraient ainsi renforcer leur position au niveau national.

Droit de référendum communal au niveau national

Der 2015 gross angekündigte Berg zur Änderung bei den Anforderungen an die Gültigkeit von Volksinitiativen gebar Ende August 2017 nicht mal mehr eine Maus. In ihrer Medienmitteilung Ende August 2017 kündigte die SPK-SR an, auch auf die beiden noch verbliebenen Forderungen zu verzichten. Das Angebot einer unverbindlichen formell- und materiellrechtlichen Vorprüfung von Volksbegehren sei zu wenig gewichtig, als dass hier eine Änderung des Gesetzes in Angriff genommen werden müsse. Die Forderung, dass indirekte Gegenentwürfe ins Abstimmungsbüchlein aufgenommen werden sollen (Pa.Iv. 15.478), könne von der Bundeskanzlei, die für die Redaktion der Abstimmungserläuterungen verantwortlich ist, ohne Gesetzesänderung umgesetzt werden. Ein entsprechendes Schreiben sei von der SPK-SR bereits an die Bundeskanzlei geschickt worden.

Gültigkeit von Volksinitiativen (Pa.Iv. 15.477)
Dossier: Ungültigkeitsgründe von Volksinitiativen

Die deutliche Haltung der SPK-NR – sie hatte die parlamentarische Initiative der BDP «Schutz der Volksrechte» mit 19 zu drei Stimmen zur Ablehnung empfohlen – würde eigentlich eine Kurzbehandlung des Vorstosses ohne Diskussion zur Folge haben. Da sich die Kommission allerdings entschied, dass es sich um ein wichtiges staatspolitisches Thema handle, beschloss sie sich zu einer Stellungnahme in der grossen Kammer. Die Sprecherin der Kommission, Barbara Steinemann (svp, ZH) erörterte noch einmal die hauptsächlichen Argumente ihrer Kommission. Darüber hinaus legte sie dar, dass von einer Überbeanspruchung der direktdemokratischen Instrumente nicht die Rede sein könne. Es seien zudem noch nie so viele Initiativen an der Unterschriftenhürde gescheitert wie zwischen 2013 und 2016; dies sei ein Grund mehr, an der bestehenden Zahl an Unterschriften nicht zu rütteln.
Dass die periodisch auftretende Diskussion über eine so genannte «Initiativenflut» und die damit verbundenen Vorstösse für höhere Hürden wohl wieder für ein paar Jahre versiegen wird, zeigte auch das Abstimmungsresultat im Nationalrat. Mit 172 zu acht Stimmen – neben der geschlossenen BDP-Fraktion stimmte nur Matthias Jauslin (fdp, AG) für Folge geben – und drei Enthaltungen wurde die Initiative deutlich versenkt. Auch in der Presse wurde der Entscheid nicht kommentiert.

Schutz der Volksrechte (Pa.Iv. 16.443)

Nachdem ein entsprechendes Postulat Vogler (csp, OW) bekämpft und abgeschrieben und eine Motion Buttet (cvp, VS) abgelehnt worden waren, versuchte es die BDP-Fraktion noch mit einer parlamentarischen Initiative. Der Schutz der Volksrechte sei mittels einer Anpassung der Unterschriftenzahlen für die Einreichung einer Volksinitiative oder eines Referendums sicherzustellen. Die BDP begründete ihre Forderung mit „Stimmen aus der Bevölkerung“, die eine vernünftige Reduktion der Anzahl Abstimmungen forderten. Der „inflationäre Einsatz der Volksrechte“ müsse geschwächt werden. Bei der Einführung der Volksinitiative 1891 hätten die damals 50'000 benötigten Unterschriften rund 8% der Stimmberechtigten entsprochen; heute genüge bei einer erforderlichen Unterschriftenzahl von 100'000 die Signatur von weniger als 2% der Stimmbevölkerung. Anstelle einer fixen Unterschriftenzahl müsse neu eine prozentuale Hürde definiert werden, die zwischen 3 bis 5 Prozent zu liegen kommen soll. Die Initianten verwiesen auf den Kanton Genf, wo ein solcher Automatismus bei 4% eingeführt worden sei.
In ihrem Anfang 2017 veröffentlichten Bericht machte die SPK-NR darauf aufmerksam, dass es heute gar schwieriger sei, Unterschriften zu sammeln als früher. Vor der Einführung der brieflichen Abstimmung hätten Initianten vor Abstimmungslokalen Unterschriften sammeln können. Zudem würden Unterschriftensammlungen Zeit und Geld kosten. Mit der Einführung einer solchen Hürde, die faktisch einer Erhöhung der Unterschriftenzahl gleichkäme, würde man kleine und wenig finanzkräftige Initiativkomitees stark benachteiligen. Zudem sei die Nutzung der Volksinitiative einer gewissen Fluktuation unterworfen; zur Zeit rede niemand mehr von einer Initiativenflut. Mit 19 zu 3 Stimmen empfahl die Kommission, der Initiative keine Folge zu geben.

Schutz der Volksrechte (Pa.Iv. 16.443)

Wohl auch vor dem Hintergrund der deutlich gesunkenen Zahl an lancierten und abstimmungsreifen Volksinitiativen und der damit verbundenen, (auch medial) deutlich geringeren Diskussionslust um die Behandlung von Volksinitiativen, kam die SPK-SR auf einen Teil ihres Beschlusses zurück und verzichtete auf zwei der vier ursprünglich lancierten parlamentarischen Initiativen zum Thema Anforderungen an die Gültigkeit von Volksinitiativen. In ihrer Medienmitteilung verwies die Kommission zudem darauf, dass neben der zeitlichen Distanz auch ihre neue Zusammensetzung Grund für diesen Entscheid sei. Konkret wollte die Kommission mit 9 zu 4 Stimmen auf einen Vorschlag für eine strengere Prüfung der Einheit der Materie (Pa. Iv. 15.475) verzichten. Es sei gar nicht möglich hier präzise Kriterien zu formulieren; der konkrete Anwendungsfall brauche immer eine spezifische Auslegung. Auch die Idee einer Neuregelung der Behandlungsfristen von Initiativen, die Bezug nehmen auf eine vorgehende Initiative, bei welcher die Verfassungsänderung aber noch nicht umgesetzt ist (Pa. Iv. 15.476), wurde mit 8 zu 5 Stimmen fallen gelassen. Eine solche, gegen die Durchsetzungsinitiative der SVP gerichtete Regel sei deshalb nicht umsetzbar, weil die Definition einer so gestalteten Durchsetzungsinitiative sehr schwierig sei. Weiterverfolgen will die SPK-SR damit lediglich noch die Idee einer unverbindlichen Vorprüfung von Volksinitiativen (Pa. Iv. 15.477) sowie den Vorstoss, mit dem indirekte Gegenentwürfe im Abstimmungsbüchlein erläutert werden sollen (Pa. Iv. 15.478).

Gültigkeit von Volksinitiativen (Pa.Iv. 15.477)
Dossier: Ungültigkeitsgründe von Volksinitiativen

An ihrer Sitzung Mitte Oktober 2016 kam die SPK-NR auf ihren ursprünglich gefällten, positiven Entscheid zur Ungültigkeit von Rückwirkungsklauseln zurück. Zwar hatten beide Staatspolitischen Kommissionen der parlamentarischen Initiative Lustenberger (cvp, LU) 2015 noch Folge gegeben, die nationalrätliche Kommission wollte nun aber doch keinen entsprechenden Verfassungsänderungsvorschlag ausarbeiten. Mit 15 zu 8 Stimmen schlug eine Mehrheit der Kommission das Begehren deshalb zur Abschreibung vor. Mit ein Grund für den Meinungsumschwung war der Vorschlag der SPK-SR für Reformen auf Gesetzesebene. Eine Verfassungsänderung mit lediglich diesem einen Vorschlag eines Rückwirkungsverbots sei nicht angebracht. Der Nationalrat folgte der Empfehlung seiner Kommission und schrieb die Initiative in der Wintersession 2016 ab. Die SVP, die neben der SP und der GP geschlossen für den Mehrheitsantrag votierte, begründete den Entscheid damit, dass die direkte Demokratie nicht eingeschränkt werden dürfe. Die SP und die GP wiesen darauf hin, dass das Verbot einer Rückwirkungsklausel mit einfachen sprachlichen Mitteln umgangen werden könne. Eine Initiative könnte anstelle einer Aufhebung eines früheren Beschlusses einfach die Wiederherstellung eines vorherigen Zustands fordern. Als Beispiel führte Cédric Wermuth (sp, AG) den beschlossenen Bau einer Strasse an, der zwar mit einem Rückwirkungsverbot nicht rückgängig gemacht werden dürfte. Eine Initiative könnte freilich fordern, dass in Zukunft auf einem bestimmten Streckenabschnitt keine Autos mehr fahren dürften. Die Formulierung eines allgemein gültigen Rückwirkungsverbots, das im Einzelfall nicht umgangen werden könnte, sei deshalb wahrscheinlich gar nicht möglich.

Ungültigkeit von Rückwirkungsklauseln (Pa.Iv. 14.471)
Dossier: Ungültigkeitsgründe von Volksinitiativen

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates (SPK-NR) sprach sich – anders als ihre Schwesterkommission – gegen eine von Thomas Minder (parteilos, SH) per parlamentarischer Initiative geforderte Neuregelung des Petitionsrechtes aus. Dieses müsse allen Personen als niederschwelliges Recht zustehen und dürfe nicht durch Regelungen – etwa die Forderung des Abfassens in einer Landessprache – erschwert werden. Die Kommission fällte ihren Entscheid Mitte Januar einstimmig. In der Folge zog Minder sein Anliegen zurück.

Verwesentlichung des Petitionsrechts

In ihrer Sitzung Anfang Februar 2016 unterstrich die SPK-NR, dass sie im Bereich der Gültigkeit von Volksinitiativen ebenfalls Handlungsbedarf sehe. Allen vier von ihrer Schwesterkommission eingereichten parlamentarischen Vorstössen wurde deshalb Folge gegeben. Die SPK-SR soll nun also Erlasse erarbeiten, mit denen Kriterien festgelegt werden, die eine strengere Praxis bei der Prüfung der Einheit der Materie erlauben (Pa. Iv. 15.475), mit denen die Behandlungsfristen für Durchsetzungsinitiativen geändert werden (Pa. Iv. 15.476), die eine fakultative Vorprüfung von Initiativtexten ermöglichen (Pa. Iv. 15.477) und die es ermöglichen, dass bei Abstimmungen über Volksinitiativen nicht nur direkte, sondern auch indirekte Gegenentwürfe in den bundesrätlichen Abstimmungserläuterungen publiziert werden (Pa. Iv. 15.478).
Der SPK-NR gingen diese Forderungen allerdings noch zu wenig weit. Die ständerätliche Kommission hatte das heisse Eisen der Frage nach der Ungültigkeit eines Volksbegehrens bei einem Verstoss gegen Grundrechte nämlich nicht angefasst. Hier wollte die Staatspolitische Kommission der grossen Kammer nachbessern. Sie beschloss mit 16 zu 9 Stimmen eine Subkommission einzusetzen und lud die SPK-SR ein, es ihr gleich zu tun, damit die Arbeiten koordiniert werden können. Eine Kommissionsminderheit bezweifelte freilich, dass man für Reformvorschläge eine politische Mehrheit finden werde. Aus formellen Gründen stimmte die SPK-NR zudem der Abschreibung zweier Motionen zum Thema zu, nachdem sie den entsprechenden Antrag des Bundesrates im Juni 2015 noch abgelehnt hatte.

Gültigkeit von Volksinitiativen (Pa.Iv. 15.477)
Dossier: Ungültigkeitsgründe von Volksinitiativen

Anfang Februar 2016 entschied sich die SPK-NR, ihre parlamentarische Initiative für die Verlängerung der Behandlungsfrist für Gegenvorschläge, der von ihrer Schwesterkommission nicht Folge gegeben worden war, abzuschreiben.

Verlängerung der Behandlungsfrist für Gegenvorschläge

Laut Parlamentsgesetz hat die Bundesversammlung nach der Einreichung einer Volksinitiative 30 Monate Zeit, um zu entscheiden, ob sie das Begehren der Stimmbevölkerung zur Annahme oder zur Ablehnung empfiehlt. Wenn einer der beiden Räte einen Gegenentwurf oder einen mit der Initiative verbundenen Erlassentwurf beschliesst, so kann diese Frist um 12 Monate verlängert werden. Ende 2014 hatte die SPK-NR mit einer parlamentarischen Initiative angeregt, diese Frist, im Falle eines Beschlusses für einen Gegenvorschlag, um ein weiteres Jahr verlängern zu können. Bedingung für die Ausdehnung des von der SPK-NR als relativ knapp betrachteten Zeitfensters sollte allerdings sein, dass die Mehrheit der Mitglieder des Initiativkomitees ihr Einverständnis dafür gibt. Die Kommission wollte damit laut eigener Begründung vor allem jenen Initianten Rechnung tragen, die konstruktiv zu einem Gegenvorschlag Hand bieten möchten.
Die ständerätliche Schwesterkommission sah allerdings keinen Handlungsbedarf für eine Verlängerung der Behandlungsfrist für Gegenvorschläge. Erstens genüge die bestehende Frist, wenn der Wille des Parlaments wirklich da sei; zweitens sei es im Interesse der Initianten, dass Initiativbegehren rasch behandelt würden und drittens stiess sich die SPK-SR am Umstand, dass mit Initiativkomitees nicht-parlamentarische Gremien auf die Planung von parlamentarischen Prozessen Einfluss nehmen würden.

Verlängerung der Behandlungsfrist für Gegenvorschläge

Mit einem Bericht über die Anforderungen an die Gültigkeit von Volksinitiativen mischte sich die SPK-SR in die laufende Diskussion zum Thema ein. Die in letzter Zeit sehr hart geführten Diskussionen um die Schwierigkeiten bei der Umsetzung von angenommenen Volksbegehren und der damit verknüpfte Unmut in der Bevölkerung war für die SPK-SR Anlass für eine eingehende Prüfung des Reformbedarfs der Gründe für die Ungültigerklärung von Volksinitiativen. Die Kommission schlug fünf mögliche Präzisierungen vor, von denen sie vier als parlamentarische Initiativen einreichte. Das bestehende Kriterium der "Einheit der Materie" soll erstens präziser formuliert werden (Pa.Iv. 15.475). Zweitens soll die Behandlung einer Initiative, die in die Umsetzung einer bereits angenommenen Initiative eingreifen will, erst nach der Umsetzung der ersten in Angriff genommen werden. Damit wollte die SPK-SR Durchsetzungsinitiativen – als Beispiel genannt sei die von der SVP eingereichte Initiative zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative – die Zähne ziehen (Pa.Iv. 15.476). Drittens sollen Initiativkomitees die Möglichkeit erhalten, ihr Begehren formell- und materiellrechtlich prüfen zu lassen (Pa.Iv. 15.477). Dieser Vorschlag entsprach einer mittlerweile vom Bundesrat zur Abschreibung empfohlenen Motion. Viertens sollen indirekte Gegenentwürfe zu Volksinitiativen zur Information in den Abstimmungserläuterung des Bundesrates publiziert werden (15.478). Fünftens soll ein Begehren dann ungültig sein, wenn es rückwirkende Bestimmungen enthält. Diese Forderung war schon früher von einer parlamentarischen Initiative Lustenberger gefordert worden (Pa.Iv. 14.471), der beide SPK bereits Folge gegeben hatten.

Gültigkeit von Volksinitiativen (Pa.Iv. 15.477)
Dossier: Ungültigkeitsgründe von Volksinitiativen

Der parteilose Schaffhauser Ständerat Thomas Minder war seit seinem Amtsantritt 2011 mit einigen Vorstössen aufgefallen, mit denen – grösstenteils erfolglos – institutionelle Reformen angestossen werden sollten (z.B. das Bundesratswahlverfahren, Regelungen zur Abstimmung über Gegenvorschläge, die Einführung einer Volksmotion oder die Einführung des doppelten Pukelsheim bei Nationalratswahlen). Eine Verwesentlichung des Petitionsrechts war Gegenstand einer neuerlichen Reformidee von Minder, die Ende August bei der Staatspolitischen Kommission des Ständerats (SPK-SR) auf offene Ohren stiess. Ziel des Vorstosses ist eine eigentliche Abstufung: Petitionen, welche an die Bundesbehörden gerichtet sind, sollen in diesem Sinne von jenen, welche an die Bundesversammlung gerichtet sind, unterschieden werden. Erstere sollen neu in einer Landessprache verfasst werden und einen Hauptverantwortlichen mit Schweizer Wohnsitz ausweisen. Bei Letzteren sollen die Anzahl Unterschriften ausgewiesen werden. Unwichtige Anliegen – Minder nennt Petitionen mit weniger als 10'000 Unterschriften – sollen lediglich noch von den Kommissionen, nicht aber von den Ratsplenen zur Kenntnis genommen und beantwortet werden. Die beiden Räte sollen sich also nur noch um jene Petitionen kümmern müssen, bei denen von der Kommission ein Antrag auf Folge geben gestellt wird oder die aufgrund der Unterschriftenzahl eine gewisse Relevanz aufweisen.

Verwesentlichung des Petitionsrechts

Die Diskussion um die Kriterien, die zu einer Ungültigkeitserklärung von Volksinitiativen führen sollen, war in den letzten Jahren virulenter geworden. Nicht nur in den Ratsdebatten bei Beratungen zu Initiativbegehren, sondern auch in der gesellschaftlichen Debatte fanden sich zahlreiche Befürworterinnen und Befürworter eines Ausbaus der Ungültigkeitsgründe. Diese beschränken sich bisher auf die Einheit der Form, die Einheit der Materie und die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechtes. Zu den Befürwortern zählt auch Ruedi Lustenberger (cvp, LU), der mit einer parlamentarischen Initiative eine Ungültigkeit von Rückwirkungsklauseln fordert. In Initiativen gestellte Forderungen, welche rückwirkend gelten, führten zwar zu Rechtsunsicherheit, könnten aber mit der aktuellen Verfassung nicht als Grund für die Ungültigkeit einer Volksinitiative geltend gemacht werden. Diese Problematik zeige sich bspw. aktuell auch im Rahmen der Diskussion um die Erbschaftssteuerinitiative. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates (SPK-NR) sprach sich mit 9 zu 5 Stimmen für Folge geben aus. Nicht weniger als 10 Kommissionsmitglieder enthielten sich dabei der Stimme, da sie einen Bericht der ständerätlichen Schwesterkommission abwarten wollten. Dieser werde eine umfassende Prüfung der Gültigkeitsgründe von Volksinitiativen beinhalten und auf mehreren weiteren Vorstössen zu diesem Thema basieren. Die SPK-SR ihrerseits gab der Initiative Lustenberger Ende August zusammen mit vier weiteren Begehren Folge, mit denen sie Handlungsbedarf im Rahmen der Ungültigkeitsgründe für Volksinitiativen signalisieren wollte.

Ungültigkeit von Rückwirkungsklauseln (Pa.Iv. 14.471)
Dossier: Ungültigkeitsgründe von Volksinitiativen

Ein altes, immer wieder vorgebrachtes Begehren, die Einführung einer Gesetzesinitiative, war Gegenstand einer parlamentarischen Initiative Hiltpold (fdp, GE). Bereits 1987, 2004 und 2009 waren ähnliche Vorstösse eingereicht worden. Der Genfer Nationalrat machte geltend, dass die Volksinitiative als immer beliebteres Instrument nicht geeignet sei für Anliegen, die eine Gesetzesänderung anregen möchten: Detailbestimmungen hätten in der Verfassung nichts zu suchen, das Prozedere von Annahme einer Initiative bis hin zu einer Gesetzesvorlage sei lang und die Umsetzung häufig schwierig. Das könne aber nicht den Initianten angelastet werden, weil sie ja gar keine andere Möglichkeit hätten, als via Verfassungsinitiative Einfluss zu nehmen. Zudem existiere die Gesetzesinitiative auf kantonaler Ebene und werde dort geschätzt und ohne Probleme genutzt. Die SPK-NR lehnte das Begehren ab. Die Umsetzung wäre noch komplizierter als bei der 2009 wieder abgeschafften allgemeinen Volksinitiative. Zudem könnte die Bundesversammlung nicht mehr autonom entscheiden, auf welcher Stufe ein Begehren umgesetzt werden soll. Die Ausarbeitung von Gesetzestexten, die mit übergeordnetem Recht kompatibel sind, und vor allem die Überprüfung dieser Kompatibilität wären zu grosse Anforderungen an die Initiativkomitees und das Parlament. Ein weiteres in der Debatte vorgebrachtes Argument war die Schwächung der Kantone, weil eine Gesetzesinitiative kein Ständemehr bedingen würde. Der Nationalrat gab, seiner Kommission folgend, der Initiative mit 116 zu 61 Stimmen keine Folge. Obwohl das Anliegen von einem FDP-Parlamentarier stammte, wurde es nur von den geschlossenen Fraktionen der SP und der GP, sowie von drei FDP-Abgeordneten unterstützt. Acht Mitglieder der FDP-Fraktion enthielten sich der Stimme.

Einführung einer Gesetzesinitiative
Dossier: Vorstösse für eine Einführung der Gesetzesinitiative

Ende Berichtjahr diskutierte der Nationalrat eine parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion, welche die Einführung eines Finanzreferendums auf nationalstaatlicher Ebene forderte. Neue Ausgaben und Verpflichtungskredite sollten neu ab einem bestimmten Betrag dem fakultativen Referendum unterstellt werden. Einige SVP-Exponenten argumentierten vergeblich, dass das auf Kantonsebene bewährte Instrument nicht nur eine ideale Ergänzung zur Schuldenbremse darstelle, sondern auch der Bevölkerung die Möglichkeit gebe, über wichtige Finanzbegehren mit zu entscheiden. Es wurde gar auf die Gripen-Abstimmung verwiesen, die ja eigentlich nur durch einen Trick zu einem verkappten Finanzreferendum umgewandelt worden sei. Die Kommissionsmehrheit machte die Gefahr von Blockaden, von Übersteuerung der Politik und von Eigenmächtigkeit geltend. Ein Finanzreferendum habe eine bremsende Wirkung und der Entscheid, welche Beschlüsse einem Referendum unterstellt werden können und welche nicht, sei immer auch willkürlich. Da es auf nationaler Ebene keine Instanz gebe, die überprüfen könne, wann die Unterstellung unter ein fakultatives Referendum angebracht sei und wann nicht, hätten sich in einer bereits 2007 im Rahmen einer damals eingereichten parlamentarischen Initiative der Staatspolitischen Kommission durchgeführten Vernehmlassung zum gleichen Anliegen vor allem die Parteien negativ geäussert. Das Plenum gab der Initiative schliesslich mit 115 zu 71 Stimmen keine Folge. Geschlossen für die Idee stimmten die SVP- und die GLP-Fraktion, während sowohl die BDP, aber auch die SP und die GP gegen das Begehren votierten. Die FDP, die 2005 noch für die Einführung eines Finanzreferendums war, stimmte mit Ausnahme zweier Abweichler ebenfalls gegen Folge geben. Die Diskussion um eine Erweiterung des Katalogs an Volksrechten dürfte damit allerdings kein Ende nehmen. Eine im Berichtjahr noch nicht behandelte parlamentarische Initiative Hiltpold (fdp, GE) verlangt nämlich die Einführung der auf Kantonsebene ebenfalls flächendeckend eingesetzten Gesetzesinitiative.

Finanzreferendum - Parlamentarische Initiative der SVP ohne Chance (12.459)
Dossier: Einführung eines Finanzreferendums auf nationaler Ebene

Die vor allem im Rahmen der Umsetzung und Lancierung von Volksinitiativen diskutierte Kontroverse um das Verhältnis zwischen Bundesrecht und Völkerrecht wird 2014 wohl zu einigen weiteren parlamentarischen Debatten führen. Vertreter der SVP reichten im Berichtjahr nämlich nicht weniger als drei parlamentarische Initiativen zum Thema ein. Der Vorstoss von Brand (svp, GR) fordert einen Vorrang der Bundesverfassung über das Völkerrecht, die parlamentarische Initiative Rutz (svp, ZH) will, dass die Angleichung oder Auslegung völkerrechtlicher Verträge und Bestimmungen an das Schweizer Landesrecht dem Referendum unterstellt wird und die parlamentarische Initiative Stamm (svp, AG) fordert, dass völkerrechtliche Verträge vom Bundesrat gekündigt oder neu ausgehandelt werden müssen, wenn diese der (auch aufgrund von angenommenen Initiativen revidierten) Bundesverfassung widerspricht. Die SVP hatte im Rahmen der Präsentation eines Positionspapiers das Völkerrecht als undemokratisches Recht bezeichnet, weil dieses von Organisationen beschlossen werde, die demokratisch nicht legitimiert seien. Die Volkspartei dachte zudem laut über die Lancierung einer Volksinitiative zu diesem Thema nach. Ebenfalls im Berichtjahr noch nicht im Parlament behandelt wurde ein vom Bundesrat Ende 2013 zur Annahme beantragtes Postulat der FDP, mit dem ein Bericht zum Verhältnis von Landesrecht und Völkerrecht, insbesondere im Hinblick auf mögliche Hierarchiestufen, gefordert wird. Schliesslich mischte sich auch das Bundesgericht aktiv in die Debatte ein. Noch im Februar hatten sich die Bundesrichter dafür ausgesprochen, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) Vorrang selbst gegenüber Verfassungsnormen geniesse. Die Richter sprachen sich dabei in einem Urteil insbesondere gegen einen Automatismus in der Ausschaffungsinitiative aus. Die faktische Überordnung von Völkerrecht über Landesrecht durch das oberste Gericht rief bei der SVP geharnischte Reaktionen hervor. Nachdem der EGMR dann aber im September die Schweiz verurteilte, weil diese einen nigerianischen Drogenkurier hatte ausweisen wollen und das Bundesgericht in der Folge zunehmend mit Beschwerden von kriminellen Ausländern konfrontiert wurde, die sich auf diesen Fall beriefen, machten die Lausanner Bundesrichter deutlich, dass sie den Entscheid des EGMR für zweifelhaft hielten.

Verhältnis zwischen Bundesrecht und Völkerrecht

Die SVP-Fraktion wollte mit einer parlamentarischen Initiative eine Änderung des Parlamentsgesetzes erwirken. Artikel 102 Absatz 2 sieht vor, dass das Parlament bei gleichzeitigem Vorliegen einer Volksinitiative und eines Gegenvorschlages nur den Gegenvorschlag zur Annahme empfehlen kann, nicht aber die Initiative. Die SVP wollte dieses Verbot mit der Begründung streichen, dass dadurch die freie Willensäusserung des Parlaments nicht mehr eingeschränkt werde. Mit 118 zu 64 Stimmen gab die grosse Kammer der Initiative allerdings keine Folge. Sie stützte sich dabei auf die Begründung ihrer Staatspolitischen Kommission, das Parlament dürfe Gegenvorschläge nicht aus taktischen Gründen entwerfen, sondern müsse den Gegenentwurf als bessere Lösung präsentieren. Abgelehnt wurde auch eine Motion Minder (parteilos, SH) (12.3963), die ein Verbot der Gleichzeitigkeit von direktem und indirektem Gegenvorschlag sowie ein Verfahren mit einer vorgängigen Eventualfrage (statt dem Stichentscheid) und zwei Abstimmungsfragen (Initiative vs. geltendes Recht bzw. Gegenvorschlag vs. geltendes Recht) vorgesehen hätte.

Abstimmungsempfehlung des Parlaments bei Volksinitiativen mit Gegenvorschlag (10.469)

Der Export einer Schaffhauser Spezialität war das Ziel einer Motion Minder (parteilos, SH) (12.3712). Mit der Volksmotion sollte „das partizipative Vakuum“ zwischen der einflussreichen, aber aufwändigen und teuren Volksinitiative und der vergleichsweise schwachen Petition gefüllt werden. Die Volksmotion, die von einer zu bestimmenden Anzahl Bürgerinnen und Bürgern eingereicht werden soll, würde in den Räten den gleichen Prozess durchlaufen wie eine parlamentarische Motion. Das Instrument war in den letzten rund dreissig Jahren in einigen Kantonen und Gemeinden eingeführt worden. Der Bundesrat lehnte die Motion mit der Begründung ab, dass ein Mehr an Volksrechten diese nicht unbedingt stärken würde, sondern eher schwächen, wovon etwa auch das Scheitern der allgemeinen Volksinitiative zeuge. Der Ständerat lehnte die Motion ab. Ebenfalls eine Erweiterung des Katalogs an Volksrechten strebte eine 2012 noch nicht behandelte parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion an, die die Einführung eines ebenfalls in den Kantonen weit verbreiteten fakultativen Finanzreferendums fordert. Die kantonalen Erfahrungen zeigen, dass die Vetomöglichkeit der Bevölkerung gegen finanzpolitische Vorlagen mit geringeren Ausgaben und Schulden sowie tieferen Steuern einhergeht.

Finanzreferendum - Parlamentarische Initiative der SVP ohne Chance (12.459)
Dossier: Einführung eines Finanzreferendums auf nationaler Ebene

Auf eine Vereinfachung des Abstimmungsverfahrens bei gleichzeitigem Vorliegen von Initiative und Gegenvorschlag zielte eine parlamentarische Initiative Borer (svp, SO). Seine Idee, auf eine Stichfrage zu verzichten und bei doppeltem Ja der Vorlage mit den meisten Stimmen den Vorzug zu geben, fand allerdings nur in seiner eigenen Fraktion Unterstützung. Mit 138 zu 55 Stimmen wurde sie abgelehnt. Die SPK-N hatte darauf hingewiesen, dass nur mit einer Stichfrage alle Präferenzen korrekt abgebildet würden. Wer etwa Initiative und Gegenvorschlag dem Status Quo vorzieht, die Initiative aber präferiert, der müsste den Gegenvorschlag ablehnen, wenn er nicht die Stichfrage hätte, mit der er seiner Präferenzordnung (Initiative vor Gegenvorschlag vor Status Quo) Ausdruck verleihen könne.

Pa.Iv. zur Abschaffung der Stichfrage bei Volksinitiativen mit Gegenvorschlag (11.464)

Die Debatte um die Vereinbarkeit von Volksinitiativen mit internationalen Abkommen sowie dem Völker- und Menschenrecht verstummte auch 2010 nicht. Nicht nur die Minarett-, die Ausschaffungs- und die Verwahrungsinitiative sondern auch die 2010 angekündigte, aber wieder zurückgezogene Initiative zur Wiedereinführung der Todesstrafe waren Anlass für zahlreiche Vorschläge und Vorstösse. Der Bundesrat hatte im März 2010 in einem ersten Bericht (in Erfüllung der Postulate 07.3764 und 08.3765) lediglich Optionen aufgelistet, wie das Verhältnis von Völkerrecht und Volksinitiativen zu klären wäre. Gleichzeitig hatte die Regierung aber einen ausführlichen Zusatzbericht in Auftrag gegeben, der Ende 2010 allerdings noch nicht vorlag. In der Staatspolitischen Kommission des Ständerats wurden nicht nur diese Optionen diskutiert, sondern auch die vom Nationalrat 2009 überwiesene parlamentarische Initiative Vischer (gp, ZH), welche anregt, nicht nur jenen Initiativen die Gültigkeit absprechen zu können, die gegen zwingendes Völkerrecht verstossen, sondern auch jenen, die Grundrechtschutz verletzen. Die SPK-SR bevorzugt allerdings ein Vorprüfungsverfahren und steht der Ausweitung des Katalogs, der die Gründe für eine Ungültigkeitserklärung umfasst, eher skeptisch gegenüber. Bevor sie sich zur Initiative Vischer äussert, will sie aber den Zusatzbericht des Bundesrats abwarten. Auch Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf schaltete sich in die Diskussion ein und schlug vor, völkerrechtlich heikle Initiativen bei der Unterschriftensammlung mit einem Warnhinweis zu versehen. Eine Gruppe aus Menschenrechtsorganisationen und des Club Helvétique beschloss die Lancierung einer Initiative, die Bundesverfassung dahingehend zu ändern, dass Grundrecht verletzende Volksinitiativen für ungültig erklärt werden können. Weiter wurde vorgeschlagen, eine materielle Prüfung von Volksbegehren bereits vor der Unterschriftensammlung vorzunehmen. Die nationalrätliche SPK-NR hatte eine solche Prüfung empfohlen, wobei aber noch umstritten war, wer diese Prüfung vornehmen soll. Zur Diskussion standen richterliche Gremien oder aber das Parlament selbst.

Gültigkeit von Volksinitiativen (Pa.Iv. 07.477)
Dossier: Ungültigkeitsgründe von Volksinitiativen