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Jahresrückblick 2022: Föderativer Aufbau

Die Diskussionen über Krisentauglichkeit und allfälligen Reformbedarf des schweizerischen föderalistischen Systems hielten 2022 wie schon in den Vorjahren an, allerdings in geringerer medialer Intensität: Mit dem Abflauen der Covid-19-Pandemie und der Aufhebung der meisten Massnahmen ging Anfang Jahr auch das Medieninteresse an Fragen des Föderalismus auf das Niveau vor der Pandemie zurück (siehe die Abbildungen in der angehängten APS-Zeitungsanalyse 2022).
Viele Medien, Behörden und Forschende zogen aber Bilanz darüber, ob der Föderalismus bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie eher Fluch oder Segen gewesen sei. Dabei herrschte weitgehend Einigkeit, dass der Föderalismus verschiedentlich einem Schwarzpeter-Spiel Vorschub leistete, bei dem Bund und Kantone sich gegenseitig die Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen zuschoben. Kantonal unterschiedliche Regelungen wurden oft als Flickenteppich wahrgenommen, was möglicherweise der generellen Akzeptanz von Einschränkungen schadete. Andererseits wurden dank dem «föderalen Labor» diverse innovative Lösungen in einem Kanton entwickelt und konnten im Erfolgsfall dann auch anderswo übernommen werden – so etwa die Zürcher Lösung für die Unterstützung von Kulturschaffenden, das Zuger Ampelsystem oder die Bündner Massentests, welche ihrerseits aus dem Wallis inspiriert waren. Weil der Föderalismus zu einer breiteren Abstützung politischer Massnahmen zwingt, hat er gemäss einer verbreiteten Einschätzung die Entscheidungsfindung verlangsamt und tendenziell verwässert, die Akzeptanz in der Gesellschaft dadurch aber vermutlich verbessert. Kritik gab es in den Medien, aber auch aus den Kantonen, an der Rolle der interkantonalen Konferenzen der Kantonsregierungen: Diese seien fälschlicherweise als Sprachrohre der Kantone gegenüber dem Bund und der Öffentlichkeit wahrgenommen worden.

Aufgrund dieser Diskussionen wurden teilweise auch Konsequenzen in Form von institutionellen Anpassungen gefordert. Ein von verschiedenen Seiten vorgebrachtes Anliegen war eine klarere Kompetenzzuteilung und eine bessere Koordination zwischen Bund und Kantonen. Derweil rückte die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) wieder von ihrer Ende 2020 formulierten Forderung nach einem paritätisch zusammengesetzten politisch-strategischen Führungsorgan von Bund und Kantonen ab; sie erachtete nun im Fall einer Krise bloss noch einen gemeinsamen Krisenstab auf operativer Ebene und eine Intensivierung des Dialogs auf strategischer Ebene für nötig. Zudem solle das Epidemiengesetz dem Bund künftig bereits in der besonderen Lage (und nicht erst in der ausserordentlichen Lage) eine «strategische Gesamtführung» und zusätzliche Kompetenzen für landesweite Massnahmen übertragen. Kritikerinnen und Kritiker witterten darin eine neue Schwarzpeter-Strategie: Die KdK wolle Verantwortung an den Bund abschieben. Die KdK selbst argumentierte hingegen, es gehe ihr um die Vermeidung von Flickenteppichen.

Die zwei Seiten der Föderalismusmedaille – einerseits Begünstigung innovativer Lösungen durch das föderale Labor, andererseits Verlangsamung einheitlicher Lösungen und Koordinationsbedarf zwischen Bund und Kantonen – blieben auch in anderen Bereichen ein unerschöpfliches Thema der öffentlichen Diskussion. So wurde etwa diskutiert, ob der Föderalismus bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung(en) in der Schweiz als Motor oder vielmehr als Bremsklotz wirke.
Die Aufgabenteilung und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen war auch bei der Aufnahme der zahlreichen nach der russischen Invasion aus der Ukraine Geflüchteten ein Thema. Aufgrund der erstmaligen Aktivierung des Schutzstatus S waren dabei Fragen zu klären, wie jene nach einem Schlüssel für die Zuteilung der Geflüchteten auf die Kantone oder nach der finanziellen Unterstützung des Bundes für ihre Betreuung in den Kantonen.
In der Diskussion um eine drohende Energieknappheit forderte die Konferenz kantonaler Energiedirektoren (EnDK) nebst der Einberufung eines Krisenstabs auf Bundesebene mehr und frühzeitigere koordinierende Vorgaben vom Bund, worauf dieser vorerst nicht einging. Manche Kommentatorinnen und Kommentatoren fühlten sich an das «Gschtürm» während der Covid-19-Pandemie erinnert: Erneut schöben Bund und Kantone einander gegenseitig die Verantwortung für unpopuläre Massnahmen zu.

Die Debatte um das Verhältnis zwischen Stadt und Land flaute im Vergleich zum Vorjahr deutlich ab – bis sie im Zusammenhang mit den Bundesratsersatzwahlen im Dezember unvermittelt wieder hochkochte: Einige Stimmen in den Medien befürchteten aufgrund der Wohnorte der künftigen Bundesratsmitglieder eine Übervertretung der ländlichen Schweiz, andere sahen auf lange Sicht gerade im Gegenteil die Städte übervertreten, während Agglomerations- und Landgemeinden weniger Bundesratsmitglieder stellten als es ihrem Bevölkerungsanteil entspräche. Dagegen gehalten wurde aber vor allem auch, dass die aktuellen Wohnorte der Bundesratsmitglieder bloss von marginaler Bedeutung für die Vertretung regionaler Interessen in der Schweiz seien.

Derweil tat sich bei zwei Volksabstimmungen ein Röstigraben auf: Sowohl beim knappen Ja zur AHV-21-Reform als auch beim Nein zum Medienpaket wurde die Romandie (und bei der AHV zudem das Tessin) von einer Mehrheit der Deutschschweiz überstimmt. Zwei im Berichtsjahr erschienene Studien zum Röstigraben gaben indessen eher zu Gelassenheit Anlass: Sie zeigten unter anderem, dass sämtliche Kantone – auch jene der Sprachminderheiten – deutlich häufiger auf der Gewinner- als auf der Verlierseite stehen und dass es bisher nicht einmal bei jeder hundertsten Volksabstimmung zu einem «perfekten» Röstigraben gekommen ist, bei dem sämtliche mehrheitlich französischsprachigen Kantone auf der einen und sämtliche Deutschschweizer Kantone auf der anderen Seite standen.

In der schier unendlichen Geschichte um die Kantonszugehörigkeit von Moutier unternahmen Beschwerdeführende 2022 einen Versuch, das Abstimmungsergebnis von 2021 mit einem Rekurs umzustossen. Das bernische Statthalteramt trat auf den Rekurs jedoch nicht ein, sodass es nicht zu einer weiteren Abstimmungswiederholung kommt: Moutier wird also vom Kanton Bern zum Kanton Jura übertreten – und zwar möglichst per 1. Januar 2026. Auf dieses Datum konnten sich die beiden Kantone und der Bund inzwischen einigen. Bis dahin ist noch eine Reihe inhaltlicher Fragen zu lösen, und das Ergebnis muss in Volksabstimmungen in den Kantonen Bern und Jura sowie mit einem Parlamentsbeschluss des Bundes abgesegnet werden.
Nachdem die bisher ebenfalls bernische Gemeinde Clavaleyres diesen Prozess bereits durchlaufen hatte, stellte der Wechsel von Clavaleyres zum Kanton Freiburg am 1. Januar 2022 nur noch eine Vollzugsmeldung dar. Es handelte sich dabei um die erste Grenzverschiebung zwischen zwei Schweizer Kantonen seit 1996, als Vellerat den Kanton Bern zugunsten des Kantons Jura verliess.

Häufiger als Kantonswechsel sind Gemeindefusionen innerhalb desselben Kantons. Der Trend zu weniger und grösseren Gemeinden ging 2022 weiter: Am 1. Januar 2022 betrug die Zahl der Gemeinden in der Schweiz 2'148, das waren 24 weniger als ein Jahr davor. Damit ging die Entwicklung in einem ähnlichen Tempo weiter wie in den Vorjahren.

Jahresrückblick 2022: Föderativer Aufbau
Dossier: Jahresrückblick 2022

Jahresrückblick 2022: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport

Zu Beginn des Jahres 2022 wurde befürchtet, dass die Covid-19-Pandemie auch in diesem Jahr das politische Geschehen der Schweiz dominieren würde: Mitte Januar erreichte die Anzahl laborbestätigter täglicher Neuansteckungen mit 48'000 Fällen bisher kaum denkbare Höhen – im Winter zuvor lagen die maximalen täglichen Neuansteckungen noch bei 10'500 Fällen. Die seit Anfang 2022 dominante Omikron-Variante war somit deutlich ansteckender als frühere Varianten – im Gegenzug erwies sie sich aber auch als weniger gefährlich: Trotz der viermal höheren Fallzahl blieben die Neuhospitalisierungen von Personen mit Covid-19-Infektionen deutlich unter den Vorjahreswerten. In der Folge nahm die Dominanz der Pandemie in der Schweizer Politik und in den Medien fast schlagartig ab, wie auch Abbildung 1 verdeutlicht. Wurde im Januar 2022 noch immer in 15 Prozent aller Zeitungsartikel über Covid-19 gesprochen, waren es im März noch 4 Prozent. Zwar wurde im Laufe des Jahres das Covid-19-Gesetz zum fünften Mal geändert und erneut verlängert, über die Frage der Impfstoff- und der Arzneimittelbeschaffung gestritten und versucht, in verschiedenen Bereichen Lehren aus den letzten zwei Jahren zu ziehen. Jedoch vermochten weder diese Diskussionen, die zwischenzeitlich gestiegenen Fallzahlen sowie ein weltweiter Ausbruch vermehrter Affenpocken-Infektionen das mediale Interesse an der Pandemie erneut nachhaltig zu steigern.

Stattdessen erhielten im Gesundheitsbereich wieder andere Themen vermehrte Aufmerksamkeit, vor allem im Rahmen von Volksabstimmungen und der Umsetzung von Abstimmungsentscheiden.
Einen direkten Erfolg durch ein direktdemokratisches Instrument erzielte das Komitee hinter der Volksinitiative «Kinder ohne Tabak». Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hiessen diese Initiative am 13. Februar mit 56.7 Prozent gut. Das Volksbegehren ziel darauf ab, dass Kinder und Jugendliche nicht länger mit Tabakwerbung in Berührung kommen. Während das Initiativkomitee die Vorlage unter anderem damit begründete, dass durch das Werbeverbot dem Rauchen bei Jugendlichen Einhalt geboten werden könne, führten die Gegnerinnen und Gegner die Wirtschaftsfreiheit an. Zudem befürchtete die Gegnerschaft, dass in Zukunft weitere Produkte wie Fleisch oder Zucker mit einem vergleichbaren Werbeverbot belegt werden könnten. Der Bundesrat gab Ende August einen gemäss Medien sehr strikten Entwurf zur Umsetzung der Initiative in die Vernehmlassung. Während die Stimmbevölkerung Werbung für Tabakprodukte verbieten wollte, bewilligte das BAG ein Gesuch der Stadt Basel zur Durchführung von Cannabisstudien; die Städte Bern, Lausanne, Zürich und Genf lancierten ebenfalls entsprechende Studien. Zudem können Ärztinnen und Ärzte seit dem 1. August medizinischen Cannabis ohne Bewilligung durch das BAG verschreiben.

Teilweise erfolgreich waren im Jahr 2022 aber auch die Initiantinnen und Initianten der Organspende-Initiative. 2021 hatte das Parlament eine Änderung des Transplantationsgesetzes als indirekten Gegenvorschlag gutgeheissen, woraufhin das Initiativkomitee die Initiative bedingt zurückgezogen hatte. Im Januar kam das Referendum gegen die Gesetzesänderung zustande. Mit dem Gesetz beabsichtigten Bundesrat und Parlament die Einführung einer erweiterten Widerspruchslösung, wobei die Angehörigen der verstorbenen Person beim Spendeentscheid miteinbezogen werden müssen. Auch wenn es sich dabei um eine Abschwächung der Initiativforderung handelte, ging die Änderung dem Referendumskomitee zu weit; es äusserte ethische und rechtliche Bedenken. Die Stimmbevölkerung nahm die Gesetzesänderung am 15. Mai allerdings deutlich mit 60.2 Prozent an. Damit gewichtete sie die von den Befürwortenden hervorgehobene Dringlichkeit, die Spenderquote zu erhöhen und etwas gegen die langen Wartezeiten auf ein Spenderorgan zu unternehmen, stärker als die Argumente des Referendumskomitees. In den Wochen vor dem Abstimmungssonntag wurde die Vorlage vermehrt von den Zeitungen aufgegriffen, wie Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse verdeutlicht.

Nach dem deutlichen Ja an der Urne im November 2021 unterbreitete der Bundesrat dem Parlament im Mai 2022 seine Botschaft zur Umsetzung eines ersten Teils der Pflegeinitiative. Dieser entspricht dem indirekten Gegenvorschlag, den die Legislative ursprünglich als Alternative zur Volksinitiative ausgearbeitet hatte. Ohne grosse Änderungen stimmten die beiden Kammern der Gesetzesrevision zu.

Noch immer stark von der Covid-19-Pandemie geprägt waren die Diskussionen zu den Spitälern. Da die Überlastung der Spitäler und insbesondere der Intensivstationen während der Pandemie eine der Hauptsorgen dargestellt hatte, diskutierten die Medien 2022 ausführlich darüber, wie es möglich sei, die Intensivstationen auszubauen. Vier Standesinitiativen forderten zudem vom Bund eine Entschädigung für die Ertragsausfälle der Krankenhäuser während der ersten Pandemiewelle, der Nationalrat gab ihnen indes keine Folge.

Von einer neuen Krise betroffen war die Medikamentenversorgung. Die Versorgungssicherheit wurde als kritisch erachtet, was die Medien auf den Brexit, die Opioidkrise in den USA sowie auf den Ukrainekrieg zurückführten. Der Bundesrat gab in der Folge das Pflichtlager für Opioide frei. Das Parlament hiess überdies verschiedene Motionen für eine Zulassung von Medizinprodukten nach aussereuropäischen Regulierungssystemen gut, um so die Medikamentenversorgung auch mittelfristig sicherzustellen (Mo. 20.3211, Mo. 20.3370). Kein Gehör fand hingegen eine Standesinitiative aus dem Kanton Aargau zur Sicherung der Landesversorgung mit essenziellen Wirkstoffen, Medikamenten und medizinischen Produkten, durch ausreichende Lagerhaltung, Produktion in Europa und durch die Vereinfachung der Registrierung in der Schweiz.

Im Bereich des Sports war das Jahr 2022 durch mehrere Grossanlässe geprägt, die nicht nur in sportlicher, sondern auch in politischer Hinsicht für Gesprächsstoff sorgten. Die Olympischen Winterspiele in Peking Anfang Jahr und die Fussball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar zum Jahresende standen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen an den Austragungsstätten in den Schlagzeilen. Skandale gab es aber nicht nur in der internationalen Sportwelt, sondern auch hierzulande, wo Vorwürfe bezüglich Missständen im Synchronschwimmen erhoben wurden und die 1. Liga-Frauen-Fussballmannschaft des FC Affoltern nach einem Belästigungsskandal praktisch geschlossen den Rücktritt erklärte. Erfreut zeigten sich die Medien hingegen über eine Meldung im Vorfeld der Fussball-Europameisterschaft der Frauen, dass die Erfolgsprämien durch die Credit Suisse und die Gelder für Bilder- und Namensrechte durch den SFV für die Spielerinnen und Spieler der Nationalmannschaft der Frauen und Männer künftig gleich hoch ausfallen sollen. Sinnbildlich für den wachsenden Stellenwert des Frauenfussballs stand ferner eine Erklärung des Nationalrats in der Wintersession 2022, wonach er die Kandidatur zur Austragung der Fussball-Europameisterschaft der Frauen 2025 in der Schweiz unterstütze. Trotz dieser verschiedenen Diskussionen im Sportbereich hielt sich die Berichterstattung dazu verglichen mit derjenigen zu gesundheitspolitischen Themen in Grenzen (vgl. Abbildung 1). Dies trifft auch auf die Medienaufmerksamkeit für die Sozialhilfe zu, die sich über das gesamte Jahr hinweg unverändert auf sehr tiefem Niveau bewegte.

Jahresrückblick 2022: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Dossier: Jahresrückblick 2022

Wie der Nationalrat nutze auch der Ständerat die erste Sitzung der Wintersession 2022 zur Wahl des Ständeratspräsidiums und der Mitglieder des Büro-SR für 2022/2023 und wie im Nationalrat wurde mit Brigitte Häberli-Koller (mitte, TG) auch im Ständerat ein Mitglied der Mitte für das höchste Amt auserkoren. Vor der Wahl der erst fünften Ständeratspräsidentin in der Geschichte der kleinen Kammer ergriff der scheidende Präsident, Thomas Hefti (fdp, GL), das Wort. Es sei gut, dass es in Demokratien befristete Amtszeiten gebe. Resultate von Wahlen nicht anzuerkennen oder ziviler Ungehorsam sei hingegen Gift für einen demokratischen Rechtsstaat. Hefti ging auf die abflauende Pandemie ein, die in der Schweiz auch deshalb glimpflich abgelaufen sei, weil – trotz aller Kritik – den Kantonen und dem Bundesrat vernünftige Lösungen gelungen seien. Es greife zu kurz, den Föderalismus für Fehler, die es natürlich auch gegeben habe, verantwortlich zu machen. Krisen seien «die Stunden der Exekutiven» aber von Diktatur zu sprechen, sei daneben. Auch aus dem Krieg in der Ukraine, einem von Russland angezettelten «Krieg gegen die westliche Welt» müsse die Schweiz Lehren ziehen. Es gelte, die Armee zu verstärken. Bei den Verhandlungen mit der EU – ebenfalls eine aktuelle Herausforderung – würde man vielleicht weiterkommen, wenn der EU verständlich gemacht werden könnte, dass die «sehr weitgehenden Rechte» der Mitbestimmung in der Schweiz nicht nur weltweit einzigartig, sondern auch für die supranationale Organisation nicht schädlich seien.

Nachdem Thomas Hefti mit grossem Applaus bedacht worden war, schritt die kleine Kammer zur Wahl ihrer neuen Präsidentin, die 45 von 46 Stimmen erhielt. Ein Wahlzettel war leer geblieben. Brigitte Häberli-Koller wurde mit starkem Beifall in ihr neues Amt begrüsst. Die Mitte-Politikerin – nach Josi Meier (cvp, LU; 1991), Françoise Saudan (fdp, GE; 2000), Erika Forster-Vannini (fdp, SG; 2009) und Karin Keller-Sutter (fdp, SG) die fünfte Ständeratspräsidentin – war bereits die zwölfte Kantonsvertretung aus dem Thurgau, die das oberste Amt in der kleinen Kammer ausüben durfte. Nur die Kantone Waadt (17), und Bern (15) stellten mehr Ständeratspräsidenten. Der Bund wisse, was er am Thurgau habe, startete die frischgebackene und insgesamt 200ste höchste Amtsträgerin in der kleinen Kammer ihre Antrittsrede mit einem Dank an die anwesende Kantonalregierung. Auch sie ging auf die aktuellen politischen Herausforderungen ein: Krisen und Wandel habe es schon immer gegeben, allerdings gebe es heute viel mehr Widersprüche, die Unsicherheiten und Ängste weckten und im schlimmsten Fall zu extremen Überzeugungen und einer gespaltenen Gesellschaft führten. Es müsse unterschieden werden zwischen berechtigter Meinungsfreiheit und «radikalen Forderungen bestimmter Gruppierungen». Die direkte Demokratie sei aber keine Tyrannei der Mehrheit, sondern biete «das beste und ehrlichste Ventil für die Bürgerinnen und Bürger», die Unzufriedenheit zeigen dürften, Abstimmungsergebnisse aber selbstverständlich akzeptieren würden. «Wir leben in einer direkten Demokratie, wo sich niemand auf der Strasse festkleben muss, wo niemand Gemälde mit Kartoffelstock bewerfen muss und wo man sich auch nirgendwo anketten muss.» Es sei zudem nicht fair, der Politik böswillige Absicht zu unterstellen, wenn sich ein Entscheid im Nachhinein als fehlerhaft herausstelle. Unzufriedenheit und Fehler müsse eine Demokratie aushalten und es sei an den Parlamentsmitgliedern, durch Ehrlichkeit und Transparenz wieder Vertrauen zu schaffen. Es gebe viel zu tun und die anstehenden Herausforderungen seien nur gemeinsam zu meistern, weshalb ihre Präsidentschaft auch unter dem Motto «Gemeinsam - Ensemble - Insieme - Ensemen» stehe

Nach einem musikalischen Intermezzo schritt die kleine Kammer zur Wahl der restlichen Mitglieder des Büros. Zur ersten Vizepräsidentin wurde Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU) gewählt – ebenfalls mit 45 von 46 möglichen Stimmen (ein Zettel blieb auch hier leer); damit wird 2023/2024 erstmals eine Sozialdemokratin dem Ständerat vorstehen – es sei denn, die offizielle Kandidatin für die anstehenden Bundesratswahlen würde in die Landesregierung gewählt oder aber bei den eidgenössischen Wahlen 2023 in ihrem Kanton nicht bestätigt. Gleich zu zwei weiteren Nova führte die Wahl der zweiten Vizepräsidentin: Lisa Mazzone (gp, VD) ergänzte das erstmals reine Frauenpräsidium und wird – auch bei der Genferin eine Wiederwahl bei den Ständeratswahlen 2023 vorausgesetzt – 2024/2025 den Ständerat als erstes Mitglied der Grünen Partei präsidieren. Mazzone erhielt 44 von 46 möglichen Stimmen. Neben einer leeren Stimme entfiel eine auf eine andere Person. Die Ämter des Stimmenzählers und des Ersatzstimmenzählers werden von Männern besetzt. Andrea Caroni (fdp, AR) wurde mit 42 Stimmen gewählt (4 Wahlzettel blieben leer) und auf Stefan Engler (mitte, GR) entfielen 45 Stimmen (ein leerer Wahlzettel). Das Büro-SR wird immer dann mit einem weiteren Mitglied ergänzt, wenn Fraktionen mit mindestens fünf Mitgliedern im Ständerat ansonsten darin nicht vertreten sind. Dies war für das anstehende Amtsjahr der Fall für die SVP-Fraktion, die Werner Salzmann (svp, BE) zur Wahl vorschlug, der mit 43 Stimmen gewählt wurde (3 leere Wahlzettel).

In einem Festakt wurde die neue Ständeratspräsidentin zwei Tage nach ihrer Wahl in Frauenfeld gefeiert. Es sei zwar der bisherige Höhepunkt ihrer politischen Karriere, sie trete aber auch kurz vor dem Pensionsalter im Herbst noch einmal zu den Ständeratswahlen an, weil ihre Partei mit ihr die grössten Chancen sehe, gab die Mitte-Politikerin, die als Gemeinderätin, Grossrätin, von 2003 bis 2011 Nationalrätin und schliesslich ab 2011 Ständerätin die sogenannte «Ochsentour» hinter sich gebracht hatte, in einem Interview mit der Thurgauer Zeitung zu Protokoll.

Wahl Ständeratspräsidium 2022/2023
Dossier: Nationalrat und Ständerat. Wahl des Präsidiums und des Büros

In der Wintersession 2022 beschäftigte sich der Nationalrat mit einer Motion Müller (fdp, LU), welche auf mehr Handlungsspielraum bei der Beschaffung von Medizinprodukten zur Versorgung der Schweizer Bevölkerung abzielte. Während eine Mehrheit der SGK-NR die Annahme des Vorstosses forderte, um Versorgungsengpässen entgegenzuwirken, und sich davon überzeugt zeigte, dass das Zulassungsverfahren in den USA über einen der Schweiz ebenbürtigen Standard verfüge, sprach sich eine Kommissionsminderheit rund um Manuela Weichelt (al, ZG) gegen die Motion aus. Sie führte Bedenken zur Sicherheit der Patientenschaft und die Möglichkeit von Ausnahmebewilligungen ins Feld. Gesundheitsminister Alain Berset teilte die Ansicht bezüglich Patientensicherheit – in den USA gebe es zum Beispiel eine Tendenz zur Deregulierung der Gesetzgebung für Medizinprodukte («une tendance à la dérégulation de la législation sur les dispositifs médicaux») – und erklärte, dass die Versorgung der Schweiz mit Medizinprodukten derzeit gesichert sei. Nichtsdestotrotz folgte die grosse Kammer mit 100 zu 79 Stimmen dem Antrag der Kommissionsmehrheit und nahm die Motion an. Damit bestätigte sie ihren Beschluss, den sie bereits bei der gleichlautenden Motion Rösti (Mo. 20.3370) gefasst hatte.

Für mehr Handlungsspielraum bei der Beschaffung von Medizinprodukten zur Versorgung der Schweizer Bevölkerung (Mo. 20.3211)

Im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine kam es zu Schwierigkeiten in internationalen Lieferketten und in der Verfügbarkeit gewisser Güter und Energieträger. Im Jahr 2022 standen deshalb die wirtschaftliche Versorgungssicherheit sowie die wirtschaftliche Kriegsvorsorge vermehrt im Interesse der medialen Berichterstattung sowie im Fokus einiger parlamentarischer Vorstösse.
Zentral waren dabei die Pflichtlager, wie beispielsweise jenes für Treibstoffe: Während dieses über Jahrzehnte nie angezapft worden war, musste der Bundesrat im vergangenen Jahrzehnt mehrfach Reserven für den Markt freigeben (2010, 2015, 2018 und 2019). Zu den Hauptursachen für die Versorgungsengpässe auf dem freien Markt zählten vor allem der tiefe Rheinpegel in trockenen Sommern – welcher den Import über die Rheinschifffahrt erschwerte –, Streiks im Ausland und Probleme in Raffinerien. Auch im Sommer 2022 musste der Bundesrat das Pflichtlager teilweise freigeben – dazu beigetragen hat auch der Krieg in der Ukraine. Im März 2022 öffnete der Bundesrat zudem das Pflichtlager für Opioide. Dieser Schritt sei aufgrund einer «schweren Mangellage» an Schmerzmitteln auf dem Schweizer Markt notwendig geworden, die durch Kapazitätsprobleme in der Herstellung solcher Medikamente verursacht worden sei, erklärte der Bundesrat dazu. Neben der Freigabe von bestehenden Pflichtlagern wurden auch neue eingeführt: So kam 2022 ein Pflichtlager für Rapssaatgut neu dazu. Bereits 2020 führte der Bundesrat das Pflichtlager für Ethanol – das 2018 aufgelöst worden war – wieder ein (vgl. Mo. 20.3448), da es zu Beginn der Covid-19-Pandemie zu Versorgungsschwierigkeiten mit Ethanol für die Produktion von Desinfektionsmitteln gekommen war. Die Pflichtlager erstreckten sich im Jahr 2022 deshalb über Zucker, Reis, Speiseöle und -fette, Getreide, Kaffee, Futtermittel, Stickstoff-Dünger, Benzin, Dieselöl, Flugpetrol, Heizöl sowie Heizöl extra leicht (für Zweistoffanlagen), Uran-Brennelemente, Rapssaatgut, diverse Arzneimittel und Impfstoffe, Kunststoffe (Polyethylen-Granulate zur Herstellung von Desinfektionsmittelflaschen sowie Zusatzstoffe) und Ethanol. Wie die Aargauer Zeitung im Juni 2022 schrieb, erwiesen sich diese «Überbleibsel aus dem Kalten Krieg» plötzlich wieder als sinnvolle Massnahmen, um aktuellen Herausforderungen zu begegnen.
Auch organisatorisch erkannte der Bundesrat beim Thema der wirtschaftlichen Landesversorgung Handlungsbedarf: Im März 2022 kündigte er an, das dafür zuständige BWL personell aufstocken zu wollen. Insbesondere der Chefposten im Bundesamt soll dabei zu einer Vollzeitstelle ausgebaut werden – bisher war dieser Milizposten mit einem Pensum von 40 Prozent verbunden.
Die Frage der wirtschaftlichen Versorgungssicherheit beschäftigte auch die Mitte-Fraktion, welche bei essenziellen Gütern eine Reduktion der Abhängigkeit vom Ausland verlangte – eine Motion, die der Ständerat im Herbst 2022 als Zweitrat jedoch fallen liess. Im Sommer veröffentlichte der Bundesrat zudem einen Bericht zu einer angenommen Motion Häberli-Koller (mitte, TG; Mo. 20.3268), welche ebendiese wirtschaftlichen Abhängigkeiten bei essenziellen Gütern aufzeigte. Weiter wollte der Nationalrat auch die Situation der Versorgungssicherheit mit Metallen und seltenen Erden geklärt haben und überwies im Herbst 2022 ein entsprechendes Postulat Schneider-Schneiter (mitte, BL; Po. 20.3950) an den Bundesrat.
Des Weiteren trat das Thema der wirtschaftlichen Landesversorgung im Zusammenhang mit der drohenden Energieknappheit im Winter 2022/2023 in den Fokus der öffentlichen Debatte. Nebst den durch den Bund in Auftrag gegebenen Pflichtlagern standen auch die privaten Notvorräte im Fokus. So rief beispielsweise der Regierungsrat des Kantons Zürich im September 2022 die Bevölkerung dazu auf, einen Notvorrat anzulegen, um gegen die Energieknappheit gewappnet zu sein. Der Notvorrat solle dabei aus Wasser und Getränken, Lebensmitteln, Gebrauchsgütern, Hygieneartikeln sowie einer Hausapotheke bestehen. Auch das BLV habe in diesem Zusammenhang seine Informationstätigkeit verstärkt, berichtete die NZZ.
Die Diskussion weitete sich zuletzt auch auf den militärischen Bereich aus: Die vielen Bunkeranlagen in privaten sowie öffentlichen Gebäuden in der Schweiz gewannen im Jahr 2022 aufgrund des Kriegs in der Ukraine und der atomaren Drohungen seitens Russlands plötzlich wieder an medialem Interesse. Als einziger Kanton hat dabei Luzern die Zuteilung der Bevölkerung auf die Bunkeranlagen online veröffentlicht. Die Aargauer Zeitung berichtete zudem darüber, in welchen Kantonen genügend Schutzplätze und in welchen gemessen an der wohnhaften Bevölkerung zu wenig Schutzplätze vorhanden sind. Während etwa der Kanton Graubünden eine Abdeckung von 146 Prozent aufweise, könne der Kanton Genf nur 72 Prozent aller Einwohnerinnen und Einwohnern im Ernstfall einen Schutzplatz anbieten. Gesamtschweizerisch betrachtet bestehe allerdings eine Abdeckung von über 100 Prozent.

Gesellschaftliche Debatte um die wirtschaftliche Versorgungssicherheit im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg und Covid-19
Dossier: Wirtschaftliche Abhängigkeit verringern
Dossier: Covid-19-Krise und Ukrainekrieg: Anpassung der wirtschaftlichen Landesversorgung

In Erfüllung des Postulats «Stopp der Medikamentenverschwendung!» veröffentlichte der Bundesrat Ende November 2022 einen Bericht. Aus diesem ging hervor, dass in der Schweiz keine ganzheitlichen Studien und Statistiken zur Arzneimittelverschwendung und der damit einhergehenden Kosten existierten. Einzig für das Jahr 1996 gebe es eine Hochrechnung. Diese gehe von 6 Prozent der im ambulanten Bereich verkauften Arzneimittelpackungen aus, welche in die Apotheke zurückgebracht und von dieser entsorgt worden seien. Insgesamt entspreche dies einem Verkaufswert von circa CHF 200 Mio. für das Jahr 1996. Eine andere – ebenfalls ungefähr zwanzig Jahre zurückliegende – Schätzung vermute Arzneimittelabfällen in einem Wert von etwa CHF 500 Mio. pro Jahr. Arzneimittelverschwendung lasse sich gemäss Bericht grob in die beiden Problemfelder der Überversorgung und der fehlenden Therapietreue einteilen. Während sich ersteres Problemfeld aus unnötigen Verschreibungen und einer in zu grossen Mengen erfolgten Abgabe zusammensetze, sei letzteres auf eine ungenügende Regelmässigkeit bei der Einnahme der verschriebenen Medikamenten zurückzuführen. Arzneimittelverschwendung müsse als multifaktorielles Problem verstanden werden, weshalb an mehreren Stellen Massnahmen ergriffen werden sollten. Analog zur Einteilung in die beiden Problemfelder lägen die beiden Hauptansätze zur Verschwendungsreduktion in der Förderung der Therapietreue und in der Überversorgungsverminderung. Neben dem Bund und den Kantonen hätten in den vergangenen Jahren auch private Akteurinnen und Akteure Vorkehrungen getroffen, mit welchen der Umgang mit Arzneimitteln effizienter gelinge und dadurch der Verschwendung Einhalt geboten werden könne. Der eingeschlagene Kurs soll gemäss Bundesrat fortgesetzt werden. Dabei soll insbesondere auf die Verbesserung der Gesundheitsversorgung im Allgemeinen abgezielt werden, weil dadurch auch die Arzneimittelverschwendung vermindert würde.

Nach der Publikation des Berichts erachtete die Landesregierung das Anliegen des Postulats als erfüllt und beantragte im Rahmen des Berichts über die Motionen und Postulate aus dem Jahr 2022 dessen Abschreibung. Der Nationalrat kam dieser Forderung in der Sommersession 2023 nach.

Medikamentenverschwendung

In Erfüllung der Motion Tornare (sp, GE) publizierte der Bundesrat Anfang November 2022 den Bericht «Einzelverkauf von Medikamenten: Wagen wir den Versuch!». Aus einer zwischen 2019 und 2021 im Kanton Neuenburg durchgeführten Machbarkeitsstudie gehe hervor, dass ein solcher grundsätzlich realisierbar und potenziell mit einem Nutzen für die Patientenschaft und die Gesellschaft verbunden sei. Dazu gehörten beispielsweise eine verbesserte Therapieadhärenz – sprich das bessere Befolgen einer medizinischen Behandlung gemäss Anweisungen – und die Reduktion von Antibiotikaresistenzen. Gleichzeitig komme die Studie jedoch auch zum Schluss, dass der Einzelverkauf mit aufwändigen Prozessen und Herausforderungen für Apotheken und Arztpraxen einhergehe. In der Studie wurde weiter erwähnt, dass ausgewählte Stakeholder mit den Studienergebnissen grösstenteils einverstanden waren. Insgesamt – so wird aus dem Bericht ersichtlich – sei eine Durchführung grundsätzlich möglich, es gebe aber noch rechtliche und praktische Fragen zu klären, bevor an eine schweizweite Einführung gedacht werden könne. In der Sommersession 2023 wurde das Geschäft von den eidgenössischen Räten im Zusammenhang mit der Beratung des Berichts über die Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahre 2022 abgeschrieben.

Einzelverkauf von Medikamenten. Wagen wir den Versuch!

Die NZZ setzte sich im Herbst 2022 in zwei grossen Beiträgen mit der Frage auseinander, ob der Föderalismus als Motor oder vielmehr als Bremsklotz für die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung der Schweiz wirke. Das Fazit war gemischt: Einerseits seien für die Digitalisierung einheitliche oder jedenfalls miteinander kompatible («interoperable») Standards entscheidend, von Softwarelösungen bis zur Datenverwaltung. Die föderalistische Zersplitterung der Verwaltung erschwere eine solche Einheitlichkeit, weil viele Gemeinden und Kantone «an eigenen E-Government-Lösungen werkeln». Zudem sei in den vielen kleinen Verwaltungen nur begrenztes Know-how vorhanden. All dies verkompliziere, verteuere und verzögere die flächendeckende Einführung neuer Lösungen und Standards, so beispielsweise beim Vorhaben eines Elektronischen Patientendossiers. Auch aufgrund des Föderalismus sei die Zahl von Akteurinnen und Akteuren, die in der Schweizer Politik mitmischen, gross und dies mache politische Prozesse langsamer als etwa in zentralistischen Staaten. Der Preis, den die Schweiz für diese Langsamkeit zahlt, habe sich mit der Digitalisierung womöglich erhöht, weil dadurch neue Möglichkeiten lange ungenutzt blieben und Abläufe verteuert würden.
Andererseits könne der Föderalismus Innovation und Agilität aber auch fördern: Die «positive Kehrseite des Flickenteppichs» sei, dass Kantone und Gemeinden mit neuen Lösungen experimentieren können. Dieses föderale Labor sorge dafür, dass sich der Schaden in Grenzen hält, wenn ein Vorhaben an einem Ort scheitert; bewährt es sich hingegen, kann es andernorts nachgeahmt werden. Der Open-Government-Data-Zuständige des Kantons Zürich wies zudem darauf hin, dass Zentralisierung zu Schwerfälligkeit und Überlastung führen könne, wenn etwa eine einzige landesweite Stelle dafür zuständig wäre, Daten zu erheben, zu bereinigen, zu veröffentlichen und dann auch noch alle Fragen dazu zu beantworten. So sei es dem Kanton Zürich in der Covid-19-Pandemie gerade deshalb vor dem Bund gelungen, eine Lösung für die Vergleichbarmachung und Veröffentlichung landesweiter, tagesaktueller Statistiken aufzubauen, weil er im Gegensatz zum Bund nicht für alles zuständig war und sich auf dieses Vorhaben fokussieren konnte, in dem er ein öffentliches Bedürfnis erkannt hatte. Der Föderalismus sei also gerade wegen der Dezentralität der Verwaltung eine grosse Chance für die Digitalisierung und eine Verschiebung von Kompetenzen zum Bund nicht angezeigt.
Entscheidend für die Nutzung dieses Potenzials des Föderalismus bei der Digitalisierung sei indessen eine verstärkte Koordination zwischen und innerhalb der drei Staatsebenen, um die Interoperabilität zu gewährleisten. Beide NZZ-Beiträge konstatierten, bisher sei diese Vernetzung in der Schweiz zu kurz gekommen; Hoffnung gäben jedoch die 2022 neugegründete, staatsebenenübergreifende Organisation «Digitale Verwaltung Schweiz» und das im Parlament hängige Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (Embag), welche eine bessere Koordination und die Einigung auf gemeinsame Standards begünstigen sollen, ohne die Autonomie von Kantonen und Gemeinden zu verletzen.

Föderalismus als Treiber oder Bremsklotz für die Digitalisierung

In der Herbstsession 2022 bereinigte das Parlament das Paket 1b des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Offen war zu Beginn der Session noch immer die Frage eines «Monitorings der Entwicklung der Mengen, Volumen und Kosten» sowie von Korrekturmassnahmen bei nicht erklärbaren Entwicklungen. Eine solche Regelung hatten beide Räte anfänglich abgelehnt, nach Annahme eines entsprechenden Rückkommensantrags durch die beiden Kommissionen hatte sie jedoch der Nationalrat wieder in das Massnahmenpaket aufgenommen. Die Mehrheit der SGK-SR zeigte sich zur Einführung eines Monitorings bereit, wollte aber keine subsidiäre Interventionsmöglichkeit von Bund oder Kantonen bezüglich Korrekturmassnahmen, falls sich die Tarifpartner nicht einigen können. Die Kommissionsmehrheit wolle, «dass die Tarifpartner wirklich alleine verantwortlich sind», betonte Kommissionssprecher Ettlin (mitte, OW). Darüber hinaus schlug die Kommission auf Anraten der Verwaltung verschiedene redaktionelle Änderungen sowie verschiedene Anpassung einzelner Details vor, «deren Auswirkungen nicht so dramatisch sind», wie der Kommissionssprecher betonte. Eine Minderheit Hegglin (mitte, ZG) beantragte jedoch mit Verweis auf die steigenden Krankenkassenprämien, nicht nur ein Monitoring einzuführen, sondern auch verbindliche Korrekturmassnahmen festlegen zu lassen – durch den Bundesrat oder die Kantonsregierungen, falls sich die Tarifpartner nicht einigen können. Dies verstärke die Wirkung der Massnahme. Mit 25 zu 19 Stimmen (bei 1 Enthaltung) folgte der Ständerat jedoch der Kommissionsmehrheit und verzichtete auf die subsidiären Interventionsmöglichkeiten.
Stillschweigend bereinigte der Ständerat die zweite offene Frage bezüglich Vereinfachungen für den Parallelimport von Arzneimitteln. Hier lenkte die kleine Kammer ein und folgte der nationalrätlichen Muss-Formulierung: Swissmedic muss demnach zukünftig solche Vereinfachungen bei Parallelimporten vornehmen.

Mit einer letzten Differenz gelangte das Massnahmenpaket 1b somit zurück in den Nationalrat. Hier hatte die Kommissionsmehrheit beantragt, dem Ständerat zu folgen und auf die subsidiären Interventionsmöglichkeiten zu verzichten. Für die Kommissionsmehrheit erläuterten Ruth Humbel (mitte, AG) und Philippe Nantermod (fdp, VS), dass die Bestimmung auch ohne Interventionsmöglichkeiten ihre Wirkung nicht verfehlen würden, weil die Genehmigungsbehörden – also Bundesrat und Kantonsregierungen – aufgrund der neuen Regelung Tarifverträge ohne Korrekturmassnahmen gar nicht mehr genehmigen dürften. Somit sei der entsprechende Passus nicht mehr nötig. Eine Minderheit Lohr (mitte, TG) beantragte hingegen, an der Regelung festzuhalten, um die Tarifpartnerschaft zu stärken und Bund und Kantonen die Möglichkeit zu geben, dort einzugreifen, wo die Kosten entstehen. Mit 138 zu 43 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) folgte der Nationalrat seiner Kommissionsmehrheit und bereinigte damit die Vorlage. Der Minderheit gefolgt waren die geschlossen stimmende Mitte-Fraktion sowie eine Minderheit der SP-Fraktion.

In den Schlussabstimmungen sprachen sich National- und Ständerat ohne Gegenstimmen (193 zu 0 respektive 40 zu 0 Stimmen bei 5 Enthaltungen) für Annahme des Massnahmenpakets 1b aus.

Erstes Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen (BRG 19.046)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

Die Motion der SGK-NR, mit der sie Gebühren und Auflagen für Forschung und klinische Versuche mit nichtkommerziellen Medizinprodukten anpassen wollte, kam in der Herbstsession 2022 in den Ständerat. Gemäss Kommissionssprecher Erich Ettlin (mitte, OW) unterstütze die Kommission den Vorstoss, allerdings sei es ihr ein Anliegen, dass die Sicherheit der Probandinnen und Probanden gewahrt werde. Unterstützung soll insbesondere für Projekte angeboten werden, die noch nicht von anderen Förderinstrumenten profitierten. In der Folge wurde der Vorstoss stillschweigend angenommen.

Nicht-kommerzielle klinische Forschung fördern (Mo. 21.4346)

Der Nationalrat folgte in der Herbstsession 2022 seiner vorberatenden SGK, indem er einer Standesinitiative des Kantons Aargau zur Sicherung der Landesversorgung mit essenziellen Wirkstoffen, Medikamenten und medizinischen Produkten mit 108 zu 63 Stimmen (bei 1 Enthaltung) keine Folge gab. Die Kommissionssprecher Marcel Dobler (fdp, SG) und Benjamin Roduit (mitte, VS) hatten zuvor für die Kommissionsmehrheit ausgeführt, dass das aargauische Anliegen zwar berechtigt sei, dass die Forderungen indes bereits anderweitig aufgenommen worden seien – etwa im Bericht «Versorgungsengpässe mit Humanarzneimitteln in der Schweiz: Situationsanalyse und zu prüfende Verbesserungsmassnahmen» und in der Revision des EpG. Eine Minderheit rund um Yvonne Feri (sp, AG) argumentierte vergeblich, dass es nun gelte, «den Druck hochzuhalten und zu vermeiden, dass wir künftig in einen Engpass kommen, insbesondere wenn sich wiederum eine gesundheitliche Pandemie breitmachen würde». Die Initiative ist damit erledigt.

Sicherung der Landesversorgung mit essenziellen Wirkstoffen, Medikamenten und medizinischen Produkten (Kt.Iv. 21.303)
Dossier: Wirtschaftliche Abhängigkeit verringern

Weil sowohl der Motionär, Martin Candinas (mitte, GR) als auch der zuständige Bundesrat Ueli Maurer auf ein Votum verzichteten, bat Nationalratspräsidentin Irène Kälin (gp, AG) die Ratsmitglieder ohne Diskussion um eine Entscheidung darüber, ob der Bund beim Anbieten von dezentralen Arbeitsplätzen – also über alle Kantone und auch ländliche Regionen verteilte Arbeitsplätze – ein Vorbild sein solle oder nicht. Sie erinnerte freilich daran, dass die Regierung die Ablehnung der Motion beantragt hatte. Mit 118 zu 68 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) entschied sich die Mehrheit der grossen Kammer für Annahme der Motion, die damit an den Ständerat weitergereicht wurde. Für das Anliegen sprachen sich die geschlossen stimmenden Fraktionen von SP, Grünen und Mitte sowie Minderheiten der FDP und der SVP aus. Einzig die GLP votierte geschlossen gegen das Anliegen.

Vorbild beim Anbieten von dezentralen Arbeitsplätzen (Mo. 20.4727)
Dossier: Flexible Arbeitsformen in der Bundesverwaltung – Diskussionen seit der Covid-19-Krise

Nicht wie geplant in der Sommersession, sondern erst in der Herbstsession 2022 befasste sich der Ständerat mit den beiden Motionen (Mo. 21.3689; Mo. 21.3690), die eine Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit forderten. Als «Evergreen» bezeichnete Daniel Fässler (mitte, AI) die Frage, ob es eine Überprüfung der Verfassungsmässigkeit von Bundesgesetzen brauche. In der Tat gab es schon einige entsprechende, allerdings stets erfolglose Vorstösse. Eine nur durch präsidialen Stichentscheid zustande gekommene Mehrheit der SPK-SR wollte einen neuen Anlauf versuchen und Kommissionssprecher Stefan Engler (mitte, GR) brachte entsprechend fünf Pro-Argumente vor: Erstens müsse die Bundesverfassung über den Gesetzen stehen, damit Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern effektiv geschützt würden. Zweitens sei die Autonomie der Kantone besser geschützt, wenn sich die Gliedstaaten bei einem Verfassungsgericht etwa gegen verfassungswidrige Zentralisierungsbestrebungen wehren könnten. Drittens würde das Ständemehr in seiner Rolle gewahrt, wenn kein Gesetz zur Anwendung komme, das nicht auf einer von Volk und Ständen angenommene Verfassungsgrundlage beruhe. Viertens seien die Grundrechte nicht nur durch die EMRK, sondern auch durch die nationale Verfassung effektiv geschützt – ein Schutz, der bei Gesetzesänderungen eingeklagt werden können muss. Fünftens ergäbe sich eine präventive Wirkung, weil sich das Parlament bei der Umsetzung von angenommenen Initiativen nicht mehr zu weit von der Verfassungsidee entfernen könne, wenn es eine Rüge von einer verfassungsgerichtlichen Instanz befürchten müsse. Um der starken Kommissionsminderheit gerecht zu werden, führte Engler auch fünf Argumente gegen die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit an: Es gebe erstens keinen Handlungsbedarf, weil der historische Verfassungsgeber eine schwache Stellung der Judikative bewusst gewollt habe. Ein Verfassungsgericht drohe zum Gesetzgeber zu werden, wenn nicht mehr die Stimmbevölkerung das letzte Wort habe, ob sie ein Gesetz gutheissen wolle oder nicht. Drittens sei eine «Verpolitisierung» der Judikative zu befürchten. Das Parlament sei viertens besser geeignet, die letztlich stets politische Einschätzung vorzunehmen, ob ein Gesetz der Verfassung widerspreche oder nicht. Das Parlament würde sich also mit der Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit fünftens seiner eigenen Kompetenzen berauben.
In der darauffolgenden Debatte wurden zwar keine wirklich neuen Argumente mehr vorgebracht, einige langjährige Kantonsvertreter gaben aber zu Protokoll, weshalb sie ihre Meinung seit der letzten Diskussion vor rund elf Jahren geändert bzw. nicht geändert hatten. Andrea Caroni (fdp, AR) etwa – als Nationalrat selbst einst Urheber einer entsprechenden Motion – befürwortete nach wie vor eine bessere «Abfolge des Dialogs zwischen den Gewalten». Mathias Zopfi (gp, GL) sorgte für Heiterkeit, indem er die Verteidigung der Verfassungsgerichtsbarkeit eines jungen Rechtswissenschafters zitierte, der heute gegen die Motion kämpfe. «Wer hat nun recht: Fässler der Jüngere oder Fässler der Ältere?» Auch Carlo Sommaruga (sp, GE) erklärte, dass er seine Meinung innerhalb eines Jahrzehnts geändert habe. Er sei zum Schluss gekommen, dass das aktuelle System nicht nur sehr gut, sondern mit Blick auf die Vereinigten Staaten auch besser ohne Verfassungsgerichtsbarkeit funktioniere. Schliesslich wies auch Justizministerin Karin Keller-Sutter darauf hin, dass sie dieselbe Diskussion bereits 2012 «mitverfolgen durfte, allerdings in einer anderen Rolle». Sie erinnerte daran, dass die kleine Kammer das bestehende System bisher stets als gut austariert betrachtet habe. Auch der Bundesrat sei der Meinung, dass das stark gewichtete direktdemokratische Element einer Ausweitung der Verfassungsgerichtsbarkeit vorzuziehen sei, die zudem einen fundamentalen Eingriff in das politische System der Schweiz bedeuten würde. Die Kantone hätten zudem bereits heute zahlreiche Möglichkeiten, sich zu wehren. Wie schon 2012 sei der Bundesrat der Meinung, dass ein Nein kein Nein zum Rechtsstaat, sondern ein Ja zur heute gut funktionierenden Gewaltenteilung sei. Mit 29 zu 15 Stimmen (1 Enthaltung) folgte der Ständerat seiner Kommissionsminderheit und der Empfehlung des Bundesrats und lehnte die beiden Motionen ab.

Ein neuer Anlauf zur Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit (Mo. 21.3689 und Mo. 21.3690)
Dossier: Verfassungsgerichtsbarkeit

Mit Annahme eines Postulats der SGK-NR hatte der Nationalrat einen Bericht über die Praxis zur Vergütung von Medikamenten für krebskranke Kinder durch die Krankenkassen gefordert. Ziel war es, «Ungleichbehandlungen zu vermeiden», die dadurch entstehen könnten, dass einige Krankenkassen bei der Kostenübernahme kulanter sind als andere. Die Studie von BSS Volkswirtschaftliche Beratung Basel konzentrierte sich insbesondere auf die Vergütung von Arzneimitteln im Einzelfall gemäss KVV, wobei die Bewilligungsquote gemäss Krankenkassen und Kinderonkologinnen und -onkologen fast bei 100 Prozent liege. In den seltenen Fällen, in denen die Finanzierung nicht übernommen werde, hätten andere Finanzierungsmöglichkeiten, etwa über Stiftungen, gefunden werden können. Bei «verhältnismässig tiefen Kosten» hätten teilweise jedoch auch die Familien die Finanzierung übernommen. Folglich bestehe diesbezüglich kein Handlungsbedarf, schloss der Bericht.

Gemäss Le Temps reagierten verschiedene Pädiatrie-Verbände mit Unverständnis auf diesen Bericht. Einerseits kritisierte etwa Pierluigi Brazzola, Leiter der Abteilung für Hämatologie und Onkologie des Spitals Bellinzona, der an der Studie teilgenommen hatte, dass die Resultate im Bericht nicht mit seinen Aussagen übereinstimmten, da sie zu stark vereinfacht und verallgemeinert worden seien. Allgemein seien die Aussagen der pädiatrischen Onkologinnen und Onkologen von der Studienautorenschaft vereinfacht worden. Andererseits wurden auch die Schlussfolgerungen des Berichts kritisiert, insbesondere die Angabe, dass die Kosten in fast 100 Prozent der Fälle von den Krankenkassen übernommen würden. «Diese Aussage steht in klarem Widerspruch zu dem, was Kinderonkologen und betroffene Eltern im Alltag erleben», erklärte der Verein «Kinderkrebs Schweiz» in einer Medienmitteilung. Allgemein hätten die betroffenen Familien regelmässig Probleme aufgrund der hohen Therapiekosten, zumal sich die Krankenversicherungen häufig viel Zeit liessen mit der Entscheidung, ob sie die Kosten für die Medikamente, welche mangels Forschung häufig nur für Erwachsene, nicht aber für Kinder zugelassen seien, übernehmen. Das BAG setzte in der Folge ein Treffen mit dem Verein «Kinderkrebs Schweiz» an. Dabei habe man auf die «Schwächen des Berichts» hingewiesen, gab Kinderkrebs Schweiz in der Folge bekannt. Zudem habe man erfahren, dass die fast hundertprozentige Übernahmequote der Behandlungskosten aufgrund von nur acht Rückmeldungen zustande gekommen sei.

Vergütung von Medikamenten für krebskranke Kinder (Po. 18.4098)

Der zweite Bericht der Bundeskanzlei zur «Auswertung des Krisenmanagements der Bundesverwaltung in der Covid-19-Pandemie», der am 22. Juni 2022 vorgelegt wurde, beleuchtete die zweite Phase der Covid-19-Krise von August 2020 bis Oktober 2021. Die Evaluation habe sich auf die Zusammenarbeit mit den Kantonen, mit der Wissenschaft und mit anderen Ländern konzentriert, so der Bericht. Wie schon für den ersten Bericht waren erneut verschiedene Akteurinnen und Akteure online befragt und interviewt worden. Darüber hinaus wurden ein Bericht über einen internationalen Vergleich wissenschaftlicher Politikberatung und bereits bestehende Evaluationen beigezogen, sowie Themenworkshops zu spezifischen Fragen durchgeführt. Aus diesen verschiedenen Grundlagen gehe insgesamt hervor, dass das Krisenmanagement zu Beginn der zweiten untersuchten Phase, also im Herbst und Winter 2020 von den Befragten wesentlich kritischer beurteilt wurde als in den nachfolgenden Zeitabschnitten (Frühling bis Herbst 2021). Die verschiedenen Erkenntnisse wurden im Bericht in neun Handlungsfelder unterteilt, in denen Handlungsbedarf bestehe, dem mit insgesamt 13 Empfehlungen nachgegangen werden soll.
Handlungsfeld 1 betraf die Krisenorganisation der Bundesverwaltung selber. In einer «komplexen Krise» brauche es mehr interdepartementale Zusammenarbeit, um eine ganzheitliche Übersicht behalten zu können, so der Bericht. Es seien entsprechende Gefässe zu schaffen und auf strategischer Ebene zu bestimmen, wer welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten übernehmen soll. Auf operativer Ebene soll geregelt werden, wie das Krisenmanagement zwischen Departementen organisiert und koordiniert werden soll. Der Bericht forderte, dass das VBS und die BK federführend entsprechende Vorschläge ausarbeiten.
Handlungsfeld 2 fasste die Probleme bei der Koordination zwischen Bund und subnationalen Behörden zusammen. Eine verbesserte Koordination brauche es laut Bericht insbesondere beim Wechsel von der ausserordentlichen Lage – hier ist der Bund für das Krisenmanagement verantwortlich – zur besonderen Lage – hier stehen die Kantone stärker in der Verantwortung. Auch in der ausserordentlichen Lage muss der Bund die Kantone freilich vor dem Beschluss einer (Not-)Verordnung anhören. Im Gegensatz zu den medialen Diskussionen, in denen die «Krisentauglichkeit des Föderalismus» in Frage gestellt worden seien, würden die Befragungsdaten des Berichts eher darauf hindeuten, dass der Föderalismus die Prozesse zwar verlangsamt habe, «aber am Ende zu besseren und adäquateren Lösungen» geführt habe. Trotzdem müssten die Kantone künftig besser ins Krisenmanagement einbezogen werden, indem etwa auch der Informationsfluss zwischen den föderalen Ebenen verbessert werde. Der Bericht empfahl, weitere Massnahmen in diesem Handlungsfeld auch auf der Basis des Berichts der KdK zur Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen während der Krise auszuarbeiten.
In Handlungsfeld 3 wurde die Zusammenarbeit der Bundesverwaltung mit der Wissenschaft problematisiert. Insgesamt habe die Pandemie die Bedeutung des Einbezugs wissenschaftlicher Expertise deutlich aufgezeigt. Diese müsse künftig besser und systematischer organisiert werden. Ständige wissenschaftliche Beiräte, die in anderen Ländern etabliert seien, seien in der Schweiz eher selten. Auch die Covid-Task-Force, sei auf Initiative der Wissenschaft Ende März 2020 lediglich als Ad-hoc-Beratungsgruppe gegründet worden. Wissenschaftliche Beratung sei aber nicht nur durch diese «Science Task Force» angeboten worden, sondern auch mittels bereits bestehender Strukturen (z.B. in Form von ausserparlamentarischen Kommissionen, wie etwa der Eidgenössischen Kommission für Impffragen). In seiner Empfehlung wies der Bericht zudem auf ein Postulat von Matthias Michel (fdp, ZG; Po. 20.3280) hin, das einen Massnahmenkatalog zum besseren und präventiven Einbezug der Wissenschaft in Krisensituationen fordert.
Die Zusammenarbeit zwischen Bundesverwaltung und Parlament während der Krise war Gegenstand von Handlungsfeld 4. Die Befragten seien in der übergrossen Mehrheit der Meinung, dass diese Zusammenarbeit gut funktioniert habe. Problematisch sei aber die Arbeitsbelastung gewesen. Für das Parlament sei diese deshalb hoch gewesen, weil zwischen den Sessionen keine dringlichen Bundesgesetze verabschiedet werden konnten und deshalb während der Sessionen mit diesen zusätzlichen Traktanden noch mehr Geschäfte zu behandeln gewesen seien als normal. Die Verwaltung wiederum musste eine sehr hohe Zahl an Vorstössen (insbesondere Fragen und Interpellationen) beantworten, «in denen oft dieselben oder sehr ähnliche Fragen gestellt wurden». Aber auch die verlangte höhere Präsenz bei Kommissionssitzungen habe das aufgrund der Krise bereits stark geforderte Bundespersonal zusätzlich belastet. Es müsse deshalb dafür gesorgt werden, dass Parlamentsmitglieder informiert würden, ohne dass diese mit Vorstössen operieren müssten.
Handlungsfeld 5 beschrieb die internationale Zusammenarbeit der Bundesverwaltung. Diese sei grundsätzlich als positiv empfunden worden, fasste der Bericht zusammen. Das Krisenmanagement habe stark von internationalen Austausch- und Informationsplattformen profitiert. Die Schweiz müsse trotz schwieriger Beziehung mit der EU darauf achten, weiterhin Zugang zu diesen Informationsgrundlagen zu erhalten. Empfohlen wurde hier eine Bestandsaufnahme von internationalen Informationsplattformen, die für ein effektives Krisenmanagement als notwendig erachtet würden.
In Handlungsfeld 6 wurden die personellen Ressourcen für das interne Krisenmanagement diskutiert. Die entsprechenden rechtlichen Grundlagen (Epidemiengesetz, Influenza-Pandemieplan Schweiz, Verordnung des Bundesstabes Bevölkerungsschutz, Weisungen über die Sicherheitspolitische Führung des Bundesrates, Weisungen über das Krisenmanagement in der Bundesverwaltung) müssten revidiert werden und das «Wissensmanagement», das die Erinnerung an die Lehren aus der Krise wach halten könne, müsse gestärkt werden. Zudem müssten Konsultationen der verschiedenen involvierten Akteure mit Hilfe von Digitalisierung vereinfacht werden, damit sie dem Tempo einer Krise gerecht würden.
Handlungsfeld 7 war Personalfragen im Sinne der zusätzlichen Belastung während der Krise gewidmet. Diese Belastung sei sehr ungleich verteilt gewesen. Bei den federführenden Departementen und im BAG habe der Arbeitsaufwand während der Krise «markant zugenommen», während in anderen Ämtern aufgrund der Schutzmassnahmen die Arbeit eher geruht habe. Als problematisch wurde beurteilt, dass keine rasche Personalaufstockung für die stark belasteten Amtsstellen möglich gewesen war. In Zukunft müsse die «Durchhaltefähigkeit der Bundesverwaltung» durch einen temporären Austausch von Personalressourcen zwischen verschiedenen Ämtern geregelt und verbessert werden.
In Handlungsfeld 8 wurde das Datenmanagement untersucht. Die unterschiedlichen IT-Systeme und Datenformate in den Kantonen und auf Bundesebene seien eine Herausforderung gewesen, urteilte der Bericht. Gefordert wurde entsprechend eine Standardisierung des Datenaustausches auf nationaler Ebene. Die geplante Revision des Epidemiengesetzes solle «zur Verwendung einheitlicher, international anerkannter Standards für den digitalen Informationsaustausch zu übertragbaren Krankheiten» verpflichten, so die entsprechende Empfehlung.
Handlungsfeld 9 schliesslich widmete sich der Kommunikation während der Krise. Mehr als zwei Drittel der Befragten waren der Meinung, die Kommunikation mit den Medien und der Bevölkerung habe gut funktioniert. Allerdings seien behördliche Informationen zu wenig über soziale Medien verbreitet worden und hätten die fremdsprachige Bevölkerung zu wenig gut erreicht. Dies müsse verbessert werden, so die darauf aufbauende Empfehlung.
Der Bericht kam zudem zum Schuss, dass es auf strategischer Ebene Grundlagen für eine bessere Antizipation von Krisen brauche. Dies könne durch einen systematischeren Einbezug von Fachpersonen aus Wissenschaft und Verwaltung verbessert werden. Auch die internationale Zusammenarbeit würde helfen, frühzeitig vor Krisen zu warnen und Szenarien für Krisenentwicklungen zu erarbeiten, mit denen man sich adäquater vorbereiten könne.

Der Bundesrat nahm Kenntnis vom Bericht und leitete die Empfehlungen laut einer Medienmitteilung an die Departemente und die BK zur Planung deren Umsetzung weiter.

Bericht der Bundeskanzlei zum Krisenmanagement in der Exekutive

Den beiden Räten gelang es in der Sommersession 2022, die Totalrevision des Bundesgesetzes über Beiträge für die kantonale französischsprachige Schule in Bern unter Dach und Fach zu bringen.
Im Ständerat, der die Vorlage als Zweitrat behandelte, erläuterte Benedikt Würth (mitte, SG) die Vorlage und gab bekannt, dass das Ziel der Revision darin bestehe, das Bundesgesetz über Beiträge für die kantonale französischsprachige Schule in Bern in «Übereinstimmung mit den heutigen bundes- und insbesondere subventionsrechtlichen Vorschriften» zu bringen. Im Namen der WBK-SR, die die Revision mit 10 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung unterstütze, bat er um Zustimmung zum Geschäft.
Andrea Gmür-Schönenberger (mitte, LU) unterstützte die Revision aus kulturpolitischen Gründen ebenfalls, gab aber zu bedenken, dass man sich die grundsätzliche Frage stellen sollte, weshalb der Bund denn diese Schule und somit den Kanton Bern subventioniere. Hans Stöckli (sp, BE) entgegnete, dass diese Subvention durch den Bund durchaus ihre Berechtigung habe, da der Kanton Bern ja nicht verpflichtet sei, eine solche Schule zu führen. Zudem werde mit dieser Schule auch Artikel 70 der Bundesverfassung umgesetzt, welcher vorsehe, «die Zweisprachigkeit vom Bund her zu leben». Bildungsminister Parmelin erklärte schliesslich, dass sich der Bund mit dieser Teilfinanzierung als mehrsprachiger Arbeitgeber positionieren und allen voran für frankophone Mitarbeitende und ihre Familien attraktiv sein wolle. In der Folge wurde der Entwurf einstimmig angenommen. Drei Personen aus dem bürgerlichen Lager enthielten sich jedoch der Stimme.
In den Schlussabstimmungen wurde das Gesetz in der grossen Kammer mit 155 zu 37 Stimmen bei 5 Enthaltungen klar angenommen. Die ablehnenden Stimmen stammten aus den Reihen der SVP-Fraktion; die Enthaltungen von der SVP- und der GLP-Fraktion. Die kleine Kammer hiess den Entwurf wiederum einstimmig gut – bei zwei Enthaltungen aus den Reihen der Mitte-Fraktion.

Bundesgesetz über Beiträge für die kantonale französischsprachige Schule in Bern. Totalrevision

Le Bernois Werner Salzmann (udc, BE) a déposé une motion pour demander un changement dans le programme SRPA. Actuellement, les agriculteur.trice.s sont soumis.es à une législation qui régule le nombre de sorties au pâturage entre mai et octobre de manière homogène entre toutes les régions de Suisse. Cependant, en fonction de la situation géographique de l'exploitation (haute ou basse altitude), les saisons ne commencent ni ne finissent exactement en même temps et influencent ainsi à partir de quand et jusqu'à quand les bêtes peuvent paître. La réglementation actuelle prévoit la possibilité pour l'agriculteur.trice de faire une demande particulière afin d'adapter les mesures se rapportant aux particularités de son exploitation. Cependant, ces formalités engendrent une charge administrative importante, ce que la motion cherche à limiter. C'est pourquoi, la motion demande que le paysan.ne puisse définir lui-même/ elle-même la période d'accès au pâturage en se basant sur les périodes de végétation, c'est-à dire sur l'évolution de la nature et de la météo. L'initiateur argumente que la mise au pré correspond à la meilleure solution économique pour les agriculteur.trice.s et, de ce fait, ceux-ci/celles-ci agiront en harmonie avec le changement des saisons pour faire sortir leurs bêtes.
Le Conseil fédéral a conseillé le rejet de cette motion. Dans son argumentation, il évoque l'ancienne législation SRPA, en vigueur jusqu'en 2007, qui reposait sur un calendrier des périodes de végétation et avait engendré des complications dues en partie au fédéralisme. En effet, les cantons avaient interprété l'expression «périodes de végétation» différemment, engendrant des incertitudes juridiques et un traitement inégalitaire entre les agriculteur.trice.s. De plus, le Conseil fédéral avance que le texte déposé, au lieu de simplifier les démarches, les rendrait encore plus complexes qu'actuellement. En outre, la motion réduirait le bien-être de l'animal en raison d'un nombre de jours de sorties entre mai et octobre plus faible qu'actuellement.
Le Conseil des États a rejeté la motion par 21 voix contre 19 et 4 abstentions.

Programme SRPA. Adapter la période de pâturage (Mo. 22.3227)

Wer ist verantwortlich für die Aufsicht über Projekte, an denen mehrere Staatsebenen oder kantonale bzw. nationale Unternehmen beteiligt sind? Diese Frage stelle sich nicht nur bei Bauvorhaben – zur Diskussion stand im Rahmen des Postulats von Jürg Grossen (glp, BE) die Problematik im Steinbruch Blausee-Mitholz –, sondern bei zahlreichen Staatstätigkeiten, führte Bundeskanzler Walter Thurnherr die bundesrätliche Stellungnahme zum Vorstoss aus. So sei die Frage nach Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten hinsichtlich Aufsicht und Kontrolle auch relevant bei der Organisation von Grossveranstaltungen oder bei komplexen, alle staatlichen Ebenen betreffenden Gesetzgebungs- oder Beschaffungsprojekten. Da es aber unterschiedliche nationale und kantonale gesetzliche Grundlagen gebe und die Kantone über Organisationsautonomie verfügten, sei die Frage nach Zuständigkeiten jeweils nur fallspezifisch zu beantworten. Auch «Blausee-Mitholz», wo die GPK des Kantons Bern festgestellt habe, dass es sich um eine Kantonsangelegenheit handle, könne nicht Anlass für einen Bericht zu einer allgemeinen Regelung sein, wie er vom Postulat gefordert werde, schloss Thurnherr. Jürg Grossen, der vor der Klarstellung durch den Bundeskanzler im Fall «Blausee-Mitholz» vor einem möglichen Schwarzpeterspiel gewarnt hatte, das bei einer eindeutigen Regelung von Zuständigkeiten eben nicht nötig wäre, zeigte sich von der exekutiven Stellungnahme überzeugt und zog sein Postulat entsprechend noch während der Debatte in der Sommersession 2022 zurück.

Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten bei der Aufsicht durch die Bundesverwaltung (Po. 20.4628)

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Zusammenfassung
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Fünfte Änderung des Covid-19-Gesetzes (BRG 22.046)

Bei der fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes standen Bundesrat und Parlament vor der Frage, welche Covid-19-Regelungen nach der Rückkehr in die normale Lage gemäss Epidemiengesetz über das Jahr 2022 hinaus verlängert werden sollen. Sie entschieden, das Covid-19-Gesetz sowie einzelne Regelungen daraus noch bis Juni 2024 aufrechtzuerhalten – etwa die «Kompetenzen zur Förderung der Entwicklung von Covid-19-Arzneimitteln» oder die Regelungen zur SwissCovid-App sowie zu den Covid-19-Zertifikaten. Letztere sollten weiterhin ausgestellt werden können, insbesondere um Reisen ins Ausland zu ermöglichen oder zu erleichtern.
Umstritten war, ob und wie lange die staatliche Finanzierung der Covid-19-Tests weitergeführt und ob diese Aufgabe den Kantonen übertragen werden soll. Das Parlament entschied sich nach einigen Diskussionen, die staatliche Teststrategie bereits auf Ende 2022 auslaufen zu lassen – anschliessend würden erneut Krankenversicherungen und Private für die Kosten von Covid-19-Tests aufkommen müssen. Das Parlament erklärte auch diese Änderung des Covid-19-Gesetzes für dringlich, sodass sie noch im Dezember 2022 in Kraft trat. Corona-Massnahmengegnerinnen und -gegner kündigten in der Folge an, das Referendum gegen die Änderung ergreifen zu wollen. Dieses kam im April 2023 zustande, so dass im Juni 2023 bereits zum dritten Mal über das Covid-19-Gesetz abgestimmt wurde. Dabei nahm die Schweizer Stimmbevölkerung auch die fünfte Änderung des Covid-19-Gesetzes mit über 60 Prozent Ja-Stimmenanteil an.

Chronologie
Botschaft des Bundesrates
Erste Beratung im Nationalrat
Erste Beratung im Ständerat
Differenzbereinigungsverfahren
Referendum zustande gekommen

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Résumé
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Cinquième modification de la loi Covid-19 (MCF 22.046)
(Traduction: Chloé Magnin)

Lors de la cinquième modification de la loi Covid-19, le Conseil fédéral et le Parlement se sont demandé quelles mesures devraient être prolongées après 2022, une fois la situation revenue à la normale selon la loi sur les épidémies (LEp). En fin de compte, ils ont décidé de maintenir jusqu'en juin 2024 la loi Covid-19 ainsi que des mesures individuelles – comme les «compétences pour la promotion du développement de médicaments contre le Covid-19» ou les règlements concernant l'application SwissCovid et les certificats Covid-19. Ces derniers devraient encore pouvoir être délivrés, en particulier pour permettre ou faciliter les voyages à l'étranger.
En particulier, la poursuite du financement des tests Covid-19 par l'Etat a été débattu, les élu.e.s se demandant notamment si cette tâche ne pouvait pas être confiée aux cantons. Le Parlement a décidé, après quelques discussions, que la stratégie étatique de tests serait abolie à la fin 2022 déjà. Par la suite, les coûts engendrés par les tests Covid-19 devront être pris en charge par les caisses-maladie et les privés. Le Parlement a déclaré la modification de la loi Covid-19 comme urgente, afin qu'elle entre en vigueur en décembre 2022. Les opposant.e.s aux mesures corona ont ensuite usé d'un référendum contre cette modification. Ce dernier a abouti en avril 2023, de sorte qu'en juin 2023 se tiendra pour la troisième fois une votation sur la loi Covid-19. Lors de cette dernière, la population suisse a accepté la cinquième modification de la Loi Covid-19 à plus de 60 pour cent de oui.

Chronologie
Message du Conseil fédéral
Premières délibérations au Conseil national
Premières délibérations au Conseil des Etats
Procédure d'élimination des divergences
Aboutissement du référendum
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Fünfte Revision des Covid-19-Gesetzes (Verlängerung und Änderung ausgewählter Bestimmungen; BRG 22.046)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

Mittels einer im Juni 2020 eingereichten Motion wollte Regine Sauter (fdp, ZH) die Schaffung der notwendigen gesetzlichen Grundlagen zur Einführung von E-Rezepten und deren digitalen Übermittlung erreichen. Die Ärzteschaft sollte dazu verpflichtet werden, die Ausstellung und Übertragung der Heilmittelrezepte elektronisch abzuwickeln, da dadurch Medienbrüche verhindert werden könnten. Gemäss Sauter geht das elektronische Rezept mit einigen Vorteilen einher: So könnten etwa Rezeptfälschungen verhindert oder das Risiko von Fehlmedikationen und die entsprechenden Folgekosten durch eine bessere Lesbarkeit von elektronischen Rezepten verringert werden. Weil nicht alle Personen über die gleichen digitalen Kompetenzen verfügten, gelte es aber zudem, «eine angemessene Alternative zum digitalen Rezept in Papierform» auszuarbeiten. In seiner Stellungnahme von Anfang September 2020 empfahl der Bundesrat den Vorstoss zur Ablehnung, zumal die Rechtsgrundlagen für die Umsetzung des E-Rezepts in der Arzneimittelverordnung schon existierten. Zudem werde durch die Einführung des EPD ab Ende 2020 eine nahtlose Interaktion zwischen Patientenschaft und Akteurinnen und Akteuren des Gesundheitswesens – auch im Bereich der Rezepte – ermöglicht.
Die Motion kam in der Sommersession 2022 in den Nationalrat. Nachdem Sauter ihr Anliegen vorgestellt hatte, erklärte Gesundheitsminister Alain Berset, dass der Bundesrat die Entwicklung von E-Rezepten zwar unterstütze, aber in Übereinstimmung mit einer Motion der SGK-NR (Mo. 19.3955) von einem Zwang absehen wolle. Die grosse Kammer nahm die Motion jedoch mit 155 zu 29 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) deutlich an. Sämtliche Gegenstimmen und Enthaltungen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion.

Einführung eines E-Rezepts (Mo. 20.3770)
Dossier: Digitalisierung im Gesundheitswesen
Dossier: Digitalisierung im Arzneimittelbereich

Als Zweitrat behandelte der Ständerat in der Sommersession 2022 die Motion zur Harmonisierung und Ökologisierung der Bemessung der Motorfahrzeugbesteuerung, eingereicht von Stefan Müller-Altermatt (mitte, SO). Die zuständige KVF-SR empfahl ihrem Rat oppositionslos, die Motion abzulehnen. Dies mit der Begründung, dass die Zuständigkeit für die Erhebung der Motorfahrzeugsteuern bei den Kantonen bleiben solle, damit die Steuergesetzgebung den unterschiedlichen kantonalen Bedürfnissen gerecht werde. Entgegen dem Nationalrat lehnte der Ständerat die Motion in der Folge stillschweigend ab, womit sie erledigt war.

Harmonisierung und Ökologisierung der Bemessung der Motorfahrzeugbesteuerung (Mo. 19.3513)

«Für mehr Handlungsspielraum bei der Beschaffung von Medizinprodukten zur Versorgung der Schweizer Bevölkerung» lautete der Titel einer Motion Müller (fdp, LU). Konkret wollte der Luzerner Ständerat den Bundesrat zu einer Anpassung der Gesetzgebung auffordern, um die Zulassung von Medizinprodukten in der Schweiz zu ermöglichen, auch wenn diese von aussereuropäischen Regulierungssystemen stammten. Nachdem die Motion im September 2020 der SGK-SR zur Vorberatung zugewiesen worden war, nahm sich der Ständerat Ende Mai 2022 erneut dem Geschäft an. Die Kommission beantragte das Geschäft mit 7 zu 0 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) zur Annahme, erläuterte Müller. In der Schweiz würden heute nur Medizinprodukte zugelassen, die über eine CE-Kennzeichnung verfügten, sich also mit der EU-Regulierung deckten. Durch die Umsetzung der neuen EU-Verordnung über Medizinprodukte seien für Unternehmen in diesem Gebiet «eine überbordende Bürokratie und grosse Unsicherheiten» entstanden, weshalb viele von ihnen ihre Produktionssortimente für den Markt auf dem europäischen Kontinent zurückfahren würden. Dies wiederum gehe mit Versorgungsengpässen einher. Nicht nur deshalb, sondern auch aufgrund ihres Fortschritts bezüglich Digitalisierung wendeten sich viele Unternehmen für die Erstzulassung an die Food and Drug Administration (FDA) der USA. Im Sinne der Versorgung der Schweizer Patientenschaft wäre es folglich zentral, die Medizinprodukte, die durch die FDA zugelassen werden, ebenfalls zu akzeptieren. Dabei stehe die Sicherheit der Patientinnen und Patienten jedoch stets an erster Stelle. Gesundheitsminister Berset zeigte sich mit diesen Ausführungen nicht einverstanden. Ein guter Zugang zu Medizinprodukten sei wichtig, dieser sei allerdings aus Sicht des Bundesrates nicht gefährdet. Es gelte, eine Balance zwischen dem Zugang und der Patientensicherheit zu finden. Letztere hänge von der Kenntnis der aussereuropäischen Normensysteme und dem Zugang sowie dem Austausch von Informationen ab. Beides sei mit aussereuropäischen Staaten zurzeit nicht gegeben. Der Bundesrat beantrage daher die Ablehnung der Motion. Das Stöckli liess sich davon jedoch nicht überzeugen und nahm den Vorstoss mit 23 zu 12 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) an.

Für mehr Handlungsspielraum bei der Beschaffung von Medizinprodukten zur Versorgung der Schweizer Bevölkerung (Mo. 20.3211)

Anfang Mai 2020 forderte Albert Rösti (svp, BE) mittels Motion die Zulassung von Medizinprodukten nach aussereuropäischen Regulierungssystemen. In der Ratsdebatte anlässlich der Sondersession 2022 betonte der Motionär die Abhängigkeit der Schweiz vom Ausland bezüglich der sicheren Versorgung von Medizinprodukten. Die Schweiz sei beim Medizinproduktekauf gegenwärtig bereits gänzlich auf die europäische Zertifizierungsstelle und deren Funktionieren angewiesen; nun habe sich die sichere Versorgung durch die neue Medizinprodukteverordnung der EU noch verschärft. Denn gemäss Rösti hat diese den Ruf, «rückwärtsgerichtet, zu stark regulierend und wenig innovationsfördernd» zu sein. Um die nachhaltige Versorgung zu sichern, bedürfe es daher der Anerkennung weiterer Zertifizierungsstellen, namentlich die U.S. Food and Drug Administration (FDA), die der europäischen Zertifizierungsstelle ebenbürtig sei. Weiter verwies der Berner SVP-Nationalrat auf die identische Motion Müller (fdp, LU; Mo. 20.3211), welche von der Mehrheit der SGK-SR befürwortet worden sei. Gesundheitsminister Alain Berset lehnte das Geschäft im Namen des Bundesrates ab. Durch die gleichzeitige Einreichung der Motion in den beiden Kammern würde den parlamentarischen Kommissionen die Möglichkeit genommen, sich mit Fragen im Zusammenhang mit der Patientensicherheit zu beschäftigen und Fachleute anzuhören. Nichtsdestotrotz sprach sich in der Folge der Nationalrat mit 109 zu 77 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) für die Motion aus, wobei die Ja-Stimmen (bis auf eine Ausnahme aus der GLP) und die beiden Enthaltungen aus dem bürgerlichen Lager stammten, während die Fraktionen der SP, GLP und Grünen den Vorstoss ablehnten.

Zulassung von Medizinprodukten nach aussereuropäischen Regulierungssystemen (Mo. 20.3370)

Anfang Mai 2022 gaben die Verbände FMH und pharmaSuisse bekannt, gemeinsam ein elektronisches Rezept schaffen zu wollen. Dieses soll der Patient oder die Patientin am Ende einer Sprechstunde entweder digital oder als ausgedruckten QR-Code erhalten. Den Code könne die Patientenschaft wiederum auf dem Smartphone speichern, selbst ausdrucken oder an eine Apotheke senden. Das Rezept komme ohne zentrale Speicherung medizinischer Daten aus. Durch das Einscannen des Codes in der Apotheke erfolge das Lesen des Rezepts und die Übernahme der Angabe in die Apothekensoftware. Mittels Signatur sei es den Apotheken zudem möglich, Gültigkeitsüberprüfungen, Validierungen und (Teil-)Entwertungen am Rezept vorzunehmen. Die beiden Verbände versprachen sich von der Einführung des E-Rezepts, Fehlerquellen ausmerzen, Prozesse optimieren und allfälligen Missbräuchen entgegenwirken zu können.

E-Rezept
Dossier: Digitalisierung im Gesundheitswesen

Der Bundesrat legte im Mai 2022 seine Botschaft zur Gewährleistung von fünf geänderten Kantonsverfassungen vor. Er betrachtete alle Verfassungsänderungen als bundesrechtskonform und beantragte den eidgenössischen Räten deshalb ihre Gewährleistung.
Der Kanton Bern hatte einen neuen Artikel zum Klimaschutz als Aufgabe von Kanton und Gemeinden in seine Verfassung aufgenommen. Die Stossrichtung des neuen Artikels stimmte mit jener der Klimapolitik des Bundes überein.
Im Kanton Glarus war die Verantwortung für die ambulante und die stationäre Gesundheitsversorgung neu dem Kanton statt wie bisher den Gemeinden zugewiesen worden. Zudem hatte der Kanton eine Anpassung seiner Gerichtsorganisation beschlossen, namentlich mit der Schaffung von teilamtlichen Vizepräsidien im Obergericht und im Kantonsgericht, für die wie für die Präsidien nur noch ausgebildete Juristinnen oder Juristen wählbar sind. Diese Anpassungen lagen ebenso in der Autonomie des Kantons wie jene in Appenzell Innerrhoden, wo der Kanton Änderungen an der Organisation des Zwangsmassnahmengerichts und der Vermittlerämter vorgenommen hatte.
Der Kanton Tessin hatte in seiner Kantonsverfassung ein neues Sozialziel aufgenommen, wonach sich der Kanton für die Ernährungssouveränität einsetzen soll. Da die Kantone grundsätzlich autonom seien, eigene Sozialziele zu formulieren, und die Förderung der Ernährungssouveränität zudem in dieselbe Richtung weise wie die Ziele des Bundes zur Lebensmittelversorgung und zur landwirtschaftlichen Produktion, beantragte der Bundesrat auch für diese Anpassung die Gewährleistung. In die Organisationsautonomie des Kantons fiel sodann die zweite Tessiner Änderung, mit der neu ein ausserordentliches obligatorisches Finanzreferendum geschaffen wurde: Grössere Ausgabenbeschlüsse müssen im Tessin künftig der Stimmbevölkerung unterbreitet werden, wenn ein Drittel der anwesenden Grossratsmitglieder dies verlangt.
Ebenfalls in die kantonale Organisationsautonomie fielen die beiden Anpassungen an der Neuenburger Verfassung: Für die Gemeindeebene führte der Kanton das Instrument der Volksmotion ein, und Mitglieder der Neuenburger Kantonsregierung können künftig nur noch insoweit an Sitzungen der Organe des Kantonsparlaments teilnehmen, als das kantonale Gesetz dies vorsieht. Bemerkenswert an diesen beiden Änderungen war, dass der Bund erst acht bzw. neun Jahre nach ihrem Beschluss durch die Neuenburger Stimmberechtigten über ihre Gewährleistung zu befinden hatte; es handelte sich um die zweite Tranche von «Aufräumarbeiten», nachdem der Kanton es offenbar versehentlich mehrere Jahre lang versäumt hatte, vorgenommene Verfassungsänderungen dem Bund zur Gewährleistung weiterzuleiten.

Gewährleistung von Änderungen in den Kantonsverfassungen von Bern, Glarus, Appenzell Innerrhoden, Tessin und Neuenburg (BRG 22.034)