Die beglaubigten Auflagezahlen der Schweizer Presse, wie sie alljährlich von der AG für Werbemittelforschung (Wemf) eruiert werden, wiesen für 1995 eine stabile Presselandschaft mit stagnierenden Zeitungauflagen aus. Eine Ausnahme bildete der Westschweizer Zeitungsmarkt, wo vor allem die beiden Genfer Blätter "Tribune de Genève" (+31,3%) und "Journal de Genève" (+25%) markant vom Untergang der Traditionszeitung "La Suisse" profitierten.
Die Basler Zeitung stockte ihre Beteiligung an der Curti Medien AG auf 65% auf, nachdem sie sich im letzten Jahr zunächst mit 50% beteiligt hatte. Damit sicherte sich die Basler Zeitung hinter Ringier und TA Medien AG ihre Position unter den drei grössten Schweizer Verlagen und etablierte sich mit der Kontrolle über Medienerzeugnisse wie "Weltwoche" oder "Beobachter" auch auf dem Zürcher Medienplatz.
Auf den 1. Mai traten bei der defizitären Berner Traditionszeitung "Der Bund" die im Dezember 1994 ausgehandelten neuen Besitzverhältnisse in Kraft. Die Verlagshäuser NZZ und Ringier halten künftig je 45% des Aktienkapitals, wobei die operative Verantwortung für die Bund Verlag AG kommerziell und publizistisch bei der NZZ liegt. Die NZZ lancierte eine Anzeigekombination NZZplus, die es NZZ-Inserenten erlaubt, ihre Anzeige zum halben Preis auch im "Bund" erscheinen zu lassen.
Die "Luzerner Neuste Nachrichten" (LNN) und die "Luzerner Zeitung" (LZ) haben auf den 1. Januar 1996 ihre Fusion angekündigt. Die LNN mit den zugehörigen "Zuger Nachrichten" werden mit der LZ und deren fünf Regionalausgaben in Zug, Schwyz, Uri, Nidwalden und Obwalden zur "Neue Luzerner Zeitung" (NLZ) zusammengelegt. Gemäss den beiden an der neugegründeten Luzerner Medien AG beteiligten Verlagen, der Ringier-Tochter C. J. Bucher (49%) und der Luzerner Zeitung (51%), ist der Innerschweizer Pressemarkt zu klein für zwei Tageszeitungen. Damit wird dieser innert nur vier Jahren von drei auf eine Tageszeitung schrumpfen; 1991 hatten das christlichdemokratische "Vaterland" und das freisinnige "Luzerner Tagblatt" zur LZ fusioniert. Die LNN-Redaktion, die von der Zusammenlegung stärker betroffen sein wird als diejenige der LZ, zeigte sich in einer Pressemitteilung überzeugt, dass sie einen Ringier-Fehlentscheid - den Kauf des defizitären Berner "Bund" vor zwei Jahren - ausbaden müsse. Ein weiteres Opfer der Fusion LNN/LZ wird der im 117. Jahrgang stehende "Luzerner Landbote", der von der neuen Luzerner Medien AG an die Surseer Woche AG verkauft wurde. Diese stellte das Erscheinen der Lokalzeitung auf Ende 1995 ein. Die Auflage der NLZ und ihren fünf Regionalausgaben wird rund 125 000 Exemplare betragen, womit sie zur viertgrössten abonnierten Schweizer Tageszeitung avanciert. Auf dem Inserate-Markt wird sie sich dem "Swiss Pool" anschliessen. Die künftige Pressemonopolsituation der Zentralschweiz wurde stark kritisiert. Die NLZ hat deshalb als erste Schweizer Tageszeitung einen Leserrat als eine Art Ombudsstelle eingeführt. Der neu gegründete Verein "Projekt Zeitung" liess die Chancen einer Alternativzeitung, die das linksliberale Spektrum abdeckt, prüfen. Im November gründete er die "Pro Zeitung Verlags AG", welche ab dem 26. Januar 1996 eine zweite Luzerner Tageszeitung unter dem Titel "Luzern heute" herausgeben wird. Die Startauflage soll 2500 Exemplare betragen. Auch im Kanton Zug wurde die Herausgabe einer zweiten Zeitung neben dem Fusionsprodukt "Neue Zuger Zeitung" geprüft.
Mit einer Startauflage von rund 60 000 Exemplaren erschien ab April "Facts" aus dem Hause der TA Media AG. Damit verfügt die Deutschschweiz erstmals seit 1982 wieder über ein Nachrichtenmagazin. Der Verlag Ringier hatte sein als Konkurrenzprodukt geplantes Projekt "Reflex" im Januar aufgrund von Marktüberlegungen zurückgezogen.
Die einzige englischsprachige Schweizer Tageszeitung, "The Geneva Post", die die internationale Bevölkerung Genfs ansprechen wollte, musste ihr Erscheinen nach nur sieben Monaten mangels genügend Interessenten einstellen.
Aus dem sozialistischen Magazin "Bresche" und dem gewerkschaftlichen Forum "Diskussion", die eingestellt wurden, ging auf Beginn des Jahres 1995 das rot-grüne Monatsmagazin für neue Politik "MOMA" hervor. In der Romandie ersetzte die der PdA nahestehende Wochenzeitung "Gauchebdo" die seit 1944 bestehende Parteizeitung "Voix ouvrière".
In Bern kam es zu einem eigentlichen "Anzeiger-Krieg" zwischen der Berner-Tagblatt-Medien (BTM), welche die Berner Zeitung herausgeben, und dem Bund Verlag. Die bisherigen Herausgeber des amtlichen Publikumsorgans "Stadtanzeiger Bern", die Vereinsdruckerei Bern und die BTM, hatten den Vertrag mit der Stadt Bern per Ende 1995 gekündigt, da sie die jährliche Abgabe von 2,2 Mio Fr. als zu hoch empfanden. Die Stadt betraute deshalb im September den Bund Verlag mit der Herausgabe des "Stadtanzeigers". Anfang November warfen die Vereinsdruckerei und die BTM einen eigenen, nicht-amtlichen Anzeiger "Tagblatt für die Stadt Bern" auf den Markt, der in seiner Aufmachung dem "Stadtanzeiger" glich. Gleichzeitig gestalteten sie den "Stadtanzeiger", den sie noch bis Ende Jahr herausgeben mussten, dünner und unattraktiver, und im Impressum fehlten wichtige Inserateadressen. Der Berner Gemeinderat warf der BTM unlauteren Wettbewerb und irreführende Werbung vor. Die Vereinigung für kritische Mediennutzung Arbus verklagte die BTM auf Verletzung der Impressumspflicht und rief zum Boykott auf. Nach einer superprovisorischen Verfügung des Berner Richteramts mussten die "Tagblatt"-Herausgeber zumindest das Erscheinungsbild ihres Gratisblatts so ändern, dass es nicht mit dem "Stadtanzeiger" verwechselt werden kann. Ende November kündigte die Berner Stadtregierung den Vertrag mit der Vereinsdruckerei fristlos und liess den "Stadtanzeiger" vorzeitig beim Verlag des "Bund" herstellen.
Entwicklungen in der Presselandschaft Schweiz