Die 1983 eingereichte «Stadt-Land-Initiative», welche eine grundlegende Reform des Bodenrechts mit Übergang zum «Nutzungseigentum» innert einer Generation und die Beseitigung der Bodenspekulation anstrebte, aber generell weitreichende Folgen, auch für den Wohnungsmarkt, die Bauwirtschaft, Industrie, Gewerbe und Tourismus, Landwirtschaft, Siedlungsentwicklung und Pensionskassen gehabt hätte, gelangte im Dezember vors Volk. Der intensiv geführte Abstimmungskampf setzte schon sehr früh in den ersten Monaten des Jahres ein und war namentlich auch dadurch gekennzeichnet, dass die Befürworterseite erheblich weniger finanzielle Mittel zur Verfügung hatte als die Gegner.
Die Initianten, welche vor allem Mieter, Bauern und Umweltschutzkreise ansprachen, stellten die allgemeinen Zielsetzungen in den Vordergrund und bewerteten keine der kurz vor der Abstimmung präsentierten Revisionsentwürfe (bäuerliches Bodenrecht, Raumplanungsgesetz) als auch nur einigermassen brauchbare Alternative. Bezüglich gewissen Widersprüchlichkeiten des Initiativtextes verwiesen sie auf die notwendige Anschlussgesetzgebung der eidgenössischen Räte, welche die Möglichkeit zu Korrekturen bieten würde.
Die Gegner der Initiative konstatierten dagegen einen Frontalangriff auf das Privateigentum und das Gesellschaftssystem; sie bemängelten weniger die Zielsetzungen als die widersprüchlichen Folgen, welche sich aus dem klar formulierten Text ergeben würden. Im Zentrum ihrer Kritik standen die starre Bindung an den Eigengebrauch, verbunden mit einem entsprechenden Kontrollaufwand, als Voraussetzung für Landerwerb und Landbesitz, sodann Befürchtungen betreffend Erliegen des privaten Wohnungsbaus sowie der Umstand, dass die gewerbliche Miete im Initiativtext vergessen worden war.
Mit 69.2% Nein-Stimmen und Ablehnung durch alle Kantone erzielte die Initiative ein schlechteres Ergebnis als erwartet. Am deutlichsten wurde sie in ländlichen Kantonen mit breiter Streuung des Grundbesitzes abgelehnt (über 80% Nein-Stimmen im Wallis, in Appenzell Innerrhoden, Schwyz und Obwalden), aber auch Stadtkantone wie Baselstadt und Genf mit akuten Wohnungsproblemen verwarfen überraschend deutlich.
Stadt-Land-Initiative. Abstimmung vom 4. Dezember 1988
Beteiligung: 52.8%
Ja: 686'398 (30.8%)
Nein: 1'543'705 (69.2%)
Parolen:
Ja: SP, LdU*, GPS, GBS, POCH, PdA, SAP, PSU (TI), Liberalsoz. Partei; CNG, SVEA, GBH.
Nein: CVP, FDP, SVP, LP, EVP*, EDU, Auto-Partei, Vigilance; LFSA, Vorort, SBV, SGV, ZSAO.
Stimmfreigabe: NA*; SGB, VSA
* abweichende Parolen einzelner Kantonalsektionen
Eine wissenschaftliche Nachanalyse des Abstimmungsverhaltens zeigte auf, dass Hauseigentümer und Landwirte konsequent gegen die «Stadt-Land-Initiative» stimmten und dass auch Mitglieder von Umweltorganisationen und Gewerkschaften mit einer knappen Mehrheit gegen die Initiative eingestellt waren, während sich die Mieter je nach politischer Orientierung sowohl im Ja- als auch im Nein-Lager befanden. Entgegen bestimmten Erwartungen war die politische Orientierung der Stimmenden, d.h. die Rechts-Links-Ausrichtung im Sinne einer Polarisierung über die Parteibindungen, das einzig wirklich bestimmende Moment. Der Bundesrat zeigte sich vom Abstimmungsausgang befriedigt und sah seine Politik einer schrittweisen und massvollen Weiterentwicklung des Bodenrechts bestätigt.
Stadt-Land-Initiative (VI. 85.073)