Suche zurücksetzen

Inhalte

Akteure

  • Flach, Beat (glp/pvl, AG) NR/CN
  • Sommaruga, Carlo (sp/ps, GE) SR/CE

Prozesse

207 Resultate
Als PDF speichern Weitere Informationen zur Suche finden Sie hier

Im Mai 2022 verabschiedete der Bundesrat seine Botschaft zur Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 190 der internationalen Arbeitsorganisation sowie einen Bericht über die Erklärung zum hundertjährigen Bestehen der ILO für die Zukunft der Arbeit. Das besagte Übereinkommen aus dem Jahr 2019 enthalte die erste international vereinbarte Definition von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt, erklärte der Bundesrat. Es verpflichte alle ILO-Mitgliedstaaten, das Recht auf eine Arbeitswelt ohne Gewalt und Belästigung zu achten, zu fördern und zu verwirklichen. Ausserdem umfasse es eine Reihe von Massnahmen zur Erreichung dieses Ziels, darunter Prävention und ein gesetzliches Verbot von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt; Abhilfemassnahmen für Opfer von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz und gegebenenfalls Sanktionen.
Der Bundesrat erklärte im Rahmen der Botschaft, dass die Schweiz das Übereinkommen ratifizieren könne, da dieses nicht dem derzeitigen Schweizer Recht entgegenstehe und man es sowieso bereits erfülle. Die ebenfalls 2019 veröffentlichte Jahrhunderterklärung der ILO müsse zwar nicht dem Parlament vorgelegt werden, jedoch habe man das schon bei früheren Erklärungen so gehandhabt, um die beiden Räte über die Tätigkeiten der ILO zu informieren. Die Erklärung, mit der sich die Staaten zu mehr Investitionen in das Humankapital, die Institutionen der Arbeitswelt und in menschenwürdige und nachhaltige Arbeit bekennen, ziehe ebenfalls keine neuen Verpflichtungen für die Schweiz nach sich. Sowohl der Bericht als auch die Ratifikation der Botschaft würden von den Sozialpartnern unterstützt.

Der Ständerat befasste sich in der Herbstsession 2022 mit dem Übereinkommen, wobei eine Minderheit der RK-SR nicht auf das Geschäft eintreten wollte. Minderheitssprecher Philippe Bauer (fdp, NE) und sein Ratskollege Beat Rieder (mitte, VS) ärgerten sich darüber, dass der Bundesrat das Übereinkommen nicht in eine breite Vernehmlassung gegeben habe. Philippe Bauer befürchtete, dass die Ratifikation des Abkommens den zukünftigen Handlungsspielraum der Schweiz im Arbeitsrecht einschränken könnte. Beat Rieder bemängelte zudem, dass das Übereinkommen von «unbestimmten Gesetzesbegriffen» wimmle, weshalb auch er sich für eine ausführliche Vernehmlassung einsetzte.
Kommissionssprecher Sommaruga (sp, GE) wies seine Kommissionskollegen darauf hin, dass sie eigentlich eine Rückweisung an den Bundesrat anstelle von Nichteintreten fordern sollten, und plädierte dafür, den Entscheid über die Rückweisung dem Nationalrat zu überlassen. Er argumentierte, dass man einen Vertrag ratifizieren sollte, wenn der Schweizer Rechtsrahmen dessen Anforderungen bereits erfülle, denn damit verdeutliche die Schweiz ihre Position auf multilateraler Ebene und leiste einen Beitrag zur Errichtung eines staatenübergreifenden Schutzniveaus. Bundesrat Parmelin versuchte, die Bedenken der Minderheit zu zerstreuen, und versicherte, dass das Fehlen einer Konsultation bei Übereinkommen der ILO gang und gäbe sei, da die Sozialpartner jeweils bei der Erarbeitung des Übereinkommens mitwirkten. Der Bundesrat warnte, dass eine Nichtratifizierung dem Image und der Glaubwürdigkeit der Schweiz schaden würde. Die kleine Kammer nahm anschliessend zwar Kenntnis vom Bericht der ILO, trat aber mit 24 zu 20 Stimmen nicht auf die Vorlage ein. Die ablehnenden Stimmen stammten von Mitgliedern der FDP-, SVP- und einem Grossteil der Mitte-Fraktion.

Übereinkommen Nr. 190 und Bericht über die Erklärung zum hundertjährigen Bestehen der internationalen Arbeitsorganisation (BRG 22.045)

Nicht wie geplant in der Sommersession, sondern erst in der Herbstsession 2022 befasste sich der Ständerat mit den beiden Motionen (Mo. 21.3689; Mo. 21.3690), die eine Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit forderten. Als «Evergreen» bezeichnete Daniel Fässler (mitte, AI) die Frage, ob es eine Überprüfung der Verfassungsmässigkeit von Bundesgesetzen brauche. In der Tat gab es schon einige entsprechende, allerdings stets erfolglose Vorstösse. Eine nur durch präsidialen Stichentscheid zustande gekommene Mehrheit der SPK-SR wollte einen neuen Anlauf versuchen und Kommissionssprecher Stefan Engler (mitte, GR) brachte entsprechend fünf Pro-Argumente vor: Erstens müsse die Bundesverfassung über den Gesetzen stehen, damit Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern effektiv geschützt würden. Zweitens sei die Autonomie der Kantone besser geschützt, wenn sich die Gliedstaaten bei einem Verfassungsgericht etwa gegen verfassungswidrige Zentralisierungsbestrebungen wehren könnten. Drittens würde das Ständemehr in seiner Rolle gewahrt, wenn kein Gesetz zur Anwendung komme, das nicht auf einer von Volk und Ständen angenommene Verfassungsgrundlage beruhe. Viertens seien die Grundrechte nicht nur durch die EMRK, sondern auch durch die nationale Verfassung effektiv geschützt – ein Schutz, der bei Gesetzesänderungen eingeklagt werden können muss. Fünftens ergäbe sich eine präventive Wirkung, weil sich das Parlament bei der Umsetzung von angenommenen Initiativen nicht mehr zu weit von der Verfassungsidee entfernen könne, wenn es eine Rüge von einer verfassungsgerichtlichen Instanz befürchten müsse. Um der starken Kommissionsminderheit gerecht zu werden, führte Engler auch fünf Argumente gegen die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit an: Es gebe erstens keinen Handlungsbedarf, weil der historische Verfassungsgeber eine schwache Stellung der Judikative bewusst gewollt habe. Ein Verfassungsgericht drohe zum Gesetzgeber zu werden, wenn nicht mehr die Stimmbevölkerung das letzte Wort habe, ob sie ein Gesetz gutheissen wolle oder nicht. Drittens sei eine «Verpolitisierung» der Judikative zu befürchten. Das Parlament sei viertens besser geeignet, die letztlich stets politische Einschätzung vorzunehmen, ob ein Gesetz der Verfassung widerspreche oder nicht. Das Parlament würde sich also mit der Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit fünftens seiner eigenen Kompetenzen berauben.
In der darauffolgenden Debatte wurden zwar keine wirklich neuen Argumente mehr vorgebracht, einige langjährige Kantonsvertreter gaben aber zu Protokoll, weshalb sie ihre Meinung seit der letzten Diskussion vor rund elf Jahren geändert bzw. nicht geändert hatten. Andrea Caroni (fdp, AR) etwa – als Nationalrat selbst einst Urheber einer entsprechenden Motion – befürwortete nach wie vor eine bessere «Abfolge des Dialogs zwischen den Gewalten». Mathias Zopfi (gp, GL) sorgte für Heiterkeit, indem er die Verteidigung der Verfassungsgerichtsbarkeit eines jungen Rechtswissenschafters zitierte, der heute gegen die Motion kämpfe. «Wer hat nun recht: Fässler der Jüngere oder Fässler der Ältere?» Auch Carlo Sommaruga (sp, GE) erklärte, dass er seine Meinung innerhalb eines Jahrzehnts geändert habe. Er sei zum Schluss gekommen, dass das aktuelle System nicht nur sehr gut, sondern mit Blick auf die Vereinigten Staaten auch besser ohne Verfassungsgerichtsbarkeit funktioniere. Schliesslich wies auch Justizministerin Karin Keller-Sutter darauf hin, dass sie dieselbe Diskussion bereits 2012 «mitverfolgen durfte, allerdings in einer anderen Rolle». Sie erinnerte daran, dass die kleine Kammer das bestehende System bisher stets als gut austariert betrachtet habe. Auch der Bundesrat sei der Meinung, dass das stark gewichtete direktdemokratische Element einer Ausweitung der Verfassungsgerichtsbarkeit vorzuziehen sei, die zudem einen fundamentalen Eingriff in das politische System der Schweiz bedeuten würde. Die Kantone hätten zudem bereits heute zahlreiche Möglichkeiten, sich zu wehren. Wie schon 2012 sei der Bundesrat der Meinung, dass ein Nein kein Nein zum Rechtsstaat, sondern ein Ja zur heute gut funktionierenden Gewaltenteilung sei. Mit 29 zu 15 Stimmen (1 Enthaltung) folgte der Ständerat seiner Kommissionsminderheit und der Empfehlung des Bundesrats und lehnte die beiden Motionen ab.

Ein neuer Anlauf zur Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit (Mo. 21.3689 und Mo. 21.3690)
Dossier: Verfassungsgerichtsbarkeit

In der Sommersession 2022 brachten die eidgenössischen Räte die Revision der Strafprozessordnung zum Abschluss. In der Differenzbereinigung verhärteten sich die Fronten in den zentralen Diskussionspunkten zunächst, sodass Bundesrätin Karin Keller-Sutter bereits mit einer Einigungskonferenz rechnete. Der Ständerat kam dem Nationalrat zuerst nur bei Fristen für die Beschwerdeinstanz und das Berufungsgericht entgegen, die der Nationalrat zwecks Beschleunigung der Verfahren neu in die StPO aufgenommen hatte. Gemäss Berichterstatter Daniel Jositsch (sp, ZH) hielt die RK-SR diese zwar für wenig zweckmässig, aber tolerierbar, weil die Fristen mangels rechtlicher Konsequenzen bei Nichteinhaltung «lediglich als Richtgrösse im Sinne einer Konkretisierung des Beschleunigungsgebots» zu verstehen seien. Der Nationalrat beugte sich seinerseits in einigen Punkten der Argumentation des Schwesterrats und verzichtete auf zwei von ihm eingefügte, aber vom Ständerat abgelehnte Bestimmungen: Erstens strich er die Regelung zur präventiven verdeckten Ermittlung bei Sexualdelikten wieder aus dem Gesetz, weil dies Sache des kantonalen Polizeirechts sei. Zweitens soll eine Genugtuung nun doch nicht mit Geldforderungen des Staates aus dem Verfahren verrechnet werden können; werde der Betrag nicht ausbezahlt, verpuffe der Ausgleichseffekt für die unrechtmässig erlittene Rechtsverletzung. Weiter räumte die grosse Kammer die beiden Differenzen zu den DNA-Profilen aus, sodass dafür nun die vom Bundesrat vorgesehenen Regeln umgesetzt werden: Von einer beschuldigten Person darf während des Strafverfahrens ein DNA-Profil erstellt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass sie weitere Delikte begangen haben könnte. Die SVP-Minderheit, die dafür nur eine «gewisse Wahrscheinlichkeit» voraussetzen wollte, blieb letztlich chancenlos. Zudem darf von einer verurteilten Person am Ende des Strafverfahrens ein DNA-Profil erstellt werden, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass sie weitere Delikte begehen könnte. Hier unterlag die links-grüne Minderheit mit ihrem Streichungsantrag ebenso deutlich.
Bei der Einschränkung der Teilnahmerechte verharrten indessen beide Räte auf ihrer Position. Während sich der Ständerat mit 32 zu 11 Stimmen dafür aussprach, dass eine beschuldigte Person von der ersten Einvernahme einer mitbeschuldigten Person ausgeschlossen werden kann, solange sie selber noch nicht einvernommen worden ist, lehnte der Nationalrat diese Einschränkung mit 137 zu 50 Stimmen (1 Enthaltung) ebenso klar ab. Als Berichterstatter der RK-NR fasste Beat Flach (glp, AG) zusammen: «Für die eine Seite ist es der Hauptinhalt und das wichtigste Element dieser Revision, und für die andere Seite [...] ist das, was vorgeschlagen wird, ein No-Go.» Die ablehnende Seite argumentierte, dieser Eingriff in die Rechte der Beschuldigten bringe das sorgfältig austarierte Kräfteverhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung aus dem Lot und sei darum inakzeptabel. Die Befürworterinnen und Befürworter der Änderung betonten hingegen, dass es sich um einen «moderaten Eingriff» (Karin Keller-Sutter) handle und dass dies der Hauptauslöser für die ganze Revision gewesen sei, weil hier von den Staatsanwaltschaften konkrete Probleme in der Praxis festgestellt worden seien.
Ebenso unversöhnlich standen sich die beiden Kammern beim Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft gegen Haftentscheide gegenüber. Der Ständerat entschied mit 25 zu 19 Stimmen, an der bundesrätlichen Version festzuhalten, die ein solches Beschwerderecht explizit vorsieht. Damit werde nichts Neues eingeführt, sondern die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts kodifiziert; es sei allemal besser, wenn der Gesetzgeber die Grundsätze des Verfahrens in der StPO festschreibe, als dass das Bundesgericht sich wie bisher das Recht nehme, selber zu entscheiden, erklärte der erfolgreiche Antragsteller Daniel Fässler (mitte, AI). Der Nationalrat beschloss demgegenüber mit 109 zu 79 Stimmen, eine solche Beschwerdemöglichkeit für die Staatsanwaltschaft ausdrücklich auszuschliessen, weil die EMRK-Konformität einer solchen Regel mindestens zweifelhaft sei. Es sei problematisch, wenn eine nach Gerichtsentscheid freizulassende Person noch länger in Haft behalten werde, bis die Beschwerde erledigt sei, so die Bedenken. Selbst der Bundesrat war sich in dieser Sache nicht sicher, sagte Justizministerin Keller-Sutter doch, der Bundesrat habe versucht, «das Risiko einer EMRK-Widrigkeit zu reduzieren, indem er für das Verfahren möglichst kurze Fristen festgelegt» habe.
Resigniert stellte der ständerätliche Kommissionssprecher Jositsch am Ende der zweiten Runde der Differenzbereinigung fest, dass man in diesen beiden letzten Fragen keine Lösung gefunden habe. Bei der Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft gebe es mit der EMRK-Konformität «tatsächlich einen Punkt, der für die Fassung des Nationalrates spricht», weshalb die Kommission die Zustimmung zum Beschluss der Schwesterkammer beantragte. Dasselbe beantragte die RK-SR auch bei den Teilnahmerechten. Die Fassung des Ständerates sei im Nationalrat nicht mehrheitsfähig und eine zweckmässige Kompromisslösung nicht in Sicht, weshalb man im Zweifelsfall eben beim geltenden Recht bleiben wolle, so Jositsch. «Das heisst, dass wir mit dieser Revision das ursprüngliche Hauptproblem vielleicht nicht haben lösen können, aber wir haben doch einiges gemacht, um diese Strafprozessordnung besser zu machen», resümierte er. Obwohl die Kommission damit in beiden Punkten die bundesrätliche Lösung fallen liess, beantragte Karin Keller-Sutter keine Abstimmung. So räumte die Ständekammer die beiden letzten Differenzen stillschweigend aus. In den Schlussabstimmungen nahm der Ständerat die Vorlage mit 38 zu 6 Stimmen bei einer Enthaltung an. Der Nationalrat stimmte ihr mit 147 zu 48 Stimmen bei 2 Enthaltungen zu. Unzufrieden zeigten sich in beiden Räten grosse Teile der SVP-Fraktion, die die fehlende Einschränkung der Teilnahmerechte bedauerten. Dadurch werde «die Erforschung der materiellen Wahrheit eminent erschwert», was zu einer «massiven Bevorteilung der Täter» führe und damit indirekt die Stellung des Opfers erheblich schwäche, hatte Nationalrätin Andrea Geissbühler (svp, BE) während der Debatte im Namen ihrer Fraktion erklärt.

Änderung der Strafprozessordnung (BRG 19.048)
Dossier: Revision der Strafprozessordnung (Umsetzung der Mo. 14.3383)

National- und Ständerat befassten sich in der Sommersession 2022 mit je vier Motionen aus den Reihen der SVP-Fraktion, die auf die steigenden Benzin- und Heizkosten fokussierten. Die Motionen wurden in beiden Räten im Rahmen einer ausserordentlichen Session mit dem Titel «Entlastungsmassnahmen zugunsten der Bevölkerung und der Wirtschaft» beraten.

Im Ständerat stellten die drei Motionäre Marco Chiesa (svp, TI), Werner Salzmann (svp, BE) und Hansjörg Knecht (svp, AG) ihre Vorstösse vor und betonten dabei die Schwierigkeiten, die der Wirtschaft und der autofahrenden Bevölkerung durch die aufgrund des Ukrainekonflikts gestiegenen Energiepreise erwachsen würden. Sie wiesen auch generell auf die hohe Teuerungsrate hin, welche insbesondere den Mittelstand stark belaste. Folglich bewarben sie ihre Vorstösse etwa für eine Reduktion der Mineralölsteuer oder für eine Erhöhung des Berufskostenabzugs. Die Rednerinnen und Redner der anderen Parteien hielten indes wenig von diesen Vorschlägen. Ruedi Noser (fdp, ZH) wies darauf hin, dass auch andere Sektoren von der Teuerung betroffen seien; nicht nur Benzin, Diesel und Heizöl würden teurer. Der Staat könne jedoch nicht für alle Bereiche Hilfspakete schnüren. Zudem bedeute mehr Geld für einen Sektor auch weniger Geld für andere Bereiche, wenn man sich nicht noch mehr verschulden wolle. Adèle Thorens Goumaz (gp, VD) schloss sich dem Votum von Ruedi Noser an und ergänzte, dass keine Massnahmen zur Entlastung der hohen Energiepreise getroffen werden sollten, die auf Kosten des Klimas gehen würden. Vielmehr liege die Lösung darin, sich von den fossilen Energieträgern zu verabschieden. Carlo Sommaruga (sp, GE) und Andrea Gmür-Schönenberger (mitte, LU) betonten, dass mit den geforderten Massnahmen schlicht die falschen Bevölkerungsgruppen entlastet würden. Gemäss Sommaruga, seines Zeichens Präsident des Mieterinnen- und Mieterverbands Schweiz, seien nämlich vor allem die Mieterinnen und Mieter von den steigenden Energiepreisen betroffen; ihnen müsse mittels zielgerichteter Massnahmen geholfen werden. Gmür-Schönenberger fügte an, dass mit den von der SVP geforderten Punkten diejenigen Personen bestraft würden, die bereits jetzt versuchten, nachhaltig zu leben: «Genau die Menschen, welche die Entlastung am meisten brauchen, die sozial benachteiligt und wirtschaftlich nicht auf Rosen gebettet sind, die haben ökologisch den kleinsten Fussabdruck.» Auch Finanzminister Ueli Maurer sprach sich gegen die Vorstösse aus: Aus Sicht des Bundesrates sei es nicht angezeigt, bereits in dieser frühen Phase einer möglicherweise kritischen Konjunkturentwicklung in grossem Masse Geld zu verteilen. Es brauche zuerst eine Gesamtanalyse. Sollte der Bund aber einmal eingreifen müssen, dann würde er zuerst auf die tieferen Einkommen fokussieren. Im Anschluss daran wurde einzeln über die vier Motionen abgestimmt; sie wurden allesamt abgelehnt. Nebst der SVP stimmten jeweils auch einige Mitglieder der FDP.Liberalen- sowie der Mitte-Fraktion für Annahme der Motionen; insbesondere die Motion Knecht (22.3243) für ein Entlastungspaket zugunsten der Bevölkerung und Wirtschaft vermochte auch über die SVP-Fraktion hinaus zu überzeugen.

Im Nationalrat wurden die vier Motionen zusammen mit einer Motion der FDP.Liberalen-Fraktion (Mo. 22.3249), die ebenfalls ein Entlastungspaket für Bevölkerung und Wirtschaft forderte, sowie mit der Motion Schaffner (glp, ZH; Mo. 22.3260) zur Bekämpfung der Strommangellage beraten. In der grossen Kammer entspann sich eine lange und intensive Debatte, in welcher nicht nur über die Vorstösse, sondern auch über die derzeitige und zukünftige makroökonomische Lage in der Schweiz diskutiert wurde.
Je nach Partei wurden ganz verschiedene Rezepte zur Reaktion auf steigende (Treibstoff- und Energie-)Preise vorgeschlagen: Während Motionär Benjamin Giezendanner (svp, AG) die vorgeschlagene Reduktion der Mineralölsteuer und des Mineralölsteuerzuschlags als «zielgerichtetes, effizientes und [ ...] schnell umgesetztes Mittel» bezeichnete, kritisierte Leo Müller (mitte, LU) die Vorschläge der SVP als «Giesskannensystem», dem gezielte Massnahmen vorzuziehen seien. Für ihn standen vielmehr Massnahmen für den Mittelstand und für Haushalte mit kleinem Einkommen im Fokus; etwa in Form von Prämienverbilligungen oder Tankgutscheinen für auf das Auto angewiesene Personengruppen. Samira Marti (sp, BL) ergänzte diese Punkte um weitere mögliche Massnahmen wie etwa tiefere Mieten, höhere Löhne oder dem von ihrer Partei bereits vorgeschlagenen «chèque fédéral» (vgl. Mo. 22.3767). Durch diese Massnahmen würden grosse Teile der Bevölkerung direkt profitieren, so Marti. Parteikollege Samuel Bendahan (sp, VD) ergänzte, dass eine Senkung der Benzinpreise vor allem den Mineralölkonzernen wie Shell oder Esso zu Gute kommen würde.
Die Sprechenden der Grünen und der GLP fokussierten auf die Auswirkungen der von der SVP vorgeschlagenen Massnahmen auf das Klima: Delphine Klopfenstein Broggini (gp, GE) betonte, dass das beste Mittel darin bestehe, auf erneuerbare und einheimische Energien zu setzen, welche gut für das Klima seien, die Preise stabilisierten und die Abhängigkeit vom Ausland reduzierten. Zudem müsse auch sorgsam mit der Energie umgegangen werden, indem zum Beispiel im Winter weniger stark geheizt werde. Beat Flach (glp, AG) monierte, dass die SVP mit ihren Vorschlägen diejenigen Personen belohnen wolle, welche viel Benzin verbrauchten. Damit würden indirekt über die Steuern diejenigen Personen belastet, die sich nachhaltig verhielten und jeden Tag mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Verkehr zur Arbeit fahren würden.
FDP-Vertreter Damien Cottier (fdp, NE) schliesslich wies darauf hin, dass es in jeder freien Marktwirtschaft zu Preisfluktuationen komme. Dies bedeute nicht automatisch, dass der Staat eingreifen müsse. Es sei jedoch die Aufgabe des Parlaments, langfristige Strukturmassnahmen auf den Weg zu bringen – etwa in Form von Steuerreformen in den Bereichen Mehrwertsteuer oder Individualbesteuerung –, um die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu stärken.
Bundesrat Maurer versuchte die Gemüter zu beruhigen: Die Teuerung sei in der Schweiz nicht stark, die Wirtschaft werde diese selber bewältigen können. Es sei aber offensichtlich, dass die Lebenshaltungskosten in der nächsten Zeit hoch bleiben würden; auch könne es dazu kommen, dass sich die Teuerung von den Energiepreisen auf weitere Bereiche wie etwa die Lebensmittelpreise ausdehne. Sollte sich die Situation zuspitzen, so werde der Bund evaluieren müssen, welche Massnahmen es brauche.
Schliesslich wurden die vier Motionen der SVP abgelehnt, sie vermochten kaum über die SVP-Fraktion hinaus zu mobilisieren. Der Motion Schaffner stimmte der Nationalrat gegen den Widerstand der SVP-Fraktion sowie einiger Mitglieder der FDP.Liberalen- und der Mitte-Fraktionen zu, während die Motion der FDP.Liberalen-Fraktion zuvor zurückgezogen worden war.

Acht Vorstösse für Entlastungsmassnahmen für Bevölkerung und Wirtschaft (Mo. 22.3228, Mo. 22.3243, 22.3244, Mo. 22.3255, Mo. 22.3280, Mo. 22.3281, Mo. 22.3289, Mo. 22.3356)

Ständerat Josef Dittli (fdp, UR) forderte den Bundesrat im Juni 2022 in einem Postulat dazu auf, die Auswirkungen eines Beitritts der Schweiz zum Kernwaffenverbotsvertrag auf die Aussen- und Sicherheitspolitik der Schweiz zu prüfen. Er interessierte sich insbesondere dafür, wie sich der Konflikt in der Ukraine auf die Ausgangslage eines Beitritts der Schweiz zum Kernwaffenverbotsvertrag ausgewirkt hatte. Darüber hinaus solle aufgeführt werden, welche Konsequenzen der Beitritt für die Sicherheitsarchitektur Europas und der Schweiz sowie für die Beziehungen der Schweiz zur NATO haben könnte. Basierend darauf solle der Bundesrat eine Auslegeordnung des weiteren Vorgehens präsentieren, forderte der Postulant. Der Bundesrat habe eine solche für die Zeit nach der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrags von Kernwaffen im August 2022 in New York versprochen. Der Krieg in der Ukraine habe aber neue Voraussetzungen geschaffen, die eine «ganzheitliche und zukunftsorientierte Betrachtung» einer möglichen Vertragsratifizierung nötig machten. Dittli wünschte sich in diesem Rahmen auch eine Stellungnahme des Bundesrats zur Motion Sommaruga (sp, GE; Mo. 17.4241), mit der dieser die Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrags gefordert hatte und die von beiden Räten 2018 angenommen worden war. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats.

In der Ständeratsdebatte während der Herbstsession 2022 setzte sich Carlo Sommaruga für die Ablehnung des Postulats ein. Er bezeichnete Dittlis Vorstoss als «parfaitement inutile», da der Bundesrat mehrfach bestätigt habe – zuletzt bei der Beratung des Postulats der SiK-NR (Po. 21.3960) im Herbst 2021 –, dass ein Evaluierungsbericht zum Vertrag vorgelegt werde. Er kritisierte zudem den Bundesrat dafür, dass sich dieser trotz der Annahme seiner Motion von 2017 noch immer vor der Unterzeichnung und Ratifikation des Vertrags ziere. Schliesslich habe die Unterzeichnung des Kernwaffenverbotsvertrags bei anderen neutralen europäischen Staaten wie Österreich und Irland keine negativen Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit der NATO gehabt. Für eine objektive Analyse des Vertrags und von dessen effektiven Konsequenzen im Fall der Schweiz sei aber die Einsetzung einer Expertengruppe nötig. Auch Charles Juillard (mitte, JU) empfand die lange Verzögerung vonseiten des Bundesrats als befremdlich, schliesslich sei der Vertrag 2017 unter anderem auf Anregung der Schweiz ausgearbeitet worden. Ein zusätzlicher Bericht habe daher keinen Mehrwert für die Entscheidungsfindung. Trotz ihrer Kritik verzichteten Sommaruga und Juillard aber darauf, das Postulat zu bekämpfen.
Bundesrat Cassis erklärte dem versammelten Ständerat, dass der Vertrag nicht nur von Kernwaffenbesitzenden, sondern auch von ihren Verbündeten abgelehnt werde. Die Schweiz werde aufgrund der besagten Motion Sommaruga die Frage eines Beitritts zum Vertrag erneut prüfen, zuvor habe man jedoch die Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags abwarten wollen. Er beantragte die Annahme des Postulats, dessen Anliegen durch eine bereits eingesetzte interdepartementale Arbeitsgruppe aufgenommen werden könnte. Der Ständerat nahm das Postulat in der Folge stillschweigend an.

Auswirkungen eines Beitritts der Schweiz zum Kernwaffenverbotsvertrags auf die Aussen- und Sicherheitspolitik der Schweiz

Das von Balthasar Glättli (gp, ZH) mittels parlamentarischer Initiative geforderte Obligatorium für die freie Rede bei Ratsdebatten löste in der Sommersession 2022 im Nationalrat ein von einiger Heiterkeit begleitetes Frage-Antwort-Spiel aus. Der Initiant legte dar, dass es zu Beginn des Parlamentsbetriebs, also vor 172 Jahren, verboten gewesen sei, eine Rede abzulesen. Er glaube, dass frei gesprochene Reden nicht nur spannendere, sondern auch verständlichere Debatten nach sich ziehen würden, was «der Demokratie guttäte». Wer frei spreche, habe sich mit dem Thema besser auseinandergesetzt, als wer einfach ablese. Er fordere kein Verbot von Unterlagen, aber er wolle verhindern, dass eine Rede lediglich abgelesen werde. Auf die Frage von Roger Nordmann (sp, VD), ob sich Glättli bewusst sei, dass es sprachliche und rhetorisch nicht so begabte Minderheiten gebe, für die die freie Rede nicht so einfach sei – ein Punkt, den auch das Büro-NR in seinem Bericht gegen die parlamentarische Initiative vorgebracht hatte –, erwiderte der Initiant, dass es in der Tat nicht gut sei, dass man einander nicht verstehe, dies aber mit der freien Rede nichts zu tun habe. Beat Flach (glp, AG) wollte von Glättli wissen, ob er mit einem Verbot nicht überschiesse. Hier brachte der Initiant das Beispiel Grossbritanniens vor, wo man ebenfalls ein Ableseverbot kenne, das freilich mit Augenmass umgesetzt werde: «Aber es gibt dann im britischen Parlament auch den Moment, wo es aus den Reihen schallt ‹He is reading!›, weil man merkt, dass jemand nicht mehr bei der Sache ist, sondern nur noch am Papier klebt. Das will ich verhindern.». Ob denn die freie Rede nicht einfach «in zielloses, polemisches Geschwafel» ausarte, wollte Kurt Fluri (fdp, SO) wissen. Man müsse hierfür wohl zuerst Erfahrungen sammeln und dann allenfalls korrigieren, verteidigte sich Glättli. Es brauche keine Kontrolle, sondern individuelle Abwägung, wie viel man von einem Spickzettel ablesen wolle, antwortete Glättli eine Frage von Lorenz Hess (mitte, BE) und auch die Frage von Benjamin Roduit (mitte, VS), ob denn mit freier Rede nicht die Gefahr eines Überziehens der Zeit bestehe, konterte Glättli: Auch diese Regel müsste eigentlich überdacht werden und auch hier könnte man eine gewisse «souplesse» oder Flexibilität walten lassen.
Das Büro hatte zuvor mit 10 zu 1 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) entschieden, dem Vorstoss keine Folge zu geben. Neben den in den Fragen angesprochenen Kritikpunkten (Überforderung von Minderheiten, schwierige Kontrolle, Bedeutung der «Legiferierung» statt Debattenkultur in der Schweiz) fügte das Büro im Bericht auch noch das Argument der nötigen Präzision von Reden an: Komplexe Geschäfte sowie die Berichterstattung von Kommissionsdiskussionen bedingten eine möglichst präzise und doch möglichst knappe Sprache. Dies sei in freier Rede kaum möglich. Mit Ausnahme der GLP- und der FDP-Fraktion fanden sich aus allen Fraktionen Unterstützerinnen und Unterstützer des Antrags. Die insgesamt 30 befürwortenden Stimmen reichten allerdings gegen die 129 Stimmen, die der Initiative keine Folge geben wollten, nicht aus. Ins Auge fielen die 32 Enthaltungen, die wiederum mit Ausnahme der FDP-Fraktion aus allen parlamentarischen Gruppen stammten. Damit ist die parlamentarische Initiative erledigt.

Freie Rede einführen (Pa.Iv. 21.500)

Der Nationalrat hatte in der Herbstsession 2019 ein Postulat von Beat Flach (glp, AG) an den Bundesrat überwiesen, das einen Bericht bezüglich des «Wildwuchses und Wirrwarrs bei den Regeln der Baukunde» gefordert hatte. Im März 2022 legte der Bundesrat den Bericht in Erfüllung des Postulats vor. Im Bericht bestätigte der Bundesrat zunächst die Einschätzung des Postulanten, wonach es in der Baubranche einen zunehmenden Wildwuchs an technischen Regeln gebe. Diese stammten nicht primär von Gesetzen oder technischen Normen. Stattdessen würden in der Praxis viele private und öffentliche Akteure aus Angst vor eventuellen haftungsrechtlichen oder finanziellen Konsequenzen Vollzugshilfen wie Richtlinien, Checklisten und Ausführungsbestimmungen erarbeiten, um Fehler bei der Ausführung zu vermeiden und sich innerhalb der gesetzlichen Regelungen zu bewegen. Zwar seien Vollzugshilfen ein wichtiges und geeignetes Mittel, um den gesetzlichen und verordnungstechnischen Neuerungen gerecht zu werden und insbesondere Detailfragen zu klären. Doch es sei zunehmend schwierig, den Überblick zu behalten und die Qualität und Richtigkeit dieser Vollzugshilfen abzuschätzen. Es gebe zudem keine allgemeinverbindlichen Mindeststandards und es sei oft nicht klar, welche Hilfen bei einem Bauvorhaben angewendet werden müssten.
Der Bundesrat kam in seinem Bericht zum Schluss, dass der beste Lösungsansatz für das Problem die Setzung von Rahmenbedingungen zur Koordination von Vollzugshilfen wäre. Gemäss diesem Lösungsvorschlag des Bundesrates soll ein neues Bundesgesetz geschaffen werden, das einen standardisierten Prozess für die Ausarbeitung von Vollzugshilfen festlegen würde. Die unter den neuen gesetzlichen Vorgaben erarbeiteten Vollzugshilfen könnten dann in einem öffentlich zugänglichen Register zur Verfügung gestellt werden. Andere Handlungsansätze wie beispielsweise die Beibehaltung des Status quo, eine Registrierung der Vollzugshilfen inklusive Faktencheck oder eine umfassende Regulierung durch eine staatliche Stelle erachtete der Bundesrat entweder als nicht zielführend, als zu aufwändig oder als nicht umsetzbar.
Der Nationalrat zeigte sich mit dem Bericht zufrieden und schrieb das Postulat in seiner Sommersession 2023 ab. Ausserdem nahm die grosse Kammer auch stillschweigend eine Kommissionsmotion der WAK-NR an, welche den Bundesrat mit der Ausarbeitung eines Erlassentwurfs zur Setzung von Rahmenbedingungen zur Koordination von Vollzugshilfen beauftragt.

Wildwuchs und Wirrwarr bei den Regeln der Baukunde (Po. 19.3894)

Im März 2022 forderten Ständerat Sommaruga (sp, GE) und die Fraktion der SP (Mo. 22.3214) im Nationalrat in fast identischen Motionen die Schaffung einer Taskforce für die Sperrung von russischen und belorussischen Oligarchengeldern. Die Taskforce solle die Guthaben von reichen russischen und belorussischen Staatsangehörigen, die auf der Liste der im Kontext des Ukrainekriegs sanktionierten Personen stehen, finden, sperren und gegebenenfalls konfiszieren. Sommaruga und die SP-Fraktion nannten eine ähnliche Taskforce aus den Vereinigten Staaten als Vorbild und kritisierten das SECO dafür, dass es seit Kriegsbeginn nur eine Deklarationspflicht für solche Gelder eingeführt habe. Der Bundesrat gestand in seiner Stellungnahme, dass die Umsetzung der Sanktionen die verschiedenen Departemente vor neue Herausforderungen stelle. Die Prozesse zwischen Bundesbehörden und privaten Unternehmen funktionierten jedoch gut und seien effizient, zumindest deuteten die zahlreichen Meldungen und die hohe Summe an eingefrorenen Vermögenswerten darauf hin. Die Schaffung einer Taskforce erachtete der Bundesrat zu jenem Zeitpunkt daher als nicht notwendig. Die Schweiz habe zudem auf Einladung der Europäischen Kommission schon an mehreren Treffen der EU-Taskforce «Freeze and Seize» teilgenommen und werde sich weiterhin darum bemühen, die Wirksamkeit der Sanktionsdurchsetzung in Europa zu stärken. Aus diesen Gründen beantragte der Bundesrat die Ablehnung beider Motionen.

In der Sommersession 2022 diskutierte der Ständerat über die Motion Sommaruga und beschloss auf einen Ordnungsantrag von Benedikt Würth (fdp, SG), den Vorstoss zur Vorprüfung der zuständigen Kommission zuzuweisen. Würth erklärte, dass es unabhängig vom Ukraine-Krieg einige Entwicklungen im Bereich der «Financial Action Task Force» gebe, beispielsweise zur Identifizierung der wirtschaftlich berechtigten Personen bei juristischen Personen. Er verlangte daher, dass der Ständerat einen Bericht des EFD zur Feststellung der wirtschaftlich Berechtigten von juristischen Personen an den Bundesrat im dritten Quartal 2022 abwarten solle, um dessen Erkenntnisse in die Beurteilung einfliessen zu lassen. Motionär Sommaruga begrüsste den Ordnungsantrag, da das heikle Thema noch einige vertiefte Abklärungen nötig mache. Sommaruga forderte, dass sich die Rechtskommission mit der Motion befassen solle, da sie sich sowieso im Rahmen von Anhörungen mit der Thematik beschäftige. Tatsächlich wurde das Geschäft in der Folge der RK-SR zugewiesen.

Ebenfalls in der Sommersession 2022 befasst sich der Nationalrat im Rahmen einer ausserordentlichen Session mit der Motion der SP-Fraktion. Baptiste Hurni (sp, NE) kritisierte den Bundesrat scharf dafür, dass die Schweiz bislang nur CHF 6 Mrd. von insgesamt über CHF 200 Mrd. blockiert habe, die gemäss Schätzungen der Schweizerischer Bankiervereinigung in der Schweiz liegen würden. Er störte sich auch daran, dass der Bundesrat zwar von der multilateralen Taskforce «Russian Elites, Proxies, and Oligarchs» der G7-Staaten Kenntnis genommen habe, aber noch keine Entscheidung betreffend eine Teilnahme gefällt habe. Auch seine Parteikollegin Mattea Meyer (sp, ZH) plädierte dafür, mehr Gelder zu blockieren und den Krieg in der Ukraine «nicht mehr aus der Schweiz heraus» mitzufinanzieren. Die Meldepflicht des SECO sei hierfür nicht ausreichend, denn es sei zu einfach, die jetzigen Kontrollen zu umgehen. Die Grünliberalen kritisierten in der Person von Jürg Grossen (glp, BE) die mangelhafte Umsetzung der beschlossenen Sanktionen. Man anerkenne zwar, dass die Sperrung der Vermögenswerte nicht einfach sei – beispielsweise weil die Betroffenen mehrere Staatsbürgerschaften hätten –, aber man erwarte die Schaffung eines sauberen rechtstaatlichen Verfahrens, wie dies auch beim Potentatengeldergesetz geschehen sei. Grossen meinte, dass eine Taskforce diesbezüglich eine wichtige Aufnahme übernehmen könne. Auch die Fraktion der Grünen unterstützte das Motionsanliegen. Die Mitte sei zwar dafür, dass Bewegung in die Sanktionsumsetzung komme, lehne das Motionsanliegen jedoch ab, erklärte Philipp Bregy (mitte, VS). Die Beschlagnahmung von Vermögen sei rechtsstaatlich nicht vertretbar, nur eine Sperrung wäre vorstellbar. Da sich die Motion inhatlich nicht splitten lasse, lehne die Mitte diese deswegen ab. Bregy kündigte aber an, dass man das Thema einer Taskforce in der APK-NR wieder aufnehmen werde, falls der Bundesrat den Prozess nicht selber vorantreibe. Beat Walti (fdp, ZH) erklärte hingegen, dass die FDP mit der Arbeit der bestehenden Koordinationsgruppe Sanktionspolitik zufrieden sei und auch die «Bestrebungen bezüglich der Mitwirkung in der international ausgerufenen Taskforce» für erfolgversprechend befände. Gregor Rutz (svp, ZH) lehnte die Motion schliesslich im Namen der SVP-Fraktion gänzlich ab und warf den Unterstützerinnen und Unterstützern vor, sich gegen grundlegende Prinzipien des Rechtsstaats zu wenden. Bundesrat Parmelin erläuterte, dass die Umsetzung der Sanktionen durch die betroffenen Bundesstellen mittlerweile effizient verlaufe und auch Vermögenswerte eingefroren würden. Eine neue Taskforce erbringe keinen Mehrwert, da die Behörden im Rahmen der geltenden Rechtsgrundlagen bereits nach Vermögen suchten und diese blockieren könnten. Eine Einziehung von Vermögenswerten wäre hingegen rechtlich nicht möglich und würde eine Gesetzesrevision nötig machen, erläuterte der Bundesrat. Die grosse Kammer lehnte den Vorstoss der SP-Fraktion mit 103 zu 78 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) gegen den Willen der SP, der Grünliberalen und der Grünen ab.

Schaffung einer Taskforce für die Sperrung von russischen und belorussischen Oligarchengeldern (Mo. 22.3236 & Mo. 22.3883)

Während die Motion Beat Flach (glp, ZH) bezüglich gesetzlicher Anpassungen am Stockwerkeigentumsrecht in der Herbstsession 2019 noch vom Nationalrat angenommen worden war, lehnte sie der Ständerat in der Sommersession 2022 stillschweigend ab. Die kleine Kammer folgte damit dem Antrag ihrer RK-SR. Diese wiederum begründete ihren Antrag damit, dass das Parlament 2019 eine beinahe deckungsgleiche Motion von Andrea Caroni (fdp, AR; Mo. 19.3410) an den Bundesrat überwiesen hatte. Der Bundesrat erarbeite derzeit einen Vorentwurf und eine Vernehmlassung sei für die zweite Hälfte des Jahres 2023 geplant, so die Kommission. Folglich sahen die RK-SR und der Ständerat – trotz Anerkennen des Handlungsbedarfs beim Stockwerkeigentumsrecht – keinen inhaltlichen Mehrwert in der Motion und lehnten diese ab.

Gesetzliche Anpassungen am Stockwerkeigentumsrecht (Mo. 19.3347)
Dossier: Stockwerkeigentum

In der Sommersession 2022 befasste sich der Ständerat als Erstrat mit der Revision des Sexualstrafrechts. Unbestritten war, dass die Reform notwendig sei, weil die geltenden Normen nicht mehr zeitgemäss seien. Sowohl im Rat als auch in den Medien war vielerseits von einem «Quantensprung» die Rede. Der Rat trat denn auch ohne Gegenantrag auf das Geschäft ein. Auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter bezeichnete die Abschaffung des Nötigungselements beim Vergewaltigungstatbestand als «Meilenstein». Gleichzeitig warnte sie aber davor, zu hohe Erwartungen in diese Revision zu setzen: Sie sei zwar «ein wichtiger Schritt», werde aber «Beweisschwierigkeiten bei Sexualdelikten als typische Vieraugendelikte nicht beseitigen».

Kernpunkt der Revision war die Neufassung der Tatbestände der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung (Art. 189 und 190 StGB). So war denn auch die Debatte im Ständerat geprägt von der Frage, wann eine Vergewaltigung eine Vergewaltigung ist bzw. ob eine sexuelle Handlung strafbar sein soll, wenn sie «gegen den Willen» oder aber «ohne Einwilligung» der betroffenen Person vorgenommen wird. Während sich der Bundesrat und die Mehrheit der RK-SR für die Widerspruchslösung aussprachen («Nein heisst Nein»), wollte eine Minderheit Mazzone (gp, GE) das Zustimmungsprinzip («Nur Ja heisst Ja») im Gesetz verankern. Einig war man sich weitgehend darin, dass sich die beiden Varianten in Bezug auf die konkreten Konsequenzen für die Strafrechtspraxis im Endeffekt kaum unterscheiden. Ob die Staatsanwaltschaft das Nein oder das «Nicht-Ja» beweisen müsse, letztlich werde in beiden Fällen «das ablehnende Signal» gesucht, erklärte Andrea Caroni (fdp, AR), der der Kommissionsmehrheit angehörte. Auch wenn eine Person im Laufe eines sexuellen Kontakts, dem sie anfänglich zugestimmt hat, ihre Meinung ändere, müsse sich dieser Meinungsumschwung auf irgendeine Weise manifestieren, also durch ein Nein oder konkludentes ablehnendes Verhalten – etwa Kopfschütteln, eine abwehrende Geste oder Weinen – zum Ausdruck gebracht werden, ergänzte Bundesrätin Keller-Sutter. Je nach Situation mutiere die Zustimmungslösung demnach zur Widerspruchslösung, weshalb Letztere praxisnäher und transparenter sei, so die Justizministerin. Minderheitsvertreterin Mazzone argumentierte, von der Widerspruchslösung würden jene Fälle nicht erfasst, in denen das Opfer in einen Schockzustand gerate und zu jeglicher Äusserung von Widerstand unfähig sei; hier könne nur auf die fehlende Einwilligung abgestellt werden. Bundesrätin Keller-Sutter versicherte jedoch, die Fälle von sogenanntem Freezing würden vom Mehrheitsvorschlag ebenfalls abgedeckt. Wenn das Opfer widerstandsunfähig sei, sei es entweder durch Einschüchterung oder Drohung in diesen Zustand gebracht worden – dann liege eine Nötigung vor – oder es sei zwar selbst in diesen Zustand geraten, der Täter oder die Täterin nutze diesen Umstand aber aus, womit eine Schändung nach Art. 191 StGB vorliege.
Einig waren sich beide Lager wiederum darin, dass sich die beiden Varianten sehr wohl in der Symbolik unterschieden, die die Strafnorm an die Gesellschaft aussende. Lisa Mazzone fragte rhetorisch, ob es denn nicht in der Verantwortung der sexuell handelnden Person liege, sich im Zweifelsfall über den Willen des passiven Gegenübers zu erkundigen; sonst gehe die handelnde Person eben das Risiko ein, eine Straftat zu begehen. Gemäss Eva Herzog (sp, BS) bringe das Prinzip «Nur Ja heisst Ja» zum Ausdruck, dass sich bei Sexualkontakten zwei Menschen auf Augenhöhe begegnen. Die Grundeinstellung, dass Frauen oft Nein sagten, aber schon Ja meinten, sei immer noch verbreitet und es gehe «um eine Veränderung der Bilder in den Köpfen». Die Kommissionsmehrheit sah es indes nicht als Aufgabe des Strafrechts, die Gesellschaft zu erziehen. Deren Mitglied Beat Rieder (mitte, VS) befürchtete gar eine «falsche Kriminalisierung der Sexualität», indem sexuelle Kontakte grundsätzlich als strafbar angesehen würden, ausser das Gegenüber habe zugestimmt. Die Widerspruchslösung gehe hingegen davon aus, dass sexuelle Kontakte «in aller Regel im gegenseitigen Einverständnis» erfolgten und verkörpere damit eine «positive Sichtweise auf die Sexualität». Mit 25 zu 18 Stimmen sprach sich der Ständerat für die Variante der Kommissionsmehrheit und damit für «Nein heisst Nein» aus. Ein Einzelantrag Gmür-Schönenberger (mitte, LU), der die Widerspruchslösung anders formulieren wollte, um das Freezing deutlicher zu erfassen, scheiterte mit 23 zu 10 Stimmen bei 10 Enthaltungen.

In einem zweiten Schritt befasste sich die Kantonskammer mit der Abschaffung des Nötigungselements in den beiden Tatbeständen von Art. 189 und 190 StGB. Die Kommission schlug dazu ein Kaskadenprinzip vor: Der Grundtatbestand im jeweiligen Absatz 1 deckt demnach sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Person ab. Wird das Opfer genötigt, kommt dies gemäss Absatz 2 erschwerend hinzu. Absatz 3 regelt die zusätzliche Erschwernis der Grausamkeit sowie des Einsatzes einer gefährlichen Waffe oder eines gefährlichen Gegenstandes. Werner Salzmann (svp, BE) brachte indessen mit einem Einzelantrag den Vorschlag aus dem Vernehmlassungsentwurf wieder aufs Tapet. Dieser hatte für sexuelle Übergriffe ohne Nötigung einen eigenen Tatbestand vorgesehen, während das Nötigungselement bei den Tatbeständen der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung erhalten bleiben sollte. Salzmann gab zu bedenken, dass es ein falsches Signal an die Gesellschaft aussenden würde, wenn unter der Bezeichnung «Vergewaltigung» künftig noch geringere Strafen ausgesprochen würden – «[w]ir haben jetzt schon lächerlich milde Strafen für Vergewaltigungen» –, weil auch Verletzungen der sexuellen Integrität ohne Nötigung hierunter subsumiert würden. Kommissionssprecher Sommaruga (sp, GE) und Bundesrätin Keller-Sutter hielten dem entgegen, dass dieses Konzept in der Vernehmlassung auf breite Kritik gestossen war, weil damit «eine Art unechte oder minderwertige Vergewaltigung» geschaffen würde, wie es die Justizministerin ausdrückte. Mit 39 zu 4 Stimmen befürwortete der Ständerat die Kaskadenlösung klar.
Weiter diskutierte die Ständekammer die Höhe der Strafen für die neu gefassten Tatbestände der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung. Mit mehreren Einzelanträgen wollte Werner Salzmann die Mindeststrafen für verschiedene Tatbestände erhöhen, blieb damit aber chancenlos. Die grosse Mehrheit der kleinen Kammer wollte den Ermessensspielraum der Gerichte nicht zu stark einschränken, weil stets auch der denkbar mildeste Fall adäquat bestraft werden können müsse. Eine Minderheit Engler (mitte, GR) beantragte gegenüber der Kommissionsmehrheit eine höhere Mindeststrafe für Vergewaltigung mit Nötigung (neu Art. 190 Abs. 2 StGB). Die Kommissionsmehrheit hatte hier mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe vorgesehen. Die Minderheit Engler forderte mindestens zwei Jahre Freiheitsstrafe, damit hier keine bedingten Strafen ausgesprochen werden können. Diesen Minderheitsantrag hiess der Ständerat mit 23 zu 20 Stimmen gut.

Am zweiten Tag der Behandlung stimmte die Kantonskammer mit 37 zu 6 Stimmen dem Antrag ihrer Kommissionsmehrheit zu, mit Art. 197a einen neuen Tatbestand für Rachepornografie im StGB zu verankern. Dieser stellt das unbefugte Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten unter Strafe. Der Bundesrat hatte vergeblich für dessen Ablehnung plädiert. Er hätte zuerst den genauen Handlungsbedarf abklären wollen, was er im Bericht zum Postulat 21.3969 zu tun im Begriff sei, wie Bundesrätin Keller-Sutter erläuterte.
Mit einem ebenfalls neuen Art. 197b wollte Isabelle Chassot (mitte, FR) zudem das Grooming, also das Anbahnen sexueller Kontakte mit Minderjährigen, unter Strafe stellen. Die Kommission hatte nach der Vernehmlassung in ihrem Entwurf auf einen solchen Artikel verzichtet, weil die versuchte sexuelle Handlung mit einem Kind oder die versuchte Herstellung von Kinderpornografie bereits strafbar seien, wie Bundesrätin Keller-Sutter anmerkte. Jemanden zu bestrafen, der noch nicht einmal einen Versuch unternommen habe, wäre ein «Sündenfall im Strafrecht», urteilte Kommissionsmitglied Daniel Jositsch (sp, ZH). Die Ständekammer lehnte den Antrag Chassot mit 21 zu 18 Stimmen bei 4 Enthaltungen schliesslich ab.

In der Gesamtabstimmung nahm der Ständerat die Vorlage einstimmig an. Angesichts der lauten gesellschaftlichen Forderungen nach einer «Nur-Ja-heisst-Ja»-Regelung im Sexualstrafrecht wurde der Entscheid des Ständerats in den Medien ausführlich kommentiert und auch kritisiert. Das enttäuschte Lager setzte die Hoffnung nun in den Nationalrat.

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

In der Sommersession 2022 schrieb der Ständerat auf Antrag der RK-SR die parlamentarische Initiative Jositsch (sp, ZH) für Mindeststrafen bei sexuellen Handlungen gegenüber Kindern unter 16 Jahren stillschweigend ab. Wie Kommissionssprecher Sommaruga (sp, GE) ausführte, sei das Anliegen des Vorstosses in die Revision des Sexualstrafrechts aufgenommen worden und könne daher als erledigt betrachtet werden. Der Motionär und der Bundesrat hatten sich dem so begründeten Antrag auf Abschreibung angeschlossen.

Mindeststrafen bei sexuellen Handlungen gegenüber Kindern unter 16 Jahren (Pa.Iv. 16.408)
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Im Rahmen der Revision der Zivilprozessordnung beschäftigte sich die RK-NR unter anderem mit verschiedenen Lösungsansätzen zur Problematik, wie die Fristen bei Eingaben an die Gerichte berechnet werden können. Diese Diskussion habe die Frage aufgeworfen, ob es nicht möglich und sinnvoll wäre, die Fristenberechnung über die verschiedenen Gesetze und Rechtsbereiche hinweg zu vereinheitlichen – davon betroffen wären neben der Zivilprozessordnung etwa die Strafprozessordnung, das Bundesgerichtsgesetz, das Verwaltungsverfahrensgesetz, das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts und das Obligationenrecht. So schilderte Kommissionssprecher Beat Flach (glp, AG) den Ursprung der Kommissionsmotion für eine Harmonisierung der Fristenberechnung, die der Nationalrat in der Sommersession 2022 behandelte. Obwohl der Bundesrat das Vorgehen aus verschiedenen Gründen als wenig sinnvoll erachtete – unter anderem zweifelte er daran, dass eine allgemeingültige Lösung für alle Rechtsgebiete sachgerecht wäre – und die Ablehnung der Motion beantragte, nahm die grosse Kammer den Vorstoss einstimmig bei einer Enthaltung an. Bundesrätin Karin Keller-Sutter hatte für diesen Fall angekündigt, im Zweitrat die Umwandlung in ein Postulat zu beantragen.

Harmonisierung der Fristenberechnung (Mo. 22.3381)

Ende Mai 2022 führte ein Staatsbesuch Bundespräsident Cassis in die Tschechische Republik und nach Österreich. Begleitet von Nationalrätin Bulliard-Marbach (mitte, FR) und Ständerat Sommaruga (sp, GE), beides Mitglieder der APK-NR respektive der APK-SR, tauschte sich Cassis in Prag mit dem tschechischen Aussenminister Lipavsky über den Krieg in der Ukraine und dessen Auswirkungen auf die europäische Sicherheitsarchitektur aus. Da die Tschechische Republik im Juli 2022 den EU-Ratsvorsitz übernehmen sollte, traf sich der Bundespräsident auch mit dem Minister für europäische Angelegenheiten Mikuláš Bek, um die neue Stossrichtung des Bundesrats für das Verhandlungspaket mit der EU zu erläutern. Die Schweizer Delegation reiste im Anschluss nach Wien weiter, wo sie sich mit Rafael Grossi, dem Generaldirektor der IAEO traf. Im Zentrum der Gespräche standen die russischen Angriffe auf ukrainische Nuklearanlagen und die dadurch entstandenen Risiken für Mensch und Umwelt. Die beiden Seiten betonten wie wichtig es sei, die Sicherheit und Sicherung solcher Anlagen unter allen Umständen zu gewährleisten und Bundespräsident Cassis erwähnte die Schweizer Prioritäten im Rahmen der Zehnten Überprüfungskonferenz des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen.

Aussenminister Cassis in Tschechien und Österreich
Dossier: Staatsbesuche im Ausland 2022

Im März 2021 reichten die Nationalrätinnen und Nationalräte Marionna Schlatter (Pa. Iv. 21.436; gp, ZH), Beat Flach (Pa. Iv. 21.437; glp, AG), Anna Giacometti (Pa. Iv. 21.438; fdp, GR), Nik Gugger (Pa. Iv. 21.439; evp, ZH) und Jon Pult (Pa. Iv. 21.440; sp, GR) fünf gleichlautende parlamentarische Initiativen mit dem Titel «Recht auf gesunde Umwelt und Rechte der Natur» ein. Sie forderten damit nicht weniger als die Revision der Bundesverfassung (BV), mit dem Ziel, das Recht des Menschen auf eine gesunde Umwelt als Grundrecht festzuhalten sowie der Natur zumindest partiell den Status eines Rechtsobjekts zu verleihen.
Die RK-NR befasste sich im Mai 2022 mit den fünf Initiativen. Eine Mehrheit der Kommission (14 zu 11 Stimmen) kam dabei zum Schluss, dass den Initiativen keine Folge zu geben sei. Die Mehrheit vertrat die Ansicht, dass die Begriffe «gesunde Umwelt» sowie «Natur» zu unpräzise seien, um sie als grundrechtlichen Anspruch respektive als Rechtssubjekt in der BV zu verankern. Eine Minderheit vertrat hingegen die Ansicht, dass die Initiativen die Chance bieten, um über Grundsatzfragen rund um den Schutz der Natur zu debattieren, und wollte ihnen daher Folge geben.

Fünf gleichlautende parlamentarische Initiativen mit dem Titel "Recht auf gesunde Umwelt und Rechte der Natur"

Im Frühjahr 2022 gaben die Rechtskommissionen beider Räte einer parlamentarischen Initiative Flach (glp, AG) für ein ausdrückliches Folterverbot im Schweizer Strafrecht Folge. Folter sei in der Schweiz aktuell nur im Kontext von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit explizit verboten, was zur Umsetzung des völkerrechtlichen Folterverbots ungenügend sei, stellte der Initiant fest. Die bestehenden Bestimmungen ahndeten Folter nicht konsequent und effektiv genug und deckten sich nicht mit der Definition von Folter in der UNO-Antifolterkonvention. Da Folter dadurch nicht angemessen bestraft werde, laufe die Schweiz Gefahr, «in naher Zukunft» vom EGMR gerügt zu werden, so Flach in der Begründung seiner Initiative. Nicht zuletzt schwäche die lückenhafte Gesetzgebung das internationale Engagement der Schweiz gegen Folter und schade der Glaubwürdigkeit des Landes. Die RK-NR teilte diese Argumentation mehrheitlich und stimmte der Initiative mit 13 zu 9 Stimmen zu. Die Minderheit war der Ansicht, dass die geltenden Strafbestimmungen zur Ahndung von Folterhandlungen ausreichten. Die RK-SR hiess die Initiative einstimmig gut und erachtete es nun als Aufgabe ihrer Schwesterkommission, «den neuen Straftatbestand klar abzugrenzen».

Folter als eigener Straftatbestand im Schweizer Strafrecht (Pa.Iv. 20.504)

Nachdem die APK-SR die Motion von Carlo Sommaruga (sp, GE) zum Schutzmechanismus gegen die extraterritorialen Auswirkungen der unilateralen Sanktionen von Drittstaaten im November 2021 vorberaten hatte, befasste sich der Ständerat in der darauffolgenden Frühjahrssession damit. Kommissionssprecher Müller (fdp, LU) würdigte zwar die Aktualität und Relevanz des Motionsanliegens, rückte aber nicht von der in der Kommission geäusserten Kritik an der Motion ab. Einerseits müssten die Unternehmen, nicht der Staat, entscheiden, welche rechtlichen Risiken sie im Rahmen ihrer Aktivitäten eingehen wollen. Ein rechtlicher Schutzmechanismus könne die Probleme im Zusammenhang mit ausländischen Sanktionen nicht lösen, sondern würde eher Gegenmassnahmen durch Drittstaaten provozieren. Andererseits würde ein solches unilaterales Handeln den Schweizer Interessen und vor allem ihrer Exportwirtschaft schaden. Stattdessen plädiere die Kommission dafür, derartige Probleme im Dialog mit den jeweiligen Staaten zu lösen und damit die Gefahr einer Eskalation zu minimieren. Müller verwies auf verschiedene parlamentarische Vorstösse, die versucht hatten, die Schweizer Souveränität in Bezug auf Verfahren von Drittstaaten, welche sich gegen Unternehmen oder Einzelpersonen aus der Schweiz richteten, zu stärken. Einer davon, eine Motion der FDP.Liberalen-Fraktion (Mo. 11.3120), sei angenommen worden, aber keiner dieser Vorstösse konnte bisher umgesetzt werden. Das zeuge von der grossen Komplexität des Themas und davon, dass derartige Massnahmen in der Schweiz mit ihrer exportorientierten Wirtschaft «nicht unbedingt wünschenswert» seien.
Auch Motionär Sommaruga sah ein, dass die von ihm skizzierte Lösung nicht umsetzbar sei. Er wies aber darauf hin, dass das Thema auch in Zukunft aktuell bleiben werde. Denn mit dem wirtschaftlichen Aufstieg Chinas seien Firmen immer stärker mit den gegensätzlichen Interessen der USA und Chinas konfrontiert, was eine Wirtschaftsneutralität verunmögliche. Sommaruga argumentierte, dass man mit der EU zusammenarbeiten müsse, indem man sich an den Binnenmarkt lehne und dessen Schutzregeln übernehme. Trotz der unerwarteten Brisanz des Themas aufgrund der Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland, forderte Bundesrat Parmelin nach wie vor die Ablehnung der Motion. Ständerat Sommaruga zog seine Motion daraufhin zurück.

Rechtlicher und technischer Schutzmechanismus gegen die extraterritorialen Auswirkungen der unilateralen Sanktionen von Drittstaaten

Carlo Sommaruga (ps, GE) a retiré sa motion demandant un label obligatoire pour le pain suisse, qu'il avait initialement déposée au Conseil national. La raison est l'acceptation par le Parlement d'une proposition émanant de la CSEC-CE qui s'attaque au même problème.

Pour un label obligatoire pour le pain suisse (Mo. 19.4192)
Dossier: Kennzeichnung von Lebensmittelprodukten

Mit einer parlamentarischen Initiative forderte Nationalrat Lukas Reimann (svp, SG) eine Anpassung der Staatshaftungsrechte. Konkret sollte der Artikel 146 BV, laut welchem der Bund für Schäden haftet, die er widerrechtlich verursacht hat, dahingehend ergänzt werden, dass der Bund auch für rechtmässig verursachte Schäden haften und bei einer unbegründeten, schweren Einschränkung der persönlichen Freiheit oder bei Enteignungen Schadenersatz leisten muss. Der Initiant verwies in seiner Begründung auf die Covid-19-Pandemie und argumentierte, dass im Notrecht die meisten staatlichen Handlungen rechtens seien und somit keine Staatshaftung bestehe. Die vorberatende RK-NR sprach sich mit 18 zu 7 Stimmen gegen die Initiative aus. Wie Kommissionssprecher Beat Flach (glp, AG) im Ratsplenum erklärte, war die Kommissionsmehrheit der Meinung, dass die bestehende Ausgestaltung der Staatshaftung ausreichend und angemessen sei. Bezogen auf die Covid-19-Pandemie führte Flach aus, dass Massnahmen wie Geschäftsschliessungen, die nach Reimanns Vorschlag unter die Staatshaftung fallen könnten, vom Parlament besprochen worden und somit rechtmässig und tragbar gewesen seien. Im Allgemeinen befürchtete die Kommissionsmehrheit, dass eine Ausweitung der Staatshaftung zu einer Flut von Klagen führen würde, was das Rechtssystem überfordern könnte. Im Fall von Enteignungen und Eigentumseinschränkungen bestehe bereits eine angemessene Entschädigung. Eine Minderheit Schwander (svp, SZ) unterstützte die Initiative mit der Begründung, dass mit der bestehenden Gesetzgebung die Staatshaftung zu wenig breit angelegt sei und dass die Hürden für die Einforderung der Staatshaftung zu hoch seien. Der Nationalrat lehnte die parlamentarische Initiative in der Frühjahrssession 2022 mit 135 zu 50 Stimmen ohne Enthaltung ab. Über die SVP-Fraktion hinaus fand sie keine Unterstützung.

Anpassung der Staatshaftungsrechte (Pa. Iv. 20.477)

Die RK-SR beriet an ihrer Sitzung Mitte Februar 2022 die Motion ihrer Schwesterkommission, welche die «Änderung des Bundesgesetzes über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (Lex Koller) dem Parlament unterbreiten» wollte. Die Mitglieder der Kommission beschlossen mit 9 zu 3 Stimmen, dem Ständerat die Ablehnung der Vorlage zu empfehlen. Im Kommissionsbericht begründete die RK-SR ihren Entscheid insbesondere mit den ablehnenden Rückmeldungen während der 2017 durchgeführten Vernehmlassung. Gemäss der Kommission habe sich die Ausgangslage inzwischen nicht wesentlich verändert, auch nicht im Zuge der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie. Im Gegenteil, die Pandemie habe einmal mehr gezeigt, dass die Berggebiete – insbesondere die touristisch orientierten Gebiete – auf ausländische Investitionen angewiesen seien. Nicht zuletzt störte sich die Kommission auch daran, dass die Motion bezüglich der revisionsbedürftigen Punkte der Lex Koller zu vage formuliert sei und dadurch nicht klar sei, was genau ihr Anliegen ist. Die links-grüne Minderheit der Kommission beantragte derweil die Annahme der Motion, da einige Punkte der Revision in der Vernehmlassung durchaus auf Zustimmung gestossen seien und deshalb im Rat diskutiert werden sollten.

In der Frühlingssession 2022 beschäftigte sich der Ständerat mit der Motion. Kommissionssprecher Daniel Fässler (mitte, AI) unterstrich dabei, dass die RK-SR keinen Handlungsbedarf bei der Lex Koller sehe. Dank dieser besitze die Schweiz bereits heute ein funktionierendes, restriktives immobilienpolitisches Regulierungsinstrument, das weder geschwächt noch verschärft werden sollte. Weiterhin sei nicht klar, welche Änderungen denn mit einer Neubelebung der Vorlage vorgenommen werden sollten. Eine Lockerung beim Erwerb von Anteilsscheinen von Wohnbaugenossenschaften sei bereits 2021 im Ständerat verworfen worden. Die 1997 beschlossene Abschaffung der Bewilligungspflicht für den Erwerb von Betriebsstätten habe sich ebenso bewährt wie der Entscheid, 2005 den Erwerb von Aktien an börsenkotierten Immobiliengesellschaften 2005 von der Lex Koller auszunehmen. Änderungen an diesen Entscheiden hätten schwerwiegende Folgen, zudem gebe es weiterhin keine Unterstützung für solche Verschärfungen, wie beispielsweise eine kürzlich veröffentlichte und klar ablehnende Stellungnahme der Konferenz der kantonalen Volkswirtschaftsdirektoren gezeigt habe. Lisa Mazzone (gp, GE) und Carlo Sommaruga (sp, GE) sprachen sich hingegen für eine Annahme der Motion aus. Sie argumentierten, dass eine Diskussion über die Lex Koller nötig sei. Verschärfungen in diesem Bereich, durch die Limitierung des Einflusses von ausländischem Kapitel, könnten etwa den starken Anstieg der Häuserpreise bremsen. Ausserdem hob Mazzone hervor, dass ein erneutes Revisionsvorhaben der Lex Koller eine Möglichkeit wäre, doch noch aussereuropäischen Staatsangehörigen den Erwerb von Anteilscheinen von Wohnbaugenossenschaften zu ermöglichen. Die aktuelle Regelung verunmögliche diesen Personen den Zugang zu billigem Wohnraum, was nicht im Sinne der Lex Koller sei. Nachdem sich auch Beat Rieder (mitte, VS) sowie Bundesrätin Karin Keller-Sutter ablehnend zur Motion geäussert hatten, schritten die Ständerätinnen und Ständeräte zur Abstimmung. In dieser sprachen sie sich mit 26 zu 11 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) deutlich gegen die Motion aus. Anders als noch im Nationalrat stimmten die Mitglieder der SVP-Fraktion in der kleinen Kammer für eine Ablehnung der Motion.

Änderung des Bundesgesetzes über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (Mo. 21.3598)
Dossier: Lex Koller

Der Ständerat befasste sich in der Frühjahrssession 2022 mit der Forderung von Nationalrat Eymann (lpd, BS), ein NFP zur Alzheimerkrankheit zu lancieren. Die Mehrheit der vorberatenden WBK-SR hatte die Motion zur Ablehnung beantragt, eine Minderheit Sommaruga (sp, GE) hingegen befürwortete das Anliegen. Wie Kommissionssprecherin Isabelle Chassot (mitte, FR) ausführte, sei die Mehrheit der WBK-SR selbstverständlich nicht der Auffassung, dass man diese Krankheit und ihre Folgen nicht untersuchen solle, aber es gebe gute Gründe, die gegen die Lancierung eines NFP sprächen. So stünden die Instrumente, die für eine umfassende Förderung der Alzheimer-Forschung nötig seien, bereits zur Verfügung und würden von den Schweizer Forschenden auch genutzt. Zudem hätten die Forschenden auch jederzeit die Möglichkeit, sich beim SNF um eine ordentliche Finanzierung für die Durchführung von Forschungsprojekten zu Alzheimer zu bemühen, wovon ebenfalls Gebrauch gemacht werde. Darüber hinaus seien die Schweizer Forschenden auch auf der internationalen Ebene in entsprechende Forschungsprojekte eingebunden. Und schliesslich, und das sei für die Kommission der wichtigste Grund, gebe es ein bewährtes Verfahren für die Festlegung von NFPs; die Eingabefrist für die nächste Runde laufe im Übrigen in einigen Tagen aus. Die Kommission betonte, dass es den entsprechenden Organisationen und Forschenden selbstverständlich frei stehe, einen Vorschlag für ein NFP zu Alzheimer einzureichen.
Carlo Sommaruga entgegnete, dass einiges für die Annahme der Motion spreche. So nehme etwa die Anzahl an Personen, welche an Alzheimer erkrankten, immer weiter zu, wodurch auch die medizinischen und gesellschaftlichen Kosten anstiegen. Zudem seien die Mittel, die derzeit für die Alzheimer-Forschung in der Schweiz zur Verfügung stünden, unzureichend und es gebe auch nur wenige Mittel des SNF, die der Alzheimerforschung gewidmet seien.
Die Mehrheit des Ständerates sprach sich am Ende der Debatte mit 25 zu 14 Stimmen bei 2 Enthaltungen gegen die Motion aus. Für die Motion stimmten allen voran die Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktionen.

Nationales Forschungsprogramms zu Alzheimer

Die RK-NR hatte im Januar 2021 an ihrem Beschluss festgehalten, der parlamentarischen Initiative von Philippe Nantermod (fdp, VS), welche die Abschaffung der Vergütung auf Werkverwendungen in privaten Räumlichkeiten von Hotels, Ferienwohnungen, Spitälern und Gefängnissen forderte, Folge zu geben. Der Nationalrat war dieser Empfehlung in der Frühlingssession 2021 gefolgt, weshalb das Geschäft abermals zurück an die RK-SR ging. Diese beharrte im Januar 2022 ebenfalls auf ihrer Position und empfahl, wenn auch weniger deutlich als zuvor – dieses Mal mit 8 zu 4 Stimmen (bei 1 Enthaltung) – der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben, womit eine Beratung in der kleinen Kammer in der Frühlingssession 2022 nötig wurde.
Als Hauptargument gegen Eintreten, führte Carlo Sommaruga (sp, GE) als Sprecher für die ständerätliche Kommissionsmehrheit im Rat an, dass der so genannte «AGUR-Kompromiss», welcher im Rahmen der jüngsten Revision des Urheberrechtsgesetzes erarbeitet worden sei, nicht in Frage gestellt werden sollte. Er betonte, wie schwierig es gewesen sei, diesen Kompromiss zu finden. Beat Rieder (mitte, VS), welcher sich im Namen der Kommissionsminderheit für Eintreten aussprach, hielt dagegen, dass der AGUR-Kompromiss den Bundesgerichtsentscheid von 2012, der festgelegt hatte, dass die genannten Bereiche als private Zonen einzustufen seien und Abgaben somit ungerechtfertigt seien, quasi ausgehebelt habe. Würde keine Folge gegeben, würde damit also akzeptiert, dass Vereinbarungen, die ausserhalb des Parlaments getroffen werden, Bundesgerichtsentscheide aushebeln können. Zudem werde damit das Signal vermittelt, dass man sich in solchen Fällen nicht einmal mehr wage, in einer Gesetzesberatung zu prüfen, ob nicht einzelne Ausnahmen gewährt werden sollten. Der Ständerat hielt allerdings an der Mehrheitsposition der RK-SR fest und versenkte die parlamentarische Initiative mit 29 zu 10 Stimmen bei einer Enthaltung endgültig.

Abschaffung der Vergütung auf Werkverwendung in privaten Räumlichkeiten von Hotels, Ferienwohnungen, Spitälern und Gefängnissen (Pa. Iv. 16.493)
Dossier: Revision des Urheberrechts

In der Frühjahrssession 2022 begann der Nationalrat mit der Differenzbereinigung bei der Revision der Strafprozessordnung. Auf die Linie des Ständerats schwenkte er bei den Voraussetzungen für die Untersuchungs- und Sicherheitshaft ein, wo mehrere Minderheiten Addor (svp, VS) für weniger strenge Voraussetzungen als vom Ständerat beschlossen mangels Unterstützung von ausserhalb der SVP-Fraktion chancenlos blieben. Zudem folgte der Nationalrat mit 104 zu 86 Stimmen einer Minderheit Marti (sp, ZH) und hiess den Vorschlag von Ständerat und Bundesrat gut, dass bei einem Strafbefehl, der eine zu verbüssende Freiheitsstrafe nach sich zieht, zwingend eine Einvernahme erfolgen muss. In dieser Frage setzte sich die links-grüne Ratsseite mit grossmehrheitlicher Unterstützung aus der Mitte-Fraktion durch. Ebenfalls seiner Schwesterkammer folgend verzichtete der Nationalrat nunmehr auf das Konzept der restaurativen Gerechtigkeit, das er als Erstrat in den Entwurf eingefügt hatte und das vom Ständerat abgelehnt worden war. Kommissionssprecher Beat Flach (glp, AG) erklärte, nach der Lancierung der Motion 21.4336 habe die Kommission davon abgesehen, «die Justice restaurative bereits in dieser Phase in die Strafprozessordnung aufzunehmen». Eine Minderheit Walder (gp, GE) wollte dagegen an den Bestimmungen festhalten. Die grosse Kammer folgte ihrer Kommissionsmehrheit mit 110 zu 79 Stimmen, wobei sich das links-grüne Lager ebenso geschlossen für Festhalten wie das bürgerliche Lager für Streichen aussprach.
In den anderen grossen Diskussionspunkten hielt die Volkskammer indessen an ihren vorherigen Beschlüssen fest. Die vom Bundesrat beabsichtigte Einschränkung der Teilnahmerechte von beschuldigten Personen fiel im Nationalrat abermals durch. Bundesrätin Karin Keller-Sutter hatte vergeblich darauf hingewiesen, dass «gerade diese Frage auch Auslöser für die Teilrevision der Strafprozessordnung» gewesen sei, weil sich in der juristischen Praxis gewisse «Nebenwirkungen» der geltenden Regelung – etwa dass mehrere Beschuldigte ihre Aussagen einander anpassen können – gezeigt hätten. «Nichtstun» sei hier «keine Option», so ihr Appell. Kommissionssprecher Flach ergänzte, der Ständerat habe mit seiner Neuformulierung «einen Schritt auf die nationalrätliche Version» zu gemacht. Dennoch habe die Kommission «mit einer sehr deutlichen Mehrheit» befunden, dass eine Einschränkung der Teilnahmerechte das derzeit «ausgewogen[e] System» aus dem Lot bringe, das sicherstelle, dass «zwischen Staatsanwaltschaft, Beschuldigten, ihren Verteidigern und letztlich dem Gericht, das urteilen soll, mit gleich langen Spiessen gekämpft wird». Die Minderheit Geissbühler (svp, BE), die dem Ständerat folgen wollte, konnte nur einen Grossteil der SVP- und FDP-Fraktionen sowie einzelne Mitte-Stimmen überzeugen und unterlag mit 70 zu 116 Stimmen bei 2 Enthaltungen dem Antrag der Kommissionsmehrheit, die Teilnahmerechte unverändert zu lassen.
Auch bei der im Ständerat gutgeheissenen Beschwerdemöglichkeit für die Staatsanwaltschaft gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts hielt der Nationalrat an seinem Entscheid fest, diese zu streichen. Mit 100 zu 86 Stimmen bei einer Enthaltung setzte sich das links-grüne Lager mit mehrheitlicher Unterstützung aus der Mitte-Fraktion durch und gab dem Antrag der Kommissionsmehrheit statt. Eine Minderheit Lüscher (fdp, GE) hatte sich dem Ständerat anschliessen und die Beschwerdemöglichkeit wie vom Bundesrat vorgesehen in die StPO aufnehmen wollen. Kommissionsberichterstatter Flach begründete die Position der Kommissionsmehrheit auch hier mit «massiv ungleich lange[n] Spiesse[n]», die eine solche Beschwerdemöglichkeit zugunsten der Staatsanwaltschaft bedeuten würde. Justizministerin Keller-Sutter hatte dem Rat empfohlen, der Minderheit zu folgen, sich aber schwergetan mit dieser Empfehlung, da mit der Beschwerdemöglichkeit einerseits die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts niedergeschrieben würde, andererseits aber «gewisse Zweifel» bestünden, ob so ein Beschwerdeverfahren EMRK-konform wäre.
Bezüglich der DNA-Profile wiederholte die grosse Kammer mit knappen Mehrheiten ihre beiden Entscheide, die sie schon als Erstrat gefällt hatte: Von beschuldigten Personen soll ein DNA-Profil erstellt werden dürfen, wenn «eine gewisse Wahrscheinlichkeit» besteht, dass die beschuldigte Person weitere Verbrechen oder Vergehen begangen haben könnte. Bundesrat, Ständerat und eine Minderheit Marti wollten dafür «konkrete Anhaltspunkte» verlangen. Der Antrag der Kommissionsmehrheit für die weniger hohe Hürde wurde vom rechtsbürgerlichen Block aus SVP-, FDP- und dem Grossteil der Mitte-Fraktion unterstützt und mit 99 zu 83 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen. Bei bereits verurteilten Personen hatte der Bundesrat im Entwurf die Möglichkeit zur Erstellung eines DNA-Profils vorgesehen, «wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, die verurteilte Person könnte weitere Verbrechen oder Vergehen begehen». Eine Minderheit Geissbühler beantragte, dem Ständerat zu folgen und diesen Artikel so in die StPO aufzunehmen, während die Kommissionsmehrheit für Streichen plädierte. Äusserst knapp mit 89 zu 88 Stimmen bei 11 Enthaltungen setzte sich der Streichungsantrag durch. Das Zünglein an der Waage spielte die FDP-Fraktion, die sich zu rund je einem Drittel enthalten, dafür und dagegen ausgesprochen hatte.
Die Volkskammer zeigte sich auch bei weiteren, kleineren Differenzen nicht in Kompromisslaune und erhielt viele davon aufrecht. So blieb sie dabei, dass Opfern, die nicht am Strafverfahren teilnehmen, der Entscheid automatisch zugestellt werden soll, ausser sie verzichten ausdrücklich darauf. Ebenfalls behielt der Nationalrat die von ihm eingeführten und vom Ständerat gestrichenen, verschiedenen Behandlungsfristen im Gesetz. Er hielt auch daran fest, dass die Strafbehörde ihre Forderungen aus Verfahrenskosten nicht nur mit Entschädigungen, sondern auch mit Genugtuungen, die an die zahlungspflichtige Partei zu entrichten sind, direkt verrechnen darf.

Änderung der Strafprozessordnung (BRG 19.048)
Dossier: Revision der Strafprozessordnung (Umsetzung der Mo. 14.3383)

In der Frühjahrssession 2022 reagierte das Parlament auf den russisch-ukrainischen Konflikt, der im Februar desselben Jahres mit dem Ausbruch bewaffneter Kampfhandlungen eskaliert war. Sowohl der Nationalrat (PAG 22.023) wie auch der Ständerat (PAG 22.024) verfassten unter dem Titel «Für einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine» eine öffentliche Erklärung. Darin verurteilten die Räte den russischen Angriffskrieg; forderten die Vereinbarung eines sofortigen Waffenstillstands; unterstrichen die Bedeutung des völkerrechtlich basierten globalen Sicherheitssystems; appellierten an die Konfliktparteien, das humanitäre Völkerrecht zu respektieren; solidarisierten sich mit der ukrainischen Bevölkerung; forderten den Bundesrat dazu auf den Druck auf Russland durch die Übernahme der EU-Sanktionen zu erhöhen; und verlangten, dass die Schweiz Flüchtlinge aufnehmen und ihre humanitäre Hilfe anbieten müsse.

Im Nationalrat forderte eine Minderheit Rutz (svp, ZH) die Ablehnung der Erklärung. Eine weitere Minderheit Reimann (svp, SG) verlangte die Rückweisung an die Kommission und die Erarbeitung eines Entwurfs, der es der Schweiz erlaube, den Entscheid über Sanktionen unabhängig von der EU zu treffen. Nationalrat Reimann argumentierte, dass eine «generelle Abstützung auf (sich laufend ändernde) EU-Sanktionslisten» nicht mit der Schweizer Verfassung, dem Embargogesetz oder der Schweizer Unabhängigkeit und Neutralität vereinbar sei. Minderheitsführer Rutz vertrat hingegen die Ansicht, dass die Schweiz im Rahmen dieses Konflikts am meisten beitrage, wenn sie an ihrer Neutralität festhalte und ihre Guten Dienste zum Einsatz bringe. Aussenminister Cassis machte klar, dass er es nicht als neutral erachte, «einem Aggressor in die Hände zu spielen», und begründete damit die vollständige Übernahme der EU-Sanktionen. Als Depositarstaat der Genfer Konventionen könne die Schweiz nicht untätig bleiben, wenn diese «mit Füssen getreten werden», so Cassis weiter. Der Nationalrat lehnte Reimanns Minderheitsantrag in der Folge mit 140 zu 54 Stimmen ab, jenen von Gregor Rutz mit 147 zu 41 Stimmen (bei 8 Enthaltungen), womit die Erklärung angenommen wurde.

Im Ständerat gingen sechs Anträge ein, die verschiedene Passagen der Erklärung inhaltlich anpassen oder ergänzen wollten. Ständeratspräsident Hefti (fdp, GL) erklärte, dass der Text der Erklärung aus reglementarischen Gründen nicht im Rahmen der Ratsdebatte geändert werden könne, weshalb man für jede Version einen separaten Beschluss fassen müsse. Die vier gleichlautenden Anträge Bischof (mitte, SO), Sommaruga (sp, GE), Vara (gp, NE) und Müller (fdp, LU) entsprachen dem Antrag, der vom Nationalrat am Vortag angenommen worden war. Marco Chiesa (svp, TI) wollte hingegen auf die Übernahme der EU-Sanktionen verzichten. Thierry Burkart (fdp, AG) ergänzte die nationalrätliche Version um einen Zusatz zu den humanitären Diensten der Schweiz vor Ort und der Flüchtlingsaufnahme. Letzterer Vorschlag fand grossen Anklang, sodass Bischof, Sommaruga, Müller und Vara ihre Anträge zurückzogen. Der Antrag Chiesa wurde mit 37 zu 5 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) deutlich abgelehnt, während die Version Burkart mit 38 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) einstimmig angenommen wurde.

Erklärung des Parlaments für einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine (PAG 22.023 & PAG 22.024)
Dossier: Schweizer Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine (ab 2014)

Ende Februar 2022 präsentierte der Bundesrat seine neue Stossrichtung für das Verhandlungspaket mit der EU. Die offenen Punkte, die sich nicht zuletzt bei den Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen gezeigt hätten, wolle man mit einem sektoriellen Ansatz in den einzelnen Binnenmarktabkommen separat lösen. Dazu gehörten die dynamische Rechtsübernahme, die Streitbeilegung, sowie Ausnahmen und Schutzklauseln. Den horizontalen Ansatz – ein übergeordneter Streitlösungsmechanismus für alle Abkommen – des gescheiterten Rahmenabkommens betrachtete der Bundesrat nicht länger als valable Option. Als weitere mögliche Bestandteile des Pakets nannte der Bundesrat mehrere neue Binnenmarktabkommen in den Bereichen Strom und Lebensmittel, sowie Assoziierungsabkommen in den Bereichen Forschung, Gesundheit und Bildung. Die Republik attestierte dem Bundesrat dabei geschicktes Taktieren, denn eine grössere Verhandlungsmasse biete «mehr Spielraum für ein Geben und Nehmen». Auch eine Institutionalisierung der Schweizer Kohäsionszahlungen wurde von der Exekutive in den Raum gestellt. Auf der Grundlage des neuen Beschlusses sollen Sondierungsgespräche mit der EU aufgenommen werden. Parallel dazu liefen die Arbeiten zu den Regelungsunterschieden zwischen dem EU-Recht und dem Schweizer Recht weiter. Das EJPD war schon kurz nach dem Verhandlungsabbruch über das InstA im Mai 2021 damit beauftragt worden, Differenzen zwischen dem EU-Recht und der schweizerischen Rechtsordnung zu eruieren. Ende Juni 2021 lag eine erste Auslegeordnung der Regelungsunterschiede vor, woraufhin in einem zweiten Schritt ermittelt werden sollte, in welchen Bereichen autonome Angleichungen im Interesse der Schweiz wären. Bundesrätin Karin Keller-Sutter teilte an der Medienkonferenz zur neuen Stossrichtung mit, dass sich ihr Departement dabei auf fünf Marktzugangsabkommen der Bilateralen I fokussiert und ein Konzept mit 17 Handlungsoptionen erarbeitet habe. Alt-Staatssekretär Gattiker habe eine «Analyse und Bewertung der ermittelten Spielräume» durchgeführt und werde diese im Gespräch mit den Kantonen und Sozialpartnern vertiefen, teilte der Bundesrat in seiner Pressemitteilung mit.

Der neue Ansatz der Schweiz löste in den Medien kollektives Stirnrunzeln aus, hatte doch EU-Kommissar Sefčovič nach dem Treffen mit Aussenminister Cassis im November 2021 dem Tages-Anzeiger gegenüber klar gemacht, dass man institutionelle Fragen nicht «von Fall zu Fall» lösen könne, sondern ein Rahmenabkommen dafür benötige. Der Blick merkte an, dass Bundespräsident Cassis nicht habe erklären können, weshalb sich diese Auffassung unterdessen geändert haben soll. Stattdessen schicke man Staatssekretärin Leu nach Brüssel, «um zu sondieren, ob sich die Meinung dort geändert hat», so der Blick. Auch die parallel zu den Sondierungsgesprächen mit der EU geführte Verhandlung mit den Sozialpartnern und den Kantonen beäugte der Blick kritisch. Karin Keller-Sutter äusserte sich den Medien gegenüber diesbezüglich aber zuversichtlich und betonte, dass man damit verschiedene Differenzen von vornherein eliminieren wolle. Die Le Temps bezeichnete den neuen Ansatz des Bundesrats als «Bilaterale III», auch wenn der Begriff in der Pressekonferenz nicht gefallen sei. Sie äusserte auch die Vermutung, dass der sektorielle Ansatz – mit dem die Streitbeilegung durch den EuGH umgangen werden soll – Brüssel verärgern dürfte. Aussenminister Cassis erklärte gegenüber derselben Zeitung, dass man auf detaillierte Vorschläge verzichtet habe, um Staatssekretärin Leu mehr Handlungsspielraum zu verschaffen.
Die Reaktionen der Parteien und anderer Interessengruppen auf die neuen Vorschläge des Bundesrats fielen gemischt aus. Für die FDP stelle der sektorielle Ansatz die vielversprechendste Lösungsvariante dar, hielt Parteipräsident Thierry Burkart (fdp, AG) fest. SP-Ständerat Carlo Sommaruga (sp, GE) erachtete den Vorschlag als eher unrealistisch und Foraus-Co-Direktor Darius Farman sowie NEBS-Präsident und SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (sp, BL) kritisierten das Fehlen eines Zeitplans scharf. Die SVP befürchtete hingegen die Unterwerfung der Schweiz unter EU-Recht und EU-Richter und kündigte daher Widerstand gegen die Pläne des Bundesrats an.
Petros Mavromichalis, der EU-Botschafter in der Schweiz, begegnete dem neuen Vorgehen der Schweiz mit viel Skepsis. Er begrüsste zwar die Ankündigung des Bundesrats, alle offenen Fragen angehen zu wollen, bezweifelte aber die Machbarkeit des sektoriellen Ansatzes. Er stellte im Interview mit der Republik auch klar, dass die Personenfreizügigkeit für die EU untrennbar mit dem Binnenmarkt verbunden sei und daher ebenfalls der dynamischen Rechtsangleichung und dem juristischen Streitbeilegungsmechanismus unterliegen müsse. Für ihn wirke es, «als ob die Schweiz mit sich selber verhandeln würde und es kein Gegenüber gäbe». Auch die EU habe Erwartungen und Bedürfnisse, weshalb die Debatte nicht nur nach Innen gerichtet werden dürfe.

Neue Stossrichtung des Bundesrats in der Europapolitik
Dossier: Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit der EU nach dem Scheitern des Rahmenabkommens

Im Januar 2022 publizierte der Bundesrat den Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 2021, eine Botschaft zu den Wirtschaftsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich sowie den Bericht über zolltarifarische Massnahmen im Jahr 2021.

Der Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 2021 befasste sich schwerpunktmässig mit den Folgen der Covid-19-Pandemie in Entwicklungs- und Schwellenländern, da die wirtschaftlichen Konsequenzen in diesen Staaten besonders schwer wiegen würden. Der Bundesrat hielt fest, dass die wirtschaftliche Erholung in diesen Ländern dazu genutzt werden solle, um strukturelle Verbesserungen vorzunehmen, die langfristig der Erreichung der Ziele der Agenda 2030 und des Pariser Klimaübereinkommens dienten. Auch im Inland gehe es um die Überwindung der Pandemieschäden und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, so zum Beispiel im Tourismussektor, für den der Bundesrat das Recovery-Programm 2022-2026 lanciert hatte. Bezüglich der Beziehungen mit der EU hielt die Schweizer Regierung fest, dass man die bewährte Zusammenarbeit trotz des Abbruchs der Verhandlungen über das Rahmenabkommen fortführen wolle. Auf multilateraler Ebene beobachtete der Bundesrat eine sich vertiefende Blockbildung und Tendenzen zur Abschottung, welche strukturelle Unsicherheiten für die Schweiz mit sich brächten. Trotz dieser wenig erfreulichen Entwicklungen kam er zum Schluss, dass die Ziele der Aussenwirtschaftspolitik 2021 weitgehend erreicht worden seien. Abschliessend wagte er im Bericht einen Ausblick auf die aussenwirtschaftspolitische Entwicklung im Jahr 2022. Nebst neuen Lösungen für Beziehungen zur EU werde sich die Schweiz dem Datenschutz in internationalen Beziehungen, der Stärkung des multilateralen Handelssystems und der Suche nach innovativen Nachhaltigkeitslösungen im internationalen Handel widmen.

Im Bericht über zolltarifarische Massnahmen informiert der Bundesrat das Parlament jährlich über Massnahmen, die er im Berichtsjahr getroffen hatte, damit National- und Ständerat über die Weiterführung, Ergänzung oder Änderung dieser Massnahmen befinden können. Konkret legte er dem Parlament einen Bundesbeschluss zur Änderung der Agrareinfuhrverordnung und der Zollpräferenzverordnung aus dem Jahr 2021 zur Genehmigung vor.

Die Botschaft zu den Wirtschaftsbeziehungen betraf Änderungen des Handelsabkommens zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich, mit denen das Abkommen an die revidierten Ursprungsregeln des Regionalen Übereinkommens über die Pan-Europa-Mittelmeer-Präferenzursprungsregeln angepasst werden sollte.

In der Frühjahrssession 2022 nahm der Ständerat Kenntnis vom Bericht und befasste sich mit den beiden Beschlüssen zur Änderung des Handelsabkommens mit dem Vereinigten Königreich und der Genehmigung der zolltarifarischen Massnahmen, welche er beide einstimmig annahm. Carlo Sommaruga (sp, GE) ergriff das Wort, um sich zur globalen Bekämpfung der Covid-19-Pandemie zu äussern. Er kritisierte den Bundesrat dafür, dass die Schweiz die Bemühungen einer Mehrheit der WTO-Länder blockiere, die geistigen Eigentumsrechte auf Mittel zur Bekämpfung von Covid-19 temporär auszusetzen. Er forderte den Bundesrat daher auf, sich in Zukunft im TRIPS-Rat – einem WTO-Unterorgan – für eine integrative und konsensorientierte Lösung einzusetzen.
Bundesrätin Karin Keller-Sutter nahm Stellung zu den Vorwürfen Sommarugas und erklärte, dass eine Ausnahmeregelung für Patente in den Augen des Bundesrats den Zugang zu den entsprechenden Produkten nicht verbessern würde. Der Zugang habe vor allem aufgrund von Handelsbeschränkungen und Vertriebsproblemen gefehlt. Der Patentschutz sei zudem ausschlaggebend für die schnelle Entwicklung von Impfstoffen gewesen. Da der Krieg in der Ukraine erst nach Veröffentlichung des Berichts ausgebrochen war, nahm Bundesrätin Keller-Sutter bei ihren Ausführungen zu den aktuellen Konjunkturaussichten darauf Bezug. Sie erklärte der kleinen Kammer, dass der Krieg die Teuerungsrate erhöhen und die Kaufkraft der Haushalte und die Anzahl Exporte senken dürfte.

Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 2021 und Botschaften zu Wirtschaftsvereinbarungen sowie Bericht über zolltarifarische Massnahmen