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  • Baume-Schneider, Elisabeth (ps/sp, JU) BR EJPD / CF DFJP

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Introduire le 12 septembre comme nouveau jour férié, au niveau national, pour marquer la création de la Suisse moderne. La proposition de Heinz Siegenthaler (centre, BE) a pour but de célébrer l'entrée en vigueur de la première Constitution de l'Etat fédéral suisse, dont la Diète a reconnu l'acceptation le 12 septembre 1848. Alors que l'on s'apprête à fêter les 175 ans de cet événement, le député Siegenthaler a jugé (pour la seconde fois : il avait déposé un postulat en ce sens en 2018, qui n'a jamais été traité par les chambres) qu'il est temps de reconnaître à sa juste valeur cette date symbolique, ayant posé les bases de l'Etat de droit, de la démocratie directe, de la séparation des pouvoirs et du fédéralisme, à une époque où les monarchies étaient la norme. A la tribune du Conseil national, le bernois a loué cette Constitution « qui a permis à notre Etat de surmonter toutes les vicissitudes du siècle passé», mais n'a pas non plus omis d'évoquer son défaut, celui d'avoir mis les femmes de côté pendant plus de 130 ans.
Si le Conseil fédéral n'a pas remis en doute la dimension symbolique de cette date, ce sont des raisons pratiques qui l'ont poussé à recommander le rejet de la motion. Actuellement, la fête nationale du premier août constitue le seul jour férié fédéral – depuis l'acceptation d'une initiative populaire en ce sens en 1993 – alors qu'il revient aux cantons de décider des autres jours fériés. Introduire un nouveau jour férié aurait un coût économique et pousserait vraisemblablement à en supprimer un autre, ce qui pose problème aux yeux d'Elisabeth Baume-Schneider, qui s'exprimait au nom du Conseil fédéral. Bien établi dans les mœurs, le premier août ne se restreint pas à commémorer le pacte fédéral de 1291, mais célèbre également le création de l'Etat fédéral.
Sous la coupole, les parlementaires, peut-être enthousiasmé.e.s par les célébrations prévues pour le jubilé de la Constitution, sont majoritairement resté.e.s sourd.e.s à la recommandation gouvernementale. Par 94 voix contre 82 (6 abstentions), la chambre basse a accepté la motion. Ce sont la gauche et le centre qui ont voté en faveur d'un nouveau jour férié. La motion passe à la chambre haute.

Un jour férié pour célébrer la démocratie (Mo. 21.4075)

Die Revision der Zivilprozessordnung stand in der Frühjahrssession 2023 erneut auf der Agenda der eidgenössischen Räte. Zunächst befasste sich der Ständerat mit den rund zwanzig noch bestehenden Differenzen. Die RK-SR beantragte ihrem Rat in den meisten Fällen, an seiner Position festzuhalten, was dieser dann auch stillschweigend tat. Dies betraf etwa Fragen zu den Auswirkungen falscher Rechtsmittelbelehrungen, zu Streitgenossenschaften, zur Bezifferung der Forderungen und der Berechnung der Gerichtskosten, zur Definition von internationalen Handelsstreitigkeiten – in denen gemäss bereits gefasstem Entschluss künftig Englisch als Verfahrenssprache genutzt werden kann, wenn die Kantone dies erlauben –, zum Schlichtungsverfahren, zum summarischen Verfahren und zu diversen Fristen.
Diskussionsbedarf gab es in der kleinen Kammer nur bei zwei Punkten: Einerseits war umstritten, ob Richterinnen und Richter in einem Gerichtsverfahren in den Ausstand treten müssen, wenn sie zuvor in einer Schlichtungsverhandlung versucht haben, eine gütliche Einigung zu erzielen. Die Kommissionsmehrheit bejahte diese Frage, da sie der Ansicht war, Richterinnen und Richter könnten im Gerichtsverfahren nicht mehr unabhängig sein, wenn sie sich zuvor schon mit dem Thema befasst hätten. Sie wollte deshalb dem Nationalrat folgen, der dies so entschieden hatte. Eine Minderheit in der Kommission lehnte diese Regelung aus prozessökonomischen Gründen hingegen ab. Die Verfahren würden verlängert, wenn nach jedem Schlichtungsversuch der Spruchkörper ausgetauscht werden müsste, argumentierte Minderheitsvertreter Fässler (mitte, AI). Die neuen Richterinnen und Richter müssten die Akten neu studieren und damit ginge nicht nur Zeit, sondern auch Wissen verloren. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider ergänzte, dass das geltende Recht keine Probleme mache; bei Befangenheit müsse eine Richterin oder ein Richter ohnehin in den Ausstand treten, aber durch einen Schlichtungsversuch allein sei eine Richterin oder ein Richter noch nicht befangen. Die Kantone hätten überdies die Möglichkeit, eine solche Regelung vorzusehen. Der Ständerat folgte mit 27 zu 14 Stimmen der Minderheit Fässler, die beim geltenden Recht bleiben wollte, und erhielt somit auch diese Differenz zum Nationalrat aufrecht.
Der zweite Diskussionspunkt betraf die Berufungsfrist im summarischen Verfahren. Die Kommissionsmehrheit wollte sie, wie vom Bundesrat vorgesehen, bei 10 Tagen festsetzen, während eine Minderheit Sommaruga (sp, GE) dem Nationalrat folgen und die Frist bei familienrechtlichen Streitigkeiten auf 30 Tage ausdehnen wollte. Bei solch sensiblen und komplizierten Fällen, wie sie im Familienrecht vorkommen könnten, seien 10 Tage zu kurz, argumentierte der Minderheitssprecher. Justizministerin Baume-Schneider wandte ein, dass der Bundesrat diesen Vorschlag im Vorentwurf gemacht, ihn dann aber verworfen habe, weil er in der Vernehmlassung überwiegend kritisch beurteilt worden sei. Die Ständekammer entschied daraufhin mit 26 zu 15 Stimmen, an der 10-tägigen Frist festzuhalten.

In der Frage, ob eine Richterin oder ein Richter auch im Hauptverfahren urteilen darf, wenn er oder sie vorher an der gescheiterten Schlichtungsverhandlung beteiligt war, schloss sich der Nationalrat in der Folge mit 95 zu 93 Stimmen bei 3 Enthaltungen knapp dem Ständerat an. Damit bleibt es beim geltenden Recht, wonach ein gescheitertes Schlichtungsverfahren an sich nicht als Ausstandsgrund gilt. Deutlicher, mit 136 zu 42 Stimmen bei 14 Enthaltungen räumte die Volkskammer auch die Differenz betreffend die Konsequenzen falscher Rechtsmittelbelehrungen aus, indem sie die Version des Ständerats akzeptierte. Bei weiteren Punkten fanden die Räte jedoch keinen gemeinsamen Standpunkt, so etwa bei der Berufungsfrist im summarischen Verfahren, bei den Parteientschädigungen, bei den Konsequenzen des Nichterscheinens und der Streitwertgrenze im Schlichtungsverfahren sowie bei der Frage, bis wann im Zivilprozess neue Beweismittel eingebracht werden können.

Für die verbleibenden 13 Differenzen wurde eine Einigungskonferenz einberufen. Diese stellte sich mit 22 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen hinter die von ihr gezimmerte Kompromisslösung, die bei einigen Punkten dem Ständerat, bei einigen dem Nationalrat folgte und bei anderen einen Mittelweg suchte. So übernahm sie etwa die 10-Tages-Frist für Berufungen im summarischen Verfahren bei familienrechtlichen Streitigkeiten vom Ständerat und die strengeren Konsequenzen bei Nichterscheinen im Schlichtungsverfahren vom Nationalrat. Für das Einbringen neuer Beweismittel beschloss sie einen Kompromiss, der die Regeln gegenüber dem geltenden Recht etwas lockert. Beide Parlamentskammern nahmen den Antrag der Einigungskonferenz einstimmig an. Während es im Ständerat keine Enthaltungen gab, enthielten sich im Nationalrat 23 Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktion der Stimme.

In der Schlussabstimmung am Ende der Session stimmte die Ständekammer dem Entwurf ebenfalls einhellig zu. Der Nationalrat verabschiedete die revidierte ZPO schliesslich mit 139 zu 53 Stimmen bei 2 Enthaltungen. Mit Ausnahme von Jean-Luc Addor (svp, VS) stellte sich hier die SVP-Fraktion geschlossen dagegen. Ein allfälliges Referendum vorbehalten, «zu dem es hoffentlich nicht kommen wird», könnten die «sehr wichtigen Verbesserungen» am Zivilprozess auf den 1. Januar 2025 in Kraft treten, stellte Bundesrätin Baume-Schneider in Aussicht.

Änderung der Zivilprozessordnung (BRG 20.026)
Dossier: Änderung der Zivilprozessordnung (Praxistauglichkeit und Rechtsdurchsetzung)
Dossier: Debatte über die Pressefreiheit in der Schweiz

In der Frühjahrssession 2023 überwies der Nationalrat die Motion Caroni (fdp, AR) für ein zeitgemässes Abstammungsrecht mit 103 zu 74 Stimmen bei 4 Enthaltungen an den Bundesrat. Dieser und die Mehrheit der RK-NR hatten den Vorstoss zur Annahme beantragt. Wie die Kommissionsmehrheit im Bericht erläuterte, erachtete sie eine Revision des Abstammungsrechts als sinnvoll, «um sicherzustellen, dass alle Kinder unabhängig vom Zivilstand ihrer Eltern über dieselben Rechte verfügen». Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider führte im Ratsplenum aus, insbesondere die Regeln zur Anfechtung der Vaterschaftsvermutung des Ehemannes der Mutter seien nicht mehr zeitgemäss. Die Anfechtung der Vaterschaftsvermutung müsse universell, das heisst unabhängig vom Zivilstand der Eltern, geregelt werden. Ausserdem müsse die rechtliche Stellung der von einer privaten Samenspende betroffenen Personen gesetzlich geregelt werden. Die Minderheit – der im Nationalrat die geschlossene SVP-Fraktion und die grosse Mehrheit der Mitte-Fraktion folgten – lehnte die Motion ab, weil viele Anpassungen bereits mit der «Ehe für alle» vorgenommen worden seien.

Zeitgemässes Abstammungsrecht (Mo. 22.3235)

SVP-Nationalrat Michaël Buffat (svp, VD) verlangte in einer im März 2021 eingereichten Motion «keine Ausweitung des Flüchtlingsbegriffs über Umwege». Mit seinem Vorstoss wollte er den Bundesrat damit beauftragen, der UNO mitzuteilen, dass die Schweiz jegliche Ausweitung des Flüchtlingsbegriffs auf klimatisch bedingte Fluchtgründe ablehne. Im Asylgesetz werden Flüchtlinge als Personen definiert, die aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Nationalrat Buffat erklärte, dass diese Nachteile «an die Person an sich gebunden» seien, womit eine Anerkennung klimatisch bedingter Fluchtgründe nicht mit dem Flüchtlingsstatus in bestehenden völkerrechtlichen Verträgen und der Schweizer Rechtsprechung vereinbar sei.
Der Bundesrat hielt in seiner Stellungnahme fest, dass er die Schaffung eines Asylstatus für sogenannte «Klimamigranten» oder eine Ausweitung der Genfer Flüchtlingskonvention inklusive Änderung des Schweizer Asylrechts nicht befürworte. Diese Haltung vertrete der Bundesrat auch auf internationaler Ebene. Da eine derartige Anpassung der Flüchtlingskonvention aber nicht abzusehen sei, müsse man sich auch nicht proaktiv dazu positionieren. Die Schweiz setze sich im Rahmen verschiedener Initiativen für eine Verbesserung des Schutzes von Personen ein, die aufgrund von Naturkatastrophen oder den Folgen des Klimawandels ihre Heimatregion oder gar ihr Heimatland verlassen müssen. Auch im Präventionsbereich der Katastrophenverhinderung sei man aktiv, erklärte der Bundesrat. Aufgrund der fehlenden Dringlichkeit beantragte er die Ablehnung der Motion.

In der Frühjahrssession 2023 wies Motionär Buffat den Nationalrat darauf hin, dass der UNO-Migrationspakt den Klimawandel mehrfach als Migrationsgrund bezeichne. Daraus schloss er, dass ein politischer Wille bestehen müsse, den Inhalt des Flüchtlingsbegriffs auszuweiten. Er warnte, dass die Schweiz ihre humanitäre Tradition nur erhalten könne, wenn diese einigermassen realistisch bleibe. Die Schweiz müsse diese grundlegende Veränderung des Flüchtlingsbegriffs verhindern, weil, wie er befürchtete, der Klimawandel in Afrika – wo die Bevölkerung schnell wachse und der Trend zur Migration nach Europa stark sei – als Argument zur Rechtfertigung für Asylanträge verwendet werden könnte. Bundesrätin Baume-Schneider erklärte der grossen Kammer, dass die Schweiz über die rechtlichen Grundlagen verfüge, um den Schutz von Personen, deren Rückkehr nicht zumutbar sei, gewährleisten zu können. Da eine Revision der Flüchtlingsdefinition auf internationaler Ebene derzeit nicht aktuell sei, sehe der Bundesrat keinen Grund, die zuständigen UNO-Gremien über die Schweizer Position zu informieren. Die Regierung lehne die Motion daher ab. Auch die Mehrheit des Nationalrats sah keinen Handlungsbedarf und lehnte den Vorstoss mit 109 zu 77 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gegen den Willen der SVP- und FDP-Fraktionen ab.

Keine Ausweitung des Flüchtlingsbegriffs über Umwege

Obwohl sie im März 2021 eingereicht worden war, beschäftigte sich der Nationalrat erst in der Frühjahrssession 2023 mit der Motion von Piero Marchesi (svp, TI). Mit dieser verlangte der SVP-Nationalrat, Artikel 14 des Freizügigkeitsabkommens anzuwenden und die Personenfreizügigkeit im Kanton Tessin und in den am stärksten von der Corona-Krise betroffenen Regionen vorläufig auszusetzen. Zwar war der Höhepunkt der Covid-Pandemie, deren wirtschaftliche Konsequenzen am Ursprung der Motion gestanden hatten, bei der Debatte der Motion im Nationalrat bereits ausgestanden, doch Motionär Marchesi argumentierte, dass das Anliegen seines Vorstosses weiterhin Gültigkeit besitze. Der Kanton Tessin leide unter den strukturellen Problemen, die das Freizügigkeitsabkommen mit sich gebracht habe. So sei seit 2002 vor allem im tertiären Sektor ein starker Anstieg an Grenzgehenden zu beobachten. Unterdessen übersteige die Zahl der ausländischen Arbeitnehmenden jene der Schweizer Arbeitskräfte und die ILO-Arbeitslosenquote im Tessin sei beinahe doppelt so hoch wie im Schweizer Durchschnitt, führte Marchesi aus. Seit Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens beobachte man im Tessin eine stetige Verschlechterung der Arbeitsmarktbedingungen, die soziale Probleme zur Folge habe und den Kanton für junge Menschen unattraktiver mache. Marchesi erklärte, dass er nicht die Abschaffung des Freizügigkeitsabkommen verlange, sondern nur eine Lösung für eine Randregion finden wolle, die mehr als andere unter den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit leide. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider versicherte der grossen Kammer, dass sich der Bundesrat der Besonderheiten und Schwierigkeiten des Tessins bewusst sei und diese ernst nehme. Sie hielt jedoch entgegen, dass sich die wirtschaftliche Situation im Tessin seit der Einreichung der Motion verbessert habe und auch die von Marchesi angesprochene Arbeitslosigkeit zurückgegangen sei. Angesichts dieser neuen Ausgangslage halte es der Bundesrat nicht für angezeigt, den Gemischten Ausschuss Schweiz-EU einzuberufen, um gemäss Artikel 14 des Freizügigkeitsabkommens «geeignete Abhilfemassnahmen» prüfen zu lassen. Eine Begrenzung der Zuwanderung aus der EU würde das für die Normalisierung der Wirtschaftslage notwendige Wachstum nach der Pandemie bremsen und gewisse Wirtschaftssektoren belasten, beispielsweise den Pflegebereich. Der Nationalrat lehnte die Motion mit 135 zu 53 Stimmen ab, wobei nur die SVP-Fraktion für Annahme der Motion stimmte.

Artikel 14 des Freizügigkeitsabkommens anwenden und die Personenfreizügigkeit im Kanton Tessin und in den am stärksten von der Krise betroffenen Regionen vorläufig aussetzen

In der Frühjahrssession 2023 erklärte Lisa Mazzone (gp, GE) als Berichterstatterin der vorberatenden RK-SR dem Ständeratsplenum, der Entwurf des Bundesrates zur Anpassung des Jugendstrafrechts sei nicht mit den Prinzipien und Zielen desselben vereinbar. Die Regierung hatte vorgesehen, dass Jugendliche, die zwischen 16 und 18 Jahren einen Mord begehen, künftig nach dem Ende der jugendstrafrechtlichen Massnahmen – letztere enden mit Vollendung des 25. Altersjahrs – verwahrt werden können, wenn sie immer noch als gefährlich für Dritte gelten. Im Unterschied zum Erwachsenenstrafrecht, das strafe, um den öffentlichen Frieden zu wahren, wolle das Jugendstrafrecht die Jugendlichen erziehen und schützen, um sie vom kriminellen Weg abzubringen. Für dieses Ziel und für die Jugendlichen selber sei es «verheerend», ihnen eine Verwahrung anzudrohen, so Mazzone. Erfahrungsgemäss sei es «für eine Person, wenn sie einmal verwahrt ist, äusserst schwierig [...], da wieder herauszukommen», fügte Kommissionskollege Beat Rieder (mitte, VS) an. Wenn ein Täter schon nach der jugendstrafrechtlichen Massnahme verwahrt werde, müsse überdies jemand auf seine Gefährlichkeit überprüft werden, «der nie die Gelegenheit hatte, zu ‹beweisen›, dass er nicht gefährlich ist». Zum Zeitpunkt der Verurteilung befänden sich die Jugendlichen noch in der Persönlichkeitsentwicklung, weshalb es gar nicht möglich sei, eine Gefährlichkeitsprognose zu erstellen, führte Mazzone weiter aus. Aus diesen Gründen beantragte die Kommissionsmehrheit (7 zu 4 Stimmen, 1 Enthaltung) Nichteintreten.
Eine Minderheit um Andrea Caroni (fdp, AR) – der mit seiner Motion «Sicherheitslücke im Jugendstrafrecht schliessen» (Mo. 16.3142) gewissermassen «Vater der Reform» war, wie ihn die Aargauer Zeitung betitelte – wollte dagegen auf die Vorlage eintreten. Der Antragssteller argumentierte, die betroffenen Personen seien zum Zeitpunkt, an dem sie allenfalls in die Verwahrung kämen, bereits erwachsen, auch wenn sie den Mord als Jugendliche begangen hätten. Die Verwahrung sei die ultima ratio und komme erst in Frage, nachdem man zuerst alle anderen Massnahmen greifen lassen habe. Irgendwann sei die betroffene Person aber 25 Jahre alt und man könne «nicht mehr bis zum Ende aller Tage mit Jugendschutzinstrumenten verfahren». Heute wisse ein junger Mörder, dass er mit 25 Jahren freikomme, wenn er sich «in der Therapie etwas blöd anstelle», sodass diese als wirkungslos wegfalle, so Caroni weiter. Sukkurs erhielt er etwa von Stefan Engler (mitte GR), der betonte: «Jeder Fall, in dem jemand zu Unrecht auf freien Fuss gesetzt wird, weil man die notwendigen Massnahmen nicht treffen konnte, und ein zweites Unglück geschieht, ist ein Fall zu viel.» Heidi Z'graggen (mitte, UR) fügte an, es handle sich um «ein Werkzeug [...] für absolute Einzelfälle, die wir leider, leider nicht ausschliessen können». Gemäss heute geltendem Recht müsse eine Massnahme aufgrund Erreichen der Altersgrenze abgebrochen werden und man müsse «quasi auf eine neue Straftat warten, um die Gesellschaft vor dem nun erwachsenen Straftäter schützen zu können». Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider bat den Rat ebenfalls, auf die Vorlage einzutreten, die sie als «bescheiden» und «sehr ausgewogen» bezeichnete. Man habe die Kritik aus der Vernehmlassung berücksichtigt, sodass der Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Regelung eng begrenzt sei. Sie schliesse eine Lücke in Bezug auf sehr seltene, aber gleichzeitig sehr schwerwiegende Fälle.
Von diesen Überlegungen liess sich die Mehrheit der Ständekammer überzeugen. Sie trat mit 22 zu 17 Stimmen bei einer Enthaltung gegen den Willen ihrer Kommissionsmehrheit auf den Entwurf ein. Gegen Eintreten stimmten die Fraktionen der SP und der Grünen sowie einige Mitglieder aus der FDP- und der Mitte-Fraktion. Nachdem Eintreten beschlossen war, stimmte der Ständerat der Abschreibung der vier Motionen 11.3767, 16.3002, 16.3142 und 17.3572 stillschweigend zu.

Massnahmenpaket Sanktionenvollzug (BRG 22.071)
Dossier: Massnahmenpaket Sanktionenvollzug

Als vorberatende Kommission des Erstrates befasste sich im Februar 2023 die SPK-SR mit dem Bundesgesetz über das Verbot der Verhüllung des Gesichts (BVVG). Sie trat zunächst mit 6 zu 4 Stimmen bei 3 Enthaltungen auf das Geschäft ein und beriet es im Detail. In der Gesamtabstimmung lehnte sie die Vorlage dann jedoch mit Stichentscheid des Präsidenten Mathias Zopfi (gp, GL) bei 5 zu 5 Stimmen und 3 Enthaltungen ab. Die Kommissionsmehrheit war der Ansicht, dass die Umsetzung des in der Bundesverfassung verankerten Gesichtsverhüllungsverbots in die Zuständigkeit der Kantone falle, da es sich um eine Frage der öffentlichen Sicherheit und Ordnung handle. Dass sich der Bundesrat hier auf seine Strafrechtskompetenz stütze, sei nicht angebracht, weil nicht die Bestrafung im Vordergrund stehe.
Für den Ständerat war der Ablehnungsentscheid seiner Kommission in der Gesamtabstimmung mit einem Antrag auf Nichteintreten gleichzusetzen. Dem gegenüber stand ein Einzelantrag Chiesa (svp, TI) auf Eintreten. Die kleine Kammer führte in der Frühjahrssession 2023 also die Eintretensdebatte zum Geschäft. Kommissionspräsident Mathias Zopfi stellte klar, es sei nicht der Wille der Kommission, das Verhüllungsverbot nicht umzusetzen. Alleine aus der Tatsache, dass es ich um eine Bestimmung der Bundesverfassung handle, lasse sich aber keine Bundeskompetenz begründen, legte er die Position der knappen Kommissionsmehrheit dar. Das Gesichtsverhüllungsverbot sei eine «Bestimmung über das Auftreten im öffentlichen Raum und die Sicherheit» und damit «Sache der Kantone», so Zopfi. Die Zuständigkeit des Bundes auf Basis der Strafrechtskompetenz sei ein «Gewürge», pflichtete Kommissionskollege Andrea Caroni (fdp, AR) bei. Weiter erinnerte Kommissionspräsident Zopfi daran, dass der Bundesrat selbst vor der Volksabstimmung stets betont habe, für die Umsetzung der Verfassungsbestimmung seien dereinst die Kantone zuständig. «Der Föderalismus sollte in der Kammer der Kantone schon so fundiert verankert sein, dass er nicht beim kleinsten oder einem mittelgrossen politischen Gegenwind einknickt», redete er seinen Ratskolleginnen und -kollegen ins Gewissen.
Auf der anderen Seite argumentierte Antragsteller Marco Chiesa, es sei «von kapitaler Wichtigkeit», dass es eine schweizweit einheitliche Regelung gebe. Das sei, was die Initiantinnen und Initianten erwartet hätten und was von der Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung beschlossen worden sei. Mit einem «komplexen Flickenteppich von kantonalen Normen» sei niemandem gedient, stiess Fraktionskollege Werner Salzmann (svp, BE) ins selbe Horn. Kommissionsmitglied Daniel Fässler (mitte, AI), der sich ebenfalls für Eintreten aussprach, merkte an, dass der Spielraum für kantonal unterschiedliche Regelungen im Hinblick auf die streng definierten Ausnahmen ohnehin klein sei, weshalb eine kantonale Umsetzung keinen Sinn mache. Der Parteilose Thomas Minder (SH), der für die SVP-Fraktion in der SPK-SR sitzt, warf der Kommissionsmehrheit vor, ein «Schwarzpeterspiel» zu spielen und die «heisse Kartoffel» an die Kantone abschieben zu wollen. Er fühlte sich an die «materielle Nichtumsetzung» der Masseneinwanderungsinitiative erinnert und warnte, der Burka-Initiative drohe bei einem Nichteintreten nun eine «formelle Nichtumsetzung». Abschliessend plädierte auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider für Eintreten. Sie rief dem Rat in Erinnerung, dass sich in der Vernehmlassung nur ein Kanton gegen den Gesetzesvorschlag ausgesprochen hatte. Das Gesetz garantiere eine einheitliche Umsetzung der Verfassungsbestimmung im ganzen Land und bringe das Gesichtsverhüllungsverbot ins Gleichgewicht mit den verfassungs- und menschenrechtlichen Anforderungen an die Einschränkung von Grundrechten. Die Ständekammer stimmte schliesslich mit 27 zu 15 Stimmen bei einer Enthaltung für Eintreten, wobei sich die Ratslinke sowie einige vereinzelte Stimmen aus FDP und Mitte dagegen stellten. Damit geht das Geschäft noch einmal an die Kommission zur Detailberatung.

Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot (BRG 22.065)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Nachdem beide Parlamentskammern die Revision des Sexualstrafrechts je einmal beraten hatten, schienen die Differenzen maximal. Die Gretchenfrage war, wie sexuelle Nötigung und Vergewaltigung neu definiert werden sollen. Während der Ständerat als Erstrat beschlossen hatte, dass sexuelle Handlungen «gegen den Willen» der betroffenen Person strafbar sein sollen («Nein heisst Nein»), hatte sich der Nationalrat als Zweitrat für die Formulierung «ohne Einwilligung» und damit für das ebenso lautstark geforderte wie umstrittene «Nur-Ja-heisst-Ja»-Prinzip ausgesprochen.

In der Frühjahrssession 2023 begann der Ständerat also mit der Differenzbereinigung. Seine Kommission schlug ihm einstimmig vor, an der «Nein-heisst-Nein»-Lösung festzuhalten, sie aber um den Zusatz zu ergänzen, dass nicht nur bestraft wird, wer gegen den Willen einer Person eine sexuelle Handlung vornimmt oder vornehmen lässt, sondern auch, wer dazu einen Schockzustand der betroffenen Person, das sogenannte Freezing, ausnützt. Damit habe man der grossen Kontroverse um das «Nein-heisst-Nein»-Prinzip Rechnung getragen, ob davon auch jene Fälle erfasst würden, in denen das Opfer in einen Schockzustand falle und infolgedessen widerstandsunfähig sei, erklärte Kommissionssprecher Carlo Sommaruga (sp, GE). Selbst jene Mitglieder der Kommission, die den «Nur-Ja-heisst-Ja»-Grundsatz bevorzugt hätten, hätten sich pragmatisch hinter diesen Kompromissvorschlag gestellt, betonte er. So erklärte auch Lisa Mazzone (gp, GE), die bei der ersten Behandlung noch die Minderheit für «Nur Ja heisst Ja» vertreten hatte, ihre Unterstützung für den Kompromiss. Der Wert eines Gesetzesentwurfs messe sich nicht an der Symbolik, sondern an den Resultaten, sagte sie. Bezüglich der Resultate – sie nannte etwa die Anerkennung der Opfer und den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung – sei die vorgeschlagene Lösung ein wichtiger Fortschritt, gar «einer der grossen Erfolge dieser Legislatur». Lob erhielt der Vorschlag ebenso von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. Ohne jegliche Dissonanzen stimmte der Ständerat dem Kompromissvorschlag seiner Kommission stillschweigend zu.

Deutlich weniger harmonisch verlief die Festlegung der Strafrahmen für Vergewaltigung. Als Erstes stand hier zur Debatte, ob bei Vergewaltigung weiterhin Geldstrafen möglich sein sollen oder nicht. Carlo Sommaruga plädierte im Namen der Kommissionsmehrheit für die Beibehaltung der Geldstrafe. Da der Grundtatbestand der Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1 StGB) neu keine Nötigung mehr voraussetze, umfasse der Tatbestand der Vergewaltigung künftig auch weniger schwerwiegende Fälle als bisher. Eine Strafverschärfung sei daher nicht angezeigt, wenn nicht sogar schädlich: Die Gerichte könnten dadurch versucht sein, eher den Tatbestand der sexuellen Nötigung gemäss Art. 189 StGB anzuwenden, um keine unverhältnismässige Strafe verhängen zu müssen. Eine Minderheit Jositsch (sp, ZH) wollte dagegen dem Nationalrat folgen und die Geldstrafe streichen. Die «‹harmloseste› Form von Vergewaltigung» sei auch in der neuen Definition immer noch ein Eindringen in den Körper gegen den Willen einer Person, und dies könne nicht mit einer Geldstrafe abgegolten werden, so Jositsch. Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider wandte ein, es sei «nicht nachvollziehbar», weshalb die Geldstrafe nur beim Grundtatbestand der Vergewaltigung, nicht aber bei der qualifizierten sexuellen Nötigung – d.h. unter Anwendung von Gewalt oder Drohung – gestrichen werden soll. Eine abgenötigte sexuelle Handlung müsste aus ihrer Sicht härter bestraft werden als eine Vergewaltigung ohne Nötigung. Diese «Verzerrung» laufe dem Ziel der Strafrahmenharmonisierung zuwider, mahnte sie. Der Ständerat folgte mit 26 zu 13 Stimmen dennoch der Minderheit Jositsch und schloss sich dem Beschluss des Nationalrats an. Damit wird Vergewaltigung in jedem Fall mit Freiheitsstrafe – allerdings ohne festgelegte Mindestdauer – sanktioniert.
Zweitens stand die Frage im Raum, ob bei qualifizierter Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 2 StGB) – d.h. Vergewaltigung, bei der das Opfer genötigt wurde – bedingte Strafen möglich sein sollen oder nicht. Der Ständerat hatte als Erstrat in diesem Absatz eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren festgeschrieben und mit dieser Mindestdauer ausgeschlossen, dass die Strafe bedingt ausgesprochen werden kann. Der Nationalrat war diesem Beschluss gefolgt. Die knappe Mehrheit der RK-SR, die im Erstrat unterlegen war, stand nicht hinter diesem Entscheid und beantragte ihrem Rat mit Stichentscheid von Präsident Sommaruga, zum ursprünglichen Entwurf zurückzukehren. Dieser sah wie das geltende Recht eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr vor. Da der neue Tatbestand der qualifizierten Vergewaltigung im Wesentlichen dem heutigen Vergewaltigungstatbestand entspreche, sei die Verdopplung der Mindeststrafe nicht gerechtfertigt, so Sommaruga. Der Bundesrat unterstützte den Antrag der Kommissionsmehrheit. Verglichen mit anderen Tatbeständen mit ebenfalls einjähriger Mindeststrafe, etwa Totschlag oder schwerer Körperverletzung, sei diese auch bei Vergewaltigung als angemessen zu betrachten, erklärte Justizministerin Baume-Schneider. Ausserdem sei zu befürchten, dass sich mit der höheren Mindeststrafe «für die Gerichte auch der Massstab bei der Beweiswürdigung verschiebt», sodass sie eine Nötigung an strengere Bedingungen knüpfen würden als heute. Eine Minderheit um Beat Rieder (mitte, VS) wollte indes am Beschluss der zweijährigen Mindeststrafe festhalten. Er verwies darauf, dass eine unbedingt ausgefällte Gefängnisstrafe auch teilbedingt abgesessen werden könne, unterlag in der Abstimmung aber äusserst knapp. Die Kantonskammer vollzog die Kehrtwende zurück zur einjährigen Mindeststrafe für qualifizierte Vergewaltigung mit 20 zu 19 Stimmen.

Für Diskussionsbedarf sorgte ferner die im Nationalrat abgelehnte Forderung nach Präventionsprogrammen für Sexualstraftäterinnen und -täter. Im Gegensatz zum Obligatorium, das in der grossen Kammer zur Debatte gestanden hatte, schlug die RK-SR ihrem Rat nun aber eine Kann-Bestimmung vor: Das Gericht soll Sexualstraftäterinnen und -täter verpflichten können – aber nicht müssen –, ein Lernprogramm gegen sexualisierte Gewalt oder eine Gewaltberatung zu absolvieren. Ohne Gegenantrag stimmte die Kantonskammer diesem Vorschlag stillschweigend zu. Eine weitere Differenz hatte der Nationalrat geschaffen, indem er die Altersgrenze für die Unverjährbarkeit von Sexualstraftaten an Kindern von den geltenden 12 Jahren auf 16 Jahre anhob. Wie Berichterstatter Sommaruga erklärte, war die ständerätliche Rechtskommission aber der Ansicht, dass diese Änderung nicht dem Volkswillen entspreche, da die Unverjährbarkeitsinitiative, die am Ursprung dieser Bestimmung stand, explizit die Unverjährbarkeit von Sexualstraftaten an Kindern vor der Pubertät gefordert habe. Sie beantragte ihrem Rat deshalb, an der bestehenden Regelung festzuhalten, was dieser auch stillschweigend tat. Ebenso stillschweigend hielt die kleine Kammer an ihren Beschlüssen zum sogenannten Revenge Porn und zum Grooming fest. Die Rachepornografie wollten im Grundsatz beide Parlamentskammern unter Strafe stellen, wobei sie sich aber über die Formulierung und die Platzierung der Bestimmung innerhalb des Strafgesetzbuchs nicht einig waren. Einen Tatbestand zum Grooming lehnte der Ständerat nach wie vor ab, da man sich damit gefährlich nahe an die Strafbarkeit der Absicht – und nicht mehr einer Handlung oder Vorbereitungshandlung – heran bewege, wie der Kommissionssprecher ausführte. Das Geschäft geht damit zurück an den Nationalrat.

In der Presse wurde der Entscheid des Ständerates für die «Nein-heisst-Nein»-Lösung unter Berücksichtigung des sogenannten Freezings als nonverbales Nein als Befreiungsschlag und als Durchbruch in der Revision des Sexualstrafrechts interpretiert. «Der Nationalrat dürfte diesem Kompromiss im Juni zustimmen», orakelte der «Blick» und titelte: «Funiciello hat ihren grössten Kampf gewonnen». Die «Republik» verkündete, das Parlament habe «endlich eine Lösung für die Modernisierung des Sexualstrafrechts gefunden» und zog Bilanz zu dieser «feministischen Erfolgsgeschichte». «Was aussieht wie ein Kompromiss, ist eine kleine Revolution», proklamierte das Onlinemagazin.

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)