Nach dem überraschenden Rücktritt des Sozialdemokraten Silvio Bircher aus gesundheitlichen Gründen nach fünfjährigem Wirken war eine Vakanz im Aargauer Regierungsrat zu besetzen. Der SP-Parteitag in Aarau unterstützte den Vorschlag seiner Geschäftsleitung, die 39jährige Juristin und Grossrätin Ursula Padrutt als Kandidatin für die Regierungsrats-Ersatzwahl vom 27. September zu nominieren, mit 140:0 Stimmen. 14 Delegierte enthielten sich der Stimme aus Protest gegen das ihrer Ansicht nach undemokratische Auswahlverfahren der Geschäftsleitung. Damit sei die Vorstellung einer weiteren Kandidatur vorzeitig verhindert worden. Nachdem sich der Grossratspräsident und frühere SP-Parteipräsident Kurt Wernli entschlossen hatte, mit Unterstützung eines überparteilichen Komitees wild zu kandidieren, eskalierte der Streit zwischen Wernli und der SP-Fraktion im Grossen Rat bzw. der SP-Parteileitung. Ihm wurde ein Ausschluss aus der Partei angedroht, falls er sich nicht von seiner wilden Kandidatur zurückziehe. Anlass zu Kritik durch die SP gab auch Wernlis Unterstützungskomitee, dem vorwiegend Leute aus dem bürgerlichen und rechtskonservativen Lager angehörten. Der turbulente Wahlkampf zwischen Wernli und Padrutt erzeugte ein riesiges Presseecho und füllte die Leserbrief-Seiten. Die bürgerlichen Parteien, die auf eigene Kandidierende verzichteten, beschlossen Stimmfreigabe. Der wilde Kandidat Wernli verpasste das absolute Mehr im ersten Wahlgang bloss um 600 Stimmen und lag mit 49,6% deutlich vor der offiziellen SP-Kandidatin Padrutt (40,3%). Eine untergeordnete Rolle spielte FPS-Kandidat Peter Commarmot (8,5%). Die Wahlbeteiligung lag bei für Ersatzwahlen bemerkenswerten 45,1%.

Nach dem ersten Wahlgang vom 27. September wurde Wernli aus der SP-Ortssektion Windisch ausgeschlossen, wogegen er Rekurs einlegte. Die Ersatzwahl geriet immer mehr zur Schlammschlacht, als vertrauliche Informationen über Wernlis Lohnbezüge an die Öffentlichkeit gelangten. Dem Bezirkslehrer wurde vorgeworfen, dass er ein volles Jahresgehalt kassiere, obwohl er wegen seines Amtes als Grossratspräsident zum Teil von seinen schulmeisterlichen Pflichten dispensiert worden war. Ob dem persönlichen Hickhack drohte die politische Dimension der Wahl gänzlich unterzugehen. Am 29. November wurde Wernli bei einer angesichts des turbulent verlaufenden Wahlkampfes relativ tiefen Beteiligung von 37,2% mit fast doppelt so vielen Stimmen wie Padrutt zum Nachfolger von Silvio Bircher gewählt. Nach Leseart der unterlegenen SP bedeutete dies das Ende der Konkordanzdemokratie im Kanton Aargau; die SP würde ab sofort ihre kompromissbereite Haltung aufgeben und wieder in der Opposition politisieren. Seit 1932 war die SP stets mit einem Parteivertreter an der Macht beteiligt gewesen. Damit setzt sich die Aargauer Regierung neu aus 2 FDP, 1 CVP, 1 SVP und einem Parteilosen zusammen. Zwei Tage nach der Wahl lehnte die SP-Geschäftsleitung Wernlis Rekurs gegen seinen Parteiausschluss durch seine ehemalige Heimatsektion Windisch ab und bestätigte einstimmig dessen Parteiausschluss.

Ersatzwahl Regierungsrat Aargau 1998
Dossier: Kantonale Wahlen - Aargau
Dossier: Kantonale Regierungswahlen 1998