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Akteure

  • Birrer-Heimo, Prisca (sp/ps, LU) NR/CN
  • Bourgeois, Jacques (fdp/plr, FR) NR/CN

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  • Gerichtsverfahren
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Ende 2017 lancierte die Krankenkasse Helsana eine App mit dem Namen Helsana+, mit der man für verschiedene sportliche, aber auch soziale Aktivitäten wie Joggen, Fitnesstraining oder Vereinsmitgliedschaften Rabatte in der Zusatzversicherung bis CHF 300 sowie in der Grundversicherung bis CHF 75 erhält. Ähnliche Bonusprogramme für die Zusatzversicherungen gäbe es zwar schon länger, neu sei aber das entsprechende Angebot für die Grundversicherung, berichteten die Medien. Dieser Aspekt löste in der Presse breite Diskussionen aus. Mit dieser App eröffne die Helsana die «Jagd nach besten Risiken» erneut, empörte sich etwa Lukas Bäumle vom Seniorenrat. Die Belohnung von jungen, gesunden Personen diskriminiere die körperlich beeinträchtigten oder betagten Personen und führe zu einer neuen Art der Risikoselektion, pflichtete ihm Marianne Streiff-Feller (evp, BE) bei und auch Karl Vogler (csp, OW) und Gesundheitsminister Berset kritisierten, dass die App dem Solidaritätsgedanken der OKP wiederspreche und die Chancengleichheit verletze. Geteilt wurde die Kritik auch von verschiedenen Organisationen aus Konsumenten- und Patientenschutz und Pflege, Behindertenorganisationen sowie Gewerkschaften in einem Positionspapier. Sie verwiesen zudem auf technisch nicht versierte oder auf ihre Privatsphäre bedachte Personen, die ebenfalls diskriminiert würden.
Doch nicht nur wegen möglicher Diskriminierung wurde die App kritisiert, sondern auch wegen dem Datenschutz. Gesundheitsdaten gelten gemäss Datenschutzgesetz als besonders schützenswerte Daten. Die Helsana erhalte nun dank der App viele persönliche Informationen und Gesundheitsdaten, wie die Informationen aus Fitnesstrackern, Fotos der Versicherten oder Angaben über Vereinsmitgliedschaften, berichtete die Presse. Zudem sammle und verkaufe die App gemäss der Stiftung Konsumentenschutz Unmengen von Daten im Hintergrund. Zwar erklärte die Helsana, keine heiklen Daten zu speichern und die Informationen nicht weiterzugeben, jedoch gewährten die AGB der Versicherung gemäss Konsumentenschutz sehr viel weiterreichende Möglichkeiten – unter anderem eine stillschweigende Änderung der Nutzungsart.
Auf Kritik stiess die App auch in der Bevölkerung. So zeigte eine Befragung von 3'055 Personen durch die Forschungsstelle Sotomo, dass eine Mehrheit der Bevölkerung verhaltensabhängige Krankenkassenprämien ablehnt. Entsprechend trafen sowohl eine Prämiensenkung für Achtsame (56%) sowie eine Prämienerhöhung für Unachtsame (60%) bei den Befragten insgesamt auf Ablehnung. Eine Umfrage der Stiftung für Konsumentenschutz verdeutlichte zudem, dass das Bonusprogramm der Helsana auch in der Branche selbst auf Kritik stiess. 6 von 15 grossen Krankenkassen gaben ausdrücklich an, Rabattsysteme in der Grundversicherung abzulehnen.

In der Folge reichten Karl Vogler (Ip. 18.3373), Marianne Streiff-Feller (Ip. 18.3282) und Prisca Birrer-Heimo (sp, LU; Ip. 18.3354) Interpellationen zu diesem Thema im Nationalrat ein. Darin fragten sie den Bundesrat, ob er auch der Meinung sei, dass solche Bonusprogramme dem Solidaritätsgedanken zuwiderlaufen würden, ob solche Programme gemäss KVG zulässig seien und welche gesetzlichen Massnahmen nötig seien, um solche Programme zu verhindern. Der Bundesrat verwies darauf, dass eine Ungleichbehandlung von Versicherten, Prämienrabatte für gesundes Verhalten sowie eine Zweckentfremdung der Prämiengelder in der Grundversicherung bereits jetzt unzulässig seien, weshalb er keine gesetzlichen Massnahmen als nötig erachte. Die Helsana verwende aber für ihr Rabattprogramm nur Gelder aus der Zusatzversicherung, nicht aus der Grundversicherung. Hingegen kritisierte der Bundesrat denselben Punkt, welcher im April 2018 bereits der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB), Adrian Lobsiger, angesprochen hatte. Diesem missfiel insbesondere der Zugriff der Zusatzversicherung der Helsana auf Daten der Grundversicherung, welchem die Versicherten für den Erhalt der Boni zustimmen müssten. Dies verstosse gegen das Datenschutzgesetz, da die Datenverarbeitung in den Sozialversicherungen einer gesetzlichen Grundlage unterliegen müssten, betonte er. Die Helsana erachtete die freiwillige Zustimmung der Individuen hingegen als «ausreichende rechtliche Grundlage»; zudem sei man damit nicht dem KVG unterworfen, weil die Prämien aus freien Mitteln der Versicherung, nicht aus den Geldern der OKP bezahlt würden.
Nachdem die Helsana der Aufforderung Lobsigers, das Bonusprogramm auf die Zusatzversicherung zu beschränken, nicht nachgekommen war, gelangte dieser vor das Bundesverwaltungsgericht, das nun entscheiden musste, ob «die Vergütungen das Prinzip des diskriminierungsfreien Zugangs zur Grundversicherung unterlaufe», wie es der Tagesanzeiger formulierte. Nicht Sache des Gerichtsverfahrens waren hingegen die Menge und die Verwendung der durch die App gesammelten Daten. Das Bundesverwaltungsgericht stützte Lobsigers Einschätzung teilweise. Es entschied, dass eine Einwilligung zur Weitergabe der Daten nur über die App nicht ausreiche und die Helsana die unrechtmässig beschafften Daten löschen müsse. Diesen Aspekt habe die Helsana aber bereits nach der Beschwerde des Datenschützers geändert, mittlerweile erfolge die Einwilligung bereits nach den gesetzlichen Vorgaben, berichteten die Medien. Offen liess das Gericht die Frage, ob das Bonusprogramm einer versteckten Prämienverbilligung gleichkomme und damit gegen das KVG verstosse.

Apps Krankenversicherer

Für die einen verursachen Kirchenglocken einen melodiösen Klang mit kultureller Bedeutung, für die anderen lediglich Glockenlärm, der sie um den wohlverdienten Schlaf bringt. Unter Berufung auf eine ETH-Studie aus dem Jahr 2011, die aufgezeigt hatte, dass bereits bei Glockenklängen von geringer Lautstärke mit Schlafstörungen zu rechnen sei, klagte ein Wädenswiler Ehepaar beim Zürcher Verwaltungsgericht gegen das viertelstündliche nächtliche Kirchengeläut und bekam Recht: Gemäss dem Urteil des Verwaltungsgerichts hätten die Kirchenglocken in Wädenswil deswegen nur noch stündlich läuten dürfen.
Wie vielen traditionsbewussten Bürgern der Schlaf geraubt wurde, weil sie sich über die Kläger aufregten, ist nicht bekannt, aber mit Sicherheit waren es einige. Denn der Glockenlärmstreit entpuppte sich nicht lediglich als eine einfache Meinungsverschiedenheit, sondern eher als Kulturkampf, als Kritik am universitären Elfenbeinturm und als Appell für die Rechte der Tiere: Sukkuriert von einer Petition mit 2000 empörten Unterzeichnenden zogen die Kirchgemeinde und der Stadtrat das Urteil weiter ans Bundesgericht, das sein Urteil zum ersten Mal im Wissen um die ETH-Studie fällen musste. Vor Erscheinen der Studie hatten die Richter in Lausanne geurteilt, dass ein öffentliches Interesse an der Aufrechterhaltung der viertelstündlichen Glockenschlag-Tradition bestehe. Gemäss NZZ in «negative Schwingungen» versetzt worden war auch SVP-Präsident Albert Rösti, der an einer Delegiertenversammlung zur Dekoration verschiedener Persönlichkeiten den Zerfall der eidgenössischen Werte beklagte. Denn aufgrund der ETH-Studie hatte sein Heimatkanton im Sommer 2016 der Gemeinde Worb (BE) den viertelstündlichen Glockenschlag untersagt. Den Ärger der Bevölkerung hatte auch eine Holländerin in der aargauischen Gemeinde Gipf-Oberfrick im Jahr 2015 zu spüren bekommen, als ihr aufgrund ihrer Immissionsklage gegen das Kirchengeläut die Einbürgerung verwehrt worden war. Ebendiese Person gründete zudem eine Protestbewegung zur Befreiung der Kühe von Kuhglocken und konnte sich auch dabei auf eine ETH-Studie (2014) berufen, die folgerte, dass durch das Gewicht und den Lärm die Gesundheit der Tiere beeinträchtigt werde. Dies wiederum versetzte dann Nationalrat und Bauernverbandsvizepräsident Jacques Bourgeois (fdp, FR) in Rage, was ihn zum Einreichen einer Interpellation bewog, in der er den Bundesrat fragte, wie die Regierung gedenke, solche wissenschaftlichen «Auswüchse» zu verhindern und sicherzustellen, dass öffentliche Gelder «gut eingesetzt werden» (Ip. 14.3907).
Das Bundesgericht blieb auch in seinem jüngsten Urteil im Dezember 2017 bei seiner Meinung. Es rechnete vor, dass der Verzicht auf den Viertelstundentakt die Aufwachreaktionen (bei gekipptem Fenster) pro Nacht von 2 auf 1,5 reduzieren würde. Diese minimale Verbesserung stünde in keinem Verhältnis zum öffentlichen Interesse und ein entsprechendes Urteil würde einen starken Einschnitt in die Gemeindeautonomie bedeuten in einem Bereich, in dem der Bund keine Lärmgrenzwerte festgelegt habe. Beim Glockenstreit gehe es letztendlich darum, «ob die eigenen Ansprüche und Empfindlichkeiten wirklich immer als wichtiger zu gelten haben und ob alles, was einen stört, zu verbieten ist», sinnierte die Weltwoche als Reaktion auf das Bundesgerichtsurteil.

Glockenlärm