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  • Carobbio Guscetti, Marina (sp/ps, TI) SR/CE
  • Hess, Erich (svp/udc, BE) NR/CN

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In der Wintersession 2022 entschied der Nationalrat in der Differenzbereinigung stillschweigend, dem Entschied des Ständerats bezüglich der finanziellen Unterstützung von Kantonen mit Ausreisezentren an der Landesgrenze in Ausnahmesituationen zu folgen. Somit revidierte der Nationalrat seinen vorherigen Entscheid gegen die Festhaltung von Unter-15-Jährigen in Ausreisezentren und kehrte zur Fassung des Bundesrats zurück. Dies, da er unter anderem darauf verzichten wollte, Familien im Rahmen der kurzen Festhaltung zu trennen und er die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Ausreisezentren als zumutbar erachtete. In den Schlussabstimmungen nahm der Ständerat den Gesetzesentwurf einstimmig an, während in der grossen Kammer lediglich SVP-Nationalrat Erich Hess (svp, BE) gegen den Entwurf stimmte.

Finanzielle Unterstützung von Kantonen mit Ausreisezentren an der Grenze (BRG 22.044)

In der Wintersession 2022 stimmte der Nationalrat mit 132 zu 49 Stimmen (bei 1 Enthaltung) der Motion Carobbio Guscetti (sp, TI) zur «Durchsetzung der Massnahmen der Istanbul-Konvention auch für Menschen mit Behinderungen» zu. Damit ist der Bundesrat beauftragt, in Kooperation mit Vereinigungen für Menschen mit Behinderungen Programme und Informationskampagnen zu entwickeln, um Personen mit Behinderungen vor häuslicher und geschlechtsbezogener Gewalt zu schützen. Eine Minderheit Haab (svp, ZH) forderte, ebenso wie der Bundesrat, die Ablehnung der Motion «im Sinne der Effizienz», da bereits mehrere Vorstösse zu diesem Thema hängig seien (Mo. 21.4418; Mo. 22.3011). In der grossen Kammer stellte sich jedoch lediglich die geschlossen stimmende SVP-Fraktion gegen den Vorstoss. Somit war es nun am Bundesrat, entsprechende Regelungen auszuarbeiten.

Die Massnahmen der Istanbul-Konvention sollen auch für Menschen mit Behinderungen gelten (Mo. 22.3233)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Die FK-SR zeigte sich mit den meisten Entscheidungen des Nationalrats zum Voranschlag 2023 einverstanden und beantragte selbst kaum Änderungen. Kommissionssprecherin Johanna Gapany (fdp, FR) erläuterte, dass die ständerätliche Kommission ebenfalls Änderungen bei der Absatzförderung für Schweizer Wein, bei den einheimischen Nutztierrassen und beim Herdenschutz vorgesehen hätte. Da der Nationalrat die entsprechenden Erhöhungen jedoch bereits selbst vorgenommen hatte, folgte der Ständerat auf Antrag seiner Kommission diesbezüglich stillschweigend der Version des Erstrats.

Differenzen schuf die kleine Kammer hingegen bei den beiden nationalrätlichen Änderungen zu den Krediten des BASPO sowie beim Kredit für Kinderschutz/Kinderrechte. Johanna Gapany erklärte, man teile zwar das inhaltliche Ziel des Nationalrats, die Ethik im Sport zu verbessern, lehne aber eine Aufstockung des Kredits für Swiss Sport Integrity ab, solange man nicht mehr Informationen zur Verwendung der Mittel habe. Eine Minderheit Carobbio Guscetti (sp, TI) wollte dennoch dem Nationalrat folgen und den Kredit erhöhen, damit die zahlreichen Anfragen, welche die Meldestelle bisher erreicht hätten, bearbeitet werden könnten. Mit 23 zu 18 Stimmen folgte der Ständerat jedoch seiner Kommissionsmehrheit und schuf somit eine erste Differenz zum Erstrat. Eine weitere Differenz folgte beim Kredit für die Staffel-Weltmeisterschaften 2024, dessen Erhöhung der Ständerat stillschweigend ablehnte, nachdem Finanzminister Maurer erläutert hatte, dass die Weltmeisterschaften in der Zwischenzeit an die Bahamas vergeben worden seien. Schliesslich beantragte die Kommissionsmehrheit, dem Nationalrat bei der Festschreibung der Verwendung der Mittel für Kinderrechte und Kinderschutz für eine Übergangslösung beizupflichten. Der Ständerat folgte jedoch einer Minderheit Knecht (svp, AG), welche argumentierte, dass man diese Mittel erst für den geplanten Zweck reservieren solle, wenn die rechtliche Grundlage für die Ombudsstelle geschaffen worden sei.

Verschiedene Kommissionsminderheiten beantragten weitere Änderungen, vor allem bei den Planungsgrössen. So verlangte etwa eine Minderheit Herzog (sp, BS), dass das Bundesarchiv zukünftig an vier statt drei Wochentagen physisch offen ist, unterlag jedoch knapp mit 21 zu 20 Stimmen. Eine Minderheit Français (fdp, VD) wollte die Kredite für die generelle Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern des Ostens, für die wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit mit ebendiesen Ländern sowie die Investitionsbeiträge für alle Entwicklungsländer erhöhen und/oder der zivilen Hilfe an die Ukraine zukommen lassen. Damit sollte der Wiederaufbau der zivilen Infrastruktur in der Ukraine insbesondere im Hinblick auf den Winter vorangetrieben werden. Kommissionssprecherin Gapany lehnte diese Anträge im Namen der Kommissionsmehrheit ab, zumal die entsprechenden Kredite bereits zugunsten anderer Länder eingeplant seien. Und obwohl auch Finanzminister Maurer auf Winterhilfs-Kredite im Rahmen des Nachtrags II zum Voranschlag 2022 mit demselben Zweck hinwies, nahm der Ständerat die Erhöhung bei der Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern des Ostens sowie bei den Investitionsbeiträgen für die Entwicklungsländer, nicht aber bei der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern des Ostens, an.
Schliesslich lag ein Einzelantrag Noser (fdp, ZH) auf Streichung der nationalrätlichen Rahmenbedingung zur Kreditvergabe für die Versorgungssicherheitsbeiträge bei den landwirtschaftlichen Direktzahlungen für das Jahr 2023 vor. Der Bundesrat hatte in seiner Botschaft vorgeschlagen, diese Versorgungssicherheitsbeiträge zugunsten anderer Formen der Direktzahlungen zu kürzen, worauf der Nationalrat jedoch verzichten wollte. Der Antragssteller befürchtete nun, dass das nationalrätliche Festhalten an der Höhe der Versorgungssicherheitsbeiträge die Umsetzung der parlamentarischen Initiative 19.475 für eine Risikoreduktion beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gefährde. Mit 26 zu 15 Stimmen (bei 1 Enthaltung) hiess der Ständerat den Minderheitsantrag Noser gut und schuf somit eine weitere Differenz zum Nationalrat.

In der Folge nahm der Ständerat den Voranschlag 2023 sowie die Bundesbeschlüsse über die Entnahmen aus dem Bahninfrastrukturfonds für das Jahr 2023 und über die Entnahmen aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds für das Jahr 2023 in den Gesamtabstimmungen einstimmig an, ohne Gegenstimme (41 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung) hiess er auch die Planungsgrössen im Voranschlag für das Jahr 2023 gut.

Voranschlag 2023 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2024-2026 (BRG 22.041)
Dossier: Bundeshaushalt 2023: Voranschlag und Staatsrechnung

In der Wintersession 2022 beriet der Ständerat den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP. Die Initiative selbst sollte erst in einem zweiten Schritt beraten werden, um den Initiantinnen und Initianten die Möglichkeit zu geben, die Initiative in der Zwischenzeit zurückzuziehen. Erich Ettlin (mitte, OW) stellte dem Rat den Gegenvorschlag vor und betonte, dass der Bundesrat damit die Kantone in die Pflicht nehmen wolle – für den Bund würde die Vorlage denn auch keine neuen Verpflichtungen mit sich bringen. Bei den Kantonen, namentlich der FDK und der GDK, sei die Vorlage jedoch auf Widerstand gestossen; die FDK lehne Initiative und Gegenvorschlag ab, während die GDK «nur» Verbesserungen am Gegenvorschlag verlange. Die SGK-SR habe in der Folge einige Änderungen vorgenommen, sei bei ihrem Entwurf aber nahe an der bundesrätlichen Version geblieben. Zur Beratung dieser Details gelangte der Ständerat jedoch nicht. Zuvor hatte er einen Einzelantrag Würth (mitte, SG) auf Nichteintreten zu beraten. Bevor man über Verbesserungen am Gegenvorschlag diskutiere, solle man überlegen, «ob das geltende System wirklich revisionsbedürftig» sei, argumentierte Würth. Das aktuelle System sei im Rahmen der NFA geschaffen worden, wobei man den Kantonen bezüglich Prämienverbilligungen absichtlich viel Spielraum gelassen habe, zumal sie die sozialpolitische Situation – etwa alternative sozialpolitische Massnahmen, Einkommensverteilung, Gesundheitskosten und Prämienlast – am besten kennen würden. Wolle man die Regeln zur IPV erneut ändern, solle man das durch eine Entflechtung der Aufgaben von Bund und Kantonen tun, nicht durch eine noch stärkere Verflechtung, wie sie der Gegenvorschlag beinhalte. Zudem seien die Kantonsbeiträge aufgrund der Finanzkrise zwar deutlich gesunken, in den letzten Jahren aber wieder angestiegen. Auch Jakob Stark (svp, TG) zeigte sich vom Gegenvorschlag des Nationalrats nicht begeistert, er erachtete diesen als «dirigistisch-zentralistische Lösung [...], die den Kantonen den Spielraum nimmt».
Für Eintreten sprachen sich hingegen Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) und Paul Rechsteiner (sp, SG) aus. Bei der Schaffung des KVG habe man das Versprechen gegeben, dass aufgrund der Prämienverbilligungen niemand mehr als 8 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien aufbringen müsse – quasi als «Korrektiv der Kopfprämien» (Rechsteiner). Durch die Änderung im Rahmen der NFA sei das System dysfunktional geworden, weil die Kantone keine Mindestbeiträge mehr leisten müssten. Heute liege der Anteil der Krankenkassenprämien bei durchschnittlich 14 Prozent des Einkommens, in Extremfällen gar bei 20 Prozent. Mit der Initiative und dem Gegenvorschlag wolle man nun zum damaligen System zurückkehren.
Gesundheitsminister Berset rief dem Rat den Kontext des Projekts in Erinnerung, nämlich die Initiative, «[qui] aurait des conséquences financières assez importantes pour la Confédération», die also bei Annahme grosse finanzielle Auswirkungen für den Bund hätte. In den letzten Jahren seien die Beiträge der Kantone an die Prämienverbilligungen – wie von der Initiative kritisiert – stark auseinandergegangen, daher sei es nötig, hier wieder für mehr Konvergenz zu sorgen.
Mit 22 zu 20 Stimmen sprach sich der Ständerat jedoch gegen Eintreten aus. Geschlossen für Eintreten stimmten die Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktion, gespalten zeigte sich die Mitte-Fraktion. Geschlossen oder fast geschlossen gegen Eintreten votierten die Mitglieder der SVP- und der FDP-Fraktion.

Eidgenössische Volksinitiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» und indirekter Gegenvorschlag (BRG 21.063)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Prämienverbilligung
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

2. November 2022: Der Rücktritt von Simonetta Sommaruga

Am 25. Oktober, also kurz nachdem die fünf Kandidierenden der SVP offizialisiert waren, gab Simonetta Sommaruga via den Departementssprechenden bekannt, dass sie ihre Regierungstätigkeit temporär unterbrechen müsse, da ihr Ehemann Lukas Hartmann hospitalisiert worden sei. Dies war dann auch die Ursache für die wenige Tage später sehr überraschend erfolgende Rücktrittsankündigung der amtierenden Energie- und Verkehrsministerin: Am 2. November gab Simonetta Sommaruga ihren auch für sie persönlich abrupten Rücktritt auf Ende Jahr bekannt, weil der Hirnschlag ihres Mannes für sie ein schwerer Schock gewesen sei und gezeigt habe, dass sie die Schwerpunkte in ihrem Leben anders setzen wolle. Den Tränen nahe beteuerte die Bernerin, dass sie gerne Bundesrätin gewesen sei und eigentlich geplant habe, dies auch noch eine Weile zu bleiben. So ein Schicksalsschlag stimme aber nachdenklich und verschiebe die Prioritäten. Die 2010 in den Bundesrat gewählte Simonetta Sommaruga war zuerst Justizministerin bevor sie 2019 das UVEK übernommen hatte.

In den Medien wurde die SP-Magistratin als populäre Bundesrätin gewürdigt, die allerdings häufig Abstimmungsniederlagen in Kauf habe nehmen müssen (Le Temps) – die Schlimmste darunter sei wohl das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative der SVP gewesen. Im Zentrum ihrer Arbeit hätten stets die Menschen gestanden, urteilte der Blick. Die NZZ bezeichnete sie als «clever» und «beharrlich» mit einem «Hang zur Perfektion», der ihre Auftritte auch «angestrengt und belehrend» habe wirken lassen. Sie habe aber für eine SP-Bundesrätin auch dank «stoischer Beharrlichkeit» letztlich überraschend viele Vorlagen durch das Parlament gebracht. Die Aargauer Zeitung würdigte Simonetta Sommaruga als «Mensch gewordenes Verantwortungsgefühl», als «Bundesrätin, die niemals die Kontrolle verlieren will». Alle ausser der SVP hätten sie geliebt, titelte La Liberté. Die WoZ erinnerte angesichts der Betroffenheit, die Simonetta Sommaruga bei ihrer Rücktrittsmedienkonferenz ausgelöst hatte, daran, dass die Magistratin seit ihrer Wahl in den Bundesrat immer wieder von Teilen der Medien und der SVP angegriffen worden sei: «An der Bernerin offenbarte sich die Verunsicherung rechter Männer vor linken, machtbewussten Frauen», so die WoZ. In der Tat warf etwa Roger Köppel (svp, ZH) der Magistratin nach ihrem auch für den Bundesrat und ihre Partei überraschenden Rücktritt in der Weltwoche Parteikalkül und «Flucht» vor, weil sie schon lange «ermattet und ermüdet» sei. Dies stiess in vielen Medien freilich auf Kritik, da der Entscheid private Gründe habe und Respekt verdiene, so etwa der Tages-Anzeiger. Allerdings kommentierte die NZZ, dass der Rücktritt zwar verständlich sei, in Anbetracht der schwierigen Lage hinsichtlich Energieversorgung aber zur Unzeit komme. Ihre Nachfolgerin oder ihr Nachfolger müsse nun innert kürzester Zeit «eine der schwersten Krisen für die Schweiz seit Jahrzehnten» meistern.

Auch bei der SP begann das von den Medien in Schwung gehaltene Kandidierendenkarussell noch am Tag der Demission von Simonetta Sommaruga zu drehen. Daran beteiligte sich freilich auch aktiv die Parteispitze, die unmittelbar ankündigte, dass die SP ein reines Frauenticket präsentieren werde, wobei egal sei, aus welcher Sprachregion die Kandidatinnen stammten. Da die SP mit Alain Berset bereits einen Mann in der Bundesregierung habe und den Grundsatz der Geschlechterparität pflegen wolle, sei ein reines Frauenticket angezeigt, so die Begründung des SP-Co-Präsidiums aus Mattea Meyer (sp, ZH) und Cédric Wermuth (sp, AG). In den Medien wurden entsprechend schnell Favoritinnen ernannt: Sehr häufig fielen dabei die Namen der Ständerätin Eva Herzog (sp, BL), der Nationalrätinnen Flavia Wasserfallen (sp, BE) und Nadine Masshardt (sp, BE) sowie der Regierungsrätinnen Jacqueline Fehr (ZH, sp) oder Evi Allemann (BE, sp). Obwohl sich vor allem die Westschweizer Medien nur geringe Chancen für eine Kandidatur aus der Westschweiz ausrechneten (beispielsweise Le Temps), da in diesem Fall vier nicht deutschsprachige Personen im Bundesrat sitzen würden – zwei davon für die SP –, fielen auch die Namen der Regierungsrätinnen Rebecca Ruiz (VD, sp) und Nuria Gorrite (VD, sp) sowie der Ständerätinnen Marina Carobbio (sp, TI) und Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU). Co-Präsidentin Mattea Meyer (sp, ZH) gab hingegen sofort bekannt, nicht zur Verfügung zu stehen.

Die in den Medien als vorschnell kritisierte Ankündigung der Parteispitze, ein reines Frauenticket präsentieren zu wollen, gab Raum für weitere Spekulationen. Ständerat Daniel Jositsch (sp, ZH) etwa wurden laut Medien schon lange Bundesratsambitionen nachgesagt. Diese würden freilich stark geschmälert, wenn eine Deutschschweizer SP-Frau Simonetta Sommaruga beerben würde, weil für eine allfällige spätere Nachfolge von Alain Berset dann wohl Westschweizer Männer im Vordergrund stehen würden. Auch Regierungsrat Beat Jans (BS, sp) und die Nationalräte Matthias Aebischer (sp, BE) oder Jon Pult (sp, GR) dürften ob der Ankündigung «frustriert» sein, mutmasste La Liberté. Für den Westschweizer Nationalrat Pierre-Yves Maillard (sp, VD) sei der Fokus auf eine (Deutschschweizer) Frau hingegen eine gute Nachricht, mutmasste der Tages-Anzeiger wiederum im Hinblick auf eine Nachfolge von Alain Berset. Zu den eigentlichen Verliererinnen der SP-Strategie gehörten neben den Deutschschweizer Männern aber auch die Westschweizer Frauen, die sich eine Kandidatur eher zweimal überlegen dürften, analysierte 24Heures. Einerseits seien die Chancen gering, dass das Parlament eine vierte romanischsprachige Person in den Bundesrat wähle, und andererseits werde wohl bei einem Rücktritt von Alain Berset dann lediglich ein Männerticket aufgestellt.

Der SP blieben für die Kandidierendensuche nur wenige Tage. Sie setzte sich als Meldeschluss den 21. November, damit die Fraktion am 26. November ein Zweierticket nominieren konnte. Der Rücktritt Simonetta Sommarugas habe die Partei auf dem falschen Fuss erwischt, beurteilte der Blick die kurze Zeitspanne. Bevor sich die ersten Kandidierenden meldeten, kam es wie zuvor schon bei der SVP auch bei der SP zu einer Reihe von medial mehr oder weniger stark begleiteten Absagen. Ausser Mattea Meyer verzichteten neben den genannten Favoritinnen Jacqueline Fehr, Nadine Masshart, Rebecca Ruiz, Nuria Gorrite und Marina Carobbio auch die Nationalrätinnen Priska Seiler Graf (sp, ZH), Barbara Gysi (sp, SG), Edith Graf-Litscher (sp, TG), Yvonne Feri (sp, AG) und die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (ZH, sp) mit offiziellen Presseauftritten auf eine Kandidatur. Nach kurzer Bedenkzeit und grosser medialer Aufmerksamkeit verzichtete auch die ehemalige Aargauer Ständerätin Pascale Bruderer (AG, sp) auf eine Kandidatur. Sie war gar mittels Petition von mehreren Personen zu einer Kandidatur aufgefordert worden. Das habe sie sehr berührt, eine Rückkehr in die Politik sei aber für sie kein Thema. Auch die Absage von Flavia Wasserfallen war den Medien mehr als eine Kurzmeldung wert. Wie Esther Friedli (svp, SG) bei der SVP wollte sich die Bernerin auf die Ständeratswahlen 2023 konzentrieren und den Sitz des auf Ende Legislatur zurücktretenden Hans Stöckli (sp, BE) verteidigen.

Im Gegensatz zu Jon Pult, der den Entscheid der SP-Spitze für ein reines Frauenticket befürwortete und sich entsprechend nicht zur Verfügung stellte, wollte sich Daniel Jositsch nicht aus dem Rennen nehmen. Er erhielt dabei Zuspruch von bürgerlichen Parlamentarierinnen und Parlamentariern, die das Vorgehen der SP-Parteileitung in den Medien als «diktatorisch» (Alfred Heer, svp, ZH) bezeichneten oder kritisierten, dass es «mit Gleichberechtigung nicht mehr viel zu tun habe» (Josef Dittli, fdp, UR). Jositsch liess verlauten, dass er sich eine Kandidatur überlege, wenn die Fraktion auch Männer zulasse. Dafür werde er sich parteiintern einsetzen, weil er ein reines Frauenticket als «diskriminierend» erachte. Es handle sich um eine Einschränkung der Wahlfreiheit, die dem Passus in den Statuten der SVP nahekomme, der jedes Mitglied automatisch ausschliesse, wenn es eine Wahl annehme, ohne von der Partei nominiert worden zu sein. Seine damit offiziell angekündigte Kandidatur brachte dem Zürcher Ständerat zahlreiche negative Kommentare ein. Der am rechten Rand der SP politisierende Daniel Jositsch fordere seine eigene Partei heraus und schaffe sich damit zahlreiche Feinde, befand LeTemps. Die «Granate Jositsch explodierte im Gesicht der SP», titelte 24Heures: «Il est vieux, blanc, mâle et riche», also alles, was die neue Garde der SP im Moment «verabscheue», so die Westschweizer Zeitung. Der Tages-Anzeiger warf Jositsch vor, mit dem «unsäglichen Theater» Frauen zu brüskieren, solange diese in den verschiedenen politischen Gremien nach wie vor nicht angemessen vertreten seien. Er sei auf einem «Egotrip», überschätze sich völlig und zeige damit nachgerade auf, dass er eben nicht geeignet sei für ein Bundesratsamt, zitierte der Blick verschiedene SP-Stimmen. Er habe Goodwill verspielt und müsse für den «Hochseilakt ohne Netz» wohl noch büssen. Die WoZ kritisierte, dass nach «173 Jahren Patriarchat [...] ein Mann auch heute noch nicht glauben [will], dass der eigene Karriereverzicht ein Akt der Gleichstellung sein kann». Auch die Weltwoche schrieb von «Selbstdemontage». Allerdings erhielt Jositsch auch Unterstützung aus der eigenen Fraktion. Sich auf ein reines Frauenticket zu konzentrieren sei «demokratisch und strategisch ungeschickt», meldete sich etwa Nationalrätin Franziska Roth (sp, SO) im Blick zu Wort. Es brauche Wettbewerb zwischen Frauen und Männern und keine Reduktion der Kandidierenden auf ihr Geschlecht. Roberto Zanetti (sp, SO) kritisierte vor allem die Parteileitung: «Ich mag es nicht, wenn man mir vorschreibt, wie ich mir meine Gedanken machen soll», so der Ständerat, der in der Folge ein Dreierticket vorschlug. Die Frage werde fraktionsintern wohl noch zu reden geben, vermutete der Blick. Die Fraktion selber versuchte etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie verkündete, den Vorschlag der Parteispitze für ein reines Frauenticket bzw. den Antrag von Jositsch auf ein gemischtes Ticket an ihrer Fraktionssitzung am 18. November zu diskutieren. Es sei der Verdienst von Jositsch, dass das Thema offen diskutiert werde, urteilte die NZZ. Er verdiene auch deshalb einen «fairen Prozess».

Nach der Kandidatur von Jositsch verging einige Zeit, bis die ersten Kandidatinnen ihre Bewerbung einreichten. Die erste Frau, die sich schliesslich am 10. November mit einer Kandidatur meldete, war Evi Allemann. Damit habe es die SP «geschafft, eine junge Mutter ins Rennen zu schicken [... und] mit einer Art Sanna Marin [...] für frischen Wind [zu] sorgen» (die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin war jüngste Ministerpräsidentin weltweit und bei ihrem Amtsantritt Mutter einer einjährigen Tochter). Die ehemalige Nationalrätin und seit 2018 Berner Regierungsrätin – und Mutter zweier Kinder im Alter von elf und sieben Jahren, wie sogleich in allen Medien berichtet wurde – habe allerdings national kaum Schlagzeilen gemacht, zudem könnte es ein Nachteil sein, dass sie seit fünf Jahren nicht mehr im nationalen Parlament sitze, mutmasste der Blick. Allemann sei nicht die Wunschkandidatin der SP gewesen, wusste 24Heures. Sie habe nicht das Charisma von Flavia Wasserfallen, die in Bundesbern wesentlich häufiger als Favoritin genannt worden sei. Die Kandidatur von Evi Allemann, die eine Bilderbuchkarriere ohne Kanten aufweise und bereits mit 20 Jahren in den Berner Grossen Rat gewählt worden war – 1998 war sie die jüngste Kantonsparlamentarierin der Schweiz – und 2003 den Sprung in den Nationalrat geschafft hatte, habe aber ein grosses «ouf de soulagement» bei der Parteileitung ausgelöst, so 24Heures weiter. Evi Allemann sei auch in bürgerlichen Kreisen beliebt und zeichne sich durch Pragmatismus aus. Sie habe zudem auf Anhieb jedes politische Mandat erhalten, das sie angestrebt habe, so der Tages-Anzeiger. Dass sie nicht mehr in Bundesbern sei, sei für die ehemalige VCS-Präsidentin allerdings ein Handicap, urteilte auch die NZZ.

Als klare Favoritin wurde in den Medien freilich Eva Herzog gehandelt, die tags darauf ihre Kandidatur bekannt gab. «Eva Herzog est la Albert Rösti du Parti socialiste» – sie sei die mit Abstand am häufigsten genannte Favoritin –, berichtete etwa Le Temps über die Kandidatur der Basler Ständerätin. Sie könne einige Trümpfe aufweisen, wie etwa ihre 19-jährige Erfahrung als Finanzvorsteherin des Kantons Basel-Stadt und ihre Ständeratskarriere seit 2019. Ihre gescheiterte Bundesratskandidatur im Jahr 2010, als sie von der Fraktion für die Nachfolge von Moritz Leuenberger nicht aufs Ticket gesetzt worden war, sei zudem ebenfalls kein Nachteil. Schliesslich sei der Kanton Basel-Stadt seit 1973 nicht mehr im Bundesrat vertreten gewesen. Dies sei auch ein Vorteil gegenüber der Bernerin Evi Allemann, waren sich die meisten Medien einig. Auch der Blick machte Eva Herzog zusammen mit Albert Rösti sogleich zum «Favoriten-Duo» und betonte «die Lust aufs Amt und den Gestaltungswillen», den die Baslerin versprühe. Als Nachteil bezeichnete 24Heures das fehlende Charisma von Eva Herzog. Sie sei «un peu cassante», wirke häufig ein wenig spröde.

Einen weiteren Tag später warf die vierte Kandidatin der SP ihren Hut in den Ring. «Elisabeth Wer?», titelte die WoZ in Anspielung auf die zumindest in der Deutschschweiz geringe Bekanntheit von Elisabeth Baume-Schneider, die ähnlich wie Eva Herzog seit 2019 im Ständerat sitzt und vorher während 13 Jahren im Kanton Jura als Regierungsrätin das Bildungsdepartement geleitet hatte. Ebendiese Unbekanntheit sei das grosse Manko der Kandidatin aus der Romandie, waren sich zahlreiche (Deutschschweizer) Medien einig. Auch wenn von der SP-Parteileitung explizit auch Frauen aus der lateinischen Schweiz zu einer Kandidatur aufgefordert worden seien, werde die Vereinigte Bundesversammlung kaum eine Mehrheit von nicht-deutschsprachigen Personen im Bundesrat goutieren, prognostizierte Le Temps – auch wenn Elisabeth Baume-Schneider bilingue ist, ihr Vater ist Deutschschweizer. Dass die Jurassierin «rien à perdre» habe, könne ihr aber auch zum Vorteil gereichen. Die Chancen seien «mince, mais pas nulles», hoffte Le Quotidien Jurassien. Es könnte sich gar für die Zukunft lohnen, den bisher noch nie im Bundesrat repräsentierten peripheren Kanton Jura bekannter zu machen, befand Le Temps mit Blick auf eine mögliche Wahl bei einem Rücktritt von Alain Berset. Für den Kanton sei dies «une belle publicité», so Le Temps. Zudem habe die ehemalige Regierungsrätin im Jura viel Rückhalt, so die Westschweizer Zeitung weiter. In der Tat gab der jurassische Regierungsrat ihre Kandidatur gar in einem Communiqué bekannt und stellte sich mit der Ankündigung, sie könne den Röstigraben verkleinern, öffentlich hinter seine ehemalige Kollegin. In den Medien wurde zudem Elisabeth Baume-Schneiders Nähe zur Landwirtschaft betont. Thema war freilich auch ihr Alter, das als «Handicap» gewertet wurde, weil sich die SP eine jüngere Frau wünsche, so der Blick. Die 58-jährige Ständerätin aus dem Kanton Jura gab zudem in Interviews zu Protokoll, dass sie sich mit 65 Jahren pensionieren lassen wolle. Sie betrachte sich deshalb als «conseillère fédérale de transition», so ihre Aussage in 24Heures. Eva Herzog bleibe aber auch deshalb Favoritin, weil die Jurassierin eher am linken Rand der SP politisiere und das Parlament deshalb weniger gut von sich überzeugen könne als die eher am rechten Rand der SP einzuschätzende Eva Herzog, so der Blick weiter. 24Heures befand zudem, dass Elisabeth Baume-Schneider das grünste Profil der SP-Kandidierenden habe, was ihr allenfalls Stimmen von den Grünen einbringen könnte. Kaum zur Sprache kam hingegen, dass die Jurassierin in ihren Jugendjahren bei der Revolutionären Marxistischen Liga politisiert hatte, galt sie doch auch in bürgerlichen Kreisen als «sehr konziliant». In Interviews gaben Ständerätinnen und Ständeräte aus allen Lagern etwa der Aargauer Zeitung zu Protokoll, sie sei «lösungsorientiert, ohne den grossen Auftritt zu suchen», «verlässlich und kollegial», «seriös, aber nicht verbissen» und sie strahle eine «positive Leichtigkeit» aus. Hingegen wurde das Thema Mutterschaft auch bei der Kandidatin aus dem Kanton Jura diskutiert: Der Blick wusste zu berichten, dass Elisabeth Baume-Schneider zwar nicht mehr das Profil der jungen Mutter habe, wie dies von der SP gewünscht werde, sie habe aber bereits im Jahr 2000 landesweit für Schlagzeilen gesorgt, weil sie damals als Parlamentspräsidentin ihr Baby an eine Sitzung im Jurassischen Parlament mitgenommen habe. Die Frage, ob ein Exekutivamt mit Kindern möglich sei, sei für Elisabeth Baume-Schneider deshalb ein «Déjà-vu». Die Sanna Marin, die die SP heute im Bundesrat haben wolle, sei die zweifache Mutter Elisabeth Baume-Schneider schon vor 20 Jahren gewesen, bemühte die Aargauer Zeitung den Vergleich mit der finnischen Präsidentin ein weiteres Mal.

Bevor die SP über die Nominierung entschied, stand die mit einiger Spannung erwartete Lösung der «Frage Jositsch» an. In den Medien hatte der Wind in der Zwischenzeit etwas gedreht und die SP wurde für ihr mangelndes strategisches Geschick kritisiert. Dass sofort kommuniziert worden sei, nur auf Frauen zu setzen, habe die Partei unnötigen Spannungen ausgesetzt, war in zahlreichen Medien zu lesen. In der Zwischenzeit hatte sich zudem die «Reformplattform», ein loser Zusammenschluss moderat-zentristischer Kräfte der SP, hinter Jositsch gestellt. Im Hinblick auf die eidgenössichen Wahlen 2023 habe die SP aber wohl keine andere Wahl, als mit einer Frau und einem Mann im Bundesrat vertreten zu sein, was nur ein reines Frauenticket garantiere, ergänzte der Tages-Anzeiger. Als Gleichstellungspartei sei sie sonst nicht glaubwürdig. Alles andere wäre denn auch «politisches Harakiri», urteilte auch die Republik. Denn würde Jositsch auf dem Ticket stehen, würde er «mit hoher Wahrscheinlichkeit» gewählt, was dem mächtigen «Momentum von feministischer Politik» völlig zuwiderlaufen und Proteste auslösen würde. Auch der 80-köpfige Parteirat, eine Art Parlament innerhalb der Partei, stärkte der Parteileitung den Rücken und sprach sich einstimmig für ein reines Frauenticket aus. Die diese Frage letztlich entscheidende Fraktion selber tagte dann am 18. November und sprach sich laut ihrem Chef Roger Nordmann (sp, VD) klar mit 37 zu 6 Stimmen (2 Enthaltungen) dafür aus, nur Frauen zu nominieren. Daniel Jositsch habe sich eloquent verteidigt, respektiere aber das Urteil, so Nordmann weiter. Der Vorschlag für ein Dreierticket sei mit 26 zu 19 Stimmen abgelehnt worden. In einem kurzen Statement gab Daniel Jositsch im Anschluss an die Fraktionssitzung den Medien zu Protokoll, er verstehe den Entscheid, es gebe keine innerparteilichen Konflikte und er ziehe seine Kandidatur angesichts der exzellenten Kandidatinnen zurück. Die Diskussionen seien freilich nicht so glatt verlaufen, wie dies für die Presse dargestellt worden sei, wusste der Tages-Anzeiger zu berichten. Vor allem die Parteispitze habe sich von einigen Fraktionsmitgliedern harsche Kritik anhören müssen: Dass Mattea Meyer und Cédric Wermuth unmittelbar nach dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga eigenmächtig ein Frauenticket angekündigt hätten, zeuge von schlechtem Kommunikationsstil und mangelndem Vertrauen in die Fraktion, so die interne Kritik laut Tages-Anzeiger.

Spannend blieb in der Folge also die Frage, welche beiden Kandidatinnen von der Fraktion aufs Ticket gehievt werden. Im Vorfeld der entsprechenden Fraktionsentscheidung vom 26. November hatte die SP vier von ihr so benannte «öffentliche Hearings» in Luzern, Lausanne, Zürich und Liestal geplant, in denen die drei Kandidatinnen Red und Antwort stehen – und «mit dem personellen Spektakel etwas Werbung» für die Partei machen sollten, wie die NZZ vermutete. Alle vier Hearings verliefen ohne Überraschungen. Es gebe kaum Unterschiede in den Positionen der drei Kandidatinnen war die ziemlich einhellige Meinung der Medien, was das Rennen um die Plätze auf dem Ticket freilich nur spannender mache.

Die Entscheidung der SP-Fraktion, Eva Herzog und Elisabeth Baume-Schneider auf das Ticket zu setzen, sorgte dann doch bei vielen Beobachterinnen und Beobachtern für überraschte Gesichter und einige Kritik. Der Entscheid habe etwas Zufälliges, urteilten einige Medien gestützt auf den Wahlprozess in der Fraktion, über den medial berichtet wurde. In den ersten beiden Wahlgängen waren die Unterschiede jeweils knapp, einmal verfügte Elisabeth Baume-Schneider und einmal Evi Allemann über die meisten Stimmen. Erst im dritten Wahlgang, in dem keine Zweitstimmen mehr zugelassen waren, war das Ergebnis schliesslich klar genug: 24 Stimmen für Eva Herzog, 23 für Elisabeth Baume-Schneider und lediglich noch 14 für Evi Allemann, die also für viele Fraktionsmitglieder anscheinend jeweils zweite Wahl gewesen war. Ausgerechnet die in den letzten Wochen so breit diskutierte «junge Mutter» hatte es damit nicht auf das Ticket geschafft. Dies stiess bei zahlreichen Beobachterinnen und Beobachtern auf Kritik. Die Sonntagszeitung wusste zu berichten, dass es in der Fraktion zwei Lager gegeben habe: Das eine habe auf die moderatere Eva Herzog gesetzt, während das andere vorwiegend aus Romand.e.s bestanden habe, unterstützt von Fraktionsmitgliedern, die bei der nächsten Vakanz die Wahlchancen Deutschschweizer Männer erhöhen wollten. Dieses Lager habe die eher links politisierende Westschweizer Kandidatin Elisabeth Baume-Schneider präferiert. Dies wiederum weckte Unbill bei der FDP, die sich im Vorfeld dezidiert gegen eine lateinische Mehrheit im Bundesrat ausgesprochen und bei der SP entsprechende Forderungen angemeldet hatte. Auch die SVP kritisierte die Auswahl, weil die Gefahr bestehe, dass am Schluss nur noch Kantone im Bundesrat vertreten seien, die im Finanzausgleich zu den Nehmerkantonen gehörten. Der Sonntagsblick hatte im Vorfeld der Fraktionssitzung eine Bevölkerungsbefragung durchführen lassen, bei der sich zeigte, dass die Mehrheit der Befragten ebenfalls die beiden Ständerätinnen auf das Ticket gesetzt hätte. Laut der Montagspresse änderte diese Vorauswahl allerdings wenig an der Ausgangslage: Wie bei der SVP Albert Rösti bleibe auch bei der SP Eva Herzog klare Favoritin. Die Aargauer Zeitung bezeichnete die Nomination von Elisabeth Baume-Schneider als «taktisch». Sie sei für Herzog die ungefährlichere Partnerin auf dem Ticket. Elisabeth Baume-Schneider selber war sich ihrer Outsider-Rolle bewusst, aber man könne ja nie wissen, gab sie dem Quotidien Jurassien zu Protokoll.

Bundesratsersatzwahlen 2022 – Nachfolge von Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga
Dossier: Bundesratswahlen seit 2008

Aufgrund eines Unwohlseins von Nationalrat Lukas Reimann (svp, SG) unterbrach der Nationalrat seine Sitzung zum Embargogesetz während der Herbstsession 2022. Laut Medien war der SVP-Nationalrat gegen 10 Uhr an seinem Platz zusammengebrochen, worauf Nationalratspräsidentin Irène Kälin (gp, AG) die Sitzung unterbrach. SP-Ständerätin Marina Carobbio (sp, TI) und SP-Nationalrat Angelo Barrile (sp, ZH) – beide medizinisch ausgebildet – leisteten erste Hilfe. Nachdem Reimann mit der Ambulanz ins Spital gebracht worden war, nahm der Rat die Verhandlungen wieder auf. Die Nationalratspräsidentin mahnte in der Folge alle Anwesenden, Fotos vom Vorfall zu löschen, und sprach Genesungswünsche aus. Via Twitter teilte Reimann einige Tage später mit, dass es ihm gut gehe und er «keine schwerwiegende Diagnose» erhalten habe.
Ende Oktober 2022 konnte Reimann wieder an einer Kommissionssitzung teilnehmen und wurde in Bern laut Medien sehr herzlich «mit vielen Umarmungen» empfangen. Die Ärzte hätten den Grund für seinen Bewusstseinsverlust nicht gefunden, ein Schlaganfall, ein Herzproblem oder Drogeneinnahme seien aber ausgeschlossen worden, gab der St. Galler den Medien zu Protokoll.

Sitzungsunterbruch wegen Zusammenbruch von Lukas Reimann

In der Wintersession 2022 setzte sich der Ständerat erstmals mit dem Entwurf für eine einheitliche Finanzierung der Leistungen im ambulanten und stationären Bereich auseinander und nahm dabei verschiedene gewichtige Änderungen am Entwurf vor. Der Rat folgte dabei überall seiner Kommissionsmehrheit, deren Position Erich Ettlin (mitte, OW) darlegte.

Die zentrale Änderung gegenüber der nationalrätlichen Version stellte der Einbezug der Pflegefinanzierung in EFAS dar, wie ihn die Kantone ausdrücklich gefordert hatten. Der Nationalrat hatte einen solchen noch abgelehnt, da die dafür nötigen Informationen, etwa zur Kostentransparenz, erst beschafft werden müssten. Um unter anderem diesen fehlenden Informationen Rechnung zu tragen, soll die Pflegefinanzierung gemäss Vorschlag der SGK-SR jedoch erst nach sieben Jahren integriert werden. Stillschweigend folgte der Ständerat seiner Kommission in dieser zentralen Frage.
Doch auch allgemein will sich der Ständerat bei der Umsetzung von EFAS Zeit lassen, so sollen erst drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes die ersten Umstellungen erfolgen, wobei während der anschliessenden vier Jahre die Anteile der Kantone langsam gesteigert werden – sieben Jahre nach Inkrafttreten sollen demnach die Kostenbeteiligungsziele der Kantone erfüllt sein. Minderheiten von Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) und Josef Dittli (fdp, UR), welche eine Umsetzungszeit von neun Jahren respektive einen vom Bundesrat festzulegenden Spielraum zwischen sieben und neun Jahren forderten, fanden keine Mehrheit.

Als Reaktion auf den Einbezug der Pflegefinanzierung legte die kleine Kammer den Kantonsbeitrag an die ambulanten und stationären Kosten auf 26.9 Prozent fest – der Nationalrat hatte ohne Pflegefinanzierung einen Beitrag von 25.5 Prozent vorgesehen. Damit wird der Kantonsbeitrag proportional zu den entstandenen Kosten bemessen und soll lediglich die Nettoleistungen berücksichtigen. Eine Minderheit Hegglin (mitte, ZG) hatte beantragt, auf die Bruttokosten abzustellen. Der Kantonsbeitrag wäre demnach aufgrund der gesamten Leistungen ohne Franchisen oder Selbstbehalt berechnet worden. So befürchtete Minderheitensprecher Hegglin, dass Personen mit hohen Franchisen bei Berücksichtigung der Nettobeträge benachteiligt würden und die Versicherungen die Prämien für hohe Franchisen zukünftig erhöhen müssten, weil sich die Kantone stärker an den Kosten von Personen mit tiefen Franchisen beteiligten. Die Kommissionsmehrheit und der Bundesrat erachteten es allerdings als eine – wohl sogar verfassungsrechtlich – unzulässige Ungleichbehandlung, wenn sich die Kantone an den Kosten von Franchisen und Selbstbehalten beteiligten, nicht aber die Versicherungen. Mit 28 zu 11 Stimmen folgte der Ständerat seiner Kommissionsmehrheit und lehnte damit auch den von der Minderheit vorgeschlagenen tieferen Kantonsbeitrag von 24.1 Prozent der Bruttokosten ab.

Als weiteren zentralen Punkt stärkte der Ständerat die Position der Kantone bezüglich Datenzugang und Steuerungsmöglichkeiten. Bisher verfügten die Kantone über sämtliche jährlich anfallenden 1.3 Mio. Rechnungen der stationären Behandlungen – da sie diese mitfinanzierten. Da sie neu aber auch die ambulanten Leistungen mitfinanzieren werden, verlangten sie zusätzlich Zugang zu den 130 Mio. Rechnungen der ambulanten Behandlungen. Dies lehnten jedoch die Versicherungen ab, da sie eine Verlängerung der Zahlungsverfahren befürchteten. Nach einem runden Tisch des BAG schlug die Kommissionsmehrheit vor, dass die Kantone weiterhin nur die Originalrechnungen des stationären Bereichs erhalten, eine Minderheit Stöckli (sp, BE) wollte jedoch den Kantonen auch Zugang zu aggregierten Daten zur Kostenentwicklung gewähren. Man solle die «Stellung der Kantone nicht unzulässig herabminder[n]» und ihnen Zugang zu denjenigen Daten geben, die sie für ihre vielen Aufgaben benötigen, verlangte er. Mit 22 zu 20 Stimmen lehnte der Ständerat diese Ergänzung jedoch knapp ab. Generell sollen die Kantone somit eine Wohnsitzkontrolle und eine formale Prüfung der stationären Leistungen vornehmen können, jedoch keine Prüfung der WZW-Kriterien.
Hingegen verbesserte der Ständerat die Steuerungsmöglichkeiten der Kantone, unter anderem durch eine neue Zulassungssteuerung bei nichtärztlichen Leistungserbringenden – bisher war nur eine Zulassungssteuerung bei ärztlichen Leistungserbringenden möglich. In Übereinstimmung mit der überwiesenen Motion 20.3914 sollte neu aber zum Beispiel auch bei psychotherapeutischen Leistungen ein Zulassungsstopp aufgrund eines überdurchschnittlich starken Anstiegs des Kostenniveaus verglichen mit anderen Kantonen möglich sein. Eine Minderheit Dittli erachtete dies «weder [als] nötig noch [als] sinnvoll», unter anderem da die bestehenden «Instrumente der Wirtschaftlichkeitskontrolle und der Qualitätsentwicklung» für eine Kontrolle der Kosten ausreichten. Mit 23 zu 16 Stimmen folgte der Ständerat aber seiner Kommissionsmehrheit.
Gestärkt werden sollte unter anderem auch die Gemeinsame Einrichtung KVG, indem diese zukünftig die Kantonsbeiträge berechnet, einfordert und die Aufteilung der Gelder der Kantone an die Versicherungen übernimmt. Neu sollen nach dem Willen des Ständerates zudem die Kantone darin Einsitz erhalten.

Im Nationalrat sehr umstritten war die Frage nach der Vergütung der Vertragsspitäler, die bisher bei 45 Prozent durch die Versicherungen lag, während die Listenspitäler neben den 45 Prozent durch die Versicherungen auch 55 Prozent Vergütung durch die Kantone erhielten. Die grosse Kammer wollte diese Vergütung der Vertragsspitäler von 45 Prozent auf 73.1 Prozent erhöhen, um den Finanzierungsanteil aus der OKP gleich zu behalten wie bei den Listenspitälern. Der Ständerat entschied sich hingegen stillschweigend für den bundesrätlichen Vorschlag, um eine Attraktivitätssteigerung der Vertragsspitäler und damit eine Einschränkung der Wirksamkeit der Spitalplanung zu verhindern.

Abgelehnt wurde schliesslich auch ein Minderheitsantrag Carobbio Guscetti, der ausdrücklich sicherstellen wollte, dass bei Anstieg der kantonalen Beteiligung die Kosten für die Prämienzahlenden in gleichem Verhältnis sinken. Bereits bei der Spitalfinanzierung 2012 sei der erhoffte dämpfende Effekt auf die Prämien ausgeblieben, mit dieser Regelung solle dieser deshalb sichergestellt werden, forderte die Minderheitensprecherin – jedoch vergeblich. Mit 30 zu 11 Stimmen lehnte der Ständerat den Antrag ab, Kommissionssprecher Ettlin hatte argumentiert, dass die Prämien automatisch sinken müssten, da sie «den Gesundheitskosten eines Kantons entsprechen müssen».

In der Folge sprach sich die kleine Kammer in der Gesamtabstimmung mit 29 zu 6 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) für den Entwurf aus. Die ablehnenden Stimmen und Enthaltungen stammten hauptsächlich von Mitgliedern der SP- und der Grünen-Fraktion.

Einführung eines monistischen Finanzierungssystems für die Gesundheitsleistungen (EFAS; Pa.Iv. 09.528)

Ständerätin Carobbio Guscetti (sp, TI; Mo. 22.3234) sowie die Nationalrätinnen Funiciello (sp, BE; Mo. 22.3333) und de Quattro (fdp, VD; 22.3334) lancierten drei wortgleiche Motionen zur Schaffung von Krisenzentren für Opfer sexualisierter und geschlechterbezogener Gewalt. Alle drei Vorstösse verfolgten das Ziel, mithilfe einheitlicher Regelungen und Standards kantonale oder regionale Krisenzentren zu schaffen, in denen Opfer psychisch und physisch betreut werden können. Ebenfalls sollten diese Krisenzentren zur Dokumentation und Spurensicherung von Gewalttaten ohne direkten Beizug der Polizei dienen, um das Wohlbefinden der Opfer zu schützen und eine vollständige Beweislage für eine allfällige Strafverfolgung zu gewährleisten. Auch der Bundesrat sprach sich für eine entsprechende Förderung von Krisenzentren, insbesondere in Erfüllung der Istanbul-Konvention, aus. Der Ständerat kam dem Antrag des Bundesrats in der Herbstsession 2022 nach und nahm den Vorstoss von Ständerätin Carobbio Guscetti stillschweigend an.
Auch die grosse Kammer beugte sich in der Herbstsession über die Motionen der beiden Nationalrätinnen, nachdem diese in der vorherigen Sommersession von Therese Schläpfer (svp, ZH) bekämpft worden waren. Während die Motionärinnen insbesondere die ungleiche Verteilung von Krisenzentren innerhalb der Schweiz anprangerten, zweifelte Schläpfer die Notwendigkeit der vorgeschlagenen Massnahmen an. Der Nationalrat kam in der Herbstsession 2022 dem Antrag des Bundesrats nach und nahm sowohl die Motion Funiciello mit 130 zu 42 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) als auch die Motion de Quattro mit 133 zu 44 Stimmen (bei 1 Enthaltung) an, wobei lediglich die SVP-Fraktion geschlossen gegen beide Vorstösse stimmte.

Krisenzentren für Gewaltopfer - Vorstösse im National- und Ständerat (Mo. 22.3333, Mo. 22.3334 und Mo. 22.3234)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

In der Herbstsession 2022 führten National- und Ständerat eine ausserordentliche Session zum Thema «Kaufkraft» (22.9013) durch, in der sie verschiedene Vorstösse diskutierten, die auf eine finanzielle Entlastung der Bürgerinnen und Bürger abzielten, um der steigenden Teuerung, insbesondere im Bereich Energie, zu begegnen. Eine Gruppe von Unterstützungsvorschlägen betraf die Krankenkassenprämien.
So forderten die SP-Fraktion im Nationalrat (Mo. 22.3793) sowie Marina Carobbio Guscetti (sp, TI; Mo. 22.3802) und Isabelle Chassot (mitte, FR; Mo. 22.3801) im Ständerat eine Erhöhung des Bundesbeitrags an die individuelle Prämienverbilligung für das Jahr 2023 um 30 Prozent. Da für das Jahr 2023 ein Prämienschock drohe, müssten Haushalte mit tiefen und mittleren Einkommen auf diese Weise entlastet werden, so die Begründung für die Forderungen. Der Bundesrat erläuterte, dass der Bundesbeitrag an die Prämienverbilligung 7.5 Prozent der Bruttokosten der OKP entspreche und somit zusammen mit den Prämien ansteige. Folglich sei keine zusätzliche Erhöhung des Beitrags nötig. Um zu verhindern, dass die Kantone ihre eigenen Anteile an die Prämienverbilligungen weiter reduzieren, verwies der Bundesrat auf seinen indirekten Gegenvorschlag zur Prämien-Entlastungs-Initiative. Während der Nationalrat die Motion der SP-Fraktion mit 97 zu 95 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) annahm, wies der Ständerat die beiden Motionen aufgrund eines Ordnungsantrags Juillard (mitte, JU) der Kommission zur Vorberatung zu.
Einen anderen Lösungsweg bezüglich der hohen Krankenkassenprämien schlugen Thomas de Courten (svp, BL; Mo. 22.3816) im Nationalrat und Marco Chiesa (svp, TI; Mo. 22.3863) im Ständerat vor: Sie verlangten, dass die Krankenkassenprämien zukünftig vollständig von den Bundessteuern abgezogen werden können, wie dies bereits in einigen früheren Vorstössen verlangt worden war. Damit sollen «jene Personen [entlastet werden], die ihre Krankenkassenprämien noch aus dem eigenen Portemonnaie bezahlen». Der Bundesrat verwies in seiner Antwort auf seine Umsetzung der Motion Grin (svp, VD; Mo. 17.3171), mit welcher der steuerliche Abzug der Krankenkassenprämien bereits erhöht werden soll. Damit werde ein Teil der Forderungen der Motionen de Courten und Chiesa umgesetzt, ein vollständiger Abzug hätte jedoch zu hohe Steuerausfälle zur Folge – insbesondere auch im Hinblick auf die von den Motionären ausgeführten, für den Bund zukünftig zusätzlich anfallenden Kosten. Mit 142 zu 53 Stimmen respektive 36 zu 5 Stimmen (bei 1 Enthaltung) lehnten beide Räte die Motionen ab, wobei sie nur bei Mitgliedern der SVP-Fraktion auf Zustimmung stiessen.

Fünf Motionen zur Reduktion der Prämienbelastung (Mo. 22.3793; Mo. 22.3801; Mo. 22.3802; Mo. 22.3816; Mo. 22.3863)
Dossier: Abzug der Krankenkassenprämien von den direkten Bundessteuern (seit 2002)
Dossier: Prämienverbilligung
Dossier: Ausserordentliche Session 2022 zum Thema «Kaufkraft»

In der Herbstsession 2022 behandelte der Ständerat das Bundesgesetz über die Regulierung der Versicherungsvermittlertätigkeit. Eintreten war unbestritten. Diskutiert wurde jedoch insbesondere über die vom Nationalrat eingefügte Unterscheidung zwischen internen und externen Vermittelnden bei der Ausbildung und der Einschränkung der Entlöhnung. Die SGK-SR hatte mit 6 zu 5 Stimmen empfohlen, dem nationalrätlichen Vorschlag zu folgen und die Regelung der Ausbildung und Entlöhnung von Personen, die mit einem Arbeitsvertrag an eine Versicherung gebunden sind, nicht einzuschränken. Für die Kommissionsmehrheit erklärte Erich Ettlin (mitte, OW), dass eine Unterscheidung zwischen internen Vermittlerinnen und Vermittlern, die Akquise machen, und solchen, die bestehende Kundinnen und Kunden beraten, schwierig sei. Eine Minderheit Stöckli (sp, BE) verlangte, die entsprechenden Regelungen sowohl für externe wie interne Vermittelnde zu erlassen. Minderheitensprecher Stöckli kritisierte den Mehrheitsantrag denn auch deutlich: Diese Unterscheidung stelle ein «Schlupfloch» für die Versicherungen dar, zumal mehrere Krankenkassen in den letzten Monaten damit begonnen hätten, solche bisher externen Vermittlerunternehmen zu kaufen und «in die Versicherungsgruppe [zu] integrier[en]». Über solche Käufe hatten zuvor auch verschiedene Zeitungen berichtet. Hinzu komme, dass durch eine solche Regelung Ungleichheiten zwischen den grossen und kleineren Versicherungen geschaffen würden, da Letztere keine finanziellen Möglichkeiten für solche Käufe hätten. Schliesslich bestehe bereits eine umfassende Definition der Vermittelnden im VAG; dort sei als Vermittlerin oder Vermittler eingestuft, «wer Kontakt hat zu Leuten, die eine Versicherung abschliessen wollen». Und auch in der KVAV sei keine entsprechende Unterscheidung zwischen internen und externen Personen gemacht worden, ergänzte später auch Gesundheitsminister Berset. Schliesslich sei es für die Bevölkerung irrelevant, ob die entsprechenden Telefonate von internen oder externen Vermittelnden durchgeführt würden.
Damian Müller (fdp, LU) wies hingegen darauf hin, dass die Branchenvereinbarung bisher nur für externe Vermittelnde gelte und diese Definition folglich nicht erweitert werden solle. Mit 21 zu 19 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) setzte sich die Minderheit knapp durch und der Ständerat verzichtete auf die Schaffung dieser Unterscheidung.

Daneben wurde darüber diskutiert, ob – wie es die Kommissionsmehrheit beabsichtigte – eine Regelung geschaffen werden soll, wonach der Bundesrat die Versicherungen vor der Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Branchenvereinbarungen anhören muss. Man wolle diese «Zusatzschlaufe», die gemäss Verwaltung «keine grosse Sache» sei, einführen, bevor der Bundesrat eine «so einschneidende [...] Erklärung» vornehmen könne, begründete Kommissionssprecher Ettlin den Antrag. Eine Minderheit Carobbio Guscetti (sp, TI) sowie der Gesundheitsminister plädierten dafür, auf diese neue Regelung zu verzichten, zumal bereits gemäss Vernehmlassungsgesetz entsprechende Anhörungen nötig seien. Mit 26 zu 12 Stimmen (bei 1 Enthaltung) stimmte der Ständerat jedoch der neuen Regelung zu.

Schliesslich stellte sich die Frage, ob die neuen Regelungen nur im KVAG, also nur in der Grundversicherung, oder auch im VAG und somit in den Zusatzversicherungen verankert werden sollen. Hier plädierte die Kommissionsmehrheit dafür, auch gleich den Zusatzversicherungsbereich zu regeln, eine Minderheit Germann (svp, SH) bevorzugte die Einschränkung der Regelung auf den Krankenkassenbereich. Erich Ettlin erachtete eine umfassende Lösung als nötig, weil die Prämienzahlenden keinen Unterschied darin machen würden, ob sie Anrufe von Krankenkassen oder Zusatzversicherungen erhielten. Bundesrat Berset erinnerte überdies daran, dass die Versicherungen selbst zugunsten der Transparenz und Kohärenz eine einheitliche Regelung wünschten. Minderheitensprecher Germann verwies hingegen auf die unterschiedlichen Wettbewerbssituationen der beiden Bereiche, welche unterschiedliche Regelungen bedingen würden. Da die Branche zudem bereits grosse Fortschritte gemacht habe, brauche es die Regelung im VAG nicht. Schliesslich habe die WEKO den Einbezug der Zusatzversicherungen im Rahmen der ursprünglichen Motion gerügt und man habe bei Annahme der Motion versprochen, deren Situation nochmals zu überprüfen. Mit 25 zu 19 Stimmen folgte der Ständerat der Kommissionsmehrheit, gemäss welcher also beide Bereiche geregelt werden sollten.

In der darauf folgenden Gesamtabstimmung nahm der Ständerat den Entwurf zum Bundesgesetz über die Regulierung der Versicherungsvermittlertätigkeit mit 32 zu 11 Stimmen (bei 1 Enthaltung) an. Die ablehnenden Stimmen stammten von Mitgliedern der FDP.Liberalen-, der SVP- und der Mitte-Fraktion.

Bundesgesetz über die Regulierung der Versicherungsvermittlertätigkeit (BRG 21.043)

Nachdem die fünf Ende 2021 eingereichten Standesinitiativen für eine Beschränkung der maximal möglichen Reserven der Krankenversicherungen in der Sommersession 2022 auch vom Zweitrat abgelehnt worden waren, diskutierte der Ständerat in der Herbstsession 2022 erstmals über die Standesinitiative des Kantons Waadt mit demselben Anliegen. Zuvor hatte die Kommissionsmehrheit beantragt, der Waadtländer Initiative keine Folge zu geben, da sie den mit der Verordnungsänderung 2021 geregelten freiwilligen Reserveabbau bevorzuge. Die Verordnungsänderung habe demnach bei der Festlegung der Prämien 2022 bereits Wirkung gezeigt. Zudem seien seit der Ablehnung der ersten fünf Standesinitiativen keine neuen Erkenntnisse hinzugekommen. Eine Kommissionsminderheit Carobbio Guscetti (sp, TI) argumentierte hingegen, dass die Krankenkassenreserven noch immer zu hoch seien. Gerade im Hinblick auf den drohenden massiven Prämienanstieg für das Jahr 2023 sei ein weiterer Reserveabbau nötig. Mit 23 zu 11 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) sprach sich der Ständerat gegen Folgegeben aus.

Standesinitiativen für angemessene Reserven (Kt.Iv. 20.301, Kt.Iv. 20.305, Kt.Iv. 20.329, Kt.Iv. 20.334, Kt.Iv. 21.301 & Kt.Iv. 21.324)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Krankenkassenreserven
Dossier: Offensive für tiefere Krankenkassenprämien der Kantone Tessin, Genf, Jura, Freiburg und Neuenburg (2020) sowie des Kantons Waadt (2021)

In der Herbstsession 2022 beschäftigte sich der Ständerat mit dem vom Bundesrat vorgeschlagenen Bundesgesetz über die Förderung der Ausbildung im Bereich der Pflege, mittels welchem ein erster Teil der Pflegeinitiative umgesetzt werden soll. Die SGK-SR war im Vorfeld einstimmig auf das Bundesgesetz eingetreten und hatte in ihrer Detailberatung lediglich Korrekturen formeller Natur beschlossen. Während der Ratsdebatte strich Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) für die Kommission hervor, dass rascher Handlungsbedarf angezeigt sei. Der Pflegefachkräftemangel sei bereits vor der Covid-19-Pandemie prekär gewesen, habe sich durch die Pandemie allerdings noch verschärft. Ein zügiges Vorgehen ohne grosse Änderungen begrüsste etwa auch Bundesrat Alain Berset. Dabei argumentierte er mit der Pflicht, den Volkswillen zu befolgen, und der Tatsache, dass sich das Parlament in Form des indirekten Gegenvorschlags zur Pflegeinitiative bereits mit der Vorlage auseinandergesetzt habe. In der Folge trat der Ständerat denn auch einstimmig auf das Bundesratsgeschäft ein und hielt sich in der Detailberatung an die Anträge der Kommission. Johanna Gapany (fdp, FR) zog ihren Minderheitsantrag, der verlangte, dass bei der praktischen Ausbildung innovative Methoden zum Zuge kommen sollen dürfen, um möglichst schnell genügend Personal auszubilden, zurück, da diese Forderung auf Verordnungsebene umgesetzt werden könne. Einstimmig stimmte der Ständerat dem Bundesgesetz und den drei Bundesbeschlüssen in der Gesamtabstimmung zu.

Förderung der Ausbildung im Bereich der Pflege (BRG 20.040)
Dossier: Die Pflegeinitiative und ihre Umsetzung

«Die Massnahmen der Istanbul-Konvention sollen auch für Menschen mit Behinderungen gelten», verlangte Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) im Frühjahr 2022 durch Einreichen einer entsprechenden Motion. Dabei soll der Bund Sensibilisierungskampagnen zu häuslicher und sexueller Gewalt an Menschen mit Behinderungen, insbesondere an Frauen und Personen anderer Geschlechtsidentität, durchführen sowie entsprechende Massnahmen treffen, um diese Personen besser vor Gewalt zu schützen. Der Bundesrat teilte zwar die Ansicht, dass Menschen mit Behinderungen bei diesen Fragen besonders berücksichtigt werden sollen. Aufgrund weiterer hängiger Vorstösse – dabei nannte er den in Erfüllung eines Postulats Roth (sp, SO; Po. 20.3886) zu erstellenden Bericht zur Gewalt an Menschen mit Behinderungen sowie zwei Motionen, die den Bund dazu auffordern, Präventionskampagnen gegen Gewalt zu organisieren und die der Erstrat zum damaligen Zeitpunkt bereits befürwortet hatte (Mo. 21.4418; Mo. 22.3011) – erachtete er es jedoch nicht als nötig, die Motion Carobbio Guscetti anzunehmen. Anders urteilte der Ständerat, der der Motion in der Sommersession 2022 als Erstrat mit 21 zu 15 Stimmen zustimmte.

Die Massnahmen der Istanbul-Konvention sollen auch für Menschen mit Behinderungen gelten (Mo. 22.3233)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Nachdem die WAK-SR Ende März 2022 mit 8 zu 4 Stimmen (bei 1 Enthaltung) empfohlen hatte, nicht auf die Änderung des EntsG einzutreten, debattierte der Ständerat im Rahmen der Sommersession 2022 diese Frage. Kommissionssprecher Hannes Germann (svp, SH) betonte dabei, dass die Änderung des EntsG zu einer Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmenden aus EFTA- und EU-Staaten führen würde. Zudem könnten die Kantone selbst für den Vollzug ihrer Mindestlöhne sorgen. Somit solle der Rat nicht auf die Vorlage eintreten. Paul Rechsteiner (sp, SG) führte hingegen Argumente für Eintreten an: Erstens habe der Ständerat mit Annahme der Motion Abate (fdp, TI; Mo. 18.3473) ursprünglich die Gesetzesänderung angestossen, zudem hätten sich 23 Kantone bei der Vernehmlassung für die Änderung ausgesprochen. Die Ausnahme der Entsendebetriebe von den kantonalen Mindestlöhnen sei eine «Einladung zu Lohndumping» und damit vor allem für den Kanton Tessin ein grosses Problem. Schliesslich werde mit der Revision auch eine Plattform für die digitale Kommunikation im Entsendebereich geschaffen, die bei Nichteintreten ebenfalls nicht zustandekomme. Marina Carobbio (sp, TI) präzisierte, dass nur der Bund, nicht aber die Kantone in der Lage seien, Mindestlöhne einzuführen, die auf alle im Kanton tätigen Personen (auch aus der EU und EFTA) gelten, weil die entsendeten Arbeitnehmenden lediglich Bundesgesetzen unterstünden. Am Ende der Debatte betonte auch Bundesrat Guy Parmelin (svp, VD) noch einmal die Wichtigkeit dieser Anpassung. Dennoch sprach sich der Ständerat in der Folge mit 26 zu 19 Stimmen erneut für Nichteintreten aus, womit das Geschäft erledigt war.

Révision partielle de la loi sur les travailleurs détachés (MCF 21.032)
Dossier: Vorschläge zur Änderung des Entsendegesetzes (EntsG)

Im Dezember 2021 reichte Edith Graf-Litscher (sp, TG) ein Postulat zur Prüfung von Massnahmen für einen besseren Schutz gegen Ransomware-Angriffe ein. Laut der Postulantin stellten Cyberangriffe über Verschlüsselungstrojaner, sogenannte Ransomware, eine grosse Gefahr für die Wirtschaft und die Verwaltung dar. Besondere Beachtung sollten im Rahmen der auszuarbeitenden Massnahmen die Sicherheitsrichtlinien von Unternehmen mit öffentlichem Auftrag, eine mögliche Meldepflicht für Lösegeldzahlungen bei Cyberangriffen und die engere Zusammenarbeit der betroffenen Unternehmen mit den zuständigen Behörden erhalten. Während der Bundesrat das Postulat zur Annahme beantragte, wurde es von Erich Hess (svp, BE) bekämpft. In der Sommersession 2022 stimmte der Nationalrat dem Postulat mit 87 Ja- zu 86 Nein-Stimmen bei 6 Enthaltungen knapp zu, nachdem sich Judith Graf-Litscher und Bundesrat Maurer für dessen Annahme ausgesprochen hatten. Erich Hess hatte auf ein Votum verzichtet. Gegen das Postulat sprachen sich insbesondere die SVP-, FDP- und Mitte-Fraktion aus.

Massnahmen für einen besseren Schutz gegen Ransomware-Angriffe (Po. 21.4512)
Dossier: Cyber Defence

Afin de couvrir intégralement les besoins en électricité par des énergies renouvelables à l'horizon 2050, la Commission de l'environnement, de l'aménagement du territoire et de l'énergie du Conseil national (CEATE-CN) estime qu'il est indispensable d'exploiter tous les potentiels de production qui existent, notamment tous les espaces disponibles pour l'installation de panneaux photovoltaïques. Dans cette optique, la CEATE-CN préconise de modifier l'art. 29 de l'ordonnance sur les routes nationales (ORN) afin de mettre gratuitement à disposition de tiers les surfaces disponibles le long des routes nationales. Comme exemple, elle cite les murs antibruits ou encore les talus le long des routes nationales.
Si le Conseil fédéral s'est montré favorable à la motion, elle a été farouchement combattue par le groupe UDC. Au nom du groupe, les députés agrariens Erich Hess (udc, BE), Alois Huber (udc, AG) et Thomas Aeschi (udc, SG) ont préconisé le rejet de la motion. Dans leurs argumentaires, les députés ont notamment critiqué une distorsion de marché en cas d'attribution gratuite, l'absence de critères objectifs pour l'attribution de ces surfaces, l'absence de précision au sujet des frais d'entretien, ainsi que les complications liées aux nombreux travaux d'installation. La conseillère fédérale Simonetta Sommaruga a répondu à chacune des critiques, indiquant que les critères de capacité et de volonté primeraient, ou encore que la question des frais d'entretien pourrait être réglée via des contrats. Elle en a également profité pour souligner l'urgence de la situation.
Au final, le Conseil national a adopté la motion par 153 voix contre 26 et 3 abstentions. Alors que la motion était officiellement combattue par l'UDC, seulement 26 membres du groupe l'ont effectivement rejetée.

Construction d'installations photovoltaïques le long des routes nationales (Mo. 22.3387)
Dossier: Das Potenzial von Sonnenenergie nutzen

In der Sommersession 2022 behandelte zuerst der Nationalrat die Staatsrechnung 2021 und begann die Diskussion mit einer allgemeinen Aussprache. Michel Matter (glp, GE) und Mike Egger (svp, SG) stellten dem Rat die Staatsrechnung mit einem erneuten Rekorddefizit vor. Das Defizit von CHF 12.2 Mrd. sei auf die ausserordentlichen, Corona-bedingten Ausgaben zurückzuführen, betonte Michel Matter – und setzte die Unterstützungsmassnahmen in der Folge mit der wirtschaftlichen Erholung und einem BIP-Wachstum von 3.6 Prozent im Jahr 2021 in direkten Zusammenhang. Überdies hob er den Anstieg an Einnahmen, aber auch an Ausgaben hervor.
Die Fraktionssprecherinnen und -sprecher stellten in ihren Reden unterschiedliche Aspekte der Staatsrechnung in den Mittelpunkt. Sandra Sollberger (svp, BL) und Alex Farinelli (fdp, TI) erachteten in ihren Voten die steigenden Ausgaben als problematisch und forderten eine strikte Einhaltung der Schuldenbremse sowie Zurückhaltung bei neuen Ausgaben. Demgegenüber zeigte sich Alois Gmür (mitte, SZ) vor allem erfreut darüber, dass die bewilligten Covid-19-Kredite von CHF 25 Mrd. nicht vollständig ausgeschöpft worden seien – CHF 11 Mrd. davon habe der Bund «dank dem liberalen Kurs des Bundesrates und des Parlamentes bei der Bewältigung der Pandemie» nicht benötigt. Diesen Aspekt hob auch Ursula Schneider Schüttel (sp, FR) hervor, die sich aber mit der geforderten Sparsamkeit der SVP- und FDP-Fraktion nicht einverstanden zeigte: Etwa die Bekämpfung der Klimakrise bedürfe weiterer grosser finanzieller Mittel, forderte sie. Gerhard Andrey (gp, FR) nahm insbesondere den Abbau der ausserordentlich verbuchten Covid-19-Schulden in der Höhe von CHF 20.3 Mrd. ins Visier, für welche er die Verwendung der Überschüsse auf dem Ausgleichskonto bewarb. Auch Finanzminister Maurer stellte den eine Woche später zur Debatte stehenden Schuldenabbau ins Zentrum und forderte «für die künftigen Jahre wieder eine hohe Finanzdisziplin». Roland Fischer (glp, LU) hingegen störte sich an den zwei Vorbehalten, welche die EFK zur Staatsrechnung vorgebracht hatte. Einerseits kritisierte die Finanzkontrolle die Verbuchung von Covid-19-Härtefallmassnahmen für das Jahr 2021, da die Kantone die entsprechenden Kosten noch nicht definitiv in Rechnung gestellt hatten. In der Finanzierungsrechnung dürfen jedoch nur bereits erfolgte Ein- oder Auszahlungen verbucht werden. Diese Problematik stellte sich aber zum letzten Mal, da der Bund seine Staatsrechnung ab nächstem Jahr von der Finanzierungs- auf die Erfolgsrechnung umstellt. Der Finanzminister argumentierte, dass man aufgrund einer gemeinsamen Datenbank die Höhe der kantonalen Härtefallhilfen per Ende 2021 kenne und er eine solche Verbuchung aufgrund der Periodengerechtigkeit bevorzuge. Andererseits störte sich die EFK an den Rückstellungen zur Rückerstattung der Verrechnungssteuer, die der Bundesrat sowohl in der Erfolgs-, als auch in der Finanzierungsrechnung ausweist, obwohl diese weder Einnahmen noch Ausgaben darstellen. Diese Buchungen «entsprechen nicht den aktuellen gesetzlichen Grundlagen», kritisierte Fischer. Man habe diese Rückstellungen nun während vier Jahren vorgenommen und das Parlament habe sie jeweils oppositionslos verabschiedet, erwiderte der Finanzminister. Zudem löse sich ja auch diese Problematik 2023 mit der Umstellung auf die Erfolgsrechnung von alleine. Trotz dieser Vorbehalte empfahl die EFK die Staatsrechnung zur Annahme, die Kommission zeigte sich damit einverstanden und formulierte keine Änderungsanträge. Hingegen verlangte eine Minderheit Andrey, dass die gesamten Ausschüttungen der SNB jedes Jahr gleich und somit wie im Vorjahr als ordentliche, nicht wie vom Bundesrat vorgesehen als ausserordentliche Einnahmen verbucht würden. Der Finanzminister erläuterte, dass sich die Situation gegenüber dem Jahr 2020 verändert habe: Die neue, seit 2021 geltende Vereinbarung mit der SNB unterscheide einen Grundbetrag von CHF 666 Mio., welchen man jedes Jahr ordentlich verbuchen wolle. Möglich seien aber auch Zusatzausschüttungen in der Höhe von bis CHF 4 Mrd., wovon der Bund maximal 1.3 Mrd. erhält. Diese Zusatzausschüttungen, die für das Jahr 2021 CHF 1.3 Mrd. betragen, seien jedoch deutlich unsicherer, weshalb der Bundesrat sie als ausserordentliche Einnahmen verbuchen möchte, um bei ihrem Wegfall keinen Fehlbetrag in der ordentlichen Rechnung aufzuweisen. Mit 125 zu 67 Stimmen lehnte der Nationalrat den Minderheitsantrag Andrey gegen den Willen der Grünen- und der SP-Fraktion ab. In der Gesamtabstimmung sprach sich der Rat mit 191 zu 1 Stimme (von Erich Hess; svp, BE) für Annahme der Staatsrechnung 2021 aus und hiess auch die Rechnung des Bahninfrastrukturfonds und des Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds für das Jahr 2021 gut.

Im Ständerat blieb zwei Tage später eine Diskussion zur Staatsrechnung aus. Auch Kommissionssprecherin Gapany (fdp, FR) verwies in der Präsentation der Rechnung auf die Vorbehalte der EFK, empfahl die Staatsrechnung aber im Namen der Kommission zur Genehmigung. Einstimmig mit 40 zu 0 Stimmen folgte der Ständerat diesem Antrag und nahm ebenfalls auch die Rechnungen des Bahninfrastrukturfonds und des Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds für das Jahr 2021 einstimmig an.

Staatsrechnung 2021 (BRG 22.003)
Dossier: Bundeshaushalt 2021: Voranschlag und Staatsrechnung
Dossier: Staatsrechnungen (seit 1991)

Knapp ein Jahr nach ihrer Schwesterkommission entschied die WAK-SR, der parlamentarischen Initiative Grüter (svp, LU) für eine Nichtberücksichtigung von Mineralölsteuersatz, Mineralölsteuerzuschlag und Importabgaben auf Treibstoffen für die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer auf Treibstoffen keine Folge zu geben. Die Kommissionsmehrheit scheute vor allem den administrativen Aufwand einer entsprechenden Umsetzung sowie «zu hohe Vorsteuerabzüge» und somit hohe Steuerausfälle. Sie gab jedoch bekannt, die Problematik der Mehrwertsteuererhebung auf Leistungen mit staatlichen Abgaben weiter diskutieren zu wollen. Im Januar 2022 folgte die WAK-NR diesem Entscheid mit 13 zu 9 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) und empfahl dem Nationalrat, der Initiative keine Folge zu geben – dies obwohl sie selbst die Initiative im August 2020 noch gutgeheissen hatte.

In der Frühjahrssession 2022 behandelte der Nationalrat die Initiative zusammen mit einer parlamentarischen Initiative Hess (svp, BE; Pa.Iv. 21.434). Initiant Franz Grüter verwies auf den hohen Anstieg der Benzin- und Dieselpreise seit Einreichung seines Vorstosses und die dadurch entstehenden Probleme vor allem für Familien und Geringverdienende. Durch einen Verzicht auf Besteuerung der Abgaben auf Treibstoffe könnten ungefähr 7 Rappen pro Liter gespart werden, was jährlich etwa CHF 300 Mio. ausmache. Zudem widerspreche die Besteuerung der Abgaben dem Prinzip der Mehrwertsteuer, wie auch Minderheitensprecherin Amaudruz (svp, GE) betonte. Dem widersprach Kommissionssprecher Baumann (gp, BE): Mit der Mehrwertsteuer werde jeweils der von den Endverbrauchern bezahlte Betrag besteuert – inklusive Abgaben. Zudem sei eine Ausklammerung der Steuern und Abgaben bei der Mehrwertsteuerberechnung in der Praxis «sehr schwierig bis unmöglich» und mit grossem administrativem Aufwand für Unternehmen und Verwaltung verbunden. Mit 105 zu 84 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) gab der Nationalrat der parlamentarischen Initiative Hess Folge. Dagegen votiert hatten die Fraktionen der SP, der Grünen und der Grünliberalen sowie zwei Mitglieder der Mitte-Fraktion.

Stopp der missbräuchlichen MWST-Belastung auf Steuern und Abgaben bei Treibstoffen

Im März 2021 reichte Erich Hess (svp, BE) eine parlamentarische Initiative ein, mit der er die Erhebung von Mehrwertsteuern auf Steuern und Abgaben zukünftig verhindern wollte. Nachdem Franz Grüter (svp, LU; Pa.Iv. 19.405) 2019 eine ähnliche Forderung für den Treibstoffzuschlag eingereicht hatte, zielte Hess insbesondere auf die Bundesabgabe für die Förderung von erneuerbarer Energie und auf die CO2-Abgabe. Ganz allgemein sollten Mehrwertsteuern aber zukünftig durch eine Änderung des MWStG «nur noch auf effektiv geleistete Lieferungen und Dienstleistungen» und nicht mehr auf Steuern und Abgaben erhoben werden. In der Frühjahrssession 2022 gab der Nationalrat dem Vorstoss von Grüter, nicht aber demjenigen von Hess Folge.

Keine Mehrwertsteuern auf Steuern und Abgaben erheben

Damit auch Menschen mit Beeinträchtigungen die per Internet live übertragenen Diskussionen in den beiden Kammern verfolgen können, forderte Gabriela Suter (sp, AG) Barrierefreiheit des Live-Streams der Parlamentsdebatten (Pa.Iv. 20.505). In der Tat können hörbeeinträchtigte Personen diese Debatten nicht mitverfolgen, weshalb die Sozialdemokratin einen Abbau der Hürden in Form von Untertiteln und Übersetzungen mittels Gebärdensprache forderte.
Das Büro-NR empfahl in einer ersten Beratung im Mai 2021 einstimmig (mit 12 zu 0 Stimmen), der Initiative Folge zu geben. Menschen mit Behinderungen müssten besser eingebunden werden – so die Begründung. Zudem habe ein Pilotversuch der Parlamentsdienste in der Wintersession 2020 gut funktioniert. Es sei allerdings noch zu klären, in welchen Sprachen Untertitel verfasst werden müssten und ob mittels Gebärdensprache Simultanübersetzungen angeboten werden sollten.
Weil das Büro-SR dieser Empfehlung allerdings im August 2021 nicht zustimmen wollte, beriet sich das Büro-NR im Februar 2022 ein zweites Mal. Das Nein der ständerätlichen Kommission beruhte auf der Überlegung, dass die Kosten von mehreren CHF 100'000 zu hoch seien. Die spezielle Situation im Ständerat – vor allem die Kultur der Mehrsprachigkeit, aber auch die technische Ausstattung – habe die kleine Kammer zudem bereits 2015 dazu bewogen, auf eine Simultanübersetzung der ständerätlichen Debatten zu verzichten. Das Büro-NR hielt allerdings an seinem Entscheid fest. Mit 11 zu 1 Stimme begründete es, dass hohe Kosten möglicher Lösungen kein Grund dafür sein dürften, hörbehinderte Menschen von der politischen Teilnahme auszuschliessen.
Der Nationalrat folgte in der Frühjahrssession mit 180 zu 7 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) sehr deutlich seinem Büro. Zwar lag ein schriftlicher Antrag von Erich Hess (svp, BE) gegen Folgegeben vor – der Berner monierte die Kosten, die in keinem Verhältnis zum Nutzen stünden, da die Ratsdebatten ja sehr zeitnah auch schriftlich in Form des Amtlichen Bulletins vorlägen –, der Vorstoss wurde aber diskussionslos auch von der Mehrheit der Fraktionskolleginnen und -kollegen von Erich Hess angenommen.

Barrierefreiheit des Live-Streams der Parlamentsdebatten (Pa.Iv. 20.505)

Der Nationalrat beugte sich in der Frühjahrssession 2022 als Erstrat über die Totalrevision des Bundesgesetzes über Beiträge für die kantonale französischsprachige Schule in Bern. Lilian Studer (evp, AG) erläuterte dem Plenum die Vorlage: Mit der Gesetzesrevision wolle der Bundesrat sowohl eine maximale Höhe der Bundesbeiträge als auch deren Bemessung festlegen. Ausserdem solle der Kanton Bern verpflichtet werden, dem Bund «jeweils im Februar die Finanzplanung der ECLF des laufenden und der folgenden drei Jahre» vorzulegen, um die Planbarkeit zu verbessern. Der grossen Kammer lagen bei ihrer Beratung drei Minderheitsanträge von Sandra Locher Benguerel (sp, GR) vor. Mit diesen wollte die SP-Fraktion den Bund in diesem Gesetz finanziell stärker in die Verantwortung nehmen. Ausserdem stellte Erich Hess (svp, BE) einen Einzelantrag auf Aufhebung des ganzen Gesetzes, womit er die Teilfinanzierung durch den Bund komplett streichen wollte. Mauro Tuena (svp, ZH) erläuterte, dass die SVP-Fraktion mit diesem Antrag klarstellen wolle, dass diese Schule, wie die anderen Grundschulen auch, eine Angelegenheit des Kantons sei. Ausserdem sei es problematisch, dass der Staat eine Schule mitfinanziere, bei welcher die Kinder von Bundesangestellten Vorrang vor allen anderen Kindern hätten. Dies widerspreche dem Prinzip der Chancengleichheit. Bei den folgenden Abstimmungen hatten weder der Streichungsantrag der SVP noch die Erhöhungsanträge der SP eine Chance; sie wurden allesamt abgelehnt. Der Antrag Hess fand Unterstützung bei etwa der Hälfte der SVP-Fraktion, die Minderheitsanträge Locher Benguerel bei den Mitgliedern der SP, der Grünen und der EVP. In der Gesamtabstimmung wurde der Entwurf mit 165 zu 23 Stimmen deutlich angenommen, alle Gegenstimmen stammten aus den Reihen der SVP-Fraktion.

Bundesgesetz über Beiträge für die kantonale französischsprachige Schule in Bern. Totalrevision

Jahresrückblick 2021: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport

Auch im Jahr 2021 bestimmte die Covid-19-Pandemie massgeblich den Takt in der Schweizer Gesundheitspolitik. Unabhängig davon gaben hingegen insbesondere Geschäfte im Zusammenhang mit verschiedenen Volksinitiativen zu reden.

Am prominentesten diskutiert wurde in den Medien die Pflegeinitiative, wie beispielsweise Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse (im Anhang) zeigt – noch nie in den letzten vier Jahren wurde anteilsmässig häufiger über das Thema «Pflege» diskutiert als im Jahr 2021 (vgl. Abbildung 2). Die Pflegeinitiative zielte auf eine Verbesserung des Pflegendenstatus ab und wollte durch eine genügende Anzahl diplomierter Pflegefachpersonen den «Zugang aller zu einer ausreichenden Pflege von hoher Qualität» sicherstellen. Ende November 2021 nahm eine Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Vorlage an (61.0%). Mit Ausnahme eines Kantons sagten ferner alle Stände Ja und hörten damit nicht auf ihre Vertreterinnen und Vertreter in Bundesbern, welche die Initiative zur Ablehnung empfohlen hatten. Stattdessen wollten Regierung und Parlament den in der Initiative dargelegten Problemen mittels eines von der SGK-NR ausgearbeiteten indirekten Gegenvorschlags auf Gesetzesebene begegnen. Dieser hätte neben einer Ausbildungsoffensive auch eine Kompetenzerweiterung bezüglich selbständiger Abrechnung von Pflegeleistungen vorgesehen. In den Medien wurde der Abstimmungserfolg des Initiativkomitees unter anderem – aber nicht ausschliesslich – mit der Covid-19-Pandemie erklärt.

2021 ebenfalls auf der Traktandenliste des Parlaments stand die Organspende-Initiative und der dazu vom Bundesrat lancierte indirekte Gegenvorschlag. Einigkeit herrschte darüber, dass der Status quo der Zustimmungslösung nicht zufriedenstellend sei. Das Volksbegehren, welches beabsichtigte, dass neu alle Menschen automatisch zu Organspenderinnen und -spendern werden sollten, falls sie sich nicht explizit dagegen ausgesprochen hatten, ging jedoch sowohl dem Bundesrat als auch den beiden Kammern zu weit. Die Landesregierung forderte daher in ihrem Gegenvorschlag eine erweiterte Zustimmungslösung, bei der die Meinung der Angehörigen ebenfalls berücksichtigt wird. Nachdem der Nationalrat das Volksbegehren zunächst (denkbar knapp) zur Annahme empfohlen hatte, folgte er in der Herbstsession dem Ständerat, der sich einstimmig gegen die Initiative ausgesprochen hatte. Der indirekte Gegenvorschlag hingegen war weitgehend unbestritten und wurde von beiden Räten grossmehrheitlich für eine gute Lösung befunden, worauf das Initiativkomitee die Initiative bedingt zurückzog.

Die dritte Volksinitiative, mit der sich das Parlament 2021 im Gesundheitsbereich beschäftigte, war die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung», welche ein lückenloses Tabakwerbeverbot zum Inhalt hat. Auch dieses Volksbegehren ging National- und Ständerat zu weit, weshalb sie die Initiative zur Ablehnung empfahlen. Parallel dazu befasste sich das Parlament mit einem neuen Tabakproduktegesetz, das im Herbst 2021 verabschiedet wurde und unter anderem ebenfalls Bestimmungen zu Tabakwerbung beinhaltete. Die beiden Kammern präsentierten die Gesetzesrevision als indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative.

Als Folge der ersten Welle der Covid-19-Pandemie im Vorjahr beklagten viele Spitäler finanzielle Einbussen. Die Kantone Schaffhausen, Aargau, Tessin und Basel-Stadt reagierten 2021 mit vier Standesinitiativen, mittels welcher sie den Bund dazu auffordern wollten, für die Ertragsausfälle, die in Zusammenhang mit dem vom Bundesrat angeordneten Verbot «nicht dringend angezeigte[r] medizinische[r] Eingriffe und Therapien» entstanden waren, aufzukommen. Der Ständerat gab den Geschäften in der Wintersession 2021 mit 21 zu 19 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) keine Folge.

Verglichen mit dem Vorjahr, als die Medien sehr ausführlich über die Sportpolitik berichteten (vgl. Abbildung 2), erhielt dieses Thema im Jahr 2021 nur beschränkt Beachtung. Erneut medial diskutiert wurden unter anderem die finanziellen Schwierigkeiten der Sportvereine, deren Unterstützung auch vom Ausgang der Abstimmung über die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes abhing.
Im Parlament wurde insbesondere die Frage diskutiert, wie eine Mitsprache der Bevölkerung bei der Organisation und der finanziellen Unterstützung Olympischer Spiele ermöglicht werden kann. Diesbezüglich zeigte sich der Nationalrat offener als der Ständerat, als er in der Sommersession ein entsprechendes Postulat der WBK-NR annahm und einer parlamentarischen Initiative Semadeni (sp, GR) Folge gab. Letztere schickte der Ständerat in der darauffolgenden Session allerdings bachab. Das Parlament diskutierte des Weiteren über die Finanzhilfen an Sportanlagen von nationaler Bedeutung 2022–2027 (NASAK 5), wobei der Ständerat den bundesrätlichen Entwurf in der Herbstsession guthiess und der Nationalrat ihm in der Wintersession folgte.

Im Bereich Sozialhilfe beugte sich die kleine Kammer in der Frühjahrssession 2021 über eine Motion Carobbio Guscetti (sp, TI), welche darauf abzielte, Sofortmassnahmen gegen das durch die Covid-19-Pandemie verursachte Armutsrisiko zu ergreifen. Das Geschäft fand jedoch bei den Kantonsvertreterinnen und -vertretern keine Mehrheit. Medial thematisiert wurden unter anderem die möglichen Folgen der Pandemie für die Sozialhilfe sowie ein Urteil des EGMR, in welchem der Kanton Genf bezüglich seines Bettelverbotes kritisiert wurde.

Jahresrückblick 2021: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Dossier: Jahresrückblick 2021

Gut ein Jahr, nachdem der Nationalrat zahlreiche zentrale Elemente des Pakets 1b des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen gestrichen hatte, setzte sich der Ständerat in der Wintersession 2021 mit dem Projekt auseinander. Zuvor hatte sich die SGK-SR in zahlreichen zentralen Punkten mit den Änderungen des Nationalrats einverstanden gezeigt. Eintreten war unbestritten.

Ein zentraler Aspekt des Projekts stellte das Referenzpreissystem für patentabgelaufene Arzneimittel dar. Dieses sah vor, dass nur die Medikamentenkosten bis zu einem Referenzpreis durch die OKP erstattet werden. Wer also die teureren Originalprodukte statt der Generika kaufen möchte, müsste die Preisdifferenz selbst bezahlen. Der Nationalrat wollte den Generikaverkauf hingegen durch preisunabhängige Margen im generikafähigen Arzneimittelmarkt sowie durch eine Vergrösserung des Preisabstandes fördern. Auch die Kommissionsmehrheit lehnte das Referenzpreissystem gemäss Kommissionssprecher Ettlin (mitte, OW) ab, da die Generikadurchdringung in der Schweiz noch zu niedrig sei. Stattdessen wolle man dem Vorschlag des Nationalrats folgen, mit dem zuerst die Generikadurchdringung erhöht werden solle. Der Bundesrat wollte am Referenzpreissystem festhalten, schlug jedoch aufgrund des nationalrätlichen Widerstands eine abgeschwächte Form vor: den Referenzabzug light. Dabei soll das Referenzpreissystem erst ab drei wirkstoffgleichen Medikamenten Anwendung finden – in diesen Fällen gebe es keine Versorgungsprobleme –, zudem soll zwischen Generika und Biosimilars unterschieden werden – Letztere werden dem Referenzpreissystem nicht unterstellt. Im Ständerat präsentierte Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) den bundesrätlichen Vorschlag als Minderheitenantrag. Sollten durch die erste Version des Referenzpreissystems jährlich CHF 310 bis 480 Mio. eingespart werden, wären es für die Light-Version CHF 200 bis 400 Mio. und für die nationalrätliche Variante etwa CHF 220 Mio. Mit 24 zu 17 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) sprach sich der Ständerat gegen die Einführung des Referenzpreissystems light aus und nahm stattdessen den vom Nationalrat geschaffenen Alternativvorschlag an. Zusätzlich schuf er jedoch auch eine Befähigung für Ärztinnen und Ärzte, an der Verschreibung des Originalpräparates anstelle eines Generikums festhalten zu können. Hingegen lehnte der Ständerat die vom Nationalrat eingeführte Möglichkeit des Parallelimports von Generika wegen Risiken für die Patientinnen und Patienten einstimmig ab und sprach sich gegen die Motion 19.3202 aus. Stattdessen soll Swissmedic bei der Zulassung von Parallelimporten von Arzneimitteln zukünftig Vereinfachungen zum Beispiel bei der Kennzeichnung und der Arzneimittelinformation vornehmen können.

Auch bei der Steuerung der Kosten durch die Tarifpartner hatte sich der Nationalrat mehrheitlich gegen die bundesrätlichen Vorschläge ausgesprochen. So wollte der Bundesrat die Leistungserbringenden und Versicherungen dazu verpflichten, in ihren Tarifverträgen Massnahmen zur Kostensteuerung vorzusehen. Die Kommissionsmehrheit wollte dem Bundesrat in diesem Punkt folgen und sprach sich für eine solche Verpflichtung der Leistungserbringenden und Versicherungen aus, Kommissionssprecher Ettlin erachtete diese Frage gar als «einen der Kernpunkte dieser Vorlage». Eine Minderheit Müller (fdp, LU) beantragte hingegen die Streichung dieser Regelung. Nicht einig waren sich die beiden Lager, ob diese Regelung ohne Rationierung des Gesundheitsangebots umgesetzt werden könne, ob sie also verfassungskonform sei. Ein Gutachten von Ueli Kieser, Professor für Sozialversicherungsrecht an der Universität St. Gallen, verneinte die Verfassungskonformität, eine Stellungnahme des Bundesamtes für Justiz bejahte sie. Minderheitssprecher Müller verwies jedoch in erster Linie auf «grundsätzliche[…] gesetzgeberische[…] Überlegungen» zur Ablehnung dieser Regelung: Man solle diesen Aspekt zusammen mit der Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei und somit im Rahmen des zweiten Massnahmenpakets, welches der Bundesrat als indirekten Gegenvorschlag zu dieser Initiative festgelegt hatte, beraten.
Ein Einzelantrag Würth (mitte, SG) beantragte stattdessen, den bundesrätlichen Vorschlag um die auf kantonaler Ebene abgeschlossenen Tarifverträge zu ergänzen. So finanzierten die Kantone zukünftig aufgrund von EFAS (womöglich) auch einen Teil der ambulanten Kosten, weshalb sie ebenfalls in die Kostensteuerung einbezogen werden sollen. Gesundheitsminister Berset wehrte sich gegen die Minderheit Müller: Wichtig sei aber, dass hier eine Differenz zum Nationalrat geschaffen werde, um die Diskussion zu dieser Frage weiterführen zu können – auch ein Entscheid für den Antrag Würth sei somit im Sinne des Bundesrates. Man sei sich einig, dass es eine Kostenentwicklung gebe – folglich müsse man nun etwas dagegen tun und könne die Klärung dieser wichtigen Frage nicht auf eine spätere Revision verschieben, betonte er mit Nachdruck. Selbstverständlich werde man diese Regelung so ausgestalten, dass der Zugang zur Pflege und die bestmögliche Qualität immer gewährleistet sei. Dennoch setzte sich die Kommissionsminderheit mit 20 zu 20 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) und Stichentscheid von Ratspräsident Hefti (fdp, GL) gegen den Einzelantrag Würth durch, der zuvor dem Mehrheitsantrag vorgezogen worden war (26 zu 17 Stimmen). Somit müssen die Tarifvereinbarungen keine Massnahmen zur Kostensteuerung vorsehen.

Umstritten war wie bereits im Nationalrat auch die Frage, ob den Organisationen der Versicherungen von nationaler oder regionaler Bedeutung ein Beschwerderecht gegen Beschlüsse der Kantonsregierungen bezüglich der kantonalen Spitalplanung zugesprochen werden soll. Der Bundesrat erachtete dies gemäss Kommissionssprecher Ettlin als notwendig, um ein «gewisses Gleichgewicht der Kräfte» herzustellen. Dies sei aufgrund der Kostenfolgen dieser Entscheide für die Versicherten nötig. Die Kommissionsmehrheit sprach sich denn auch für ein solches Beschwerderecht aus, obwohl die GDK dagegen votiert hatte. Minderheitensprecher Stöckli (sp, BE) erinnerte die Mitglieder der Kantonskammer hingegen daran, dass die Kantone verfassungsmässig für die Gesundheitsversorgung verantwortlich seien. Zudem könnten die Verbände mit dieser Regelung Volksentscheide umstossen. Schliesslich könne ein Eingriff in die Planungsarbeit der Kantone die Gesundheitskosten aufgrund der Verfahren, Verzögerungen und Rechtsunsicherheiten gar erhöhen. Mit 18 zu 18 Stimmen und erneutem Stichentscheid von Ratspräsident Hefti sprach sich der Ständerat für das Beschwerderecht der Versicherungen aus.

Nicht einverstanden zeigte sich die SGK-SR zur Erleichterung des Gesundheitsministers schliesslich mit dem Vorschlag des Nationalrats, Versicherungen 25 Prozent der Einsparungen, die sie aufgrund von günstigeren Tarifvereinbarungen mit den Leistungserbringenden erzielt haben, zur freien Verfügung zu stellen. Damit würde das Gewinnverbot in der Grundversicherung gekippt, dieses dürfe aber gemäss Kommissionssprecher Ettlin «nicht angetastet werden». So wären dadurch auch kaum Kosteneinsparungen möglich, vielmehr würde dies ein Widerspruch zu verschiedenen anderen Artikeln des KVG darstellen. Gesundheitsminister Berset lobte diese Haltung, zumal die Zustimmung zum Nationalrat «vraiment un changement de principe extrêmement important dans l'assurance obligatoire des soins» darstellen würde. Stillschweigend folgte der Ständerat seiner Kommission in diesem Punkt und schuf damit eine weitere Differenz zum Nationalrat.

Mit 25 zu 10 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) nahm die kleine Kammer schliesslich den Entwurf an, die ablehnenden Stimmen stammten von Mitgliedern der SP und der Grünen und von einem Mitglied der Mitte.

Erstes Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen (BRG 19.046)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

Im September 2021 reichte die SGK-SR eine Motion mit dem Titel «Für eine nachhaltige Finanzierung von Public-Health-Projekten des Nationalen Konzepts ‹Seltene Krankheiten›» ein. Damit forderte sie die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage, welche die Umsetzung des Nationalen Konzepts «Seltene Krankheiten» durch die involvierten Organisationen des Gesundheitswesens auf einer nachhaltigen Basis gewährleisten soll. Es sollen Instrumente zur Finanzierung unter anderem der Koordination und des Aufbaus von Angeboten in diesem Bereich oder zur Qualitätsförderung, Dokumentation und Beratung bereitgestellt werden. Zudem soll die gesetzliche Grundlage auch der langfristigen Finanzierung eines schweizweiten Registers für seltene Krankheiten dienen. Der Bundesrat soll die Ausarbeitung der Vorlage mit den Kantonen koordinieren.
In der Wintersession 2021 kam das Geschäft in den Ständerat. Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) stellte die Kommissionsmotion vor und verwies dabei auf einen Bericht in Erfüllung eines Postulats der SGK-NR (Mo. 18.3040), welcher die Herausforderungen und Handlungsoptionen des Nationalen Konzepts «Seltene Krankheiten» aufzeige. Mit der vorliegenden Motion wolle man nun diese Herausforderungen angehen. Bundesrat Alain Berset empfahl die Motion zur Annahme und betonte, seltene Krankheiten seien nur bei einzelner Betrachtung selten, zusammen als Gruppe kämen sie jedoch so häufig vor wie etwa Diabetes. Der Ständerat nahm die Motion in der Folge stillschweigend an.

Für eine nachhaltige Finanzierung von Public-Health-Projekten des Nationalen Konzepts "Seltene Krankheiten" (Mo. 21.3978)

In der Herbstsession 2021 lehnte der Ständerat eine Motion von Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) ab. Die Motionärin hatte eine Vereinfachung und Erweiterung der Regelungen zur Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit in zahlreichen Gesetzen gefordert, etwa im AVIG, IVG, UVG, EOG oder im VVG. Zudem verlangte sie eine ergänzende Regelung für einen «Verdienstersatz bei Erwerbsausfall bei Personen in atypischen und prekären Arbeitsformen, für Selbstständigerwerbende und für Freischaffende in Theater und Film». Um zukünftig grosse finanzielle Probleme durch Erwerbslücken aufgrund von Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Unfall bei den Selbständigerwerbenden zu verhindern, solle ihr Versicherungsschutz und ihr Verdienstausfall zukünftig garantiert werden. Der Bundesrat entgegnete in seiner Stellungnahme, dass ein entsprechender Versicherungsschutz bei der IV und der EO bereits gegeben sei, bei der Unfallversicherung und der Krankentaggeldversicherung müssten sich die Selbständigerwerbenden hingegen freiwillig versichern, wie auch im Rahmen des Postulats Nordmann (sp, VD; Po. 12.3087) noch einmal bestätigt worden sei. Nicht möglich sei schliesslich eine Arbeitslosenversicherung für Selbständigerwerbende, wie sie auch das Postulat Roduit (mitte, VS; Po. 20.4141) vorsehe, zumal hier das Missbrauchspotenzial zu gross sei. Mit 25 zu 11 Stimmen lehnte der Ständerat die Motion ab.

Erwerbsersatzordnungen an die veränderte Arbeitswelt anpassen