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  • Flach, Beat (glp/pvl, AG) NR/CN
  • Allemann, Evi (sp/ps, BE) NR/CN
  • Wobmann, Walter (svp/udc, SO) NR/CN
  • Wermuth, Cédric (sp/ps, AG) NR/CN

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Jahresrückblick 2019: Kultur, Sprache, Kirchen

2019 war hinsichtlich der Kultur-, Sprach- und Kirchenpolitik vergleichsweise ein eher moderater Jahrgang, sowohl im Vergleich zu anderen Politikbereichen, als auch im direkten Vergleich zu den Vorjahren. Eine APS-Zeitungsanalyse zeigt auf, dass alle drei Politikbereiche von einem rückläufigen Trend betroffen sind, wobei sich dieser besonders in der Medienberichterstattung zur Kirchen- und Religionspolitik am stärksten zeigt – hier hat sich der Anteil themenspezifischer Artikel seit 2016 nahezu halbiert. Im Jahresverlauf wurden über die drei Themenbereiche betrachtet unterschiedliche Entwicklungen ersichtlich: Während die Sprachthemen auf nationaler Ebene offensichtlich im Allgemeinen wenig Beachtung fanden, wurden kirchenpolitische Themen besonders Anfangs und Ende Jahr stark diskutiert und fielen dann dem obligaten «Sommerloch» zum Opfer. Die Kulturpolitik hingegen sah sich mit einem regelrechten «Sommerhoch» konfrontiert, nachdem es ab März 2019 eher ruhig geworden war.

Das Hauptaugenmerk der Parlamentarierinnen und Parlamentarier lag 2019 hinsichtlich der kulturpolitischen Entwicklungen mit Sicherheit auf der Revision des Schweizer Urheberrechts. Nach rund 7-jähriger Vorarbeit und einer vom Ständerat im Frühjahr 2019 zwecks Sondierung der Lage des europäischen Urheberrechts auferlegten Rückweisung, wurden im Sommer schliesslich die Weichen gestellt und das Gesamtpaket im Herbst gebündelt. Da die angestrebte Revision Einfluss auf verschiedene Bereiche hat, blieben die negativen Reaktionen indes nicht aus; deshalb ist es auch wenig erstaunlich, dass kurz nach der Schlussabstimmung bereits das Referendum ergriffen wurde. Ob die URG-Revision effektiv gelungen ist, wird sich Mitte Januar 2020 zeigen, wenn die Referendumsfrist abgelaufen ist.
Die Ratifizierungen internationaler Abkommen wie des Übereinkommens über den Schutz des Unterwasser-Kulturerbes und des Rahmenübereinkommens des Europarats über den Wert des Kulturerbes standen hingegen ausser Diskussion.
Ein anderer Fokus wurde im Kulturjahr 2019 wiederum auf die Kulturförderung gelegt. Im Frühjahr wurde die Kulturbotschaft 2021–2024 in die Vernehmlassung geschickt und bis im September zur Stellungnahme freigegeben. Der Ergebnisbericht lag Ende Jahr zwar noch nicht vor, jedoch geben die im Verlauf des Jahres gefällten Entscheide zu diversen Vorstössen mit Referenz auf die Kulturbotschaft (Kulturabgeltung an die Stadt Bern, Einführung eines schweizerischen Jugendkulturgutscheins, Auswirkungen der Urbanisierung auf die Kulturförderung, Aufgabenteilung zwischen SBFI und BAK, Erhöhung des Kredits für die Förderung des Sprachaustausches) einen ersten Hinweis auf mögliche Herausforderungen hinsichtlich der weiteren Beratungen .
Auch im Bereich Heimatschutz und Denkmalpflege blieben die Institutionen nicht untätig. So wurde eine Motion Regazzi (cvp, TI; Mo. 17.4308), die eine Anpassung der Bewertungskriterien für die ISOS-Aufnahme verlangte, stillschweigend angenommen und die Vernehmlassungsergebnisse zur Totalrevision des VISOS vielen mehrheitlich positiv aus, was auf ein Inkrafttreten der revidierten Verordnung auf den 1. Januar 2020 hindeutete.
In der ausserparlamentarischen Debatte fand das Fête de Vignerons, das drei Jahre nach seiner Aufnahme ins UNESCO Weltkulturerbe und 20 Jahre nach der letzten Austragung neuerlich in Vevey (VD) stattfand, grosse Beachtung – leider aufgrund der finanziellen Bruchlandung nicht nur positive. Ein wiederkehrendes Thema war 2019 auch die Raubkunst, wobei der Fokus in diesem Jahr auf den afrikanischen Kontinent und die im Kontext der Kolonialisierung erbeuteten Schätze gerichtet wurde. Auch das Volk der Fahrenden war 2019 insbesondere in den Kantonen ein Thema, da sich die Frage der Durchgangsplätze nicht nur im Kanton Bern aufgetan hatte.

Im Bereich der Sprachpolitik standen in diesem Jahr die Mehrsprachigkeit und damit zusammenhängend die Förderung des Austausches zwischen den Sprachgemeinschaften sowie der Erhalt des Rätoromanischen im Fokus. So forderte eine Motion Bourgeois (fdp, FR; Mo. 17.3654), dass öffentliche Ausschreibungen des Bundes künftig in den wichtigsten Landessprachen zu erfolgen hätten, und eine Motion Gmür-Schönenberger (cvp, LU; Mo. 18.4156), dass TV-Produktionen nicht mehr synchronisiert, sondern sowohl Eigenproduktionen in den Landessprachen, als auch englischsprachige Produktionen in der Originalsprache ausgestrahlt und lediglich noch untertitelt werden sollen.
Mit dem Begehen der 100-Jahr-Feier der Lia Rumantscha wurden indes Bestrebungen aufgezeigt, das Rätoromanische wieder mehr aufs Parkett zu bringen und insbesondere auch einem Publikum ausserhalb des Bergkantons ins Gedächtnis zu rufen. Nicht zuletzt seit einem im Frühjahr erschienene Bericht des ZDA war deutlich geworden, dass es für das Rätoromanische in der Schweiz fünf vor zwölf geschlagen hat.

In Bezug auf kirchen- und religionspolitische Themen stand in diesem Jahr die SVP mit ihren islamkritischen Parolen auf prominentem Parkett. Mit ihrem Vorstoss zur Bekämpfung der Ausbreitung eines radikalen Islams war sie im Parlament zwar gescheitert, generierte aber mit den daraus resultierenden Wahlplakaten des der SVP nahestehenden Egerkinger-Komitees im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen 2019 ein grosses Medienecho. Auch die Motion Wobmann (svp, SO; Mo. 17.3583), die ein Verbot der Verteilaktion «Lies!» zum Ziel hatte, scheiterte – nach einer rund 1.5-jährigen Sistierung – am Ständerat. Wie eine bereits im Sommer veröffentlichte Studie aufzeigte, nahm die SVP auch in den Kantonen eine dominante Rolle in der Religionsdebatte ein. So war es nur wenig erstaunlich, dass die Anfangs Jahr neuerlich aufkommende Frage, ob man als guter Christ noch die SVP wählen dürfe, wieder zu diskutieren gab; nicht zuletzt, weil damit auch verschiedentliche Kirchenaustritte – nebst den ohnehin zunehmenden Kirchenaustritten – von SVP-Politikerinnen und -Politikern einhergingen, welche sich lieber dem Churer Bischof Huonder zuwenden wollten. Dieser seinerseits wurde schliesslich nach zweijährigem Aufschub zu Pfingsten Abberufen, nutzte die Zeit bis dahin aber für einen Rundumschlag gegen die Landeskirchen und stellte sich noch immer quer zu den Missbrauchsvorwürfen in der Kirche.
Wie sich die Kirche zum Staat verhalten soll und in welchem Masse sich Theologen in die politische Debatte einbringen dürfen, wurde seit Anfang Jahr im Rahmen eines von Gerhard Pfister (cvp, ZG) neu gegründeten Think-Tanks «Kirche/Politik» erläutert.
Eine für viele eher überraschende Kunde kam im Herbst von Seiten der reformierten Kirchen: Diese hatten sich nach langen Diskussionen für die «Ehe für alle» ausgesprochen, wobei sie im Wissen um die konservativen Kräfte innerhalb der Glaubensgemeinschaft die Gewissensfreiheit der Pfarrpersonen gewährleisten wollten. Unerfreulich waren 2019 die Meldungen über die Rückkehr und rasche Zunahme des Antisemitismus in der Schweiz.

Die 2019 im Vorfeld des angekündigten Frauenstreiks virulent diskutierte Genderthematik fand ihren Einzug auch im Bereich der Kultur, Sprache und Kirche. So wurden Frauen, und spezifisch ihr Schaffen und ihre Stellung in der Kunst und Kultur, wesentlich stärker thematisiert als in den vergangenen Jahren. Auch die Diskussion um gendergerechte Sprache wurde in diesem Jahr wieder virulenter aufgegriffen. Besonders überraschend kam auch die Ankündigung der Kirchenfrauen, sich am diesjährigen Frauenstreik zu beteiligen, um ein Zeichen gegen die männliche Dominanz innerhalb der Institution zu setzen.

Jahresrückblick 2019: Kultur, Sprache, Kirchen
Dossier: Jahresrückblick 2019

Die Interessenbindungen der Parlamentsmitglieder gaben stets Anlass zu Diskussionen. Seit der Änderung des Parlamentsgesetzes 2002 müssen Parlamentsmitglieder bei Amtsantritt alle ihre beruflichen Tätigkeiten, die Tätigkeiten in Führungs- und Aufsichtsgremien und Beiräten oder ihre Beratungs- und Expertentätigkeiten offenlegen. Das Register dieser Interessenbindungen wird von den Parlamentsdiensten geführt, nachgetragen und veröffentlicht. Zwar werden also die Mandate ausgewiesen, darüber welche Mandate in welchem Umfang bezahlt werden, herrscht aber wenig bis keine Transparenz und verschiedene Anläufe, dies zu ändern, waren in der Vergangenheit jeweils gescheitert.

Allerdings schien der gesellschaftliche Druck diesbezüglich 2019 zu wachsen. Im «Ämtlisammeln» seien die Bundespolitiker emsig wie Bienen, kritisierte etwa der «Blick» die über 2'000 Interessenbindungen der 246 Parlamentsmitglieder. Darunter befänden sich auch zahlreiche «gut bezahlte Pöstchen». SP-Nationalrätin Mattea Meyer (sp, ZH) wolle dies mit einer parlamentarischen Initiative ändern. Um finanzielle und politische Interessen durch lukrative Mandate nicht zu vermischen – der «Blick» zitierte die Nationalrätin mit den Worten «das geht in manchen Fällen Richtung Käuflichkeit und Korruption» – fordere Meyer einen «Lohndeckel für Ämtlisammler», lobte die Zeitung. Einnahmen aus solchen Mandaten dürften laut der Forderung nicht höher sein als die Entschädigung für die Parlamentsarbeit.

Das Thema Transparenz war freilich nicht nur ein linkes, sondern auch ein rechtes Anliegen. Auch Peter Keller (svp, NW) kommentierte in der «Weltwoche», dass Zusatzbezüge offengelegt werden müssten. Das Parlament sei verseucht, weil sich ein «Söldnerwesen» ausbreite: «Gewählte Volksvertreter sind in Wahrheit als bezahlte Lobbyisten, Pöstli-Jäger und Verbandsfunktionäre unterwegs», so der Nationalrat. Auslöser für den Beitrag von Keller war eine Untersuchung der «Weltwoche», die der Frage nach der Käuflichkeit von Politikerinnen und Politikern nachging. Parlamentsmitglieder würden bis zu 30 Mandate anhäufen und sich dafür stattlich bezahlen lassen. «Topverdiener» würden wohl gegen eine Million Franken verdienen, rechnete das Wochenblatt vor. Ähnliche Zahlen präsentierte Cédric Wermuth (sp, AG) in seinem von ihm veranlassten «Lobby-Report», in dem zwei Journalisten auflisteten, wie viel Geld die Finanz- und Versicherungsbranche an Politikerinnen und Politiker bezahlten. Die Vergütung dieser rund 200 untersuchten Mandate – knapp zehn Prozent aller Mandate im Parlament – schätzten sie auf rund CHF 6.5 Mio. – eine Zahl, die in den Medien einiges Echo fand. Beide Untersuchungen zeigten freilich vor allem, wie schwierig es ist, verlässliche Zahlen zu erhalten, die ohne Transparenz lediglich Schätzungen sein können.

Diskutiert wurde zudem die Idee einer Volksinitiative, mit der die Transparenz von Nebeneinkünften gefordert wurde. Ein ähnliches Begehren war bereits 2011 lanciert worden, letztlich aber an der Unterschriftenhürde gescheitert. Einer der damals federführenden Initianten, Lukas Reimann (svp, SG), gab dem «Sonntags-Blick» zu Protokoll, dass es in den letzten Jahren noch «viel schlimmer» geworden sei. Es sei offensichtlich, dass «etliche» Parlamentsmitglieder «im Interesse ihrer Geldgeber stimmten». Damals wie heute mit im Komitee sass auch Aline Trede (gp, BE). Es gebe zahlreiche Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die «ein Nebenamt bei einer Krankenkasse haben und munter das Gesundheitswesen prägen», so die Nationalrätin ebenfalls im Sonntags-Blick. Wer sich nicht an die Offenlegungspflicht halte oder betrüge, solle aus den Kommissionen verbannt werden, so die Forderung der Initiative, für die allerdings bis Ende 2019 die Unterschriftensammlung nicht gestartet worden war.

Kurz vor den eidgenössischen Wahlen lancierte auch Regula Rytz (gp, BE) einen in den Medien aufgenommenen Vorstoss in Form einer parlamentarischen Initiative, der sich den Europarat zum Vorbild nahm. Dort müssen alle Einnahmen über € 200 mit Herkunft angegeben werden. Dieser Regelung unterwarfen sich aktuell zehn der zwölf Bundesparlamentarierinnen und -parlamentarier, die im Parlament des Europarates sitzen. Alfred Heer (svp, ZH), einer dieser zehn, glaubte allerdings nicht an den Nutzen dieser Transparenz. Die Angaben würden nicht überprüft und es könnten beliebige Erträge angegeben werden. Thomas Müller (svp, SG), neben Hannes Germann (svp, SH) einer der beiden Parlamentarier, die sich als Mitglied der Delegation den Regeln nicht unterwerfen wollten, befand in der Aargauer Zeitung, dass auch Politiker «Anspruch auf Privatsphäre» hätten. Was er verdiene, gehe niemanden etwas an. Hannes Germann warnte, dass die angestrebte Regelung in der Schweiz viele Leute abschrecken könnte, ein Parlamentsmandat zu übernehmen, weil sie in einem Milizsystem ja auf Einkünfte neben den Parlamentarierentschädigungen angewiesen seien.

Transparenz bei der Bezahlung von Mandaten von Parlamentsmitgliedern
Dossier: Lobbyismus im Bundeshaus

IV-Verfügungen mit leichter Sprache ergänzen, um sie für die betroffenen Menschen verständlich zu machen, wollte Beat Flach (glp, AG) mittels einer Motion. Der Motionär störte sich an den Kommunikationsproblemen zwischen Versicherten und IV-Stellen, die daraus entstünden, dass die Versicherten – und teilweise gar Personen mit einem juristischen Abschluss ohne Spezialisierung im Sozialversicherungsrecht – die Entscheidungen und Mitteilungen der IV nicht verstünden. Neben Misstrauen schaffe dies auch auf allen Seiten grossen Mehraufwand, kritisierte er. Deshalb solle der Bund seine Zielvereinbarungen mit den kantonalen IV-Stellen um das Ziel ergänzen, dass Entscheide so zu kommunizieren seien, dass die «Kernbotschaft des Entscheids von durchschnittlichen versicherten Personen verstanden» werde. Der diesbezügliche Zielerreichungsgrad sei überdies regelmässig zu überprüfen. Viel helfen würde es zudem bereits, wenn sich die IV-Stellen an das «Merkblatt Behördenbriefe» der Bundeskanzlei zu persönlichem, sachgerechtem und verständlichem Schreiben hielten, betonte Flach in der Begründung seines Vorstosses. Diskussionslos sprachen sich Bundesrat und Nationalrat für eine Annahme der Motion aus.

IV-Verfügungen mit leichter Sprache ergänzen

A travers un postulat, Cédric Wermuth (ps, AG) a souhaité étudier les relations entre politique économique extérieure et politique migratoire internationale. Le Conseil fédéral a recommandé le rejet du postulat. Il a été classé faute d'avoir été examiné dans les délais.

Paradise Paper. Rapport sur la cohérence entre politique économique et politique migratoire internationales (Po. 17.4149)
Dossier: Paradise Papers

Als Zweitrat befasste sich in der Wintersession 2019 der Nationalrat mit dem Bundesgesetz über die Gesichtsverhüllung, das der Bundesrat dem Parlament als indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» unterbreitet hatte. Über die Initiative selbst wollte die Volkskammer erst nach der Verabschiedung – oder Versenkung – des Gegenvorschlags befinden. Die Mehrheit der vorberatenden SPK-NR hatte ihrem Rat nämlich Nichteintreten auf die Vorlage beantragt. Wie Kommissionssprecher Balthasar Glättli (gp, ZH) dem Ratsplenum schilderte, war diese Mehrheit durch eine Art unheilige Allianz von Initiativbefürwortern und -befürworterinnen einerseits sowie der kategorischen Gegnerschaft eines Verhüllungsverbots andererseits zustande gekommen. Während Erstere den Gegenvorschlag als nicht geeignet ansahen, das Ziel der Initiative zu erreichen, kritisierten Letztere, der Entwurf wolle – nicht anders als die Initiative – ein Problem lösen, das gar nicht existiere, und sei damit genauso unnötig. Trotz des Nichteintretensantrags hatte die Kommission bereits die Detailberatung der Vorlage durchgeführt, um den Prozess im Falle des Eintretens nicht zu verzögern, und den Entwurf um einige Elemente zur Stärkung der Gleichstellung der Geschlechter ergänzt.
Die Eintretensdebatte im Nationalrat wurde von beiden Lagern entsprechend hitzig geführt und förderte manch erstaunliche Argumentationslinie zutage. So warf SVP-Vertreter Andreas Glarner (svp, AG) dem Bundesrat vor, «noch nie in der Geschichte der Eidgenossenschaft» habe es «einen derart untauglichen und unwürdigen Gegenvorschlag zu einer Volksinitiative» gegeben. Gleichzeitig bekräftigten andere Voten derselben Fraktion nicht nur deren Ablehnung des Gegenvorschlags, sondern auch die Absicht, mit der Initiative die gesellschaftliche Stellung der Frauen zu verbessern. Demgegenüber hielten die Grünen in ihrer Ablehnung eines jeglichen Verhüllungsverbots die liberale Staatsordnung der Schweiz hoch und mussten sich von der SP prompt dafür schelten lassen, mit der Ablehnung des Gegenvorschlags eine «riesige Chance [zu] verpassen» (Beat Jans; sp, BS), der von Links-Grün schon so lange angestrebten Gleichstellung in der Gesellschaft näher zu kommen, wie Cédric Wermuth (sp, AG) bemerkte. Den Fraktionen der FDP und der GLP hingegen war der Gegenvorschlag offenbar liberal genug, weshalb sie ihn – wie auch die Mitte-Fraktion – mehrheitlich unterstützen wollten. Mit 94 zu 90 Stimmen bei 5 Enthaltungen fiel der Entscheid des Nationalrats schliesslich knapp für Eintreten.
In der Detailberatung folgte die grosse Kammer dann durchwegs den Anträgen ihrer Kommissionmehrheit und verlieh damit dem Gleichstellungsaspekt der Verhüllungsfrage im Gegenvorschlag mehr Gewicht. So sollen dem Bund im Gleichstellungsgesetz erstens Förderprogramme zur Verbesserung der Gleichstellung zwischen Frau und Mann in der Gesellschaft ermöglicht werden. Zweitens sollen finanzielle Beiträge des Bundes für die Integration gemäss dem Ausländer- und Integrationsgesetz zukünftig ausdrücklich auch insbesondere der Frauenförderung zugutekommen. Drittens soll die Verbesserung der Situation der Frauen in den Zielkatalog des Bundesgesetzes über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe aufgenommen werden. Alle drei Änderungen stiessen bei der Ratsmehrheit, nicht aber bei der geschlossenen SVP- sowie der Mehrheit der FDP-Fraktion, auf Zustimmung. Den so neu verstärkt auf Gleichstellung ausgerichteten Gegenvorschlag nahm die grosse Kammer letztlich mit 105 zu 82 Stimmen bei 7 Enthaltungen an. Zudem verlängerte sie die Frist für die Behandlung der Volksinitiative bis im März 2021 und billigte, dass ihre SPK von der 2016 eingereichten Petition «Für ein Gesichtsverhüllungsverbot» (16.2012) Kenntnis genommen hatte.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

In der Wintersession 2019 machte der Nationalrat im Differenzbereinigungsverfahren zur Weiterentwicklung der IV einen grossen Schritt auf den Ständerat zu. So pflichtete er bezüglich aller offenen Differenzen seinem Schwesterrat bei – einzig bezüglich des Begriffs «Kinderrente» entschied er sich, auch weiterhin eine Ersetzung in allen Erlassen zu fordern. Dabei folgte er jedoch dem neuen Vorschlag der SGK-NR, die sich für den Begriff «Zusatzrente für Eltern» stark gemacht hatte, da auch der Begriff «Zulage für Eltern», die der Nationalrat zuvor angenommen hatte, zu ungenau sei, wie Benjamin Roduit (cvp, VS) dem Rat erklärte. Obwohl eine Minderheit Schenker (sp, BS) für die Beibehaltung des bisherigen Begriffs plädierte, nahm der Rat die Änderung mit 116 zu 77 Stimmen gegen den Willen von SP und Grünen sowie von vereinzelten Mitgliedern der GLP-, FDP- oder Mitte-Fraktion an.
Gegen den Willen der Kommissionsmehrheit, die an der Senkung der Kinderrenten festhalten wollte, folgte der Nationalrat diesbezüglich einer Minderheit Lohr (cvp, TG), der Argumentation von Yvonne Feri (sp, AG), wonach 70'000 Kinder betroffen wären und es zu einer Kostenverlagerung zu den EL kommen würde, sowie einer Petition Wermuth (sp, AG; Pe. 19.2026), die den Rat in Ergänzung zur bereits im Ständerat vorliegenden Petition Bonvin (Pe. 19.2013) bat, auf die Senkung zu verzichten. Mit 134 zu 51 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) bereinigte der Nationalrat diese Differenz, fast die ganze SVP-Fraktion sowie 2 Mitglieder der FDP-Fraktion sprachen sich dagegen aus.
Des Weiteren lehnte die grosse Kammer einen Minderheitsantrag Herzog (svp, TG) mit 120 zu 66 Stimmen ab, der die Altersschwelle für den Verzicht auf Kürzungen beim Übergang zum stufenlosen Rentensystem bei 60 Jahren, wie es der Bundesrat vorgeschlagen und der Nationalrat bisher vorgesehen hatte, anstelle von 55 Jahren, wie es der Ständerat entschieden hatte, festsetzen wollte.
Schliesslich ging es um die Frage nach Tonaufzeichnungen bei medizinischen Gutachten, deren Einsatz Benjamin Roduit mit «dysfonctionnements scandaleux» rechtfertigte: Bekannt gewordene Fälle hätten gezeigt, dass Gutachten teilweise unsorgfältig und unsachgemäss erstellt worden seien. Tonaufzeichnungen seien nötig als Schutz der Experten vor unbegründeten Vorwürfen sowie der Versicherten vor falschen Angaben im Gutachten. Eine Minderheit Nantermod (fdp, VS) wollte hingegen den Akten ohne Aufforderung durch die Versicherten nur handschriftlich festgehaltene Notizen der Sachverständigen beilegen, weil die Aufzeichnung auf Tonträgern aufgrund des grossen Aufwands, den es gebe, wenn sich jemand «durch Stunden von Tonaufzeichnungen hören» und Ungereimtheiten suchen müsse, nicht zielführend sei, wie Regine Sauter (fdp, ZH) für die Minderheit erklärte. Mit 114 zu 78 Stimmen bestätigte der Nationalrat die Verpflichtung zu Tonträgern und bereinigte somit auch diese Differenz.

Weiterentwicklung der IV (BRG 17.022)
Dossier: Weiterentwicklung der IV (2015-2020) und die dazu führenden Vorstösse

Nachdem die Behandlung der Motion Wobmann (svp, SO) auf Antrag des Ständerates für rund 1.5 Jahre ausgesetzt worden war, nahm sich der neu zusammengesetzte Ständerat in der Wintersession 2019 neuerlich dem Verbot der salafistischen Organisation «Lies!» an und machte damit kurzen Prozess, indem er stillschweigend seine Ablehnung kundtat. Die SiK-SR hatte sich bereits im November mit 6 zu 1 Stimmen bei 4 Enthaltungen für eine Ablehnung ausgesprochen, da zwischenzeitlich die abgewarteten Entwürfe zu den Bundesratsvorlagen 19.032 und 18.071 vorlagen, die eine in ihren Augen ausreichende Verstärkung der präventiven Polizeimassnahmen gegen Terrorismus und Verschärfung der strafrechtlichen Massnahmen zusicherten. Der Motionär gab dennoch zu bedenken, dass es sich bei der «Lies!»-Verteilaktion nicht etwa um unbedenkliche «Give-aways» handle, sondern um einen Ort der Radikalisierung. Den wahrgenommenen Rückgang der «Lies!»-Bücher auf den Strassen dürfe man nicht fälschlicherweise als ein Erlöschen der Promotionsaktivitäten verstehen – im Gegenteil: Die politische Bekämpfung der «Lies!»-Promotion habe bisweilen lediglich eine Namensänderung der Aktion in «Koran-Botschaften» bewirkt – was hinsichtlich des Vorstosses aber keinen Unterschied mache, da die vorliegende Motion auch solche Eventualitäten berücksichtigt habe. Zudem konnte Walter Wobmann nicht nachvollziehen, weshalb der Bundesrat hinsichtlich dieser Bücher zu einer anderen Einschätzung gelangt sei als die Nachbarländer der Schweiz, welche ein Verbot solcher Verteilaktionen ausgesprochen hätten. Die anwesende Bundesrätin Amherd beteuerte, der Bundesrat habe nie gesagt, dass es keinen Handlungsbedarf gebe, jedoch sei für ihn klar, dass man mit den neuen Bundesratsvorlagen genügend gesetzgeberische Instrumente zur Hand habe, um diesen Entwicklungen vorzubeugen.

Verbot der salafistischen Organisation "Lies!" und Unterbindung der Verbreitung von jihadistischem Gedankengut (Mo. 17.3583)
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Als in den meisten Kantonen noch kaum jemand gross an die Ständeratswahlen 2019 dachte, war der Wahlkampf im Kanton Aargau bereits in vollem Gange. Dafür verantwortlich waren die früh angekündigten Rücktritte der beiden bisherigen Aargauer Ständeräte. Pascale Bruderer (sp), ehemalige Nationalratspräsidentin und zuletzt acht Jahre Ständerätin, kündigte im Januar 2018 an, sich nach dem Ende der laufenden Legislatur aus der Politik zurückziehen und in die Wirtschaft wechseln zu wollen. Auch Philipp Müller (fdp), ehemaliger Präsident der FDP Schweiz, verzichtete auf eine erneute Kandidatur. Der Abgang der beiden nationalen Politgrössen löste in ihren jeweiligen Parteien ein Gerangel um ihre Nachfolge aus. Den Delegierten der Sozialdemokraten standen an ihrer Nominationsveranstaltung der Nationalrat und frühere Juso-Präsident Cédric Wermuth und die Nationalrätin Yvonne Feri zur Auswahl. Wermuths Bewerbung für die Nomination seiner Partei löste unter den Genossen eine heftige Debatte über die Frauenförderung aus. So wurde Wermuth von verschiedener Seite vorgeworfen, er bremse im von der SP ausgerufenen «Jahr der Frau» die aussichtsreiche Kandidatur einer Frau aus. Wermuth konterte, dass die SP im Aargau stets sehr vorbildlich auf eine Ausgewogenheit der Geschlechter Acht gegeben habe und er ausserdem die im nationalen Parlament ebenfalls untervertretene jüngere Generation vertrete. Eine Mehrheit der SP-Delegierten sprach sich schliesslich für Wermuth aus (105 zu 47 Stimmen). Obwohl Pascale Bruderer 2015 mit einem Spitzenresultat bereits im ersten Wahlgang gewählt worden war, war sich Wermuth bewusst, dass es für ihn deutlich schwieriger werden würde, den Sitz in den Reihen der SP zu halten. Dass Bruderer bis weit über die Parteigrenzen hinaus Sympathien genoss sei eine «historische Ausnahme» gewesen, meinte Wermuth. Im Lager der Freisinnigen duellierten sich derweil die beiden Nationalräte Matthias Jauslin und Thierry Burkhart um die Nomination ihrer Partei. Nachdem Burkhart sich im Vorfeld des Nominationsparteitages bereits die Unterstützung der Jungfreisinnigen und der FDP Frauen gesichert hatte, konnte er schlussendlich auch eine deutliche Mehrheit der Delegierten für sich gewinnen. Mit 154 zu 38 Stimmen setzte er sich gegen seinen Kontrahenten Jauslin durch. Noch vor Ende 2018 stiegen die Kandidierenden aus den weiteren Parteien ins Rennen. Die SVP nominierte zum zweiten Mal in Folge ihren Nationalrat Hansjörg Knecht. Vor vier Jahren war er im zweiten Wahlgang Philipp Müller unterlegen. Für die Grünen kandidierte die Grossrätin Ruth Müri, während die GLP ihre Hoffnungen auf ihren einzigen Nationalrat Beat Flach setzten. Für die CVP warf die kantonale Parteipräsidentin Marianne Binder ihren Hut in den Ring. Im neuen Jahr gesellten sich dann noch Grossrätin Maya Bally (bdp) und Grossrat Roland Frauchiger (evp) zu den Kandidierenden. Das Kandidatenfeld komplettierten Jean-Pierre Leutwyler (Freie Wähler Aargau) und der «ewige Kandidat» Pius Lischer (parteilos), der im Kanton bereits für zahlreiche Wahlen kandidierte. Der langgezogene Wahlkampf wurde von den Kandidaten engagiert geführt. Besonders hervor tat sich Cédric Wermuth, der während seiner aufwändig geführten Kampagne unter anderem zwei Investigativjournalisten damit beauftragte, herauszufinden, wie viel Geld Banken und Versicherungen an Parlamentarier bezahlen.

Im ersten Wahlgang übertraf niemand das absolute Mehr von 88'828 Stimmen. In Führung lagen nach dem ersten Durchgang Thierry Burkart (82'515 Stimmen) und Hansjörg Knecht (72'574). Mit einem bereits stattlichen Rückstand landete Cédric Wermuth (55'274) nur auf dem dritten Platz. Auf ihn folgten Ruth Müri (40'560), Marianne Binder (36'700), Beat Flach (23'158), Maya Bally (21'706) und Roland Frauchiger (9'784). Nach Absprache zwischen den Grünen und den Sozialdemokraten zog Cédric Wermuth seine Kandidatur vor dem zweiten Wahlgang zugunsten von Ruth Müri zurück. Der Entscheid der beiden Parteien war eng mit der gleichzeitig stattfindenden Regierungsratsersatzwahl verknüpft, wo die Grünen im zweiten Wahlgang die Kandidatur der SP-Kandidatin Yvonne Feri unterstützten. Neben Müri verblieben auch Burkart, Knecht und Binder im Rennen. Für die beiden Frauen schien die Lage aufgrund des grossen Rückstands zwar fast schon hoffnungslos. Dennoch gaben sich beide selbstbewusst und zuversichtlich.
Thierry Burkart (99'372 Stimmen) erzielte auch im zweiten Durchgang das beste Ergebnis und schaffte ungefährdet den Einzug in den Ständerat. Mit ihm zog Hansjörg Knecht ins Stöckli ein. Zwar konnte Knecht (73'692) im Gegensatz zu seinen Konkurrentinnen Marianne Binder (61'657) und Ruth Müri (58'754) gegenüber dem ersten Wahlgang kaum zusätzliche Stimmen gewinnen. Trotzdem wurde er im zweiten Wahlgang mit einem komfortablen Vorsprung von über 12'000 Stimmen auf die drittplatzierte Binder gewählt. Der Kanton Aargau erhielt damit zum ersten Mal seit 2011 wieder eine rein bürgerliche Standesstimme. Die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang betrug 37.4 Prozent und war damit 7 Prozentpunkte tiefer als im ersten Durchgang.

Ständeratswahlen 2019 – Aargau
Dossier: Resultate Ständeratswahlen 2019 (nach Kantonen)
Dossier: Eidgenössische Wahlen 2019 - Überblick

Die 2016 in den Aargauer Regierungsrat gewählte Franziska Roth (AG, svp) sah sich schon bald nach ihrer Wahl teilweise heftiger medialer und parteipolitischer Kritik ausgesetzt, in der der politischen Quereinsteigerin mangelhafte Amtsführung und schlechte Dossierkenntnisse vorgeworfen wurde. Als die Gesundheitsministerin Anfang 2019 dann zurückschlug und dem Parlament vorwarf, versteckte Interessen zu verfolgen, und dabei auch ihre eigene Partei nicht schonte, nahm die Kritik nur noch weiter zu. Anfang März 2019 wurde Roth gar von den Fraktionen der FDP, der CVP und der GP in einer parlamentarischen Erklärung wegen mangelnden Respekts gegenüber Parlamentsmitgliedern, schlechter Kommunikation und fehlenden Bemühens um Zusammenarbeit mit dem Parlament gemassregelt. Sie werde wohl auch für ihre Partei, die SVP zum Problem, augurte die NZZ nach der «Standpauke», die in der Schweiz nur selten so vorkomme. Auch aufgrund verschiedener Abgänge von Führungspersonal im Departement von Roth entschied sich der Gesamtregierungsrat noch Anfang März 2019 eine unabhängige Analyse zu den «Problemen im Gesundheitsdepartement» durchzuführen. Roth wurde zudem die Federführung über den Neubau des Kantonsspitals Aarau entzogen. Doch es sollte für Roth tags darauf gar noch schlimmer kommen, stellte ihr doch ihre eigene Partei ein Ultimatum: Nach einer parteiinternen Aussprache gab SVP-Kantonalpräsident Thomas Burgherr an einer Medienkonferenz bekannt, dass sich die SVP Konsequenzen überlegen werde, wenn sich die «prekäre» Amtsführung im Gesundheitsdepartement bis im Sommer nicht bessere. Die SVP fürchtete negative Auswirkungen auf die anstehenden Nationalratswahlen. Roth selber, die an besagter Medienkonferenz nicht anwesend war, schloss einen Rücktritt freilich kategorisch aus. Im Sonntags-Blick wurde die Frage gestellt, ob Frauen in der Politik mit härterer Kritik konfrontiert würden als Männer, und auch die Weltwoche wunderte sich, dass der Regierungsrätin ein Rücktritt nahegelegt werde, «obschon sich diese nichts Gravierendes hat zuschulden kommen lassen».
Eine weitere Eskalationsstufe nahm die Geschichte Ende April 2019, als Franziska Roth bekannt gab, aus der SVP auszutreten und künftig als Parteilose ihr Regierungsmandat weiterzuführen. Sie gab zwar Mängel in ihrer eigenen Kommunikation zu, warf ihrer Partei aber vor, sie mit «diffusen Vorwürfen» einzudecken und diese nicht zu konkretisieren. Man habe sie «genötigt», zurückzutreten. Der Tages-Anzeiger wertete dies als «Beispiel für die schlechte Verfassung der (Aargauer) SVP». Die Volkspartei selbst gab bekannt, dass sie sich in Roth getäuscht habe, und entschuldigte sich für ihre Nomination. Es fehle ihr an Wille, Interesse und Talent, gab die Partei den Medien bekannt und forderte den Rücktritt der Regierungsrätin. Für Schlagzeilen sorgte daraufhin alt-Bundesrat Christoph Blocher, welcher der Aargauer Parteispitze mangelndes Fingerspitzengefühl vorwarf. Die Weltwoche ortete derweil «Führungsversagen und Personalprobleme bei der Aargauer SVP». Die WoZ wiederum sah die Affäre als «Ausdruck der Krise», die in der SVP schwele.
Mitte Juni 2019 nahm dann eine der «wohl bizarrsten politischen Karrieren, die es in der Schweiz je gab» – wie die NZZ kommentierte – mit der Rücktrittsankündigung von Franziska Roth ein Ende: Sie könne nicht so tätig sein, wie sie das gerne würde, weshalb sie per Ende Juli 2019 von ihrem Amt zurücktrete. In der Folge entschied der Regierungsrat, den Bericht zum Gesundheitsdepartement zu sistieren.

Der Rücktritt setzte die Parteien unter Zugzwang, wurde doch der Termin für die Ersatzwahl von Franziska Roth auf den 20. Oktober 2019 gesetzt – zeitgleich mit den Nationalratswahlen. Diese Terminwahl sorgte für Unmut bei den meisten Parteien, die sich nach einem Treffen der Parteipräsidenten per Brief beim Regierungsrat beschwerten. Nicht unterschreiben wollten den Brief allerdings die GP und die SVP. Die NZZ vermutete feilich, dass vor allem die SVP «in Nöte» geraten werde und dass die anderen Parteien wohl Morgenluft witterten, da die SVP wohl nicht so rasch einen Ersatz für Roth finden würde, das Vertrauen in die Partei angeschlagen und damit der zweite Sitz in der fünfköpfigen Regierung in Gefahr sei. Allerdings sei der Anspruch der mit über 30 Prozent Wähleranteil mit Abstand stärksten Partei im Kanton Aargau auf zwei der fünf Exekutivmandate nicht ungerechtfertigt. Mit dem Ausscheiden von Franziska Roth drohte die Regierung im Kanton Aargau überdies rein männlich zu werden, weshalb sich bei der Nominierung der verschiedenen Kandidaturen jeweils auch die Frauenfrage stellte.
Als erste nominierte die GP mit Grossrat Severin Lüscher (AG, gp) einen Mann. Er weise als Hausarzt die nötige gesundheitspolitische Kompetenz für das freie Departement auf, was wichtiger sei als das Geschlecht, wurde bei seiner Nominierung begründet. Auch die SVP präsentierte ihren Kandidaten bereits Mitte Juli: Jean-Pierre Gallati (AG, svp) war Fraktionspräsident im Grossrat und dort vor allem durch seine scharfe Kritik an Franziska Roth aufgefallen. Die SP kündigte Ende Juli an, mit Yvonne Feri (sp, AG) ins Rennen zu steigen. Die SP-Nationalrätin war bereits 2016 zu den Regierungsratswahlen angetreten und damals im für den fünften Sitz nötigen zweiten Wahlgang Franziska Roth nur sehr knapp unterlegen. Erst Mitte August gaben die Grünliberalen bekannt, dass sie ebenfalls antreten werden. Mit Doris Aebi (AG, glp) sollte erstmals ein kantonaler Regierungssitz erobert werden. Aebi hatte bis 2000 für die SP im Kantonsrat in Solothurn gesessen und dort 1997 für den Regierungsrat kandidiert, bevor sie in den Kanton Aargau umgezogen war und die Partei gewechselt hatte. Medial diskutierten Sukkurs erhielt die Kandidatin von der früheren Aargauer FDP-Ständerätin Christine Egerszegi. Die FDP hatte bereits im Juli angekündigt, eine Kandidatur stellen zu wollen, und nominierten Mitte August eine Kandidatin: Der laut der Aargauer Zeitung am rechten Flügel der FDP politisierenden Jeanine Glarner (AG, fdp) wurden gute Chancen eingeräumt, im bürgerlichen Lager viele Stimmen zu holen. Mit Pius Lischer kandidierte auch ein Parteiloser, der bereits seit vielen Jahren erfolglos versucht, im Kanton Aargau in ein politisches Amt gewählt zu werden.
Gleich drei der fünf Kandidierenden bewarben sich gleichzeitig auch um ein Nationalratsmandat: Yvonne Feri, Jeanine Glarner und Jean-Pierre Gallati dürften vom doppelten Wahlkampf profitieren, urteilte die Aargauer Zeitung. Für einigen Wirbel sorgte die frühere Regierungsrätin Susanne Hochuli (AG, gp), die sich im lokalen TV nicht nur für ihren Parteikollegen Severin Lüscher, sondern auch für den SVP-Kandidaten Jean-Pierre Gallati aussprach – nicht aber für die SP-Kandidatin Yvonne Feri. Auch der kantonale Gewerbeverband gab an, Jean-Pierre Gallati zu unterstützen, nicht aber Jeanine Glarner oder Doris Aebi, weil Erstere keine Unternehmerin und Letztere in der falschen Partei sei. Da das neue Regierungsmitglied das Departement für Gesundheit und Soziales übernehmen würde, wurden im Wahlkampf vor allem Gesundheitsthemen, die Sozialhilfe und das Asylwesen debattiert. Im Schlüsseldepartement würden einige wichtige Dossiers warten, die dringend angegangen werden müssten, betonte die Aargauer Zeitung. Insbesondere der Spital-Neubau aber auch die Revision des Spitalgesetzes seien dringlich.
Mit fünf Kandidaturen aus dem gesamten politischen Spektrum für einen Sitz war von Beginn weg klar, dass es einen zweiten Wahlgang brauchen würde. In der Tat übertraf am «Super-Wahlsonntag», wie die Aargauer Zeitung titelte, niemand das absolute Mehr von 91'012 Stimmen. Am nächsten kam ihm der SVP-Kandidat Jean-Pierre Gallati mit 63'830 Stimmen, gefolgt von Yvonne Feri, die aber mit 44'765 Stimmen schon deutlich zurück lag. Auf den Plätzen folgten Jeanine Glarner (27'940 Stimmen), Doris Aebi (21'882 Stimmen) und Severin Lüscher (20'311 Stimmen). Pius Lischer erhielt 1'345 Stimmen. Die Stimmbeteiligung lag bei 43.9 Prozent.

Der Ausgang des zweiten Wahlgangs, der auf den 24. November 2019 angesetzt wurde, war auch davon abhängig, wer im Rennen bleiben und gegen Gallati antreten würde. Dabei kam es im Zusammenhang mit den ebenfalls im zweiten Wahlgang zur Entscheidung anstehenden Ständeratswahlen zu parteiinternen Absprachen: Rot-Grün einigte sich darauf, für den Einzug in den Ständerat mit Ruth Müri (AG, gp) und in den Regierungsrat mit Yvonne Feri zu kämpfen. Im Gegenzug trat Severin Lüscher nicht mehr für den zweiten Wahlgang an und Cédric Wermuth (sp, AG) zog sich bei den Ständeratswahlen zurück. Weil sich zudem sowohl Jeanine Glarner als auch Doris Aebi zurückzogen, hoffte Yvonne Feri auf die Unterstützung der weiblichen Wählerschaft. In der Tat verband Aebi ihren Verzicht mit dem Wunsch, eine Aufsplittung der Frauenstimmen zu verhindern. Weil auch Pius Lischer nicht zum zweiten Wahlgang antrat, kam es Ende November zum Zweikampf zwischen den Kandidierenden der SP und der SVP. Dabei wurde auch entschieden, welche der beiden Parteien einen zweiten Sitz in der kantonalen Regierung erobern und ob die Aargauer Regierung nur noch aus Männern bestehen würde. Das Rennen zwischen der «linken Frau» und dem «rechten Mann», wie die Aargauer Zeitung titelte, machte schliesslich der SVP-Vertreter Jean-Pierre Gallati – äusserst knapp mit lediglich 1'593 Stimmen Vorsprung. Gallati, der auch in den Nationalrat gewählt wurde, das Amt aber bereits nach der ersten Session wieder niederlegte, erhielt 77'462 Stimmen. Wie erwartet übernahm er das Gesundheitsdepartement. Yvonne Feri, die 75'869 Stimmen erhielt und damit zum zweiten Mal hintereinander nur knapp unterlegen war, konnte sich ihrerseits mit dem Nationalratsmandat trösten, das sie seit 2011 innehat. Die Wahlbeteiligung betrug 37.4 Prozent. Die Medien urteilten, dass die SVP mit einem blauen Auge davon gekommen sei (NZZ), dass aber die Karten wohl schon in weniger als einem Jahr bei den Gesamterneuerungswahlen neu gemischt würden. Für Diskussion sorgte, dass das Gremium nun wieder «frauenlos» ist (Tages-Anzeiger). Bisher waren neben Franziska Roth (2016-2019), Susanne Hochuli (2009-2016) und Stéphanie Mörikofer-Zwerz (AG, fdp; 1993-2001) überhaupt erst drei Frauen in den Aargauer Regierungsrat gewählt worden.

Ersatzwahlen für Franziska Roth

Bei den Ständeratswahlen 2019 im Kanton Solothurn traten die bisherigen Amtsinhaber, Roberto Zanetti (SP) und Pirmin Bischof (CVP), wie allgemein erwartet erneut an, um ihre Mandate zu verteidigen. Beide wurden problemlos von ihren Parteien nominiert. Herausgefordert wurden sie von einem Kandidaten-Trio. Die SVP schickte ihren kantonalen Parteipräsidenten und Nationalrat Christian Imark ins Rennen. Imark wurde einst mit 19 Jahren zum jüngsten Kantonsparlamentarier in Solothurns Geschichte gewählt. Auch deshalb galt er lange als Wunderkind der Solothurner SVP. Nach vier Jahren im Nationalrat und deren zwei als Parteipräsident strebte er nun den Einzug in die kleine Kammer an. Die FDP nominierte ihren Parteipräsidenten Stefan Nünlist. Nünlist konnte als persönlicher Mitarbeiter der Bundesräte Jean-Pascal Delamuraz und Pascal Couchepin viel politische Erfahrung vorweisen. Seit Mitte 2017 führte er die FDP Solothurn. Die Grünen setzten auf ihren ehemaligen Parteipräsidenten Felix Wettstein. Er war der Partei von 2012 bis 2018 vorgestanden. Nun schielte er neben seiner Kandidatur für den Nationalrat auch auf einen Sitz im Ständerat. Trotz der stattlichen Konkurrenz starteten die Bisherigen als klare Favoriten ins Rennen. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung als Bundesparlamentarier und ihrer Bekanntheit im Kanton war von Beginn weg klar, dass es für die Herausforderer schwierig werden würde, einen der beiden Sitze zu übernehmen. Besonders die Wiederwahl von Pirmin Bischof schien zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Gefahr zu sein. Die «Sonntagszeitung» hatte ihn im Wahljahr als den zweiteinflussreichsten Schweizer Bundesparlamentarier eingestuft. Bischof hatte nur einen heiklen Moment zu überstehen, als seine Rolle im Kantonalbankdebakel von 1994 in einem Artikel der «Wochenzeitung» zum wiederholten Mal thematisiert wurde. Recherchen der «Woz» hätten gezeigt, dass Bischof im Anschluss an die Kantonalbankpleite CHF 112'500 an Vergleichszahlungen getätigt habe. Bischof habe vorher jahrelang bestritten, solche Zahlungen getätigt zu haben. Die SVP kritisierte Bischof daraufhin scharf. Bischof meinte, nie bestritten zu haben, dass in diesem Fall Geld geflossen sei. Zur Höhe der Vergleichszahlung wollte er sich nicht äussern. Für den zweiten Aufreger im Wahlkampf sorgte die BDP, als sie darauf verzichtete, neben Bischof auch FDP-Kandidat Nünlist zu unterstützen. Implizit begründete die BDP den Entscheid mit dem Wechsel von zwei BDP-Kantonsräten zur FDP, den Nünlist mit eingefädelt haben soll.

Am Wahlsonntag durfte sich einzig Pirmin Bischof bereits nach dem ersten Wahlgang feiern lassen. Er holte 42'234 Stimmen und übertraf damit das absolute Mehr von 39'651 Stimmen. Als nächstes folgte Roberto Zanetti (37'465 Stimmen), der das absolute Mehr jedoch um rund 2'000 Stimmen verpasste. Hinter den Führenden platzierten sich Christian Imark (24'460), Felix Wettstein (19'794) und Stefan Nünlist (17'942). Während die Resultate von Wettstein und Imark als Achtungserfolge gewertet werden können, setzte es für Nünlist mit dem letzten Platz eine herbe Enttäuschung ab. Er zog sich daraufhin aus Rennen zurück, was ihm Felix Wettstein kurze Zeit später gleich tat.
Nachdem Pirmin Bischof bereits im ersten Wahlgang wiedergewählt wurde, kam es im zweiten Durchgang somit zum Zweikampf zwischen Zanetti und Imark. Die Ausgangslage präsentierte sich damit genau gleich wie 2015, als sich Zanetti im zweiten Durchgang deutlich gegen den SVP-Kandidaten Walter Wobmann durchzusetzen vermocht hatte. Die FDP gab nach dem enttäuschenden Abschneiden ihres Kandidaten keine Empfehlung für den zweiten Wahlgang ab. Auch die CVP empfahl keinen der beiden Kandidaten, wobei Pirmin Bischof indirekt durchblicken liess, dass er gerne eine weitere Legislatur mit Zanetti zusammenarbeiten würde. Deutlicher drückte sich der Präsident der CVP Schweiz, Gerhard Pfister, aus. Er lobte Zanetti und kritisierte die Solothurner SVP. Die fehlende Unterstützung durch die CVP und die FDP stiess der SVP sauer auf. Sie bezeichnete die beiden Parteien als «Pseudobürgerliche».

Auch der zweite Wahlgang brachte keine Überraschung. Roberto Zanetti holte 42'666 Stimmen und distanzierte seinen Konkurrenten Imark (27'243) damit um gut 15'000 Stimmen. Imark erzielte immerhin ein besseres Resultat als sein Parteikollege Wobmann vor vier Jahren. Die Wahlbeteiligung fiel gegenüber dem ersten Wahlgang (44.2%) um rund fünf Prozentpunkte und betrug noch 39.3 Prozent. Solothurn wählte somit zum dritten Mal in Folge Roberto Zanetti und Pirmin Bischof in den Ständerat.

Ständeratswahlen 2019 – Solothurn
Dossier: Resultate Ständeratswahlen 2019 (nach Kantonen)
Dossier: Eidgenössische Wahlen 2019 - Überblick

Nach den Gerüchten über seinen möglichen Abgang in Folge der schlechten Wahlresultate bei den Nationalratswahlen 2019 bestätigte Christian Levrat am 12. November 2019 in den Medien offiziell seinen Rücktritt als SP-Parteipräsident. Schon Anfangs November hatte Jacqueline Fehr (sp, ZH) – mit klaren Worten – Levrats Abgang gefordert; eine Forderung, die zum Beispiel auch die Zürcher SP-Co-Präsidentin Priska Seiler Graf geteilt hatte.
Christian Levrat kommunizierte seinen Entscheid in zwei Interviews mit dem Blick und La Liberté, wobei er auch klarstellte, dass sein Abgang schon im Frühling 2019 beschlossen worden war. Der auf November 2020 geplante Parteitag werde auf April 2020 vorgezogen, damit das neue Präsidium genug Zeit habe, um die nächsten Wahlen vorzubereiten. Somit stehe sein Rücktritt nicht mit den Ergebnissen der Nationalratswahlen 2019 und den lauten Abtrittsforderungen seitens anderer Parteimitglieder in Zusammenhang.
Die Presse blickte auf die Erfolge und Misserfolge des Parteipräsidenten zurück: Obwohl Levrat die Verluste der SP in puncto Stimmenanteile nicht habe verhindern können, sei es ihm gelungen – so die NZZ – «die Strömungen innerhalb der traditionell streitlustigen Partei relativ erfolgreich zu vereinen» und im Ständerat auch Allianzen über die Parteigrenzen hinweg einzufädeln.
Mit dem Rücktritt von Levrat starteten die Medien ihre Spekulationen zu seiner Nachfolgerin oder seinem Nachfolger. Im Rennen um das Präsidium hätten gemäss NZZ bereits folgende Personen ihr Interesse geäussert: Flavia Wasserfallen (sp, BE), Barbara Gysi (sp, SG), Mattea Meyer (sp, ZH), Min Li Marti (sp, ZH) und Cédric Wermuth (sp, AG). Der Tages-Anzeiger betonte überdies, dass die Wahl des Präsidiums für zahlreiche Parteimitglieder nicht nur eine neue Person an der Spitze der SP, sondern auch eine neue Aufstellung der Partei – sowohl organisatorisch als auch inhaltlich – bedeute: Einige Parteimitglieder wünschten sich eine «Feminisierung» der Partei, andere einen Wahlkampf mit klarerem Programm und klarerer Richtung, wieder andere eine Person mit strategisch-führungsmässigen Qualitäten. Wer das Präsidium übernimmt und wie die neue Strategie aussehen soll, wird im April 2020 entschieden.

Rücktritt des SP-Parteipräsidenten Christian Levrat

Bei den Nationalratswahlen 2019 im Kanton Solothurn strebten 166 Kandidierende auf 29 Listen einen von sechs zu vergebenden Sitzen an. Der Frauenanteil auf den Listen betrug 37.3% und war damit sechs Prozentpunkte höher als vor vier Jahren. Alle grösseren Parteien traten mit mindestens drei Listen an.

Bei den Wahlen 2015 hatten SVP und SP je zwei, die FDP und die CVP je einen Sitz gewonnen. Damals musste der Kanton Solothurn aufgrund des geringeren Bevölkerungswachstums den Verlust eines Nationalratssitzes hinnehmen. Dieser Sitzverlust wurde vom Stimmvolk auf die CVP abgewälzt, die deshalb für die letzten vier Jahre nur noch einen Solothurner Nationalratssitz besetzte. Trotzdem liess die CVP verlauten, dass die Rückgewinnung eines zweiten Sitzes erst 2023 ein Ziel sein werde. 2019 wolle man primär den Sitz von Stefan Müller-Altermatt verteidigen. Gelingen sollte dies mit Hilfe einer breiten Mitte-Listenverbindung mit GLP, EVP und BDP. Von den bisherigen Nationalräten trat einzig Bea Heim von der SP nicht mehr an. Da damit die einzige Solothurner Frau im Parlament zurücktrat, bestand die Möglichkeit, dass nach den Wahlen 2019 die Solothurner Delegation im Bundeshaus rein männlich sein würde. Als Frau mit den besten Aussichten auf einen Nationalratssitz galt die kantonale SP-Parteipräsidentin Franziska Roth. Sie hatte 2015 im parteiinternen Duell mit Philipp Hadorn einen Sitz lediglich um 122 Stimmen verpasst. Es zeichnete sich auch dieses Jahr wieder ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden ab. Ebenfalls Chancen auf einen der beiden linken Sitze ausrechnen konnten sich Peter Gomm (sp) und Felix Wettstein von den Grünen, mit denen die SP wie üblich eine Listenverbindung eingegangen war. Ohne Listenverbindungen mit anderen grösseren Parteien ins Rennen stiegen die FDP und die SVP. Trotzdem waren beide Parteien zuversichtlich, dass ihre bisherigen Nationalräte wiedergewählt werden würden. Die FDP ist auf kantonaler Ebene die stärkste Partei und konnte mit Kurt Fluri, seit 2003 Nationalrat und seit 1993 Stadtpräsident von Solothurn, auf einen erfahrenen Politiker setzen. Bei der SVP kann der noch junge Christian Imark bereits auf eine steile Politkarriere zurückblicken und er vermochte seinen Bekanntheitsgrad im Kanton durch seine diesjährige Ständeratskandidatur noch zusätzlich zu steigern. Der andere Bisherige bei der SVP, der national bekannte Walter Wobmann, generierte kurz vor den Wahlen noch ordentlich Schlagzeilen, als er in der Herbstsession 2019 eine Motion einreichte, welche den Bundesrat beauftragte die gesetzlichen Grundlagen für eine Bekämpfung der Ausbreitung eines radikalen Islams in der Schweiz zu schaffen. Nachdem eine Mehrheit der FDP im Nationalrat gegen die Motion stimmte, veröffentlichte das von Wobmann präsidierte «Egerkinger Komitee» mehrere Plakate, welche FDP-Exponenten für ihre Haltung kritisierte. Eine Klage der FDP gegen die Plakate wurde schliesslich gutgeheissen.

Am Wahltag gab es im rechten Lager keine Überraschungen. Die drei Bisherigen wurden wiedergewählt, obwohl sowohl die SVP (-2.9 Prozentpunkte; neu 28.8%) als auch die FDP (-2.7 Prozentpunkte; neu 18.5%) im Vergleich zu 2015 Wähleranteile einbüssten. Christian Imark erzielte dabei das beste Ergebnis aller Kandidierenden. Sesselrücken war hingegen bei den Linken angesagt. Die Grünen konnten kräftig zulegen und ihren Wähleranteil mehr als verdoppeln (+5.8 Prozentpunkte auf neu 11.4%). Dies genügte, um der SP einen der beiden Sitze abzuluchsen, die damit den Sitz von Bea Heim nicht zu verteidigen vermochte. Stattdessen wurde Felix Wettstein, der ehemalige kantonale Parteipräsident der Grünen, gewählt. Im Duell um den anderen SP-Sitz hatte schlussendlich Franziska Roth die Nase vorne. Philipp Hadorn verpasste somit als einziger bisheriger Kandidat die Wiederwahl. Beide linken Sitze wurden neu besetzt und weiterhin bleibt wenigstens eine Frau Teil der Solothurner Bundeshausdelegation. Ebenfalls von der grünen Welle profitieren konnte die GLP (+3.3 Prozentpunkte; neu 6.8%). Da die CVP ihre Verluste allerdings in Grenzen halten konnte (-0.6 Prozentpunkte; neu 14.2%), reichte es deutlich nicht für einen Sitz für die GLP und so holte die CVP mit dem bisherigen Stefan Müller-Altermatt den Sitz den die Listenverbindung der Mitteparteien gewinnen konnte. Die Zusammensetzung der Solothurner Volksvertretung lautete somit neu: 2 SVP, 1 FDP, 1 CVP, 1 SP, 1 GP. Die Stimmbeteiligung fiel gegenüber 2015 deutlich (-5.4 Prozentpunkte) und lag mit 44.8% knapp unter dem nationalen Durchschnitt.

Nationalratswahlen 2019 – Solothurn
Dossier: Eidgenössische Wahlen 2019 - Überblick

Im Kanton Aargau bewarben sich bei den Nationalratswahlen 2019 496 Personen auf 36 Listen für einen der 16 Aargauer Nationalratssitze. Der Andrang auf die begehrten Sitze war dieses Jahr noch einmal deutlich höher als 2015 (288 Kandidierende auf 23 Listen). Dieses Jahr schlug alleine schon die CVP mit neun Listen und 127 Kandidierenden zu Buche. Auch die Anzahl der Kandidatinnen war dieses Jahr so hoch wie nie zuvor (187, Frauenanteil 37.7%).

Bei den Nationalratswahlen vor vier Jahren hatten sich die SVP und die FDP im Aargau als Gewinner feiern lassen können. Sie hatten damals beide einen Sitzgewinn verzeichnet. Die 16 Nationalräte, die den Kanton während der letzten Legislatur in Bundesbern vertreten hatten, waren damit wie folgt auf die Parteien verteilt: 7 SVP, 3 FDP, 2 SP, 1 CVP, 1 GPS, 1 GLP, 1 BDP. Die beiden letztmaligen Gewinner mussten für die anstehenden Wahlen 2019 als einzige Parteien Rücktritte verkraften, wobei die SVP besonders betroffen war. Gleich vier ihrer sieben amtierenden Nationalräte fielen der parteiinternen Alters- und Amtszeitregelung zum Opfer. Sylvia Flückiger-Bäni und Ulrich Giezendanner zogen sich ganz aus der nationalen Politik zurück. Luzi Stamm und Maximilian Reimann beschlossen hingegen, auf eigenen Listen erneut zu den Wahlen anzutreten. Luzi Stamm, seit 28 Jahren im Nationalrat, stieg mit einer nach ihm benannten Liste und sieben Mitstreitern ins Rennen. Reimann, seinerseits bereits 32 Jahre lang Bundesparlamentarier, führte derweil die Seniorenliste «Team 65+» an. Für beide waren die Chancen ausserhalb der SVP-Liste ihre Wiederwahl zu schaffen sehr gering. Der SVP bereiteten zudem im Wahlkampf die Turbulenzen um die inzwischen zurückgetretene Regierungsrätin Franziska Roth (svp) Kopfzerbrechen. Immerhin gelang der Volkspartei mit der FDP, der EDU und Reimanns «Team 65+» bei den Listenverbindungen der Zusammenschluss zu einem breiten rechtsbürgerlichen Block. Die FDP erhoffte sich von der Verbindung, den freiwerdenden Sitz der zurückgetretenen Corina Eichenberger zu verteidigen. Der rechtsbürgerliche Schulterschluss geriet allerdings arg in Schieflage als die SVP im August ihr Wurmplakat veröffentlichte. Auf dem Plakat war unter anderem ein FDP-blauer Wurm abgebildet, der einen die Schweiz symbolisierenden Apfel durchbohrt. Die FDP prüfte sogar eine Auflösung der Listenverbindung, doch aufgrund der bereits abgelaufenen Frist für die Anmeldung der Listenverbindungen, hatten die Freisinnigen gar keine andere Wahl, als an die SVP gebunden in die Wahlen zu steigen. In der Mitte schloss sich die BDP mit der EVP zusammen. Damit sollte der Sitz von Bernhard Guhl (bdp) gerettet werden. Zwar garantierte die Listenverbindung den beiden Parteien praktisch einen Sitz, doch falls die EVP mehr Stimmen machen würde als die BDP, könnte Guhl sein Mandat trotzdem verlieren. Innerhalb der zweiten Mitteverbindung, zwischen der CVP und der GLP, kam es ebenfalls zu einem Zweikampf, denn beide Parteien hätten gerne jeweils einen zweiten Sitz erobert. Voraussetzung dafür war jedoch, dass beide Parteien in der Gunst der Wähler zulegen können. Der zusätzliche Sitz würde dann auf die Partei mit dem höheren Wähleranteil fallen. Auch bei den linken Parteien zeichnete sich im Wesentlichen ein Zweikampf ab. Die SP und die Grünen hatten sich beide einen Sitzgewinn zum Ziel gesetzt, doch es schien sehr unwahrscheinlich, dass dies gleich beiden Parteien gelingen würde. Zwar gesellte sich zur Listenverbindung der SP und den Grünen auch noch die Piratenpartei, doch keiner erwartete, dass die Piraten in die Nähe eines Sitzgewinnes kommen würden.

Wie in den meisten Kantonen konnten die Grünen und Grünliberalen auch im Kanton Aargau am Wahlsonntag ihre Wähleranteile kräftig ausbauen. Die Grünen legten gegenüber 2015 um 4.3 Prozentpunkte zu (neu 9.8%), die GLP um 3.3 Prozentpunkte (neu 8.5%). Es reichte jedoch keiner der beiden Parteien für einen Sitzgewinn, womit weiterhin lediglich Irène Kälin (gp) und Beat Flach (glp) im Parlament vertreten sein werden. Sitzgewinne verzeichnen konnten dafür die jeweiligen Listenpartnerinnen – trotz vergleichsweise geringerem Wählendenzuwachs. Für die SP (+0.4 Prozentpunkte, neu 16.5%) schaffte neben den Bisherigen Yvonne Feri und Cédric Wermuth auch Gabriela Suter den Einzug in den Nationalrat. Die CVP (+1.3 Prozentpunkte, neu 9.9%) freute sich darüber, dass sie endlich wieder einmal ihren Stimmenanteil ausbauen konnte, nachdem sie bei den letzten vier Nationalratswahlen jeweils Verluste hatte einstecken müssen. Neben der bestätigten Ruth Humbel wird für die CVP in der nächsten Legislatur auch die kantonale Parteipräsidentin Marianne Binder-Keller in der Grossen Kammer vertreten sein. Die Sitzgewinne von SP und CVP gingen auf Kosten der FDP und der SVP. Die FDP konnte den Sitz von Corina Eichenberger nicht verteidigen. Die beiden Bisherigen Thierry Burkhart und Matthias Samuel Jauslin schafften hingegen die Wiederwahl. Aufgrund der vielen Rücktritte in ihren Reihen, schafften bei der SVP trotz Sitzverlust gleich drei Neue den Einzug ins nationale Parlament: Martina Bircher, Jean-Pierre Gallati und Benjamin Giezendanner. Benjamin Giezendanner folgte damit direkt auf seinen zurückgetretenen Vater Ulrich Giezendanner. Problemlos wiedergewählt wurden die drei bisherigen SVP-Nationalräte Thomas Burgherr, Andreas Glarner und Hansjörg Knecht. Nicht wiedergewählt wurden hingegen wie erwartet Luzi Stamm und Maximilian Reimann. In der Mitte tauschten die BDP und die EVP einen Sitz, da die BDP 2.0 Prozentpunkte verlor (neu 3.1%) und von der EVP (+0.3 Prozentpunkte, neu 3.6%) überholt wurde. Bernhard Guhl verpasste also die Wiederwahl und musste Lilian Studer (evp) den Sitz überlassen. Die Zusammensetzung der Aargauer Volksvertretung für die Legislatur 2019-2023 lautet somit: 6 SVP, 3 SP, 2 FDP, 2 CVP, 1 GP, 1 GLP und 1 EVP. Die Wahlen lockten 44.7 Prozent der Stimmberechtigten an die Urne – 3.6 Prozentpunkte weniger als vor vier Jahren.

Fünf Wochen nach den Nationalratswahlen fand im Aargau der zweite Wahlgang der Ständeratswahlen und der Regierungsratsersatzwahl statt. Neu ins Stöckli zogen Thierry Burkhard (fdp) und Hansjörg Knecht (svp) ein. Für sie rutschten Maja Riniker (fdp) und Stefanie Heimgartner (svp) in den Nationalrat nach. Bei der Regierungsratsersatzwahl setzte sich Jean-Pierre Gallati (svp) als Nachfolger der zurückgetretenen Franziska Roth durch. Gallati gab bekannt, noch die erste Session im Nationalrat zu besuchen. Danach wird ihn Bauernverbandspräsident Alois Huber (svp) als nächster auf der SVP-Liste ersetzen.

Nationalratswahlen 2019 – Aargau
Dossier: Eidgenössische Wahlen 2019 - Überblick

Erstmals mischte die Operation Libero 2019 bei den nationalen Wahlen mit. Im Zuge der sogenannten «Wandelwahl», so der Name der Aktion, wurden insgesamt 38 Kandidierende aus verschiedenen Parteien mit dem «Gütesiegel von Operation Libero» (NZZ) versehen und von der Organisation im Oktober zur Wahl empfohlen.
Zum Auftakt der Kampagne versammelten sich im Juni die ersten Nominierten, darunter auch der Mitbegründer der Operation Libero Nicola Forster (ZH, glp), welcher den Einzug in den Nationalrat letztlich knapp verpasste, zusammen mit den Co-Präsidentinnen Flavia Kleiner und Laura Zimmermann, die beide nicht zu den Wahlen antraten, in Bern auf dem Casinoplatz. Der Wahlauftakt unterschied sich nicht von anderen Wahlveranstaltungen, wie die NZZ damals festhielt; einziger Unterschied sei, dass die Organisatorin keine Partei sei. Das Ziel der «Wandelwahl» war, die progressiven Kräfte im Parlament zu stärken und den «jahrelangen Stillstand und die Blockade», in welcher sich die Schweizer Politik befinde, aufzubrechen, zitierte die Aargauer Zeitung die Absichten der Operation Libero. Den Kandidierenden wurde bei ihrer Wahlkampagne unter die Arme gegriffen, im Gegenzug mussten diese bei erfolgreicher Wahl die Libero-Ziele unterstützen, beispielsweise durch die Erarbeitung eines griffigen CO2-Gesetzes, der «Ehe für Alle» oder eine im Sinne der Operation Libero konstruktiven Europapolitik.
Aufgrund dieser Forderungen musste die Operation Libero Kritik einstecken: Die WOZ warf ihr Ende August vor, dass sie Kandidatinnen und Kandidaten kaufe und die Demokratie als Supermarkt betrachte. Zudem monierte der «Blick», dass CHF 400'000 der insgesamt CHF 600'000 des Wahlkampfbudgets – geplant waren eigentlich CHF 1.5 Mio. – von einem einzigen Spender eingegangen seien und die Organisation sich dadurch von diesem abhängig mache. Laura Zimmermann wies die Kritik der WOZ zurück: Das Empfehlen von Kandidatinnen und Kandidaten, die parteiübergreifend Politik machen, sei «urdemokratisch». Gegenüber dem «Blick» meinte sie, es sei «kein Rappen an die Kandidierenden geflossen» und man werde analysieren, weshalb von den geplanten CHF 1.5 Mio. nur CHF 600'000 zusammengekommen seien und weshalb das Crowdfunding für die Kampagne diesmal nicht wie gewünscht funktionierte.

Zehn der 38 empfohlenen Kandidierenden wurden schliesslich in den Nationalrat gewählt, wie die Operation Libero nach der Wahl in einer Medienmitteilung kommunizierte: Gerhard Andrey (gp, FR), Susanne Vincenz-Stauffacher (fdp, SG), Roland Fischer (glp, LU) und Marionna Schlatter (gp, ZH) zogen dabei neu in den Nationalrat ein. Wiedergewählt wurden Yvonne Feri (sp, AG), Beat Flach (glp, AG), Sibel Arslan (gp/basta, BS), Philipp Kutter (cvp, ZH), Eric Nussbaumer (sp, BL) und Kathrin Bertschy (glp, BE).

Operation Libero «Wandelwahl» 2019

Wenn man im Spätsommer der Landstrasse entlang fährt und über Kilometer hinweg eine willkürliche Aufreihung meist fremder Gesichter entdeckt, wird auch den politisch Uninteressierten bewusst, dass der nationale Wahlherbst vor der Türe stehen muss. Auch im Herbst 2019 war dieses Spektakel schweizweit deutlich zu sehen. Die Parteien und ihre Kandidatinnen und Kandidaten warben fleissig für sich und ihre Anliegen – mal originell, mal weniger, aber immer mit dem Bisschen «je ne sais quoi», das der Politik eben inhärent ist. Bisweilen schreckten einige auch nicht vor einer ordentlichen Portion Provokation zurück, so beispielsweise die SVP mit ihrem im August publizierten, wurmstichigen Apfel-Plakat oder die CVP mit ihrer Online-Kampagne, mit der sie offensichtlich gegen die anderen Parteien schoss.
Da in einem demokratisch konsolidierten Land wie der Schweiz die Meinungsäusserungsfreiheit einen hohen Stellenwert geniesst und nach Möglichkeit auch eine harte politische Auseinandersetzung über heikle Themen ermöglicht werden soll, gibt es in der Schweiz kaum rechtliche Grundlagen, die gezielt den Wahl- bzw. Abstimmungskampf regeln. Dies wurde knapp drei Wochen vor den Wahlen deutlich, als es ein prominenter Akteur, der mit Parteipolitik im eigentlichen Sinne nur wenig zu tun hat, mit einer Plakat-Aktion in die Medien schaffte: das «Egerkinger Komitee» mit seinem prominentesten Vertreter Walter Wobmann (svp, SO). In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurden in verschiedenen Schweizer Städten und auf den Social-Media-Accounts des Komitees unzählige Wahlplakate aufgehängt und aufgeschaltet, auf denen jeweils das Konterfei vier prominenter FDP-Exponenten zu sehen war: Parteipräsidentin Petra Gössi (SZ), Fraktionschef Beat Walti (ZH), Nationalrätin Christa Markwalder (BE) sowie Nationalrat Christian Wasserfallen (BE). Betitelt wurde das Ganze mit dem Slogan: «Die FDP schützt radikale Islamisten in der Schweiz – Wollen Sie solche FDP-Mitläufer wirklich wählen?» Stein des Anstosses war eine nur wenige Wochen zuvor in der Herbstsession abgelehnte Motion der SVP-Fraktion zur Bekämpfung der Ausbreitung eines radikalen Islams in der Schweiz, die auch dank grosser Unterstützung der FDP-Fraktion zu Fall gebracht worden war.
Die FDP-Spitze liess diesen Angriff nicht auf sich sitzen und zog die Angelegenheit einen Tag nach Bekanntwerden vor das Bezirksgericht Andelfingen (ZH), dem Sitz des Egerkinger Komitees. Dort suchte sie, wie in diversen Medien berichtet wurde, um Erlass eines Superprovisoriums (einer ohne Anhörung der Gegenpartei erlassenen vorsorglichen Massnahme) an, weil sich die anvisierten Personen in ihrer Persönlichkeit verletzt fühlten, u.a. im Recht auf das eigene Bild. Petra Gössi liess im «Blick» verlauten, sie lasse sich nicht unterstellen, radikale Islamisten zu schützen; vielmehr sei die Motion der SVP «reine Symbolpolitik, die nicht umsetzbar gewesen wäre oder gar nichts gebracht hätte», gewesen. Das Gericht bestätigte zwei Tage nach dem Ansuchen die superprovisorische Verfügung und forderte das Komitee auf, die Plakat- und Social-Media-Anzeigen innert 24 Stunden zu entfernen. Komme es dieser Aufforderung nicht nach, würden Bussen in Höhe von CHF 10'000 verhängt und auch für weitere geplante Veröffentlichungen zusätzlich erhoben werden. Wobmann und sein Komitee – oder wie es der Tages-Anzeiger betitelte: die «SVP-Kampftruppe» – ignorierten das Gerichtsurteil aber gänzlich und liessen nonchalant verlauten: «Wir entfernen die Plakate sicher nicht.» Gemäss Wobmann handle es sich bei diesem Urteil lediglich um einen politischen Entscheid; er sprach gar von «Zensur». Zudem sei die Plakat-Kampagne sowieso lediglich auf den Zeitraum einer Woche beschränkt gewesen und werde bereits am Montag nach dem Urteil enden. Des Weiteren sei das Entfernen innert 24 Stunden gar nicht möglich – was wiederum von der verantwortlichen Plakatgesellschaft Clear Channel so nicht bestätigt wurde.
In der Wochenendpresse wurde dann tatsächlich eine Wende im Plakat-Krimi kundgetan: Das Egerkinger Komitee wolle doch dem «Gericht gehorchen» und habe Clear Channel einen entsprechenden Auftrag erteilt, wie der Tages-Anzeiger informierte. Die gesetzte Frist von 24 Stunden reiche zum Entfernen der Plakate zwar nicht, liess die Plakatgesellschaft verkünden, man werde diese aber auf Kosten des Komitees frühzeitig überkleben. Weshalb es nun doch zum Umschwung kam, wollte Wobmann den Medien nicht mitteilen. Stattdessen hatte sich in der Zwischenzeit eine andere Politgrösse zur Plakataktion geäussert: SVP-Übervater Christoph Blocher. Im Gespräch auf «Teleblocher» antwortete er auf die Frage, was er denn von diesem Urteil halte, lediglich mit einem Lachen und meinte: «Da habe ich nur gelacht.» Es sei eben schon etwas «komisch», wenn das Gericht ein solches Urteil fälle, da sich die genannten Politikerinnen und Politiker doch lediglich gegen einen vermeintlichen Rufschaden wehrten, den sie durch ihr Abstimmungsverhalten grundsätzlich selbst zu verschulden hätten. In Rezitation des ehemaligen Deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, meinte er hierzu mit einem verschmitzten Unterton: «Wer den Dampf nicht erträgt, soll nicht in die Küche gehen.» Der Frage, was er denn vom Plakat selbst halte, wich er aus und betonte, dass er selbst mit dieser Kampagne nichts zu tun habe, gar erst über die Medien davon erfahren habe. Den Schritt, den das Komitee gegangen sei, empfand er jedoch als «mutig».

Stopp der Ausbreitung des radikalen Islams in der Schweiz! - Plakataktion des Egerkinger-Komitees
Dossier: Stopp der Ausbreitung des radikalen Islams in der Schweiz!
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Beat Flach (glp, AG) forderte mit seinem Postulat zum Wildwuchs und Wirrwarr bei den Regeln der Baukunde einen Bericht des Bundesrates, der Massnahmen für eine verbesserte Koordination der verschiedenen technischen Regelungen und der dahinterstehenden Akteure im Planungs- und Bauwesen aufzeigen soll. Laut einer in der Begründung zitierten Studie des SECO würde allein das Baubewilligungsverfahren Regulierungskosten von über CHF 600 Mio. pro Jahr verursachen. Nachdem auch der Bundesrat Annahme des Postulates beantragt hatte, überwies es der Nationalrat im September 2019 stillschweigend.

Wildwuchs und Wirrwarr bei den Regeln der Baukunde (Po. 19.3894)

In der Herbstsession 2019 ging das Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste (E-ID-Gesetz) in die Differenzbereinigung. In der ersten Runde konnte sich die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat bei allen Streitpunkten durchsetzen, womit die Volkskammer an ihren ursprünglichen Positionen festhielt und keine grosse Kompromissbereitschaft an den Tag legte. Obwohl sich die Frage um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die E-ID wie ein roter Faden durch die Debatte zog, schienen die diesbezüglichen Überlegungen die Entscheidungen des Rats nur wenig zu beeinflussen. So lehnte der Nationalrat sowohl den von einer Minderheit Arslan (basta, BS) geforderten Zwang als auch die vom Ständerat eingeführte, vorbedingungslose Möglichkeit für den Staat zur Herausgabe einer E-ID ab und hielt an der rein subsidiären staatlichen Herausgabe fest, obwohl sich Bundesrätin Karin Keller-Sutter für den ständerätlichen Kompromiss ausgesprochen hatte. Der Staat sollte sich auch nicht wie vom Ständerat vorgesehen an privaten E-ID-Anbietern (Identity Providern) beteiligen können. Des Weiteren hielt die grosse Kammer an der Nennung der Sorgfaltspflichten im E-ID-Gesetz fest und strich lediglich die Delegationsnorm, welche die Konkretisierung der Sorgfaltspflichten durch den Bundesrat vorgesehen hätte. Eine Minderheit Flach (glp, AG) blieb mit dem Vorschlag eines Mittelwegs erfolglos, der das explizite Verbot der Weitergabe der E-ID streichen, die abstrakte Beschreibung der Sorgfaltspflichten aber beibehalten wollte. Ebenfalls erfolglos blieb die durch Beat Flach eingebrachte Forderung des Konsumentenschutzes, dass Dienstleistungen, für die eine E-ID der Sicherheitsstufe «niedrig» ausreicht, auch ohne E-ID genutzt werden können müssen. Da die Angst, im Internet eine Datenspur zu hinterlassen, nachvollziehbar sei, hatte sich Bundesrätin Keller-Sutter auch hierfür vergebens stark gemacht. Die vom Ständerat neu eingeführte E-ID-Kommission (Eidcom) als unabhängige Stelle zur Anerkennung und Kontrolle der Identity Provider blieb im Nationalrat vorerst ebenso chancenlos wie die von der Schwesterkammer verschärften Datenschutzbestimmungen.
Im Ständerat erklärte es Kommissionssprecher Beat Vonlanthen (cvp, FR) zum Ziel dieses Gesetzgebungsprozesses, dass das Gesetz bzw. die E-ID «vertrauenswürdig sein und in einer allfälligen Volksabstimmung bestehen können» müssten. In diesem Lichte hielt die Kantonskammer an ihren Positionen zur Möglichkeit für eine staatliche Herausgabe der E-ID und für eine staatliche Beteiligung an Identity Providern sowie zur Einführung der Eidcom, die sie allesamt als zentral für die Vertrauensbildung in der Bevölkerung erachtete, stillschweigend fest. Einen Schritt auf ihre Schwesterkammer zu machte sie bei den Sorgfaltspflichten, wo sie sich für den zuvor im Nationalrat diskutierten, aber dort noch abgelehnten Mittelweg Flach entschied. Mit der im Nationalrat abgelehnten, zwingenden Alternative zur E-ID bei Dienstleistungen, die nur Sicherheitsstufe «niedrig» verlangen, fand das Anliegen des Konsumentenschutzes im Ständerat Gehör und wurde ins Gesetz aufgenommen. Zugeständnisse an den Nationalrat machte die kleine Kammer auch beim Datenschutz, indem sie einen Kompromiss einführte, wonach die Zweckbindung der Datenverarbeitung erhalten bleiben, eine Bearbeitung durch Dritte im Rahmen des Datenschutzgesetzes aber erlaubt sein soll, um die konzerninterne Arbeitsteilung und das Outsourcing der Datenbearbeitung nicht zu verunmöglichen.
Während sich der Nationalrat bei den Sorgfaltspflichten schliesslich auf den Mittelweg Flach einliess und diese Differenz damit ausräumte, brachte die RK-NR einen neuen Vorschlag betreffend die Rolle des Staates vor. Demnach soll der Staat nur dann selber ein E-ID-System betreiben dürfen, wenn die Zwecke der E-ID gemäss Art. 1 BGEID nicht erfüllt werden. Der Bundesrat unterstützte diese Subsidiaritätsregel nun, da sie die Voraussetzungen für das Tätigwerden des Staates klar formuliere und der Bund auch ohne diese Einschränkung ohnehin nur mit gebührender Zurückhaltung agiert hätte. Entgegen einer Minderheit Min Li Marti (sp, ZH), die von der SP-, der Grünen- sowie einzelnen Mitgliedern der FDP-Fraktion getragen wurde und an der ständerätlichen Version festhalten wollte, entschied sich die grosse Kammer für diesen neuen Kompromiss. Bezüglich der Eidcom hatte sich die Mehrheit der RK-NR seit der letzten Beratung umstimmen lassen; sie setzte sich nun gemeinsam mit dem Bundesrat für deren Einführung als unabhängige Aufsicht ein, da der Staat, würde er subsidiär tätig, sich im Falle der Aufsicht durch das Informatiksteuerungsorgan des Bundes letztlich selber beaufsichtigen würde. Die Mehrheit des Nationalratsplenums liess sich davon überzeugen und schloss sich mit 113 zu 69 Stimmen dem Ständerat an, während die SVP- und die BDP-Fraktionen sowie einige FDP-Vertreterinnen und -vertreter dagegen votierten. Dem ständerätlichen Kompromiss beim Datenschutz stimmte die grosse Kammer stillschweigend ebenfalls zu.
In der einen verbleibenden Differenz zum subsidiären E-ID-System des Bundes schloss sich der Ständerat schliesslich stillschweigend dem neuen nationalrätlichen Vorschlag an. Die so bereinigte Vorlage passierte die Schlussabstimmung im Nationalrat mit 144 zu 51 Stimmen bei 2 Enthaltungen und jene im Ständerat mit 35 zu 2 Stimmen bei 8 Enthaltungen. Wie bereits seit längerem angekündigt, zeigten sich die SP und die Grünen nicht zufrieden mit dem Gesetz, weil sie sich die Herausgabe der E-ID durch den Staat gewünscht hätten. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit dürfte wohl das Volk haben, mutmasste die Presse.

E-ID-Gesetz
Dossier: Elektronische Identität

Die Schweiz soll sich am Verteilungsmechanismus der «Koalition der Willigen« beteiligen, forderten im September 2019 Beat Flach (glp, AG; Mo. 19.4319), Lisa Mazzone (gp, GE; Mo. 19.4034), Guillaume Barazzone (cvp, GE; Mo. 19.4033), Kurt Fluri (fdp, SO; Mo. 19.4037), Carlo Sommaruga (sp, GE; Mo. 19.4035) und Rosmarie Quadranti (bdp, ZH; Mo. 19.4036) in ihren identischen Motionen. Die «Koalition der Willigen» oder eher «Aufnahmewilligen» bezeichnete in diesem Kontext eine Gruppe von EU-Staaten, die sich freiwillig zur Aufnahme geretteter Flüchtlinge bereit erklärten. Die Beteiligung der Schweiz könne gemäss Motionärinnen und Motionären entweder durch die Aufnahme eines Mindestanteils (von zwei Prozent) der Überlebenden an Bord jedes NGO-Schiffs oder durch die Unterstützung der Küstenstaaten durch die Aufnahme von Flüchtlingen aus deren Asylzentren erreicht werden. Die Schweiz beteilige sich via Frontex an der Finanzierung der libyschen Küstenwache, welche Schiffbrüchige nach Libyen zurückführe, ein Land in dem ein aktiver Konflikt schwele und in dessen «Gefangenenlagern» Menschenrechtsverletzungen weitverbreitet seien, kritisierten die Motionärinnen und Motionäre. Als Land mit einer langen humanitären Tradition müsse sich die Schweiz daher umso mehr bereit erklären, Überlebende aufzunehmen.
In seiner Stellungnahme machte der Bundesrat klar, dass die Seenotrettung eine völkerrechtliche Verpflichtung sei und man alle Beteiligten zur Einhaltung der EMRK, des internationalen Seerechts und der Genfer Flüchtlingskonvention aufrufe. Ad-hoc-Lösungen zur Verteilung von Flüchtlingen stehe die Schweiz jedoch zurückhaltend gegenüber, man setze sich eher für eine Reform des Dublin-Systems auf europäischer Ebene ein. Die Umverteilung von Personen ohne Chance auf Asyl sei ein Pull-Faktor, der falsche Anreize setze. Man werde aber weiterhin die Erstaufnahmestaaten auf bilateraler und multilateraler Ebene unterstützen, so wie das bereits durch die Beteiligung an den Plänen des EASO und dem Relocation-Programm der EU im Jahr 2015 geschehen sei. Im Rahmen des zweiten Schweizer Beitrags an ausgewählte Mitgliedstaaten der Europäischen Union werde sich die Schweiz zudem für die Stärkung des Migrationsmanagements in besonders stark betroffenen europäischen Staaten einsetzen. Der Bundesrat beantragte aus diesen Gründen in allen Fällen die Ablehnung der Motion.

Die Schweiz soll sich am Verteilungsmechanismus der "Koalition der Willigen" beteiligen

Der Totalrevision des Datenschutzgesetzes und der Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz nahm sich in der Herbstsession 2019 der Nationalrat als Erstrat an. Das ein Jahr zuvor verabschiedete und am 1. März 2019 in Kraft getretene Schengen-Datenschutzgesetz, das aus Gründen der zeitlichen Dringlichkeit zunächst nur die Schengen-relevanten Anpassungen umsetzte, wird mit der Annahme des totalrevidierten Gesetzes wieder ausser Kraft treten. Mit der Totalrevision sollen über die Schengen-Anforderungen hinausgehend einerseits die Schwächen des heutigen Datenschutzrechts, das noch aus einer Zeit vor dem Internet stammt, behoben und andererseits die Entwicklungen auf EU- und Europarats-Ebene aufgenommen werden. Besonders bedeutsam für die Schweiz ist hierbei, von der EU weiterhin als Drittstaat mit angemessenem Datenschutzniveau anerkannt zu werden. Ansonsten, so wurde befürchtet, wäre die Schweizer Wirtschaft mit erheblichen Wettbewerbsnachteilen konfrontiert, da Schweizer Unternehmen nicht mehr so einfach Daten mit Firmen in der EU austauschen könnten. Bis im Mai 2020 wird die EU die Äquivalenz des Schweizer Datenschutzes beurteilen, was eine gewisse Dringlichkeit für die Revision gebietet.
Wie schwierig dieses Unterfangen werden würde, hatte sich schon in der vorberatenden SPK-NR abgezeichnet: Nur mit Stichentscheid des Präsidenten Kurt Fluri (fdp, SO) hatte sich die Kommission im August 2019 durchgerungen, die Vorlage nach mehr als einem Jahr Arbeit überhaupt vors Ratsplenum zu bringen. Die wichtigsten Anpassungen der Kommission am bundesrätlichen Entwurf waren die neu einzuführende Direktwahl des EDÖB durch die Bundesversammlung, die Einführung eines Rechts auf Datenportabilität, die Anpassung der Definition der besonders schützenswerten Personendaten sowie der Verzicht auf eine besondere Regelung für den Umgang mit Daten verstorbener Personen und auf eine ausdrücklich erforderliche Einwilligung zum Profiling. Im Rahmen ihrer Beratungen hatte die SPK-NR zudem sechs Motionen zur Vervollständigung der Datenschutzbestimmungen in weiteren Gesetzen eingereicht.
Kurz vor der Debatte im Nationalrat hatte das Bundesamt für Justiz überdies eine Liste dazu veröffentlicht, welche problematischen Differenzen es zwischen dem Kommissionsvorschlag und den Anforderungen der EU sehe. Auch EDÖB Adrian Lobsiger hatte in der Presse bezweifelt, dass das von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Gesetz mit dem verlangten Niveau der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) mithalten könne; beim Entwurf des Bundesrates hätte er indes keine Probleme gesehen.
Während der strittige Vorschlag der Kommissionsmehrheit für die SVP bereits zu weit ging, bemängelten SP, Grüne und GLP, er sei zu lasch. Wirtschaftsverbände drängten unterdessen auf eine möglichst rasche, EU-konforme Lösung. So wurde im Vorfeld der nationalrätlichen Debatte von den Mitte- und Linksparteien noch fieberhaft nach Kompromissen gesucht, um den drohenden Absturz der Revision zu verhindern.

In der Eintretensdebatte in der grossen Kammer wurde von allen Seiten – ausser von der SVP-Fraktion – betont, wie wichtig und notwendig das vorliegende Revisionsprojekt sei, sowohl um den Datenschutz dem Internetzeitalter anzupassen als auch um den Datenschutz auf ein der EU gleichwertiges Niveau zu bringen, auch wenn man in den Details der Ausgestaltung verschiedene Ansichten vertrat. Die SVP betrieb hingegen Fundamentalopposition gegen «diesen bürokratischen Unsinn», wie Fraktionsvertreter Gregor Rutz (svp, ZH) das neue Gesetz nannte, denn es sei insgesamt, vor allem für KMU, schlechter als das geltende Datenschutzgesetz – ein Argument, das wenig später durch das Votum von FDP-Vertreter Kurt Fluri (fdp, SO) entkräftet werden sollte, der berichtete, dass der Gewerbeverband die Stossrichtung der Kommissionsmehrheit begrüsse und die Rückweisung nicht unterstütze. Mit der DSGVO verkaufe die EU laut Rutz ihre Bürger für dumm, da sie «kein Mensch» verstehe. «Wir haben langsam genug davon, jeden Unsinn aus der EU ungesehen zu übernehmen!», ärgerte sich der SVP-Vertreter und rief das Ratsplenum auf, die Vorlage an den Bundesrat zurückzuweisen mit dem Auftrag, sie zu entschlacken und EU-Vorschriften nur dort zu übernehmen, wo es unumgänglich sei. Auch eine linke Minderheit hatte ursprünglich die Rückweisung, allerdings an die Kommission, beantragt und diese beauftragen wollen, die Vereinbarkeit der Vorlage mit dem Übereinkommen SEV 108 des Europarats, die Äquivalenz mit dem EU-Datenschutzrecht, die Kompatibilität mit den Schengen-Verträgen und die Nicht-Unterschreitung des heute geltenden Schutzniveaus sicherzustellen. Um die doch eher dringliche Revision nicht unnötig zu verlangsamen und um sich einer «produktiven Diskussion» nicht zu verschliessen, zog Cédric Wermuth (sp, AG) diesen Antrag jedoch «im Sinne eines Vorschussvertrauensbeweises» zurück und hoffte, das Gesetz während der Beratung noch auf eine den genannten Forderungen nähere Linie bringen zu können. Der Rückweisungsantrag der SVP-Minderheit wurde mit 120 zu 66 Stimmen (1 Enthaltung) deutlich verworfen; ausserhalb der geschlossenen SVP-Fraktion sah niemand eine Rückweisung als den richtigen Weg an.

Im Laufe der Detailberatung musste der Nationalrat über 45 Minderheits- und mehrere Einzelanträge befinden, die zu einem beträchtlichen Teil die Unterstützung des Bundesrates genossen – hauptsächlich immer dort, wo die Kommissionsmehrheit mit ihrem Vorschlag einen schwächeren Datenschutz wollte als der Bundesrat und somit das heute geltende Schutzniveau oder die Anforderungen der EU und/oder des Europarats unterschreiten wollte. So war die Kommissionsmehrheit bestrebt, sowohl die Daten über gewerkschaftliche Ansichten und Tätigkeiten als auch die Daten über Massnahmen der sozialen Hilfe aus dem Katalog der besonders schützenswerten Daten, für deren Bearbeitung besondere Anforderungen gelten, zu streichen. Während eine bürgerliche Ratsmehrheit die Streichung der Daten über gewerkschaftliche Ansichten und Tätigkeiten guthiess, schwenkte der Nationalrat bei den Daten über Massnahmen der sozialen Hilfe – neben Sozialhilfedaten sind davon auch solche über Sozialversicherungsmassnahmen bei Krankheit oder Unfall, Massnahmen der Vormundschaftsbehörden oder KESB, die fürsorgerische Unterbringung in psychiatrischen Kliniken, Ergänzungsleistungen und Prämienverbilligungen erfasst – auf die Linie des Bundesrates zurück und beliess sie im Katalog. Grünen-Vertreter Balthasar Glättli (gp, ZH) hatte zuvor mit Nachdruck klargemacht, dass deren Streichung für die Grünen und die SP ein Grund wäre, dem Gesetz die Zustimmung zu verweigern. Eine ähnliche Drohung sprach SVP-Fraktionssprecher Gregor Rutz aus, als die Einschränkung des Geltungsbereichs des DSG auf natürliche Personen zur Debatte stand: Einem Gesetz, das – anders als bisher – keinen Datenschutz für juristische Personen mehr vorsehe, werde man «nie im Leben» zustimmen können. Alle anderen Fraktionen befanden den Schutz für juristische Personen durch andere gesetzliche Bestimmungen jedoch als ausreichend und so glich der Nationalrat das DSG mit der Streichung des Schutzes juristischer Personen an die europäischen Regeln an. Bei der Frage der Anforderungen für das sogenannte Profiling zeichnete sich während der Diskussion ab, dass man an diesem Tag keine zufriedenstellende Lösung finden würde. Für jegliche Formen des Profilings, das die Aargauer Zeitung treffend als die «automatisierte Auswertung von Daten, mit denen bestimmte Merkmale einer Person bewertet werden, um etwa Vorhersagen über ihr künftiges Verhalten zu treffen» definierte, hatte der Bundesrat eine ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Person voraussetzen wollen, wie sie auch zur Bearbeitung besonders schützenswerter Personendaten vorgesehen war. Da das geltende Recht so eine Regelung für das Erstellen von Persönlichkeitsprofilen umfasst, würde eine komplette Streichung der ausdrücklichen Einwilligung zum Profiling, wie es die Kommissionsmehrheit vorgeschlagen hatte, ein Rückschritt vom aktuellen Schutzniveau darstellen. In der Diskussion wurde mehrheitlich anerkannt, dass verschiedene Formen des Profilings unterschieden werden müssten, da es, wie es Balthasar Glättli erklärte, durchaus einen Unterschied mache, ob Profiling zur Erstellung von passenden Bücherempfehlungen, zur Abschätzung des Risikos für eine Versicherung oder zur Vorhersage der politischen Entscheidungen einer Person gebraucht werde. Der Bundesrat unterstützte folglich einen Einzelantrag Glättli, der eine ausdrückliche Einwilligung nur für ein Profiling mit hohem Risiko für die Persönlichkeit oder die Grundrechte der betroffenen Person vorsah. Die Fraktionen der Grünen, SP und GLP unterstützten diesen Antrag ebenfalls, unterlagen jedoch der bürgerlichen Ratsmehrheit, die beim Vorschlag der Kommissionsmehrheit ohne besondere Anforderungen für das Profiling blieb. Der Nachhall der Diskussion war jedoch klar, dass sich der Ständerat noch einmal intensiv mit dieser Frage auseinandersetzen müsse.
Betreffend die Informationspflicht bei der Beschaffung von Personendaten, die Regeln für die Bekanntgabe von Personendaten ins Ausland, die Rechenschaftspflicht für datenbearbeitende Unternehmen über die Einhaltung des Datenschutzrechts sowie das Auskunftsrecht einer Person zu den über sie gesammelten oder bearbeiteten Daten lehnte die Volkskammer einige von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Lockerungen ab und umschiffte somit ein paar der vielen Klippen im Hinblick auf den Angemessenheitsbeschluss der EU. Die vom Bundesrat eingefügten Regelungen über Daten von verstorbenen Personen erachtete der Rat jedoch als nicht notwendig und strich mit bürgerlicher Mehrheit alle entsprechenden Bestimmungen aus dem Gesetz. Ganz neu und weitgehend unbestritten verankerte der Nationalrat auf Vorschlag seiner Kommissionsmehrheit ein Recht auf Datenportabilität, das heisst auf Datenherausgabe und -übertragung, im Gesetz. Wie Bundesrätin Karin Keller-Sutter erklärte, habe der Bundesrat mit dieser Neuerung eigentlich noch zuwarten wollen, bis erste Erkenntnisse aus der konkreten Umsetzung dieses Rechts in der EU vorlägen; nichtsdestotrotz unterstützte er den Vorschlag der Kommissionsmehrheit, einen Anspruch jeder Person auf «die Herausgabe ihrer Personendaten in einem gängigen elektronischen Format oder sogar deren Übertragung auf einen anderen Verantwortlichen zu verlangen», wie Keller-Sutter das neue Recht erläuterte.
Zurückgehend auf eine entsprechende parlamentarische Initiative Leutenegger Oberholzer (sp, BL; Pa.Iv. 16.409) änderte die grosse Kammer das Wahlverfahren des EDÖB dahingehend, dass er neu von der Bundesversammlung gewählt und nicht mehr durch den Bundesrat ernannt und vom Parlament nur bestätigt werden sollte. Gleichzeitig wurden die Aufsichts- und Untersuchungskompetenzen des EDÖB bei Datenschutzverstössen gestärkt. Diese Änderung sei von wesentlicher Bedeutung im Hinblick auf den Angemessenheitsbeschluss der EU, wie Bundesrätin Keller-Sutter betonte, denn nach bisher geltendem Recht besitze der EDÖB nicht nur weniger Kompetenzen als die Datenschutzbehörden in Europa, sondern auch als andere Aufsichtsbehörden des Bundes, zum Beispiel die Finma oder die Weko. Bei den Strafbestimmungen legte der Nationalrat eine maximale Busse von CHF 250'000 für Datenschutzverstösse fest. Ein neuer Straftatbestand für die Nichteinhaltung der Mindestanforderungen an die Datensicherheit im Sinne einer Sorgfaltspflichtverletzung wurde von der bürgerlichen Ratsmehrheit jedoch nicht goutiert, was laut Bundesrätin Keller-Sutter für die EU-Angemessenheit problematisch sein könnte. Der letzte grosse Zankapfel der Vorlage verbarg sich in den Schlussbestimmungen, namentlich in der Frage zum Inkrafttreten des Gesetzes. Während die Kommissionsmehrheit das Inkrafttreten um zwei Jahre nach Annahme des Gesetzes beziehungsweise nach Verstreichen der Referendumsfrist verzögern wollte, beantragte eine Minderheit Humbel (cvp, AG), wie üblich den Bundesrat das Inkrafttreten bestimmen zu lassen. Eine solche Verzögerung sei bereits wegen der Schengen-relevanten Bestimmungen des Gesetzes ein Problem und daher nicht im Interesse der Wirtschaft, was das Argument der Kommissionsmehrheit gewesen war. Auf Empfehlung des Bundesrates und entgegen der geschlossenen SVP-Fraktion erteilte die grosse Kammer der zweijährigen Inkrafttretensfrist eine Absage.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat das totalrevidierte Datenschutzgesetz mit 98 zu 68 Stimmen bei 27 Enthaltungen an. In den ablehnenden Stimmen spiegelte sich vor allem die Opposition der SVP gegen das Gesetz. Demgegenüber hatte sich die SP-Fraktion mehrheitlich enthalten und damit signalisiert, dass sie noch weitere Nachbesserungen erwartete. Wirklich zufrieden mit dem Gesetz in vorliegender Form war wohl niemand; in dieser Hinsicht sprach das Fazit von Kommissionssprecher Matthias Jauslin (fdp, AG) Bände: «Wir haben jetzt eine Vorlage, die aus Sicht der Kommission durchaus bearbeitbar ist.»

Revision des Datenschutzgesetzes (BRG 17.059)
Dossier: 2. Revision des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG)

Die zeitgemässe und zukunftsgerichtete Erhebung der Umweltauswirkungen von Personenwagen verlangte Nationalrat Grossen (glp, BE) mit einem Postulat. Mit einem Bericht solle der Bundesrat Klarheit über die Umweltauswirkungen von Personenwagen aller Antriebssysteme schaffen, wobei die Resultate verständlich und für alle Antriebsarten identisch dargestellt werden sollen. Grossen begründete sein Postulat mit der angesichts vielfältiger und qualitativ unterschiedlicher Studien und verschiedenen Messgrössen wachsenden Verunsicherung in der Bevölkerung. Um eine angemessene Konsumentscheidung zu treffen, sei die Bevölkerung auf einen Bericht angewiesen, der die Umweltauswirkungen verschiedener Antriebsarten korrekt und verständlich vergleiche.
Das Postulat wurde von Nationalrat Wobmann (svp, SO) bekämpft: Er verlangte im Plenum des Rats, welcher das Postulat im September 2019 behandelte, dass «das UVEK besser überlegen» solle, «wie die Strasseninfrastruktur auf Vordermann gebracht werden» könne, «anstatt für viel Geld nutzlose Berichte» zu erstellen.
Bundesrätin Sommaruga unterstützte das Postulat jedoch. Sie verwies auf die «Roadmap Elektromobilität 2022», in deren Rahmen ein ähnlicher Bericht für Personenwagen mit Elektroantrieb erstellt werde. Diese Arbeiten könnten dann mit einem Vergleich von Personenwagen anderer Antriebsart verbunden werden. Die SVP-Fraktion stimmte geschlossen dagegen, alle anderen Fraktionen stimmten zu: Mit 125 zu 65 Stimmen (0 Enthaltungen) wurde das Postulat angenommen.

Erhebung der Umweltauswirkungen von Personenwagen

In Vertretung der SVP-Fraktion gelangte Nationalrat Walter Wobmann (svp, SO) in der Herbstsession 2019 mit einer Motion an den Bundesrat, welche die Schaffung notwendiger gesetzlicher Grundlagen zur Bekämpfung der Ausbreitung eines radikalen Islams in der Schweiz gewähren sollte. Bei den unlängst aufgedeckten Fällen islamischer Hassprediger in Winterthur, Genf oder Biel handle es sich lediglich um die Spitze des Eisberges und es bestehe massiver Handlungsbedarf in diesem Bereich, wie Wobmann erläuterte. Hierfür forderte die SVP-Fraktion die Ergreifung konkreter Massnahmen: Die Auslandsfinanzierung von Moscheen und islamischen Organisationen müsse unterbunden, sämtliche Moscheen müssten bekanntgemacht und überwacht und bei Sicherstellung allfälliger Verletzungen der Schweizer Rechtsordnung unverzüglich geschlossen werden. Um diesen Aufgaben nachkommen zu können, müsse der Informationsaustausch zwischen den Behörden unterschiedlicher Stufen ausgebaut und um entsprechende sach- und sprachkundige Spezialistinnen und Spezialisten erweitert werden. Schliesslich sollten Schweizer Botschaften und das SEM keine Visa mehr an ausländische Imame ausstellen dürfen, die lediglich zwecks temporärer Predigertätigkeit in die Schweiz einreisen wollten.
Bei radikalen Strömungen jeglicher Art, seien diese religiös, links- oder rechtsextremistisch, habe der Bundesrat ein besonderes Augenmerk auf deren Bekämpfung – diesen Punkt wolle sie klar unterstreichen und keinen Zweifel daran lassen, betonte Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Die vorgebrachte Motion stamme aber aus dem Jahr 2017 und zwischenzeitlich seien diverse anderweitige Massnahmen ergriffen worden, die viele der verlangten Anliegen bereits ermöglichten. So könne beispielsweise das Fedpol bereits Einreiseverbote und Ausweisungen von ausländischen Predigern erlassen. Des Weiteren sei eine Strafgesetzesrevision hängig, mit der eine Strafnorm gegen kriminelle Organisationen geschaffen werden solle, die auch auf die Bekämpfung terroristischer Organisationen zugeschnitten werden könne. Auch seien das in der SiK-SR hängige Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) sowie die jüngst im Juni 2019 verabschiedete Botschaft zur Änderung des Geldwäschereigesetzes zu berücksichtigen. Was aber grundsätzlich abzulehnen sei, sei eine Überwachung der Moscheen, die über die Beurteilung konkreter Sicherheitsrisiken hinausgeht, da dies im Widerspruch zum Bundesgesetz über den Nachrichtendienst stehe. Aus diesen Gründen empfehle der Bundesrat die Motion zur Ablehnung.
In der Abstimmung im Nationalrat öffnete sich in dieser Frage ein politischer Graben zwischen den Parteien, da die Motion zwar ohne weiterführende Diskussion, aber mit einem Patt (91 zu 91 Stimmen) per Stichentscheid der Präsidentin Marina Carobbio (sp, TI) abgelehnt wurde. Die geschlossene SVP-Fraktion konnte sich folglich trotz Unterstützung einer deutlichen Mehrheit der CVP-Fraktion nicht gegen die geschlossenen Fraktionen der SP, Grünen, GLP und BDP, mit grosser Unterstützung einer Mehrheit der FDP-Fraktion durchsetzen. Unter Berücksichtigung dieses äusserst knappen Entscheides erscheint der Umstand, dass drei der acht Personen, die im Abstimmungsprotokoll unter «hat nicht teilgenommen» aufgeführt werden, der SVP-Fraktion angehören, umso bedeutungsvoller. So stellt sich hier auch die Frage, ob es nach Möglichkeit gerade ebendiesem Umstand geschuldet ist, dass just einen Tag nach der Ablehnung dieser Motion ein tatsächlich identischer Antrag (Mo. 19.4005) neuerlich im Nationalrat eingereicht wurde.

Stopp der Ausbreitung des radikalen Islams in der Schweiz! (Mo. 17.3681)
Dossier: Stopp der Ausbreitung des radikalen Islams in der Schweiz!
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Da die Idee einer Revision des Wahlverfahrens für den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) in die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz aufgenommen worden war – konkret soll der EDÖB durch die Vereinigte Bundesversammlung gewählt werden –, beantragte die SPK-NR die Abschreibung der parlamentarischen Initiative Leutenegger Oberholzer (sp, BL), die in der Zwischenzeit von Cédric Wermuth (sp, AG) übernommen worden war. Obwohl die Kommission die Beratung der Gesetzesrevision ursprünglich erst für die Herbstsession 2019 vorgesehen hatte, hiess die grosse Kammer die Abschreibung bereits am letzten Tag der Sommersession 2019 stillschweigend gut.

Wahlverfahren für den EDÖB

Au mois de juin 2019, le Conseil national a suivi l'avis de la CAJ-CN et décidé à une courte majorité (99 voix pour, 92 contre et 0 abstention) de classer l'initiative intitulée «Lèse-majesté. Abroger l'article 296 CP». La proposition de la minorité Flach (pvl, AG), en faveur d'une prolongation du délai de traitement à la session d'été 2021, a ainsi été écartée.

Lèse-majesté. Abroger l'article 296 CP (Iv. pa. 16.430)

Wie zuvor schon der Nationalrat nahm auch der Ständerat die Motion Flach (glp, AG) zum Sanierungsverfahren für Privatpersonen diskussionslos an. Sowohl die RK-SR als auch der Bundesrat hatten die Annahme der Motion beantragt.

Sanierungsverfahren für Privatpersonen. Bessere Zukunftsperspektiven für Schuldner und Gläubiger (Mo. 18.3683)

Mit seiner Motion schlug Cédric Wermuth (sp, AG) vor, die Abstimmungsunterlagen als Integrationsinstrument zu verwenden. Die Kenntnis des politischen Systems der Schweiz sei ein Integrationskriterium im neuen Bürgerrechtsgesetz. Um allen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich für politische Prozesse zu interessieren, sollten die Abstimmungs- und Wahlunterlagen auch Nicht-Stimmberechtigten, namentlich eben Einbürgerungswilligen, zugesandt werden. Dies sei ein Zeichen dafür, dass sie ernst genommen und willkommen geheissen würden, und biete gleichzeitig eine Möglichkeit zur Förderung von politischem Interesse.
Bundeskanzler Walter Thurnherr verwies in der Ratsdebatte auf die Bedeutung der Abstimmungsunterlagen. Rund 90 Prozent der Abstimmenden würden diese in der Tat als Informationsquelle nutzen, was für das Anliegen spreche. Allerdings bestehe neben den Unterlagen bereits ein derart reiches Angebot an Informationen, dass Aufwand und Kosten für Druck und Distribution verglichen mit dem symbolischen Mehrwert nicht zu rechtfertigen seien. Bei der Mehrheit der Nationalratsmitglieder verfing diese Argumentation, wurde die Motion doch mit 141 zu 48 Stimmen (2 Enthaltungen) abgelehnt, wobei die Stimmenminderheit auf das links-grüne Lager fiel.

Abstimmungsunterlagen als Integrationsinstrument