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  • Glarner, Andreas (svp/udc, AG) NR/CN
  • Cottier, Damien (fdp, NE) NR/CN

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Sollen Abstimmungsresultate aus Kommissionssitzungen veröffentlicht werden? Ja, findet Andreas Glarner (svp, AG) und forderte mittels parlamentarischer Initiative Transparenz über das Abstimmungsverhalten in Kommissionsberatungen. Bürgerinnen und Bürger hätten das Recht darauf zu wissen, ob die von ihnen gewählten Abgeordneten auch in den Kommissionen «die im Wahlkampf und auf Podien versprochenen Positionen» vertreten, so die Begründung des Initianten. Nein, fand hingegen die Mehrheit der SPK-NR, die mit 18 zu 6 Stimmen empfahl, der Initiative keine Folge zu geben. Kommissionsmitglieder müssten frei und ohne Handlungsdruck auch mal ihre Meinung ändern können, damit Kompromisse möglich werden, so die Argumentation im Kommissionsbericht. Zudem sei bereits heute eine gewisse Transparenz gegeben, weil im Falle von Minderheitsanträgen die Namen der entsprechenden Antragstellenden in Kommissionsberichten und auf den Fahnen veröffentlicht würden.
Zwei der sechs Mitglieder der SVP-Fraktion, die die Kommissionsminderheit bildeten, meldeten sich bei der Ratsdebatte zur Initiative in der Wintersession 2022 zu Wort: Zuerst führte der Initiant selber aus, dass es ihm nicht um eine Offenlegung der Kommissionsprotokolle gehe, sondern lediglich um die Publikation der Abstimmungsresultate. Gregor Rutz (svp, ZH) sekundierte mit dem Argument, dass man auch mit der geforderten Transparenz seine Meinung ändern dürfe, um notwendige Kompromisse zu schmieden. In diesem Falle könne man dies den eigenen Wählerinnen und Wählern dann auch erklären. Für die Kommissionsmehrheit sprachen Greta Gysin (gp, TI) und Gerhard Pfister (mitte, ZG). Neben der Notwendigkeit von Vertraulichkeit für Deliberation hinterfragte Pfister auch den Mehrwert einer Publikation von Abstimmungsresultaten, wenn die ihnen zugrundeliegenden Debatten und Argumente nicht ebenfalls veröffentlicht würden. In der Abstimmung folgte einzig die geschlossen stimmende SVP-Fraktion der Minderheit und der Initiative wurde mit 139 zu 51 Stimmen keine Folge gegeben.

Transparenz über das Abstimmungsverhalten in Kommissionsberatungen (Pa.Iv. 21.444)

Im November 2022 bekräftigte die RK-NR ihren Entscheid für die Einführung eines neuen Straftatbestands für Cybermobbing. Nachdem sich ihre Schwesterkommission dagegen entschieden hatte, beantragte die RK-NR ihrem Rat abermals mit grosser Mehrheit, der entsprechenden parlamentarischen Initiative Suter (sp, AG) Folge zu geben. Sie hatte inzwischen vom Bericht des Bundesrates zu Ergänzungen des Strafgesetzbuches zu Cybermobbing Kenntnis genommen und war anders als der Bundesrat der Ansicht, dass Mobbing-Handlungen im Internet durch das geltende Strafrecht nicht ausreichend abgedeckt seien. Der Nationalrat folgte seiner Kommission in der Wintersession 2022 mit 154 zu 36 Stimmen bei 3 Enthaltungen und gab der Initiative Folge. Der ablehnende Antrag von Andreas Glarner (svp, AG) fand ausserhalb der SVP-Fraktion keine Unterstützung.

Neuer Straftatbestand Cybermobbing (Pa.Iv. 20.445)

Im August 2022 publizierte der Bundesrat die Botschaft zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Albanien über soziale Sicherheit. Das Abkommen schafft die völkerrechtliche Grundlage für die Koordinierung der Alters-, Hinterlassenen- und Invaliditätsvorsorge beider Länder. Gemäss Botschaft entspricht das Abkommen inhaltlich den Sozialversicherungsabkommen, welche die Schweiz mit den anderen Balkanstaaten Montenegro, Serbien, Kosovo sowie Bosnien und Herzegowina abgeschlossen hat. Dementsprechend regle es allgemein geltende Grundsätze wie die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen, die Auszahlung der Renten ins Ausland, die Anrechnung von Versicherungszeiten, die Unterstellung von Erwerbstätigen und die gegenseitige Verwaltungshilfe. Zudem enthalte es eine Grundlage zur Bekämpfung von missbräuchlicher Inanspruchnahme von Leistungen.

Das Geschäft wurde in der Wintersession 2022 vom Nationalrat besprochen, wobei die vorberatende SGK-NR das Geschäft mit grosser Mehrheit zur Annahme empfohlen hatte. Kommissionssprecher Andri Silberschmidt (fdp, ZH) erklärte, dass die Inanspruchnahme von Leistungen der Altersvorsorge im Ausland eigentlich eine Selbstverständlichkeit sei. Für die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme sei jedoch der Abschluss eines zwischenstaatlichen Vertrags notwendig. Die Umsetzung des Abkommens bringe zudem Mehrkosten von CHF 2.5 Mio. mit sich, wobei CHF 2 Mio. zulasten der Versicherungen und die restlichen CHF 500'000 zulasten des Bundes gingen. Es käme aber auch zu Einsparungen bei den Ergänzungsleistungen, Prämienverbilligungen und der Sozialhilfe, indem die betroffenen Personen ihren Wohnsitz nach Albanien verlegten.
Eine Minderheit Glarner (svp, AG) beantragte dem Rat, nicht auf das Geschäft einzutreten. Minderheitssprecher Glarner wies darauf hin, dass nur 70 Schweizerinnen und Schweizer in Albanien lebten, im Vergleich zu den 3000 Albanerinnen und Albaner in der Schweiz. Die SVP-Fraktion lehne das Abkommen ab, weil die Kaufkraftdifferenz zum Überweisungsland nicht berücksichtigt werde, so Glarner. Zudem käme es bei einer Umsetzung des Abkommens zu einem «Export der schweizerischen Sozialversicherungsleistungen» und die AHV hätte Mehrkosten in Höhe von CHF 2 Mio. zu tragen, obwohl deren Finanzierung nach 2030 nicht gesichert sei. Bundesrat Berset erinnerte den Rat daran, dass das Abkommen identisch mit den bereits mit anderen Balkanstaaten abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen sei. Die finanziellen Auswirkungen bezeichnete er als gering, er hob jedoch die Bedeutung der Betrugsbekämpfungsklausel hervor. Die grosse Kammer trat mit 125 zu 53 Stimmen (bei 1 Enthaltung) auf das Geschäft ein und genehmigte das Abkommen mit 129 zu 52 Stimmen (bei 2 Enthaltungen). Die Gegenstimmen stammten von der SVP-Fraktion.

Sozialversicherungsabkommen mit Albanien
Dossier: Sozialversicherungsabkommen mit den Nachfolgestaaten der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien

Im November 2022 präsentierte die SGK-NR ihren Entwurf für eine Änderung des KVG bezüglich der dreijährigen Tätigkeitspflicht zur Zulassung von Leistungserbringenden zur Abrechnung mit der OKP.
Erst per 1. Januar 2022 hatte das Parlament die Zulassungsbeschränkungen für ausländische Leistungserbringende verschärft. Seither können bereits in der Schweiz tätige Ärztinnen und Ärzte ohne dreijährige Tätigkeit an einer Schweizer Weiterbildungsstätte, welche zuvor bereits über die OKP abgerechnet hatten, entsprechend den Übergangsbestimmungen zwar weiterhin praktizieren, jedoch nicht in einen anderen Kanton wechseln oder selbständig werden. Entsprechend gefährde die neue Regelung die ambulante medizinische Grundversorgung in der Schweiz, insbesondere in Randregionen, kritisierte die Kommission. Folglich soll eine bis Ende 2027 befristete Ausnahmeregelung die neu geschaffene Zulassungsbeschränkung abschwächen. Demnach sollen Kantone, die in Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendmedizin sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie und ‑psychotherapie eine Unterversorgung aufweisen, Ausnahmen von dieser Zulassungsbeschränkung vornehmen können. Eine Minderheit Glarner (svp, AG) beantragte, die Kinder- und Jugendpsychiatrie und ‑psychotherapie von der Liste der Fachgebiete zu streichen.
Anlässlich der von August bis Oktober 2022 durchgeführten Vernehmlassung waren 73 Stellungnahmen eingegangen, welche die Ausnahmeregelung mehrheitlich grundsätzlich guthiessen. Diskutiert wurde insbesondere, ob die Fachgebiete, für welche die Ausnahmeregelung gelten soll, abschliessend aufgelistet oder ihre Bestimmung den Kantonen überlassen werden soll, und ob die Kantone die Regelung in eigene Gesetze giessen müssen oder sich direkt auf das KVG beziehen können sollen.

Ausnahmen von der dreijährigen Tätigkeitspflicht gemäss Artikel 37 Absatz 1 KVG bei nachgewiesener Unterversorgung (Pa.Iv. 22.431)
Dossier: Zulassungsbeschränkung für Ärztinnen und Ärzte (seit 1998)

Am Montag der dritten Herbstsessionswoche 2020 besetzten Klimaaktivistinnen und -aktivisten den Bundesplatz, obwohl dort Veranstaltungen während der Session verboten sind. Dies führte bei den Parlamentarierinnen und Parlamentariern zu einigem Ärger. So beschwerten sich gemäss verschiedener Medien insbesondere bürgerliche Parlamentsmitglieder, von den Klimaaktivistinnen und -aktivisten «angepöbelt» worden zu sein. Dabei stellten die Medien vor allem verschiedene verbale Entgleisungen ins Zentrum der Berichterstattung. So soll Roland Büchel (svp, SG) derart genervt gewesen sein, dass er die Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten vor laufender Kamera als «Arschlöcher» bezeichnete. Andreas Glarner (svp, AG) nannte die Demonstrierenden während eines Interviews «Kommunisten und Chaoten» und Sibel Arslan (basta, BS), die das Anliegen der Streikenden vertreten wollte, «Frau Arschlan» – was er später als Versprecher entschuldigte. Umgekehrt regten sich linke Parlamentsmitglieder über die falschen Prioritäten der Medien auf, so etwa Jacqueline Badran (sp, ZH), die in einem Radiointerview die Medien angriff, welche «den huere fucking Glarner, who cares, [...] statt die Forderungen der Jugendlichen» gefilmt hätten.

Die Debatten drehten sich in der Folge allerdings nicht nur um «Anstand» und verbale Entgleisungen, sondern auch darum, ob der Bundesplatz überhaupt besetzt werden darf – insbesondere während der Session. Während sich bürgerliche Parlamentarierinnen und Parlamentarier beschwerten, zeigten links-grüne Mitglieder der Bundesversammlung Verständnis für die Aktion. Die aktuelle Regelung im Kundgebungsreglement der Stadt Bern besagt, dass die Versammlungsfreiheit auf dem Bundesplatz während der Sessionen vor allem für grosse Manifestationen aufgehoben wird. Verantwortlich für die Einhaltung dieser Massnahme ist die Stadt Bern, weshalb sich die Kritik der Bürgerlichen in der Folge vor allem gegen den Berner Stadtpräsidenten Alec von Graffenried (gfl) richtete. Einige Medien – darunter etwa die NZZ – warfen der Stadt gar vor, «mit zweierlei Mass» zu messen und das Demonstrationsverbot «selektiv» umzusetzen.

Die Aktion auf dem Bundesplatz führte schliesslich auch zu einiger parlamentarischer Betriebsamkeit. Ein noch am gleichen Montag eingereichter Ordnungsantrag (20.9004/21364) von Thomas Aeschi (svp, ZG), der die Räumung des Platzes beantragte, wurde mit 109 zu 83 Stimmen (1 Enthaltung) im Nationalrat angenommen. Dagegen stimmten die geschlossenen Fraktionen von SP, GP und GLP sowie zwei Angehörige der Mitte-Fraktion. Der am nächsten Tag von Esther Friedli (svp, SG) eingereichte Ordnungsantrag (20.9004/21402), mit dem zusätzlich eine Anzeige gegen die Stadt Bern und die «Klimaextremisten und Linksradikalen» gefordert wurde, lehnte eine 90 zu 79-Stimmen-Mehrheit (bei 16 Enthaltungen) dann freilich ab. Hingegen richtete sich die VD mit einem von Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (fdp, VD) und Ständeratspräsident Hans Stöckli (sp, BE) unterzeichneten Schreiben an die Regierungen von Stadt und Kanton Bern und forderte diese auf, für die Einhaltung der Rechtsbestimmungen zu sorgen. Und schliesslich reichte Christian Imark (svp, SO) eine Motion ein, mit der er forderte, die Stadt Bern des Bundesplatzes zu enteignen. Dadurch könne der Bundesrat «künftig selber für Recht und Ordnung auf dem Bundesplatz» sorgen, weil «die linke Berner Stadtregierung [...] die Chaoten immer öfter gewähren» lasse.
Wohl auch weil die Polizei am Mittwoch nach zwei Ultimaten der Stadtregierung den Platz räumte, legte sich die Aufregung kurz darauf wieder. Der Bundesrat beantragte ein paar Wochen später die Ablehnung der Motion, weil eine Enteignung nicht verhältnismässig sei und die Zusammenarbeit mit der Stadt Bern bezüglich Nutzung des Bundesplatzes so funktioniere, dass die Interessen des Parlaments berücksichtigt würden. Die Motion Imark selber wurde dann zwei Jahre nach ihrer Einreichung wegen Nichtbehandlung abgeschrieben.

Wem gehört der Bundesplatz? (Mo. 20.4028)

Im Juni 2022 verlangte Nationalrat Nicolas Walder (gp, GE) vom Bundesrat einen Bericht über die Attraktivität und Effizienz des internationalen Genf für Aktivitäten und Organisationen im Zusammenhang mit Friedensprozessen. Dieser solle eine Übersicht über die in Genf angesiedelten Aktivitäten und Organisationen im Zusammenhang mit Friedensprozessen sowie eine Analyse der momentanen Entwicklungen im Bereich der Mediation und Friedenskonsolidierung beinhalten. Zudem forderte Walder eine Evaluation der innovativen Initiativen im Bereich der Friedensförderung und eine Einschätzung dazu, welche Instrumente der Bund entwickeln könnte, um die Entfaltung solcher Initiativen mit mehreren Stakeholdern zu begünstigen und deren Verankerung in Genf zu fördern. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats, da dessen Anliegen in der geplanten Strategie«Multilateralismus und Gaststaat» erfüllt werde. In der Herbstsession 2022 wurde das Postulat von Andreas Glarner (svp, AG) bekämpft.

Attraktivität und Effizienz des internationalen Genf für Aktivitäten und Organisationen im Zusammenhang mit Friedensprozessen stärken (Po. 22.3585)
Dossier: Internationales Genf

Ende Juni 2022 lancierte die SGK-NR eine Motion zur Förderung der Gendermedizin und griff damit zwei Petitionen aus der Frauensession 2021 auf. Die Gendermedizin untersucht und behandelt Krankheiten vor einem geschlechtsspezifischen Hintergrund. Die Annahme, dass Krankheiten geschlechtsneutral verliefen und aufträten, könne Fehldiagnosen und -behandlungen mit sich ziehen. Um dies zu verhindern, müssten bestehende Ungleichheiten in der Medizin bekämpft werden. Vor diesem Hintergrund forderte die Kommissionsmehrheit, dass ein nationales Forschungsprogramm zur Gendermedizin lanciert wird, dass Forschungsprojekte gefördert werden, welche sich mit Frauenkrankheiten beschäftigen, und dass das Geschlecht bei der Vergabe von Geldern des SNF berücksichtigt wird.
Zwei Kommissionsminderheiten waren jedoch nicht mit allen Forderungen einverstanden. Eine Minderheit Glarner (svp, AG) rief dazu auf, die ersten beiden Forderungen der Motion abzulehnen, während eine Minderheit Sauter (fdp, ZH) die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Geldervergabe ablehnte. Nationalrat Glarner argumentierte, dass das Problem der geschlechtlichen Ungleichbehandlung in der Medizin wohl erst seit «der unsäglichen Gender-Debatte mit all ihren Absurditäten von Links-Grün» bestehe. Dahingegen anerkannte Nationalrätin Sauter die Wichtigkeit der Motion, aber sprach sich entschieden gegen die in der Motion vorgesehenen «engen Vorgaben» für zur Vergabe von Forschungsgeldern aus. Der Bundesrat wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass die Problematik bereits in den Antworten auf vergangene Vorstösse (etwa Mo. 19.3577) diskutiert worden sei und geschlechterspezifischer Unterschiede in der Medizin aufgrund des Postulats Fehlmann (sp, GE; Po. 19.3910) bereits untersucht würden. Des Weiteren sei eine Ablehnung der Motion nötig, damit Forschende aller Schweizer Hochschulen weiterhin gleiche Chancen beim Bewerbungsprozess für Gelder des SNF und von Innosuisse hätten.
Nach einer hitzigen Debatte nahm der Nationalrat die Forderungen zur Lancierung eines nationalen Forschungsprogramms und zur Förderung der Erforschung spezifischer Frauenkrankheiten mit 127 zu 54 Stimmen bei 2 Enthaltungen an und sprach sich somit gegen den Minderheitsantrag Glarner aus. Dem Antrag der Minderheit Sauter kam der Nationalrat indes nach und sprach sich mit 100 zu 83 Stimmen gegen die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Vergabe von SNF-Geldern aus.

Gender-Medizin. Schluss mit Frauen als Ausnahme in der Medizin (Mo. 22.2868)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen

In der Sommersession 2022 reichte die WBK-NR in Erfüllung einer Petition (Pet. 21.2037) aus der Frauensession 2021 ein Postulat zur Analyse der Standards im Bereich der schulischen Sexualaufklärung in der Schweiz ein. Der geforderte Bericht sollte in Zusammenarbeit mit den Kantonen die effektive Umsetzung der Sexualaufklärung in der Schule untersuchen und beleuchten, inwiefern internationale Standards eingehalten werden und ob kantonsübergreifende Lehrpläne eine Vereinheitlichung vorangetrieben haben. Der Bericht solle sich am Expertenbericht zum Postulat Regazzi (mitte, TI; Po. 14.4115) orientieren und kantonale Unterschiede in der Umsetzung der dort vorgeschlagenen Massnahmen analysieren. Weiterhin bestünden bei der Sexualaufklärung in der obligatorischen Schule starke Unterschiede zwischen den Kantonen, argumentierte die Kommissionsmehrheit. Eine Minderheit Aeschi (svp, ZG) beantragte das Postulat zur Ablehnung. Der Bundesrat erachtete schulischen Sexualkundeunterricht zwar als wichtig, lehnte jedoch Empfehlungen durch den Bund ab, zumal die Kantone für die Primarschule verantwortlich seien.
In der Herbstsession 2022 begründeten Kommissionssprecherin Sandra Locher Benguerel (sp, GR) und Kommissionssprecher Philippe Nantermod (fdp, VS) den Antrag der Kommission und verwiesen dazu unter anderem auf die Wichtigkeit der Sexualaufklärung. Zudem gebe es bereits Projekte, etwa zu HIV, die vom Bund und nicht von den Kantonen durchgeführt würden. In der Folge konnte das Postulat auf die Unterstützung der geschlossen stimmenden Fraktionen der SP, Grünen und Grünliberalen zählen. Auch in den Fraktionen der Mitte und der FDP.Liberalen fand der Vorstoss einen gewissen Rückhalt, während sich die SVP-Fraktion geschlossen dagegen positionierte. Insgesamt wurde das Postulat mit 101 zu 77 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen, nachdem die Abstimmung aufgrund eines erfolgreichen Ordnungsantrags Cottier (fdp, NE) hatte wiederholt werden müssen.

Analyse der Standards im Bereich der schulischen Sexualaufklärung in der Schweiz (Po. 22.3877)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen

Die Stärkung der digitalen Kompetenzen von Gesundheitsfachpersonen war Gegenstand einer Motion Silberschmidt (fdp, ZH), die im März 2022 eingereicht wurde. Damit wollte der Motionär die Vermittlung der notwendigen digitalen Kompetenzen für die berufliche Tätigkeit während der Aus-, Weiter- und Fortbildung von Gesundheitsfachpersonen erreichen. Konkret zielte er dabei nicht nur auf die Nutzung digitaler Instrumente, sondern auch auf die damit in Zusammenhang stehenden Kompetenzen bezüglich Wissensaneignung, interprofessioneller Zusammenarbeit, Kommunikation, Diagnostik sowie Monitoring der Patientenschaft ab. Da Andreas Glarner (svp, AG) die Motion im Sommer 2022 bekämpft hatte, beschäftigte sich der Nationalrat in der darauffolgenden Herbstsession mit dem Vorstoss. Vor seinen Ratskolleginnen und -kollegen führte Silberschmidt aus, dass mit der digitalen Transformation die Vereinfachung der Administration erreicht und die Qualität der Behandlung gefördert werden solle. Damit dies jedoch gelinge, bedürfe es der Mitarbeit der im Gesundheitswesen tätigen Menschen. Während die Digitalisierung im Gesundheitsberufegesetz zwar angetönt werde, fehle von ihr im Medizinalberufegesetz und im Psychologieberufegesetz jegliche Spur. Andreas Glarner war indes der Ansicht, dass zu zügig und zu weitreichend vorwärtsgegangen und dadurch das Personal überfordert werde. Pflegende «möchten nicht das iPad, sondern lieber die Hand des Patienten halten». Rückendeckung erhielt Silberschmidt aber von Gesundheitsminister Berset. Im Namen des Gesamtbundesrates unterstützte dieser die Motion. Denkbar sei etwa eine einheitliche Formulierung im Gesundheitsberufegesetz, im Medizinalberufegesetz und im Psychologieberufegesetz, weil dadurch ein gemeinsames Verständnis geschaffen werde, das alle Gesundheitsberufe teilten. Mit 136 zu 50 Stimmen nahm der Nationalrat die Motion an, wobei alle 50 Gegenstimmen aus dem Lager der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion stammten.

Stärkung der digitalen Kompetenzen von Gesundheitsfachpersonen (Mo. 22.3163)
Dossier: Digitalisierung im Gesundheitswesen

In der Herbstsession 2022 setzte sich der Nationalrat als Erstrat mit der fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes auseinander. Dabei wurden zwar auch einzelne neue Bestimmungen diskutiert, hauptsächlich stand aber die Gültigkeitsdauer des Covid-19-Gesetzes insgesamt sowie einzelner Regelungen im Mittelpunkt des Interesses.
Eine Minderheit Glarner (svp, AG) wehrte sich gegen Eintreten. Der Minderheitensprecher kritisierte ausführlich die bisherigen Corona-Massnahmen, insbesondere die Zertifikatspflicht, und beschuldigte Bundesrat und Parlament unter anderem, «Tausende Existenzen vernichtet» zu haben. Neben dieser «Drangsalierung der Bevölkerung und der Wirtschaft» kritisierte er etwa auch den Einfluss, den die WHO auf die Gesetzgebung des Bundes nehme. Da man inzwischen «nicht einmal mehr ganz so sicher [sei], ob es sich im Sinne der WHO wirklich um eine echte Pandemie gehandelt» habe, solle der Nationalrat nicht auf die Gesetzesänderung eintreten. Dieser Antrag fand jedoch nur bei einer Mehrheit der SVP-Fraktion Zustimmung und wurde mit 130 zu 43 (bei 3 Enthaltungen) abgelehnt. Die Sprechenden der übrigen Fraktionen wiesen darauf hin, dass man nicht wisse, wie sich die Covid-19-Pandemie in Zukunft entwickeln werde, und man daher mit einer Verlängerung des Gesetzes sicherstellen wolle, dass man auch in den nächsten zwei Wintern noch über die nötigen Instrumente zur Bekämpfung der Pandemie verfüge. Bundesrat Berset verwies darauf, dass man sich zur Zeit in einer Übergangsphase befinde, die Wachsamkeit und Reaktionsfähigkeit erfordere – wofür verschiedene Regelungen des Covid-19-Gesetzes wichtig seien. Dabei schlug die Regierung vor, nur einen Teil der bisherigen Massnahmen zu verlängern, nicht aber die meisten Unterstützungsmassnahmen. Abschliessend liess es sich der Gesundheitsminister ob der Vorwürfe des Minderheitensprechers nicht nehmen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass keine dieser Regelungen etwas mit der WHO zu tun hätten.

Bei der Detailberatung standen nicht nur die Fragen zur Verlängerung von Massnahmen an, der Bundesrat beabsichtigte auch, die Kantone stärker in die Verantwortung zu nehmen. So sollten diese zukünftig ab 2023 für die Organisation der Covid-19-Tests verantwortlich sein: Sie sollten das Angebot gewährleisten und die Kosten übernehmen. Nach der Rückkehr in die normale Lage gemäss Epidemiengesetz könne der Bund die entsprechenden Kosten nicht mehr ewig übernehmen, stattdessen müssten die Kantone ihre Verantwortung wieder wahrnehmen, forderte der Gesundheitsminister und mit ihm eine Minderheit Aeschi (svp, ZG). Die Kommissionsmehrheit wollte die Organisation der Tests jedoch weiterhin beim Bund belassen, um einen «Flickenteppich von verschiedenen Massnahmen» zu verhindern, wie es Kommissionssprecher Hess (mitte, BE) formulierte. Mit 136 zu 55 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit, die SVP-Fraktion und eine Minderheit der FDP.Liberalen-Fraktion stimmten dem Bundesrat zu.
Stattdessen schlug die Kommissionsmehrheit eine andere Neuregelung hinsichtlich kantonaler Belange vor. So habe man im Dezember 2021 bereits die Finanzierung der Vorhalteleistungen durch die Kantone – also die Bereitstellung der Spitalkapazitäten – geregelt, nun müsse der Bund auch bezüglich der Finanzierung der Vorhalteleistungen bei ausserkantonalen Patientinnen und Patienten Regeln schaffen. Eine Minderheit Hess, vertreten durch Ruth Humbel (mitte, AG), befürchtete jedoch, dass solche Bundesregelungen Forderungen nach Abgeltung durch den Bund nach sich ziehen würden, und empfahl diese zur Ablehnung. Mit 112 zu 78 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit, einzig die SVP- und eine Mehrheit der Mitte-Fraktion sprachen sich für den Minderheitsantrag aus.

Abändern wollte der Bundesrat auch die Massnahmen zum Schutz besonders gefährdeter Arbeitnehmender. Hier wollte die Regierung die Pflicht zur Lohnfortzahlung, falls behördliche Massnahmen keine Weiterarbeit erlaubten, durch eine Pflicht, den Betroffenen Homeoffice oder gleichwertige Ersatzarbeit anzubieten, ersetzen. Eine Minderheit Flavia Wasserfallen (sp, BE) beantragte die Beibehaltung der bisherigen Formulierung. «Wenn der Bund Massnahmen anordnet, muss auch Erwerbsersatz an die Arbeitgebenden ausbezahlt werden», betonte die Minderheitensprecherin. Mit 109 zu 81 Stimmen folgte der Nationalrat der Regierung, die Minderheitsposition unterstützten die Fraktionen der SP, GLP und Grünen.
Zudem wollte der Bundesrat die Regelungen zum Proximity Tracing im Epidemiengesetz durch Regelungen zu einem sogenannten Presence-Tracing ergänzen. Damit sollten Teilnehmende von Veranstaltungen freiwillig «ihre Anwesenheit ohne Angabe von Personendaten» erfassen können. Eine Minderheit Glarner wollte die Regelungen zum Proximity und Presence Tracing streichen, da Ersteres «ein Riesenflop» gewesen sei. Besonders energisch kritisierte der Minderheitensprecher überdies eine bereits bestehende Regelung, wonach der Bundesrat völkerrechtliche Vereinbarungen unter anderem zur «Harmonisierung der Massnahmen zur Erkennung, Überwachung, Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten» eingehen könne. Dadurch würde die Schweiz «gezwungen sein, Massnahmen des Auslands zu übernehmen». Mit 141 zu 50 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit. Eine Mehrheit der SVP-Fraktion sprach sich für den Minderheitenantrag aus.

In der Folge diskutierte der Nationalrat über die Verlängerungen des Gesetzes und einzelner Massnahmen. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, die Geltungsdauer des Gesetzes vom 31. Dezember 2022 auf den 30. Juni 2024 zu verlängern, um die Instrumente gegen die Pandemie für die nächsten zwei Winter zu sichern. Diesbezüglich lagen zwei Minderheitsanträge vor, wobei eine Minderheit I Glarner das Gesetz bis Ende März 2023, eine Minderheit II Dobler (fdp, SG) bis Ende Juni 2023 in Kraft belassen wollte. Eine allfällige Ausbreitung der Krankheit sei spätestens im Frühling vorbei, weshalb das Gesetz maximal bis Ende März 2023 verlängert werden solle – wenn überhaupt –, forderte Andreas Glarner. Auch Marcel Dobler wollte das Gesetz «nur so lange wie nötig verlängern und nicht auf Vorrat», bei einem Ende im März 2023 müsste über eine allfällige Verlängerung aber genau während der Grippesaison beraten werden, gab er zu Bedenken. Kommissionssprecher Lorenz Hess warnte vor weiteren «Hauruckübungen» bei einem frühzeitigen Auslaufen des Gesetzes. Mit einer Verlängerung bis 2024 sei man «für den Fall eines Falles bereit». Die Mehrheit setzte sich gegen die Minderheit Glarner durch (mit 109 zu 75 Stimmen bei 3 Enthaltungen), die zuvor der Minderheit Dobler vorgezogen worden war. Der Minderheitsposition von Andreas Glarner folgten Mehrheiten der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktion und ein Mitglied der Mitte-Fraktion.

Eine Mehrheit der SPK-NR hatte zudem einen Antrag zur fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes eingereicht. Sie wollte die Regelung zur Stimmabgabe in Abwesenheit bei Quarantäne oder Isolation ebenfalls bis Ende Juni 2024 verlängern, was der Bundesrat nicht vorgesehen hatte. Falls erneut eine Pflicht zur Quarantäne und Isolation ausgerufen würde, sollten die Nationalratsmitglieder in der Lage sein, wenn nötig digital abzustimmen. Eine Minderheit Buffat (svp, VD) der SPK-NR sprach sich jedoch gegen diese Verlängerung aus. Mit 142 zu 49 Stimmen folgte der Nationalrat gegen den Willen der SVP-Fraktion der Kommissionsmehrheit. Darüber hinaus verlängerte der Nationalrat mit 141 zu 48 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) entgegen einer Minderheit Aeschi die Regelung zum Covid-19-Zertifikat, lehnte aber mit 125 zu 66 Stimmen einen Minderheitsantrag von Flavia Wasserfallen ab, wonach zusätzlich auch die Massnahmen bezüglich EO, ALV, KAE sowie Kultur- und Härtefallhilfen bis Ende Juni 2024 gültig bleiben sollten.

Schliesslich entschied sich der Nationalrat mit 140 zu 48 Stimmen, das Gesetz erneut dringlich zu erklären, und sprach sich damit gegen einen Minderheitsantrag Aeschi aus. Nach drei Jahren «im ausserordentlichen Modus» und einen Tag nach einer weiteren Dringlicherklärung eines Gesetzes solle man zu einer «durchdachten Gesetzgebung» zurückkehren, hatte Thomas Aeschi vergeblich argumentiert. Gesundheitsminister Berset plädierte jedoch dafür, die Regelungen ohne Unterbruch ab dem 1. Januar 2023 zu verlängern. Mit 140 zu 47 Stimmen (bei 1 Enthaltung) nahm der Nationalrat den Entwurf der fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes in der Gesamtabstimmung an. Eine Mehrheit der SVP-Fraktion sprach sich für Ablehnung aus.

Fünfte Revision des Covid-19-Gesetzes (Verlängerung und Änderung ausgewählter Bestimmungen; BRG 22.046)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

In Erfüllung einer Petition (Pet. 21.2035) der Frauensession 2021 lancierte die SGK-NR in der Sommersession 2022 eine Kommissionsmotion zur Förderung von Forschung und Therapie für spezifische Frauenkrankheiten. Eine Vielzahl von Krankheiten betreffe nur oder mehrheitlich Frauen, entsprechende Behandlungsmöglichkeiten seien jedoch grundsätzlich nur wenig erforscht. Um dies zu ändern, solle der SNF ein Forschungsprogramm lancieren mit dem Ziel, verbindliche Richtlinien für die Diagnose, Indikation und Therapie von spezifischen Frauenkrankheiten zu erstellen und die weitere Erforschung ebendieser zu fördern. In seiner Stellungnahme anerkannte der Bundesrat, dass Frauenkrankheiten dringend weiter und gründlicher erforscht werden müssten. Jedoch hätten Forschende in diesem Gebiet bereits die Möglichkeit, selbst Forschungsanträge an den SNF zu stellen, und der Bundesrat wolle dieses Bottom-up-Prinzip nicht durch einen entsprechenden Auftrag untergraben. Schliesslich sei in Erfüllung des Postulats Fehlmann Rielle (sp, GE; Po. 19.3910) bereits ein Bericht zu diesem Thema in Ausarbeitung, welcher aufzeigen solle, ob bei der Behandlung von Frauenkrankheiten noch Handlungsbedarf bestehe. Auch eine Kommissionsminderheit Glarner (svp, AG) stellte sich mit Verweis auf das Bottom-up-Prinzip gegen den Vorstoss. Der Nationalrat nahm die Motion in der Herbstsession 2022 mit 133 zu 52 Stimmen an, wobei die SVP-Fraktion den Vorstoss geschlossen ablehnte.

Förderung von Forschung und Therapie für spezifische Frauenkrankheiten (Mo. 22.3869)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen

Der Bundesrat verabschiedete im Mai 2022 seine Botschaft zur Reform des Visa-Informationssystems VIS und zur Änderung des AIG im Rahmen der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Das VIS wurde 2011 implementiert und erleichtert die Visumverfahren für einen kurzfristigen Aufenthalt im Schengenraum. Es ermöglicht den Visum-, Grenz-, Asyl- und Migrationsbehörden innert kürzester Zeit die notwendigen Informationen (u.a. Gesichtsbild, Fingerabdrücke) über visumpflichtige Drittstaatsangehörige zu überprüfen. Die Botschaft zum überarbeiteten Visa-Informationssystem beruht auf zwei neuen EU-Verordnungen, welche die Schweiz übernehmen muss, da sie eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellen. Der Bundesrat erklärte in der Botschaft, dass die Änderungen grundsätzlich technischer Art seien und die Zuständigkeiten des VIS nur in begrenzter Weise erweitert werden sollen. Die vorgesehenen Änderungen umfassen die Herabsetzung des Alters für die Abnahme von Fingerabdrücken bei Kindern von zwölf auf sechs Jahre und die Befreiung von dieser Verpflichtung für Personen über 75 Jahre; die Aufnahme von Visa und Aufenthaltstitel für den längerfristigen Aufenthalt ins VIS; die Erweiterung des VIS-Zwecks für die Rückkehr von Personen, welche die Einreisevoraussetzungen des Schengen-Raums nicht erfüllen; die Aufnahme von Kopien der Reisedokumente von Gesuchstellenden in das VIS; die Anpassung des Zugangs zu VIS-Daten für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden sowie Europol; die Erfassung von Gesichtsbildern vor Ort; den Zugang für Beförderungsunternehmen zur Überprüfung von Visa und Aufenthaltstiteln sowie den Ausbau diverser technischer Komponenten. Diese Neuerungen machten wiederum die Anpassung des AIG, des BGIAA und des BPI notwendig.
Eine zweite Vorlage, welche die Botschaft behandelte, betraf eine von der Schengen-Weiterentwicklung losgelöste Anpassung des AIG auf Antrag des BAZG. Zwar verfüge das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit für die Aufgabenerfüllung als Grenzkontrollbehörde bereits über die notwendigen Zugriffe auf die Datenbanken, nicht jedoch zur Erfüllung seiner Aufgaben als Strafverfolgungsbehörde. Das BAZG habe bereits bei der Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen den verschiedenen EU-Informationssystemen um Zugriff auf den «Gemeinsamen Speicher für Identitätsdaten (CIR)» und Zugang zu den Daten von EES, ETIAS und VIS gebeten. Das BAZG wollte diese Datenbanken zur Verhütung, Aufdeckung oder Ermittlung terroristischer oder sonstiger Straftaten nutzen. Diese Regelung habe man damals jedoch nicht umgesetzt, da die entsprechende Vernehmlassung bereits abgeschlossen gewesen sei und man mehr Zeit für die Klärung rechtlicher Details benötigt habe, erklärte der Bundesrat. Da das BAZG jedoch einen gesetzlichen Auftrag im Bereich der Verhütung von terroristischen Straftaten habe, und es diese ohne die beschriebenen Zugänge nicht erfüllen könne, wolle man dessen Zugriffsrechte in der vorliegenden Änderungsverordnung zum VIS erweitern. Der Bundesrat argumentierte, dass man dem BAZG den Zugriff – wie auch bei anderen eidgenössischen kantonalen und kommunalen Strafverfolgungsbehörden – erlauben müsse, um eine Lücke in der inneren Sicherheit der Schweiz zu schliessen. Er versicherte auch, dass die Kompetenzen des BAZG dadurch nicht erweitert würden.
Die Vernehmlassung habe mehrheitlich positive Stellungnahmen zu beiden Vorlagen mit sich gebracht. Während die Reform des Visa-Informationssystems unbestritten war, habe sich nur die KKJPD wirklich kritisch zur Änderung des AIG geäussert. Die KKJPD kritisierte die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen, da polizeiliche Aufgaben – sofern nicht explizit dem Bund zugeordnet – in der Kompetenz der Kantone lägen. Die KKJPD verlangte daher eine vorgängige Kompetenzklärung im Rahmen der Totalrevision des Zollgesetzes, bevor man die Zugriffsrechte des BAZG durch die Änderung des AIG erweitere.

Der Nationalrat behandelte das Geschäft in der Herbstsession 2022 zusammen mit einem Geschäft zur Festlegung der Bedingungen für den Zugang zu anderen EU-Informationssystemen (BRG 22.019). Eine Minderheit Molina (sp, ZH) forderte Schutzbestimmungen bei der Weitergabe von Personendaten an Drittstaaten und internationale Organisationen. Molina erklärte, dass die Vorlage es ermögliche, dass das SEM oder das Fedpol Personendaten unter gewissen Umständen an Drittstaaten ausserhalb des Schengen-Raums weitergeben können. Eine solche Weitergabe dürfe aber nur stattfinden, wenn garantiert werden könne, dass die betroffene Person dadurch keine «ungerechtfertigte Verletzung ihrer Grundrechte erleidet». Gerhard Pfister (mitte, ZG) – Kommissionssprecher der SPK-NR – verwies auf die bestehende Informationslücke im Bereich der Visa, die zu einem längerfristigen Aufenthalt im Schengen-Raum berechtigen, der geschlossen werden müsse. Zum Antrag der Minderheit merkte Pfister an, dass die Kommission von der Verwaltung eine Stellungnahme verlangt habe. Daraus gehe hervor, dass die Behörden Daten zur Identität und zu den Reisedokumenten nur unter engen Auflagen an Drittstaaten weitergeben könnten, wobei keine Kontrolle durch die nationalen Migrationsbehörden vorgesehen sei. Eine zusätzliche Kontrolle durch das SEM könne in dringenden Fällen zu einem Zeitverlust führen. Die Fraktion der Grünen unterstützte die Minderheit Molina, wie deren Sprecherin Natalie Imboden (gp, BE) bekannt gab. Sie ergänzte, dass sich ihre Fraktion in der Gesamtabstimmung ihrer Stimmen enthalten werde, um darauf hinzuweisen, dass den grundrechtlichen Fragen in der Vorlage mehr Gewicht zukommen müsse. FDP-Fraktionssprecher Cottier (fdp, NE) hingegen kritisierte Molina dafür, dass dieser einen Zeitverlust in Fällen von aussergewöhnlicher Dringlichkeit, bei denen eine unmittelbare Gefahr im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten oder schweren Straftaten bestehe, in Kauf nehme. Ähnlich argumentierte die SVP-Fraktion, während die GLP- und die Mitte-Fraktionen auf ein Votum verzichteten. Die anwesende Bundesrätin Karin Keller-Sutter merkte zum Minderheitsantrag an, dass die Daten nur bei der Feststellung der Identität von rückkehrpflichtigen Drittstaatsangehörigen oder bei der Gewährung von Asyl für Flüchtlingsgruppen übermittelt werden sollten. Die Rechte dieser Personen dürfen – gemäss EU-Recht und nationalem Recht – nicht beeinträchtigt werden, insbesondere nicht das Non-Refoulement-Gebot. Auch müsse sich der Drittstaat oder die internationale Organisation verpflichten, die Daten nur für die angegebenen Zwecke zu verwenden, und einen Datenschutz gewährleisten, der demjenigen der Schweiz entspreche.
Die grosse Kammer lehnte die Minderheit Molina mit 120 zu 63 Stimmen ab und nahm den Bundesbeschluss zur Reform des Visa-Informationssystems in der Gesamtabstimmung mit 146 zu 7 Stimmen (bei 31 Enthaltungen) an. Die Änderung des AIG nahm der Nationalrat mit 144 zu 4 Stimmen (bei 35 Enthaltungen) ebenfalls deutlich an. Der Enthaltung der Grünen schlossen sich einige Mitglieder der SP und der SVP an.

Reform des Visa-Informationssystems VIS und Änderung des AIG

Der Bundesrat publizierte im Mai 2022 die Botschaft zur Übernahme zweier EU-Verordnungen zur Festlegung der Bedingungen für den Zugang zu anderen EU-Informationssystemen für die Zwecke des ETIAS sowie zur Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes.
Wie der Bundesrat in seiner Botschaft vermerkte, hatte das Parlament der Übernahme der EU-Verordnung, die ETIAS etablierte, bereits im September 2020 zugestimmt (BRG 20.027). Bei der vorliegenden Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes ging es nun darum, die Interoperabilität des ETIAS-Systems mit anderen EU-Informationssystemen (wie etwa SIS) zu gewährleisten. Mit der Interoperabilität solle der Datenaustausch unter diesen Systemen ermöglicht werden und vorhandene Informationen effizienter und gezielter genutzt werden. Der Bundesrat beantragte auch eine Änderung des AIG: Der Abteilung «Biometrische Identifikation» des Fedpol soll es erlaubt werden, die Ergebnisse von Suchanfragen manuell nachzuprüfen, wenn diese einen Treffer in den Schengen/Dublin-Informationssystemen ergeben haben.

Der Nationalrat befasste sich in der Herbstsession 2022 mit dem Geschäft. Die Sprechenden der SPK-NR, Tiana Moser (glp, ZH) und Damien Cottier (fdp, NE), stellten den Entwurf vor. Demnach handelt es sich bei ETIAS um ein System zur Ausstellung von Reisegenehmigungen für Drittstaatenangehörige ohne Visumspflicht, wobei die Prüfung, ob eine Person eine Einreisebewilligung erhält, weitgehend automatisch abläuft. Komme es zu einer Unregelmässigkeit, dann erfolge in den entsprechenden Schengen-Mitgliedstaaten eine manuelle Prüfung der Einreisebewilligung. Das Bundesverwaltungsgericht werde eine Plattform zur Verfügung stellen, über die Beschwerden bei einer mutmasslichen Fehlbeurteilung der Reisegenehmigung eingereicht werden können. Das Ziel dieser Weiterentwicklung des ETIAS-Systems bestehe darin, die Sicherheit, insbesondere in den Bereichen Bekämpfung des Terrorismus und Verhinderung schwerer Straftaten, zu stärken. Minderheitsanträge wurden keine gestellt und die meisten Fraktionen äusserten sich überwiegend positiv. Jedoch meldete Natalie Imboden (gp, BE) seitens der Grünen-Fraktion gewisse datenschützerische Bedenken an und bat Justizministerin Karin Keller-Sutter, den «datenschützerischen Aspekten in den weiteren Umsetzungsarbeiten genügend Beachtung zu schenken». Der Nationalrat nahm die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes mit 134 Stimmen zu 10 Stimmen (33 Enthaltungen) an. Die ablehnenden Stimmen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion, die Enthaltungen von der Grünen-Fraktion. Die zweite Vorlage, die Änderung des AIG, nahm der Nationalrat mit 145 zu 3 Stimmen bei 33 Enthaltungen an.

Die kleine Kammer behandelte die Vorlage in der Wintersession 2022. Dort stellten Kommissionssprecher Mathias Zopfi (gp, GL) und Justizministerin Keller-Sutter das Geschäft vor, wobei eine eigentliche Debatte ausblieb: Eintreten wurde ohne Gegenantrag beschlossen und beide Vorlagen wurden einstimmig angenommen.

In den Schlussabstimmungen am Ende der Wintersession 2022 zeigte sich wiederum ein ähnliches Stimmverhalten: Während sich die Grünen der Stimmen enthielten, votierte eine grosse Mehrheit des Nationalrates klar für die beiden Vorlagen (155 zu 9 Stimmen bei 32 Enthaltungen / 164 zu 0 Stimmen bei 32 Enthaltungen). Im Ständerat wurden die beiden Vorlagen jeweils einstimmig angenommen (44 zu 0 Stimmen für die beiden Vorlagen).

Festlegung der Bedingungen für den Zugang zu anderen EU-Informationssystemen (ETIAS; BRG. 22.019)
Dossier: Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands, Errichtung von IT-Grosssystemen

Auch im Nationalrat, der das Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG) in der Herbstsession 2022 beriet, war die bisher eher gemächliche Geschwindigkeit der schweizerischen Verwaltung hinsichtlich Digitalisierung Thema bei der Eintretensdebatte. Die Schweiz hinke hinterher, befand etwa der Sprecher der SPK-NR, Andri Silberschmidt (fdp, ZH). Zudem finde die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung zwar statt, aber es gebe einen «Wildwuchs von Systemen und Prozessen [...], die wenig aufeinander abgestimmt» seien. In der Kommunikation zwischen Bund, Kantonen, Gemeinden, Privaten und Firmen brauche es aber gemeinsame Standards und Verantwortlichkeiten, die im vorliegenden Gesetz geregelt würden. Die Mehrheit der Fraktionssprecherinnen und -sprecher war sich danach einig, dass die Schweiz ihren Rückstand aufholen müsse (Marco Romano, mitte, TI), dass es nun einen stärkeren politischen Willen brauche (Damien Cottier, fdp, NE), dass man eigentlich gerne noch weiter gehen würde (Angelo Barrile, sp, ZH), dass man jetzt einen Gang höher schalten wolle (Gerhard Andrey, gp, FR), dass man nun keinen halben Schritt rückwärts, sondern zwei Schritte vorwärts machen müsse (Corina Gredig, glp, ZH) oder dass man «dem Anschluss an die moderne Welt [nicht mehr länger] hinterherrennen» dürfe (Barbara Steinemann, svp, ZH). Eintreten war entsprechend unbestritten, obwohl Bundesrat Ueli Maurer darauf hinwies, dass es nicht nur Rufe gebe, die Handbremse endlich zu lösen, sondern dass in der Bevölkerung auch «abgrundtiefes Misstrauen» gegenüber der Digitalisierung festgestellt werden könne.
In der Detailberatung schuf der Nationalrat eine gewichtige Differenz zum Ständerat. So soll das Gesetz nicht nur für die Bundesverwaltung, sondern auch für die Kantonsverwaltungen und alle mit Vollzugsaufgaben betrauten Organisationen und Personen gelten. Diesen Passus hatte der Bundesrat nach der Vernehmlassung aus der Vorlage gestrichen, weil er von Städten und Kantonen stark kritisiert worden war. Die SPK-NR habe mit 15 zu 6 Stimmen bei einer Enthaltung aber dafür optiert, hier keinen föderalen Flickenteppich zu schaffen. Mit 114 zu 77 Stimmen folgte die Ratsmehrheit ihrer Kommission. Die geschlossen stimmende SVP-Fraktion und eine Mehrheit der Mitte-Fraktion fanden sich in der Minderheit und votierten für die auch von Bundesrat Ueli Maurer beworbene Lösung, der vergeblich argumentiert hatte, dass diese Ausweitung des Gesetzes noch nicht reif sei.
Darüber hinaus wollte der Nationalrat im Gegensatz zur ständerätlichen Fassung auch explizit das Prinzip «digital first» im Gesetz verankern. Damit werde eine Umkehr der heutigen Praxis gefordert, mit der alles auf Papier gedruckt werde. Neu soll alles digital sein und nur noch in Ausnahmefällen analog angeboten werden. Ebenfalls abweichend vom Ständerat folgte die Ratsmehrheit ihrer SPK-NR, die den Passus der kleinen Kammer wieder rückgängig machen wollte, wonach auf unterschiedliche Bedürfnisse – vor allem von Personen ohne digitale Kenntnisse – Rücksicht genommen werden müsse. Schliesslich machte der Nationalrat aus der Kann-Formulierung für die Veröffentlichung von Open-Source-Software wieder eine Muss-Formulierung. Nachdem die Ausgabenbremse gelöst worden war, erhielt die Vorlage in der Gesamtabstimmung 144 befürwortende und 24 ablehnende Stimmen. Letztere, wie auch die 24 Enthaltungen, stammten allesamt aus der SVP-Fraktion.

Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (BRG 22.022)
Dossier: Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG)

National- und Ständerat befassten sich in der Sommersession 2022 mit je vier Motionen aus den Reihen der SVP-Fraktion, die auf die steigenden Benzin- und Heizkosten fokussierten. Die Motionen wurden in beiden Räten im Rahmen einer ausserordentlichen Session mit dem Titel «Entlastungsmassnahmen zugunsten der Bevölkerung und der Wirtschaft» beraten.

Im Ständerat stellten die drei Motionäre Marco Chiesa (svp, TI), Werner Salzmann (svp, BE) und Hansjörg Knecht (svp, AG) ihre Vorstösse vor und betonten dabei die Schwierigkeiten, die der Wirtschaft und der autofahrenden Bevölkerung durch die aufgrund des Ukrainekonflikts gestiegenen Energiepreise erwachsen würden. Sie wiesen auch generell auf die hohe Teuerungsrate hin, welche insbesondere den Mittelstand stark belaste. Folglich bewarben sie ihre Vorstösse etwa für eine Reduktion der Mineralölsteuer oder für eine Erhöhung des Berufskostenabzugs. Die Rednerinnen und Redner der anderen Parteien hielten indes wenig von diesen Vorschlägen. Ruedi Noser (fdp, ZH) wies darauf hin, dass auch andere Sektoren von der Teuerung betroffen seien; nicht nur Benzin, Diesel und Heizöl würden teurer. Der Staat könne jedoch nicht für alle Bereiche Hilfspakete schnüren. Zudem bedeute mehr Geld für einen Sektor auch weniger Geld für andere Bereiche, wenn man sich nicht noch mehr verschulden wolle. Adèle Thorens Goumaz (gp, VD) schloss sich dem Votum von Ruedi Noser an und ergänzte, dass keine Massnahmen zur Entlastung der hohen Energiepreise getroffen werden sollten, die auf Kosten des Klimas gehen würden. Vielmehr liege die Lösung darin, sich von den fossilen Energieträgern zu verabschieden. Carlo Sommaruga (sp, GE) und Andrea Gmür-Schönenberger (mitte, LU) betonten, dass mit den geforderten Massnahmen schlicht die falschen Bevölkerungsgruppen entlastet würden. Gemäss Sommaruga, seines Zeichens Präsident des Mieterinnen- und Mieterverbands Schweiz, seien nämlich vor allem die Mieterinnen und Mieter von den steigenden Energiepreisen betroffen; ihnen müsse mittels zielgerichteter Massnahmen geholfen werden. Gmür-Schönenberger fügte an, dass mit den von der SVP geforderten Punkten diejenigen Personen bestraft würden, die bereits jetzt versuchten, nachhaltig zu leben: «Genau die Menschen, welche die Entlastung am meisten brauchen, die sozial benachteiligt und wirtschaftlich nicht auf Rosen gebettet sind, die haben ökologisch den kleinsten Fussabdruck.» Auch Finanzminister Ueli Maurer sprach sich gegen die Vorstösse aus: Aus Sicht des Bundesrates sei es nicht angezeigt, bereits in dieser frühen Phase einer möglicherweise kritischen Konjunkturentwicklung in grossem Masse Geld zu verteilen. Es brauche zuerst eine Gesamtanalyse. Sollte der Bund aber einmal eingreifen müssen, dann würde er zuerst auf die tieferen Einkommen fokussieren. Im Anschluss daran wurde einzeln über die vier Motionen abgestimmt; sie wurden allesamt abgelehnt. Nebst der SVP stimmten jeweils auch einige Mitglieder der FDP.Liberalen- sowie der Mitte-Fraktion für Annahme der Motionen; insbesondere die Motion Knecht (22.3243) für ein Entlastungspaket zugunsten der Bevölkerung und Wirtschaft vermochte auch über die SVP-Fraktion hinaus zu überzeugen.

Im Nationalrat wurden die vier Motionen zusammen mit einer Motion der FDP.Liberalen-Fraktion (Mo. 22.3249), die ebenfalls ein Entlastungspaket für Bevölkerung und Wirtschaft forderte, sowie mit der Motion Schaffner (glp, ZH; Mo. 22.3260) zur Bekämpfung der Strommangellage beraten. In der grossen Kammer entspann sich eine lange und intensive Debatte, in welcher nicht nur über die Vorstösse, sondern auch über die derzeitige und zukünftige makroökonomische Lage in der Schweiz diskutiert wurde.
Je nach Partei wurden ganz verschiedene Rezepte zur Reaktion auf steigende (Treibstoff- und Energie-)Preise vorgeschlagen: Während Motionär Benjamin Giezendanner (svp, AG) die vorgeschlagene Reduktion der Mineralölsteuer und des Mineralölsteuerzuschlags als «zielgerichtetes, effizientes und [ ...] schnell umgesetztes Mittel» bezeichnete, kritisierte Leo Müller (mitte, LU) die Vorschläge der SVP als «Giesskannensystem», dem gezielte Massnahmen vorzuziehen seien. Für ihn standen vielmehr Massnahmen für den Mittelstand und für Haushalte mit kleinem Einkommen im Fokus; etwa in Form von Prämienverbilligungen oder Tankgutscheinen für auf das Auto angewiesene Personengruppen. Samira Marti (sp, BL) ergänzte diese Punkte um weitere mögliche Massnahmen wie etwa tiefere Mieten, höhere Löhne oder dem von ihrer Partei bereits vorgeschlagenen «chèque fédéral» (vgl. Mo. 22.3767). Durch diese Massnahmen würden grosse Teile der Bevölkerung direkt profitieren, so Marti. Parteikollege Samuel Bendahan (sp, VD) ergänzte, dass eine Senkung der Benzinpreise vor allem den Mineralölkonzernen wie Shell oder Esso zu Gute kommen würde.
Die Sprechenden der Grünen und der GLP fokussierten auf die Auswirkungen der von der SVP vorgeschlagenen Massnahmen auf das Klima: Delphine Klopfenstein Broggini (gp, GE) betonte, dass das beste Mittel darin bestehe, auf erneuerbare und einheimische Energien zu setzen, welche gut für das Klima seien, die Preise stabilisierten und die Abhängigkeit vom Ausland reduzierten. Zudem müsse auch sorgsam mit der Energie umgegangen werden, indem zum Beispiel im Winter weniger stark geheizt werde. Beat Flach (glp, AG) monierte, dass die SVP mit ihren Vorschlägen diejenigen Personen belohnen wolle, welche viel Benzin verbrauchten. Damit würden indirekt über die Steuern diejenigen Personen belastet, die sich nachhaltig verhielten und jeden Tag mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Verkehr zur Arbeit fahren würden.
FDP-Vertreter Damien Cottier (fdp, NE) schliesslich wies darauf hin, dass es in jeder freien Marktwirtschaft zu Preisfluktuationen komme. Dies bedeute nicht automatisch, dass der Staat eingreifen müsse. Es sei jedoch die Aufgabe des Parlaments, langfristige Strukturmassnahmen auf den Weg zu bringen – etwa in Form von Steuerreformen in den Bereichen Mehrwertsteuer oder Individualbesteuerung –, um die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu stärken.
Bundesrat Maurer versuchte die Gemüter zu beruhigen: Die Teuerung sei in der Schweiz nicht stark, die Wirtschaft werde diese selber bewältigen können. Es sei aber offensichtlich, dass die Lebenshaltungskosten in der nächsten Zeit hoch bleiben würden; auch könne es dazu kommen, dass sich die Teuerung von den Energiepreisen auf weitere Bereiche wie etwa die Lebensmittelpreise ausdehne. Sollte sich die Situation zuspitzen, so werde der Bund evaluieren müssen, welche Massnahmen es brauche.
Schliesslich wurden die vier Motionen der SVP abgelehnt, sie vermochten kaum über die SVP-Fraktion hinaus zu mobilisieren. Der Motion Schaffner stimmte der Nationalrat gegen den Widerstand der SVP-Fraktion sowie einiger Mitglieder der FDP.Liberalen- und der Mitte-Fraktionen zu, während die Motion der FDP.Liberalen-Fraktion zuvor zurückgezogen worden war.

Acht Vorstösse für Entlastungsmassnahmen für Bevölkerung und Wirtschaft (Mo. 22.3228, Mo. 22.3243, 22.3244, Mo. 22.3255, Mo. 22.3280, Mo. 22.3281, Mo. 22.3289, Mo. 22.3356)

In der Sommersession beschloss der Nationalrat, der Mehrheit seiner SPK-NR zu folgen und an der ursprünglichen Version seiner Revision des Bundesgesetzes über das Öffentlichkeitsprinzip in der Verwaltung festzuhalten. Der Ständerat hatte in der Detailberatung zur Vorlage, die auf eine parlamentarische Initiative von Edith Graf-Litscher (sp, TG) zurückging, eine Differenz geschaffen: In der Regel soll die Einsicht in Dokumente der Bundesverwaltung zwar kostenlos sein, für Gesuche, denen die verantwortliche Verwaltungsstelle nur mit hohem Aufwand nachkommen kann, sollen allerdings Gebühren verlangt werden können. Der Nationalrat hatte dafür eine Obergrenze von CHF 2'000 vorgesehen, der Ständerat wollte hingegen keine Kostenobergrenze beziffern. Eine Minderheit der SPK-NR hatte vergeblich dafür plädiert, die ständerätliche Lösung zu übernehmen. Die Argumente von Minderheitensprecher Damien Cottier (fdp, NE) sowie von Bundesrätin Karin Keller-Sutter, es könne auch Gesuche geben, die Gebühren von mehr als CHF 2'000 rechtfertigten, stiessen lediglich bei der geschlossen stimmenden FDP.Liberalen- und der Mehrheit der Mitte-Fraktion auf Gehör. Mit 130 zu 53 Stimmen (2 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat für Festhalten aus.

Öffentlichkeitsprinzip (Pa.Iv. 16.432)
Dossier: Öffentlichkeitsprinzip in der Bundesverwaltung

Die zuständige WAK-SR teilte im Frühling 2022 die Ansicht von Motionär Stöckli (sp, BE), dass es bei vielversprechenden Projekten im Bereich der Nachhaltigkeit und Digitalisierung im Tourismussektor an langfristigen Finanzierungsmöglichkeiten fehle. Die derzeit geltende Regelung von Innotour erlaube nur Anschubfinanzierungen und ermögliche keine ausreichende, langfristige Vernetzung zwischen den vielen – teilweise kleinen – Akteuren. Die Kommission beantragte das Anliegen zusammen mit einer Motion Cottier (fdp, NE; Mo. 21.3278), welche ein nachhaltiges Unterstützungsprogramm für den Schweizer Tourismus forderte, deshalb zur Annahme.
In der Sommersession 2022 beriet der Ständerat sodann die beiden Motionen zusammen. Während er die Motion Cottier, die auch vom Bundesrat unterstützt worden war, stillschweigend guthiess, nahm er die Motion Stöckli mit 29 zu 4 Stimmen bei 5 Enthaltungen an. Kommissionssprecher Hans Wicki (fdp, NW) erläuterte erneut den Standpunkt der Kommission, dass Projekte nur durch eine langfristige Finanzierung auch nachhaltig sein könnten. Bei einer Anschubfinanzierung drohe, dass die verwendeten Bundesgelder nicht effizient eingesetzt würden, falls das Projekt aufgrund fehlender Mittel nicht weitergeführt werde. Wirtschaftsminister Guy Parmelin erklärte hingegen, dass es nicht Aufgabe des Bundes sei, touristische Infrastrukturen auf die lange Frist zu finanzieren. Er sah den Aspekt der Nachhaltigkeit darin, dass auch die Akteure selber zum Erfolg beitragen müssten. Wenn ein Projektstart erfolgreich verlaufe, könne zudem im Rahmen von Innotour eine Unterstützung für ein darauf aufbauendes Projekt beantragt werden. Eine langfristige Finanzierung würde des Weiteren dazu führen, dass nur einige wenige Projekte durchgeführt werden könnten und viele andere Projekte das Nachsehen hätten, argumentierte Parmelin weiter. Diesem Votum folgend und somit gegen die Ausschüttung neuer Subventionen im Tourismusbereich stimmten schliesslich nur die drei SVP-Ständeräte Hansjörg Knecht (AG), Werner Salzmann (BE) und Jakob Stark (TG) sowie der Parteilose Thomas Minder (SH) gegen die Motion. Der Vorstoss ging damit an den Nationalrat.

Nachhaltige Entwicklung und Digitalisierung im Tourismus über Innotour stärken (Mo. 21.3743)

Im Sommer 2022 behandelte der Ständerat als Zweitrat eine Motion Cottier (fdp, NE) für ein schnelles und nachhaltiges Unterstützungsprogramm für den Schweizer Tourismus zur Abfederung der Folgen der Corona-Pandemie. Mit seinem Vorstoss hatte der Neuenburger Nationalrat gefordert, dass der Bundesrat im Rahmen der bereits bestehenden Instrumente (z.B. Neue Regionalpolitik, Hotelkredit, Innotour oder Schweiz Tourismus) dafür sorgt, dass durch ein Impuls- und Hilfsprogramm innovative und nachhaltige Massnahmen zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Tourismus ermöglicht werden. Im Ständerat war das Anliegen unbestritten und wurde stillschweigend angenommen. Wie Kommissionssprecher Hans Wicki (fdp, NW) erklärte, soll der Tourismussektor dank der Motion Cottier künftige Entwicklungen antizipieren und nötige Strukturanpassungen durchlaufen können. Die Beratungen in der WAK-SR und im Ständerat fanden zusammen mit einer ähnlichen Motion Stöckli (sp, BE; Mo. 21.3743) statt, welche bei einer langfristigen Unterstützung der Tourismusbranche im Rahmen von Innotour auf die Kernthemen Digitalisierung und Nachhaltigkeit fokussieren wollte.

Le tourisme suisse a besoin d'un programme de soutien rapide, efficace et axé sur la durabilité (Mo. 21.3278)
Dossier: Covid-19 – Tourismus

Die WBK-NR forderte mit einer im April 2022 eingereichten Motion ein umfassendes Schweizer Programm für exzellente Forschung und Innovation. Der Bundesrat solle dieses Programm auf die Beine stellen, um international führende Forschende und Start-Ups in die Schweiz zu holen. Dafür solle der Bundesrat die Subjektfinanzierung für Forschende sowie die Objektfinanzierung für Start-Ups und KMUs fördern und weitere Fördergefässe in den Bereichen Forschung und Innovation schaffen. Weiter sollen bestehende Elemente von Horizon Europe mit zusätzlichen Mitteln begünstigt werden. Dabei solle das geforderte Programm auf den bereits bestehenden und geplanten Übergans- und Ersatzmassnahmen für Horizon Europe aufbauen.
Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion. Er war der Ansicht, dass er bereits alle notwendigen Massnahmen ergriffen habe, um die Förderung von Forschung und Innovation sowie die internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich bestmöglich sicherzustellen. Er verwies diesbezüglich auf die von den Räten gutgeheissene Finanzierungsbotschaft für die Beteiligung am Horizon-Paket 2021–2027, in deren Rahmen bereits CHF 5.4 Mrd. gesprochen wurden, die nun für die projektweise Beteiligung von Schweizer Forschenden ausgegeben werden können. Er führte auch die von der WBK-NR erwähnten Übergangs-, Ersatz- und Ergänzungsmassnahmen auf, welche bereits angelaufen seien respektive geprüft würden.
In der Sommersession 2022 gelangte der Vorstoss in die grosse Kammer; bei der Beratung lag dem Rat neben dem Antrag der Kommission auf Annahme der Motion auch ein Einzelantrag von Andreas Glarner (svp, AG) auf Ablehnung vor. Der SVP-Vertreter bemängelte, dass dem Forschungs- und Innovationsbereich bereits heute grosse Summen zukämen, für welche die Steuerzahlenden aufkommen müssen. Dies müsse derzeit genügen. Der Nutzen einer zusätzlichen Forderung solle erst in der BFI-Botschaft 2025-2028 diskutiert werden. Christian Wasserfallen (fdp, BE) stellte die Motion seitens der WBK-NR vor und plädierte dafür, «diese Kaskade der Nichtassoziierung» zu beenden und unabhängig von der Assoziierung an Horizon Europe ein eigenes Programm zu lancieren. Der Nationalrat folgte den Worten von Christian Wasserfallen und nahm die Motion mit 164 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung klar an, wobei der Antrag Glarner nur wenige weitere Mitglieder der SVP-Fraktion zu überzeugen vermochte.

Schweizer Programm für exzellente Forschung und Innovation (Mo. 22.3375)

Die WBK-NR verlangte mittels einer im April 2022 eingereichten Motion die Stärkung und Weiterführung der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB). Der zentrale Punkt bestand für die WBK-NR in der Weiterführung des Projekts «viamia», welches einen Teil des 2019 beschlossenen Massnahmenpakets des Bundesrats zur Förderung inländischer Arbeitskräfte darstellte. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Vorstosses. Das Parlament habe sich mit Gutheissen des BBG dafür entschieden, dass sich der Bund aus dem Bereich BSLB zurückziehe und diesen den Kantonen überlasse. Der Bund nutze jedoch die Möglichkeit, im Rahmen einer gezielten Projektförderung gewisse Leistungen der Kantone für die BSLB zu finanzieren. So beteilige sich das SBFI in der laufenden BFI-Periode etwa an dem erwähnten Projekt viamia, welches Personen über 40 Jahren eine kostenlose berufliche Standortbestimmung ermöglicht. Eine allfällige Verlängerung der Anstossfinanzierung durch den Bund könne im Rahmen der BFI-Botschaft 2025-2028 geprüft werden.
Die grosse Kammer befasste sich in der Sommersession 2022 mit dem Anliegen. Dabei lag ein Einzelantrag von Andreas Glarner (svp, AG) auf Ablehnung der Motion vor. Der SVP-Vertreter begründete seinen Antrag mit dem Argument, dass die Stärkung der Massnahmen und Weiterführung von Projekten im BSLB-Bereich erst im Rahmen der BFI-Periode 2025-2028 beraten werden sollen. Simone de Montmollin (fdp, GE) erläuterte seitens der Kommission, dass die vorberatende WBK-NR über eine parlamentarische Initiative von Mustafa Atici (sp, BS; Pa.Iv. 21.517) debattiert habe, welche im BSLB-Bereich Kompetenzen für den Bund gefordert hatte. Die Kommission sei im Rahmen dieser Diskussion übereingekommen, dass der BSLB-Bereich gestärkt, an der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen jedoch nicht gerüttelt werden solle. Daher habe die Kommission die vorliegende Motion eingereicht, worauf Mustafa Atici seine Initiative zurückzog. Letzterer wies im Plenum darauf hin, dass der Einzelantrag Glarner auf einem Missverständnis beruhen müsse. Die Motion wolle nämlich genau das, was Glarner ausführe. In der anschliessenden Abstimmung wurde die Motion mit 129 Stimmen zu 48 Stimmen angenommen. Für den Antrag Glarner und den Bundesrat stimmten lediglich Mitglieder der SVP-Fraktion.

Die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung als Teil des Bildungsraums Schweiz positionieren (Mo. 22.3391)

Mit einem im Dezember 2021 eingereichten Postulat forderte Nationalrätin Sibel Arslan (basta, BS) die Evaluation der Artikel 41 bis 43 des Zivilgesetzbuches. Geregelt wird in den betreffenden Artikeln die Beurkundung des Personenstands, insbesondere auch dann, wenn die Personenstandsdaten nicht durch Urkunden nachgewiesen werden können. Laut der Postulantin gestalte sich die Anwendung der Artikel 41 bis 43 ZGB oftmals schwierig, was für die betroffenen Personen mit einem grossen Aufwand und erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden sei. Der Bundesrat unterstützte das Anliegen; kantonale Behörden, Gerichte und betroffene Personen hätten wiederholt auf die unbefriedigende Situation bei fehlendem Nachweis von Angaben über den Personenstand hingewiesen. Im Nationalrat wurde das Postulat von Andreas Glarner (svp, AG) bekämpft. Er erachtete es im Namen der SVP-Fraktion nicht als notwendig, einen Bericht zu den Artikeln 41 bis 43 ZGB zu erstellen. Wenn ein Problem bestehe, solle direkt eine Änderung der entsprechenden Artikel im ZGB angestrebt werden. Hinter Glarner stellte sich die SVP-Fraktion. Die grosse Kammer nahm das Postulat in der Sommersession 2022 mit 135 zu 53 Stimmen ohne Enthaltungen an.

Beurkundung des Personenstands bei fehlendem Nachweis von Angaben (Po. 21.4482)

Mit einem im Dezember 2021 eingereichten Postulat forderte Min Li Marti (sp, ZH) vom Bundesrat die Ausarbeitung einer Auslegeordnung zur Terrorismus- und Extremismusbekämpfung. Die Postulantin begründete ihren Vorstoss damit, dass die Zuständigkeiten innerhalb der verschiedenen Massnahmen zur Terrorismus- und Extremismusbekämpfung nicht immer klar abgrenzbar seien. Die geforderte Auslegeordnung soll die Zuständigkeiten und rechtlichen Grundlagen für das Fedpol, den NDB und die kantonalen Polizeibehörden klar aufzeigen und so problematische Doppelspurigkeiten, Unklarheiten und Abspracheprobleme verhindern. Der Bundesrat zeigte Verständnis für das Anliegen und beantragte die Annahme des Postulats. Bekämpft wurde das Postulat indes von Andreas Glarner (svp, AG). Zwar stimmte er der Postulantin insofern zu, als allfälligen Lücken und Doppelspurigkeiten in der Terrorismus- und Extremismusbekämpfung entgegengewirkt werden müsse, er erachtete einen Bericht jedoch nicht als passende Massnahme. Der Nationalrat nahm das Postulat in der Sommersession 2022 mit 134 zu 54 Stimmen ohne Enthaltung an.

Auslegeordnung zur Terrorismus- und Extremismusbekämpfung (Po. 21.4598)

«Die Ausländerinnen von heute sind die Frauen von damals», zitierte Balthasar Glättli (gp, ZH) zu Beginn der durch zwei parlamentarische Initiativen zum Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer angestossenen Debatte einen Vergleich zwischen den vor 1971 vom politischen Prozess ausgeschlossenen Frauen und den nach wie vor exkludierten Ausländerinnen und Ausländern aus der NZZ. Zwar sei 1971 ein «Demokratieproblem» gelöst worden, es bestehe aber noch ein weiteres, das angegangen werden könne, wenn man der parlamentarischen Initiative der grünen Fraktion Folge gebe. Auch der zweite Initiant, Mustafa Atici (sp, BS), argumentierte, dass der Ausschluss rund eines Viertels der Bevölkerung die direkte Demokratie der Schweiz unvollständig mache. Im Gegensatz zum Vorstoss der grünen Fraktion, die das passive und aktive Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer auf Bundesebene einführen wollte, forderte Atici dieses für kommunale Angelegenheiten. Beiden Anliegen war gemein, dass sie als Bedingung für die Vergabe der politischen Rechte wenigstens fünf Jahre Wohnsitz in der Schweiz voraussetzten. Die Ratsdebatte war nötig geworden, weil die SPK-NR mit je 17 zu 8 Stimmen empfohlen hatte, beiden Anliegen keine Folge zu geben. Die hauptsächlichen Argumente für die abschlägige Empfehlung wurden von Kommissionssprecherin Marianne Binder-Keller (mitte, AG) und Kommissionssprecher Damien Cottier (fdp, NE) vorgebracht: Wer politische Rechte ausüben wolle, müsse sich lediglich einbürgern lassen. Zudem könne die Einführung eines kommunalen Stimm- und Wahlrechts nicht auf der Bundesebene bestimmt werden, sondern sei eine kantonale Angelegenheit. Darüber hinaus erachte die Kommission die Integration von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz gar «ungeteilt» als «zufriedenstellend»: «Angesichts eines der höchsten Ausländeranteile in Europa gibt es kaum nennenswerte Schwierigkeiten, und ganz offensichtlich fühlen sich die Menschen ausländischer Staatsbürgerschaft abgeholt», erklärte die Kommissionssprecherin. Dies mache den Besitz von Stimm- und Wahlrecht nicht vordringlich. Binder-Keller liess es sich zudem nicht nehmen, den einleitenden Vergleich Glättlis vehement zu kritisieren. Es sei eine «schreiende Ungerechtigkeit» gewesen, «Bürgerinnen und Bürger in einem Land unterschiedlich zu behandeln». Im Gegensatz zu damals bestehe ja heute die Möglichkeit, sich einbürgern zu lassen. Eine links-grüne Kommissionsminderheit stellte bei beiden Vorstössen einen Antrag auf Folgegeben, dem in beiden Fällen allerdings nur die Fraktionen der SP und der Grünen folgten. Die 63 Stimmen reichten allerdings gegen die 110 (Pa.Iv. Atici; 4 Enthaltungen) bzw. 113 (Pa.Iv. GP, 0 Enthaltungen) Gegenstimmen nicht aus. Die Vergabe des Stimm- und Wahlrechts für Nicht-Schweizerinnen und -Schweizer auf kommunaler Ebene hängt somit weiterhin vom Wohlwollen der kantonalen Stimmbevölkerungen ab.

Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer (Pa.Iv 21.405 & Pa.Iv. 21.414)
Dossier: Einführung des Ausländerstimmrechts

In der Sommersession 2022 setzte sich der Nationalrat mit der parlamentarischen Initiative Aeschi (svp, ZG) zur Erhebung der Nationalität der stationär aufgenommenen Patientinnen und Patienten in Schweizer Krankenhäusern auseinander. Andreas Glarner (svp, AG) erklärte für die Minderheit der SGK-NR, dass die Bevölkerung, welche für «diese ganze Geschichte» aufkommen müsse, ein Anrecht darauf habe zu wissen, wer hospitalisiert werde und «allenfalls überdurchschnittliche Leistungen» beanspruche. Die Erhebung der Spitäler basierten auf Selbstdeklarationen. In Zukunft sollen die Angaben jedoch geprüft und systematisch angegangen werden. Weiter stellte Glarner die Frage, was denn gegen das Anliegen spreche und ob man etwa «unangenehme Wahrheiten» fürchte. Für die Kommissionsmehrheit ergriff Jörg Mäder (glp, ZH) das Wort. Er bestätigte zwar unter anderem, dass die Nationalitätsangaben in erster Linie Selbstdeklarationen seien, und wies auf Unterschiede in der Datenerhebung zwischen den Spitälern hin. Dennoch sei die SGK-NR der Auffassung, dass die Erhebungsmethodik angebracht sei. Denn eine strengere Reglementierung gehe mit einem grösseren administrativen Aufwand einher, welche mit dem bestenfalls minimalen Erkenntnisgewinn nicht aufgewogen werden könne. Bestehe zudem wirklich das Interesse, Erkenntnisse bezüglich Hospitalisierung von Covid-19-Patientinnen und -Patienten zu erlangen, müssten neben der Nationalität weitere Variablen wie beispielsweise der soziodemografische Status erfasst werden. Mit 136 zu 50 Stimmen sprach sich die grosse Kammer gegen Folgegeben aus.

Erhebung der Nationalität von stationären Patienten in Schweizer Spitälern (Pa.Iv. 20.495)

Mitte Mai 2022 nahm die Schweizer Stimmbevölkerung in der Volksabstimmung zum Frontex-Referendum die Beteiligung der Schweiz am Ausbau der EU-Agentur an. Mit einem Ja-Anteil von 71.5 Prozent und Ja-Mehrheiten in allen 26 Kantonen fiel das Resultat – bei einer tiefen Stimmbeteiligung von knapp 40 Prozent – sehr deutlich aus. Das klare Ergebnis hatte sich – wenn auch nicht in dieser Deutlichkeit – schon im Vorfeld des Abstimmungssonntags abgezeichnet. Meinungsumfragen von Tamedia und der SRG ergaben Anfang Mai einen Zustimmungswert von 64 Prozent (Tamedia) beziehungsweise 69 Prozent (SRG) für die Frontex-Vorlage, die laut Umfrageinstituten thematisch wenig persönliche Betroffenheit bei den Stimmenden auslöste. Selbst unter Sympathisantinnen und Sympathisanten der SP fand sich – trotz der Nein-Parole der Partei – eine Mehrheit für Annahme der Vorlage und auch bei Personen, die mit den Grünen sympathisierten, wollte eine Mehrheit mit Ja abstimmen. Der Tages-Anzeiger kritisierte nach der Abstimmung die Parteileitungen der SP und der Grünen für ihre unklare Kommunikation. Denn eigentlich seien sie ja nicht gegen die Kooperation mit der EU an und für sich gewesen. Statt mit einer Nein-Parole zu versuchen, die parteiinternen Flügel zu befrieden, hätten sich die beiden Parteien für ein differenziertes Ja mit Kompensationsmassnahmen bei der Flüchtlingsaufnahme einsetzen sollen, so die Empfehlung der Zeitung.
Trotz der hohen Zustimmungsrate wurde das Resultat in den Medien vielfach mit einem kritischen Unterton versehen. So meinte Marie Juillard im Namen der siegreichen Operation Libero gegenüber Le Temps, dass es nach dem Ja nichts zu feiern gebe, denn schliesslich würden Menschen an den Schengengrenzen umkommen. Trotzdem zeigte man sich bei der Operation Libero mit dem Resultat zufrieden, welches die Unterstützung der Schweiz für die Kooperation mit Europa zeige. FDP-Präsident Thierry Burkart (fdp, AG) freute sich derweil über ein klares Ja zur Sicherheit der Schweiz in Zeiten des Ukraine-Kriegs. Ein Nein hätte der Europapolitik der Schweiz geschadet, resümierte Burkart. Sein Parteikollege Damien Cottier (fdp, NE) räumte hingegen ein, dass die Abwägung zwischen Sicherheit und Menschenrechten schwierig gewesen sei. Er drückte jedoch seine Hoffnung aus, dass die Schweiz ihre humanitären Werte den anderen europäischen Staaten vermitteln könne. François Pointet (glp, VD), Mitglied des Vorstands der Grünliberalen Schweiz, verstand das Abstimmungsresultat eher als Zeichen für den Bundesrat, die Blockade in den Beziehungen mit der EU aufzuheben und diese zu intensivieren. Ins gleiche Horn bliesen EU-Botschafter Petros Mavromichalis und der Europaabgeordnete Andreas Schwab, die das Ja als Vertrauensvotum für den Schengenraum und für den Mehrwert der Kooperation mit der EU auffassten. Für Bundesrat Maurer war indes klar, dass das Ja der Stimmbevölkerung ein Ja zur Sicherheit gewesen sei. Das Land werde Frontex stärker unterstützen und sich für die Grundrechte einsetzen, zitierte ihn La Liberté.
Die Gegnerinnen und Gegner der Vorlage, darunter die Schweizer Flüchtlingshilfe, die Grünen und die SP, forderten im Nachgang der Abstimmung, dass sich die Schweiz für mehr Transparenz und demokratische Kontrolle einsetzen müsse. Sibel Arslan (basta, BS) bemängelte, dass die Schweiz seit zehn Jahren im Frontex-Verwaltungsrat sitze, ohne sich für diese Anliegen einzusetzen. Ada Marra (sp, VD) kündigte an, dass auch die SP mehr Transparenz vom Bundesrat in Sachen Frontex verlangen werde. Die grüne Ständerätin Lisa Mazzone (gp, GE) störte sich gegenüber 24heures hingegen daran, dass der Bundesrat die Abstimmung auf die Schengen-Frage reduziert habe, obwohl die Gegnerschaft der Vorlage nie aus dem Schengen-Abkommen habe aussteigen wollen. Sie monierte, dass die Auswirkungen eines Neins von den Befürwortenden der Vorlage übertrieben dargestellt worden seien. Auch La Liberté kritisierte den Bundesrat für dessen Rolle im Abstimmungskampf: Medienanfragen seien oft negativ beantwortet worden und das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit habe sogar einen bereits genehmigten Artikel von Le Temps zensieren lassen.
Amnesty International verlangte vom Bundesrat, sich gegenüber Frontex für die Sicherheit von Geflüchteten einzusetzen, illegale Abschiebungen zu verurteilen und Mechanismen einzuführen, um Frontex zur Rechenschaft ziehen zu können, berichtete Le Temps. Daniel Graf, der das Referendum durch seine Stiftung für direkte Demokratie unterstützt und bei der Unterschriftensammlung mit seinem Netzwerk «wecollect» mitgewirkt hatte, sprach gegenüber dem Blick trotz der Niederlage von einem Erfolg. Die Schweizerinnen und Schweizer hätten als einzige Bevölkerung Europas zum Ausbau der Frontex-Agentur Stellung nehmen können.


Abstimmung vom 15. Mai 2022

Beteiligung: 39.98%
Ja: 1'523'005 (71.5%), (Stände 23)
Nein: 607'673 (28.5%), (Stände 0)

Parolen:
- Ja: EVP, FDP, GLP, Lega, Mitte, SVP (1*), Economiesuisse, Konferenz der Kantonsregierungen, Schweizerischer Arbeitgeberverband, Schweizerischer Gewerbeverband, TravailSuisse, Operation Libero, Europäische Bewegung Schweiz, IG Agrarstandort Schweiz, Interpharma, Swissmem, Gastrosuisse, Schweizer Tourismus-Verband, Allianz Sicherheit Schweiz
- Nein: SP (4*), GPS, EDU (2*), GPS, PdA, SD, Schweizerischer Gewerkschaftsbund, VPOD, Migrant Solidarity Network, Gruppe für eine Schweiz ohne Armee, Flüchtlingsparlament Schweiz, Caritas, SolidaritéS, BastA!, Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz, Klimastreik Schweiz, Piratenpartei Ensemble à Gauche
- Stimmfreigabe: Schweizerische Flüchtlingshilfe, verschiedene SP-Kantonalparteien (AI, AR, GL, JU, SZ)
* Anzahl abweichende Kantonalsektionen in Klammern

Übernahme und Umsetzung der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache (Frontex; BRG 20.064)
Dossier: Beteiligung der Schweiz am Ausbau von Frontex