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  • Graf-Litscher, Edith (sp/ps, TG) NR/CN
  • Blocher, Christoph (svp/udc, ZH) alt-BR/ex-CF

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Jahresrückblick 2020: Institutionen und Volksrechte

Der Bundesrat stand als Führungsgremium 2020 ganz besonders auf dem Prüfstand, musste er doch aufgrund der Corona-Pandemie mittels Notrechts regieren. Darüber, wie gut ihm dies gelang, gingen die Meinungen auseinander. Die Konjunktur der sich bunt ablösenden Vertrauensbekundungen und Kritiken schien sich dabei mit der Virulenz der Pandemiewellen zu decken. War das entgegengebrachte Vertrauen zu Beginn des Lockdowns im März sehr gross, nahm die Kritik am Führungsstil der Exekutive und an den föderalistischen Lösungen mit dem Rückgang der Fallzahlen und insbesondere auch in der zweiten Welle zu. Eine parlamentarische Aufarbeitung der Bewältigung der Pandemie durch die Bundesbehörden durch die GPK, aber auch verschiedene Vorstösse zum Umgang des Bundesrats mit Notrecht werden wohl noch einige Zeit zu reden geben. Für eine Weile ausser Rang und Traktanden fallen werden hingegen die alle vier Jahre nach den eidgenössischen Wahlen stattfindenden Diskussionen um die parlamentarische Behandlung der Legislaturplanung sowie die bereits fünfjährige Diskussion über ein Verordnungsveto, die vom Ständerat abrupt beendet wurde. Im Gegensatz dazu wird wohl die Regelung über das Ruhegehalt ehemaliger Magistratspersonen noch Anlass zu Diskussionen geben. Den Stein ins Rollen brachte 2020 die medial virulent kommentierte Rückzahlung der Ruhestandsrente an alt-Bundesrat Christoph Blocher.

Wie kann und soll das Parlament seine Aufsicht über die Verwaltung verbessern? Diese Frage stand auch aufgrund des Jahresberichts der GPK und der GPDel im Raum. Dieser machte auf einige Mängel aufmerksam, was unter anderem zur Forderung an den Bundesrat führte, eine Beratungs- und Anlaufstelle bei Administrativ- und Disziplinaruntersuchungen einzurichten. Der seit 2016 in den Räten debattierten Schaffung einer ausserordentlichen Aufsichtsdelegation, die mit den Rechten einer PUK ausgestattet wäre, aber wesentlich schneller eingesetzt werden könnte, blies hingegen vor allem aus dem Ständerat ein steifer Wind entgegen. Ein Dorn im Auge waren dem Parlament auch die Kader der bundesnahen Betriebe: 2021 wird das Parlament über einen Lohndeckel und ein Verbot von Abgangsentschädigungen diskutieren.

Das Parlament selber machte im Pandemie-Jahr eher negativ auf sich aufmerksam. Paul Rechsteiner (sp, SG) sprach mit Bezug auf den der Covid-19-Pandemie geschuldeten, jähen Abbruch der Frühjahrssession von einem «Tiefpunkt der Parlamentsgeschichte des Landes». Das Parlament nahm seine Arbeit jedoch bereits im Mai 2020 im Rahmen einer ausserordentlichen Session zur Bewältigung der Covid-19-Krise wieder auf; Teile davon, etwa die FinDel waren auch in der Zwischenzeit tätig geblieben. Dass die ausserordentliche Session aufgrund von Hygienevorschriften an einem alternativen Standort durchgeführt werden musste – man einigte sich für diese Session und für die ordentliche Sommersession auf den Standort BernExpo – machte eine Reihe von Anpassungen des Parlamentsrechts nötig. Diese evozierten im Falle der Abstimmungsmodalitäten im Ständerat einen medialen Sturm im Wasserglas. Die Pandemie vermochte damit ziemlich gut zu verdeutlichen, wie wenig krisenresistent die Parlamentsstrukturen sind, was zahlreiche Vorstösse für mögliche Verbesserungen nach sich zog. Kritisiert wurde das Parlament auch abgesehen von Covid-19 und zwar, weil der Nationalrat eine eher zahnlos gewordene, schon 2015 gestellte Forderung für transparenteres Lobbying versenkte und damit auch künftig wenig darüber bekannt sein wird, wer im Bundeshaus zur Vertretung welcher Interessen ein- und ausgeht.

Der Zufall will es, dass die SVP 2021 turnusgemäss gleichzeitig alle drei höchsten politischen Ämter besetzen wird. In der Wintersession wurden Andreas Aebi (svp, BE) zum Nationalratspräsidenten, Alex Kuprecht (svp, SZ) zum Ständeratspräsidenten und Guy Parmelin zum Bundespräsidenten gekürt. In den Medien wurde diskutiert, wie es Parmelin wohl gelingen werde, die Schweiz aus der Covid-19-Krise zu führen. 2020 standen Regierung und Parlament aber nur selten im Fokus der Medien – ganz im Gegensatz zu den Vorjahren als die Bundesratserneuerungs- und -ersatzwahlen für viel Medienrummel gesorgt hatten (vgl. Abb. 2: Anteil Zeitungsberichte pro Jahr).

Viel Druckerschwärze verbrauchten die Medien für verschiedene Ereignisse hinsichtlich der Organisation der Bundesrechtspflege. Zum einen gab die Causa Lauber viel zu reden. Gegen den Bundesanwalt wurde ein Amtsenthebungsverfahren angestrengt, dem Michael Lauber mit seinem Rücktritt allerdings zuvorkam. Die Wahl eines neuen Bundesanwalts wurde zwar auf die Wintersession 2020 angesetzt, mangels geeigneter Kandidierender freilich auf 2021 verschoben. Die zunehmend in die mediale Kritik geratenen eidgenössischen Gerichte, aber auch der Vorschlag der SVP, ihren eigenen Bundesrichter abzuwählen, waren Nahrung für die 2021 anstehenden Diskussionen um die Justizinitiative. Was Letztere anbelangt, beschlossen die beiden Rechtskommissionen Ende Jahr, einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative auszuarbeiten.

Auch die direkte Demokratie wurde von den Auswirkungen der Covid-Pandemie nicht verschont, mussten doch die Volksabstimmungen vom 20. Mai verschoben werden. Darüber hinaus verfügte der Bundesrat Ende März einen Fristenstillstand bei den Initiativen und fakultativen Referenden: Bis Ende Mai durften keine Unterschriften mehr gesammelt werden und die Sammelfristen wurden entsprechend verlängert. Auftrieb erhielten dadurch Forderungen nach Digitalisierung der Ausübung politischer Rechte (z.B. Mo. 20.3908 oder der Bericht zu Civic Tech). Viel Aufmerksamkeit erhielt dadurch auch der in den Medien so benannte «Supersonntag»: Beim Urnengang vom 27. September standen gleich fünf Vorlagen zur Entscheidung (Begrenzungsinitiative, Kampfjetbeschaffung, Jagdgesetz, Vaterschaftsurlaub, Kinderabzüge). Nachdem Covid-19 die direkte Demokratie eine Weile ausser Gefecht gesetzt hatte, wurde die Abstimmung sozusagen als «Frischzellenkur» betrachtet. In der Tat wurde – trotz Corona-bedingt schwierigerer Meinungsbildung – seit 1971 erst an vier anderen Wochenenden eine höhere Stimmbeteiligung gemessen, als die am Supersonntag erreichten 59.3 Prozent.
Das Parlament beschäftigte sich 2020 mit zwei weiteren Geschäften, die einen Einfluss auf die Volksrechte haben könnten: Mit der ständerätlichen Detailberatung in der Herbstsession übersprang die Idee, völkerrechtliche Verträge mit Verfassungscharakter dem obligatorischen Referendum zu unterstellen, eine erste Hürde. Auf der langen Bank befand sich hingegen die Transparenzinitiative, deren Aushandlung eines indirekten Gegenvorschlags die Räte 2020 in Beschlag genommen hatte; Letzterer wird aber wohl aufgrund des Widerstands im Nationalrat eher nicht zustandekommen.

Jahresrückblick 2020: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Jahresrückblick 2020

Ende 2018 wollte Edith Graf-Litscher (sp, TG) mittels Motion den Bundesrat mit der Aufgabe betrauen, Forschungsprojekte zu unterstützen, welche sich mit der Rolle komplementärmedizinischer Behandlungstherapien zur Verhinderung von Antibiotikaresistenzen befassen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen in Informationskampagnen, Richtlinien und in die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten einfliessen.
Der Nationalrat behandelte das Geschäft in der Wintersession 2020. Dort betonte Graf-Litscher den Ernst der Lage: Antibiotikaresistenzen gingen nicht nur mit erhöhter Sterblichkeit, sondern auch mit höheren Kosten für das Gesundheitssystem einher. Durch das Ausweichen auf Komplementärmedizin könne der Einsatz von Antibiotika reduziert werden. Allerdings habe die Verwendung von Komplementär- und Phytoarzneimitteln bislang kaum Eingang in die aktuelle Forschung gefunden. Gesundheitsminister Alain Berset war im Namen des Bundesrats der Ansicht, dass die Forderungen der Motion bereits genügend durch aktuelle Massnahmen wie die Durchführung des NFP «Antimikrobielle Resistenz» berücksichtigt würden. Daher beantrage die Regierung die Ablehnung des Geschäfts. Mit 91 zu 88 Stimmen (bei 9 Enthaltungen) stellte sich allerdings eine knappe Mehrheit der grossen Kammer hinter die Motion. Die Befürworterinnen und Befürworter stammten aus den geschlossen stimmenden Fraktionen der SP und der Grünen sowie aus einer grossen Mehrheit der Mitte-Fraktion und zwei Stimmen aus der SVP-Fraktion.

Gefahr der Antibiotikaresistenzen. Potenzial der Komplementärmedizin nutzen (Mo. 18.4332)

Anfang 2020 legte die SPK-NR einen Umsetzungsvorschlag zur parlamentarischen Initiative von Edith Graf-Litscher (sp, TG) vor, mit der diese im Sinne des Öffentlichkeitsprinzips gefordert hatte, dass der Zugang zu öffentlichen Dokumenten zukünftig ohne Gebühren gewährt werden müsse. In ihrer Vorlage sah eine Kommissionsmehrheit von 13 zu 8 Stimmen vor, Kostenfreiheit gesetzlich zu verankern, aber bei einer «äusserst aufwändigen Bearbeitung» eines Gesuchs eine Gebühr von maximal CHF 2'000 als Ausnahmeregel festzulegen. Man habe bei der Ausarbeitung des Entwurfs festgestellt, dass die Departemente das Öffentlichkeitsprinzip sehr unterschiedlich umsetzen würden. Zwar würde in den meisten Fällen auf eine Gebühr verzichtet, wenn aber, wie in einzelnen Fällen vorgekommen, mehrere Tausend Franken in Rechnung gestellt würden, käme dies einer Aushöhlung des Prinzips gleich, wonach der Zugang zu amtlichen Dokumenten grundsätzlich kostenfrei sein müsse.
Dies sahen in der Vernehmlassung, die zwischen Februar und Mai 2020 durchgeführt wurde, auch die meisten Teilnehmenden so. Von den 51 Vernehmlassungsteilnehmern seien 38 für den Entwurf, fünf dagegen und acht hätten keine Stellungnahme abgegeben – so der Vernehmlassungsbericht. Zu den ablehnenden Teilnehmenden gehörten der Kanton Appenzell Innerrhoden, die CVP und drei der 19 angefragten Interessenorganisationen (economiesuisse, Swissmechanic, Swissmem). Die meisten Teilnehmenden begrüssten eine gesetzliche Verankerung der Kostenlosigkeit und eine Vereinheitlichung zwischen den Departementen. Die CVP sah hingegen aufgrund des Umstands, dass in den allermeisten Fällen keine Gebühren erhoben werden, keinen Regelungsbedarf. Economiesuisse und der Kanton Appenzell Innerrhoden stellten sich ihrerseits gegen die Gebührenfreiheit, weil die Kosten für aufwändige Abklärungen nicht von den jeweiligen Anfragenden, sondern der Allgemeinheit getragen werden müssten. Geteilter Meinung waren die Vernehmlassungsteilnehmenden hinsichtlich eines Maximalbetrags. Nicht nur die Höhe dieses Betrags war umstritten – den einen war er zu hoch, den anderen zu tief –, sondern auch die Frage, ob er allen Antragstellenden auferlegt werden soll, sorgte für Uneinigkeit. Der Kanton Tessin schlug etwa für Medienschaffende, NGOs und die Wissenschaft Erlass- und Reduktionsmöglichkeiten vor. Darüber hinaus war umstritten, ob im Gesetz überhaupt ein spezifischer Betrag festgelegt werden soll.
Ende 2020 nahm der Bundesrat zum Entwurf Stellung. Er begrüsse den Paradigmenwechsel im Sinne einer Verankerung der Kostenfreiheit im Gesetz. Dies entspreche der gelebten Praxis. Auswertungen zeigten, dass in 97 Prozent aller Anfragen auf Gebühren verzichtet würde. Allerdings zeige sich auch, dass die Zahl der Anfragen jedes Jahr zunehme. Dies sei einerseits erfreulich, weil sich das Öffentlichkeitsprinzip etabliert zu haben scheine, andererseits sei dies aber auch mit Mehraufwand für die Verwaltung verbunden. Insbesondere das BAG und Swissmedic müssten sehr aufwändige Gesuche bearbeiten. Ein Dossier für ein Zulassungsverfahren eines Medikaments beispielsweise könne «mehrere hundert Bundesordner» umfassen, wurde in der bundesrätlichen Stellungnahme ausgeführt. Eine Ausnahmeregelung werde deshalb ausdrücklich begrüsst. Allerdings unterstütze der Bundesrat die Idee, dass im Gesetz kein fixer Betrag festgehalten werden solle.

Öffentlichkeitsprinzip (Pa.Iv. 16.432)
Dossier: Öffentlichkeitsprinzip in der Bundesverwaltung

L'introduction d'une obligation de signaler les cyberattaques pour les exploitants d'infrastructures critiques sera soumise à consultation. Avec cette décision, le Conseil fédéral matérialise la mesure formulée dans la Stratégie nationale de protection de la Suisse contre les cyberrisques 2018-2022 et fait écho au postulat d'Edith Graf-Litscher (ps, TG). Pour ce faire, le DFF est chargé de soumettre un projet de loi déterminant les types d'incidents à signaler, les délais et les concernés par l'obligation. Les dispositions concrètes relatives à l'obligation de déclarer figureront dans des actes législatifs distincts en fonction de la situation spécifique des secteurs concernés. Si les adaptations législatives devaient être saluées lors de la consultation et approuvées par la suite, les données récoltées dans le cadre de l'obligation permettraient de diffuser des alertes rapides, de renforcer la sécurité et une meilleure évaluation des menaces.

Obligation de signaler les cyberattaques pour les exploitants d’infrastructures critiques
Dossier: Cyber Defence

Ohne Diskussion überwies der Ständerat das Postulat Hegglin (cvp, ZG) für eine «zeitgemässe Besoldungs- und Ruhegehaltsregelung für Magistratspersonen». Peter Hegglin dankte in seinen Ausführungen dem Bundesrat für den Antrag auf Annahme des Postulats und erinnerte daran, dass die momentan geltende Regelung 1989 eingeführt worden sei, heute aber nicht mehr genüge. Damals sei man davon ausgegangen, dass gewählte Personen nach einer Abwahl oder einem Rücktritt keine Vorsorge, kein neues Einkommen oder keine Rente hätten, weshalb ein Ruhegehalt angezeigt gewesen sei. Dies entspreche aber kaum mehr einer modernen Gehaltsordnung. Bundeskanzler Walter Thurnherr, der die bundesrätliche Empfehlung zur Annahme des Postulats in der kleinen Kammer begründete, erinnerte daran, dass die aktuelle Regelung sehr effektiv und einfach sei und es erlaube, die Magistratspersonen vor möglichen Interessenbindungen und -konflikten zu bewahren. Allerdings sehe der Bundesrat Handlungsbedarf im Vollzug der Besoldungs- und Ruhestandsregelungen. Ausdrücklich wolle man die Zulässigkeit von rückwirkenden Auszahlungen regeln. Damit stellte der Bundeskanzler den Bezug zur Causa Blocher her, ohne den ehemaligen Bundesrat zu erwähnen.

Zeitgemässe Besoldungs- und Ruhestandsregelungen für Magistratspersonen (Po. 20.4099)
Dossier: Ruhestandsgehälter von Magistratspersonen

Nachdem die FinDel dem Bundesrat empfohlen hatte, nicht auf die Forderung von alt-Bundesrat Christoph Blocher nach Rückzahlung seines Ruhegehalts einzugehen, entschied sich die Regierung vorerst, von Blocher selber eine schriftliche Erklärung für seine Beweggründe zu verlangen. Man gebe ihm «rechtliches Gehör», berichtete der Ex-Justizminister in der Sonntags-Zeitung. Er habe nach seiner Nichtwiederwahl auf die Auszahlung der Rente, nicht aber auf seinen Rentenanspruch verzichtet, präzisierte er. Es sei ihm damals von der Bundeskanzlei zugesichert worden, dass ein nachträglicher Bezug möglich sei, betonte Blocher gemäss NZZ.

In der Zwischenzeit wurde diese Frage gar in Umfragen behandelt. Im Rahmen der Tamedia-Umfrage im Vorfeld der eidgenössischen Abstimmungen vom November 2020 (Konzernverantwortungsinitiative und Verbot der Kriegsmaterialfinanzierung) konnten sich die Befragten auch zum Rentenbezug äussern. 74 Prozent der Befragten verneinten den Anspruch des Milliardärs auf ein Ruhegehalt. Selbst die SVP-Anhängerschaft habe sich mehrheitlich gegen den Erhalt der Rente ausgesprochen, wusste die Sonntags-Zeitung zu berichten.

Ende Oktober entschied sich der Bundesrat, Christoph Blocher ein Ruhegehalt für die letzten fünf Jahre auszubezahlen. Da das geltende Recht nicht klar sei, habe die Regierung im Juli die Regelung zuerst grosszügig ausgelegt und die FinDel um eine Beurteilung gebeten. Nachdem diese empfohlen habe, ganz auf eine rückwirkende Auszahlung zu verzichten, sei der Bundesrat auf diese ursprüngliche Idee zurückgekommen. Er teile die Ansicht der FinDel, dass eine nachträgliche Begleichung nicht dem Zweck der Ruhestandsregelungen entspreche, sei aber, gestützt auf zwei Rechtsgutachten, der Meinung, dass dennoch ein rechtlicher Anspruch bestehe, der freilich einer Verjährungsfrist von fünf Jahren unterstehe. Bis eine definitive Regelung bestehe, würden deshalb entsprechende Anträge gutgeheissen, man unterstütze jedoch die Ausarbeitung einer Rechtsgrundlage, mit der dies zukünftig nicht mehr möglich sei.
Für Christoph Blocher bedeutete dieser Entscheid, dass er von den geforderten CHF 2.7 Mio. noch CHF 1.125 Mio. erhalten würde. In der Presse wurde der Entscheid des Bundesrats mit Unverständnis aufgenommen: «Eine Million für Blocher, nichts für Gewerbler», betitelte der Blick den gleichentags gefällten Entscheid des Bundesrats, wegen Covid-19 Discos und Clubs zu schliessen. Dass ein 80-jähriger Multimilliardär Millionen verlange, während Krankenpflegerinnen für wenig Geld Übermenschliches leisteten, sei ein Affront, kommentierte das Boulevardblatt.

Alt-Bundesrat Christoph Blocher fordert rückwirkend Bundesratsruhegehalt
Dossier: Ruhestandsgehälter von Magistratspersonen

In der Herbstsession 2020 beendete der Nationalrat die Diskussionen um die Überbrückungshilfe für Parlamentarierinnen und Parlamentarier, indem er mit 106 zu 81 Stimmen (2 Enthaltungen) beschloss, nicht auf das Geschäft einzutreten. Damit folgte die grosse Kammer ihrer SPK-NR, die zuvor mit 13 zu 11 Stimmen Nicht-Eintreten empfohlen hatte. Ursprünglich hatte die Kommission entsprechend der ursprünglichen Forderung einer parlamentarischen Initiative Rickli (svp, ZH) vorgesehen, diese finanzielle Hilfe für ehemalige Parlamentsmitglieder gänzlich abzuschaffen. Nachdem der Nationalrat die Vorlage abgeschwächt hatte – neu sollten nur noch abgewählte, nicht aber freiwillig zurücktretende Parlamentsmitglieder von einer finanziellen Überbrückung profitieren –, war der Ständerat in der Sommersession 2020 gar nicht erst auf die Vorlage eingetreten.
Es sei eine lange Geschichte, die sich im Kreis drehe, fasste Kommissionssprecher Matthias Jauslin (fdp, AG) zusammen. Eine Minderheit kritisiere dabei – «vielleicht auch zurecht» –, wie der Ständerat mit der Vorlage umgehe: «Wenn dem Ständerat etwas nicht passt, wird es vom Tisch gewischt». Allerdings sei damit zu rechnen, dass die kleine Kammer auch ein zweites Mal nicht eintreten werde, selbst wenn sich der Nationalrat nun mit der Vorlage beschäftigen würde, mahnte Jauslin. Es gelte deshalb, der Sache ein Ende zu bereiten. Für besagte Minderheit wiederholte Gregor Rutz (svp, ZH) noch einmal die bereits bekannten Argumente: Ratsmitglieder, die neben der Arbeitslosenversicherung als Milizparlamentarierinnen und -parlamentarier nach einem geplanten Rücktritt auch noch Einkommen erzielten, sollten nicht in den Genuss staatlich finanzierter Überbrückungshilfe kommen. Der Ständerat brauche ab und zu ein paar Monate mehr; auch er werde aber die Wichtigkeit der Angelegenheit noch erkennen. Die rhetorische Frage von Ada Marra (sp, VD), ob es niemand seltsam finde, dass die Kommissionsminderheit von einem Fraktionsmitglied jener Partei angeführt werde, die nichts dagegen einzuwenden habe, dass Christoph Blocher, AHV-Bezüger und reich, ebenfalls eine Art von Überbrückungshilfe beanspruche, blieb unbeantwortet – die Vaudoise spielte auf die Forderung des alt-Bundesrats an, sein Ruhegehalt nachträglich beziehen zu können. In der Folge warb Marianne Streiff-Feller (evp, BE) im Namen der Mitte-Fraktion für die 2019 gefundene Kompromisslösung und entsprechend für Eintreten und Kurt Fluri (fdp, SO) gab bekannt, dass die FDP-Fraktion auch aus finanziellen Überlegungen für Nicht-Eintreten stimmen werde: Auch mit der abgeschwächten Lösung würden nur unwesentliche Einsparungen der pro Jahr im Schnitt rund CHF 100'000 betragenden Überbrückungshilfen gemacht. Entsprechend stammten die Stimmen, die das Geschäft – erfolglos – gerne noch einmal an die kleine Kammer geschickt hätten, aus der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion, aus der Mitte-Fraktion (28 befürwortende, 1 Gegenstimme) und aus der FDP-Fraktion (4 abweichende, befürwortende Stimmen).

Überbrückungshilfe für Parlamentarierinnen und Parlamentarier (Pa. Iv. 16.460)

Peter Hegglin (cvp, ZG), seines Zeichens Präsident der FinDel nahm die virulent diskutierte Forderung von alt-Bundesrat Christoph Blocher, sein Ruhegehalt rückwirkend beziehen zu wollen, Mitte September 2020 zum Anlass, das aktuelle Besoldungs- und Ruhegehaltssystem für Magistratspersonen zu überdenken – freilich ohne in seinem Vorstoss die Causa Blocher zu erwähnen. Die «systemischen Ungereimtheiten» und die «Schwierigkeiten im Vollzug», welche das aktuelle System verursache, könnten durch eine moderne Ordnung – einer «Lex Blocher», wie der Blick die Forderung bezeichnete – überwunden werden, so der Zuger Ständerat. Er schlug etwa vor, auch für Magistratspersonen eine berufliche Vorsorge oder Abgangsentschädigungen einzuführen. Das aktuelle Ruhegehalt sei eingeführt worden, um eine Einkommenslücke zu verhindern, wenn ein Bundesratsmitglied zurücktrete oder abgewählt werde. Dies sei nicht mehr zeitgemäss.
Der Bundesrat beantragte Mitte November die Annahme des Postulats, begründete diesen Antrag jedoch nicht.

Zeitgemässe Besoldungs- und Ruhestandsregelungen für Magistratspersonen (Po. 20.4099)
Dossier: Ruhestandsgehälter von Magistratspersonen

In der Herbstsession 2020 befasste sich der Nationalrat als Erstrat mit der Genehmigung des Montreal Protokolls zur Änderung des Tokio Abkommens über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen, welche auch mit einer Änderung des Schweizer Luftfahrtgesetzes einhergeht. Edith Graf-Litscher (sp, TG) erläuterte im Plenum, dass das Protokoll eine zusätzliche obligatorische Gerichtsbarkeit des Halter- sowie auch des Landestaates eines Flugzeuges einführt. Diese sei notwendig, um gewisse Taten und Handlungen an Bord von Luftfahrzeugen ahnden zu können. Das Geschäft war im Nationalrat unbestritten und wurde in der Folge einstimmig mit 182 zu 0 Stimmen angenommen.

Änderung des Luftfahrtgesetzes

Die von der KVF-SR einstimmig zur Annahme empfohlene Motion «Förderung der Forschung zu Mobilfunk und Strahlung» von Edith Graf-Litscher (sp, TG) wurde im Ständerat in der Herbstsession 2020 stillschweigend angenommen. Die Redner und Rednerinnen waren allesamt der Ansicht, dass es im allgemeinen Interesse liege, die Forschung über die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Mobilfunktechnologie, und insbesondere über 5G, voranzutreiben, zumal mit 6G bereits die nächste Generation des Mobilfunkstandards vor der Türe stehe.

Förderung der Forschung zu Mobilfunk und Strahlung
Dossier: 5G – Mobilfunk, Strahlung und Gesundheit

Im Rahmen des Berichts des Bundesrates über Motionen und Postulate der eidgenössischen Räte 2019 schrieb der Nationalrat im September 2020 das Postulat Graf-Litscher (sp, TG) zur Ausgestaltung einer Meldepflicht bei schwerwiegenden Sicherheitsvorfällen bei kritischen Infrastrukturen stillschweigend ab. Im November desselben Jahres nahm die SiK-NR bei Beratungen zur Cybersicherheit Kenntnis vom Bericht.

Meldepflicht bei kritischen Infrastrukturen (Po. 17.3475)
Dossier: Schutz kritischer Infrastrukturen
Dossier: Cyber Defence

Anfang September 2020 äusserte sich die FinDel zur Frage der rückwirkenden Auszahlung von Ruhegehältern für Magistratspersonen. Anlass dazu war die Anfrage des Bundesrats gewesen, über die Forderung von alt-Bundesrat Christoph Blocher nach einer Rückzahlung seiner Ruhestandsrente über rund CHF 2.7 Mio. zu beraten. In ihrer Medienmitteilung empfahl die Finanzdelegation, Ruhegehälter nicht rückwirkend auszuzahlen. Sie hielt fest, dass die aktuelle Regelung keine eigentliche Rente im Sinne einer Pensionskasse sei, sondern ein Ruhegehalt, mit dem «ein standesgemässes Leben nach dem Ausscheiden aus dem Amt» ermöglicht werden solle. Es gebe allerdings keine gesetzliche Grundlage, mit der ein Anspruch auf eine rückwirkende Auszahlung begründet werden könne. Würde ein solcher Anspruch bewilligt, hätte dies präjudizielle Wirkung und würde wohl nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Ein nachträglicher Bezug käme dem Bezug eines angesparten Pensionskassenkapitals gleich, aber eben nicht der Idee eines Ruhegehaltes. Da zudem der Grundsatz der Sparsamkeit gelte, dürften nur Ruhegehälter ausbezahlt werden, wenn sie tatsächlich geschuldet seien. Da das jetzige System auf «überholten Arbeitsmarktbedingungen und Vorsorgemöglichkeiten» beruhe, werde sich die FinDel auch überlegen, wie ein zeitgemässes Ruhegehaltssystem ausgearbeitet werden könnte.
Freilich äusserte sich die FinDel nicht explizit zur Causa Blocher. Dafür habe man keine gesetzlich geregelte Zuständigkeit, gab der Präsident der FinDel, Peter Hegglin (cvp, ZG), der NZZ zu Protokoll und spielte damit den Ball an den Bundesrat zurück, für den es freilich schwierig sein dürfte, von der Stellungnahme der FinDel abzuweichen, so Hegglin in der Aargauer Zeitung.

Alt-Bundesrat Christoph Blocher fordert rückwirkend Bundesratsruhegehalt
Dossier: Ruhestandsgehälter von Magistratspersonen

Als «unnötiges Sommertheater» bezeichnete die Sonntagszeitung das in den Medien lautstark begleitete Hin und Her um die Forderung von alt-Bundesrat Christoph Blocher, sein Ruhegehalt nachträglich beziehen zu wollen. Der ehemalige Magistrat – Blocher war von 2003 bis 2007 Justizminister – hatte im Juni 2020 CHF 2.7 Mio. an Rückzahlungen gefordert. Zwar waren Besoldung und Ruhestandsgehälter der Bundesrätinnen und Bundesräte immer wieder mal Gegenstand parlamentarischer Vorstösse und medialer Berichterstattung, die Forderung Blochers, die Anfang Juli publik geworden war, löste aber eine mittlere Lawine aus. In den Medien wurden «Erstaunen» (Blick) und «Empörung» (Tages-Anzeiger) geäussert. Erstaunen über den Umstand, dass einer der reichsten Schweizer eine solche Forderung überhaupt stellte. Die Aargauer Zeitung vermutete, dass Blocher zwar reich, aber nicht genügend liquide sei. Empörung wurde in den Medien laut, weil Blocher nach seiner Nichtwiederwahl selber lautstark auf die Rente verzichtet habe – was von der Weltwoche und einigen SVP-Exponenten allerdings bestritten wurde – und selber zu den stärksten Kritikern der Ruhestandsregel gehört habe. Mit seinem Verzicht habe er sich nach seiner Abwahl gebrüstet, erinnerte sich der Tages-Anzeiger. Zudem stiess vielen Kommentierenden der Zeitpunkt der Forderung sauer auf. Angesichts der Corona-Krise sei die Forderung «an Dreistigkeit kaum zu überbieten» (Tages-Anzeiger). Blocher selber verteidigte seinen Anspruch. Dieser stehe ihm gesetzlich zu. Der jährliche Nichtbezug sei sogar zum Vorteil des Staates gewesen, da das Geld in der Kasse geblieben sei. Allerdings wäre es ein Geschenk an den Staat, wenn er die Rente jetzt nicht beziehen würde. Und wie der Staat momentan verfahre, dürfe man ihm keine Geschenke machen.

Die Forderung Blochers wurde aus verschiedenen Gründen zum Politikum – zu einem «acte politique», wie Le Temps titelte. Zum einen reagierten verschiedene politische Exponenten recht heftig. Es sei nur schwer nachzuvollziehen gab Cédric Wermuth (sp, AG) zu Protokoll, dass ein Multimilliardär mitten in einer Krise Geld beziehe, dass er nicht nötig habe. Gerhard Pfister (cvp, ZG) wurde im Tages-Anzeiger folgendermassen zitiert: «Es ist jedem selber überlassen, wie er die Differenzierung zwischen legal und legitim für sich formulieren will.» In verschiedenen Kommentaren wurde vermutet, dass die Sache der SVP nicht gerade dienlich sei – auch im Hinblick auf die anstehende Abstimmung über die Begrenzungsinitiative. Blocher spiele seinen Gegnern in die Hände und schade seinem Ansehen, urteilte die Sonntagszeitung. SVP-nahe Kreise wiederholten im Gegensatz dazu das Narrativ, dass Blocher «das Geld besser einzusetzen» wisse «als die aktuelle Staatselite» – so z.B. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (svp, ZG) in der Sonntagszeitung. Die Weltwoche warf den Journalisten, die Blocher Schamlosigkeit unterstellten, ihrerseits Charaktermangel vor.
Zum anderen musste der Bundesrat über die Gewährung der Forderung entscheiden und auch die FinDel sollte sich als übergeordnete Instanz der Sache noch annehmen. Die aktuelle Regelung sieht vor, dass eine Magistratsperson bei Rücktritt oder Abwahl ein Ruhegehalt von einem halben Jahreslohn pro Jahr erhält, was aktuell rund CHF 225'000 pro Jahr entspricht. Sind die ehemaligen Bundesrätinnen und Bundesräte nach Ausscheiden aus dem Amt arbeitstätig, wird das Ruhegehalt gekürzt oder ganz gestrichen, wenn die Einnahmen durch die berufliche Tätigkeit die CHF 225'000 übersteigen – nicht einberechnet wird dabei freilich das Vermögen der Magistratspersonen. Wer wie viel Ruhegehalt bezieht, wird nicht bekanntgegeben, die Bundeskanzlei weist jeweils nur die Gesamtsumme an Ruhegehältern aus – 2019 betrug dieser Betrag rund CHF 4.5 Mio., die von 19 Personen (darunter zwei ex-Bundeskanzler) beansprucht worden seien, wie der «Blick» zu berichten wusste. Nicht geregelt war bisher allerdings, ob und wie Ruhegehälter rückwirkend ausbezahlt werden. Die NZZ erhoffte sich als Folge der Geschichte denn auch Reformen des «relativ feudalen» Ruhegehalts, die dann vermutlich «Christoph Blocher zu verdanken» wären.

Der Bundesrat entschied am 1. Juli 2020, dass er der Forderung Blochers Folge leisten und ihm CHF 2.7 Mio. auszahlen wolle, beauftragte aber die Bundeskanzlei und das EJPD, die gesetzliche Lage abzuklären und eine Regelung zu prüfen, mit der ein rückwirkender Bezug zukünftig verunmöglicht werde. Zudem solle die FinDel noch die Frage klären, ob Ansprüche allenfalls nach fünf Jahren verjähren würden. In diesem Fall erhielte Blocher statt CHF 2.7 Mio. noch rund CHF 1.1. Mio.

Alt-Bundesrat Christoph Blocher fordert rückwirkend Bundesratsruhegehalt
Dossier: Ruhestandsgehälter von Magistratspersonen

Flavia Kleiner trat per 20. Juni 2020 von ihrem Amt als Co-Präsidentin der wirtschafts- und gesellschaftsliberalen Bewegung Operation Libero zurück, wie diese bereits im Mai 2020 per Medienmitteilung kommuniziert hatte. Kleiner hatte das Amt als Co-Präsidentin seit der Gründung 2014 inne, zuletzt zusammen mit Co-Präsidentin Laura Zimmermann, die weiterhin im Amt bleibt.
Die Operation Libero wurde von Kleiner 2014 mitgegründet, laut Medienmitteilung aus Frust über die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative der SVP. In der Medienmitteilung zu ihrem Rücktritt zog Kleiner eine positive Bilanz zu den vergangenen sechs Jahren: Demnach sei es der Bewegung gelungen, gemeinsam mit anderen Organisationen und Parteien «den Mythos der Unbesiegbarkeit der SVP» zu brechen. Die Organisation habe dazu beigetragen, die «Post-Blocher-Ära» einzuläuten und fortschrittliche Allianzen und Netzwerke in der Schweizer Politiklandschaft zu formen. Ein kleiner Seitenhieb auf die SVP hätte denn auch der Zeitpunkt von Kleiners Rücktritt werden sollen: Ursprünglich hätte dieser im unmittelbaren Nachgang zur Abstimmung über die Begrenzungsinitiative der SVP stattfinden sollen, doch wurde der Abstimmungstermin aufgrund der Corona-Pandemie auf September verschoben.
Die Nachfolge Kleiners trat Stefan Manser-Egli an, der sich gemäss Interview in der Aargauer Zeitung etwa für ein liberaleres Bürgerrecht einsetzen wolle.

Flavia Kleiner tritt zurück (Operation Libero)

Darüber, dass der im Herbst 2019 gefällte Entscheid zur Erweiterung des Sachbereichs «Medien» zu «Medien und Medienvielfalt» Sinn mache, waren sich die Büros und Kommissionen im Grunde einig. Hingegen zeigte sich Uneinigkeit in Bezug auf die Frage, welche Kommission denn nun für diesen Sachbereich zuständig sei. Zu dieser Frage kam es, da der Bereich «Medienvielfalt» vor der Neuzuteilung in die Kompetenz der Staatspolitischen Kommission (SPK) fiel, während sich die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) über viele Jahre mit dem Sachbereich «Medien» (Radio, Fernsehen und Internet) beschäftigt hatte – konkret seit 17 Jahren, als die KVF-NR 2003 das zu revidierende Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) beriet, wie Edith Graf-Litscher (sp, TG) für das Büro ausführte. Nach Einbezug aller Fraktionspräsidentinnen und -präsidenten und der Konsultation der Kommissionen hatten die Büros beider Räte im September 2019 beschlossen, den fusionierten Sachbereich auf die 51. Legislatur der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen zuzuordnen.
Die SPK-NR zeigte sich nicht einverstanden mit dem Entscheid und wollte mit einer Motion das Büro des Nationalrates beauftragen, den Bereich «Medien und Medienvielfalt» der Staatspolitischen Kommission zuzuteilen, da sie die Zuteilung zur KVF als sachfremd erachtete. In der nationalrätlichen Debatte im Frühjahr 2020 zeigte sich das Büro-NR überrascht, dass die SPK-NR kurz nach dieser Neuregelung bereits wieder eine Anpassung verlangte, und begründete die Zuteilung zur KVF mit der gängigen Praxis: Neben den RTVG-Revisionen (2006, 2014) seien etwa auch die Service-public-Diskussionen in der KVF diskutiert und die No-Billag-Initiative von dieser behandelt worden, womit man sich grosses Fachwissen angeeignet habe. Die Vertreter der SPK-NR und der Sprecher einer unterstützenden Minderheit des Büro-NR argumentierten, dass Medienpolitik eine staatspolitische Kernaufgabe sei. Die aktuellen Entwicklungen in der Medienbranche würden viele staatspolitisch relevante Fragen in Zusammenhang mit der öffentlichen Meinungsbildung aufwerfen, so etwa, ob es den Medien mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen auf Dauer noch gelingen werde, «den politischen Prozess in einem Umfang, in einer Vielfalt und in einer Qualität abzubilden, die für die direkte Demokratie noch auf der Höhe der Zeit sind», wie Kommissionssprecher Wermuth (sp, AG) ausführte. Mit 137 zu 42 Stimmen bei 9 Enthaltungen beschloss der Nationalrat auf Anraten einer Mehrheit des Büro-NR die Ablehnung der Motion. Unterstützende Stimmen fanden sich in allen Fraktionen, in erster Linie aber bei der SVP-, gefolgt von der SP- und der Mitte-Fraktion.

In wessen Zuständigkeitsbereich liegt die Medienpolitik? (Mo. 20.3007)

Anfang 2020 hatte die Swisscom mit Netzausfällen zu kämpfen. Diese Pannen beeinträchtigten auch die Notrufe der Blaulichtorganisationen Feuerwehr, Polizei und Sanität. Um erreichbar zu bleiben, mussten sie «Not-Notfallnummern» einrichten. So konnten zum Beispiel im Februar 2020 Polizei und Sanität in Zürich über eine Stunde lang nur per Mobilfunk kontaktiert werden.
Dies führte zu Kritik von verschiedenen Seiten an der Swisscom, die als Konzessionärin per Gesetz dafür zuständig ist, den Zugang zu den Notrufnummern zu gewährleisten. Theo Flacher von Schutz & Rettung Zürich verlangte die «schonungslose Aufarbeitung der Störungen». Gemäss Blick gab es zudem auch in der Politik Bedenken, ob die Swisscom imstande sei, ihren Grundversorgungsauftrag zu erfüllen. So äusserte sich etwa Edith Graf-Litscher (sp, TG) zu den Vorkommnissen. Es sei nicht hinnehmbar, dass Personen, die sich in einer Notsituation befänden, während mehr als einer Stunde keinen medizinischen Dienst erreichen könnten. Auch die beiden Präsidenten der KVF-NR und KVF-SR, Michael Töngi (gp, LU) und Stefan Engler (cvp, GR) erhoben Kritik und forderten zur Beurteilung der Pannen transparente Daten (Töngi) und dass die Bevölkerung erfahren solle, was hinter den Störungen stecke (Engler).
Urs Schaeppi, CEO der Swisscom, erklärte im Februar 2020, es sei eine Ausfallabsicherung bei Notfallnummern vorhanden. Zusätzlich gebe es eine zweite Rückfallebene. Diese habe in einigen Kantonen bei der letzten Panne einen Ausfall verhindern können. Dennoch seien noch mehr Sicherheiten erforderlich, weshalb man zusammen mit den Notfalldiensten nach Möglichkeiten suche, um zusätzliche «Rettungsschirme ein[zu]bauen». Der Kanton Schwyz plante als Reaktion auf die Störungen den Aufbau von Notfall-Treffpunkten, ausgestattet mit einem sogenannten Polycom-Funksystem. Dabei handelt es sich um ein notstrombasiertes Funksystem, dank dem auch bei Störungen, die das Internet betreffen, Notrufe getätigt werden können. In Folge der Ausfälle musste sich Schaeppi zudem im April vor der GPK-NR erklären. Ferner wollte auch das BAKOM die Ursachen vertieft abklären. Die nationalrätliche Geschäftsprüfungskommission stellte der Swisscom für die Aufarbeitung der Pannen allerdings schliesslich ein gutes Zeugnis aus.
Trotz den aufgegleisten Arbeiten seitens der Swisscom kam es im Mai 2020 erneut zu Störungen im Swisscom-Netz. Diese führten dazu, dass die Rega weder über das Mobiltelefon noch über das Festnetz erreicht werden konnte. Feuerwehr, Sanität und Polizei waren von der Panne hingegen nicht betroffen. Dadurch wurde ein neues Problem ans Tageslicht gebracht: Der Rega kommt im Kommunikationsnetz mit ihrer vierstelligen Rufnummer nicht der gleiche Status zu wie den anderen Blaulichtorganisationen, deren Erreichbarkeit seit neuestem mittels dynamischer Leitweglenkung geregelt wird, die defekte Anschlüsse identifizieren und die Anrufe an erreichbare Stellen übermitteln kann. Ernst Kohler, Chef der Schweizer Rettungsflugwacht, erklärte, man habe sich in der Vergangenheit bereits an das BAKOM gewandt, um eine Status-Gleichstellung bezüglich Kommunikationstechnik zu erreichen, sei allerdings nicht auf offene Ohren gestossen. Anlässlich der Swisscom-Pannen 2020 habe man nun erneut ein solches Gesuch eingereicht.

Panne beim Notruf
Dossier: Notrufe

Jahresrückblick 2019: Verkehr und Kommunikation

Ein zentraler Punkt der Verkehrspolitik war 2019 der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur: Das Parlament hatte über die nächsten Ausbauschritte der strategischen Entwicklungsprogramme (STEP) «Nationalstrassen» und «Eisenbahninfrastruktur» sowie über die Verpflichtungskredite des Programms Agglomerationsverkehr zu befinden. Dabei ging es bei jedem Geschäft über die Vorlagen des Bundesrates hinaus, nahm zusätzliche Projekte in die Ausbauschritte auf und erhöhte die Verpflichtungskredite. Dem Ausbauschritt 2019 STEP Nationalstrassen fügte das Parlament zwei Projekte hinzu – die Umfahrungen Näfels und La Chaux-de-Fonds – und erhöhte den Verpflichtungskredit für den Ausbauschritt um eine Milliarde auf CHF 5.651 Mrd. Zusätzliche Viertel- und Halbstundentakte, mehr Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit: Den Ausbau des Schienennetzes wollte der Bundesrat mit Investitionen von CHF 11.9 Mrd. vorantreiben. Doch auch beim Strategischen Entwicklungsprogramm Eisenbahninfrastruktur (Ausbauschritt 2035) nahmen beide Kammern weitere Projekte auf: Die kleine Kammer ergänzte den Ausbauschritt im März auf Antrag ihrer Verkehrskommission um die Projektierungen des Durchgangsbahnhofes Luzern und der trinationalen S-Bahn Basel sowie um den Neubau der Strecke Neuenburg – La-Chaux-de-Fonds anstelle der vom Bundesrat vorgeschlagenen Modernisierung der bestehenden Strecke. Der Ständerat erhöhte den Investitionsbetrag einstimmig um CHF 919 Mio. auf CHF 12.8 Mia. Im Juni ging der Nationalrat sogar noch weiter und nahm mit den Bahnhöfen Winterthur-Grüze und Thun Nord zwei weitere Projekte in das Geschäft auf. Einstimmig erhöhte die grosse Kammer den Kreditbetrag um CHF 69 Mio. auf insgesamt CHF 12.89 Mrd. Obschon Bundesrätin Sommaruga erklärte, die vom Nationalrat zuletzt hinzugefügten Bahnhofsprojekte seien verfrüht, stimmte der Ständerat der grossen Kammer einstimmig zu. Schliesslich zeigte sich das Parlament auch bei den Verpflichtungskrediten ab 2019 des Programms Agglomerationsverkehr spendabel: Der Bundesrat hatte CHF 1.35 Mrd. für die Mitfinanzierung von Projekten der dritten Generation im Programm Agglomerationsverkehr beantragt. Der Nationalrat, der im März über die Vorlage beriet, nahm wie von seiner Verkehrskommission gefordert vier zusätzliche Projekte auf: Die Projekte Aargau-Ost, Delémont und Luganese sowie die Umfahrung Oberburg (BE). Weil die grosse Kammer auch für die Programme in Grand Genève und Bulle den Beitragssatz des Bundes erhöhte, wuchs der Bundesbeitrag für den Agglomerationsverkehr um CHF 145 Mio. auf Total CHF 1.49 Mrd. Im Juni kippte der Ständerat die Umfahrung Oberburg (BE) wieder aus der Vorlage; danach ging das Geschäft wegen dieser Differenz zwischen den Räten hin und her, bis im September in der Einigungskonferenz ein Kompromiss gefunden wurde, dem beide Kammern einstimmig zustimmten: Die Umfahrung Oberburg wird folglich als integraler Bestandteil dem Projekt Burgdorf zugeschrieben und mit nicht ausgeschöpften Mitteln aus den Programmen 2019, 2014 und 2010 finanziert.

Die Zeitungsanalyse von Année Politique Suisse zeigt, dass die Berichterstattung der Tagespresse zur Verkehrspolitik im August besonders umfassend war. Dies lag zu einem guten Teil an der sogenannten SBB-Krise: Anfang August kam es zu einem tödlichen Arbeitsunfall eines Zugbegleiters der SBB. In der Folge kam aus, dass die Türschliess-, Einklemmschutz- und Kontrollmechanismen an den Einheitswagen IV oft nicht korrekt funktionierten. Das Bundesamt für Verkehr verpflichtete die SBB, diese Mechanismen zu überholen. Zu den Sicherheitsrisiken bei den Türschliesssystemen kam eine Häufung der Betriebsstörungen: Verspätungen, Stellwerkstörungen, Zugausfälle wegen Baustellen. In den Kommentarspalten der Tageszeitungen war zu lesen, die SBB habe sich vom einstigen Aushängeschild der Schweiz in Sachen Zuverlässigkeit zu einem Lotterbetrieb gewandelt, das Vertrauen der Bevölkerung in die Bundesbahnen habe Schaden genommen. Der öffentliche Druck wurde so gross, dass die Führung der SBB von der Verkehrskommission zu einem Hearing eingeladen wurde. SBB-CEO Andreas Meyer stand der KVF-SR Rede und Antwort und verteidigte dabei die SBB und die Arbeit der SBB-Führung. Rund zwei Wochen nach dem Hearing verkündete Meyer seinen Rücktritt im Jahr 2020. Dieser Schritt sei schon länger geplant gewesen und habe mit den Schwierigkeiten im Betrieb nichts zu tun. Ende September gaben die SBB bekannt, dass die Einsteigeroutine des Personals geändert worden sei und die Schliesssysteme sämtlicher Einheitswagen IV bis 2024 überholt würden.

Beim Strassenverkehr sorgten vor allem Anliegen zur Verkehrssicherheit und zur Elektromobilität für Gesprächsstoff im Parlament. Ein politischer Dauerbrenner bei der Verkehrssicherheit blieben die Strafbestimmungen der Via sicura: Auch 2019 wurden einige Änderungen der Strafbestimmungen beraten, so die parlamentarische Initiative Grin (svp, VD; Pa.Iv. 18.431) für verhältnismässige Sanktionen, die Motion Graf-Litscher (sp, TG; Mo. 17.3520) gegen die doppelte Strafe für Berufsfahrer und Berufsfahrerinnen sowie die Motion Giezendanner (svp, AG; Mo. 17.3590) für einen differenzierten Führerausweisentzug. Zwar hatte die KVF-SR im April der parlamentarischen Initiative Grin keine Folge gegeben, doch der Nationalrat stimmte allen Geschäften zu und sprach sich damit für mildere Regelungen beim Führerausweisentzug aus.
Mit dem wachsenden Anteil elektrisch betriebener Fahrzeuge im Strassenverkehr wurde die Elektromobilität vermehrt ein Thema im Parlament. Dabei ging es etwa um grüne Zonen für Elektrofahrzeuge (Mo. 17.4040), um Auswirkungen von Fahrassistenzsystemen auf die Verkehrssicherheit (Po. 17.4041), um die Möglichkeiten der «Mobilität 4.0» (Po. 17.4043) oder um die Finanzierungslücke bei der Strassenverkehrsinfrastruktur durch die Ausfälle bei der Mineralölsteuer infolge der Zunahme von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben (Mo. 19.3741). Vorwärts ging es mit der digitalen Vignette: Im März nahm der Nationalrat die Motion Candinas (cvp, GR; Mo. 18.3701) knapp an, der Ständerat folgte im September – obschon der Bundesrat in der Zwischenzeit eine Vorlage betreffend einer freiwilligen digitalen Vignette ans Parlament verabschiedet hatte.

Im Nachgang des Postauto-Skandals stand das Controlling des Bundesamtes für Verkehr mehrfach in der Kritik. Im März kam aus, dass das Bahnunternehmen BLS über Jahre insgesamt rund CHF 45 Mio. zu viel an Abgeltungen erhalten hatte. Zwar lagen im Gegensatz zum Postauto-Skandal keine betrügerischen Machenschaften vor, sondern nur ein unzureichend angepasstes Zinsglättungsmodell, allerdings zeigte sich eine Parallele zum Postauto-Skandal: Im Bundesamt für Verkehr blieben Hinweise auf die Differenzen zu lange folgenlos. Nach einem Audit beim BAV durch das UVEK wurden im Mai fünf Massnahmen zur Verstärkung der Aufsicht bei Transportunternehmen vorgelegt. Im Rahmen der verstärkten Aufsicht wurden im Bundesamt für Verkehr für Controlling und Revision acht zusätzliche Stellen geschaffen. Mit ihrer Motion «Teurere Kontrollen durch das BAV sollen die Verursacher bezahlen» verlangte Nadja Pieren (svp, BE; Mo. 19.3502), dass der Bund die Mehrkosten dieser Stellen auf die Verursacher abwälze. Im September lehnte der Nationalrat die Motion Pieren jedoch diskussionslos ab.

Nachdem die Postgesetzgebung in den Räten schon in den Vorjahren ein grosses Thema gewesen war, führten insbesondere der Service public der Post und die Schliessung von Poststellen auch 2019 zu einigen Debatten. In den Vorjahren waren viele Vorstösse angenommen worden, 2019 zeigten sich die Räte aber zurückhaltender: Den Standesinitiativen von Genf (Kt.Iv. 18.312), Basel-Stadt (Kt.Iv. 18.314), Solothurn (Kt.Iv. 18.315) sowie Tessin (Kt.Iv. 16.320) und Wallis (Kt.Iv. 17.302) wurde keine Folge gegeben, weil 2018 die Standesinitiative Jura (Kt.Iv. 17.314) Zustimmung gefunden hatte und die Kommissionen bei der Umsetzung dieser Initiative alle Anliegen zur Postgesetzgebung überprüfen und einbeziehen wollten. Die KVF-SR kündigte an, die Umsetzung der Standesinitiative Jura nach einer Gesamtschau zur Post im Frühjahr 2020 an die Hand zu nehmen.
Der Ständerat lehnte weitere Vorstösse zur Post ab (Motion Berberat, sp, NE, Mo. 19.3749; Postulat Béglé, cvp, VD, Po. 17.3615; Motion Feller, fdp, VD, Mo. 17.3053), der Nationalrat nahm jedoch weitere Anliegen entgegen: Ein Postulat der KVF-NR zur «längerfristigen Weiterentwicklung des Zugangs zu Dienstleistungen der postalischen Grundversorgung» (Po. 19.3532) wurde im Nationalrat angenommen, weil die damit vom Bundesrat und der Post verlangte Planung auch über die Umsetzung der Standesinitiative Jura Auskunft geben könnte. Auch die Motionen Müller-Altermatt (cvp, SO; Mo. 17.3938) für eine «mittel- und langfristige Planung bei Poststellen und Postagenturen» und Grin (svp, VD; Mo. 17.3888) zur «Schliessung von Poststellen an zentralen Orten» fanden in der grossen Kammer Zustimmung.

Im März schloss das Parlament die 2018 begonnene Revision des Fernmeldegesetzes ab. In vier Sitzungen wurden die verbliebenen Differenzen zur Netzneutralität, zur Meldepflicht der Provider bei verbotenen pornographischen Inhalten, zur Befreiung der Blaulichtorganisationen von den Verwaltungsgebühren der verwendeten Funkfrequenzen, zur Finanzierung von Anschlüssen in Gebäuden und zu weiteren, technischen Detailfragen beigelegt. Ende März nahmen beide Kammern die Revision an.

Der Ausbau des Mobilfunk-Netzes auf 5G wurde von Teilen der Bevölkerung sehr kritisch aufgenommen. Ausdruck fand diese kritische Haltung in zwei Volksinitiativen, die im Oktober von Privatpersonen lanciert wurden. Während die eine Initiative die Strahlungsbelastung reduzieren will, verlangt die andere, dass Mobilfunkbetreiber für Strahlungsschäden haften. Die Sammelfrist läuft bis zum 22. April 2021.

Jahresrückblick 2019: Verkehr und Kommunikation
Dossier: Jahresrückblick 2019

Eine Folge der eidgenössischen Wahlen 2019, die einen massiven Wahlgewinn der Grünen und eine Niederlage der Polparteien mit sich gebracht hatten, waren die virulenten Diskussionen um die Zusammensetzung und die Bestellung des Bundesrats. Auf der einen Seite wurde eine neue Zauberformel gefordert. Das Parlament müsse bei der Bestellung der Regierung rascher auf Veränderungen reagieren können. Auf der anderen Seite wurden Reformen gefordert, die eine Erhöhung der Zahl der Regierungsmitglieder, Koalitionsverhandlungen oder einen eigentlichen Systemwechsel weg von der Konkordanzidee vorsahen.

Die Zauberformel, die 1959 mit der Idee eingeführt worden war, dass die drei grössten Parteien je zwei und die viertgrösste Partei einen Sitz erhalten soll, wurde durch die aktuellen Wahlresultate gleich mehrfach in Frage gestellt. Jahrzehntelang passte die Formel gut zu den Kräfteverhältnissen, weil die FDP, die CVP und die SP bei den Nationalratswahlen jeweils mehr als 20 Prozent Wähleranteile hinter sich wussten und die SVP auf jeweils etwas mehr als zehn Prozent zählen konnte. Eine erste Verschiebung der Kräfteverhältnisse führte 2003 zu einem Sitzwechsel von der CVP zur SVP. Nach einer durch die Nichtbestätigung von Christoph Blocher 2007 beginnenden Übergangsphase, während der CVP, SVP und BDP je einen Sitz hatten, kehrte man mit der Wahl von Guy Parmelin im Jahr 2015 wieder zu dieser 2-2-2-1-Verteilung zurück – neu mit der CVP als Juniorpartner. War diese Verteilung freilich schon 2015 hinterfragbar, geriet sie 2019 vollends in die Kritik, weil mit der SVP nur noch eine Partei über 20 Prozent Wähleranteil verfügte (25.6%), aber vier Parteien neu über 10 Prozent lagen: Die SP mit 16.8 Prozent, die FDP mit 15.1 Prozent, die Grünen mit 13.2 Prozent und die CVP mit 11.4 Prozent. Diese Verteilung liess Raum für zahlreiche Rechenspiele, die in den Medien für viel Gesprächsstoff sorgten und die Diskussionen im Vorfeld der Bundesratswahlen anheizten.

Eine neue Zauberformel wurde natürlich insbesondere von den Gewinnerinnen und Gewinnern der eidgenössischen Wahlen 2019 gefordert. Die Frage war freilich, auf wessen Kosten die Grünen einen Bundesratssitz erhalten sollten. Wahlweise vorgeschlagen wurde, dass die CVP als neu kleinste Partei verzichten müsse. Aber auch die FDP und die SP hätten eigentlich – je nach Berechnung – keinen Anspruch auf zwei Sitze. Die GP selber forderte – unterstützt von der SP – den Sitz von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis. Mediale Aufmerksamkeit erhielt ein Vorschlag von Christoph Blocher, der eine Proporz-Zusammensetzung vorschlug, die der SVP zwei Sitze und allen anderen Parteien inklusive der GLP (die bei den Wahlen auf 7.8% Wähleranteil gewachsen war) je einen Sitz zugestand. Freilich wurde in der Diskussion auch die Frage laut, ob für die Berechnung der Zusammensetzung lediglich die Wählerprozente, also nur die Zusammensetzung des Nationalrats, oder nicht vielmehr die Sitzverteilung in National- und Ständerat herangezogen werden müssten. Auf der Basis der totalen Anzahl Sitze aus beiden Kammern wäre die CVP (total 38 Sitze) wiederum stärker als die GP (total 33 Sitze), was für den Status Quo sprechen würde.
Eine Erweiterung der Diskussion wurde durch die Überlegung geschaffen, nicht Parteien, sondern Blöcke zu betrachten. Die NZZ schlug vor, den Polen – bestehend aus SVP auf der einen und SP zusammen mit den Grünen auf der anderen Seite – je zwei Sitze und den Parteien in der Mitte (FDP, CVP und allenfalls GLP) drei Sitze zuzusprechen. Wenn die Grünen einen Sitz erhielten und die SP ihre beiden Sitze behalten würde, dann wäre das linke Lager, das kumuliert auf rund 30 Prozent Wählerstärke komme, stark übervertreten, so die Argumentation der NZZ.

Als Problem für eine flexiblere Gestaltung der Regierungszusammensetzung wurde zudem die variable Amtszeit der Bundesrätinnen und Bundesräte ausgemacht. Würde die Amtszeit eines Regierungsmitglieds auf acht Jahre fixiert – inklusive der Verpflichtung, nicht freiwillig vor Ablauf dieser Zeit zurückzutreten – ergäben sich bei jeder Gesamterneuerungswahl Vakanzen, die eine Neuausrichtung der parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesrats vereinfachen würden, schlug CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) als weitere – schon etwas ältere – Idee vor.

Ein weiteres, medial diskutiertes Problem der starren 2-2-2-1-Zauberformel war die Repräsentativität des Bundesrats. Wurden 1959 durch die vier Regierungsparteien noch 85 Prozent der Wählerschaft (gemessen anhand der Wählerprozente bei den Nationalratswahlen) repräsentiert, sank dieser Wert aufgrund der zunehmenden Volatilität, aber auch aufgrund der Ausdifferenzierung des Parteiensystems 2019 erstmals unter 70 Prozent (68.9%). Die «formule magique» verliere ihre Magie, urteilte die Zeitung Le Temps auf Basis dieser Zahlen. In der Regierung müsse sich der Wille der Wählenden unmittelbar niederschlagen; wer fordere, dass die Grünen ihren Wahlerfolg in vier Jahren noch einmal bestätigen müssten, um einen Anspruch auf Einbindung in die Regierung zu haben, sei deshalb «ein schlechter Demokrat», urteilte der Tages-Anzeiger. Letztlich seien es «nicht die Wahlprozente, sondern die Mandatsträger im National- und im Ständerat», welche über die Regierungszusammensetzung entschieden. Dies sei «die eigentliche Machtarithmetik der Bundesratswahlen», kommentierte der emeritierte Historiker Urs Altermatt in der NZZ.

Als Alternative zu einer neuen Zauberformel und als Möglichkeit einer besseren Repräsentation wurde eine weitere alte Idee hervorgekramt: die Erhöhung der Zahl der Regierungsmitglieder auf neun. Zwar waren in der Vergangenheit zahlreiche Vorstösse für eine Umsetzung dieser Idee gescheitert – etwa im Rahmen der Staatsleitungs- und Regierungsreform zu Beginn des Jahrtausends, aber auch bei Debatten zu einzelnen Reformvorschlägen –, die elf Prozent Wähleranteil, die rein arithmetisch bei neun Sitzen für einen Bundesratssitz reichen würden, würden aber ermöglichen, dass die Grünen einen Sitz erhielten, ohne dass die CVP einen Sitz abgeben müsste, so ein Argument in der Aargauer Zeitung. Insbesondere Christian Levrat (sp, FR) machte sich in den Medien für die Erhöhung der Anzahl Regierungsmitglieder stark. Damit könne nicht nur dem Anspruch der Grünen genüge getan werden, so der SP-Parteipräsident, sondern es sei auch nicht mehr zeitgemäss, lediglich sieben Minister zu haben. Dies sei weltweit fast einmalig wenig.

Weitere Vorschläge stellten die Idee der Konkordanz grundsätzlich in Frage. Nicht die wichtigsten Kräfte sollten in der Regierung vertreten sein, stattdessen müsse man ein Oppositionssystem einführen, in welchem wahlweise eine Mitte-Rechts- oder eine Mitte-Links-Regierung einer linken oder rechten Opposition gegenüberstehe, so ein Vorschlag im Tages-Anzeiger. Auch die Idee, dass Parteien mit programmatischen Koalitionsvorschlägen für die Regierung kandidieren könnten, würde das bestehende Konkordanzsystem verändern. Man müsse aber in der Tat mehr über politische Inhalte als bloss über Formeln sprechen, forderte die Aargauer Zeitung.

Man komme wohl in Zukunft nicht darum herum, die Regierungszusammensetzung nach jeden Gesamterneuerungswahlen neu zu diskutieren, folgerte der Tages-Anzeiger. Freilich steht die Konkordanz und die Zusammensetzung der Regierung schon seit einigen Jahren und stets bei Bundesratswahlen zur Diskussion, nur um dann für die nächsten vier Jahre wieder aus dem Fokus der Medien zu verschwinden. Um ebendies nach den Bundesratswahlen 2019, die hinsichtlich Regierungszusammensetzung trotz aller Reformdiskussionen den Status Quo zementierten, zu verhindern, schlug Gerhard Pfister einen «Konkordanzgipfel» vor, wie ihn die Medien betitelten: «Wir müssen die Zauberformel im Bundesrat, die Konkordanz in der Landesregierung, neu erfinden», gab Pfister im Sonntags-Blick zu Protokoll. Es gehöre zum Schweizer System, dass man gemeinsam nach Lösungen suche, begrüsste GLP-Parteipräsident Jürg Grossen (glp, BE) die Initiative der CVP. Alle Parteien waren sich einig, dass die Regeln den zunehmend volatiler werdenden Wahlresultaten angepasst werden müssen. Wie diese Anpassung auszusehen hat, blieb hingegen naturgemäss umstritten.

Reformideen im Nachgang der Bundesratswahlen 2019

Mit einer Motion forderte Nationalrätin Edith Graf-Litscher (sp, TG) den Bundesrat auf, die zur Förderung der Forschung zu Mobilfunk und Strahlung notwendigen Massnahmen zu ergreifen. Der Ausbau der Mobilfunknetze sowie die möglichen daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen würden die Gesellschaft zur Zeit stark beschäftigen; eine Intensivierung der Forschung sei notwendig. Finanziert werden könne die Forschung mit einem Teil der Einnahmen aus der Versteigerung von Mobilfunkfrequenzen, zudem sei eine Private-Public-Partnership anzustreben.
Der Bundesrat unterstützte das Anliegen und beantragte die Annahme der Motion. Diese kam in der Wintersession 2019 in den Nationalrat, war unbestritten und wurde diskussionslos angenommen.

Förderung der Forschung zu Mobilfunk und Strahlung
Dossier: 5G – Mobilfunk, Strahlung und Gesundheit

Im Dezember 2019 legte der Bundesrat einen Bericht in Erfüllung des Postulates Graf-Litscher (sp, TG) vor und präsentierte darin Varianten für die Ausgestaltung von Meldepflichten von kritischen Infrastrukturen bei schwerwiegenden Sicherheitsvorfällen. Der Bericht erörterte die derzeitige Ausgangslage, verglich Meldepflichten im Ausland und präsentierte nebst der Variante, keine weiteren Meldepflichten einzuführen, drei Varianten für eine Meldepflicht und für Meldestellen in der Schweiz. Bei diesen drei Möglichkeiten würde entweder eine zentrale Meldestelle etabliert, die bisherigen dezentralen Meldestellen in den Sektoren auf- und ausgebaut oder als letzte Variante eine Kombination der beiden Ansätze umgesetzt, wobei eine zentrale Meldestelle einzig für Cybervorfälle und die bestehenden dezentralen Stellen für alle anderen sicherheitsrelevanten Vorfälle zuständig wären. Die vorgeschlagenen vier Varianten sollen in einem nächsten Schritt mit Wirtschaftskreisen, den Kantonen und den zuständigen Behörden vertieft diskutiert werden und im Sommer 2020 zur Erarbeitung einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage führen.

Meldepflicht bei kritischen Infrastrukturen (Po. 17.3475)
Dossier: Schutz kritischer Infrastrukturen
Dossier: Cyber Defence

Lange Zeit waren die Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats fast eine Pflichtübung. Das hatte vor allem damit zu tun, dass die eidgenössischen Wahlen lange Jahre kaum politische Verschiebungen nach sich zogen. Zwar war die alte Zauberformel (2 CVP, 2 FDP, 2 SP, 1 SVP) mit dem Wahlerfolg der SVP stark hinterfragt und schliesslich nach einigen Jahren der Transition mit mehr oder weniger gehässigen und aufreibenden Regierungswahlen, der Nichtwiederwahl von Ruth Metzler (2003) sowie Christoph Blocher (2007) und einem Intermezzo der BDP in der Regierung gesprengt worden. Nach den eidgenössischen Wahlen 2015, dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf aus der nationalen Exekutive und dem Einzug eines zweiten SVP-Regierungsmitglieds schien dann aber eine neue Formel gefunden: 2 FDP, 2 SP, 2 SVP, 1 CVP.

Schon im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen 2019 war freilich spekuliert worden, dass die Grüne Partei die CVP hinsichtlich des Wähleranteils überflügeln könnte und damit einen Anspruch auf einen Sitz in der nationalen Regierung hätte – umso mehr, wenn sich die Grünen mit der GLP quasi zu einem gemeinsamen Sitz für die «Öko-Parteien» zusammenraufen könnten, wie die Aargauer Zeitung spekulierte. Falls sich die CVP halten könnte, wäre auch der Angriff auf einen der beiden FDP-Sitze denkbar, so die Hypothese zahlreicher Medien. Die angegriffenen Parteien wehrten sich mit dem Argument, dass eine Partei ihren Wahlerfolg zuerst bestätigen müsse, bevor sie einen Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung erhalten könne. Dies sei auch bei der SVP der Fall gewesen – so etwa FDP-Parteipräsidentin Petra Gössi (fdp, SZ) bereits Mitte August 2019 in der Zeitung Blick. Zudem dürfe nicht nur der Wähleranteil bei den Nationalratswahlen in die Berechnung einfliessen, sondern man müsse auch die Vertretung im Ständerat berücksichtigen. Martin Bäumle (glp, ZH), Ex-Präsident der GLP, gab zudem zu verstehen, dass ein Öko-Lager aus GP und GLP kaum denkbar sei; zu unterschiedlich sei man in diversen Sachfragen. Ebenfalls früh wurde in den Medien über einen möglichen Rücktritt von Ueli Maurer spekuliert, was aus der vermeintlichen Pflichtübung eine spannende Wahl gemacht hätte. Maurer gab dann allerdings Anfang November bekannt, noch eine weitere Legislatur anzuhängen.

Die aussergewöhnlichen Erfolge der Grünen Partei bei den eidgenössischen Wahlen 2019 gaben dann den Diskussionen über die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats sehr rasch wieder ganz viel Nahrung und schafften Raum für allerlei Reformvorschläge zur Bestimmung der Landesregierung. In der Tat hatten die Grünen mit 13 Prozent Wähleranteil die CVP (11.4%) deutlich überflügelt und als viertstärkste Partei abgelöst. Die GLP kam neu auf 7.8 Prozent. Die NZZ rechnete vor, dass die aktuelle Regierung so wenig Wählerinnen und Wähler vertrete wie zuletzt vor 60 Jahren. Die Grünen und die Grünliberalen hätten rein rechnerisch ein Anrecht auf je einen Bundesratssitz.
Neben den medial zahlreich vorgetragenen Berechnungen wurde allerdings auch inhaltlich und historisch argumentiert. Der Einbezug in die Regierung sei immer auch an den Umstand geknüpft gewesen, dass eine Oppositionspartei auch in verschiedenen Sachthemen glaubhaft ihre Referendumsmacht ausspielen könne, wurde etwa argumentiert. Zwar sei das Klimathema wichtig und würde wohl auch nachhaltig bleiben, die Grünen und die GLP müssten aber – wie auch die SVP mit ihren gewonnenen Volksbegehren – mit Abstimmungserfolgen ihren Anspruch noch untermauern, so ein Kommentar in der NZZ. Die Grünen würden trotz Wahlgewinnen keinen Regierungssitz erhalten, weil «niemand Angst vor ihnen hat», wie die Aargauer Zeitung diesen Umstand verdeutlichte. Argumentiert wurde zudem, dass eine «Abwahl» – eigentlich handelt es sich um eine Nichtwiederwahl – nicht dem politischen System der Schweiz entspreche. Es brauche mehrere Wahlen, bei denen sich eine Partei konsolidieren müsse, um die Stabilität in der Regierung auch über längere Zeit zu gewährleisten, kommentierte dazu der Blick.

Der Tages-Anzeiger führte gar eine Umfrage durch, die aufzeigte, dass eine Mehrheit der Befragten die Zeit für einen grünen Bundesrat noch nicht für gekommen hielt. Wer ein grünes Bundesratsmitglied jedoch befürwortete (rund 40% der Befragten), wünschte sich, dass dies auf Kosten eines Sitzes der SVP (50%) oder der FDP (21%), aber eher nicht auf Kosten der CVP (10%) oder der SP (6%) gehen solle.
Für die WoZ war allerdings klar: «Cassis muss weg!» In der Tat forderte auch Regula Rytz (gp, BE) via Medien, dass die FDP freiwillig auf einen Sitz verzichte, da sie als lediglich drittgrösste Partei keinen Anspruch auf zwei Sitze habe. In der Folge schienen sich die Medien dann in der Tat vor allem auf den zweiten Sitz der FDP einzuschiessen. Freilich wurden auch andere Modelle diskutiert – so etwa ein von Christoph Blocher in der Sonntagszeitung skizziertes Modell mit der SVP, die zwei Sitze behalten würde, und allen anderen grösseren Parteien (SP, FDP, CVP, GP, GLP) mit je einem Sitz –, «sämtliche Planspiele» drehten sich aber «um einen Namen: Aussenminister Ignazio Cassis», fasste die Aargauer Zeitung die allgemeine Stimmung zusammen. Er sei «der perfekte Feind», «visionslos und führungsschwach». Der Aussenminister befinde sich im «Trommelfeuer» befand die Weltwoche. Häufig wurde seine Haltung im Europadossier kritisiert und entweder ein Rücktritt oder wenigstens ein Departementswechsel gefordert. Mit Ersterem müsste allerdings die Minderheitenfrage neu gestellt werden, war doch die Vertretung des Tessins mit ein Hauptgrund für die Wahl Cassis im Jahr 2017. Der amtierende Aussenminister selber gab im Sonntags-Blick zu Protokoll, dass er sich als Tessiner häufig benachteiligt fühle und spielte so geschickt die Minderheitenkarte, wie verschiedene Medien tags darauf kommentierten. Die Sonntags-Zeitung wusste dann noch ein anderes Szenario zu präsentieren: Einige SVP-Parlamentarier – das Sonntagsblatt zitierte Andreas Glarner (svp, AG) und Mike Egger (svp, SG) – griffen Simonetta Sommaruga an und forderten, dass die SP zugunsten der Grünen auf einen Sitz verzichten müsse. Die CVP sei in «Versuchung», wagte sich dann auch die NZZ in die Debatte einzuschalten. Würde sie Hand bieten für einen grünen Sitz auf Kosten der FDP, dann könnte sie im Bundesrat «das Zünglein an der Waage» spielen und Mehrheiten nach links oder nach rechts schaffen. Die NZZ rechnete freilich auch vor, dass grün-links mit zusammen rund 30 Prozent Wähleranteil mit drei von sieben Regierungssitzen klar übervertreten wäre, denn die GLP dürfe man nicht zu den Grünen zählen. Dies hatten vor allem die Grünen selbst implizit immer wieder gemacht, indem sie vorrechneten, dass die GLP und die GP zusammen auf 21 Prozent Wähleranteile kämen.

Neben Kommentaren und Planspielen warteten die Medien auch mit möglichen grünen Bundesratsanwärterinnen und -anwärtern auf. Häufig gehandelte Namen waren die scheidende Parteipräsidentin Regula Rytz, die Waatländer Staatsrätin Béatrice Métraux (VD, gp), die Neo-Ständerätin Maya Graf (gp, BL), der Berner alt-Regierungsrat Bernhard Pulver (BE, gp), der amtierende Fraktionschef der Grünen, Balthasar Glättli (gp, ZH) oder der Zürcher Nationalrat Bastien Girod (gp, ZH). Ins Gespräch brachte sich zudem der Genfer Staatsrat Antonio Hodgers (GE, gp).

Die Grünen selber gaben sich lange Zeit bedeckt und waren sich wohl auch bewusst, dass eine Kampfkandidatur nur geringe Chancen hätte. Sie entschieden sich zwar an ihrer Delegiertenversammlung Anfang November in Bern für eine forschere Gangart und forderten einen grünen Bundesratssitz – Regula Rytz sprach davon, dass vorzeitige Rücktritte aus dem Bundesrat ein Ärgernis seien, weil sie Anpassungen nach Wahlverschiebungen erschweren würden. Mit der Forderung war einstweilen aber noch kein Name verknüpft, was der Partei prompt als «Lavieren» ausgelegt wurde (Blick). «Der grüne Favorit», wie der Tages-Anzeiger Bernhard Pulver betitelte, sagte Mitte November, dass er nicht zur Verfügung stehe. Auch der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried (BE, gp) und die Aargauer alt-Regierungsrätin Susanne Hochuli (AG, gp), die ebenfalls als Kandidierende gehandelt worden waren, sagten via Medien, dass sie nicht zur Verfügung stünden.
Die «Kronfavoritin» (Tages-Anzeiger) Regula Rytz ihrerseits stand im zweiten Umgang der Ständeratswahlen im Kanton Bern. Ihr wurden intakte Chancen eingeräumt und wohl auch um diese nicht zu gefährden, versicherte sie, dass sie auf eine Bundesratskandidatur verzichten würde, sollte sie für den Kanton Bern in die kleine Kammer gewählt werden. Da sie dies allerdings verpasste, kündigte die Bernerin rund 20 Tage vor den Bundesratswahlen ihre Kandidatur an – noch bevor die Fraktion offiziell beschlossen hatte, eine Kandidatur einzureichen. Nach einer solchen Richtungswahl, wie es die eidgenössischen Wahlen gewesen seien, könne man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, erklärte sie gegenüber der Presse. Sie wolle für die Menschen und die Natur Verantwortung übernehmen. Ihr Angriff gelte aber nur dem FDP-Sitz von Ignazio Cassis. Würde sie für ein anderes Regierungsmitglied gewählt, würde sie die Wahl nicht annehmen – so die Bernerin. Die Fraktion der Grünen gab dann allerdings tags darauf bekannt, dass es nicht um die Person, sondern um die Übervertretung der FDP gehe. Ein Angriff auf Karin Keller-Sutter schien damit nicht wirklich ausgeschlossen. Die nach aussen als wenig abgesprochen erscheinende Strategie für die Ansage der Kampfwahl brachte der GP Kritik ein. Die Partei zeige sich «unbeholfen» und der Start sei «misslungen», urteilte etwa die NZZ. Auch die Weltwoche redete von einem «verpatzten Start» und die Sonntagszeitung sprach gar von dilettantischem Vorgehen. Es sei, als wären die Grünen ein Sprinter, der kurz vor dem Ziel auf die Uhr schaue und sich hinknie, um die Schuhe zu binden, so die Zeitung weiter.

Eine medial oft diskutierte Frage im Vorfeld der Wahlen war, welche Parteien die Grünen in ihrem Anliegen unterstützen würden. Klar schien, dass die FDP nicht Hand bieten würde. Auch die SVP würde – wenn überhaupt – die GP nur auf Kosten der SP unterstützen. Die CVP bzw. die neue Mitte-Fraktion (CVP zusammen mit BDP und EVP) entschied, Rytz nicht einmal zu einem Hearing einzuladen. Man sei nicht gegen eine grüne Vertretung in der Regierung, es sei aber «etwas zu früh», liess sich CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) in der Sonntagszeitung zitieren. Die GLP und die SP gaben bekannt, Rytz vor den Wahlen anhören zu wollen. Für Schlagzeilen sorgte dabei SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR), der die CVP aufforderte, mitzuhelfen, die Grünen in die Regierung zu hieven. Die Schweiz wäre sonst die einzige Demokratie, in der Wahlen keine Auswirkungen auf die Regierungszusammensetzung hätten. Zudem würde sich die Weigerung der CVP wohl über kurz oder lang rächen. Bei der GLP zeigte sich das Dilemma zwischen ökologischem und liberalem Gedankengut. Insbesondere in der Europafrage fanden sich die GLP und der amtierende Aussenminister eher auf der gleichen Linie. Für Rytz spreche das ökologische Anliegen, gegen sie ihre eher linke Ausrichtung, erklärte Tiana Moser (glp, ZH) dann den Entscheid für Stimmfreigabe der GLP. Zudem würde Rytz ohne Absprache mit den Grünliberalen den «Sitz der Ökokräfte» für sich beanspruchen. Letztlich stellte sich einzig die SP-Fraktion offiziell hinter Rytz. Die eher laue Unterstützung und der Versuch der amtierenden Regierungsparteien, die eigene Macht zu zementieren, mache das Unterfangen «grüne Bundesrätin» für Regula Rytz zu einer «mission impossible», fasste die Zeitung Le Temps die Situation dann kurz vor den Wahlen zusammen.

Nicht die Medien, nicht Umfragen und «nicht die Wahlprozente» (NZZ), sondern die Vereinigte Bundesversammlung bestimmt freilich letztlich, welche Parteien in der Regierung vertreten sein sollen. Und diese Entscheidung brachte das Resultat, das viele im Vorfeld aufgrund der Aussagen der verschiedenen Parteien auch erwartet hatten: die Wiederwahl aller Amtierenden und das Scheitern des Angriffs der Grünen. Auch die Ansprachen der Fraktionschefinnen und -chefs im Vorfeld der einzelnen Wahlen – die Erneuerungswahlen finden in der Reihenfolge der Amtszeit der Bundesratsmitglieder statt – machten dies bereits deutlich. Die CVP plädierte für Konkordanz und Stabilität und die SVP betonte, dass zum Erfolgsmodell Schweiz die angemessene Vertretung der Landesteile in der Regierung gehöre – die Diskriminierung der kleinsten Sprachregion durch die Grüne Partei sei abzulehnen. Die GLP erklärte, dass die Stärkung der ökologischen Anliegen und der Wähleranteil der Grünen zum Vorteil für Rytz gereiche, ihre Positionierung am linken Rand und der fehlende Anspruch von links-grün auf drei Sitze aber gegen sie spreche. Die SP erklärte, die Zauberformel sei keine exakte Wissenschaft, aber die beiden stärksten Parteien sollten zwei Sitze und die restlichen jeweils einen Sitz erhalten, was für Regula Rytz spreche. Die Fraktion der Grünen geisselte den Umstand, dass die Regierungsparteien während der Legislatur Sitze «austauschten» und so bewusst verunmöglichten, dass das Parlament die Resultate nach eidgenössischen Wahlen berücksichtigen könne. Die FDP schliesslich wollte sich einer künftigen Diskussion um eine Anpassung der Zusammensetzung des Bundesrats nicht verschliessen, amtierende Regierungsmitglieder dürften aber nicht abgewählt werden.

Der Angriff der Grünen folgte bei der fünften Wahl, auch wenn der Name Regula Rytz schon bei der Bestätigungswahl von Simonetta Sommaruga auftauchte. Gegen die 145 Stimmen, die Ignazio Cassis erhielt, war Regula Rytz jedoch chancenlos. Sie erhielt 82 Stimmen, was in den Medien als schlechtes Abschneiden kommentiert wurde, hätten doch die Grünen (35 Stimmen) und die SP (48 Stimmen) in der Vereinigten Bundesversammlung gemeinsam über 83 Stimmen verfügt. Weil darunter sicherlich auch ein paar CVP- und GLP-Stimmen seien, müsse dies wohl so interpretiert werden, dass einige SP-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier die grüne Konkurrenz fürchteten; Ignazio Cassis könne hingegen zufrieden sein. Von den 244 Wahlzetteln waren 6 leer geblieben und 11 enthielten andere Namen als «Rytz» oder «Cassis».
Schon zuvor hatten die meisten Parlamentsmitglieder auf Experimente verzichtet. Bei der ersten Wahl wurde der amtsälteste Bundesrat, Ueli Maurer, mit 213 von 221 gültigen Wahlzetteln gewählt. 23 der 244 ausgeteilten Bulletins waren leer geblieben und acht auf Diverse entfallen. Beim Wahlgang für Simonetta Sommaruga entfielen 13 Stimmen auf Regula Rytz und 13 Stimmen auf Diverse. Da ein Wahlzettel ungültig war und 25 leer blieben, durfte sich die künftige Bundespräsidentin über 192 Stimmen freuen. Alain Berset erhielt 214 Stimmen. Bei ihm waren 14 Wahlzettel leer geblieben und 16 auf Diverse entfallen. Die Anzahl ungültige (1) und Leerstimmen (39) wuchs dann bei Guy Parmelin wieder an, so dass der Wirtschaftsminister noch 191 Stimmen erhielt – 13 Stimmen entfielen auf Diverse. Einen eigentlichen «Exploit» (Tages-Anzeiger) erzielte Viola Amherd bei der sechsten Wahl. Mit 218 Stimmen erhielt sie die zweitmeisten Stimmen der Geschichte; nur Hans-Peter Tschudi hatte 1971 mehr Stimmen erhalten, nämlich 220. Elf Stimmen blieben leer und 14 entfielen auf Diverse. Eingelangt waren nur noch 243 Wahlzettel. Ein etwas seltsames Gebaren zeigt sich bei der letzten Wahl. Karin Keller-Sutter wurde zwar auch hier im Amt bestätigt, sie erhielt aber lediglich 169 Stimmen, da von den 244 ausgeteilten Wahlzetteln 37 leer und einer ungültig eingelegt wurden und 21 Stimmen auf Marcel Dobler (fdp, SG) sowie 16 auf Diverse entfielen. In den Medien wurde spekuliert, dass dies wohl eine Retourkutsche vor allem von Ostschweizer SVP-Mitgliedern gewesen sei, weil Keller-Sutter sich im St. Galler Ständeratswahlkampf zugunsten von Paul Rechsteiner (sp, SG) ausgesprochen habe.

Der Angriff der Grünen sei zwar gescheitert, dies könne für die Partei aber auch befreiend sein, könne sie nun doch Oppositionspolitik betreiben und mit Hilfe der direkten Demokratie den Druck auf die anderen Parteien erhöhen, urteilte Le Temps nach den Wahlen. Ihr Anspruch auf einen Bundesratssitz sei nach diesen Bundesratswahlen nicht einfach vom Tisch, kommentierte Balthasar Glättli. In zahlreichen Medien wurde zudem die Stabilität des politischen Systems betont – auch der Umstand, dass es zu keinem Departementswechsel kam, obwohl kurz über einen Wechsel zwischen Alain Berset und Ignazio Cassis spekuliert worden war, wurde als Indiz dafür gewertet. Doch Stabilität bedeute nicht Stillstand; die neuen Mehrheiten im Nationalrat müssten sich auch auf die Diskussionen um eine neue Zauberformel auswirken – so die einhellige Meinung der Kommentatoren. An einem vor allem von der CVP geforderten «Konkordanzgipfel» sollten Ideen für die künftige Zusammensetzung der Landesregierung beraten werden. Entsprechende Gespräche wurden auf Frühling 2020 terminiert.

Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats 2019
Dossier: Bundesratswahlen seit 2008

Nach den Erfolgen sowohl in den National- als auch in den Ständeratswahlen 2019 forderten die Grünen in den darauffolgenden Bundesratswahlen einen Bundesratssitz. Zwar hatte Parteipräsidentin Regula Rytz (gp, BE) am Wahlsonntag der eidgenössischen Wahlen auf eine klare Aussage dazu verzichtet und lediglich angemerkt, dass die Verteilung der Bundesratssitze nicht mehr passe. Am 22. November 2019 gab Rytz jedoch ihre Kandidatur für die Bundesratswahlen offiziell bekannt. Man habe so lange mit dem Entscheid gewartet – die Ankündigung von Rytz kam fast einen Monat nach den Nationalratsergebnissen und drei Wochen vor den Bundesratswahlen –, da man in Gesprächen mit den anderen Parteien die Wahlchancen abzuschätzen versucht habe, erklärte Rytz gegenüber dem Tages-Anzeiger. Diese Gespräche seien positiv verlaufen, woraufhin die Grünen den FDP-Sitz von Ignazio Cassis angriffen. Die FDP sei im Bundesrat rechnerisch übervertreten, weshalb Rytz eine neue Zauberformel vorschlug, gemäss der die beiden grössten Parteien SP und SVP je zwei Sitze und FDP, CVP und die Grünen je einen Sitz haben sollten. Rytz betonte die Dringlichkeit einer Fortsetzung der Klimaschutzdiskussionen und die entsprechende Unterstützung in der Stimmbevölkerung. Aus diesem Grund sei der Anspruch der Grünen auf einen Bundesratssitz gerechtfertigt, obwohl mit Ignazio Cassis ein Vertreter einer sprachlichen Minderheit angegriffen werde. Man könne – so Rytz – nicht alle Ansprüche befriedigen.
Die Zeitungen kommentierte diese verspätete Kandidatur von Rytz und ihren Start in den Bundesratswahlkampf als misslungen. Die NZZ begründete die späte Bekanntgabe damit, dass Rytz ihrer Ständeratskandidatur Priorität eingeräumt habe und folglich bei einer Wahl in den Ständerat auf die Bundesratskandidatur verzichtet hätte. Stattdessen hätte sich Rytz aus dem Ständeratsrennen nehmen und sich auf die Bundesratswahl konzentrieren müssen – war sich die Presse einig. Als entsprechend klein schätzten sie auch ihre Chancen, gewählt zu werden, ein, betonten dabei aber vor allem die entscheidende Rolle der GLP-Fraktion auf einer Seite und der CVP-EVP-BDP-Fraktion auf der anderen Seite.

Am Tag der Wahl stellte sich neben den Grünen nur die Sozialdemokratische Fraktion offiziell hinter die Forderung, die Zauberformel zu ändern und die grüne Kandidatin Regula Rytz zulasten von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis zu unterstützen. Im Rahmen der parlamentarischen Debatte betonte SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann (sp, VD), dass die Zusammensetzung des Bundesrates mit einer Mehrheit von je zwei Bundesratssitzen der FDP und der SVP aufgrund der Wahlerfolge der Grünen nicht mehr repräsentativ sei für die Schweiz und das Parlament. Keine Unterstützung erhielt Rytz von den übrigen Parteien. Die Grünliberale Fraktion entschied sich zwar für Stimmfreigabe, was für einigen Unmut bei den Grünen sorgte. Einige GLP-Mitglieder äusserten sich diesbezüglich im Tages-Anzeiger und erklärten, dass sie sich eine gemeinsame Strategie mit den Grünen für einen Bundesratssitz gewünscht hätten. Absprachen diesbezüglich hätten jedoch nicht stattgefunden. Auch von der CVP-Fraktion erfuhren die Grünen keine Unterstützung, diese gab an, Ignazio Cassis zu unterstützen. Nach den Wahlen äusserte sich Balthasar Glättli im Sonntags-Blick kritisch gegenüber der CVP und stellte in Aussicht, dass die Grünen zukünftig auch den Sitz von Viola Amherd angreifen könnten, falls die CVP keinen Beitrag zu einer griffigeren Klimapolitik leiste. Da auch die FDP- und die SVP-Fraktion Ignazio Cassis unterstützten, setzte sich dieser mit 145 Stimmen durch. Regula Rytz erhielt 82 Stimmen, 11 Stimmen entfielen auf Verschiedene.

Im Zusammenhang mit der Forderung der Grünen nach einem Bundesratssitz berichteten die Medien ausgiebig über eine neue Zauberformel und somit über eine neue Zusammensetzung des Bundesrates. In einem Interview schlug SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR) vor, den Bundesrat auf neun Mitgliedern zu erweitern; dies gäbe mehr Spielraum, um die grossen Parteien angemessen in die Regierung zu integrieren, die Regionen wären besser vertreten und die Bundesräte würden entlastet. Altbundesrat Christoph Blocher schlug stattdessen vor, dass sowohl die SP als auch die FDP zukünftig nur jeweils einen Sitz haben und stattdessen auch die Grünen und Grünliberalen je einen Sitz erhalten sollten (sogenannte Formel Christoph Blocher: 2-1-1-1-1-1).

Forderung der Grünen um einen Bundesratssitz

Entgegen dem Nationalrat lehnte der Ständerat in der Wintersession 2019 die Motion Graf-Litscher (sp, TG) für die Schaffung eines gesetzlich verpflichtenden Grundschutzes für kritische Strominfrastrukturen gegenüber Cyberangriffen und relevanten Naturgefahren stillschweigend ab. Zuvor hatte die einstimmige UREK-SR wie auch der Bundesrat dafür plädiert, die Motion abzulehnen. Kommissionssprecher Martin Schmid (fdp, GR) erklärte in der kleinen Kammer, weder der Bundesrat noch die ständerätliche Kommission stellten das Ziel der Motionärin infrage, sie sähen jedoch den gesetzgeberischen Handlungsbedarf nicht mehr gegeben. So seien beispielsweise mit der nationalen Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen 2018–2022 oder mit dem revidierten Energiegesetz, das erst nach Einreichen dieses Vorstosses in Kraft getreten sei und das einige Anpassungen in den Bereichen Datensicherheit erfahren habe, bereits ausreichende Massnahmen erarbeitet worden, um den Schutz dieser wichtigen Infrastrukturen vor Cyberangriffen zu verbessern, erklärte Schmid im Plenum.

Verpflichtender Grundschutz für kritische Strominfrastrukturen (Mo. 17.3496)
Dossier: Schutz kritischer Infrastrukturen

Die Motion Graf-Litscher (sp, TG) für ein Nein zur doppelten Strafe für Berufsfahrer und Berufsfahrerinnen beziehungsweise für eine Anpassung des Strassenverkehrsgesetzes und der Verkehrszulassungsverordnung und für die Möglichkeit, Sanktionen gegen Berufsfahrerinnen und Berufsfahrer stärker zu differenzieren, kam im Dezember vor den Zweitrat. Sie wurde vom Ständerat gemeinsam mit der inhaltlich sehr ähnlichen Motion Giezendanner (svp, AG; Mo. 17.3590) behandelt. Die KVF-SR hatte ihrem Rat die Annahme der Motion Graf-Litscher und die Ablehnung der Motion Giezendanner empfohlen. Die Kommissionsmehrheit lehnte die Motion Giezendanner ab, weil sie keinen Unterschied mache bezüglich der Schwere einer Verkehrsregelverletzung, für welche ein differenzierter Führerausweisentzug zu erwägen sei. Dies gehe eindeutig zu weit, erklärte die Kommission, man wolle «ausdrücklich nicht an den Grundpfeilern von Via sicura» rütteln. Eine Kommissionsminderheit Wicki (fdp, NW) beantragte hingegen auch die Annahme der Motion Giezendanner.
Bundesrätin Sommaruga schloss sich der Einschätzung der Kommission an und bat den Rat, sofern er bei Führerausweisentzügen stärker differenzieren wolle, die Motion Graf-Litscher anzunehmen und die Motion Giezendanner abzulehnen. Die Ratsmitglieder folgten dieser Empfehlung knapp: Die Motion Graf-Litscher wurde ohne Gegenstimmen angenommen und die Motion Giezendanner wurde mit 22 gegen 20 Stimmen (keine Enthaltungen) abgelehnt.

Nein zur doppelten Strafe für Berufsfahrer und Berufsfahrerinnen! (Mo. 17.3520)
Dossier: Wie soll mit Raserdelikten umgegangen werden?

Nach der Konstituierung und Vereidigung des Nationalrats, schritt dieser – noch einmal geleitet von der Alterspräsidentin Maya Graf (gp, BL) – zur Wahl des Nationalratspräsidiums 2019/20. Die amtierende erste Vizepräsidentin, Isabelle Moret (fdp, VD), wurde erwartungsgemäss als Präsidentin bestimmt. Von den 200 ausgeteilten Wahlzetteln waren 2 ungültig und 5 entfielen auf Diverse. Mit 193 Stimmen gelang der 14. Frau im Präsidentenamt ein Rekordresultat. Damit wurde zum 19. Mal eine Volksvertretung aus dem Kanton Waadt ins oberste Schweizer Amt gewählt.
Moret dankte in ihrer Rede ihrer Vorgängerin Marina Carobbio Guscetti (sp, TI), die die Repräsentation der Frauen in der Politik immer wieder thematisiert habe – mit Freude nehme sie auch die Zahl der Frauen im Saal zur Kenntnis. Es sei Moret auch hinsichtlich der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum der Einführung des Frauenstimmrechts ein Anliegen, die Bemühungen ihrer Ratskollegin weiterzuführen. Das neue Parlament habe die Chance, wichtige Themen anzupacken: So etwa die Familien- und Gleichstellungspolitik, die Reform der Sozialversicherungen, die Umweltpolitik, aber auch die Gesundheitspolitik, momentan eine der grössten Sorgen der Schweizerinnen und Schweizer. Mit ihrem Ausruf «Vive la Suisse! Es lebe die Schweiz! Viva la Svizzera! Viva la Svizra!» erntete die neue Präsidentin Applaus. Bevor sie zur Wahl des ersten Vizepräsidenten überleitete, verwies Moret auf den Umstand, dass das Parlament nicht nur noch nie so weiblich, sondern auch noch nie so jung gewesen sei. Als Zeichen, wie wichtig die Jugend sei, liess Moret die olympische Flamme der Jugend-Winterspiele, die im Januar 2020 im Kanton Waadt stattfinden werden, in den Saal tragen. Dies solle ein Ansporn für die Schweizer Jugend sein, über sich selbst hinauszuwachsen.
Zum ersten Vizepräsidenten wurde im Anschluss Andreas Aebi (svp, BE) gewählt. Für dieses Amt wäre eigentlich Heinz Brand (svp, GR) vorgesehen gewesen. Der Bündner, der im November 2018 zum ersten Vizepräsidenten gekürt worden war, war allerdings bei den eidgenössischen Wahlen nicht wiedergewählt worden. Aebi, der 2018 innerhalb der SVP neben Brand ebenfalls als Kandidat für das Amt gehandelt worden war und jetzt zum Handkuss kam, erhielt 178 Stimmen. Von den ausgeteilten Wahlzetteln blieben 9 leer und auf 13 standen andere Namen als jener des Berner SVP-Mitglieds.
In der Folge wurde Irène Kälin (gp, AG) zur zweiten Vizepräsidentin bestimmt. Die Aargauerin erhielt vergleichsweise wenige 112 Stimmen. Von den 195 eingelangten Wahlzetteln blieben 23 leer und 3 waren ungültig. Andere Personen erhielten 57 Stimmen, darunter Regula Rytz (gp, BE; 23 Stimmen) und Bastien Girod (gp, ZH; 11 Stimmen). Das magere Resultat dürfte – neben der Parteizugehörigkeit der neuen zweiten Vizepräsidentin – auch damit zusammenhängen, dass Kälin erst seit 2017 im Nationalrat sass. Kälin war von der Fraktion der grünen Partei Ende November 2019 nominiert worden.
Die vier Stimmenzählenden und die vier Ersatzstimmenzählenden wurden in globo gewählt. Auch hier zeigten sich aufgrund der Stimmenzahl einige ideologische Animositäten, alle acht wurden aber letztlich deutlich gewählt. Zu Stimmenzählerinnen und -zählern wurden Edith Graf-Litscher (sp, TG; 193 Stimmen), Roland Rino Büchel (svp, SG; 194 Stimmen), Daniel Brélaz (gp, VD; 179 Stimmen) und Benjamin Roduit (cvp, VS; 187 Stimmen) gewählt. Die vier sind damit Mitglieder des Büro-NR und sitzen dem Ratsplenum gegenüber, mit der Präsidentin im Rücken. Am gleichen Ort sitzen die Ersatzstimmenzählerinnen und -zähler, die aber nicht Mitglieder des Büros sind: Yvette Estermann (svp, LU; 191 Stimmen), Pierre-Alain Fridez (sp, JU; 193 Stimmen), Gerhard Andrey (gp, FR; 192 Stimmen) und Philipp Kutter (cvp, ZH; 190 Stimmen).

Wahl des Nationalratspräsidiums 2019/20
Dossier: Nationalrat und Ständerat. Wahl des Präsidiums und des Büros