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  • Guldimann, Tim (sp/ps, ZH) NR/CN
  • Jositsch, Daniel (sp/ps, ZH) SR/CE

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Der Nationalrat hatte die Motion Stamm (svp, AG) zur Verbesserung der Kooperation bezüglich des Vollzugs von Freiheitsstrafen im Herkunftsland in der Frühjahrssession 2019 stillschweigend angenommen.
Erst in der Wintersession 2020 beschäftigte sich schliesslich der Ständerat mit der Motion. Die RK-SR hatte sich im Vorfeld der Session gegen die Motion ausgesprochen, da die Schweiz ohnehin bereits bestrebt sei, die Zusammenarbeit mit Staaten wie etwa Italien, Albanien und Bosnien Herzegowina zu verbessern, indem man diese zur Ratifikation des Zusatprotokolls zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen bewege. Die Kommission konnte daher keinen zusätzlichen Gesetzgebungsbedarf erkennen, wie ihr Sprecher Daniel Jositsch (sp, ZH) dem Rat im Plenum mitteilte. Die anwesende Bundesrätin Karin Keller-Sutter merkte an, dass der Bundesrat die Motion in ihrer Stossrichtung unterstütze, er sie aber eigentlich als bereits umgesetzt erachte. Man arbeite so oder so daran, möglichst viele Überstellungen durchzuführen, weshalb der Bundesrat nichts dagegen hätte, wenn die Motion abgelehnt werden würde. Der Ständerat liess sich nicht zweimal bitten und verwarf die Motion mit 29 zu 7 Stimmen deutlich.

Strafvollzug im Ausland. Verstärkung der Kooperation mit umliengeden Ländern (Mo. 18.4369)

In ihrem Bericht vom 17. November 2020 beantragte die GPK-SR, an die das Postulat von Daniel Jositsch (sp, ZH) für eine Überprüfung von Struktur, Organisation, Zuständigkeit und Überwachung der Bundesanwaltschaft zur Vorprüfung überwiesen worden war, lediglich einen Teil des Postulats anzunehmen. Abzulehnen sei Ziffer 1 des Postulats, die eine Überprüfung der Zweckmässigkeit der Struktur und der Organisation der Bundesanwaltschaft forderte. Diese Überprüfung werde durch die laufende GPK-Untersuchung bereits vorgenommen. Aus dem gleichen Grund sei auch Ziffer 3 des Postulats abzulehnen: Auch die Überprüfung, ob die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) den an sie gestellten Anforderungen genüge, sei Gegenstand der GPK-Untersuchung. Zur Annahme empfahl die GPK-SR allerdings Ziffer 2 des Postulats: Der Bundesrat solle klären, ob die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen im Bereich der Strafverfolgung nach zahlreichen Partialrevisionen noch zweckmässig sei. Teilweise bestünde Rechtsunsicherheit, weil die Zuständigkeiten nicht immer klar seien, begründete die GPK-SR ihre Empfehlung.
In der Ratsdebatte während der Wintersession 2020 führte Daniel Jositsch aus, dass er sein Postulat «vor allem auch im Zusammenhang mit der Diskussion um die Person des Bundesanwalts eingereicht» habe. Das Problem sei aber nicht der mittlerweile zurückgetretene Michael Lauber, vielmehr gebe es in der Bundesanwaltschaft strukturelle Probleme, die nicht durch das Ersetzen von Köpfen gelöst werden könnten. Er unterstütze aber den Antrag der GPK-SR, weil die Ziffern 1 und 3 seines Postulats bereits in Abklärung seien. Zu Wort kam auch der Präsident der AB-BA, Hanspeter Uster. Er begrüsse eine Evaluation der Aufsichtsbehörde und unterstütze auch eine Evaluation der Kompetenzaufteilung gemäss Ziffer 2 des Postulats. Schliesslich äusserte sich auch Justizministerin Karin Keller-Sutter. Sie begrüsse es, dass in dieser Frage eng mit den Kantonen zusammengearbeitet werden könne. Sie plane zudem den Einsatz einer Arbeitsgruppe. In der Folge wurde Ziffer 2 des Postulats stillschweigend überwiesen.

Bundesanwaltschaft - Überprüfung von Struktur, Organisation, Zuständigkeit und Überwachung (Po. 19.3570)
Dossier: Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA)

Gerade einmal 20 Tage vergingen zwischen der Einreichung der parlamentarischen Initiative der SPK-NR für die Ermöglichung der Teilnahme an Abstimmungen in Abwesenheit – wenigstens für Nationalratsmitglieder – und der Annahme ihrer Umsetzung in beiden Räten. Die SPK-SR hatte beim neuerlichen Vorstoss der Schwesterkommission (nach der gescheiterten Pa.Iv. 20.475) – wohl auch aufgrund der wieder ansteigenden Covid-19-Fallzahlen – ein Einsehen und gab dem Ansinnen Ende November mit 8 zu 4 Stimmen Folge.
Nur einen Tag später – am zweiten Tag der Wintersession 2020 – unterbreitete die SPK-NR dann ihrem Rat eine dringliche bis Ende der Herbstsession 2021 befristete Revision des Parlamentsgesetzes. Ziel sei es, die Vorlage rasch durch die Räte zu bringen und ein Differenzbereinigungsverfahren zu verhindern, damit die Möglichkeit einer Teilnahme bei Abstimmungen für von Covid-19 betroffene Nationalratsmitglieder von ausserhalb des Nationalratssaals zumindest für die dritte Sessionswoche gegeben sei. Die Mehrheit der Kommission begründete das Ansinnen damit, dass es zu einer Verzerrung der Abstimmungen kommen könnte, wenn zu viele Ratsmitglieder aufgrund von vorgeschriebener Isolation oder Quarantäne in Folge einer Covid-19-Erkrankung abwesend wären und dies etwas eine Fraktion stärker als eine andere betreffen würde. Ein erneuter Abbruch der Session müsse verhindert werden.
Das Gesetz gelte nur für den Nationalrat, weil dort Proportionalität wichtiger sei als im Ständerat, führte Kommissionssprecherin Marianne Binder-Keller (cvp, AG) in der Nationalratsdebatte aus. Sie betonte, dass lediglich von Covid-19 betroffene Nationalratsmitglieder das Recht erhalten sollen, ihre Stimme in Abwesenheit abgeben zu können. Dies gelte zudem lediglich für Abstimmungen, nicht aber für Voten im Rat, das Einreichen von Vorstössen oder die Teilnahme bei Wahlen. Gäbe es technische Schwierigkeiten, würden deshalb keine Abstimmungen wiederholt. Eine Kommissionsminderheit beantragte Nicht-Eintreten. Ihr Sprecher Gregor Rutz (svp, ZH) fragte sich, ob man auf dem Weg zum «Pyjama-Parlament» sei. Man müsse in der jetzigen Situation «ruhig Blut bewahren» und dürfe diese «unausgegorene, widersprüchliche und verfassungswidrige» Vorlage nicht «überschnell» einführen. Parlamentarische Arbeit sei nicht einfach Abstimmen, sondern beinhalte Willensbildung, die nur vor Ort geschehen könne. Man könnte ansonsten ja auch einfach Fragebogen an die Parlamentsmitglieder verschicken, was eine Menge an Kommissionsarbeit sparen würde. Zudem werde der Grundsatz des Zweikammersystems verletzt, wenn das Gesetz nur für die grosse Kammer gelte. Wenn nur an Covid-19 Erkrankte vom Recht Gebrauch machen dürften, sei darüber hinaus die Gleichbehandlung verletzt. Er sehe nicht ein, weshalb jemand mit einer «normalen Grippe» oder einem «Beinbruch» nicht auch von zu Hause aus abstimmen dürfe. Wenn es wirklich so weit kommen würde, dass eine erhebliche Anzahl an Nationalrätinnen und Nationalräten nicht mehr an der Session teilnehmen könnte – «was wir nicht glauben» –, dann müsste man die Session, wie von Verfassung und Gesetz vorgesehen, abbrechen. «Die Schweiz würde nicht untergehen, wenn wir mal eine Woche nicht tagen würden». Auf diese «Bastelarbeit» dürfe aber nicht eingetreten werden, so Rutz.
Nachdem alle anderen Fraktionen für Eintreten plädiert hatten – es herrschte Konsens, dass das Parlament seine Verantwortung auch in einer Krisensituation wahrnehmen können müsse, auch wenn es sich bei der Vorlage nicht um eine perfekte Lösung handle –, wurde mit 125 zu 61 Stimmen (3 Enthaltungen) Eintreten beschlossen. Zur geschlossen stimmenden SVP-Fraktion gesellten sich acht Mitglieder der FDP- und zwei Mitglieder der Mitte-Fraktion, die ebenfalls gegen Eintreten stimmten. Ohne weitere Diskussion nahm dann eine Mehrheit von 123 gegen 62 Stimmen (5 Enthaltungen) den Entwurf an, der damit an den Ständerat ging.

Dort sprach Kommissionssprecher Andrea Caroni (fdp, AR) zwei Tage später von einem «historischen» Projekt, da zum ersten Mal seit 1848 die Grundlage für Abstimmungen ohne Anwesenheit im Parlamentsgebäude geschaffen werde. Die Vorlage sehe allerdings einzig vor, den Abstimmungsknopf zuhause am Computer über einen gesicherten Link statt vor Ort zu drücken. Eine Kommissionsminderheit brachte zahlreiche staatspolitische und institutionelle Bedenken vor, wie sie zuvor bereits im Nationalrat zu vernehmen gewesen waren. Lisa Mazzone (gp, GE) argumentierte hingegen mit «respect institutionnel». Sie sei ebenfalls unzufrieden mit der Vorlage, wolle aber dem Nationalrat nicht im Wege stehen und die Vorlage in Anbetracht ihrer Befristung gutheissen. Man könne sich ja auch der Stimme enthalten und den Nationalrat machen lassen, ergänzte Philippe Bauer (fdp, NE). In der Folge entbrannte in der kleinen Kammer eine lebhafte und recht ausführliche Diskussion darüber, ob man dem Schwesterrat eine Sonderregelung zugestehen solle, wie sich Daniel Jositsch (sp, ZH) ausdrückte, oder ob mit einer solchen Regelung leichtfertig oder gar fast fahrlässig Gesetze beschlossen werden könnten, wie dies Hannes Germann (svp, SH) befürchtete. Schliesslich schien die Meinung zu überwiegen, dass der Nationalrat das Recht haben soll, die Möglichkeit für Abstimmen in Abwesenheit in dieser aussergewöhnlichen Situation für sich selbst zu schaffen. Mit 27 zu 13 Stimmen bei 4 Enthaltungen hiess entsprechend auch der Ständerat die Vorlage gut.

Damit konnten in einem nächsten Schritt beide Kammern über die Dringlichkeitsklausel abstimmen. Im Nationalrat wurde diese mit 130 zu 35 Stimmen (4 Enthaltungen) und im Ständerat mit 29 zu 11 Stimmen (3 Enthaltungen) angenommen. Damit stand den Schlussabstimmungen, die Mitte der Wintersession durchgeführt wurden, nichts mehr im Wege. Mit 125 zu 65 Stimmen (4 Enthaltungen) nahm die grosse Kammer die Teilnahme in Abwesenheit für an Covid-19 erkrankte Nationalratsmitglieder an. Die kleine Kammer hiess die Vorlage mit 25 zu 7 Stimmen (3 Enthaltungen) gut.

Teilnahme an Abstimmungen in Abwesenheit - wenigstens für Nationalratsmitglieder (Pa.Iv. 20.483)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Im Dezember 2020 legte der Bundesrat in Erfüllung des Postulats Jositsch (sp, ZH) den Bericht zur Demokratisierung der Vereinten Nationen vor, der insbesondere der Frage nachging, ob innerhalb der UNO ein Demokratidefizit vorliege und wie ein solches vermindert werden könnte. Des Weiteren hatte Ständerat Jositsch den Bundesrat damit beauftragt zu prüfen, ob die Schaffung einer parlamentarischen UNO-Versammlung zur Vertretung der Bevölkerung ein zweckmässiges Modell zur Problemlösung darstellen würde.
Der Bericht untersuchte ein mögliches Demokratiedefizit unter verschiedenen Gesichtspunkten und kam zum Schluss, dass auf Basis des bewussten Verzichts auf die Demokratieanforderung der Regierungsform von Mitgliedstaaten, auch nicht-demokratische Staaten haben Zugang zur UNO, und die hohe Inklusivität und Transparenz der UNO kein Demokratiedefizit erkennbar sei. Damit erübrige sich auch die Frage nach Massnahmen zur Behebung eines solchen. Der Bundesrat sei aber der Auffassung, dass es hinsichtlich der Struktur und Arbeitsweise der UNO Reformbedarf gebe. UNO-Generalsekretär António Guterres habe 2017 eine umfassende Reformagenda verabschiedet, an deren Prozessen sich auch die Schweiz beteilige. Die Idee einer parlamentarischen Versammlung der UNO, analog zum schweizerischen Zweikammersystem, brächte gemäss Bericht Vorteile, aber auch Herausforderungen mit sich. Eine solche Versammlung würde zwar zu einem verbesserten politischen Dialog, einer Sensibilisierung für globale Probleme und einer engeren Kontrolle der internationalen Arbeit führen, jedoch wären grosse institutionelle Anpassungen notwendig. Primär müsste die UNO-Charta, je nach Kompetenzbereich dieser Kammer, geändert werden. Die Schaffung einer zweiten Kammer würde die UNO-Generalversammlung schwächen, was nicht im Interesse der Schweiz wäre, die als kleines Land ein überproportional gewichtetes Mitspracherecht geniesse. Auch die Wahl der Mitglieder, deren Anzahl und die Finanzierung dieser Kammer seien potenzielle Streitfragen, weshalb die praktische Umsetzung einer solchen Idee sehr ambitioniert wäre.

Démocratisation des Nations Unies

In der Wintersession 2020 nahm sich der Ständerat der Übernahme der Rechtsgrundlagen über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des SIS an, nachdem der Nationalrat diese abgelehnt hatte, was einem Nichteintreten gleichkam. Die Sprecherin der SIK-SR, Andrea Gmür-Schönenberger (cvp, LU), fasste zu Beginn der Diskussion die Ablehnungsgründe des Nationalrats zusammen. Dieser habe bemängelt, dass EU-Recht übernommen werden müsse und dass das Ausländerrecht verschärft würde. Ständerätin Gmür-Schönenberger machte diesbezüglich aber klar, dass die Schweiz als Schengen-Staat zur Übernahme verpflichtet sei und eine mangelhafte Umsetzung zum Ausschluss aus dem Schengen/Dublin-Verband führen könne. Die SIK-SR anerkenne die wichtige Rolle der SIS bei der Kontrolle der Schengen-Aussengrenzen und befürworte daher die verstärkte Zusammenarbeit der europäischen Sicherheits- und Migrationsbehörden. Dennoch habe die Kommission drei Änderungsanträge eingebracht: die Richtlinie soll nicht auf die Anordnung und den Vollzug der Landesverweisung angewendet werden; es sollen Ausnahmen bei der Lieferung von biometrischen Daten möglich sein und durch zusätzliche Bestimmungen soll die Aufsichtsfunktion des EDÖB und die Zusammenarbeit mit kantonalen und europäischen Stellen verbessert werden. Werner Salzmann (svp, BE) zeigte sich zufrieden damit, dass die Schweiz es sich explizit vorbehalte, kriminelle Drittstaatsangehörige in «souveräner Art und Weise auszuschaffen», unabhängig von der Entwicklung der EU-Rückführungsrichtlinie. Für Salzmann habe die Vorlage mit dieser Änderung gute Chancen im Nationalrat. Auch Daniel Jositsch (sp, ZH) war zuversichtlich, dass der Nationalrat aufgrund der Anpassungen hinsichtlich der Koordination im Bereich des Datenschutzes keinen Widerstand mehr leisten würde. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte, dass das SIS an die neuen Herausforderungen in den Bereichen Migration und innere Sicherheit angepasst werden soll. Eine verstärkte europäische Zusammenarbeit sei notwendig, was nicht zuletzt die Terroranschläge in Paris 2015 gezeigt hätten. Mit der Zustimmung zu den Verpflichtungskrediten zur Weiterentwicklung des Schengen/Dublin-Besitzstandes habe das Parlament bereits die finanziellen Grundlagen für das Projekt geschaffen. Sie verdeutlichte aber auch, dass man aus dem Schengen-Verbund ausscheiden würde, wenn die gesetzlichen Anpassungen nicht vorgenommen würden. Daher bat sie die Räte darum, das Differenzbereinigungsverfahren und die Schlussabstimmung bereits in der laufenden Wintersession durchzuführen. Der Ständerat nahm die Änderung des BGIAA mit 40 Stimmen (bei 1 Enthaltung) ohne Gegenstimmen an. Auch die Übernahme der Rechtsgrundlagen für die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des SIS wurde inklusive der drei genannten Änderungen mit 41 Stimmen (bei 1 Enthaltung) angenommen. Abgelehnt wurde – mit 31 zu 11 Stimmen – hingegen ein Antrag der Minderheit Vara (gp, NE), die eine Bestimmung streichen lassen wollte, wonach das SEM Einreiseverbote verfügen kann, wenn die gesuchstellende Person vorgängig Sozialkosten verursacht hat, auch wenn diese Sozialleistungen berechtigterweise beantragt worden waren. Kommissionssprecherin Gmür-Schönenberger relativierte, dass diese Kann-Bestimmung bereits bestehe und nicht durch die vorliegende Vorlage verändert werde.

Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes: Schengener Informationssystem

Nach dem Rücktritt von Michael Lauber hatte die GK die Aufgabe, die Wahl einer neuen Bundesanwältin oder eines neuen Bundesanwalts zu organisieren. Die Kommission setzte sich einen ambitionierten Fahrplan: Bereits in der Wintersession 2020 sollte die Wahl einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers durch die Vereinigte Bundesversammlung vorgenommen werden. In der Zwischenzeit übernahmen die beiden Stellvertreter Ruedi Montanari und Jacques Rayroud die Leitung der Bundesanwaltschaft interimistisch.

Schon früh wurden in der Presse zahlreiche Namen potentieller Nachfolgerinnen und Nachfolger kolportiert. Die NZZ bezeichnete schon kurz nach der Rücktrittsankündigung Laubers den amtierenden Staatsanwalt des Kantons Zürich, Peter Pellegrini, als Kronfavoriten. Die Aargauer Zeitung nannte die Namen der Staatsanwälte des Kantons Basel-Stadt – Alberto Fabbri – und des Kantons Bern – Michel-André Fels. Rasch wurden aber auch Forderungen laut, eine Frau und jemanden aus der Romandie zu berücksichtigen, zumal es bisher mit Carla del Ponte erst eine Bundesanwältin gegeben habe (von 1994 bis 1998) und auch die Romandie bisher eher untervertreten gewesen sei. Beide Forderungen erfüllte Maria-Antonella Bino. Die aus Genf stammende und bis 2013 als stellvertretende Bundesanwältin amtende Bino erhielt rasch mediale Aufmerksamkeit und Unterstützung von GK-Mitglied Christian Lüscher (fdp, GE). Aber auch Gaëlle van Hove, Richterin am Genfer Strafgericht, wurde als mögliche Westschweizer Frauenkandidatur gehandelt. Kathrin Bertschy (glp, BE), ebenfalls Mitglied der GK, forderte im Tages-Anzeiger mindestens gleich viele Kandidatinnen wie Kandidaten. Sie nannte verschiedene mögliche Kandidatinnen, allesamt aktuelle Staatsanwältinnen: Gabriela Mutti, Franziska Müller, Barbara Loppacher oder Sara Schödler hätten sich einen Namen gemacht, zitierte der Tages-Anzeiger die Berner GLP-Nationalrätin. Die Aargauer Zeitung konzentrierte sich hingegen auf die Mindervertretung der Romandie und präsentierte neben Bino und van Hove gleich sechs weitere Namen aus der Westschweiz: Olivier Jornot, Yves Bertossa, Stéphane Grodecki, Eric Cottier, Fabien Gasser und Juliette Noto.
Im Rahmen der medialen Diskussionen um das Kandidatinnen- und Kandidatenkarussell wurden auch mögliche Reformen der Bundesanwaltschaft diskutiert. Die SP reichte eine parlamentarische Initiative ein, mit der die eidgenössische Strafverfolgung effizienter organisiert werden soll. In Diskussion war auch ein Postulat von Daniel Jositsch (sp, ZH), das eine Analyse der Strukturen forderte, sowie eine Untersuchung der GPK zum Verhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und deren Aufsichtsbehörde (AB-BA).

Wahl eines neuen Bundesanwalts
Dossier: Wahlen des Bundesanwalts
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Einstimmig hiess in der Herbstsession 2020 auch der Ständerat die aus der StPO-Revision ausgegliederten Bestimmungen zur Sicherheitshaft gut. Damit werde eine Gesetzeslücke geschlossen, die der Schweiz bereits eine Verurteilung durch den EGMR eingebracht habe, wie Kommissionssprecher Daniel Jositsch (sp, ZH) dem Ratsplenum erklärte. Das Problem sei, so Justizministerin Karin Keller-Sutter, dass zwischen dem Ablauf einer freiheitsentziehenden Massnahme und dem Entscheid über deren Verlängerung oder Ersatz eine gewisse Zeit verstreichen könne, weil dazu ein Gutachten eingeholt werden müsse. Wenn von der betroffenen Person eine Gefahr für Dritte ausgehe, sei es tatsächlich oft nötig, die Person bis zum Entscheid in Gewahrsam zu behalten, wofür die geltende StPO jedoch keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage biete. Die Kantone hätten den Bund gebeten, diese Lücke möglichst rasch zu schliessen, weil sie im Nachgang des EGMR-Urteils befürchteten, im schlimmsten Fall eine gefährliche Person in die Freiheit entlassen zu müssen. In den Schlussabstimmungen nahmen beide Räte die Änderung einstimmig an.

Änderung der Strafprozessordnung (BRG 19.048)
Dossier: Revision der Strafprozessordnung (Umsetzung der Mo. 14.3383)

Nachdem beide Räte den Bundesbeschluss über die Genehmigung und Umsetzung des Europarats-Übereinkommens zur Terrorismusverhütung und des dazugehörigen Zusatzprotokolls sowie über die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität einmal beraten hatten, wies die Vorlage noch zwei inhaltliche Differenzen auf. Die erste betraf die explizite Ausnahme der Tätigkeit humanitärer Organisationen aus dem Straftatbestand der organisierten Kriminalität, die zweite die Voraussetzungen für die dynamische Rechtshilfe.
Der Ständerat behielt in der Herbstsession 2020 zunächst beide Differenzen bei, wobei er dem Nationalrat in der Frage der Ausnahme für humanitäre Organisationen ein Stück weit entgegenkam. Die Ratsmehrheit gewichtete die Gefahr der Kriminalisierung von humanitären Aktionen höher als jene, dass die Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Organisation als humanitäre Hilfe getarnt werden könnte und folgte mit 23 zu 17 Stimmen bei einer Enthaltung einer Minderheit Juillard (cvp, JU), die das Anliegen des Nationalrats aufnahm, aber neu formulierte und das IKRK nicht mehr explizit nannte. Die vorzeitige Übermittlung von Informationen und Beweismitteln an ausländische Ermittlungsbehörden (sogenannte dynamische Rechtshilfe) wollte die Ständekammer im Gegensatz zum Nationalrat aber nicht generell, wenn die ausländischen Ermittlungen sonst unverhältnismässig erschwert würden, sondern nur zur Abwendung schwerer und unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben sowie nur nach schriftlicher Verpflichtung der ausländischen Behörden, sich an die Einschränkungen zur Verwendung der übermittelten Informationen zu halten, erlauben. Damit liess der Ständerat seine Kommissionsmehrheit mit 23 zu 19 Stimmen und einer Enthaltung auch hier im Regen stehen und hielt an seinem letzten Beschluss fest, wie es eine Minderheit Zopfi (gp, GL) beantragt hatte.
Der Nationalrat konnte mit der Version des Ständerates indes wenig anfangen und entschied mit 111 zu 75 Stimmen bei 9 Enthaltungen, an seiner Ausnahmenorm für humanitäre Organisationen, die das IKRK beispielhaft erwähnt, festzuhalten. Bundesrätin Karin Keller-Sutter hatte sich abermals für die gänzliche Streichung der Bestimmung ausgesprochen und gewarnt, die explizite Ausnahme humanitärer Organisationen könnte ungewollt zur Straflosigkeit führen – etwa wenn ein Fahrer einer humanitären Organisation nicht nur Personen transportiere, sondern auch Waffen für eine Konfliktpartei schmuggle –, blieb damit jedoch Ruferin in der Wüste. Allerdings bewegte sich die grosse Kammer bei der zweiten Differenz etwas auf ihre Schwesterkammer zu, indem sie die dynamische Rechtshilfe auf Fälle von organisierter Kriminalität oder Terrorismus beschränkte. Die darüber hinausgehenden Einschränkungen des Ständerates waren indes gar nicht zur Diskussion gestanden; der Kompromissvorschlag der Kommissionsmehrheit setzte sich mit 140 zu 55 Stimmen gegen eine Minderheit Addor (svp, VS) durch, die beim Entwurf des Bundesrats bleiben wollte. Justizministerin Keller-Sutter erklärte ihre Unterstützung für die Mehrheit «im Sinne der Differenzbereinigung», bedauerte aber, dass die dynamische Rechtshilfe damit in wichtigen Kriminalitätsfeldern wie Drogenhandel, Geldwäscherei und bei Sexualdelikten ausgeschlossen sei.
Da sich die beiden Räte nun in beiden Streitpunkten einen Schritt näher gekommen waren, unterstützte die SiK-SR die vorliegende «Einigungsversion», wie Kommissionssprecher Daniel Jositsch (sp, ZH) erklärte. Sie beantragte ihrem Rat, beide Differenzen auszuräumen, was dieser dann auch stillschweigend tat. In den Schlussabstimmungen wurde der Bundesbeschluss vom Nationalrat mit 128 zu 34 Stimmen bei 34 Enthaltungen und vom Ständerat mit 37 zu 5 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen. Die Fraktionen der SP und der Grünen vertraten damit auch hier konsequent ihren bereits in der Eintretensdebatte geäusserten Standpunkt, für die Einführung des Gesinnungsstrafrechts, die ihrer Ansicht nach mit dem Verbot des Anwerbens, Ausbildens und Reisens im Hinblick auf eine terroristische Straftat erfolge, nicht Hand zu bieten.

Terrorismus und organisierte Kriminalität: Übereinkommen des Europarates und Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums (BRG 18.071)
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung
Dossier: Internationale polizeiliche Zusammenarbeit
Dossier: Übereinkommen des Europarates zur Verhütung des Terrorismus / Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen organisierte Kriminalität

Im Zentrum eines von Daniel Jositsch (sp, ZH) im Juni 2020 eingereichten Postulats stand die Förderung des Berufspraktikums für arbeitslose Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger zur Bewältigung der Corona-Krise. Das Berufspraktikum sei als arbeitsmarktliche Massnahme der ALV ein geeignetes Instrument, um «Berufserfahrung zu sammeln, berufliche Kenntnisse zu vertiefen und das persönliche Netzwerk zu vergrössern», so Jositsch. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats; eine zusätzliche Unterstützung der Berufspraktika sei nicht nötig, diese würden bereits heute gefördert. Des Weiteren bestehe derzeit aufgrund der Corona-Krise die Möglichkeit, dass Lernende nach Lehrabschluss in ihrem Lehrbetrieb weiterbeschäftigt werden können, auch wenn sich der Betrieb in Kurzarbeit befinde.
Der Ständerat entschied sich in der Herbstsession 2020 äusserst knapp, bei 21 zu 21 Stimmen mit Stichentscheid von Präsident Stöckli (sp, BE), das Postulat anzunehmen.

Berufserfahrung von arbeitslosen Lehrabgängerinnen und Lehrabgängern in der Corona-Krise stärken (Po. 20.3480)
Dossier: Schulen und Ausbildung während Covid-19 – Reaktionen und Folgen

Die in der Regel als relativ unbestritten geltenden Gesamterneuerungswahlen des Bundesgerichts wurden 2020 zur Vorlage für eine fast epische Diskussion um die Gewaltenteilung. Den Wahlen für die Amtsperiode 2021-2026 war nämlich die medial virulent diskutierte Ankündigung der SVP vorausgegangen, Yves Donzallaz, einen der SVP angehörenden Bundesrichter, nicht wiederzuwählen.
Ursprung der Weigerung der SVP war unter anderem ein Entscheid des Bundesgerichtes im Sommer 2019, einem Amtshilfegesuch Frankreichs zuzustimmen, das die Auslieferung von Bankkundendaten verlangte. In diesem Urteil hatte besagter Donzallaz laut Blick «das Zünglein an der Waage» gespielt, zum Unverständnis seiner Partei. In der Folge stellten SVP-Politiker in den Medien offen die Frage, «ob wir Bundesrichter unserer Partei wiederwählen wollen, wenn sie in keiner Weise unser Gedankengut vertreten» – so etwa Fraktionschef Thomas Aeschi (svp, ZG) in der Sonntagszeitung. Pirmin Schwander (svp, SZ) forderte in der gleichen Zeitung gar ein Amtsenthebungsverfahren gegen den eigenen Bundesrichter. Thomas Matter (svp, ZH) wiederum kündigte in der Liberté an, dass er den Namen dieses Richters bei dessen Wiederwahl sicher nicht vergessen werde. Donzallaz war laut der Basler Zeitung bereits 2015 von der Weltwoche als «Abweichler» bezeichnet worden, weil er mitentschieden hatte, dass das Freizügigkeitsabkommen mit der EU Vorrang vor der Masseneinwanderungsinitiative der SVP habe.
Gegen die Reaktion der SVP wurde in den Medien rasch Kritik laut. Sie wurde von vielen Kommentatorinnen und Kommentatoren als Angriff auf die Unabhängigkeit der Judikative oder als Respektlosigkeit gegenüber der Gewaltenteilung verurteilt. Diskutiert wurde in der Folge auch, ob Parteipolitik überhaupt einen Einfluss auf die Rechtsprechung haben dürfe – eine Frage, die auch mit der Justizinitiative einer Antwort harrt, die im Tages-Anzeiger als «grösste Profiteurin der Querelen» bezeichnet wurde. Auch die Weltwoche kritisierte einen Angriff auf die Gewaltenteilung, allerdings aus alternativer Perspektive: Die Judikative setze sich beim Urteil über die Herausgabe der Bankkundendaten im Verbund mit der Exekutive über die Legislative und den Souverän hinweg. Zu reden gab schliesslich auch der unmittelbar nach der SVP-Kritik gefällte Entscheid des SVP-Fraktionschefs Thomas Aeschi, in der Gerichtskommission Einsitz zu nehmen. Die SVP mache «die Richterwahlen zur Chefsache», urteilte die Aargauer Zeitung.

Kurz nach der Entscheidung des Bundesgerichtes im Herbst 2019 ebbte die entsprechende Diksussion zwar wieder ab, allerdings nur um rund ein Jahr später bei der Vorbereitung der Wiederwahl der Richterinnen und Richter des Bundesgerichts wieder sehr laut zu werden. Der Sonntagsblick berichtete rund drei Wochen vor der für die Herbstsession 2020 angesetzten Wahl von mehreren Quellen, die bestätigten, dass die SVP in der vorberatenden GK beantragt habe, Yves Donzallaz nicht mehr als Vertreter der SVP zu behandeln und ihn nicht mehr zur Wiederwahl zu empfehlen. Die Kommissionsmehrheit habe jedoch nicht auf die Forderungen eingehen wollen. In der NZZ gab Donzallaz zu Protokoll, dass die SVP seit Jahren versuche, die Justiz zu instrumentalisieren. Den Versuchen, das Recht einer politischen Ideologie zu unterwerfen, müsse aber entschieden entgegengetreten werden. Er sei nicht verpflichtet, gegenüber einer Partei Entscheidungen zu rechtfertigen. Zwar sei es legitim, die Rechtsprechung zu kritisieren, nicht aber Richterinnen und Richter persönlich anzugreifen. Donzallaz berichtete auch, dass er von keinen Druckversuchen durch andere Parteien wisse. «Ganz ehrlich glaube ich, es handelt sich dabei um ein spezifisches Problem der SVP», betonte er. In der Aargauer Zeitung bestätigte ein ehemaliger SVP-Bundesrichter, der jedoch nicht namentlich genannt werden wollte, dass Druckversuche der Volkspartei schon in den 1990er Jahren vorgekommen seien. Man habe sich aber stets auf den Standpunkt gestellt, dass man nicht auf das Parteibuch vereidigt worden sei.

Einige Wellen warf auch, dass Donzallaz von seiner eigenen Partei vor dem Wahlgeschäft zu einem Hearing eingeladen wurde. Der Bundesrichter selber sprach von einer «Gewissensprüfung». Er habe während der Diskussion vor der Fraktion ausgeschlossen, dass er beim Urteilen ein Parteiprogramm anwenden könne, da er nur Verfassung und Gesetz verpflichtet sei. Für die SVP-Fraktion argumentierte hingegen Gregor Rutz (svp, ZH), dass jede Richterin und jeder Richter eine politische Grundhaltung habe, die das eigene Urteil beeinflussen würde. Der Parteienproporz sei dazu da, dies zu berücksichtigen und auszugleichen. Wenn nun aber ein Richter die Grundhaltung «seiner Partei» nicht mehr teile, dann müsse Letztere korrigierend eingreifen. Laut Tages-Anzeiger machte die SVP ihrem Richter das Angebot, aus der Partei auszutreten. Als Parteiloser würde er auch von der SVP wiedergewählt, sei ihm beschieden worden.

Die politische Kritik am Verhalten der SVP wurde in der Folge lauter. Dass die Volkspartei die Institutionen nicht mehr respektiere, müsse Konsequenzen haben, forderte CVP-Präsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) im Tages-Anzeiger. SP-Präsident Christian Levrat (sp, FR) forderte ein Nachdenken über ein neues Wahlsystem, wenn sich die SVP aus dem Konsens über einen freiwilligen Parteienproporz und die Unabhängigkeit der eigenen Richterinnen und Richter verabschiede. Diskutiert wurde etwa eine Wahl auf Lebenszeit, um Unabhängigkeit nach einer gewissen pluralistisch garantierten Wahl zu garantieren. Kritisiert wurden auch die Mandatssteuern, mit denen Richter zu stark an die eigene Partei gebunden würden. Zudem müsste auch eine Anzahl parteiloser Richter gewählt werden, vorgeschlagen etwa von einer unabhängigen Fachkommission. Freilich gab CVP-Bundesrichterin Julia Hänni im Blick zu bedenken, dass die Unabhängigkeit der Judikative in jedem System vor allem auch vom Respekt der Politik vor dieser Unabhängigkeit abhänge.

Am 9. September 2020 entschied die GK, alle wieder antretenden Bundesrichterinnen und Bundesrichter zur Wiederwahl zu empfehlen. Tags darauf gaben die Parteispitzen der CVP, FDP und SP bekannt, den eigentlich für die anstehende Herbstsession geplanten «Konkordanzgipfel», bei dem das Verfahren für die Besetzung des Bundesrats beziehungsweise die Suche nach einer neuen Zauberformel hätten diskutiert werden sollen, nicht durchführen zu wollen. Man könne mit einer Partei, welche die Institutionen geringschätze, nicht über Konkordanz diskutieren – so die Begründung. Die NZZ schlussfolgerte daraus, dass die SVP nicht nur die Unabhängigkeit der Justiz gefährde, sondern auch ihre eigene Position – auf dem Spiel stünden gar die eigenen Bundesratssitze. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi wehrte sich gegen den Vorwurf, die Partei halte nichts von der Gewaltentrennung. Bei den Gesprächen mit Donzallaz habe sich gezeigt, dass dieser die Werte der SVP nicht mehr vertrete. Die Partei könne deshalb die Verantwortung für dessen Wahl nicht mittragen. Seine Weigerung, aus der Partei auszutreten, zeuge zudem von «Charakterschwäche». Über Konkordanz werde man so oder so wieder reden; die Absage des Gipfels sei wohl eher dem Umstand geschuldet, dass man dafür keinen geeigneten Termin gefunden habe.

Noch mehr Öl ins Feuer goss dann die SP mit der Forderung, die Richterwahlen zu verschieben. Fraktionschef Roger Nordmann (sp, VD) wollte einen entsprechenden Ordnungsantrag einreichen. Es sei vor der Wahl abzuklären, wie unabhängig die Richterinnen und Richter der SVP seien. Sollte dieser Antrag nicht durchkommen, drohte Christian Levrat im Sonntagsblick, würde er gegen die Wiederwahl aller SVP-Richterinnen und -Richter stimmen. Auch dies provozierte Kritik: So äusserte sich etwa der Grüne Ständerat Matthias Zopfi (gp, GL) im Tages-Anzeiger, dass die anderen Parteien die Richterwahlen nicht noch mehr «verpolitisieren» sollten. Für GLP-Präsident Jürg Grossen (glp, BE) wäre eine kollektive Nichtwahl eine weitere Schwächung der Institution. Man habe ja kein Problem mit dem Gericht, sondern mit der SVP.

Wie so vieles in der Schweizer Politik wurde dann auch die Wahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichter parlamentarisch wesentlich weniger heiss gegessen als es im Vorfeld medial aufgekocht wurde. Freilich wurden am 23. September 2020 in der Vereinigten Bundesversammlung im Rahmen des Ordnungsantrags der SP-Fraktion nochmals die parteipolitischen Klingen gekreuzt. Daniel Jositsch (sp, ZH) führte für seine Partei aus, dass die SVP «den politischen Kampf aus dem Parlament hinaus ins Bundesgericht tragen» wolle. Die Abwahlempfehlung eines eigenen Bundesrichters werfe die Frage auf, ob andere SVP-Richterinnen und -Richter noch unabhängig urteilen würden, wenn sie eine Abwahl befürchten müssten. Die Frage nach der Unabhängigkeit der SVP-Richterinnen und -Richter müsse die GK ab sofort vor jeder Wiederwahl prüfen, weshalb die Wahlen auf die Wintersession verschoben werden sollten. Andrea Caroni (fdp, AR) fasste als Sprecher der GK das Prozedere zusammen: Weil bei keiner der 37 wieder kandidierenden Personen Hinweise auf Amtspflichtverletzung gefunden worden seien, würden auch alle zur Wiederwahl empfohlen – diese Überprüfung sei nota bene die einzige Aufgabe der GK. Alle Fraktionen hätten den Entscheid, alle Richterinnen und Richter zur Wiederwahl zu empfehlen, unterstützt – mit Ausnahme der SVP, die die Wiederwahl von Bundesrichter Yves Donzallaz nicht unterstütze. Man habe in der GK auch über eine Verschiebung der Wahl und eine Art Gewissensprüfung diskutiert, dies aber verworfen, eben gerade weil die Unabhängigkeit der Judikative geschützt werden müsse. Mit einer Verschiebung würden alle 37 Kandidierenden dem Generalverdacht ausgesetzt, «Parteisoldaten» zu sein. Andererseits sei kaum zu erwarten, dass sich aufgrund einer Gewissensprüfung jemand als «fremdgesteuerten Parteisoldat» bezeichnen werde.
In der Folge legte Thomas Aeschi für die SVP auch im Parlament noch einmal dar, weshalb sie ihren Bundesrichter nicht zur Wiederwahl empfehlen könne. «Nicht die SVP politisiert die Justiz; die Justiz hat begonnen zu politisieren», führte der Fraktionschef aus. Da dürfe es nicht verwundern, dass die Zusammensetzung des Bundesgerichtes zum Thema werde. Man befürchte insbesondere, dass EU-Recht über Schweizer Recht gestellt werde, wogegen sich die SVP vehement wehre. Wenn nun aber ein eigener Richter die Werthaltungen seiner Partei nicht mehr teile, dann könne die SVP die Verantwortung für ihn nicht mehr tragen. «Wenn Sie, die anderen Fraktionen, Yves Donzallaz wiederwählen, sind Sie verantwortlich für sein künftiges richterliches Wirken: Dann ist er Ihr Richter, dann ist es Ihre Verantwortung», so Aeschi zum Schluss.

In der Folge wurde der Ordnungsantrag der SP-Fraktion mit 42 zu 190 Stimmen (6 Enthaltungen) abgelehnt – Zustimmung fand er ausschliesslich bei den Mitgliedern der SP-Fraktion. Anschliessend wurden alle 37 Kandidierenden wiedergewählt. Da auf den Wahlzetteln alle 37 Namen standen und lediglich gestrichen werden konnten, interessierten natürlich die individuellen Resultate. Am wenigsten von den 239 möglichen Stimmen erhielt wie erwartet Yves Donzallaz. Seine 177 Stimmen lagen aber klar über den nötigen 120 (absolutes Mehr). Die restlichen Kandidierenden erhielten zwischen 197 (Andreas Zünd, SP) und 236 Stimmen (Luca Marazzi, FDP; Thomas Stadelmann, CVP).
Auch die zur Wiederwahl stehenden 12 nebenamtlichen Bundesrichterinnen und -richter schafften die erneute Wahl problemlos (mit zwischen 220 und 236 von 240 möglichen Stimmen). Für den zurücktretenden Ulrich Meyer (SP) wurde Christoph Hurni (GLP) zum ordentlichen Richter gewählt (mit 232 von 241 Stimmen; 9 Wahlzettel blieben leer). Und schliesslich barg auch die Ergänzungswahl von sechs nebenamtlichen Richterinnen und Richtern keine Überraschungen mehr. Auch hier erhielten alle mehr als 200 von 239 möglichen Stimmen.

Freilich – so schloss die NZZ bereits am Tag vor der Wahl – stand das Schweizer Justizsystem bei diesen Wiederwahlen auf dem Prüfstand, auch wenn der Wahltag selbst ohne Überraschung endete. Eine Justizreform sei unumgänglich, folgerte auch der Tages-Anzeiger. Der Angriff der SVP sei zwar gescheitert und ein «Psychodrama» sei verhindert worden – so auch Le Temps, Tribune de Genève und Liberté –, die Justiz stehe nun aber unter Spannung. Dafür, dass die Diskussionen um die Wahl von Richterinnen und Richtern nicht versandet, wird auf jeden Fall die Justiz-Initiative sorgen.

Bundesgericht. Gesamterneuerungswahlen für die Amtsperiode 2021-2026
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative

In der Herbstsession 2020 überwies der Ständerat stillschweigend ein Postulat seiner Rechtskommission zur Einführung der Redlichkeitskultur im Schweizer Recht. Darunter wird der Ansatz verstanden, dass bei einem Vorfall – typischerweise einem Unfall oder Beinahe-Unfall in der Luftfahrt – nicht die Einzelpersonen für die Fehler bestraft, sondern die Schwachstellen in der Organisation aufgedeckt werden sollen, die kumulativ zum Ereignis geführt haben. Mit der Überweisung des Postulats erhielt der Bundesrat den Auftrag, zu prüfen, wie dieses generelle Prinzip in hochsicherheitsrelevanten Bereichen wie der Luftfahrt oder dem Gesundheitswesen verankert werden könnte. Die Kommission hatte das Postulat eingereicht, weil sie das Anliegen einer entsprechenden parlamentarischen Initiative Rutz (svp, ZH; Pa.Iv. 19.478) für unterstützungswürdig hielt, die mit der Initiative angestrebte Umsetzung jedoch als problematisch erachtete. Gemäss geltender Rechtsprechung könne eine Person, die sich mit einer Fehlermeldung selbst belaste, auf dieser Grundlage strafrechtlich verfolgt werden, erklärte Kommissionssprecher Daniel Jositsch (sp, ZH) den Stein des Anstosses. Als Lösung hatte die parlamentarische Initiative vorgesehen, unter bestimmten Umständen auf die Strafverfolgung zu verzichten. Dies liefe in der Ansicht der Kommission aber den Interessen der Strafverfolgung, insbesondere der Rechtsgleichheit und dem Anspruch der Opfer auf Durchsetzung des Strafrechts sowie auf Schadenersatz, zuwider. Mit dem Postulat soll nun aufgezeigt werden, wie die Redlichkeitskultur verankert werden könnte, ohne mit dem Strafrecht in Konflikt zu kommen.

Redlichkeitskultur im Schweizer Recht (Po. 20.3463)

In der Herbstsession 2020 beschloss der Ständerat die Abschreibung der Motion Jositsch (sp, ZH) «Bessere Kontrolle der Wildfänge zum Schutz der Korallenriffe». Zuvor hatte der Bundesrat in seinem Bericht über die Motionen und Postulate 2019 festgehalten, dass das BLV vor allem auf internationaler Ebene (EU-Niveau, CITES) diverse Initiativen ergriffen habe, um der Problematik des Handels mit Zierfischen zu begegnen. Das Anliegen der Motion sei damit erfüllt.

Contrôle de la capture des poissons coralliens

Im September 2020 veröffentlichte der Bundesrat den Bericht in Erfüllung des Postulats der APK-SR, um aufzuzeigen wie der Bundesrat das Parlament während des Einsitzes der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat einbeziehen wird. 2011 hatte der Bundesrat beschlossen die Kandidatur für ein nichtständiges Mandat im Sicherheitsrat 2023/24 einzureichen, die Wahlen dafür finden im Juni 2022 statt. Der Bericht hielt fest, dass die Beteiligung des Parlaments an der Gestaltung der Aussenpolitik in der Verfassung verankert, die operative Führung ebenjener aber Aufgabe des Bundesrats sei. Obwohl das Parlament an der Willensbildung zu aussenpolitischen Grundsatzfragen und bei wichtigen Entscheiden mitwirken könne, bringe dies ausser bei völkerrechtlichen Verträgen kein Mitentscheidungsrecht mit sich. Die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen und der Bundesrat stünden, wie im Parlamentsgesetz vorgesehen, im gegenseitigen Meinungsaustausch. Der Bundesrat informiere die Kommissionen jeweils frühzeitig über wichtige aussenpolitische Entwicklungen. Diese werden aber nur konsultiert, wenn das Kriterium der Wesentlichkeit erfüllt ist, namentlich wenn die Umsetzung von Empfehlungen internationaler Organisation den Erlass oder eine wesentliche Änderung eines Bundesgesetzes nötig machen oder der Verzicht der Umsetzung negative wirtschaftliche oder anderweitig gravierende Konsequenzen für die Schweiz hätte. Der Bundesrat habe das Parlament vor dem Einreichen der Kandidatur für den Sicherheitsrat 2011 konsultiert, die Positionierung in multilateralen Gremien obliege gemäss verfassungsmässiger Kompetenzordnung im Folgenden aber dem Bundesrat. Im Sinne des Postulats schlug der Bundesrat vor, das Parlament via APK mündlich oder schriftlich zu informieren; die Grundsatzpositionen vor der Einsitznahme zukommen zu lassen; die beiden Kommissionen zu den Prioritäten der Schweiz im Sicherheitsrat zu konsultieren und das APK-Präsidium bei wesentlichen und dringlichen Umständen zu konsultieren. Darüber hinaus zeigte sich der Bundesrat auch für weitere Massnahmen offen, wie der Entsendung einer/eines Mitarbeitenden der Parlamentsdienste oder Informationsreisen von APK-Mitgliedern nach New York, solange dabei die aussenpolitische Handlungsfähigkeit gewährleistet bleibe.
Eine weitere Option, die Schaffung einer parlamentarischen UNO-Delegation, wurde hingegen nicht weiter verfolgt. Diese hatte der Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme zum Postulat Jositsch (sp, ZH; Po. 18.4111) als sehr ambitioniert bezeichnet. Es bedürfte einer breiten internationalen Unterstützung für deren Umsetzung, weshalb sie bis 2023 kaum realisierbar wäre.

Schweizer Sitz im Uno Sicherheitsrat (Po. 19.3967)
Dossier: Schweizer Sitz im UNO-Sicherheitsrat

In Erfüllung zweier Postulate Rickli (svp, ZH; Po. 16.3637) und Jositsch (sp, ZH; Po. 16.3644) präsentierte der Bundesrat im September 2020 seinen Bericht über Präventionsangebote für Personen mit sexuellen Interessen an Kindern. Darin wies er darauf hin, dass bisher keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Präventionsangeboten beratender oder therapeutischer Art im Sinne einer Reduktion oder Verhinderung von sexuellen Übergriffen auf Kinder vorlägen. Ein solcher Nachweis sei denn auch methodisch schwierig zu erbringen. Befragungen unter Personen, die bestehende Präventionsangebote nutzten, zeigten jedoch positive Effekte: Sie könnten etwa die psychische Belastung von Personen mit pädophilen Neigungen mindern und ihnen Strategien zur besseren Bewältigung von problematischen Alltagssituationen aufzeigen.
Das bestehende Angebot in der Schweiz beschränke sich bisher auf untereinander nicht vernetzte und grösstenteils wenig bekannte Einzelinitiativen. Therapieangebote seien primär in der Straftäterbehandlung angesiedelt, wodurch die Zugangshürde für nicht straffällige Betroffene hoch sei. Ausserdem sei die Anonymität nur gewährleistet, wenn die betroffene Person die Kosten der Therapie selber trage. Reine Beratungsangebote ohne Behandlungsoption – wie das Westschweizer Projekt «Dis No» – seien noch wenig verbreitet; insbesondere in der Deutschschweiz fehle ein solches gänzlich. Beratungsstellen hätten überdies Schwierigkeiten, behandlungswillige Personen an geeignete Therapeutinnen und Therapeuten weiterzuleiten, weil nur wenige bereit seien, Personen mit sexuellen Interessen an Kindern zu behandeln.
Die vom Bundesrat eingesetzte Expertengruppe, die die Grundlagen des Berichts erarbeitet hatte, erachtete es als angezeigt, in der ganzen Schweiz ein spezialisiertes Präventionsangebot, bestehend aus Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten, für Personen mit sexuellen Interessen an Kindern aufzubauen. Sie empfahl zudem, das Thema verstärkt in die Aus- und Weiterbildung von Fachpersonen des Gesundheitswesens zu integrieren. Weiter sollen die Präventionsangebote evaluiert und mittels einer Öffentlichkeitskampagne bekannt gemacht werden.
Der Bundesrat befürwortete diese Massnahmenvorschläge der Expertengruppe und zeigte sich bereit, ein nationales oder mehrere sprachregionale Beratungsangebote sowie deren gesamtschweizerische Koordination finanziell zu unterstützen. Ebenfalls wolle er in Zusammenarbeit mit den für die Weiter- und Fortbildung zuständigen Berufsverbänden prüfen, wie die pädophile Neigung, die Stigmatisierung der Betroffenen und die Prävention von sexuellen Handlungen mit Kindern noch stärker in die Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten sowie Psychologinnen und Psychologen integriert werden kann. Die Bereitstellung von Behandlungsangeboten, d.h. von Therapien, liege dagegen alleine in der Kompetenz der Kantone, die für das Gesundheitswesen zuständig seien.

Präventionsprojekt «Kein Täter werden» für die Schweiz (Po. 16.3637 und 16.3644)

In der Herbstsession 2020 beugte sich der Ständerat als Erstrat über die Vorlage des Bundesrats, mit der durch eine Verfassungsänderung ein obligatorisches Referendum für völkerrechtliche Verträge mit Verfassungscharakter eingeführt werden soll. Eintreten war umstritten. Für die Kommission nahm Andrea Caroni (fdp, AR) Stellung, der mit einer Motion am Ursprung der Vorlage gestanden hatte. Er pries diese als optimale Ergänzung zum bereits bestehenden obligatorischen Staatsvertragsreferendum an. Dieses sei unvollständig, weil es lediglich den Beitritt zu supranationalen Organisationen regle. Es gebe aber Staatsverträge, welche die Verfassung ebenfalls beeinflussten, ohne einen Beitritt zu verlangen. Das neu geschaffene Instrument könne diese Lücke schliessen und der Bundesrat habe es geschafft, klare Kriterien für die Anwendung zu definieren. Betroffen seien Verträge, die zwingend eine Verfassungsänderung mit sich bringen, und solche, die materiell Verfassungsrang haben – also wenn Grundrechte, der Föderalismus oder die Organisation der Bundesbehörden tangiert werden. Dieses neue Referendum würde die Legitimität eines Vertrags stärken, wobei die Zahl solcher Abstimmungen gemäss Caroni gering bleiben werde.
Eine Minderheit Jositsch (sp, ZH) beantragte Nichteintreten. Der Zürcher SP-Ständerat begründete seinen Antrag damit, dass eine neue Regelung nicht notwendig sei. Es gebe gar kein Problem, das einen neuen Verfassungsartikel rechtfertigen würde. Dem widersprach Daniel Fässler (cvp, AI): Weil die internationale Vernetzung zunehme, werde auch der Konflikt zwischen Landesrecht und Völkerrecht zunehmen, betonte er. Deshalb sei es wichtig, hier frühzeitig eine gute Regelung zu finden. Eine 28 zu 14-Merhheit beschloss in der Folge Eintreten.
In der Detailberatung scheiterte ein Einzelantrag Rechsteiner (sp, SG), der bei der Präzisierung der Kriterien die «Grundrechte» nicht erwähnt haben wollte. Der St. Galler Ständerat argumentierte vergeblich, dass zahlreiche Verträge unter dieses Kriterium fallen würden, die dann nicht mehr einfach ratifiziert werden könnten, sondern von Volk und Ständen abgesegnet werden müssten. Als Beispiel nannte er die Kinderrechtskonvention oder die Behindertenkonvention. Die anwesende Bundesrätin Karin Keller-Sutter verneinte jedoch, dass diese Beispiele unter die neue Bestimmung fallen würden. Abgelehnt wurde auch ein Minderheitsantrag Chiesa (svp, TI), der gefordert hätte, dass das Referendum nicht nur die allfällige Verfassungsänderung, sondern auch den Vertrag umfassen müsse. Dadurch sollte vermieden werden, dass eine Verfassungsänderung faktisch nicht mehr abgelehnt werden könnte, weil man den Vertrag ja schon eingegangen wäre. Die Mehrheit wandte sich gegen dieses Ansinnen, weil es auch die Möglichkeit geben müsse, die Umsetzung eines Vertrags auf Gesetzesstufe zu regeln, wie die Justizministerin ausführte.
Somit nahm der Rat im Vergleich zur bundesrätlichen Vorlage lediglich eine sprachliche Präzisierung vor und schickte das Geschäft nach der Gesamtabstimmung, in der sich 27 Rätinnen und Räte für und 12 gegen den Entwurf aussprachen, an den Nationalrat.

Obligatorisches Referendum für völkerrechtliche Verträge mit Verfassungscharakter (BRG. 20.016)
Dossier: Obligatorisches Referendum für völkerrechtliche Verträge mit Verfassungscharakter

Sowohl Bundesrätin Karin Keller-Sutter als auch Daniel Jositsch (sp, ZH) als Sprecher der SiK-SR beantragten im Ständerat die Ablehnung einer Motion der SVP-Fraktion zum Umgang mit staatsgefährdenden Personen. Sie argumentierten, dass eine Ausweisung von Personen, welche die innere und äussere Sicherheit der Schweiz gefährden, bereits nach geltendem Recht möglich sei. Im Rahmen des von beiden Räten gutgeheissenen Bundesgesetzes über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) würden weitere Instrumente wie beispielsweise die Ausschaffungshaft für ausgewiesene Gefährderinnen und Gefährder eingeführt, so die Justizministerin. Darüber hinaus sei die Forderung nach einer Präventivhaft in Bezug auf die EMRK-Konformität problematisch. Eine Minderheit Salzmann (svp, BE) beantragte die Annahme der Motion. Wie Salzmann im Ständeratsplenum erklärte, sei es doch die Pflicht des Parlaments, die Bevölkerung vor terroristischen Anschlägen zu schützen. Mit den bestehenden Instrumenten sei dies präventiv jedoch nicht möglich, weshalb weitere Massnahmen dringend nötig seien, um «die potenziellen Täter dingfest zu machen». Dem Mehrheitsantrag folgend lehnte die Kantonskammer den Vorstoss in der Herbstsession 2020 mit 30 zu 5 Stimmen ab.

Umgang mit staatsgefährdenden Personen (Mo. 16.3673)

In der Sommersession 2020 befasste sich der Ständerat als Erstrat mit der Revision des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, deren Ziel die Harmonisierung der Strafrahmen ist. Wie der Kommissionsberichterstatter Daniel Jositsch (sp, ZH) dem Ratsplenum erläuterte, habe sich die vorberatende RK-SR bei der Diskussion der Strafrahmen an zwei Leitfragen orientiert: Erstens, absolut betrachtet, entspricht ein Strafrahmen nach heutigem Empfinden wertmässig dem Verschulden? Und zweitens, relativ betrachtet, passt ein Strafrahmen wertmässig in das System vergleichbarer Strafen hinein? Die thematischen Schwerpunkte verortete Jositsch zum einen im Bereich Gewalt und Drohung gegenüber Beamten und Behörden, zu dem in der jüngeren Vergangenheit sehr viele Vorstösse eingegangen waren, sowie zum anderen bei den Delikten gegen Leib und Leben, wo generell «eine moderate Anhebung der Strafen» vorgesehen sei. Damit werde korrigiert, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Strafgesetzbuchs in den 1940er-Jahren den Schutz des Vermögens im Vergleich zum Schutz von Leib und Leben «relativ stark gewichtet» habe. Diese Werthaltung, die neu ausgelotet werden müsse, veranschaulichte er mit dem Beispiel, dass auf einfachen Diebstahl heute eine Maximalstrafe von fünf Jahren stehe, während eine fahrlässige Tötung mit maximal drei Jahren bestraft werde. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte, es sei wichtig, dass sich die Bevölkerung mit einem Urteil identifizieren könne: «Nur unter dieser Voraussetzung kann der Rechtsstaat auch seine Glaubwürdigkeit und seine Akzeptanz behalten.» Die öffentliche Debatte sei aber oft vom Eindruck einzelner Vorkommnisse geprägt, die die Forderung nach Mindeststrafen befeuerten. Solche habe der Bundesrat allerdings nur «sehr selektiv» vorgesehen, weil der Strafrahmen nicht nur den denkbar schwersten, sondern immer auch den denkbar leichtesten Fall abdecken müsse.
Über weite Strecken war die umfangreiche Vorlage im Ständerat unbestritten. Bis auf drei Punkte, die sie vertiefter diskutierte, folgte die Ständekammer überall stillschweigend den Anträgen ihrer Kommission. Als wichtigste dieser diskussionslosen Neuerungen hervorzuheben sind die Anhebung der Mindeststrafe für schwere Körperverletzung von bisher sechs Monaten auf ein Jahr sowie die Vereinheitlichung der Mindeststrafe für alle gewerbsmässig begangenen Vermögensdelikte auf sechs Monate. Die Bestimmungen des Sexualstrafrechts klammerte der Ständerat in der Debatte aus, weil diese nach dem Willen seiner Kommission und des Bundesrates in einem separaten Entwurf, der zuerst noch in die Vernehmlassung gegeben wird, behandelt werden sollen.
Die erste der drei umstrittenen Änderungen betraf mit Art. 42 StGB eine Bestimmung aus dem Allgemeinen Teil, der eigentlich gar nicht Gegenstand des Geschäfts war. Die Kommissionsmehrheit habe diese Anpassung dennoch vorgenommen, um den Forderungen nach schärferen Strafen entgegenzukommen, ohne die Mindeststrafen zu erhöhen, wie Jositsch erklärte. Sie schlug vor, den Artikel dahingehend abzuändern, dass das Gericht bei einem Ersttäter oder einer Ersttäterin nicht mehr «in der Regel» eine bedingte Strafe aussprechen muss, sondern dass es dies «kann». Durch die etwas offenere Formulierung wollte sie mehr Möglichkeiten für unbedingte Strafen schaffen. Eine Minderheit Vara (gp, NE) und der Bundesrat beantragten hingegen, beim geltenden Recht zu bleiben. Die Änderung gefährde die Rechtssicherheit, weil die vielen Gerichte in der Schweiz die Kann-Bestimmung vielleicht unterschiedlich anwendeten, so deren Argumentation. «Es kann nicht angehen, dass irgendwelche Gründe dazu führen können, dass der bedingte Strafvollzug, selbst bei einer günstigen Prognose, verweigert werden kann», warnte Justizministerin Keller-Sutter vor unzulässiger Willkür. Kommissionssprecher Jositsch wandte ein, dass es für Täterinnen und Täter eben gerade keine Sicherheit geben solle, dass man beim ersten Mal eine bedingte Strafe erhalte. Die Ratsmehrheit liess sich davon überzeugen und folgte mit 26 zu 15 Stimmen der Kommissionsmehrheit.
Als zweites erörterte der Ständerat die konzeptionelle Frage, ob eine Mindestgeldstrafe automatisch auch eine Mindestfreiheitsstrafe bedeute – an einer konkreten Frage: Wenn für ein Delikt eine Geldstrafe nicht unter 30 Tagessätzen oder eine Freiheitsstrafe vorgeschrieben ist, bedeutet dies dann, dass die Freiheitsstrafe auch mindestens 30 Tage betragen muss? Die Kommissionsmehrheit bejahte diese Frage, die in der juristischen Lehre bislang ungeklärt geblieben war, und wollte dies im StGB nun ausdrücklich festschreiben. Sie sah Geld- und Freiheitsstrafen als «weitestgehend gleichwertig» an, wie es Andrea Caroni (fdp, AR) ausdrückte; dies zeige sich nicht zuletzt auch darin, dass eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen bei Nichtbezahlung eins zu eins in eine Freiheitsstrafe von 30 Tagen umgewandelt werde. Eine Minderheit Mazzone (gp, GE) argumentierte dagegen, eine Freiheitsstrafe stelle einen grösseren Eingriff dar als eine Geldstrafe, weshalb auf eine solche ausdrückliche Gleichsetzung im StGB verzichtet werden sollte. Auch EJPD-Vorsteherin Keller-Sutter plädierte gegen die vorgeschlagenen Ergänzungen bei den betreffenden Artikeln, weil aus der Praxis hierzu keine Unklarheiten moniert worden seien und die Änderung aus Sicht des Bundesrates daher nicht notwendig sei. Etwas spitz bemerkte sie: «Es wurde gesagt, im Lehrbuch Jositsch stehe, dass hier Klärungsbedarf bestehe. Herr Jositsch ist in der Minderheit und sieht offensichtlich, entgegen seinem Lehrbuch, keinen so grossen Klärungsbedarf.» Die Ratsmehrheit folgte mit 24 zu 16 Stimmen dennoch der Kommissionsmehrheit.
Der dritte Streitpunkt betraf die Verschärfung der Strafnorm für Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB). Die Kommissionsmehrheit unterstützte hier das Konzept des Bundesrates, der den Strafrahmen für den Grundtatbestand unverändert liess – d.h. keine Mindeststrafe, maximal drei Jahre Freiheitsstrafe –, während er Gewalttaten, die aus einem zusammengerotteten Haufen heraus begangen werden, neu mit einer Geldstrafe von mindestens 120 Tagessätzen (bisher 30) oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren (wie bisher) bestrafen wollte. Nach dem vorangegangenen Beschluss des Ständerates über die wertmässige Gleichstellung von Geld- und Freiheitsstrafen bedeutete dies, dass Gewalttaten im Kontext einer Zusammenrottung mit einer Geldstrafe von mindestens 120 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe im Umfang von 120 Tagen belegt würden. Eine Minderheit Engler (cvp, GR) wollte die Strafen indes dergestalt verschärfen, dass sie zwar keine Mindeststrafe vorsah, Geldstrafe aber nur in leichten Fällen ausgesprochen werden dürfte. Bei Gewalttaten im Kontext einer Zusammenrottung wäre eine Freiheitsstrafe zwingend. Uneinigkeit herrschte in erster Linie darüber, welche Variante die schärfere war, jene mit der hohen Mindeststrafe oder jene mit der grundsätzlichen Freiheitsstrafe. Wie Beat Rieder (cvp, VS) berichtete, war dies auch der einzige Punkt, in dem sich die Subkommission, die das Geschäft für die RK-SR vorberaten hatte, nicht einig geworden war. Rieder setzte sich für die Minderheit ein, weil es hier um Straftäterinnen und -täter gehe, die «relativ renitent» seien und bei denen Geldstrafen «schlichtweg keine Wirkung» erzielten. Wichtig sei die Signalwirkung der Freiheitsstrafe, sprich, dass Hooligans «am Montag nach dem Samstagsmatch im Büro fehlen». Bundesrätin Keller-Sutter zeigte Verständnis für die Streichung der Geldstrafe in schweren Fällen, gab aber in Bezug auf die Signalwirkung zu bedenken, dass Freiheitsstrafen auch bedingt ausgesprochen werden können. Mit 23 zu 18 Stimmen betreffend den Grundtatbestand und 25 zu 17 Stimmen bezüglich der Zusammenrottungen nahm der Ständerat den Minderheitsantrag Engler an.
In der Gesamtabstimmung opponierte die Grüne Fraktion geschlossen, womit die Kantonskammer das revidierte StGB mit 35 zu 5 Stimmen guthiess. Der zweite Entwurf zur Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht, mit dem vor allem formelle Änderungen vorgenommen wurden, passierte die Gesamtabstimmung unverändert mit 36 zu 6 Stimmen, wobei sich hier auch SP-Ständerat Paul Rechsteiner (sp, SG) zur Grünen Opposition gesellte. Stillschweigend schrieb die kleine Kammer zudem die Vorstösse 06.3554, 09.3366, 08.3131, 10.3634 und 17.3265 ab.

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

La mise en place de la vidéosurveillance dans les abattoirs était au menu du Conseil des Etats. Le socialiste zurichois Daniel Jositsch a, en effet, proposé à ses consœurs et confrères de rendre obligatoire la surveillance vidéo dans ces endroits sensibles.
Aujourd'hui, l'exploitant.e de l'abattoir est dans l'obligation de désigner une personne responsable de garantir le bon déroulement de l'étourdissement et de l'abattage de l'animal. Cette personne est référente pour les vétérinaires officiels qui procèdent à des contrôles par sondage. Cette procédure contient des lacunes qui ont été soulevées à de nombreuses reprises par des organisations de protection des animaux ayant effectué des enregistrements vidéo de manière clandestine. Chaque raté d'étourdissement ou de saignée, non détecté par les vétérinaires, mène à une souffrance énorme pour l'animal, souffrance qui n'a plus lieu d'être selon le sénateur zurichois. Pour appuyer son propos, Daniel Jositsch a cité un rapport délivré par l'OSAV, qui constate que des problèmes subsistent encore en Suisse, malgré une législation sur la protection des animaux exigeante. Conscient que la vidéosurveillance peut créer des difficultés en termes de protection des données et de droits de la personnalité, le sénateur a proposé de la réduire aux zones les plus sensibles des abattoirs. De plus, seules les autorités compétentes auraient accès à ces enregistrements.
On l'apprenait dans les journaux, certains abattoirs filment d'ores et déjà les étapes sensibles de la mise à mort des animaux, à l'image de Micarna – propriété de Migros – qui a mis en place un tel système dans ses locaux situés à Courtepin.
Deux membres du groupe du centre, Benedikt Würth (SG) et Marianne Maret (VS) se sont opposés à la motion lors des débats en chambre, tous deux considérant que cette mesure est disproportionnée. La sénatrice valaisanne redoute également que cela ne mène à une généralisation de la vidéosurveillance, des endroits comme les EMS, les hôpitaux ou les écoles n'étant pas exempt de scandales.
Le Conseil fédéral s'est également opposé à cette motion, Alain Berset a précisé qu'une révision de l'ordonnance sur la protection des animaux (OPAn) lors de leur abattage avait été initiée. L'exécutif considère qu'il faut analyser le problème de manière plus globale, l'instauration d'une obligation de filmer n'ayant qu'une portée symbolique.
Au final, seul.e.s 5 sénatrices et sénateurs ont soutenu la motion Jositsch, tandis que 32 s'y sont opposé.e.s et 6 se sont abstenu.e.s.

La mise en place obligatoire de la vidéosurveillance dans les abattoirs était au menu au Conseil des Etats

Wie der Nationalrat musste auch der Ständerat sein Geschäftsreglement anpassen, um ausserhalb des Bundeshauses tagen zu können. Um die Hygiene- und Sicherheitsmassnahmen im Rahmen der Coronavirus-Pandemie einhalten zu können, tagte auch der Ständerat während der ausserordentlichen Session Anfang Mai in den Räumlichkeiten der BernExpo. Das Büro-SR schlug analog zum Nationalrat vor, dass Vorstösse, parlamentarische Initiativen und die Unterstützung von Anträgen nicht mehr schriftlich, sondern per E-Mail erfolgen sollen. Auf eine physische Verteilung von Unterlagen solle verzichtet werden. Darüber hinaus war ein Votum vom Platz aus, wie dies im Bundeshaus praktiziert wird, nicht möglich. Auch die Ständerätinnen und Ständeräte mussten sich also für ihre Voten an ein stets von Neuem zu desinfizierendes Rednerpult begeben. Der Sprecher des Büros, Alex Kuprecht (svp, SZ) begründete dies mit der Videoübertragung, die sehr kompliziert geworden wäre, wenn die Voten vom Platz aus hätten abgegeben werden sollen. Ebenfalls wie im Nationalrat war vorgesehen, die Stimmabgabe mit dem elektronischen Ersatzsystem durchzuführen und die Stimme jeweils vom Platz aus abzugeben – die Ersatzanlage war nicht fix mit dem Arbeitsplatz verbunden und eine Abgabe der Stimme hätte darum auch anderswo geschehen können. Anders als der Nationalrat wollte das Büro-SR allerdings vorübergehend auf eine Veröffentlichung der Abstimmungsdaten verzichten, weil eine Anzeigetafel, wie sie im Ständerat angebracht sei, fehle.
Die entsprechende vorübergehende Streichung von Absatz 2, Artikel 44a des Geschäftsreglements weckte allerdings den Argwohn des Tagesanzeigers: «Ständeräte wollen geheim abstimmen», titelte die Zeitung am Tag der Sessionseröffnung. Man wolle «die geheime Stimmabgabe einführen.» Schon bisher sei das Stimmverhalten in der kleinen Kammer nur sehr mühsam eruierbar gewesen, weil die erhobenen Hände und später die Anzeigetafel fotografiert oder gefilmt werden müssten. In der Tat werden im Ständerat seit 2014 normalerweise nur die Gesamt- und Schlussabstimmungen, nicht aber die Detailabstimmungen namentlich veröffentlicht. Wenn aber die Resultate überhaupt nicht mehr veröffentlicht würden, so sei dies ein Vorgang, den es seit 1848 noch nie gegeben habe. Der ständerätliche Vorschlag, für die Session in der BernExpo auf jegliche Veröffentlichung zu verzichten, sei von der Öffentlichkeit noch nicht bemerkt, geschweige denn diskutiert worden.

In der Folge standen bei der Diskussion über die befristeten Änderungen des Geschäftsreglements – das erste Geschäft in der ausserordentlichen Session – zwei Anträge im Zentrum. Das Büro hatte seinen eigenen Antrag auf Streichung der Veröffentlichung in der Zwischenzeit zurückgezogen, um diese beiden Vorschläge diskutieren zu können. Der Antrag von Werner Salzmann (svp, BE) sah vor, dass alle Abstimmungen nachträglich mittels Namenslisten veröffentlicht werden sollen, und Daniel Jositsch (sp, ZH) beantragte, die Stimme durch Aufstehen abzugeben. Beide berichteten, durch die Medien aufgeschreckt geworden zu sein, und gaben zu, sich wohl im Vorfeld zu wenig genau mit dem vorliegenden Reglement auseinandergesetzt zu haben. Der Sprecher des Büros, Alex Kuprecht (svp, SZ), legte freilich dar, dass sich der Ständerat mit der Einführung der elektronischen Anlage im Bundeshaus ganz bewusst dagegen verwahrt habe, auch die individuellen Entscheidungen in den Detailabstimmungen namentlich auszuweisen. Es sei sinnvoll, dass dies im Nationalrat geschehe, «wo sich primär die parteipolitischen Positionen in ausgeprägter Form gegenüberstehen». Dies sei aber in der kleinen Kammer nicht so, weshalb man nur die Schluss- und Gesamtabstimmungen namentlich veröffentliche (es sei denn, die Veröffentlichung werde von 10 Mitgliedern verlangt). An dieser Position habe sich im Büro auch in erschwerten Verhältnissen nichts geändert – allerdings war zu dieser Frage noch eine parlamentarische Initiative Minder (parteilos, SH; Pa.Iv. 19.498) hängig, über die der Rat in einer der folgenden Sessionen zu befinden haben wird.
Unter Namensaufruf – 10 Ständeratsmitglieder hatten einen entsprechenden Antrag von Werner Salzmann mitunterzeichnet – gab die kleine Kammer dem Vorschlag Jositschs den Vorzug. 25 Mitglieder stimmten diesem zu, während 20 Mitglieder die Veröffentlichung aller Namenslisten, wie von Werner Salzmann gefordert, bevorzugt hätten. In der Schlussabstimmung standen dann 43 Ständeratsmitglieder für die Annahme des Entwurfs auf, während sich ein Mitglied dagegen erhob (1 Enthaltung).
Die Ersatzanlage kam im Ständerat damit also nicht zum Einsatz. Immerhin habe diese für beide Räte CHF 47'000 gekostet, doppelte der Tagesanzeiger nach. Wenigstens hätten die Räte «nach einem mittleren Shitstorm» kapituliert, so dass es dank der Zeitung nicht vollständig zu einer «eidgenössischen Blackbox» gekommen sei.

Beratungen ausserhalb des Parlamentsgebäudes - Änderungen des Geschäftsreglements des Ständerats (Pa.Iv. 20.408)

Nachdem die SiK-SR das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) unter Berücksichtigung eines Mitberichts der RK-SR erneut beraten, ihren Standpunkt aber nur minimal angepasst hatte, widmete sich in der Frühjahrssession 2020 der Ständerat als Erstrat dem Geschäft. Wie Kommissionssprecher Daniel Jositsch (sp, ZH) einleitend anmerkte, habe die sicherheitspolitische Kommission weitgehend das Konzept des Bundesrates übernommen. Die beiden Streitpunkte der Vorlage waren der Hausarrest und die Altersgrenze für die Massnahmen.
Beim Hausarrest, der als ultima ratio dienen soll, wenn andere, mildere präventiv-polizeiliche Massnahmen wie ein Kontakt- oder Rayonverbot nicht gewirkt haben, sah der Entwurf des Bundesrates die Möglichkeit zur Gewährung von Ausnahmen aus medizinischen Gründen, zu Erwerbs- und Bildungszwecken, zur Ausübung der Glaubensfreiheit und zur Wahrnehmung von familiären Verpflichtungen vor. Während die grosse Mehrheit der konsultierten RK-SR dieses Konzept unterstützt hatte, beantragte die Mehrheit der vorberatenden SiK-SR die Streichung aller Ausnahmegründe bis auf die medizinischen Gründe. Sie wollte der Öffentlichkeit den bestmöglichen Schutz vor gefährlichen Personen bieten, denn Hausarrest komme überhaupt erst in Frage, wenn von einer Person eine konkrete Gefahr ausgehe und diese gegen mildere Massnahmen bereits verstossen habe. Eine Minderheit Dittli (fdp, UR) beantragte hingegen, bei der bundesrätlichen Version zu bleiben, da Ausnahmen einerseits nur aus wichtigen Gründen gewährt werden könnten und somit kein genereller Anspruch darauf bestehe und da andererseits der Verzicht auf diese Möglichkeiten den Hausarrest einer Präventivhaft sehr nahe kommen lasse, was im Hinblick auf die EMRK problematisch wäre. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte, dass der Hausarrest, um die Verhältnismässigkeit zu wahren, die Kontakte zur Aussenwelt und das soziale Leben nicht unnötig einschränken dürfe und dass sie überdies durch die Ausnahmen keine Sicherheitslücken befürchte. Weiter sah der Entwurf des Bundesrates vor, den Hausarrest auf maximal neun Monate zu begrenzen, was auch eine Minderheit Juillard (cvp, JU) so handhaben wollte. Die Kommissionsmehrheit schlug ihrem Rat stattdessen eine unbegrenzte Verlängerungsmöglichkeit vor, mit dem Argument, die Massnahme müsse so lange aufrechterhalten werden können, bis die betroffene Person nicht mehr gefährlich sei. Justizministerin Keller-Sutter erachtete die unbefristete Dauer jedoch als nicht verhältnismässig und wahrscheinlich auch nicht EMRK-konform. In beiden Fragen folgte die Ratsmehrheit schliesslich den Minderheitsanträgen und liess es beim bundesrätlichen Entwurf bewenden.
Diskussionsbedarf bestand zum Zweiten noch bei der Frage, auf Personen welchen Alters die präventiv-polizeilichen Massnahmen angewendet werden können. Während der Bundesrat eine Altersgrenze von 15 Jahren für den Hausarrest und von 12 Jahren für die übrigen Massnahmen vorgesehen hatte, beantragte eine Minderheit Zopfi (gp, GL), die Grenze für alle PMT-Massnahmen bei 18 Jahren festzulegen, blieb damit jedoch chancenlos. Die Ratsmehrheit blieb auch hier bei der bundesrätlichen Version, weil durchaus auch Minderjährige radikalisiert sein und terroristische Aktivitäten planen oder ausführen könnten, so die Argumentation der Justizministerin. Sie versicherte gleichzeitig, dass bei Minderjährigen in der Interessenabwägung erzieherischen und Kindesschutzmassnahmen grundsätzlich Vorrang vor präventiv-polizeilichen Massnahmen beigemessen werde.
In den grossen Streitpunkten auf der Linie des Bundesrates verbleibend hiess der Ständerat die Vorlage in der Gesamtabstimmung mit 35 zu 5 Stimmen bei 2 Enthaltungen gut und stimmte der Abschreibung diverser Vorstösse stillschweigend zu.

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; 19.032)
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung
Dossier: PMT und damit umgesetzte Vorstösse
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

«Aus Lima und Tokio an Kommissionssitzungen pendeln?» lautete der Titel der parlamentarischen Initiative, mit der Thomas Minder (parteilos, SH) eine Wohnsitzpflicht für Parlamentsmitglieder in der Schweiz forderte. Dies aus finanziellen, demokratiepolitischen, praktischen und ökologischen Gründen: Die Spesen für ein Pendeln von ausserhalb der Schweiz – das Büro-NR gehe von CHF 320'000 pro Parlamentsmitglied mit Wohnsitz ausserhalb Europas für eine Legislatur aus – seien viel zu hoch; Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssten der eigenen Gesetzgebung unterworfen sein, was sie mit Wohnsitz im Ausland aber nicht wären; Tim Guldimann (sp, ZH) habe gezeigt, dass es nicht möglich sei, in einem Milieu zu leben und in einem anderen Politik zu machen – der in Berlin lebende Guldimann war 2015 in den Nationalrat gewählt worden, nach zwei Jahren aber mit dieser Begründung wieder zurückgetreten; und schliesslich würde von ausserhalb wohl vor allem mit dem Flugzeug gependelt, was aus klimapolitischen Gründen unverhältnismässig sei.
Nachdem die SPK-SR Ende Januar 2020 mit 10 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung beschlossen hatte, der Initiative keine Folge zu geben, zog Minder Ende Februar sein Anliegen, der Kommissionsargumentation folgend, zurück. Es wäre nicht nur ein falsches Signal an die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, sondern auch nicht verhältnismässig, aufgrund nur eines bisherigen Falles die Gesetzgebung zu ändern, hatte die Kommission begründet.

Parlamentsmitglieder sollen in der Schweiz wohnen (Pa.Iv. 19.490)

Die Digitalisierung bringt es mit sich, dass auch der Parlamentsbetrieb mit verschiedenen Ratings und Rankings vermessen werden kann, welche die Arbeit, den Einfluss oder die ideologische Positionierung der Parlamentsmitglieder zu bestimmen versuchen. Der Versuch, anschauliche Ranglisten zu erstellen und so auch durch Personalisierung die Komplexität von Politik zu reduzieren, dient vor allem den Medien, die sich auch 2019 den verschiedenen Analysen widmeten.

Den Beginn machte Anfang Juli eine neue Plattform namens «politik.ch» mit einer Auswertung der Präsenz während der ganzen bisherigen 50. Legislatur. «Präsenz» wurde dabei mit der Teilnahme an den total 4'076 Abstimmungen, die im Nationalrat bis zur vorletzten Session durchgeführt wurden, gemessen. Zum «Absenzenkönig von Bern» – so die Aargauer Zeitung, die über die Studie berichtete – wurde Roger Köppel (svp, ZH) gekürt. Er habe 22.4 Prozent aller Abstimmungen «geschwänzt», gefolgt von Martin Bäumle (glp, ZH; 21.9%) und Hans Grunder (bdp, BE; 21.7%). Frauen stimmten tendenziell disziplinierter ab, schloss die Zeitung, weil sich am anderen Ende der Skala Andrea Geissbühler (svp, BE), Barbara Keller-Inhelder (svp, SG) und Sandra Sollberger (svp, BL) fanden, die alle weniger als sechs der über 4'000 Abstimmungen verpasst hatten. Die Aargauer Zeitung liess die Protagonisten zu Wort kommen. Bei wichtigen Abstimmungen sei er vor Ort, nicht aber, wenn «das ausufernde Berufsparlament mit sich selbst beschäftigt» sei, verteidigte sich Roger Köppel. «Das Volk» habe sie ins Parlament gewählt und erwarte, dass sie an den Abstimmungen teilnehme, befand hingegen Andrea Geissbühler. Im Schnitt hatten die Nationalrätinnen und Nationalräte drei Prozent der Abstimmungen verpasst. Im Tages-Anzeiger wurde daran erinnert, dass «immer brav auf dem ehrwürdigen Nationalratssessel zu sitzen» nicht mit politischem Einfluss gleichzusetzen sei. Die wichtigsten Entscheidungen fielen nicht im Ratssaal, sondern «in den Kommissionen, in den Hinterzimmern des Bundeshauses und den Salons des Bellevue-Hotels».

Einen Versuch, diese Art von Einfluss zu messen, unternahm die Sonntagszeitung mit ihrem alle zwei Jahre publizierten «Parlamentarier-Rating». Hier erhält Punkte, wer viele Reden hält, in wichtigen Kommissionen sitzt und erfolgreich Vorstösse einreicht; wer innerhalb der eigenen Partei wichtige Funktionen innehat, einer starken Fraktion angehört, hohe Medienpräsenz hat und ausserhalb des Parlaments gut vernetzt ist. Wie schon zwei Jahre zuvor wies die Zeitung SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR) als «mächtigsten» Parlamentarier aus, gefolgt von Pirmin Bischof (cvp, SO) und Thomas Aeschi (svp, ZG). Levrat sei «immer dabei, wenn es in der Schweizer Politik etwas anzuschieben oder zu blockieren» gelte. Allerdings falle die SP-interne grosse Lücke hinter Levrat auf. In den Top Ten gebe es kein weiteres SP-Mitglied, was darauf hindeute, dass die parteiinterne Erneuerung wohl noch nicht geschafft sei. Ausgerechnet bei den Frauen schneide die SP schlecht ab. Unter den 15 höchst bewerteten Frauen – diese Liste wurde von Tiana Angelina Moser (glp, ZH; total Rang 6) und Lisa Mazzone (gp, GE; Rang 13) angeführt – fänden sich lediglich zwei Genossinen: Maria Carobbio Guscetti (sp, TI; Rang 23) und Barbara Gysi (sp, SG; Rang 34). Für das Rating berücksichtigt wurden nur jene Parlamentsmitglieder, die seit Beginn der Legislatur in den Räten gesessen hatten und bei den eidgenössischen Wahlen 2019 wieder antreten wollten. Entsprechend war der 173. Rang auch der letzte. Dort befand sich Bruno Walliser (svp, ZH). Indem die Sonntagszeitung die Rangierung hinsichtlich Medienpräsenz mit der Gesamtrangierung verglich, machte sie auch «die grössten Blender» aus. Die drei Zürcher Abgeordneten Claudio Zanetti (svp), Roger Köppel (svp) und Regine Sauter (fdp) seien zwar «Lieblinge der Medien», spielten im Parlament aber «eine bescheidene Rolle».

Auf der Basis der Abstimmungen im Nationalrat berechnete die Sonntagszeitung in einer weiteren Analyse, wie häufig alle Volksvertreterinnen und -vertreter bei Gesamtabstimmungen in der 50. Legislatur zur Mehrheit gehört hatten. Wenig überraschend fanden sich auf den vorderen Rängen – die Sonntagszeitung nannte sie «die Erfolgreichsten» – Mitglieder der CVP- und der BDP-Fraktion, die jeweils mit links oder rechts oder innerhalb einer grossen Koalition Mehrheiten schaffen. Angeführt wurde die Liste von Elisabeth Schneider-Schneiter (cvp, BL), die bei 98.5 Prozent aller Gesamtabstimmungen gleich wie die Mehrheit gestimmt hatte, was ihr in der Weltwoche den Titel «[d]ie mit dem Strom schwimmt» einbrachte. Auf Platz zwei und drei folgten Viola Amherd (cvp, VS; 98.3%) und Géraldine Marchand-Balet (cvp, VS; 98.2%). Bei den 68 «Erfolglosesten» handelte es sich durchgängig um SVP-Fraktionsmitglieder, angeführt von Erich Hess (svp, BE; 46.8%), Toni Brunner (svp, SG; 48.8)%) und Pirmin Schwander (svp, SZ; 49.8%).

Mitte Oktober warteten dann schliesslich die NZZ und Le Temps mit ihrem alljährlich erscheinenden «Parlamentarier-Rating» auf. Erneut wiesen die auf der Basis des Abstimmungsverhaltens vorgenommenen Positionierungen der Parlamentsmitglieder auf einer Skala von -10 (ganz links) bis +10 (ganz rechts) auf eine zunehmende Homogenisierung innerhalb der Parteien hin. Insbesondere an den Polen habe die Fraktionsdisziplin ein noch nie gekanntes Ausmass erreicht, so die NZZ. So hätten sich die Mitglieder der SP-Fraktion vor den Wahlen 2015 auf einer Skalen-Spannweite von 3.4 Punkten verteilt, im aktuellen Rating betrage dieser Wert lediglich noch 1.2 Punkte. Die Extrempositionen in der SP besetzten im aktuellen Rating Silvia Schenker (sp, BS; -10.0) und Adrian Wüthrich (sp, BE; -8.8). Eine im Vergleich zu 2015 wesentlich grössere Fraktionsdisziplin wiesen bei dieser Berechnung auch die Grünen auf. Lagen das am meisten linke und am meisten rechte grüne Fraktionsmitglied 2015 noch um 2.7 Skalenpunkte auseinander, trennten Maya Graf (gp, BL; -9.2) und die drei ganz am linken Rand politisierenden Michael Töngi (gp, LU; -10.0), Irène Kälin (gp, AG; -10.0) und Regula Rytz (gp, BE; -10.0) im Jahr 2019 lediglich noch 0.8 Skalenpunkte. Damit waren die Grünen im Durchschnitt erstmals seit 2011 wieder weiter links positioniert als die SP: «Les Verts n'ont jamais été aussi à gauche», war dies Le Temps gar die Überschrift der Analyse wert. Am anderen Ende der Skala, bei der SVP, verringerte sich der Wert der Spannweite von 3.7 auf 1.2 Punkte – ohne Berücksichtigung von Roberta Pantani (lega, TI), die zwar der SVP-Fraktion angehört, aber die Lega vertritt und mit einem Wert von 8.2 die am weitesten «linke» Position in der SVP-Fraktion im Nationalrat vertrat. Gleich drei SVP-Nationalräte politisierten ganz rechts aussen und wiesen einen Skalenwert von 10.0 aus: Toni Brunner, Luzi Stamm (svp, AG) und Adrian Amstutz (svp, BE). Jean-Pierre Grin (svp, VD) fand sich bei Position 8.8 und war damit das am weitesten links positionierte Mitglied der SVP im Nationalrat. Selbst bei der CVP war eine Disziplinierung festzustellen: Es zeigte sich im Vergleich zu 2015 ein Rückgang der Spannweite von 3.6 auf 2.6 Punkte, wobei die Fraktion im Vergleich zum Vorjahr zahlreiche Mitglieder leicht rechts von der Mitte aufwies und sich von -1.0 (Dominique de Buman; cvp, FR) bis 1.6 (Philipp-Matthias Bregy; cvp, VS) erstreckte. Die der CVP-Fraktion angehörenden EVP-Mitglieder waren wesentlich weiter links als ihre Fraktion: Niklaus Gugger (ZH) wurde auf der Skala bei -4.2 und Marianne Streiff-Feller (BE) bei -4.3 eingestuft. Die restlichen drei Fraktionen hingegen waren im Vergleich zu 2015 heterogener geworden. Bei der FDP war die Zunahme von 2.5 auf 2.6 Skalenpunkte freilich minim. Die Fraktionsgrenzen wurden bei den Freisinnigen von Walter Müller (fdp, SG; 4.5) und Christa Markwalder (fdp, BE; 1.9) eingenommen. Grössere Sprünge machten die BDP und die GLP. Während sich bei der BDP die Spannweite im Vergleich zu 2015 von 1.2 auf 2.0 fast verdoppelte – wie schon 2015 deckte Rosmarie Quadranti (bdp, ZH; -1.7) die linke Flanke ab, während sich Hans Grunder (bdp, BE; 0.3) am rechten Rand der BDP positionierte – wuchs die Heterogenität innerhalb der traditionell eigentlich sehr homogenen GLP von 0.5 auf 2.7 Skalenpunkte an. Hauptgrund dafür war Daniel Frei (glp, ZH), der von der SP in die GLP gewechselt hatte und mit seiner Position von -5.7 zwar weit weg vom rechten Rand der SP (-8.8), aber auch weit weg vom linken Rand der bisherigen GLP-Mitglieder war. Dieser wurde von Kathrin Bertschy (glp, BE; -3.5) eingenommen, die in der Tat lediglich 0.5 Skalenpunkte von Martin Bäumle (-3.0), also dem rechten GLP-Rand, positioniert war. Die politische Landschaft verarme, schloss die NZZ aus diesen Zahlen. Vor allem zwischen den Mitte- und den Polparteien klaffe eine Lücke. Dort hätten früher moderate SVP- und SP-Vertreter als Brückenbauer gewirkt. Schuld für die zunehmende Fraktionsdisziplin seien aber nicht nur die Parteizentralen, sondern auch die wachsende Zahl an zu behandelnden Geschäften, bei denen Parlamentsmitglieder keine fundierte eigene Meinung mehr bilden könnten und deshalb gemäss der Empfehlung der Parteileitung stimmten.
Die zahlreichen auf die neue Legislatur 2019 bis 2023 hin angekündigten Rücktritte im Ständerat veranlasste die Verfasser des Ratings zur Spekulation eines Rechtsrutschs der kleinen Kammer nach den Wahlen 2019. Die politische Mitte des Ständerats befinde sich bei Pirmin Bischof, also bei -2.8. Da elf zurücktretende Kantonsvertreterinnen und -vertreter links und lediglich sieben rechts von Bischof seien und alle zurücktretenden im Schnitt deutlich linker (-5.3) positioniert seien als die wieder antretenden (-2.3), stellten die Ständeratswahlen vor allem für Mitte-Links eine Herausforderung dar, so die NZZ. Eindrücklich liess sich dies anhand von Raphaël Comte (fdp, NE) nachzeichnen. Der Neuenburger Freisinnige positionierte sich mit -5.7 näher bei Daniel Jositsch (sp, ZH), der mit -6.8 den rechten Rand der SP in der kleinen Kammer besetzte, als bei seinem am weitesten rechts positionierten Fraktionskollegen Philipp Müller (fdp, AG; 4.5) und dem Schnitt der FDP (2.3). Da Comte nicht mehr antrete, sei wohl auch in der FDP mit einem Rechtsrutsch in der kleinen Kammer zu rechnen.

Nationalratsrating

Die Terrorismusbekämpfung umfasse, führte Ständerat Daniel Jositsch (sp, ZH) als Berichterstatter der SiK-SR in der Wintersession 2019 vor dem Ratsplenum aus, die drei Elemente des Nachrichtendiensts, der strafrechtlichen Instrumente und der polizeilichen Instrumente. Da der Ständerat die Vorlage zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus gerade eben an die Kommission zurückgewiesen habe, müsse man das mit jener über die polizeilichen Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) wohl auch tun, weil «die beiden Vorlagen eine Gesamtheit» bildeten, folgerte Jositsch. Der entsprechende Antrag auf Rückweisung mit dem Ziel, die beiden Vorlagen dann gemeinsam behandeln zu können, stammte von Ständerat Roberto Zanetti (sp, SO) und wurde von der Mehrheit der Kantonskammer mit 34 zu 10 Stimmen unterstützt.
Um überhaupt über die Rückweisung befinden zu können, hatte der Rat aber zuerst auf das Geschäft eintreten müssen. In der Eintretensdebatte hatte Ständerat Thomas Minder (parteilos, SH) deutliche Worte für das seiner Meinung nach zu lasche «Kuschelgesetz» gefunden. Obwohl er «von diesen präventiven Soft-Massnahmen nicht begeistert» sei, seien sie immerhin «besser als gar nichts», hatte er seine Absicht begründet, dennoch einzutreten. Sowohl Kommissionssprecher Jositsch als auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter hatten der Kritik entgegengesetzt, man habe die innerhalb der Grenzen des Rechtsstaats gelegenen Möglichkeiten ausgeschöpft. Die von Minder geforderte Präventivhaft für terroristische Gefährderinnen und Gefährder bedeute letztlich, Personen aufgrund ihrer Gesinnung zu inhaftieren. «Man muss sich immer überlegen, wie es wäre, wenn ein solches Instrument in den Händen des politischen Gegners wäre. Das möchte ich mir also nicht unbedingt vorstellen müssen», so die Justizministerin.

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; 19.032)
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung
Dossier: PMT und damit umgesetzte Vorstösse
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Der Ständerat befasste sich in der Wintersession 2019 als Erstrat mit dem Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie über die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität. Das Übereinkommen verbietet einerseits Dschihad-Reisen sowie die Rekrutierung und Ausbildung von Terroristinnen und Terroristen und strebt andererseits Verbesserungen in der internationalen Zusammenarbeit in den Bereichen Rechtshilfe und Auslieferung an. Die Umsetzung dieser Bestimmungen macht eine Anpassung des schweizerischen Strafrechts und weiterer Gesetze notwendig. Die Kantonskammer trat oppositionslos auf das Geschäft ein, gab sodann aber mit 33 zu 12 Stimmen einem Einzelantrag Rieder (cvp, VS) auf Rückweisung des Geschäfts an die Kommission statt. Damit wurde die SiK-SR beauftragt, das Geschäft unter Einbezug eines Mitberichts der RK-SR erneut zu beraten. Da das Geschäft mit dem Ziel der Terrorismusbekämpfung zwar unbestritten die Sicherheitspolitik, mit der Umsetzung im Strafrecht aber auch die traditionelle Domäne der Rechtskommission betreffe, handle es sich um eine «Schnittstellenproblematik» zwischen den beiden Kommissionen, waren sich sowohl SiK-Berichterstatter Daniel Jositsch (sp, ZH) als auch Antragssteller und RK-Mitglied Rieder einig. Die ständerätliche Rechtskommission solle die strafrechtlichen Massnahmen unter dem Aspekt des Rechtsschutzes, u.a. des Grundrechts- und des Menschenrechtsschutzes, der Bürgerinnen und Bürger beurteilen, und so das Gesamtbild der Vorlage ergänzen. Stein des Anstosses war die Kritik des Anwaltsverbands gewesen, dass mit der angedachten Dynamisierung der Rechtshilfe die Staatsanwältinnen und -anwälte künftig vorzeitig und ohne richterliche Überprüfung Informationen an ausländische Ermittlungsbehörden weitergeben dürften, und zwar nicht nur bei Terrorismus, sondern auch bei anderen Straftaten, die Rechtshilfe erlauben.

Terrorismus und organisierte Kriminalität: Übereinkommen des Europarates und Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums (BRG 18.071)
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung
Dossier: Internationale polizeiliche Zusammenarbeit
Dossier: Übereinkommen des Europarates zur Verhütung des Terrorismus / Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen organisierte Kriminalität

Die beiden bisherigen Ständeräte kandidierten bei den Ständeratswahlen 2019 im Kanton Zürich für eine weitere Amtszeit. Sowohl Ruedi Noser (fdp) als auch Daniel Jositsch (sp) waren erst 2015 in die kleine Kammer eingezogen. Seither wurden die Beiden in der Öffentlichkeit häufig als Duo wahrgenommen und sie wehrten sich im Wahlkampf auch nicht ernsthaft gegen dieses Narrativ. Sie gaben zahlreiche gemeinsame Interviews, betonten ihre gute Zusammenarbeit und stellten einen gemeinsamen Email-Versand aus den Sessionen auf die Beine. Daniel Jositsch, der laut den Medien eher am rechten Rand der SP politisiert, verärgerte seine eigene Partei, weil er nicht für die grüne Kandidatin Marionna Schlatter Wahlwerbung betrieb, sondern mit Noser einen Newsletter verschickte, auf dem ein mit den Namen von Jositsch und Noser ausgefüllter Wahlzettel abgebildet war. Noser sorgte derweil im bürgerlichen Lager für einige Unstimmigkeiten, da er innerhalb der FDP an vorderster Front für eine grünere und klimafreundlichere Umweltpolitik seiner Partei weibelte. Zwar galt die Wiederwahl der beiden Bisherigen als eher ungefährdet, trotzdem wurden sie gleich von acht Kandidierenden herausgefordert. Für die Grünen trat wie erwähnt die Kantonsrätin und kantonale Parteipräsidentin Marionna Schlatter an, während für die Grünliberalen die langjährige Nationalrätin und Fraktionspräsidentin Tiana Angelina Moser ins Rennen stieg. Beide hofften im von Frauen- und Klimastreiks geprägten Wahljahr auf eine Überraschung. Auch der Nationalrat und Weltwoche-Verleger Roger Köppel (svp) warf seinen Hut in den Ring. Köppel gab seine Kandidatur im Januar in einer medienwirksamen Pressekonferenz bekannt. Er überrumpelte damit allerdings seine Partei, welche er erst kurz zuvor über seine Absichten informiert hatte. Die SVP nominierte ihn schlussendlich doch noch offiziell, nachdem er sich parteiintern gegen Alfred Heer durchzusetzen vermochte. Der medial stark wahrgenommene Fokus von Köppels Kandidatur war die Europapolitik. Er kritisierte in seinem Wahlkampf, der ihn unter anderem in jede der Zürcher 162 Gemeinden führte, wiederholt die europafreundliche Haltung des Duos «Nositsch» (Zitat Köppel). Ausserdem kandidierten die CVP-Parteipräsidentin Nicole Barandun, der Nationalrat und Vize-Präsident der EVP Schweiz Nik Gugger, Klaus Marte (du), sowie die parteilosen Paulin Kqira und Jan Linhart.

Am Wahlsonntag liess Daniel Jositsch alle hinter sich und konnte dank einem Glanzresultat bereits nach dem ersten Wahlgang seine Wiederwahl feiern. Der SP-Vertreter vereinte 216'679 Stimmen auf sich und übertraf damit problemlos das absolute Mehr von 183'919 Stimmen. Jositsch genoss dabei weit über seine Partei hinaus Unterstützung und schnitt auch in vielen Landgemeinden am besten ab. Das zweitbeste Resultat erzielte Ruedi Noser, der 141'700 Stimmen holte, das absolute Mehr damit aber deutlich verpasste. Roger Köppel erhielt 107'528 Stimmen – eine Enttäuschung für den bestgewählten Nationalrat, der sich erhofft hatte, die beiden Bisherigen stärker in Bedrängnis bringen zu können. Über ein überraschend starkes Resultat freuen konnte sich die Grüne Marionna Schlatter. Mit 95'142 Stimmen rangierte sie unter anderem vor der ungleich profilierteren Tiana Angelina Moser (80'450 Stimmen). Nicole Barandun (20'405), Nik Gugger (17'750) und die restlichen Kandidaten blieben chancenlos.
Für den zweiten Wahlgang konnten sich also vier Kandidierende noch realistische Chancen ausrechnen. Die Grünliberalen zogen ihre Kandidatin Moser jedoch zugunsten von Schlatter zurück. Somit waren alle Augen auf Köppel und die SVP gerichtet. Viele Stimmen aus dem bürgerlichen Lager forderten mit Nachdruck, dass sich Köppel zurückziehen solle, um eine Wahl von Schlatter aufgrund der Aufteilung der bürgerlichen Stimmen zu verhindern. Der wiedergewählte SVP-Nationalrat lenkte schliesslich ein und verzichtete auf eine Teilnahme am zweiten Wahlgang. So verblieb Schlatter als einzige Herausforderin von Noser. Zwischen den beiden Wahlgängen sorgte ein Inserat von fünf der sieben Zürcher Regierungsräte für Furore, das Noser zur Wahl empfahl. Einer der mitunterzeichnenden Regierungsräte, Mario Fehr (SP), kassierte von seiner Partei einen Rüffel. Besonders harsch kritisierte ihn die Juso, welche zudem eine Stimmrechtsbeschwerde gegen die Regierung einreichte, mit der Begründung, die Unterstützung Nosers durch die Regierung «verstosse gegen geltendes Recht». Die für die Beschwerde zuständige Stelle war aber ausgerechnet der Regierungsrat. Dieser entschied sich, nicht auf die Einsprache einzugehen, da auf den ersten Blick zu erkennen gewesen sei, dass die Wahlempfehlung keine offizielle Verlautbarung des Regierungsrates gewesen sei. Beschwerden gingen auch gegen das Schweizer Fernsehen ein, da in der Sendung «Club» vom 22. Oktober, zwei Tage nach dem ersten Wahlgang, sowohl Marionna Schlatter als auch Roger Köppel (damals noch Kandidat) auftraten, während Ruedi Noser keine Einladung erhalten hatte. SRF wurde daraufhin von ihrem Ombudsmann gerügt. Ausserdem kam es beim Versand der Wahlcouverts zu einer Panne, so dass zahlreiche Wählerinnen und Wähler keine Unterlagen zugestellt bekamen.
All dies änderte nichts daran, dass der zweite Wahlgang wie geplant vier Wochen nach dem ersten Urnengang abgehalten wurde und Ruedi Noser einen ungefährdeten Sieg einfahren konnte. Er holte 185'276 Stimmen und distanzierte Marionna Schlatter (116'594 Stimmen) letztlich deutlich. Noser und Jositsch bildeten somit auch in den nächsten vier Jahren die Zürcher Standesstimme.

Ständeratswahlen 2019 – Zürich
Dossier: Resultate Ständeratswahlen 2019 (nach Kantonen)
Dossier: Eidgenössische Wahlen 2019 - Überblick