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  • Lauber, Michael (Bundesanwalt)
  • Arslan, Sibel (basta, BS) NR/CN

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Auch im Nationalrat stiess die in der parlamentarischen Initiative der RK-SR geforderte Aufstockung der Vollzeitstellen am Bundesstrafgericht von bisher maximal drei auf maximal vier Stellen auf keinerlei Widerstand. Die Arbeitsbelastung, aber auch Engpässe aufgrund sprachlicher Verteilungen der Fälle seien eine Tatsache. Mit vier statt drei Richterstellen könne beidem begegnet werden, führte Sibel Arslan für die RK-NR aus. Einstimmig, mit 139 zu 0 Stimmen, teilte der gesamte Nationalrat diese Begründung.
Auch die Schlussabstimmungen passierte die entsprechende Verordnung ohne Opposition; 195 Stimmen erhielt sie im Nationalrat und 44 Stimmen im Ständerat.

Anpassung der Ressourcen des Bundesstrafgerichts (Pa.Iv. 21.401)
Dossier: Anzahl Richterinnen- und Richterstellen an den eidgenössischen Gerichten

Am Bundesverwaltungsgericht mussten drei Stellen neu besetzt werden. Die Vakanzen ergaben sich durch die Rücktritte von Roland Flury (fdp) und Gérard Scherrer (parteilos) sowie aufgrund der Wahl von Marianne Ryter (sp) ans Bundesgericht. Auf die Ausschreibung für eine Richterstelle für eine Person mit französischer und zwei Stellen für Personen mit deutscher Muttersprache bewarben sich 18 Männer und neun Frauen. Aus diesen Bewerbungen entschied sich die GK für die deutschsprachigen Christoph Errass (glp) und Iris Widmer (gp) und die französischsprachige Chrystel Tornare Villanueva (svp).
Die Nomination der SVP-Richterin stiess bei den Fraktionen der GP und der SP auf Widerstand. Sibel Arslan (basta, BS) reichte einen Ordnungsantrag ein, mit dem sie eine Verschiebung der Wahl für die französische Richterstelle beantragte. Sie begründete dies in der Debatte der Vereinigten Bundesversammlung in der Wintersession 2021 mit dem fehlenden Parteienproporz in der Abteilung IV des BVGer. Sie zitierte eine Studie, die vor allem in den beiden Asylabteilungen einen Zusammenhang zwischen Parteizugehörigkeit einer Richterin oder eines Richters und Gutheissen einer Asylrechtsbeschwerde aufzeige: Gerichtspersonen, die der SVP angehörten, würden signifikant weniger Beschwerden gutheissen als jene von SP und GP. Freilich sei bei «pluralistisch zusammengesetzten Spruchkörpern» die «Gefahr der Verpolitisierung» kleiner, weshalb es eben Diversität brauche. Mit der Wahl von Chrystel Tornare Villanueva wäre die SVP in den beiden Asylabteilungen stark übervertreten, zudem würden die drei französischsprachigen Richterinnen und Richter gar alle drei «von der rechten politischen Seite» stammen. Ihr Antrag richte sich keinesfalls gegen die Person Tornare Villanueva, betonte Arslan. Sie sei im Gegenteil erfreut, dass eine Frau gewählt würde, aber diese parteipolitische Konstellation müsse verhindert werden. Für die GK brachte Andrea Caroni (fdp, AR) die Argumente gegen den Ordnungsantrag vor. Bei Richterwahlen müsse es darum gehen, fachlich geeignete Personen zu wählen. Dies sei bei Chrystel Tornare Villanueva unbestritten der Fall. Die Wahl der Partei folge der Vertretung am Gesamtgericht und die SVP sei am BVGer untervertreten. Zudem sei der Antrag nicht konsequent. In der Abteilung IV sei demnach nicht nur die SVP übervertreten, sondern auch die GP. Im September 2021 sei aber trotz leichter Übervertretung zusätzlich «eine grüne Richterin» gewählt worden. Damals habe niemand einen Ordnungsantrag gestellt, so Caroni.
Bei der Abstimmung über ebendiesen Ordnungsantrag sprachen sich 41 Ständerätinnen und -räte unter Namensaufruf gegen die Verschiebung der Wahl aus, eine Ständerätin dafür. Auch der Nationalrat lehnte den Antrag mit 156 zu 28 Stimmen deutlich ab.
In der Folge wurden alle drei vorgeschlagenen Kandidierenden gewählt. Bei 234 eingelangten Wahlzetteln entfielen 223 Stimmen auf Christoph Errass, 201 Stimmen auf Iris Widmer und 187 Stimmen auf Chrystel Tornare Villanueva.

Wahl ans Bundesverwaltungsgericht

In Erfüllung des Postulats Arslan (basta, BS) veröffentlichte der Bundesrat im Winter 2021 den Bericht «Prüfung wirksamerer Massnahmen zum Opferschutz in Hochrisikofällen bei häuslicher Gewalt», welcher vom EJPD in Zusammenarbeit mit dem Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Bern erarbeitet wurde. Der Bericht stellte basierend auf der Studie der Universität Bern fest, dass die Schweiz im Vergleich zum Ausland über wenig Erfahrung im Bereich der elektronischen Überwachung im Kontext der häuslichen Gewalt verfüge. Erkenntnisse aus Spanien würden beispielsweise zeigen, dass diese zu einem wirksameren Schutz beitragen könne, sofern sie mit einem Tracker oder Notfallknopf kombiniert werde, welche die Opfer auf freiwilliger Basis erhielten. Die Schweiz müsse in diesem Bereich das Wissen vertiefen sowie Erfahrungen sammeln und der Bundesrat schlage daher in einer ersten Phase ein Pilotprojekt auf kantonaler Ebene vor. Dafür sei dank der entsprechenden Bestimmungen im Bundesgesetz über die Verbesserung des Schutzes gewaltbetroffener Personen keine Gesetzesänderung auf Bundesebene nötig. Die Überprüfung allfälliger zusätzlicher rechtlicher Grundlagen obliege den Kantonen. Abschliessend empfahl ihnen der Bundesrat, die Feststellungen aus dem vorliegenden Bericht und der externen Studie für künftige Abwägungen miteinzubeziehen. Zusätzlich beauftragte er das EJPD, die laufenden Arbeiten in Zusammenarbeit mit den Kantonen zu verfolgen und bis Ende 2023 Bericht über die Fortschritte zu erstatten.

Prüfung wirksamerer Massnahmen zum Opferschutz in Hochrisikofällen bei häuslicher Gewalt (Po. 19.4369)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Mit 12 zu 12 Stimmen, bei Stichentscheid ihres Präsidenten Andreas Glarner (svp, AG), entschied sich die SPK-NR, keinen Erlassentwurf zur parlamentarischen Initiative von Sibel Arslan (basta, BS) für ein aktives Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige auszuarbeiten und den Vorstoss zur Abschreibung zu empfehlen. In den Kantonen stosse das Begehren immer wieder auf Widerstand an der Urne und die Unterscheidung des Alters für aktives und passives Wahlrecht sei nicht angebracht, so die Begründung in der Medienmitteilung.
Der «ungewöhnliche Entscheid» (Blick) wurde in den Medien von der Initiantin kritisiert. Die Kommission verweigere die Arbeit und stelle sich über einen Parlamentsentscheid, gab Sibel Arslan im Blick zu Protokoll. Auch die Republik wunderte sich über den Entscheid. Eine jüngere Umfrage zeige, dass sich 55 Prozent der 15 bis 25-Jährigen als politisch engagiert bezeichneten. Zudem hätten die Jungparteien seit Anfang 2020 «massiv» steigenden Zulauf.

Aktives Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige (Pa.Iv. 19.415)
Dossier: Stimmrechtsalter 16

Etwa anderthalb Stunden diskutierte der Nationalrat in der Herbstsession 2021 über die Freigabe des zweiten Kohäsionsbeitrags an die EU. Die APK-NR empfehle, den Vorschlag des Bundesrats anzunehmen und mit dem Entscheid einem «konstruktiven Ansatz in der Europapolitik Raum zu geben», teilte Kommissionssprecher Nussbaumer (sp, BL) zu Beginn der Debatte mit. Die Kommission wolle den Bundesbeschluss zur Freigabe der Kohäsionsmilliarde jedoch dahingehend ergänzen, dass Verpflichtungen auf Grundlage des Kohäsionskredits erst eingegangen würden, nachdem der Bundesrat die Finanzierungsbotschaft zur Schweizer Teilnahme an Erasmus plus vorgelegt hat. Um diesen Prozess zu beschleunigen, hatte die APK-NR Anfang September 2021 eine entsprechende Kommissionsmotion eingereicht.
Obwohl sich alle Fraktionen mit Ausnahme der SVP für die Annahme des Bundesbeschlusses aussprachen, benötigten die Mitglieder des Nationalrats in der Folge viel Sitzfleisch, bis sie eine Entscheidung treffen konnten. So wehrte sich die SVP-Fraktion vehement gegen das Anliegen der Kommissionsmehrheit, wobei ihre Mitglieder zahlreiche Fragen an die Rednerinnern und Redner stellten und dem Rat mehrere Minderheitsanträge vorlegten. Thomas Aeschi (svp, ZG) etwa wollte von Kommissionssprecher Nussbaumer wissen, weshalb die APK-NR trotz weiterer Diskriminierungen die Freigabe unterstütze. Er beklagte die fehlende Assoziierung an Horizon Europe und an Erasmus plus sowie die Probleme im gesamten Strombereich und beim Mutual Recognition Agreement (MRA). Nussbaumer erklärte die Entscheidung der Kommission damit, dass man mit dem Entscheid ein neues Kapitel in den bilateralen Beziehungen aufschlagen könne. Zwei Minderheitsanträge von Roger Köppel (svp, ZH) verlangten, nicht auf das Geschäft einzutreten respektive keine Verpflichtungen auf Grundlage des Rahmenkredits einzugehen, bis die Schweiz an Horizon Europe assoziiert sei oder die Börsenäquivalenz wiederhergestellt worden sei. Eine Minderheit Nidegger (svp, GE) wollte die Vorlage an den Bundesrat rücküberweisen und ihn beauftragen, die Kohäsionsmilliarde für die Sanierung der AHV zu verwenden. Franz Grüter (svp, LU) schlug mit seinem Einzelantrag vor, den Beschluss dem fakultativen Referendum zu unterstellen.
Überdies legten die Sprecherinnen und Sprecher aller Fraktionen deren Position ausführlich dar. So warf etwa Sibel Arslan (basta, NR) für die Grüne Fraktion sowohl der Schweiz wie auch der EU vor, Fehler gemacht zu haben, sah den finalen Fehltritt aber auf Schweizer Seite, und zwar im Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen. Die Freigabe der Kohäsionsmilliarde erachtete sie als einen Schritt zur Normalisierung und als Erfüllung eines längst gemachten Versprechens. Da die Motion der APK-NR zur Finanzierungsbotschaft von Erasmus plus bereits angenommen worden war, forderte sie in einem Minderheitsantrag die Streichung der entsprechenden Bedingung. Ähnlich tönte es auch von SP-Sprecher Molina (sp, ZH), der das Ende der Verhandlungen ebenfalls als «verantwortungslos» kritisierte. Auch aus Sicht der GLP sei der Verhandlungsabbruch ein «grosser Fehler» gewesen, meinte Roland Fischer (glp, LU). Die Schweiz profitiere enorm vom europäischen Binnenmarkt und zahle im Verhältnis zu Norwegen sehr wenig für den Zugang. Die FDP setze sich für die Freigabe des Kohäsionsbeitrags ein, um die Negativspirale im Verhältnis zur EU zu durchbrechen, erklärte Christa Markwalder (fdp, BE). Auch sie sprach das überaus günstige Kosten-Nutzen-Verhältnis an, dass die Schweiz im Hinblick auf die Verflechtung mit dem Binnenmarkt aufweise. Eine Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten wirke sich über die europaweiten Bildungs-, Forschungs- und Kulturkooperationen auch positiv auf die Schweiz aus. Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (mitte, BL) hob die Bedeutung der Kohäsionszahlung für das Vorankommen im Horizon-Dossier hervor. Die Nichtassoziierung der Schweiz sei zwar diskriminierend und die Verknüpfung mit der Kohäsionsmilliarde «unschön», doch rechtlich gesehen stehe die EU nicht in der Pflicht, Abkommen mit der Schweiz zu aktualisieren. Auch die Mitte-Fraktion unterstütze die Freigabe des Beitrags sowie den Minderheitsantrag Arslan, gab sie bekannt. Nationalrat Grüter vertrat schliesslich die Ansicht, dass die Schweiz der EU nichts schulde, da die EU massiv von der Schweiz als Handels- und Wirtschaftspartnerin profitiere. Er bemängelte zudem, dass der Bundesbeschluss der Schweizer Bevölkerung nicht zur Abstimmung vorgelegt worden war.
Der im Rat anwesende Aussenminister Cassis drängte die grosse Kammer zur Freigabe der Zahlung, weil man nur so eine positive Verhandlungsdynamik schaffen und Fortschritt in anderen Dossiers erzielen könne. Für die plötzliche Kehrtwende trotz andauernder Diskriminierung der EU im Rahmen der aberkannten Börsenäquivalenz habe der Bundesrat zwei Gründe, erklärte Cassis: Einerseits hätten die Schutzmassnahmen für die Schweizer Börseninfrastruktur die Situation entspannt, andererseits sei die Rechtsgrundlage für den zweiten Kohäsionsbeitrag auf Ende 2024 befristet. Den Einzelantrag von Franz Grüter empfahl er zur Ablehnung, da Finanzgeschäfte gemäss Parlamentsgesetz in Form von einfachen Bundesbeschlüssen erlassen würden – so etwa auch 2019, als das Parlament die Rahmenkredite der zweiten Kohäsionszahlung genehmigt hatte.
Die grosse Kammer lehnte in der Folge sämtliche Minderheitsanträge der SVP ab, strich aber gemäss der Forderung von Sibel Arslan die Verknüpfung mit der Finanzierungsbotschaft für Erasmus plus. Spätabends wurde der Entwurf in der Gesamtabstimmung mit 131 zu 55 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gegen den Willen der SVP-Fraktion und einiger Fraktionsmitglieder der Mitte angenommen.

Der zweite Schweizer Beitrag an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten (Zweite Kohäsionsmilliarde)
Dossier: Schweizer Beitrag an die erweiterte EU

Die Mitte Juni 2021 trotz Verbots von Massenversammlungen aufgrund der Covid-19-Pandemie durchgeführten Demonstrationen gegen Rassismus («Black Live Matters») und für mehr Gleichstellung sorgten für einige Debatten hinsichtlich Gleichbehandlung. Zwar waren die meisten Kundgebungen bewilligt worden, die Auflage, dass nicht mehr als 300 Personen daran teilnehmen dürfen, wurde aber meist nicht eingehalten. Dies brachte vorab der Polizei und dem Bundesrat von bürgerlicher Seite die Kritik von «Willkür» ein: Während sich etwa Restaurants pingelig an die strikten Regeln halten müssten, drücke man bei Demonstrationen ein Auge zu, fasste die NZZ die Kritik zusammen. Eine unbewilligte Demonstration in Basel-Stadt hatte freilich noch weitere politische Auswirkungen: Laut Polizeirapport habe sich neben fünf bewilligten Frauenstreik-Demonstrationszügen eine nicht bewilligte Gruppe von rund 300 Frauen gebildet, die über längere Zeit Verkehrsachsen auf zwei Brücken blockierte. Nach erfolgloser polizeilicher Aufforderung, die Blockaden aufzugeben, sollte die Demonstration gewaltsam aufgelöst werden. Zu diesem Zeitpunkt stiess Nationalrätin Sibel Arslan (basta, BS) zur Gruppe, versuchte erfolglos zwischen der Polizei und den Demonstrantinnen zu vermitteln und wurde in der Folge weggeführt.
Dies rief die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt auf den Plan, die der Nationalrätin Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung, Teilnahme an einer nicht bewilligten Demonstration, Störung von Betrieben der Allgemeinheit und Hinderung einer Amtshandlung vorwarf. Damit gegen ein Parlamentsmitglied eine Strafverfolgung angestrengt werden kann, darf die strafbare Handlung entweder nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der amtlichen Stellung stehen oder die schützende parlamentarische Immunität muss von den entsprechenden Kommissionen (IK-NR und RK-SR) aufgehoben werden. Da sich Sibel Arslan auf ihre Immunität berief, reichte die baselstädtische Staatsanwaltschaft in der Folge ein solches Gesuch um Aufhebung der Immunität von Sibel Arslan ein.
Im September 2021 traten sowohl die nationalrätliche (mit 6 zu 2 Stimmen) als auch die ständerätliche Kommission (einstimmig) auf das Gesuch ein. Dies ist gleichbedeutend mit der Beurteilung, dass die Handlung in unmittelbarem Zusammenhang mit der amtlichen Stellung der Nationalrätin steht. Wäre nicht auf das Gesuch eingetreten worden, hätte das Strafverfahren eingeleitet werden können. Sibel Arslan habe nicht an der Demonstration teilgenommen, sondern sich aufgrund ihres Nationalratsmandats vermittelnd eingeschaltet, womit der Zusammenhang zwischen Handlung und Amt eindeutig bestehe, so die Begründung der Kommissionen. Sowohl die IK-NR als auch die RK-SR kamen sodann jeweils einstimmig zum Schluss, dass die Immunität nicht aufzuheben sei. Es sei nicht einmal klar, ob die an die Basler Nationalrätin gerichteten Vorwürfe überhaupt strafrechtlich relevant seien. Eine schwere Verfehlung, die den Ratsbetrieb einschränken oder so grosses öffentliches Interesse tangieren würde, dass ein Strafverfahren angezeigt wäre – die Bedingungen für die Aufhebung der Immunität –, liege sicherlich nicht vor, so das Urteil beider Kommissionen. Bei der Anhörung von Sibel Arslan habe diese deutlich gemacht, dass sie zur Deeskalation der Situation beigetragen habe, wofür sich die Polizei bei ihr sogar bedankt habe. Dass in der Folge auch keine Anzeige gegen sie eingegangen sei, sei ein starker Hinweis darauf, dass kaum öffentliches Interesse an einem Verfahren bestehe, so die Kommissionen in ihrer Beurteilung. Im Gegenteil habe die Nationalrätin lediglich «ehrenwerte Absichten» gehabt.
In den Medien wurde von einer «Schlappe für die Staatsanwaltschaft», «konstruierte[n] Vorwürfe[n]» und «Furor gegen Linke» geschrieben (Tages-Anzeiger und WoZ). Der Tages-Anzeiger fragte rhetorisch, ob Angriffe von rechts gegen die linke «Reizfigur» Sibel Arslan nicht gar System hätten. Die Politikerin selber zeigte sich erleichtert, dass sie sich nun wieder vollständig ihrer Arbeit als Nationalrätin widmen könne.

Gesuch um Aufhebung der Immunität von Nationalrätin Sibel Arslan

Nach acht Jahren Bearbeitungszeit beantragte die Mehrheit der RK-NR ihrem Rat im April 2021 bereits zum dritten Mal die Abschreibung der parlamentarischen Initiative Rickli (svp, ZH) für eine staatliche Haftung bei Wiederholungstaten nach bedingten Entlassungen und Strafvollzugslockerungen. Die beiden vorangegangenen Vernehmlassungen hätten gezeigt, dass die Ablehnung der parlamentarischen Initiative nicht konkreten Umsetzungsaspekten geschuldet sei, sondern dem Anliegen selbst entspringe, so die Begründung der Kommissionsmehrheit. Sie teile zwar die Ansicht, dass schwere Verbrechen wie Mord von strafentlassenen Wiederholungstätern durch wirksame Massnahmen bekämpft werden und Opfern jede mögliche Hilfe zugesprochen werden müsse, allerdings könne sich die Kommissionsmehrheit «nicht für die Umsetzung des Initiativtextes aussprechen», erklärte Berichterstatterin Sibel Arslan (basta, BS). Nicht zuletzt hätten die Kantone, in deren Kompetenz der Strafvollzug liegt, massive Kritik am Anliegen geübt. Eine SVP-Minderheit erachtete den Handlungsbedarf jedoch weiterhin als aktuell und beantragte deshalb eine erneute Fristverlängerung. Barbara Steinemann (svp, ZH) argumentierte in deren Namen, dass es die Verantwortung der Politik, Justiz und Behörden sei, die Gefahr zu reduzieren, Opfer von Wiederholungstäterinnen oder -tätern zu werden. Gegenwärtig werde die Resozialisierung von Tätern höher gewichtet als die Sicherheit der Bevölkerung, monierte sie. Entgegen der Prognosen der Kantone würde die Umsetzung der Initiative nicht dazu führen, dass es keine Hafturlaube oder Resozialisation mehr gäbe. Vielmehr führte sie zu einer stärkeren Ausfilterung, wer überhaupt von Hafterleichterungen profitieren könne, so Steinemann. Mit 135 zu 53 Stimmen bei einer Enthaltung folgte die Volkskammer dem Mehrheitsantrag und schrieb die parlamentarische Initiative Rickli in der Sommersession 2021 schliesslich ab.

Haftung bei bedingten Entlassungen und Strafvollzugslockerungen (Pa.Iv. 13.430)

Anfang Juni gab die GK ihre Wahlvorschläge für die beiden vakanten ordentlichen deutschsprachigen Gerichtsstellen am Bundesgericht bekannt: Sie beantragte für die Amtsperiode 2021-2026 die Wahl von Stephan Hartmann (gp) und Marianne Ryter (sp), die Andreas Zünd (sp) und Hansjörg Seiler (svp) ersetzen sollten. Zünd war an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gewählt worden und Seiler ging in Pension. Die GK habe sich aus 22 Bewerbungen (10 von Frauen) für die beiden vorgeschlagenen Personen entschieden, die zudem mit der GP und der SP zwei Parteien vertreten, die im Bundesgericht «stark untervertreten» seien.
Während der Wahlvorschlag für Stephan Hartmann von allen Fraktionen unterstützt wurde, sprach sich die SVP-Fraktion aufgrund «schwerwiegender Vorwürfe» gegen die Wahl der aktuellen Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts, Marianne Ryter, aus. Die SVP-Minderheit in der GK beantragte entsprechend, die für die Sommersession 2021 vorgesehene Wahl auf die Herbstsession zu verschieben und anstelle von Marianne Ryter den aktuell nebenamtlichen Bundesrichter Markus Berger (sp) zu wählen.
In einer Medienmitteilung konkretisierte die SVP die Vorwürfe: Ryter habe ihre Fürsorgepflicht als Gerichtspräsidentin verletzt, weil sie wegen eines «Mobbing-Falls» gegen einen SVP-Richter am BVGer keine Untersuchung eingeleitet habe. Es gelte die Unschuldsvermutung, aber die Vorwürfe seien bei der Anhörung Ryters nicht ausgeräumt worden, weshalb es hier eine Untersuchung und entsprechend eine Verschiebung der Wahl brauche – so das Communiqué der Volkspartei.
Es kam – nachdem GK-Präsident Andrea Caroni (fdp, AR) erklärt hatte, dass die Kommission mehrheitlich zum Schluss gekommen sei, dass es keine Anhaltspunkte gebe, die eine Wahl von Marianne Ryter in Frage stellen würden – zu einem teilweise recht heftigen Schlagabtausch in der Versammlung: Die SVP versuchte zu zeigen, dass gewichtige Fragen zur Integrität von Marianne Ryter bestehen, während die Sprecherinnen und Sprecher der anderen Fraktionen der SVP mehr oder weniger vorwarfen, die Richterwahlen zu «verpolitisieren» (Mathias Aebischer, sp, BE) bzw. «Kampagnen» zu betreiben (Sibel Arslan basta, BS). Lorenz Hess (bdp, BE) warnte mit Verweis auf die anstehende Justizinitiative, dass das Parlament gut daran täte, «hier zu zeigen, dass wir in der Lage sind, korrekte Prozesse durchzuführen». In der Folge lehnte die Vereinigte Bundesversammlung den Minderheitenantrag ab. Die Ständerätinnen und Ständeräte taten dies per Namensaufruf mit 39 zu 6 Stimmen, die elektronische Abstimmung der Nationalrätinnen und Nationalräte ergab ein Stimmenverhältnis von 180 zu 55 Stimmen. Der Minderheitsantrag wurde lediglich von der SVP-Fraktion unterstützt. Diese Opposition zeigte sich dann noch einmal bei der Wahl: Von den 235 eingelangten Wahlzetteln waren 6 leer und 229 gültig. Der Name «Stefan Hartmann» stand auf 223 dieser Zettel, der Name «Marianne Ryter» hingegen lediglich 161 Mal. Er war in 58 Fällen mit dem Namen «Markus Berger» ersetzt worden.
In den Medien wurden in der Folge der «Sittenzerfall in der Bundesjustiz» (Aargauer Zeitung) und das «zu sorglose» Parlament (NZZ) kritisiert. Damit würde «Wasser auf die Mühlen» der Kritikerinnen und Kritiker dieses Wahlsystems geleitet, so die NZZ.

Wahlen ans Bundesgericht

Nachdem der Bundesrat in Erfüllung des Postulats Arslan (basta, BS) bezüglich einer Evaluation der im Rahmen der ZGB-Revision getroffenen Massnahmen zur Verhinderung von Zwangsheiraten einen Bericht veröffentlicht hatte, schrieb der Nationalrat das Postulat in der Sommersession 2021 stillschweigend ab.

Evaluation der Revision des Zivilgesetzbuches vom 15. Juni 2012 (Zwangsheiraten; Po. 16.3897)

Sibel Arslan (basta, BS) zitierte aktuelle Zahlen des BFS, um ihr Postulat zur Förderung des beruflichen Wiedereinstiegs von Frauen zu begründen: Gemäss dem BFS blieben Frauen dem Arbeitsmarkt aufgrund einer Familienpause im Durchschnitt fünfeinhalb Jahre fern, wobei das beruflich erworbene Know-How an Wert verliere. Die durch den Bund beschlossenen Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung seien zwar wichtig, aber an sich nicht ausreichend, um Frauen den beruflichen Wiedereinstieg zu erleichtern, so die Basler Nationalrätin. Deswegen verlangte sie in ihrem Vorstoss vom Bundesrat die Erarbeitung einer Gesamtstrategie und eines Massnahmenplans – abgestimmt auf die unterschiedlichen Verhältnisse und Bedürfnisse der Frauen.
Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats, welches jedoch in der Frühjahrssession 2021 von Therese Schläpfer (svp, ZH) bekämpft wurde, unter anderem weil sie befürchtete, dass dadurch «die Mütter oder die Kinder [...] von der Familie entfernt» würden. Ihre ablehnende Haltung wurde in der Sommersession von einer grossen Mehrheit der FDP-Fraktion sowie von der fast einstimmigen SVP-Fraktion unterstützt – die SVP-Vertretenden Amaudruz (GE) und Addor (VS) enthielten sich der Stimme. Die restlichen Ratsmitglieder befürworteten das Postulat, sodass dieses mit 117 zu 71 Stimmen angenommen wurde.

Massnahmenplan für den Wiedereinstieg von Frauen in die Arbeitswelt (Po. 20.4327)

Nachdem die RK-NR dem Anliegen doch noch zugestimmt hatte, machte sich die ständerätliche Schwesterkommission an den Entwurf für eine Verordnungsänderung, mit der die Altersschwelle in der Bundesanwaltschaft von 65 (bzw. 64 für Frauen) auf 68 Jahre erhöht werden sollte, und stimmte ihm noch Mitte April 2021 zu. Da es für die Revision der Verordnung keine Vernehmlassung brauche und die Änderung bereits auf 1. Januar 2022 in Kraft treten solle, wurde das Geschäft bereits für die Sommersession 2021 zur Behandlung im Ständerat traktandiert. Abzuwarten galt es freilich noch die Stellungnahme des Bundesrats. Falls die Anpassung beide Kammern rasch passiert und tatsächlich Anfang 2022 in Kraft treten kann, könnte sie allenfalls doch wichtig werden für die noch immer hängige Suche nach einem neuen Bundesanwalt oder einer neuen Bundesanwältin – auch wenn Kommissionssprecher Rieder (cvp, VS) kurz zuvor noch erklärt hatte, dass die neue Regelung für die aktuell laufende Wahl nicht anwendbar sein werde. In der Zwischenzeit war allerdings klar geworden, dass auch die zweite Runde für die Suche nach einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers für Michael Lauber scheitern würde. Die GK hatte sich deshalb entschieden, mit der dritten Neuausschreibung zuzuwarten, bis über die Altersschwelle entschieden wurde.

Anpassung der Altersschwelle in der Bundesanwaltschaft (Pa.Iv. 20.485)

In der Frühjahrssession 2021 begrüsste Kommissionssprecher Beat Flach (glp, AG) seine Ratskolleginnen und -kollegen zur «kleinen Monsterdebatte» über die Revision der Strafprozessordnung. Der Nationalrat nahm sich der punktuellen Anpassung der StPO zur Verbesserung ihrer Praxistauglichkeit (in Umsetzung der Mo. 14.3383) als Erstrat an. Er trat ohne Gegenantrag auf die Vorlage ein. Zwei Minderheitsanträge Nidegger (svp, GE) und Addor (svp, VS) auf Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, noch verschiedene zusätzliche Punkte in die Revision zu integrieren, fanden ausserhalb der SVP-Fraktion keine Zustimmung und blieben damit chancenlos.
Erster Kernpunkt der Diskussion war die Einschränkung der Teilnahmerechte der beschuldigten Person. Die aktuell geltende Regelung wurde in der Debatte immer wieder als einer der Auslöser für die vorliegende StPO-Revision genannt. Der Bundesrat hatte im Entwurf vorgesehen, dass die beschuldigte Person von einer Einvernahme ausgeschlossen werden kann, solange sie sich zum Gegenstand der Einvernahme noch nicht selber einlässlich geäussert hat. Er wollte damit der Strafverfolgung die Wahrheitsfindung erleichtern, wie Justizministerin Karin Keller-Sutter erklärte. Indem Beschuldigte unter bestimmten Voraussetzungen von der Einvernahme anderer Personen ausgeschlossen werden können, soll verhindert werden, dass sie ihre Aussagen einander anpassen. Befürworterinnen und Befürworter im Nationalrat argumentierten überdies, dass Zeuginnen und Zeugen durch die Anwesenheit der beschuldigten Person – oder letztere durch die Anwesenheit des «Bandenboss[es]» (Barbara Steinemann, svp, ZH) – eingeschüchtert und unter Druck gesetzt werden könnten, was die Qualität der Aussagen beeinträchtige. Vertreterinnen und Vertreter der Gegenseite warnten dagegen vor der Einführung einer «faktische[n] Mitwirkungspflicht» (Ursula Schneider Schüttel, sp, FR): Die neue Regelung bewirke, dass die beschuldigte Person sich zur betreffenden Sache im Detail äussern – d.h. auf ihr Aussageverweigerungsrecht verzichten – müsse, um bei den Beweiserhebungen dabei sein zu dürfen. Für jemand Unschuldiges sei das besonders schwierig, führte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) aus, «[d]enn der kann nämlich nichts anderes sagen, als dass er unschuldig ist». Den Beweiserhebungen nicht beizuwohnen und daher nicht genau zu wissen, was einem vorgeworfen werde, erschwere indessen die eigene Verteidigung, so Ursula Schneider Schüttel weiter. Zwar gab auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter den Gegenstimmen recht, dass das Teilnahmerecht der Beschuldigten «als Ausgleich für die strukturell starke Stellung der Staatsanwaltschaft notwendig» sei, hielt die vorgeschlagene Einschränkung jedoch für «massvoll und zurückhaltend». Für ihre Fraktion sei der Artikel allerdings die «Pièce de Résistance» der Vorlage, bekundete SP-Vertreterin Ursula Schneider Schüttel ebenso wie Christian Lüscher (fdp, GE), der für die Mehrheit der FDP-Fraktion sprach. Sinngleich erklärte auch Sibel Arslan (basta, BS), im Falle der Annahme der neuen Einschränkung werde die Grüne Fraktion «die ganze Vorlage infrage stellen müssen». Mit 103 zu 85 Stimmen bei zwei Enthaltungen folgte die grosse Kammer schliesslich ihrer Kommissionsmehrheit, die beim Status quo bleiben wollte. SP und Grüne setzten sich mit Unterstützung von Teilen der FDP- und der Mitte-Fraktionen durch.
Erfolgreicher war der Bundesrat mit seinem Ansinnen, die Voraussetzungen für die Untersuchungs- und Sicherheitshaft bei Wiederholungsgefahr zu lockern, wobei der Nationalrat seiner Kommissionsmehrheit folgend eine vom Bundesrat abweichende Formulierung wählte. Justizministerin Karin Keller-Sutter stellte im Rat jedoch fest, dass nach Ansicht des Bundesrates kein materieller Unterschied zwischen den beiden Formulierungen bestehe. Eine weitere Niederlage musste der Bundesrat bei der vorgesehenen Beschwerdemöglichkeit für die Staatsanwaltschaft gegen Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts hinnehmen. Er hatte diese in der StPO festschreiben wollen, um die ohnehin bereits vom Bundesgericht angewandte Praxis gesetzlich zu verankern. «Es ist unbefriedigend, wenn sich weder die Legitimation noch das Verfahren aus dem Gesetz ergeben», begründete die Justizministerin diese Neuerung. Der Nationalrat folgte auch in dieser Frage mit 98 zu 89 Stimmen seiner Kommissionsmehrheit und strich den betreffenden Absatz aus der Vorlage. Die geschlossen für die Version des Bundesrates stimmenden Fraktionen der SVP und der FDP sowie einzelne Stimmen aus der Mitte- und der GLP-Fraktion befürchteten, ohne Beschwerdemöglichkeit für die Staatsanwaltschaft könnte «eine zu Unrecht erfolgte Nichtanordnung von Haft» in gewissen Fällen «eine Fortsetzung der Strafuntersuchung illusorisch» machen, wie es Christa Markwalder (fdp, BE) formulierte. Die Ratsmehrheit folgte indessen der Argumentation von Mitte-Vertreter Philipp Matthias Bregy: Wenn die Staatsanwaltschaft Beschwerde gegen die Nichtanordnung, Nichtverlängerung oder Aufhebung der Untersuchungshaft einlegen könne, könne die Untersuchungshaft «durch systematische Beschwerden der Staatsanwaltschaften unnötig verlängert» werden. Selbst Bundesrätin Karin Keller-Sutter gab zu bedenken, es sei «alles andere als klar», ob sich die Beschwerdeberechtigung für die Staatsanwaltschaft mit den Vorgaben der EMRK vereinbaren lasse. Weil die Überführung der bundesgerichtlichen Praxis in das Gesetz von einer angenommenen parlamentarischen Initiative Jositsch (sp, ZH; Pa.Iv. 12.497) gefordert und in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsst worden sei, habe sich die Regierung «trotz aller Bedenken und Unsicherheiten» entschieden, die nun im Nationalrat durchgefallene Regelung in den Entwurf aufzunehmen, so die Justizministerin.
Weiter sollten DNA-Profile gemäss dem Entwurf des Bundesrates neu auch dann erstellt werden dürfen, wenn «erhebliche und konkrete Anhaltspunkte» für eine Verwicklung der beschuldigten Person in bereits begangene oder künftige Delikte bestimmter Schwere bestünden, und nicht mehr nur zur Aufklärung von Verbrechen, die Gegenstand des aktuellen Verfahrens sind. Die Kommissionsmehrheit wollte hier einerseits einen Schritt weiter gehen und schlug vor, dass bei vergangenen Straftaten eine «gewisse Wahrscheinlichkeit» bereits genügen sollte; für die Aufklärung zukünftiger Straftaten lehnte sie andererseits die Erstellung eines DNA-Profils gänzlich ab. Die Volkskammer folgte diesen beiden Anträgen, wobei die Verschärfung bezüglich der vergangenen Straftaten gegen den Widerstand des links-grünen Lagers und die Streichung bezüglich der zukünftigen Straftaten gegen die SVP- und Teile der Mitte-Fraktion durchgesetzt wurde.
Überdies nahm der Nationalrat mit grosser Mehrheit auch einen Einzelantrag Regazzi (mitte, TI) an, der darauf zielte, die Möglichkeiten zur verdeckten Ermittlung im Bereich der Kinderpornografie zu erweitern. Bundesrätin Karin Keller-Sutter hatte vergeblich darauf hingewiesen, dass der Antrag in die sorgfältig austarierte Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen eingreife und deshalb abzulehnen sei. Ebenfalls gegen den Willen des Bundesrates fügte die grosse Kammer einen neuen Artikel über die restaurative Gerechtigkeit («justice restaurative», Wiedergutmachungsjustiz) in die StPO ein. Die Kommission habe sich mit 15 zu 6 Stimmen bei 3 Enthaltungen zu diesem «mutigen Schritt» entschieden, berichtete Kommissionssprecher Beat Flach. Wenn beide Seiten damit einverstanden sind, soll neu eine Art Mediation zwischen Opfern und Tätern durchgeführt werden können. Es gehe nicht darum, wie von ablehnenden Stimmen aus SVP und Mitte kritisiert, die Verfahren zu verlängern oder «dem Straftäter gegenüber irgendwie Milde walten zu lassen», sondern dem Opfer eine Möglichkeit zu geben, sich mit dem Geschehenen zu beschäftigen und es aufzuarbeiten. Erfahrungen aus der Westschweiz und aus Belgien zeigten, dass solche Prozesse das «rein[e] Aburteilen und Strafen» gut ergänzen und vor allem für die Opfer «eine Hilfe auf dem weiteren Lebensweg» sein könnten. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte, dass der Bundesrat die «justice restaurative» nicht generell ablehne, mahnte den Nationalrat aber zur Vorsicht, nicht übereilt zu handeln. Sie kritisierte die unpräzise Formulierung, die sowohl den Anwendungsbereich als auch die Folgen einer allenfalls erfolgreichen Wiedergutmachung zu stark offen lasse; das sei «unter dem Aspekt der rechtsgleichen Behandlung heikel». Auch müsste die Frage zuerst mit den Kantonen diskutiert werden, die die StPO schliesslich anwendeten. Den Einwand, das Konzept sei zu wenig ausgereift, liess Kommissionssprecher Flach nicht gelten: Der Ständerat könne als Zweitrat noch «nachjustieren». Mit 122 zu 71 Stimmen sah das auch der Nationalrat so und hiess den Vorschlag seiner Kommissionsmehrheit gut, wobei sich die SVP-Fraktion geschlossen und die Mitte-Fraktion mehrheitlich gegen die Einführung der Wiedergutmachungsjustiz aussprach.
Eine weitere Neuerung, die der Bundesrat nicht durchsetzen konnte, war das Ansinnen, die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, die beschuldigte Person im Strafbefehlsverfahren zwingend einzuvernehmen, wenn ihr eine unbedingte Freiheitsstrafe droht. Eine Einvernahme erhöhte die Akzeptanz eines Strafbefehls, begründete die Justizministerin diesen Schritt. Während eine links-grüne Minderheit die Einvernahme auch bei hohen Geldstrafen verpflichtend machen wollte, erachtete die bürgerliche Ratsmehrheit die heutige Regelung als ausreichend und strich den Artikel gänzlich aus dem Entwurf.
Damit hatte der Nationalrat der Revisionsvorlage einige Zähne gezogen, die insbesondere den Strafverfolgungsbehörden zugute gekommen wären. Von der Ratslinken hatte sich der Bundesrat zunächst vorwerfen lassen müssen, einer «durchaus beeindruckende[n] PR-Offensive» (Min Li Marti, sp, ZH) der Staatsanwaltschaft erlegen zu sein. Gegen die Vorlage, wie sie nun vom Nationalrat angepasst worden war, regte sich in der Gesamtabstimmung von linker Seite aber kein Widerstand mehr. «Den Ton gaben Anwältinnen und Anwälte an», resümierte denn auch die NZZ die Debatte. Mit dem Ergebnis explizit unzufrieden zeigte sich die SVP-Fraktion. Die versprochene Verbesserung der Praxistauglichkeit der StPO für die Strafverfolgungsbehörden sei «heute in diesem Saal nicht passiert», so SVP-Vertreter Pirmin Schwander (svp, SZ), weil die Ratsmehrheit die zentralen Neuerungen verworfen habe. Die grosse Kammer verabschiedete den Entwurf schliesslich mit 139 zu 54 Stimmen an den Zweitrat. Stillschweigend schrieb er die Motionen 09.3443, 11.3223, 11.3911, 12.4077 und 14.3383 sowie die Postulate 15.3447 und 15.3502 ab. Die vom Bundesrat ebenfalls beantragte Abschreibung des Postulats 18.4063 zur Wiedergutmachungsjustiz lehnte er jedoch ab.

Änderung der Strafprozessordnung (BRG 19.048)
Dossier: Revision der Strafprozessordnung (Umsetzung der Mo. 14.3383)

«Trotz ihrer fachlichen Eignung erfüllt keine der drei Personen [...] die zahlreichen persönlichen und beruflichen Kriterien, die erforderlich sind, um dieses anspruchsvolle Amt auszuüben», begründete die GK in ihrer Medienmitteilung vom 24. Februar 2021 ihren Entscheid, die Stelle für eine neue Bundesanwältin oder einen neuen Bundesanwalt gar ein drittes Mal auszuschreiben. Weder Maria-Antonella Bino, noch Lucienne Fauquex oder Félix Reinmann hätten in der Kommission eine genügend breite Unterstützung gefunden, liess die GK verlauten. Damit war klar, dass das Parlament auch in der Frühjahrssession 2021 keine Nachfolgerin und keinen Nachfolger für Michael Lauber wählen würde.
In der Presse wurden Machtspiele in der Kommission vermutet, wie Sibel Arslan (basta, BS) dem Blick zu Protokoll gab. Die Zeitung sprach von einer Sackgasse, in die sich die GK manövriert habe. Es würden sich in einer dritten Runde kaum mehr valable Kandidierende finden. Die Kriterien seien so hoch angesetzt, dass sie niemand erfüllen könne. Die Tribune de Genève sprach gar von künftigen «Kamikaze»-Kandidaturen. Christian Lüscher (fdp, GE) gab der Tribune zu Protokoll, dass sich die Kommission sehr amateurhaft verhalten habe. Die NZZ sprach überdies von einem «Trauerspiel» und einem «Scherbenhaufen»; Le Temps von einer «Farce».
Einzelne GK-Mitglieder wehrten sich allerdings gegen diese Urteile. Ursula Schneider Schüttel (sp, FR) gab der Libérté zu Protokoll, dass man das Verfahren sehr ernst nehme, und auch Andrea Caroni (fdp, AR) befand, dass Qualität vor Tempo gehe. Auch die Weltwoche sah das Problem nicht in erster Linie in der Kommission, sondern in der «mageren Auswahl an geeigneten Kandidaten», in der Wahl durch das Parlament und dem «verfehlten Aufsichtssystem». Diesen Aspekt nahm auch die NZZ auf, die von einem Konstruktionsfehler sprach, weil statt der Regierung das Parlament Wahlbehörde sei. Die Bundesanwaltschaft verkomme zum Spielball der Politik und von Diskretion, die bei Stellenbesetzungen eigentlich oberstes Gebot sein müsse, fehle deshalb jede Spur. Sie verglich die Wahl gar mit der Fernsehsendung «Germany's Next Topmodel», in der jede Woche Kandidatinnen und Kandidaten vorgeführt und abserviert würden. Die Diskussion darum, ob wie früher der Bundesrat oder eben das Parlament die Bundesanwältin oder den Bundesanwalt wählen solle, wurde damit – wie schon nach der ersten erfolglosen Runde – erneut virulent.

Die GK selber entschied Mitte März 2021, mit einer Neuausschreibung der Stelle zuzuwarten. Man wolle zuerst anstehende Entscheide abwarten, so etwa die Erhöhung der Alterslimite für die Bundesanwaltschaft, aber auch den Bericht der GPK zur künftigen Organisation der obersten Strafbehörde. Es müssten zudem bessere Instrumente zur Suche nach Kandidierenden entwickelt und die Vertraulichkeit des Verfahrens verbessert werden, war der Medienmitteilung der GK zu entnehmen. Letzteres unterstrich auch eine Aussage von Andrea Caroni (fdp, AR), die für grossen Wirbel gesorgt hatte. Er hatte kritisiert, dass «mindestens jemand in dieser Kommission [...] hochgradig kriminell» sei. Es würden laufend vertrauliche Informationen an die Medien gespielt. Freilich räumte der GK-Präsident im St. Galler Tagblatt auch ein, dass es «nicht unproblematisch» und «nie frei von Politik» sei, wenn 17 Parlamentsmitglieder ein Bewerbungskomitee bildeten.

Wahl eines neuen Bundesanwalts
Dossier: Wahlen des Bundesanwalts
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

In der Frühjahrssession nahm sich der Nationalrat der Justiz-Initiative an. Zur Debatte standen dabei drei Minderheitsanträge, welche die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags bezweckten, was der Bundesrat in seiner Vorlage abgelehnt hatte. Ein Minderheitsantrag Min Li Marti (sp, ZH) verlangte die Rückweisung des Geschäfts an die RK-NR, damit diese ihren in Form einer parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 20.480) bereits eingereichten indirekten Gegenvorschlag weiter ausarbeite. Zwei weitere links-grüne Minderheiten präsentierte einen eigenen direkten Gegenentwurf, der gleichzeitig mit der Initiative zur Abstimmung kommen soll.
Die RK-NR selber sehe aber keinen Handlungsbedarf mehr, berichtete Barbara Steinemann (svp, ZH) für die Kommission. Nach einigen Anhörungen sei man zum Schluss gekommen, dass sich das aktuelle System bewährt habe. Die Wahl von Richterinnen und Richtern, wie sie heute praktiziert werde, sei nicht über alle Zweifel erhaben und es gebe durchaus «diskussionswürdige Punkte», so die Kommissionssprecherin. Alle anderen Systeme seien aber «noch weniger perfekt», weshalb die Kommission mit 22 zu 0 Stimmen (3 Enthaltungen) empfehle, die Volksinitiative ohne indirekten Gegenvorschlag und ohne direkten Gegenentwurf abzulehnen.
In der Begründung ihres Rückweisungsantrags machte Min Li Marti (sp, ZH) auf die wunden Punkte aufmerksam, auf welche die Initiative die Finger legt: Die Frage der Wiederwahl – Richterinnen und Richter müssen periodisch in ihrem Amt bestätigt werden, was in jüngerer Zeit nicht immer reibungslos vonstatten gegangen war –; die Mandatsabgaben, die von Richterinnen und Richtern an ihre Parteien bezahlt werden müssen und die auch von der Greco kritisiert werden, weil sie das bestehende Abhängigkeitsverhältnis noch verstärken; oder die Auswahl der Richterinnen und Richter durch die Gerichtskommission, die kein eigentliches Fachgremium darstellt und weniger auf Fachkompetenz als auf politische Einstellungen und Parteizugehörigkeit achtet. Diese Punkte müssten von der Rechtskommission noch einmal überdacht und in eine Gesetzesrevision gegossen werden, forderte die Zürcher Sozialdemokratin. Sibel Arslan (basta, BS) skizzierte in der Folge die beiden direkten Gegenentwürfe. Vorgesehen war eine Erhöhung der Amtsdauer von Richterinnen und Richter auf zwölf oder sechzehn Jahre in Verbindung mit einem noch zu regelnden Amtsenthebungsverfahren. Das bisherige Wiederwahlverfahren gefährde die Unabhängigkeit der Judikative, weil Richterinnen und Richter mit ihrer Wiederwahl unter Druck gesetzt werden könnten, so die Begründung der Baslerin.

In der nachfolgenden Debatte wiesen auch zahlreiche Votantinnen und Votanten auf die Mängel des bestehenden Systems hin. Freilich war umstritten, ob diese Mängel mit einem Gegenvorschlag oder einem Gegenentwurf behoben werden müssten oder ob sie sich «im Rahmen der heutigen Strukturen lösen» lassen, wie sich etwa Pirmin Schwander (svp, SZ) überzeugt zeigte. Wichtig sei freilich, dass man bereits bei der Selektion der Kandidierenden die «richtigen Persönlichkeiten» auswähle. Das System funktioniere, befand auch Christoph Eymann (ldp, BS). Änderungen seien weder auf Gesetzes- noch auf Verfassungsstufe nötig. Der von der Initiative kritisierte Parteienproporz bei Richterwahlen sei gar nicht so schlecht, führte dann Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) aus. Er garantiere vielmehr eine Vertretung aller «ideologischen Richtungen». Auch die regelmässigen Wiederwahlen wurden verteidigt: In Realität seien die Richterinnen und Richter unabhängig von ihren Parteien und zu einer Abwahl komme es praktisch nie, argumentierte Sidney Kamerzin (mitte, VS) gegen eine Reform des Systems. Gegen ein zu hastiges Vorgehen mit Hilfe von Gegenvorschlägen und Gegenentwürfen stellte sich auch Kurt Fluri (fdp, SO). Man müsse die bestehenden Probleme in Ruhe angehen. So sei ja etwa eine Motion von Beat Walti (fdp, ZH) für ein Verbot von Mandatssteuern bereits eingereicht worden.
Die Ratslinke – unterstützt von der GLP, für die Beat Flach (glp, AG) Handlungsbedarf aufgrund der undurchsichtigen Mandatsabgaben feststellte – hätte hingegen die Initiative gerne als Treiberin für nötige Reformen genutzt. Es sei ein Glücksfall, dass es dank der Initiative zu einer öffentlichen Debatte über die Judikative komme, lobte Matthias Aebischer (sp, BE). Wenn ein indirekter Gegenentwurf jetzt ausgearbeitet werden müsse, könnten die «kritischen und berechtigten Aspekte der Initiative» aufgenommen werden, warb auch Ursula Schneider Schüttel (sp, FR) für die Rückweisung an die Kommission.

Eine solche wurde dann allerdings von der Ratsmehrheit mit 99 zu 81 Stimmen (1 Enthaltung) abgelehnt. Dabei zeigte sich der aufgrund der vorgängigen Diskussion zu erwartende Graben zwischen SVP-, FDP- und der Mehrheit der Mitte-Fraktion, die den Rückweisungsantrag ablehnten, und den Fraktionen von SP, GP und GLP sowie der EVP. Auf die beiden Vorlagen für mögliche direkte Gegenentwürfe mochte der Rat sodann gar nicht erst eintreten. Mit 102 zu 79 Stimmen (3 Enthaltungen) wurde eine mögliche Debatte abgelehnt. Dabei zeigten sich die praktisch gleichen Fronten wie bei der abgelehnten Rückweisung.

Die Initiative selber fand bei den Rednerinnen und Rednern kaum Unterstützung. Das Losverfahren sei «schlicht unseriös», urteilte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS). Der Zufall mache seine Sache nur selten gut, befand auch Nicolas Walder (gp, GE) und mit dem Los bestünde das grosse Risiko, dass nicht alle politischen Sensibilitäten in der Judikative repräsentiert seien. Auch die Idee eines Fachgremiums, mit dem die auszulosenden Kandidierenden bestimmt würden, stiess auf Kritik. Auch die Mitglieder eines solchen Gremiums könnten nicht politisch neutral sein, warnte Matthias Aebischer (sp, GE). Eine durch Los oder ein Fachgremium bestimmte Judikative sei demokratisch weniger legitimiert als durch das Parlament oder die Stimmbevölkerung gewählte Richterinnen und Richter, pflichtete Andreas Glarner (svp, AG) bei. Ein «Sympathie-Ja» erhielt das Begehren einzig von Lukas Reimann (svp, SG): Richterwahlen seien sehr wohl politisch und die Parteizugehörigkeit verhindere die Auswahl der besten Kandidierenden, begründete der St. Galler seine Unterstützung.
Der Nationalrat folgte stillschweigend dem Antrag der Kommission, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. Die NZZ sprach nach der nationalrätlichen Debatte von einer verpassten Chance. Es sei fraglich, ob das Parlament ohne den Druck einer Volksinitiative gewillt sei, die Mängel im bestehenden System zu beheben.

Justizinitiative (BRG 20.061)
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative
Dossier: Justizinitiative

Anfang Februar 2021 gab auch die SPK-SR der parlamentarischen Initiative von Sibel Arslan (basta, BS), die ein aktives Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige fordert, grünes Licht – mit 7 zu 6 Stimmen allerdings nur knapp. Es mache «gerade in einer direkten Demokratie Sinn, die politische Teilnahme möglichst früh zu ermöglichen», war in der Medienmitteilung der Kommission als Begründung zu lesen. 57 Jahre betrage der Medianwert des Alters der Stimmberechtigten, was staatspolitisch bedenklich sei, weil Jugendliche von heute beschlossenen Gesetzen für lange Zeit betroffen seien. Die Kommissionsmehrheit erhoffte sich auch einen Schub hinsichtlich politischer Bildung, weil damit für Schulen mehr Anreiz bestehe, den Auszubildenden Hilfe für die Praxis anzubieten. Die Kommissionsminderheit bemängelte die Differenz zwischen Rechten und Pflichten. Mit 16 Jahren sei man von Gesetzes wegen noch nicht mündig, dürfe also rechtlich keine eigenen verbindlichen Entscheide fällen, mit der Senkung des Stimmrechtsalters aber über komplexe, die Gesellschaft betreffende Angelegenheiten mitbestimmen. Dies sei schwierig zu erklären. Zudem sei die Aufspaltung des Stimmrechts – die parlamentarische Initiative will lediglich für das aktive (wählen und abstimmen), nicht aber für das passive Stimmrecht (gewählt werden) das dazu berechtigende Alter senken – nicht nachvollziehbar. Es sei zudem sinnvoller, Stimmrechtserweiterungen zuerst auf kommunaler und kantonaler Ebene zu erproben, gab die Minderheit weiter zu bedenken. Mit dem Entscheid der SPK-SR erhält die Schwesterkommission (SPK-NR) den Auftrag, einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten.

Aktives Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige (Pa.Iv. 19.415)
Dossier: Stimmrechtsalter 16

Das Bundesstrafgericht geriet Ende 2019 stark in den Fokus der Medien. Mit einem Gerichtsentscheid gegen Bundesanwalt Michael Lauber wurde eine eigentliche Lawine ausgelöst. Im Anschluss an den Entscheid des Gerichts mit Sitz in Bellinzona, Bundesanwalt Michael Lauber wegen Befangenheit vom «Fifa-Fall» auszuschliessen, vermuteten die Medien Klüngelei und erhoben teilweise schwere Vorwürfe, die im Verlauf des Jahres 2020 schliesslich auch die Politik zum Reagieren zwangen.

Hinter dem Entscheid gegen Lauber Mitte Juni 2019 vermutete die Weltwoche auch personelle Verstrickungen. «Dass sich Anwälte, Strafverfolger und Richter in der kleinen Schweiz kennen und sich ihre Wege immer wieder mal kreuzen, lässt sich nicht verhindern. Umso wichtiger ist es, jeglichen Anschein von Befangenheit zu vermeiden» – so die Weltwoche. Der Ausschluss von Lauber vom Fifa-Fall zog weitere Kreise als bekannt wurde, dass der für das Befangenheitsurteil verantwortliche Richter – Giorgio Bomio (sp) – vom Kollegium (also allen Richterinnen und Richtern am Bundesstrafgericht) nicht wie üblich für eine zusätzliche Amtsperiode zum Präsidenten der Beschwerdekammer gewählt worden war. Statt Bomio war Roy Garré (sp) zum Vorsitzenden bestimmt worden. Die NZZ vermutete, dass Meinungsverschiedenheiten wegen der Kritik an Lauber zur Nichtwahl von Bomio geführt hätten. Da sowohl Bomio wie auch Garré der SP angehörten, könnten parteipolitische Überlegungen ausgeschlossen werden, so die Neue Zürcher Zeitung. Die Sonntagszeitung und die Tribune de Genève doppelten nach und sprachen von einem «Putsch». Neben Bomio sei auch Claudia Solcà (cvp) nicht mehr als Präsidentin der Berufungskammer bestätigt worden – stattdessen hatte das Gremium Olivier Thormann (fdp) zum Präsidenten der Berufungskammer gewählt. Auch Solcà galt als Kritikerin Laubers, so soll sie als Vorsitzende der Berufungskammer im Fall der Beschwerde Laubers gegen seine Befangenheit das für den Fall zuständige Richtergremium «sehr eigenwillig» zusammengestellt haben. Ihr seien aber auch grobe Führungsmängel vorgeworfen worden, berichteten die Medien.

Aufgrund dieser Ereignisse begannen Mitarbeitende der CH-Media-Gruppe die Vorkommnisse am Bundesstrafgericht eingehender zu recherchieren. Ende 2019 sprach die Aargauer Zeitung von einer «Art Sittenzerfall in Bellinzona» und untermauerte diese Behauptung mit einer Reihe von Argumenten: Das Bundesstrafgericht werde von der SVP und von Deutschschweizern dominiert. In der Tat bestand das Präsidium aus zwei SVP-Richtern – Stephan Blättler und Sylvia Frei als Präsident und Vizepräsidentin. Zwar wählte die Vereinigte Bundesversammlung in der Wintersession 2019 dann als drittes Mitglied in die Gerichtsleitung nicht wie vom Bundesstrafgericht vorgeschlagen Andrea Blum, auch sie eine Richterin der SVP, sondern Olivier Thormann (fdp), auch er allerdings Deutschschweizer. Diese dreiköpfige Verwaltungskommission habe gewichtige Kompetenzen, die laut internen Quellen auch zu Privilegien- und Günstlingswirtschaft geführt hätten, so die AZ weiter. Von rückwirkender Erhöhung von Pensen, Spesenexzessen, aber auch von Mobbing und Sexismus würden anonyme interne Quellen gemäss der Zeitung berichten. Kritikerinnen und Kritiker dieses Systems würden abgestraft – die Nichtbestätigung von Bomio und Solcà müsse auch in diesem Licht betrachtet werden. Als wesentliches Problem des Gerichts machte die AZ gestützt auf Beobachterinnen und Beobachter die Dominanz der SVP aus: Der Verdacht bestehe, «dass politischer Einfluss genommen wird, dass die Gewaltenteilung nicht mehr eingehalten wird, dass Entscheide plötzlich nicht mehr mit der nötigen Unabhängigkeit getroffen werden».

Die medialen Vorwürfe warfen Wellen bis ins Bundeshaus und führten zu zahlreichen Reaktionen. Verschiedene Mitglieder der GK gaben sich verblüfft über die Zustände und forderten eine Aufklärung durch die GPK. Der Präsident der GPK, Erich von Siebenthal (svp, BE), versprach laut Aargauer Zeitung, dass er sich der Sache annehmen werde.

Aktiv wurde in der Folge dann das Bundesgericht, dem die administrative Oberaufsicht über das Bundesstrafgericht obliegt. Eine bundesgerichtliche Verwaltungskommission – bestehend aus Bundesgerichtspräsident Ulrich Meyer (sp), Vizepräsidentin Martha Niquille (cvp) sowie Yves Donzallaz (svp) – leitete Ende Januar ein aufsichtsrechtliches Verfahren ein, um die in der Presse geäusserten Vorwürfe zu untersuchen.
In den Medien stiess die Untersuchung auf Interesse: Das Bundesgericht müsse nun beweisen, dass es seine Aufsichtsaufgabe ernst nehme und «nicht nur einmal im Jahr zum Kaffeetrinken in trauter Runde nach Bellinzona» fahre, forderte die NZZ. In der Untersuchung am «Bundesstreitgericht» – so der Tages-Anzeiger – müssten die «persönlichen Animositäten, Intrigen und Machtkämpfe» beleuchtet werden. Das Waschen dieser dreckigen Wäsche führe zwar dazu, dass die Schweizer Justiz an Glaubwürdigkeit verliere, es zeige sich aber auch, «dass Richter nicht Säulenheilige von Recht und Moral sind, sondern oft allzu menschlich und machtsüchtig agieren», erinnerte die Weltwoche.

Mitte April 2020 legte die bundesgerichtliche Verwaltungskommission ihren Aufsichtsbericht vor, in dem die Vorwürfe allesamt entkräftet wurden. Es gebe insbesondere keine Hinweise auf Spesenmissbrauch, sexuelle Übergriffen oder Mobbing. In den Medien war man sich jedoch einig, dass der Bericht die Vorwürfe nicht gänzlich hätte widerlegen können. Der Bericht zeige vielmehr auf, wie schlecht die Führungsarbeit am Bundesstrafgericht funktioniere, weil «Streit und Selbstherrlichkeit» herrschten, wie der Tages-Anzeiger kommentierte. Die Weltwoche vermutete freilich, dass die Kommission wohl nicht neutral geurteilt habe, um die «leidige Sache einfach möglichst schnell vom Tisch [zu] haben».

Auch die GPK, welcher die parlamentarische Oberaufsicht über die Bundesgerichte obliegt, äusserte harsche Kritik am Aufsichtsbericht und liess kein gutes Haar daran. Die bundesgerichtliche Verwaltungskommission habe gravierende Fehler begangen und angeschuldigten Personen das rechtliche Gehör verweigert. Die GPK veröffentlichte gar eine nur sehr selten angewendete oberaufsichtliche Feststellung, in der sie Richtigstellungen am Bericht anbrachte. Erschwerend kam hinzu, dass ein vertraulicher Vorentwurf ihrer Feststellung an die Öffentlichkeit gelangt war und die Untersuchung selber dadurch in den Medien viel Aufmerksamkeit erhalten hatte. Die GPK reichte deswegen Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Verletzung des Amts- und Kommissionsgeheimnisses ein. In ihrer Feststellung äusserte die GPK «einen gewissen Handlungsbedarf», die Rechtsgrundlagen der bundesgerichtlichen Aufsicht zu prüfen, da diese nur «rudimentär geregelt» sei.

Im Juli 2020 gelangten dann einige Mitglieder des Bundesstrafgerichts mit einem an die Aufsichtskommission des Bundesgerichts gerichteten Brief an die Öffentlichkeit. Sie wollten sich gegen den Reputationsschaden durch die wiederholt negativen Schlagzeilen in den Medien wehren, die «weitgehend unbegründet und gegenstandslos» seien. Allerdings zeigte der Brief auch auf, dass in Bellinzona nach wie vor nicht Eitel Freude herrschte: Die Verfasserinnen und Verfasser des Briefs kritisierten die «Unterstellungen einiger weniger Personen», die diese extern gegenüber Medien und Parlamentsmitgliedern bewirtschaften würden. Damit wollten diese «wenigen Mitarbeitenden [...] dem Bundesstrafgericht, der Direktion und der grossen Mehrheit der Mitarbeitenden bewusst [...] schaden». Vorrangiges Interesse des gesamten Bundesstrafgerichts sei es nun, die gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen und das Arbeitsklima wieder auf ein solides Fundament zu stellen. Dafür seien einige Prozesse eingeleitet worden, schloss der Brief. Zwar wurden im Brief keine Namen genannt, lediglich 15 der 20 Bundesstrafrichterinnen und -richter hatten den Brief aber unterzeichnet.
In den Medien löste das Schreiben Kopfschütteln aus. Es sei beschämend, dass «medienwirksam und anonym» Kolleginnen und Kollegen gegeisselt würden. Damit werde sich die Situation in Bellinzona kaum verbessern, kommentierte etwa die NZZ. Die Ereignisse rund um das Bundesstrafgericht würden zudem wohl auch die Diskussionen um die Justiz-Initiative anheizen, war man sich in den medialen Kommentarspalten einig.

Bundesstrafgericht - Kritik und deren Aufarbeitung
Dossier: Unabhängigkeit der Judikative

Jahresrückblick 2020: Institutionen und Volksrechte

Der Bundesrat stand als Führungsgremium 2020 ganz besonders auf dem Prüfstand, musste er doch aufgrund der Corona-Pandemie mittels Notrechts regieren. Darüber, wie gut ihm dies gelang, gingen die Meinungen auseinander. Die Konjunktur der sich bunt ablösenden Vertrauensbekundungen und Kritiken schien sich dabei mit der Virulenz der Pandemiewellen zu decken. War das entgegengebrachte Vertrauen zu Beginn des Lockdowns im März sehr gross, nahm die Kritik am Führungsstil der Exekutive und an den föderalistischen Lösungen mit dem Rückgang der Fallzahlen und insbesondere auch in der zweiten Welle zu. Eine parlamentarische Aufarbeitung der Bewältigung der Pandemie durch die Bundesbehörden durch die GPK, aber auch verschiedene Vorstösse zum Umgang des Bundesrats mit Notrecht werden wohl noch einige Zeit zu reden geben. Für eine Weile ausser Rang und Traktanden fallen werden hingegen die alle vier Jahre nach den eidgenössischen Wahlen stattfindenden Diskussionen um die parlamentarische Behandlung der Legislaturplanung sowie die bereits fünfjährige Diskussion über ein Verordnungsveto, die vom Ständerat abrupt beendet wurde. Im Gegensatz dazu wird wohl die Regelung über das Ruhegehalt ehemaliger Magistratspersonen noch Anlass zu Diskussionen geben. Den Stein ins Rollen brachte 2020 die medial virulent kommentierte Rückzahlung der Ruhestandsrente an alt-Bundesrat Christoph Blocher.

Wie kann und soll das Parlament seine Aufsicht über die Verwaltung verbessern? Diese Frage stand auch aufgrund des Jahresberichts der GPK und der GPDel im Raum. Dieser machte auf einige Mängel aufmerksam, was unter anderem zur Forderung an den Bundesrat führte, eine Beratungs- und Anlaufstelle bei Administrativ- und Disziplinaruntersuchungen einzurichten. Der seit 2016 in den Räten debattierten Schaffung einer ausserordentlichen Aufsichtsdelegation, die mit den Rechten einer PUK ausgestattet wäre, aber wesentlich schneller eingesetzt werden könnte, blies hingegen vor allem aus dem Ständerat ein steifer Wind entgegen. Ein Dorn im Auge waren dem Parlament auch die Kader der bundesnahen Betriebe: 2021 wird das Parlament über einen Lohndeckel und ein Verbot von Abgangsentschädigungen diskutieren.

Das Parlament selber machte im Pandemie-Jahr eher negativ auf sich aufmerksam. Paul Rechsteiner (sp, SG) sprach mit Bezug auf den der Covid-19-Pandemie geschuldeten, jähen Abbruch der Frühjahrssession von einem «Tiefpunkt der Parlamentsgeschichte des Landes». Das Parlament nahm seine Arbeit jedoch bereits im Mai 2020 im Rahmen einer ausserordentlichen Session zur Bewältigung der Covid-19-Krise wieder auf; Teile davon, etwa die FinDel waren auch in der Zwischenzeit tätig geblieben. Dass die ausserordentliche Session aufgrund von Hygienevorschriften an einem alternativen Standort durchgeführt werden musste – man einigte sich für diese Session und für die ordentliche Sommersession auf den Standort BernExpo – machte eine Reihe von Anpassungen des Parlamentsrechts nötig. Diese evozierten im Falle der Abstimmungsmodalitäten im Ständerat einen medialen Sturm im Wasserglas. Die Pandemie vermochte damit ziemlich gut zu verdeutlichen, wie wenig krisenresistent die Parlamentsstrukturen sind, was zahlreiche Vorstösse für mögliche Verbesserungen nach sich zog. Kritisiert wurde das Parlament auch abgesehen von Covid-19 und zwar, weil der Nationalrat eine eher zahnlos gewordene, schon 2015 gestellte Forderung für transparenteres Lobbying versenkte und damit auch künftig wenig darüber bekannt sein wird, wer im Bundeshaus zur Vertretung welcher Interessen ein- und ausgeht.

Der Zufall will es, dass die SVP 2021 turnusgemäss gleichzeitig alle drei höchsten politischen Ämter besetzen wird. In der Wintersession wurden Andreas Aebi (svp, BE) zum Nationalratspräsidenten, Alex Kuprecht (svp, SZ) zum Ständeratspräsidenten und Guy Parmelin zum Bundespräsidenten gekürt. In den Medien wurde diskutiert, wie es Parmelin wohl gelingen werde, die Schweiz aus der Covid-19-Krise zu führen. 2020 standen Regierung und Parlament aber nur selten im Fokus der Medien – ganz im Gegensatz zu den Vorjahren als die Bundesratserneuerungs- und -ersatzwahlen für viel Medienrummel gesorgt hatten (vgl. Abb. 2: Anteil Zeitungsberichte pro Jahr).

Viel Druckerschwärze verbrauchten die Medien für verschiedene Ereignisse hinsichtlich der Organisation der Bundesrechtspflege. Zum einen gab die Causa Lauber viel zu reden. Gegen den Bundesanwalt wurde ein Amtsenthebungsverfahren angestrengt, dem Michael Lauber mit seinem Rücktritt allerdings zuvorkam. Die Wahl eines neuen Bundesanwalts wurde zwar auf die Wintersession 2020 angesetzt, mangels geeigneter Kandidierender freilich auf 2021 verschoben. Die zunehmend in die mediale Kritik geratenen eidgenössischen Gerichte, aber auch der Vorschlag der SVP, ihren eigenen Bundesrichter abzuwählen, waren Nahrung für die 2021 anstehenden Diskussionen um die Justizinitiative. Was Letztere anbelangt, beschlossen die beiden Rechtskommissionen Ende Jahr, einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative auszuarbeiten.

Auch die direkte Demokratie wurde von den Auswirkungen der Covid-Pandemie nicht verschont, mussten doch die Volksabstimmungen vom 20. Mai verschoben werden. Darüber hinaus verfügte der Bundesrat Ende März einen Fristenstillstand bei den Initiativen und fakultativen Referenden: Bis Ende Mai durften keine Unterschriften mehr gesammelt werden und die Sammelfristen wurden entsprechend verlängert. Auftrieb erhielten dadurch Forderungen nach Digitalisierung der Ausübung politischer Rechte (z.B. Mo. 20.3908 oder der Bericht zu Civic Tech). Viel Aufmerksamkeit erhielt dadurch auch der in den Medien so benannte «Supersonntag»: Beim Urnengang vom 27. September standen gleich fünf Vorlagen zur Entscheidung (Begrenzungsinitiative, Kampfjetbeschaffung, Jagdgesetz, Vaterschaftsurlaub, Kinderabzüge). Nachdem Covid-19 die direkte Demokratie eine Weile ausser Gefecht gesetzt hatte, wurde die Abstimmung sozusagen als «Frischzellenkur» betrachtet. In der Tat wurde – trotz Corona-bedingt schwierigerer Meinungsbildung – seit 1971 erst an vier anderen Wochenenden eine höhere Stimmbeteiligung gemessen, als die am Supersonntag erreichten 59.3 Prozent.
Das Parlament beschäftigte sich 2020 mit zwei weiteren Geschäften, die einen Einfluss auf die Volksrechte haben könnten: Mit der ständerätlichen Detailberatung in der Herbstsession übersprang die Idee, völkerrechtliche Verträge mit Verfassungscharakter dem obligatorischen Referendum zu unterstellen, eine erste Hürde. Auf der langen Bank befand sich hingegen die Transparenzinitiative, deren Aushandlung eines indirekten Gegenvorschlags die Räte 2020 in Beschlag genommen hatte; Letzterer wird aber wohl aufgrund des Widerstands im Nationalrat eher nicht zustandekommen.

Jahresrückblick 2020: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Jahresrückblick 2020

Aufgrund des Disziplinarverfahrens gegen den ehemaligen Bundesanwalt Michael Lauber habe sich die Berichterstattung über die bereits 2018 durchgeführte Inspektion des Generalsekretariats der Bundesanwaltschaft verzögert, so die AB-BA in ihrem entsprechenden Inspektionsbericht. Ausgangslage für die von der GPK in Auftrag gegebene Untersuchung des Generalsekretariats seien «unterschiedliche Ansichten über dessen Aufgaben und Umfang» gewesen. Auf der Basis von Umfragen und Dokumentenstudium habe die AB-BA unter anderem festgestellt, dass Grundlagendokumente wie Organigramme, Organisationsreglemente und -handbücher entweder ganz fehlten oder veraltet waren. Eine der zehn auf der Basis der Befunde hergeleiteten Empfehlungen war denn auch die Erneuerung und Erstellung dieser Dokumente. Des Weiteren stiess sich die Aufsichtsbehörde laut Bericht an der personellen Dotierung des Generalsekretariats, in dem rund 30 Prozent aller Mitarbeitenden beschäftigt seien. Empfohlen wurde hier eine Analyse, mit der entschieden werden könne, ob Ressourcen in das operative Kerngeschäft der Bundesanwaltschaft verschoben werden könnten. Statt wie unter dem ehemaligen Bundesanwalt Kommunikation mit der Öffentlichkeit zu suchen, empfehle die AB-BA zudem, die Kommunikationskultur innerhalb der Behörde zu stärken. Teilweise habe durch die vernachlässigte Kommunikation die Akzeptanz der Geschäftsleitung gelitten. Die verschiedenen Empfehlungen seien bewusst an die noch zu wählende Person gerichtet, die die Bundesanwaltschaft in Zukunft führen werde. Der Bericht solle «einen Überblick bieten und eine vorteilhafte Ausgangslage für nötige Erneuerungsprozesse schaffen». Die Nachfolgerin oder der Nachfolger von Michael Lauber habe viel Arbeit vor sich, waren sich die Medien in der Folge einig.

Inspektionsbericht über das Generalsekretariat der Bundesanwaltschaft
Dossier: Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA)

In ihrem Bericht vom 17. November 2020 beantragte die GPK-SR, an die das Postulat von Daniel Jositsch (sp, ZH) für eine Überprüfung von Struktur, Organisation, Zuständigkeit und Überwachung der Bundesanwaltschaft zur Vorprüfung überwiesen worden war, lediglich einen Teil des Postulats anzunehmen. Abzulehnen sei Ziffer 1 des Postulats, die eine Überprüfung der Zweckmässigkeit der Struktur und der Organisation der Bundesanwaltschaft forderte. Diese Überprüfung werde durch die laufende GPK-Untersuchung bereits vorgenommen. Aus dem gleichen Grund sei auch Ziffer 3 des Postulats abzulehnen: Auch die Überprüfung, ob die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) den an sie gestellten Anforderungen genüge, sei Gegenstand der GPK-Untersuchung. Zur Annahme empfahl die GPK-SR allerdings Ziffer 2 des Postulats: Der Bundesrat solle klären, ob die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen im Bereich der Strafverfolgung nach zahlreichen Partialrevisionen noch zweckmässig sei. Teilweise bestünde Rechtsunsicherheit, weil die Zuständigkeiten nicht immer klar seien, begründete die GPK-SR ihre Empfehlung.
In der Ratsdebatte während der Wintersession 2020 führte Daniel Jositsch aus, dass er sein Postulat «vor allem auch im Zusammenhang mit der Diskussion um die Person des Bundesanwalts eingereicht» habe. Das Problem sei aber nicht der mittlerweile zurückgetretene Michael Lauber, vielmehr gebe es in der Bundesanwaltschaft strukturelle Probleme, die nicht durch das Ersetzen von Köpfen gelöst werden könnten. Er unterstütze aber den Antrag der GPK-SR, weil die Ziffern 1 und 3 seines Postulats bereits in Abklärung seien. Zu Wort kam auch der Präsident der AB-BA, Hanspeter Uster. Er begrüsse eine Evaluation der Aufsichtsbehörde und unterstütze auch eine Evaluation der Kompetenzaufteilung gemäss Ziffer 2 des Postulats. Schliesslich äusserte sich auch Justizministerin Karin Keller-Sutter. Sie begrüsse es, dass in dieser Frage eng mit den Kantonen zusammengearbeitet werden könne. Sie plane zudem den Einsatz einer Arbeitsgruppe. In der Folge wurde Ziffer 2 des Postulats stillschweigend überwiesen.

Bundesanwaltschaft - Überprüfung von Struktur, Organisation, Zuständigkeit und Überwachung (Po. 19.3570)
Dossier: Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA)

Die GK hatte die Bewerbungsfrist für die Stelle einer neuen Bundesanwältin oder eines neuen Bundesanwalts auf den 2. Oktober 2020 angesetzt. Es dauerte einige Zeit, bis die Namen der Kandidaturen von der Presse eruiert worden waren – die GK wollte die Zahl der Bewerbungen vorerst nicht bekannt geben; die Zeitungen schätzten, dass sich rund sechs Bewerbungen eingefunden hätten. Der erste, der seine Bewerbung offiziell in den Medien bestätigte, war Olivier Jornot, Staatsanwalt des Kantons Genf. Da lange Zeit einzig die Kandidatur des Genfer Staatsanwaltes bekannt war, stand er im Mittelpunkt des medialen Interesses. Im Tages-Anzeiger wurde Jornot als «Hardliner» beschrieben und die NZZ wusste zu berichten, dass seine «kompromisslosen Methoden [...] umstritten» seien, dass er sich aber nicht scheue, «den Mächtigen kräftig auf die Füsse zu treten». Die Aargauer Zeitung betitelte Jornot als «'harte[n] Hund' mit Beisshemmungen» und stellte seine Eignung in Frage. Thematisiert wurde auch ein Disziplinarverfahren, das wegen einer «Partynacht» (NZZ) gegen ihn angestrengt worden sei; «sein schillerndes Vorleben [sei] nichts für schwache Nerven», betonte die Weltwoche. Er werde in seiner Heimat «mehr gefürchtet als geliebt».

Ende Oktober 2020 gab die Subkommission der GK unter der Leitung von Sibel Arslan (basta, BS) bekannt, dass die Kommission drei Kandidierende für eine erste Anhörung ausgewählt habe – ohne jedoch Namen zu nennen. In einer Medienmitteilung Mitte November liess die GK nach dieser ersten Anhörung verlauten, für zwei der drei Kandidaturen ein Evaluationsverfahren durchzuführen.
Einer der beiden verbliebenen Kandidierenden war Olivier Jornot, wie die Tribune de Genève tags darauf zu berichten wusste. Die Zeitung empörte sich dabei über die Deutschschweizer Presse, die nicht an Schlagzeilen gespart habe, um den Genfer zu porträtieren, was in Bern in der Regel nicht gut ankomme. Jornot weise jedoch laut Le Temps ein Profil auf, das «parfaitement à la description» des gesuchten neuen Bundesanwaltes passe.
Zudem gelangte die Information an die Presse, dass einige Mitglieder der GK beide Kandidierenden als ungeeignet empfinden würden. Die NZZ kritisierte diese Indiskretion, die letztlich erneut dem Ansehen des Amtes schaden werde. Andrea Caroni (fdp, AR), Präsident der GK, sprach gar davon, Strafanzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung einzureichen. Schliesslich fand auch der Name der zweiten Bewerbung den Weg in die Presse: Andreas Müller arbeitete seit 2011 für die Bundesanwaltschaft. Der Tages-Anzeiger beschrieb den Deutschfreiburger als «zurückhaltend, diskret, ja sogar als scheu». Er habe lange Erfahrung innerhalb der Bundesanwaltschaft, könne aber keine Führungsqualitäten vorweisen. Da Müller in der sogenannten «Affäre Tinner» verhindert habe, dass wichtige Akten geschreddert wurden, betitelte der Tages-Anzeiger das Verfahren als einen «Zweikampf zwischen dem 'Sheriff' und dem Aktenretter».

Wahl eines neuen Bundesanwalts
Dossier: Wahlen des Bundesanwalts
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Nach dem Rücktritt von Michael Lauber hatte die GK die Aufgabe, die Wahl einer neuen Bundesanwältin oder eines neuen Bundesanwalts zu organisieren. Die Kommission setzte sich einen ambitionierten Fahrplan: Bereits in der Wintersession 2020 sollte die Wahl einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers durch die Vereinigte Bundesversammlung vorgenommen werden. In der Zwischenzeit übernahmen die beiden Stellvertreter Ruedi Montanari und Jacques Rayroud die Leitung der Bundesanwaltschaft interimistisch.

Schon früh wurden in der Presse zahlreiche Namen potentieller Nachfolgerinnen und Nachfolger kolportiert. Die NZZ bezeichnete schon kurz nach der Rücktrittsankündigung Laubers den amtierenden Staatsanwalt des Kantons Zürich, Peter Pellegrini, als Kronfavoriten. Die Aargauer Zeitung nannte die Namen der Staatsanwälte des Kantons Basel-Stadt – Alberto Fabbri – und des Kantons Bern – Michel-André Fels. Rasch wurden aber auch Forderungen laut, eine Frau und jemanden aus der Romandie zu berücksichtigen, zumal es bisher mit Carla del Ponte erst eine Bundesanwältin gegeben habe (von 1994 bis 1998) und auch die Romandie bisher eher untervertreten gewesen sei. Beide Forderungen erfüllte Maria-Antonella Bino. Die aus Genf stammende und bis 2013 als stellvertretende Bundesanwältin amtende Bino erhielt rasch mediale Aufmerksamkeit und Unterstützung von GK-Mitglied Christian Lüscher (fdp, GE). Aber auch Gaëlle van Hove, Richterin am Genfer Strafgericht, wurde als mögliche Westschweizer Frauenkandidatur gehandelt. Kathrin Bertschy (glp, BE), ebenfalls Mitglied der GK, forderte im Tages-Anzeiger mindestens gleich viele Kandidatinnen wie Kandidaten. Sie nannte verschiedene mögliche Kandidatinnen, allesamt aktuelle Staatsanwältinnen: Gabriela Mutti, Franziska Müller, Barbara Loppacher oder Sara Schödler hätten sich einen Namen gemacht, zitierte der Tages-Anzeiger die Berner GLP-Nationalrätin. Die Aargauer Zeitung konzentrierte sich hingegen auf die Mindervertretung der Romandie und präsentierte neben Bino und van Hove gleich sechs weitere Namen aus der Westschweiz: Olivier Jornot, Yves Bertossa, Stéphane Grodecki, Eric Cottier, Fabien Gasser und Juliette Noto.
Im Rahmen der medialen Diskussionen um das Kandidatinnen- und Kandidatenkarussell wurden auch mögliche Reformen der Bundesanwaltschaft diskutiert. Die SP reichte eine parlamentarische Initiative ein, mit der die eidgenössische Strafverfolgung effizienter organisiert werden soll. In Diskussion war auch ein Postulat von Daniel Jositsch (sp, ZH), das eine Analyse der Strukturen forderte, sowie eine Untersuchung der GPK zum Verhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und deren Aufsichtsbehörde (AB-BA).

Wahl eines neuen Bundesanwalts
Dossier: Wahlen des Bundesanwalts
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Nachdem die Immunität von Michael Lauber von den beiden zuständigen Kommissionen aufgehoben worden war, hatte das Parlament zu bestimmen, wer die Strafuntersuchung gegen den mittlerweile aus dem Amt ausgeschiedenen Bundesanwalt, dem Amtsmissbrauch, Amtsgeheimnisverletzung und Begünstigung vorgeworfen wurden, führen soll. Die Vereinigte Bundesversammlung musste hierfür in der Herbstsession 2020 einen Sonderstaatsanwalt wählen – ein Novum in der Geschichte der Schweiz. Die GK schlug dem Parlament einstimmig Stefan Keller vor, der bereits von der AB-BA als ausserordentlicher Bundesanwalt für die Voruntersuchung eingesetzt worden war. Der Obwalder Jurist war entsprechend mit dem Fall bestens vertraut und die GK traute ihm zu, eine «lückenlose Fortsetzung des Verfahrens» zu gewährleisten, wie sie in ihrem Bericht Anfang September 2020 darlegte. Ein Vorteil von Keller sei zudem seine Unabhängigkeit.
In den Medien wurde Keller als «unorthodox» bezeichnet (Tages-Anzeiger). Der Blick zitierte Beat Flach (glp, AG), der die Wahl Kellers als «Hochrisikospiel» bezeichnete. Kellers Eignung für das «schwierige Amt des Sonderermittlers» sei von der GK nur sehr oberflächlich abgeklärt worden, behauptete der Blick.
Im Parlament war die Wahl freilich unbestritten. GK-Präsident Andrea Caroni (fdp, AR) kritisierte in seinem Votum die medialen Versuche, «Herrn Keller in ein schiefes Licht zu rücken», und ärgerte sich darüber, dass erneut ein vertrauliches Dokument der Gerichtskommission an die Medien gelangt sei. Mit 220 von 223 gültigen Stimmen (von den 241 Wahlzetteln waren 237 eingegangen und 14 leer geblieben) wurde Keller deutlich zum ausserordentlichen Bundesanwalt bestimmt.

Sonderstaatsanwalt für den «Fall Lauber»

In der Herbstsession 2020 stand der erste Teil der Erbrechts-Revision, mit der in erster Linie die Verfügungsfreiheit von Erblassern und Erblasserinnen vergrössert werden sollte, auf der Tagesordnung des Nationalrats, der die Vorlage als Zweitrat behandelte. Einige Mitglieder der SVP-Fraktion beantragten Nichteintreten, weil sie es für falsch hielten, die Pflichtteile der Eltern und Kinder zugunsten des Lebenspartners oder der Lebenspartnerin zu verringern. Diese Bevorzugung der horizontalen und temporären gegenüber der vertikalen und beständigen Beziehung stelle «die traditionellen Linien auf den Kopf», begründete Yves Nidegger (svp, GE) die Ablehnung der Vorlage. Ausserhalb der SVP-Fraktion fand der Antrag jedoch keine Unterstützung, sodass der Nationalrat mit 142 zu 48 Stimmen bei einer Enthaltung auf das Geschäft eintrat.
Inhaltlich hatte sich die grosse Kammer mit drei Minderheitsanträgen aus ihrer vorberatenden Rechtskommission zu befassen. Der erste betraf eine Bestimmung, die der Ständerat noch stillschweigend durchgewunken hatte, die in der RK-NR jedoch für heftige Diskussionen gesorgt hatte: Hat ein Ehepaar nichts anderes vereinbart, kommt grundsätzlich die Hälfte der Errungenschaft (d.h. des während der Ehe gebildeten Vermögens) der verstorbenen Person dem überlebenden Ehegatten zugute, während die andere Hälfte zusammen mit dem Eigengut (d.h. des vor der Ehe gebildeten Vermögens) in den Nachlass fällt und unter den Erben aufgeteilt wird. Mit einem Ehevertrag kann ein Ehepaar von dieser Regel abweichen und den überlebenden Ehegatten stärker oder sogar maximal begünstigen, indem ihm die gesamte Errungenschaft zugewiesen wird, sodass nur noch das Eigengut der verstorbenen Person in den Nachlass fällt. In der juristischen Lehre und Literatur sei nun seit längerem umstritten, erläuterte Bundesrätin Karin Keller-Sutter, ob eine solche Bevorzugung des Ehegatten für die Berechnung der Pflichtteile der gemeinsamen Kinder berücksichtigt werden muss oder nicht. Der Bundesrat hatte hier darum eine klärende Regelung vorgeschlagen, wonach der überhälftige Teil der Errungenschaft, der an den überlebenden Ehegatten geht, bei der Berechnung der Pflichtteilsmasse zu berücksichtigen wäre. Konkret müsste der Pflichtteil berechnet werden, bevor die zusätzliche Begünstigung gemäss Ehevertrag angewandt wird, sodass die Basis zur Berechnung der Pflichtteile damit grösser wäre, als wenn die ehevertragliche Bevorzugung nicht berücksichtigt wird. In der Kommission wurde kritisiert, dass in der Praxis eine andere Interpretation des geltenden Rechts vorherrsche und diese Berücksichtigung bei der Berechnung der Pflichtteile üblicherweise gerade nicht gemacht werde, sodass in der Folge zahlreiche bestehende Verfügungen an das neue Recht angepasst werden müssten, was zu noch mehr Rechtsunsicherheit führe. Die Justizministerin erklärte, der Bundesrat habe sich dabei auf die Analyse einer Expertengruppe aus juristischer Lehre und Praxis gestützt, die ein grosses Interesse an der Klärung der Rechtslage kundgetan habe. Eine Minderheit der Kommission wollte eine in der Formulierung verbesserte Version des bundesrätlichen Vorschlags übernehmen, währenddessen die Kommissionsmehrheit beantragte, beim geltenden Recht zu bleiben. Der Nationalrat folgte mit 106 zu 80 Stimmen bei einer Enthaltung dem Mehrheitsantrag. Da dieser Entscheid aber ohnehin zu einer Differenz mit dem Ständerat führte, könne der Bundesrat gemäss Karin Keller-Sutter auch damit gut leben; wichtig sei, dass sich der Ständerat noch einmal mit der Thematik befasse.
Mit einem zweiten Minderheitsantrag brachte Nationalrätin Min Li Marti (sp, ZH) die im Ständerat bereits gescheiterte Idee erneut ein, dass die erblassende Person den Pflichtteil weiter, d.h. bis auf die Hälfte des neu im Gesetz vorgeschriebenen Werts, verringern können sollte, um so den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin in grösserem Umfang zu begünstigen. Diese noch grössere Verfügungsfreiheit als vom Bundesrat vorgesehen ging jedoch auch dem Nationalrat zu weit; er lehnte den Minderheitsantrag mit 106 zu 81 Stimmen ab.
Bei der dritten Minderheit ging es um den vom Bundesrat neu ins Gesetz eingebrachten Unterstützungsanspruch für faktische Lebenspartnerinnen und Lebenspartner, der von der Kommissionsmehrheit wie vom Ständerat abgelehnt worden war und für dessen Beibehaltung die Minderheit Arslan (basta, BS) eintrat. Der Unterstützungsanspruch sei gedacht, um Notlagen zu verhindern, beispielsweise weil der Lebenspartner oder die Lebenspartnerin die verstorbene Person gepflegt und darum kein Erwerbseinkommen hatte, und entspreche damit der Gerechtigkeit, so das Argument der Minderheit. Die Kommissionsmehrheit war dagegen der Ansicht, dass die Verringerung der Pflichtteile und die damit erweiterte Verfügungsfreiheit eine ausreichende Möglichkeit schaffe, den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin zu begünstigen, wie Kommissionssprecher Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) ausführte. Eine knappe Mehrheit aus den geschlossenen Fraktionen der SVP und der Mitte sowie zwei Dritteln der FDP-Fraktion besiegelte schliesslich das Aus für diese Idee. Sie wurde von der Volkskammer mit 94 zu 90 Stimmen bei zwei Enthaltungen abgelehnt, womit die entsprechenden Artikel definitiv aus dem Gesetzesentwurf gestrichen sind.
In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 140 zu 48 Stimmen bei einer Enthaltung an, wobei alle Opposition aus der SVP-Fraktion kam. Stillschweigend schrieb er zudem die Motion Gutzwiller (fdp, ZH; Mo. 10.3524) für ein zeitgemässes Erbrecht und das Postulat Nantermod (fdp, VS; Po. 16.3416) betreffend eine gesetzliche Regelung der Erbfolge in Patchworkfamilien ab.

Revision des Erbrechts (BRG 18.069)
Dossier: Revision des Erbrechts (2016– )

Anders als die knappe Mehrheit seiner SPK-NR gab der Nationalrat der parlamentarischen Initiative von Sibel Arslan (basta, BS) für ein aktives Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige mit 98 zu 85 Stimmen Folge. Die Initiantin selber hatte ihre Kolleginnen und Kollegen vor der Abstimmung ermuntert, «ein wichtiges Kapitel der Schweizer Geschichte zu schreiben». Seit der Gründung der Schweiz habe das Ziel bestanden, die Demokratie auszubauen. Der Einbezug junger Menschen, wenn auch nur beschränkt auf das aktive Recht, sei ein weiterer Schritt dazu. 16-Jährigen sei die Beteiligungsmöglichkeit einzuräumen, weil aktuelle politische Themen ihre Zukunft beträfen, weil sie politisch interessiert und genügend politisch gebildet seien, die Entwicklungspsychologie zeige, dass «die Entwicklung des rationalen Denkens bis 16 abgeschlossen» sei und Stimmrechtsalter 16 sich auch schon im Kanton Glarus und in Österreich auf nationaler Ebene in der Praxis bewährt habe. Tamara Funiciello (sp, BE) verteidigte die Kommissionsminderheit, welche der Initiative Folge geben wollte, mit dem Argument der Willkür. Die Entscheidung, wer mitbestimmen dürfe, sei willkürlich, sei lange Zeit vom Geschlecht abhängig gewesen und sei auch heute durch den Pass der Eltern oder eben durch das Lebensalter bedingt. Zu behaupten, dass jemand mit 18 Jahren reifer sei als jemand mit 16 Jahren, sei ebenso willkürlich: «Es gibt Leute, die mit 14 reif sind, und es gibt solche, die es mit 50 noch nicht sind». Die Position der Kommissionsmehrheit vertraten Piero Marchesi (svp, TI) und Andri Silberschmidt (fdp, ZH). Es mute vielleicht altklug an, wenn er als jüngstes Ratsmitglied gegen die Herabsetzung des Stimmrechtsalters spreche – so Silberschmidt –, aber er habe nicht das Gefühl, es handle sich hier um ein prioritäres Anliegen der Jugend. Er wiederholte in der Folge die Argumente der SPK-NR: die Verzerrung aufgrund der Beschränkung auf das aktive Wahlrecht – wer wählen könne, müsse sich auch für eine Wahl zur Verfügung stellen können –; die Inkongruenz mit dem Alter für Mündigkeit – so könne man mit 16 Jahren keine Volksinitiative unterschreiben, aber man könnte neu darüber abstimmen –; die erneut willkürliche Altersgrenze sowie die geringe Erfahrung, die man mit dem Stimmrechtsalter 16 in der kurzen Praxis im Kanton Glarus bisher gemacht habe und die man mit Ablehnung des Antrags noch erweitern könne.
Eine Mitte-Links-Mehrheit von 98 Stimmen hielt die Idee allerdings für reif und gab dem Anliegen Folge. Zu den geschlossenen Fraktionen der SP, der GLP und der GP gesellten sich 10 Stimmen aus der Mitte-Fraktion und 5 Stimmen aus der FDP.Liberale-Fraktion. In der Fraktion der SVP gab es zwei Enthaltungen.

Aktives Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige (Pa.Iv. 19.415)
Dossier: Stimmrechtsalter 16

Ende Juli 2020, nur wenige Tage nach der Rücktrittsankündigung Michael Laubers, entschied der ausserordentliche Bundesanwalt Stefan Keller, dass gegen Lauber, gegen Fifa-Präsident Gianni Infantino und gegen den Walliser Staatsanwalt Rinaldo Arnold Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch, Amtsgeheimnisverletzung und Begünstigung beziehungsweise wegen Anstiftung zu Begünstigung eingeleitet werden sollen. Die mutmasslichen Strafhandlungen sollen während vier geheimen und nicht protokollierten und von Arnold organisierten Treffen zwischen dem Bundesanwalt und dem Fifa-Präsidenten geschehen sein. Der Antrag Kellers hatte zwei konkrete Folgen für das Parlament: Erstens mussten die zuständigen Kommissionen entscheiden, ob die Immunität Laubers aufgehoben werden soll. Nur in diesem Fall konnte ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet werden. Zweitens musste das Parlament eine ausserordentliche Bundesanwältin oder einen ausserordentlichen Bundesanwalt wählen und diese oder diesen mit der Strafuntersuchung betrauen.

Mitte August entschied sich die Kommission für Rechtsfragen des Ständerats mit 10 zu 1 Stimmen, die Immunität Laubers aufzuheben. Zwar war Lauber kurz zuvor zurückgetreten, seine Immunität hätte jedoch ohne Aufhebung auch weiterhin Bestand. Laut des Kommissionsberichts sei Lauber angehört worden, er habe die Zweifel am Verdacht, dass bei besagten Treffen strafbare Handlungen ausgeführt wurden, aber nicht entkräften können. Lauber hatte vergeblich darauf hingewiesen, dass weder die AB-BA noch das Bundesverwaltungsgericht Anzeichen auf strafbare Handlungen gefunden hätten und dass lediglich Vermutungen, aber keine konkrete Vorwürfe bestünden.
Die Kommission entschied, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der amtlichen Stellung Laubers und den ihm vorgeworfenen Handlungen bestehe – dies gilt als Voraussetzung für die Aufhebung der Immunität: Es sei unbestritten, dass Lauber in seiner Funktion als Bundesstaatsanwalt an den Treffen teilgenommen habe. Das rechtsstaatliche Interesse überwiege zudem dem institutionellen Interesse, also dem Schutz der Bundesanwaltschaft gegen mögliche haltlose Anschuldigungen. Es sei letztlich im «Interesse der Glaubwürdigkeit der Institution Bundesanwaltschaft selbst», dass der Sachverhalt geklärt werde. Zudem sei damit wohl auch Lauber selber gedient, weil er seinen Ruf im Rahmen eines Strafverfahrens verteidigen könne, schloss die ständerätliche Kommission ihren Bericht.

Am 24. August beschloss auch die für die Aufhebung zuständige nationalrätliche Kommission, die Immunitätskommission (IK-NR), mit 8 zu 1 Stimmen, die Immunität des Bundesanwaltes aufzuheben. Auch die IK-NR hörte Lauber noch einmal an, beurteilte den Zusammenhang zwischen amtlicher Stellung und Handlung als gegeben und befand ebenfalls, dass der Schutz der Institutionen weniger wichtig sei als die rechtsstaatlichen Interessen. Im vorliegenden Fall habe die Öffentlichkeit ein hohes Interesse an Aufklärung. Wie ihre Schwesterkommission betonte auch die IK-NR, dass es im Interesse der Institution Bundesanwaltschaft sei, «dass man nach jahrelanger medialer Diskussion jetzt [...] genau hinschaue.»

Damit war die Aufhebung der Immunität Laubers also beschlossene Sache. Das Parlament hatte freilich noch die ausserordentliche Bundesanwältin oder den ausserordentlichen Bundesanwalt zu wählen, der die Strafverfahren in Angriff nehmen sollte.

Strafverfahren gegen Lauber
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt