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  • Markwalder, Christa (fdp/plr, BE) NR/CN
  • Arslan, Sibel (basta, BS) NR/CN

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La motion de la conseillère nationale Christa Markwalder (plr, BE) propose de simplifier la réglementation de l'auto-comparaison dans l'ordonnance sur l'indication des prix (OIP). En modifiant l'ordonnance sur l'indication des prix (OIP), l'élue bernoise veut permettre l'affichage d'un prix comparatif pour une auto-comparaison, sans limite de temps, lorsque les articles concernés ont été proposés à un prix plus élevé pendant au moins quatre semaines d'affilée.
Après l'adoptopn de la motionau Conseil national par 139 voix contre 42 et 6 abstentions, la Commission des affaires juridiques du Conseil des États (CAJ-CE) recommande, par 5 voix contre 3 et 2 abstentions, de rejeter la motion.
Dans son rapport, la commission rappelle tout d'abord que la justification de la motion repose sur la complexité actuelle des règles d'auto-comparaison dans l'ordonnance, qui sont considérées comme dépassées. Une règle plus simple, exigeant que les marchandises soient proposées au prix normal pendant au moins quatre semaines avant de bénéficier d'une réduction, serait plus adaptée à la réalité du commerce de détail, notamment pour les articles saisonniers. Cependant, le Conseil fédéral, dans son avis, exprime des réserves quant à une modification des règles actuelles. D'un côté. l'exécutif souligne la nécessité de prévenir la tromperie des consommateurs et estime que permettre une auto-comparaison illimitée dans le temps accroîtrait le risque d'abus et compromettrait la protection des consommateurs. D'un autre côté, le Conseil fédéral estime que les règles existantes sont claires, faciles à appliquer, et qu'elles garantissent la transparence des prix.
Se basant sur ces considérations, la CAJ-CE recommande finalement de rejeter la motion, argumentant que les règles actuelles sont suffisantes et bien connues des acteurs du marché, et qu'une comparaison des prix illimitée dans le temps pourrait prêter à confusion sans apporter d'avantages significatifs aux consommateurs et consommatrices. Au tour du Conseil des Etats de se pencher sur le sujet.

Preisbekanntgabeverordnung: Selbstvergleich vereinfachen (Mo. 21.4161)

Zwanzig Jahre nach deren Einreichung beantragte die Mehrheit der RK-NR ihrem Rat, die parlamentarische Initiative Abate (fdp, TI) für ein höheres Strafmass bei sexuellen Handlungen mit Kindern abzuschreiben. Im Zuge der Revision des Sexualstrafrechts sei das Strafmass für sexuelle Handlungen mit Kindern erheblich angehoben und das Anliegen der Initiative damit erfüllt worden. Auch der inzwischen aus dem Parlament ausgeschiedene Urheber Fabio Abate sei mit der Abschreibung einverstanden, liess Kommissionssprecherin Christa Markwalder (fdp, BE) das Ratsplenum wissen. Eine Minderheit Tuena (svp, ZH) zeigte sich mit der Umsetzung jedoch nicht zufrieden, weil die Höchststrafe nicht auf zehn Jahre angehoben wurde, wie es die Initiative Abate forderte. Der Nationalrat schrieb die Initiative in der Herbstsession 2023 mit 99 zu 77 Stimmen bei einer Enthaltung ab.

Höheres Strafmass für sexuelle Handlungen mit Kindern (Pa.Iv. 03.424)
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Die Reise der Motion Arslan (basta, BS) für eine rückwirkende Einführung des Aggressionsverbrechens im Schweizer Recht endete in der Herbstsession 2023 im Ständerat. Die kleine Kammer lehnte den Vorstoss mit 24 zu 7 Stimmen ab, nachdem ihre Rechtskommission ihn als unnötig bezeichnet hatte. Die Übernahme des Aggressionsverbrechens ins Schweizer Recht sei durch die bereits überwiesene Motion Sommaruga (sp, GE; Mo. 22.3362) gewährleistet; eine allfällige Rückwirkung könne der Bundesrat in diesem Rahmen prüfen.

Völkerstrafrechtliche Verbrechen der Aggression ins Strafgesetzbuch aufnehmen (Mo. 22.4503)

In Erfüllung eines Postulats Arslan (basta, BS) zur Förderung des beruflichen Wiedereinstiegs von Frauen gab der Bundesrat eine Studie in Auftrag, die zentrale Einflussfaktoren auf die Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern eruierte und darauf aufbauend Empfehlungen zur Erleichterung des Wiedereinstiegs und des Verbleibs von Frauen im Arbeitsmarkt formulierte.

Die vom Beratungsbüro Ecoplan durchgeführte Studie, zu der 1'000 Frauen mit Kindern unter 12 Jahren befragt wurden, förderte zu Tage, dass sich vier von fünf interviewten und aktuell nicht erwerbstätigen Frauen eine Erwerbstätigkeit wünschten, wenn «alle für [s]ie persönlich wichtigen Voraussetzungen» zuträfen. Insgesamt am häufigsten gaben die befragten Frauen an, dass sie ihr Erwerbspensum erhöhen oder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen würden, wenn eine finanzielle Notwendigkeit dazu bestünde (38% der erwerbstätigen und 45% der nicht erwerbstätigen Frauen). Auch weitere Faktoren entpuppten sich als entscheidungsrelevant für viele Frauen, wobei sich die Einschätzungen bei Frauen mit und ohne Erwerbstätigkeit teilweise stark unterschieden: So gab beinahe jede zweite Frau ohne Erwerbstätigkeit an, dass sie bei familienfreundlichen Arbeitsbedingungen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen würde (47%), während nur knapp eine von drei erwerbstätigen Frauen ihr Pensum unter diesen Gegebenheiten erhöhen würde (31%). Auch die zusätzlich von Ecoplan durchgeführte Befragung von Arbeitgebenden unterstrich neben dem generellen Trend hin zu mehr Teilzeitarbeit die Bedeutung von flexiblen Arbeitszeiten und -orten für die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen. Zwei von fünf nicht erwerbstätigen Frauen (40%) würden zudem eine Arbeitsstelle annehmen, wenn sie Aussicht auf eine Stelle mit passenden Anforderungen hätten, wogegen nur für eine von fünf Frauen im Arbeitsmarkt eine passendere Stelle ein Grund für eine Erhöhung des Pensums darstellte (22%). Die Kosten für die familienexterne Kinderbetreuung (31% der Erwerbstätigen; 27% der nicht Erwerbstätigen) sowie der Wegfall steuerlicher Nachteile (je 28%) schienen für beide Gruppen von Frauen ähnlich entscheidend zu sein.

Als zentrale, die Erwerbstätigkeit beeinflussende Faktoren für die befragten Frauen identifizierten die Autorinnen und Autoren der Studie die Kosten für die familienexterne Kinderbetreuung, die Familienfreundlichkeit der Arbeitsbedingungen, steuerliche Erwerbsanreize sowie Sensibilisierungs-, Beratungs- und Bildungsangebote, um über die finanziellen Konsequenzen tiefer oder fehlender Erwerbstätigkeit aufzuklären. Auch ein in Erfüllung des Postulats vom SECO organisierter Runder Tisch zwischen Kantonen, Sozialpartnern, Akteuren im Bereich Gleichstellung und den betroffenen Bundesämtern bestätigte die Relevanz der mit diesen Erklärungsfaktoren verbundenen Handlungsfelder. Gleichzeitig verwiesen sie auf die zahlreichen bestehenden Massnahmen und nannten eine Fülle von Vorzeigeprojekten, die auf verschiedenen Staatsebenen und durch private oder öffentliche Akteure organisiert würden. Die am Runden Tisch involvierten Akteure hoben darüber hinaus die Wichtigkeit von Massnahmen hervor, die speziell auf die Arbeitsmarktintegration von Frauen mit Migrationshintergrund abgestimmt sind. Ebenso sei es für die Stellung von Frauen im Arbeitsmarkt zentral, dass sich Massnahmen zur Verbesserung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen auch an Männer adressierten und auch für Männer die Möglichkeit gefördert werde, einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen.

Der Bundesrat leitete aus dem Bericht ab, dass es aufgrund bestehender Massnahmen und Projekte entgegen der Forderung der Postulantin weder einer Gesamtstrategie noch eines Massnahmenplans bedürfe. Vielmehr müssten die zahlreichen bestehenden Massnahmen und Angebote besser bekannt gemacht und die Koordination zwischen den verschiedenen Verantwortlichen verbessert werden. Zusätzlich rege der bestehende Fachkräftemangel Unternehmen dazu an, «proaktiv attraktive und familienfreundliche Arbeitsbedingungen zu schaffen». Mit der Legislaturplanung und der Gleichstellungsstrategie 2030 bestünden die strategischen Leitplanken zudem bereits. Weiter verwies der Bundesrat auf laufende Geschäfte auf Bundesebene, insbesondere auf Bestrebungen zur Einführung der Individualbesteuerung sowie auf die Subventionierung der familienergänzenden Kinderbetreuung durch den Bund. Während Letztere bislang in Form von befristeten Finanzhilfen erbracht wurde, soll es dafür gemäss einer hängigen parlamentarischen Initiative künftig eine stärkere und dauerhafte finanzielle Unterstützung geben (Pa.Iv. 21.403). Die Regierung fügte an, sie habe in ihrem Bericht zur Erfüllung eines Postulats Moret (fdp, VD; Po. 19.3621) zudem Empfehlungen zur Verbesserung bestehender Beratungsangebote zum Wiedereinstieg aufgezeigt. Grundsätzlich betonte der Bundesrat jedoch auch, dass er in Bezug auf die Förderung des beruflichen Wiedereinstiegs in erster Linie die Kantone und die Unternehmen in der Verantwortung sehe.

Massnahmenplan für den Wiedereinstieg von Frauen in die Arbeitswelt (Po. 20.4327)

Ende Juni 2022 verabschiedete der Bundesrat die Eckwerte für ein neues Verhandlungsmandat mit der EU. Im Vorfeld wurde in der Öffentlichkeit die Hoffnung geäussert, dass die Verhandlungsgrundlage dieses Mal besser sei als jene beim gescheiterten institutionellen Rahmenabkommen. Die vom Bundesrat präsentierten Eckwerte sollen als Grundlage für weitere Gespräche und als Leitlinien für mögliche künftige Verhandlungen mit der EU dienen. Der Bundesrat definierte damit also jene Bereiche, die in einem künftigen Verhandlungsmandat abgedeckt werden sollten. Ergänzt wurden diese durch Oberziele allfälliger Verhandlungen und durch spezifische Ziele in einzelnen Bereichen. Zu den Oberzielen gehören unter anderem: Eine Stabilisierung des bilateralen Wegs und dessen für die Schweiz massgeschneiderte Entwicklung; hindernisfreie Binnenmarktbeteiligung in den Bereichen Landverkehr, Luftverkehr, Landwirtschaft, Strom, Lebensmittelsicherheit sowie in allen Kapiteln des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen; der Abschluss eines Stromabkommens, eines Abkommens im Bereich Lebensmittelsicherheit und eines Gesundheitsabkommens; die Zulassung der Schweiz zu EU-Programmen wie beispielsweise Horizon 2021-2027. Im Gegenzug zu diesen Zugeständnissen biete die Schweiz Hand zu institutionellen Lösungen zur Erhöhung der Rechtssicherheit bei bestehenden und künftigen Binnenmarktabkommen. Zudem wolle die Schweiz sektoriell eingeschränkte staatliche Beihilferegelungen der EU übernehmen und die Verstetigung der Kohäsionszahlungen an die EU prüfen.
Der Bundesrat teilte in seiner Medienmitteilung mit, dass die betroffenen Bundesämter damit beauftragt worden seien, die noch offenen Punkte in Gesprächen mit der EU zu klären, unter anderem die Frage, wie die neuen Abkommen in das Verhandlungspaket integriert werden sollen. Er kündigte an, bis Ende Jahr die Verabschiedung des Verhandlungsmandats vorzubereiten, sofern die internen Arbeiten und die Gespräche mit der EU weiterhin gut verliefen.

Die Schweizer Öffentlichkeit reagierte unterschiedlich auf die Positionsbestimmung des Bundesrats. Während der Schweizerische Gewerkschaftsbund und Travail Suisse auf viele ungelöste Probleme verwiesen und den präsentierten Kompromissen kritisch gegenüber standen, betonte der Arbeitgeberverband, dass die «allermeisten offenen Punkte» bei den flankierenden Massnahmen gelöst werden konnten. Die Eckpunkte stiessen auch bei den Parteien nicht auf uneingeschränkte Gegenliebe. FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) bezeichnete die Eckwerte vor der Verabschiedung des Verhandlungsmandats als unnötigen Zwischenschritt, der nur dazu diene, «alle ruhigzustellen». Die SVP monierte laut «La Liberté», dass der Bundesrat mit diesen Eckwerten die Souveränität des Landes opfern wolle. SVP-Aussenpolitiker Franz Grüter (svp, LU) kritisierte, dass die heiklen Punkte wie die dynamische Rechtsübernahme oder die Streitbeilegung mit dem EuGH als Entscheidungsinstanz die gleichen wie beim institutionellen Rahmenabkommen seien. Ebenfalls unzufrieden, wenngleich aus anderen Gründen, waren die Grünen. Sie warfen dem Bundesrat vor, die Verhandlungen mit der EU bis nach den nationalen Wahlen im Herbst 2023 zu verzögern. Sibel Arslan (basta, BS) sprach dem Bundesrat den politischen Willen und den Mut zu Verhandlungen ab. Auch SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (sp, BL) störte sich in der «Republik» an dieser Verlangsamung der Gespräche, denn damit sei nichts zu gewinnen. Ähnliches vernehme man auch aus Brüssel, berichtete die NZZ. Der Sprecher der Europäischen Kommission gab zu Protokoll, dass man die Ankündigung des Bundesrates zur Kenntnis nehme und bereit sei, die laufenden Sondierungsgespräche fortzusetzen. Das übergeordnete Ziel für die EU sei es, eine systemische Lösung für alle strukturellen Fragen in den verschiedenen Abkommen zu finden. Für die EU sei jedoch ein «glaubwürdiger Zeitplan» wichtig, man wolle die Verhandlungen noch während der Amtszeit der derzeitigen Kommission zu Ende führen. Auch die Gewerkschaften, deren Vorbehalte gegen das institutionelle Rahmenabkommen mitverantwortlich für dessen Scheitern gewesen waren, äusserten sich zu den Eckwerten des Bundesrates. SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard (sp, VD) warf Bundesrat Cassis vor, schönfärberisch über die Fortschritte im EU-Dossier zu kommunizieren. Seiner Meinung nach nehme man in den Gesprächen mit der EU kaum etwas von diesen vermeldeten Fortschritten wahr, da sich die EU-Kommission auf ihre Positionen aus den Verhandlungen zum Rahmenabkommen berufe. Der SGB befürchtete nicht nur die Schwächung des Schweizer Lohnschutzes, sondern auch Forderungen der EU in weiteren Bereichen wie der Spesenregelung oder bei der Liberalisierung des Service public. Pierre-Yves Maillard nannte das Schienennetz oder den Strommarkt als Beispiele, bei denen man hart bleiben müsse. Er bezeichnete die Gefahr eines erneuten Scheiterns der Verhandlungen angesichts der derzeitigen Ausgangslage als «gross».

EU-Verhandlungsmandat

Nach Überweisung der Motion 22.3392 der SPK-NR in der Wintersession 2022, die den Bundesrat damit beauftragte, den Zugang zur beruflichen Ausbildung für abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers zu erleichtern, schickte der Bundesrat im Juni 2023 nach Prüfung verschiedener Varianten eine entsprechende Änderung der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) in die Vernehmlassung. Darin beantragte er, dass betroffene Personen zum Zweck der beruflichen Grundbildung eine Aufenthaltsbewilligung mittels Härtefallgesuch erhalten können, wenn sie mindestens zwei Jahre ununterbrochen die obligatorische Schule in der Schweiz besucht haben. Die bestehende Verordnung ermöglicht es erst nach mindestens fünf Jahren ununterbrochenen Besuchs der obligatorischen Schule in der Schweiz, ein Härtefallgesuch zu stellen, damit eine berufliche Grundbildung absolviert werden kann. Zudem möchte der Bundesrat mit der vorgesehenen Verordnungsänderung die Frist für die Einreichung eines entsprechenden Härtefallgesuchs nach Absolvierung der obligatorischen Schule von einem Jahr auf zwei Jahre ausdehnen. Die geltenden Kriterien für die Integration sowie zur Erteilung einer Härtefallbewilligung sollen allesamt beibehalten werden.

In seinem Bericht nahm der Bundesrat ebenfalls Stellung zu einer Motion Markwalder (fdp, BE; Mo. 20.3322), die vom Ständerat und dessen vorberatender Kommission zuvor aus formalen Gründen abgelehnt worden war, da eine Erfüllung des Anliegens im Rahmen der Umsetzung der erwähnten Motion der SPK-NR in Aussicht gestellt worden war. Die Erfüllung des Anliegens, das erreichen möchte, dass Asylsuchende nach abgelehntem Asylentscheid ihre Lehre in der Schweiz beenden dürfen, werde mit der Änderung einer Weisung des SEM in die Wege geleitet, so der Bundesrat. Demgemäss werde das SEM in Zukunft die Ausreisefrist von Personen, die bereits einen Lehrvertrag besassen, bevor ihr Asylgesuch abgelehnt wurde, bis nach Beendigung der beruflichen Grundbildung ausdehnen.

Verordnungsänderung zur Erleichterung des Zugangs zur beruflichen Grundbildung für abgewiesene Asylsuchende und Sans Papiers
Dossier: Lehrabschlüsse für abgewiesene Asylsuchende und Sans Papiers

In der Sommersession 2023 lehnte der Ständerat als Zweitrat eine Motion Markwalder (fdp, BE) ab, die forderte, dass Asylsuchende mit unterdessen erhaltenem negativem Entscheid ihre Lehre in der Schweiz beenden dürfen. Der Ständerat beschloss dies stillschweigend auf Anraten seiner einstimmigen SPK. Diese brachte für die Ablehnung in erster Linie formale Gründe vor: In der Wintersession 2022 hatte der Ständerat nämlich bereits einer Motion der SPK-NR mit ähnlicher, etwas breiter gefasster Forderung zugestimmt (Mo. 22.3392). Im Rahmen von deren Umsetzung sollte somit auch das Anliegen der Motion Markwalder mitberücksichtigt werden.

Keine Lehrabbrüche von Asylsuchenden (Mo. 20.3322)
Dossier: Lehrabschlüsse für abgewiesene Asylsuchende und Sans Papiers

Als Ergänzung eines Postulats Arslan (basta, BS; Po. 20.4327), das einen Massnahmenplan für den beruflichen Wiedereinstieg von Frauen forderte, verstand Marianne Binder-Keller (mitte, AG) ihr Postulat, mit welchem sie bezweckte, dass das durch Familienarbeit erworbene Potential für den Arbeitsmarkt besser genutzt werden solle. Gesellschaftlich und volkswirtschaftlich betrachtet sei die unbezahlte Familienarbeit von unschätzbarem Wert, so die Mitte-Politikerin in ihrer Begründung. Dennoch würden die im Rahmen dieser Tätigkeit erlangten Kompetenzen bei einem Wiedereinstieg ins Arbeitsleben kaum berücksichtigt. Deswegen fordere sie den Bundesrat dazu auf zu eruieren, wie die Familienarbeit für die Erlangung einer Erwerbsarbeit angemessen berücksichtigt werden müsste. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats, unter anderem mit der Begründung, dass die «Vertragsparteien selbst am besten wissen, welche Kompetenz wo gewinnbringend genutzt werden kann». Die Mehrheit im Nationalrat hingegen sah dies anders und nahm das Postulat mit 104 zu 77 Stimmen (2 Enthaltungen) deutlich an. Gegen Annahme stellten sich die Fraktionen der FDP und der SVP.

Durch Familienarbeit erworbenes Potential für den Arbeitsmarkt besser nutzen (Po. 21.3900)

In der Sommersession 2023 befasste sich der Nationalrat mit einer Motion von Christa Markwalder (fdp, BE) für eine Vereinfachung der Regelung des Selbstvergleichs in der Preisbekanntmachungsverordnung. Die FDP-Nationalrätin bemängelte im geltenden Recht insbesondere die Komplexität der Halbierungs- und Zweimonatsregel, wenn bei Waren der reduzierte und der eigene ursprüngliche Preis angegeben wird. Diese Regelungen, die dem Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten vor irreführenden Preisen dienten, verlangen, dass Waren nur halb so lange zum reduzierten Preis angeboten werden dürfen wie zuvor zum normalen Preis – maximal aber während zwei Monaten. Gemäss Markwalder sei diese Regelung zeitlich überholt und führe bei den Unternehmen und bei den Aufsichtsbehörden zu hohem bürokratischem Aufwand. Auf Ansinnen Markwalders sollte der Bundesrat deshalb dazu angehalten werden, die entsprechende Verordnung so anzupassen, dass der Selbstvergleich zeitlich unbeschränkt praktiziert werden darf, sofern die Ware – vornehmlich Saisonware – vorab während mindestens vier Wochen zum angegeben höheren Preis angeboten worden war. Der Bundesrat sprach sich gegen Annahme der Motion aus, da er bei der bewährten bestehenden Regel bleiben wollte, was er bereits im Bericht zum themenähnlichen Postulat Lombardi (cvp, TI; Po. 18.3237) kundgetan hatte. Des Weiteren sei eine mögliche Beschränkung auf Saisonware aufgrund von Abgrenzungsproblemen nicht praktikabel. Nichtsdestoweniger erteilte der Nationalrat mit 139 zu 42 Stimmen bei 6 Enthaltungen der Motion grünes Licht. Die Gegenstimmen stammten dabei aus der geschlossen stimmenden SP-Fraktion sowie von einigen Vertreterinnen und Vertretern der Mitte- und der Grünen-Fraktion.

Preisbekanntgabeverordnung: Selbstvergleich vereinfachen (Mo. 21.4161)

Nicht weniger als 42 Wortmeldungen konnten im Rahmen der Debatte um den Antrag der Mehrheit der SPK-NR auf Abschreibung der parlamentarischen Initiative von Sibel Arslan (basta, BS) gezählt werden. Die 14-köpfige Kommissionsmehrheit war zu diesem Antrag gelangt, weil sie die Resultate aus der Vernehmlassung zu ihrem ersten Entwurf, der die Senkung des Stimm- und Wahlrechtsalters auf 16 Jahre – beim Wahlrecht beschränkt auf aktives, nicht aber passives Wahlrecht – vorgesehen hatte, als zu negativ erachtete. Eine Mehrheit der Kantone, die bürgerlichen Parteien und Arbeitgeberverbände waren dem Entwurf skeptisch gegenübergestanden. Die starke 11-köpfige Kommissionsminderheit gewichtete die unterstützenden Verehmlassungsantworten hingegen stärker und forderte entsprechend die definitive Ausarbeitung einer Vorlage.

Der Abschreibungsantrag hatte einiges an Medienaufmerksamkeit generiert, weil sich die SPK-NR bereits zum dritten Mal entschieden hatte, das Geschäft nicht (weiter) zu behandeln: Eine knappe Kommissionsmehrheit hatte 2020 bereits empfohlen, der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben, und stellte sodann 2022 den Antrag, das Anliegen abzuschreiben, ohne dass sie eine Vorlage dazu ausgearbeitet hatte. Beide Male folgte die grosse Kammer allerdings der jeweiligen Kommissionsminderheit. Und auch beim nunmehr dritten Versuch der Kommission, die Idee aufgrund der Vernehmlassungsantworten ad acta zu legen, widersetzte sich der Nationalrat mit 98 zu 93 Stimmen.
In der diesem Entscheid vorangehenden, ungewöhnlich langen Debatte gab es kaum neue Argumente. Die Mehrheit der zahlreichen Wortmeldungen waren vielmehr sogenannte Zwischenfragen, in denen ideologische Unterschiede sichtbar wurden, die die linke und rechte Ratshälfte bei der Frage des Ausbaus politischer Inklusion trennt und sich insbesondere um die Divergenz zwischen politischer Urteilsfähigkeit und zivilrechtlicher Mündigkeit drehten.
Das Resultat gegen den Antrag der Mehrheit der SPK-NR kam schliesslich erneut äusserst knapp zustande: Auch bei der nunmehr dritten Abstimmung zeigte sich der Graben zwischen der Ratsrechten und der Ratslinken und erneut spielte die gespaltene Mitte Zünglein an der Waage. Die Fraktionen der SP, der GLP und der GP stimmten geschlossen gegen den Antrag der Kommissionsmehrheit und die SVP-Fraktion unterstützte ihn ebenso geschlossen, die FDP-Fraktion grossmehrheitlich. Bei der Mitte-EVP-Fraktion votierten 16 Mitglieder für den Antrag auf Abschreibung und 13 dagegen – darunter die drei EVP-Mitglieder. Mit 98 zu 93 Stimmen erhielt die somit SPK-NR neuerlich den Auftrag, eine Vorlage auszuarbeiten.

Aktives Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige (Pa.Iv. 19.415)
Dossier: Stimmrechtsalter 16

Der Bundesrat verabschiedete im Februar 2023 den Aussenpolitischen Bericht 2022. Den Schwerpunkt bildete dabei der im Frühjahr 2022 gestartete Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Dieser führte in der Schweiz und in vielen anderen Staaten zu einer Energiekrise und zu einer starken Inflation. Auch eine in vielen Ländern zu spürende grössere Ernährungsunsicherheit und ganz allgemein eine grosse geopolitische Instabilität waren Folge dieses Krieges. Die Schweiz habe die Sanktionspolitik der EU gegen Russland unterstützt und sich gegenüber der Bevölkerung in der Ukraine solidarisch gezeigt, erklärte der Bundesrat im Bericht. Weiter hielt der Bericht fest, dass die im Juli 2022 in Lugano durchgeführte Ukraine Recovery Conference den politischen Prozess für den Wiederaufbau der Ukraine lanciert habe. Ein weiteres wichtiges Kapitel des Berichts widmete sich den Beziehungen der Schweiz zur EU. Diesbezüglich verwies der Bundesrat auf die im Februar 2022 festgelegte Stossrichtung für ein neues Verhandlungspaket mit der EU.
Weitere Themen waren auch das Engagement der Schweiz für einen wirkungsvollen Multilateralismus und der Einsitz der Schweiz im Sicherheitsrat der UNO für die Periode 2023–2024.
Als Anhang zum aussenpolitischen Bericht publizierte der Bundesrat den Bericht über die Menschenrechtsdiplomatie der Schweiz für die Jahre 2019–2022. Mit diesem Bericht erfüllte er das Postulat 20.4334 der APK-NR zum Menschenrechtsdialog mit China. Der Bundesrat hielt fest, dass sich die Schweiz bemühe, die bilaterale sowie multilaterale Menschenrechtsdiplomatie mit China aufrechtzuerhalten – der letzte bilaterale Austausch fand 2018 statt –, obwohl Chinas Bereitschaft, Menschenrechtsfragen zu diskutieren, in den letzten Jahren abgenommen habe. Zugleich habe sich die menschenrechtliche Lage in China in vielen Bereichen, etwa in Bezug auf die Meinungsäusserungsfreiheit oder die Rechte von Minderheiten, stark verschlechtert. Die Schweiz werde aber trotz der ernüchternden Ergebnisse in Kohärenz mit der China-Strategie 2021–2024 weiterhin versuchen, den bilateralen Menschenrechtsdialog wieder aufzunehmen.

Der Nationalrat nahm in der Frühjahrssession 2023 Kenntnis vom Bericht. Christine Bulliard-Marbach (mitte, FR) und Sibel Arslan (basta, BS) stellten den Bericht vor und erläuterten, dass dieser in der Kommission von den Fraktionen generell wohlwollend aufgenommen worden sei. Gemäss Sibel Arslan divergierten die Meinungen zur Reaktion des Bundesrates auf den Ukraine-Krieg stark: Einige hätten kritisiert, dass der Bundesrat die EU-Sanktionen gegen Russland erst auf öffentlichen Druck hin übernommen habe. Anderen wiederum habe der Bundesrat bei der Sanktionsübernahme zu rasch gehandelt und dadurch rechtsstaatliche Prinzipien verletzt. Des Weiteren habe auch die Frage der Neutralität zu reden gegeben; diese Thematik müsse in nächster Zeit vertieft diskutiert werden, lautete gemäss Arslan der Tenor in der APK-NR. Anschliessend äusserten sich die Fraktionen zu den für sie wichtigen Aspekten des aussenpolitischen Berichts. So erläuterte etwa Elisabeth Schneider-Schneiter (mitte, BL) für die Mitte-Fraktion, dass die Schweiz im Bereich der Aussenpolitik entschieden auf die Einhaltung des Völkerrechts pochen müsse. Für die SP-Fraktion äusserten Brigitte Crottaz (sp, VD) und Claudia Friedl (sp, SG) ihren Unmut darüber, dass der Bundesrat lange gezögert habe, die EU-Sanktionen gegenüber Russland vollumfänglich zu übernehmen. Tiana Moser (glp, ZH) verlangte für die GLP-Fraktion einen grösseren finanziellen Effort der Schweiz für die Ukraine, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Bundesrat die Wiederausfuhr von Rüstungsgütern ablehne. Für die SVP-Fraktion sprach sich Roger Köppel (svp, ZH) eben gerade gegen eine Ausfuhr von Waffen an die Kriegsparteien aus, da die Aufgabe des Bundesrates darin bestehe, die Schweiz aus diesem Krieg herauszuhalten. Auch die Grüne Fraktion sprach sich gegen den Export oder die Wiederausfuhr von Waffen aus; sie unterstütze jedoch die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland, wie Denis de la Reussille (pda, NE) anmerkte. Zudem forderte der Grünen-Vertreter, dass sich der Bericht zur Aussenpolitik zukünftig vermehrt der Menschenrechtslage zuwende, und weniger von ökonomischen Aspekten geprägt sei. Schliesslich monierte Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) im Namen der FDP-Fraktion, dass es der Bundesrat verpasst habe, eine umfassende Debatte zur Schweizer Neutralität zu führen, weil ein entsprechender Bericht von Aussenminister Cassis vom Bundesrat zurückgewiesen worden sei.
Im Ständerat wurde der Bericht in der Sommersession 2023 nur kurz von Pirmin Bischof (mitte, SO) und Aussenminister Cassis vorgestellt und sodann stillschweigend zur Kenntnis genommen.

Aussenpolitischer Bericht 2022 (BRG 23.009)
Dossier: Aussenpolitische Berichte (ab 2009)

Im Oktober 2022 und im Mai 2023 gaben die RK-NR und die RK-SR einer parlamentarischen Initiative von Céline Amaudruz (svp, GE) Folge, die eine systematische aktive elektronische Überwachung von gewaltausübenden Personen forderte. Die Genfer SVP-Nationalrätin begründete ihr Anliegen mit jüngsten, in Erfüllung eines Postulats Arslan (basta, BS; Po. 19.4369) gewonnenen Erkenntnissen: Die an der Universität Bern erstellte Untersuchung kam zum Schluss, dass eine solche Massnahme – sofern richtig eingesetzt und kombiniert mit einem Tracker und einem Notfallknopf – Opfer effektiver vor Gewalt schützen könnte. Beide Kommissionen fällten ihre Entscheide einstimmig. Auch der Bundesrat hatte bereits in seiner Medienmitteilung zum Bericht in Erfüllung des Postulats im Dezember 2021 seine Unterstützung für den Einsatz elektronischer Hilfsmittel zur Bekämpfung häuslicher Gewalt kundgetan.

Leben retten. Aktive elektronische Überwachung (Pa.Iv. 22.409)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Nachdem die eidgenössischen Räte im März 2023 eine Motion Sommaruga (sp, GE; Mo. 22.3362) überwiesen hatten, die die Übernahme des völkerstrafrechtlichen Aggressionsverbrechens ins Schweizer Recht forderte, stimmte der Nationalrat im Mai desselben Jahres mit 109 zu 74 Stimmen bei 3 Enthaltungen auch einer Motion Arslan (basta, BS) mit derselben Forderung zu. Gegenüber Sommaruga ging Arslan jedoch weiter und verlangte vom Bundesrat zusätzlich zu prüfen, ob die Strafbarkeit ausnahmsweise rückwirkend seit 2015 – also seit der Ratifikation der Änderung des Römer Statuts durch die Schweiz – eingeführt werden könne. Die Motionärin anerkannte, dass im Strafrecht eine Rückwirkung grundsätzlich verboten sei, berief sich in der Begründung aber auf Ausführungen des Bundesstrafgerichts, wonach eine Ausnahme bestehe für Verbrechen, «die schon vorher nach den von zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar waren». Der Bundesrat erklärte sich bereit, die Frage der Rückwirkung zusammen mit dem Auftrag der Motion Sommaruga zu prüfen, und beantragte die Motion Arslan zur Annahme. Bekämpft wurde der Vorstoss von SVP-Nationalrat Yves Nidegger (GE), der die geforderte Rückwirkung als nicht mit dem Schweizer Strafrecht vereinbar ansah. Überdies warnte er davor, die Schweiz als eine Art Weltgericht («tribunal disponible pour le monde entier») zu etablieren; dies laufe nicht zuletzt der Rolle der Schweiz als Anbieterin von Guten Diensten auf neutralem Boden zuwider. Die Fraktionen der SVP und der FDP lehnten den Vorstoss schliesslich ab, während die übrigen Fraktionen geschlossen dafür votierten.

Völkerstrafrechtliche Verbrechen der Aggression ins Strafgesetzbuch aufnehmen (Mo. 22.4503)

Das Stimmrechtsalter 16 überzeuge nicht, kam die Mehrheit der SPK-NR in ihrem Bericht zur Vernehmlassung ihres Entwurfs für eine Einführung das aktiven Stimm- und Wahlrechts für 16-Jährige zum Schluss. Die Kommission beantragte deshalb mit 14 zu 11 Stimmen dem Nationalrat zum dritten Mal, die Idee zu sistieren. Schon im Mai 2020 hatte die SPK-NR beantragt, der parlamentarischen Initiative von Sibel Arslan (basta, BS) keine Folge zu geben. Sie wurde von der grossen Kammer in der Herbstsession 2020 aber genauso überstimmt wie in der Frühlingssession 2022 bei ihrem Antrag, die Initiative abzuschreiben. In der Folge musste die SPK-NR also einen Entwurf für eine Änderung des Artikels 137 BV ausarbeiten. Der bereits in der parlamentarischen Initiative gemachte Vorschlag, das aktive (nicht aber das passive) Stimm- und Wahlrecht auf 16 Jahre zu senken, vermochte aber erneut eine knappe Mehrheit der Kommission nicht zu überzeugen. Sie führte die Antworten der erwähnten Vernehmlassung als Argumente für diese negative Haltung ins Feld.

In der Tat widerspiegelte der Vernehmlassungsbericht die Unentschiedenheit in der Frage. Von 51 eingegangenen Stellungnahmen sprachen sich 27 für die Erweiterung der Stimmberechtigten um rund 130'000 Personen aus (die Stimmbevölkerung würde um rund 2.4 Prozent vergrössert), 21 lehnten sie ab und vier bezogen keine deutliche Position. Unter den Befürworterinnen und Befürwortern fanden sich sieben der 25 antwortenden Kantone – einzig der Kanton Zürich äusserte sich nicht zur Vorlage: Aargau, Bern, Basel-Stadt, Glarus, Jura, Graubünden und Solothurn. Auch die links-grünen Parteien (SP, die Grünen und Ensemble à Gauche) reihten sich ins Lager der Befürworterinnen und Befürworter ein. Bei den Verbänden äusserten sich der SGB und der SKV sowie alle 15 antwortenden Jugendorganisationen (Dachverband Offene Kinder- und Jugendarbeit Schweiz AFAJ, die Jugendsession, die Jugendparlamente aus Bern und Basel-Stadt, Jungwacht Blauring Jubla, Pfadibewegung Schweiz, das National Coalition Building Institute Suisse Schweiz NCBI, das Netzwerk Kinderrechte Schweiz, SAJV, Sexuelle Gesundheit Schweiz, UNICEF und Pro Juventute sowie die Jugendsektion der Mitte-Partei) dem Vorschlag gegenüber positiv. Zu den Gegnerinnen und Gegnern gehörten 15 Kantone (AG, AI, BL, LU, NE, NW, OW, SG, SH, SZ, TG, TI, VD, VS und ZG), die bürgerlichen Parteien (Mitte, FDP und SVP) sowie die Arbeitgeberverbände SGV und das Centre patronal (CP). Zudem äusserte sich eine Privatperson negativ. Neutrale Stellungnahmen gingen von den Kantonen Freiburg, Genf und Uri ein, die allerdings darauf hinwiesen, dass entsprechende Anliegen in ihren Kantonen gescheitert seien. Der Verein Schweizerischer Geschichtslehrerinnen und -lehrer (VSGS) schliesslich betonte, dass die Senkung des Wahl- und Stimmrechtsalters die politische Bildung festigen könnte, was einem Ziel der laufenden Reform des Gymnasiums entspreche.
Die Argumente in den Stellungnahmen waren nicht neu. Auf der Seite der Befürwortenden wurde ins Feld geführt, dass das Durchschnittsalter des Stimmkörpers gesenkt würde (das Medianalter liegt aktuell bei 57 Jahren), was ermögliche, das aktuelle und zukunftsweisende Entscheidungen auch von Jugendlichen mitgetragen werden könnten, was deren Legitimation stärke. Jugendliche interessierten sich für Politik, was sich durch die Senkung des Wahl- und Stimmrechtsalters weiter fördern lasse. Viele 16-jährige übernähmen Verantwortung im Berufsleben oder in Vereinen und dürften über ihr Einkommen, ihr Sexualleben und ihre Religionszugehörigkeit frei verfügen; entsprechend könnten sie auch politische Verantwortung übernehmen. Während die Auswirkungen dieser Änderung auf die Abstimmungsergebnisse in Anbetracht der Zahl 16-18-Jähriger gering bleiben dürften, sei die «demokratiepolitische Wirkung beträchtlich», so die entsprechende Zusammenfassung im Vernehmlassungsbericht.
Hauptargument der Gegnerinnen und Gegner war die Inkongruenz zwischen zivilrechtlicher Volljährigkeit und der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern, die mit der Senkung des Wahl- und Stimmrechtsalters geschaffen würde. Jugendliche würden vor den Konsequenzen ihrer Handlungen geschützt, man würde ihnen aber das Recht geben, über gesellschaftliche Konsequenzen zu entscheiden. Es sei widersprüchlich, jemandem das Unterzeichnen von Verträgen zu verbieten, aber die demokratische Mitentscheidung zu erlauben. Kritisiert wurde zudem die vorgeschlagene Trennung zwischen aktivem und passivem Wahlrecht. Dies schaffe «Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse», zitierte der Bericht einige Stellungnahmen. Es sei wichtig, dass sich Jugendliche politisch interessierten, es bestünden aber bereits zahlreiche Möglichkeiten für politische Beteiligung (Familie, Schule, Jugendparlamente, Jungparteien). Es würde zudem zu Schwierigkeiten führen, wenn das Wahl- und Stimmrechtsalter bei nationalen und kantonalen Wahlen und Abstimmungen nicht gleich sei – etwa beim Versand des Stimmmaterials. Einige Gegnerinnen und Gegner äusserten zudem die Sorge, dass Jugendliche nicht die nötige Reife besässen, um politische Verantwortung zu übernehmen.
In zahlreichen Stellungnahmen wurde darüber hinaus darauf hingewiesen, dass mit Ausnahme des Kantons Glarus alle bisherigen Versuche, das Wahl- und Stimmrechtsalter auf kantonaler Ebene zu senken, gescheitert seien. Die Gegnerinnen und Gegner einer Senkung führten dies als Beleg ins Feld, dass die Zeit nicht reif sei für die Idee. Die Landsgemeinde im Kanton Glarus könne zudem nicht als positives Beispiel angeführt werden, weil sie ganz anders funktioniere als nationale Abstimmungen und Wahlen. Die Befürwortenden einer Senkung betonten hingegen, dass die Diskussion weitergehen müsse und die Ausweitung politischer Rechte in der Geschichte stets lange Zeit gedauert und mehrere Anläufe gebraucht habe. Zudem habe sich die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung noch nicht zu diesem Thema äussern können.

In ihrer Medienmitteilung sprach die SPK-NR von «insgesamt ablehnenden Ergebnisse[n]», die zeigten, dass die Initiative nicht weiterverfolgt werden solle. Es sei nicht «sinnvoll», zwei Kategorien von Stimmberechtigten zu schaffen, und «nicht opportun, zwischen dem bürgerlichen und dem zivilen Mündigkeitsalter zu unterscheiden». Weil eine Mehrheit der Kantone die Vorlage ablehne und auch eine Mehrheit der (kantonalen) Stimmberechtigten die Idee jeweils nicht gutgeheissen habe, empfehle die Mehrheit der SPK-NR die Vorlage zur Ablehnung und die Initiative zur Abschreibung. Den Befürworterinnen und Befürwortern empfahl sie als «besten Weg», eine Volksinitiative zu lancieren. Die starke Kommissionsminderheit betonte hingegen in der Medienmitteilung, dass die Vernehmlassungsantworten differenzierter betrachtet werden müssten und dass «die wichtige Frage der demokratischen Partizipation junger Bürgerinnen und Bürger» in einer nationalen Abstimmung diskutiert werden müsse. Der Nationalrat wird in der Sommersession 2023 über den Antrag der Kommission entscheiden.

In den Medien wurde der Antrag der Kommission als «Dämpfer» bezeichnet. Die Medien zitierten die SP und die Grünen, die mit Empörung reagierten, den Entscheid als «Affront à la volonté de la jeune génération» bezeichneten, wie Le Temps zitierte, und auf eine Korrektur im Nationalrat hofften.

Aktives Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige (Pa.Iv. 19.415)
Dossier: Stimmrechtsalter 16

Mit Blick auf die Ereignisse, die zum Zusammenbruch der Credit Suisse geführt haben, forderte die RK-NR mittels eines Postulats die Prüfung einer möglichen Klage gegen die Führungsorgane der Credit Suisse. Konkret soll der Bundesrat dabei eine rechtliche Auslegeordnung auf zivil-, straf- und öffentlich-rechtlichen Grundlagen vornehmen, um allfällige Verantwortlichkeiten von früheren und aktiven Führungsorganen der Credit Suisse aufzudecken, erklärte Kommissionssprecherin Christa Markwalder (fdp, BE) im Ratsplenum. Der Bundesrat, welcher eine gründliche Aufarbeitung der Ereignisse im Zusammenhang mit der Übernahme der CS durch die UBS befürwortete, beantragte die Annahme des Postulates mit dem Versprechen, die Auslegeordnung innert Jahresfrist dem Parlament vorlegen zu wollen. In der ausserordentlichen Session im April 2023 überwies der Nationalrat das Postulat stillschweigend.

Prüfung einer möglichen Klage gegen die Führungsorgane der Credit Suisse (Po. 23.3439)
Dossier: Vorstösse als Folge der CS-Übernahme
Dossier: Übernahme der Credit Suisse durch die UBS

In der Frühjahressession 2023 kam die Vorlage betreffend die Vereinfachungen von Formvorschriften im Mietwesen in den Nationalrat. Patricia von Falkenstein (ldp, BS) und Sidney Kamerzin (mitte, VS) stellten sie im Namen der zuständigen RK-NR dem Rat vor. Mit dem Entwurf sollen gleich zwei parlamentarische Initiativen umgesetzt werden, namentlich eine Initiative Vogler (csp, OW; Pa.Iv. 16.458), welche bei gestaffelten Mietzinserhöhungen die Formularpflicht abschaffen und durch die schriftliche Form ersetzen wollte, sowie eine Initiative Feller (fdp, VD; Pa.Iv. 16.459), die für einseitige Vertragsänderungen im Mietwesen auf mechanischem Wege nachgebildete Unterschriften zulassen wollte. Beide Anliegen stellten eine erhebliche Erleichterung und Reduktion von Aufwand dar, ohne dass dabei die Rechtssicherheit oder die Rechtsposition der Mieterschaft beeinträchtigt werde, so die beiden Kommissionssprechenden. Auch Christa Markwalder (fdp, BE) und Vincent Maître (mitte, GE) sowie Guy Parmelin sprachen sich im Namen ihrer jeweiligen Fraktion respektive im Namen des Bundesrates für die Vorlage aus. Die restlichen Fraktionen verzichteten auf eine Wortmeldung, die Fraktionen von SP und Grünen liessen allerdings über Ratspräsident Martin Candinas (mitte, GR) ausrichten, dass sie die Vorlage ablehnen werden. Die beiden linken Fraktionen stellten aber keinen Antrag auf Nichteintreten, weshalb Eintreten auf die Vorlage stillschweigend beschlossen wurde. Auch Detailanträge gab es keine zu besprechen und so schritt die grosse Kammer bereits zur Gesamtabstimmung. Dort stimmten neben den Fraktionen der Grünen und der SP nur noch zwei Mitglieder der Mitte-Fraktion gegen die Vorlage, welche schliesslich mit 108 zu 66 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) angenommen wurde.

Keine unnötigen Formulare bei gestaffelten Mietzinserhöhungen (Pa.Iv. 16.458)
Dossier: Mietzinse: Bestimmung der Missbräuchlichkeit und Anfechtung

Im August 2022 reichte die APK-NR eine Motion ein, die den Bundesrat dazu auffordert, dem Parlament zusammen mit der Lagebeurteilung zu den Beziehungen Schweiz-EU einen einfachen Bundesbeschluss mit den Schlussfolgerungen aus ebendiesem Bericht vorzulegen. Die Kommission rief dem Bundesrat in Erinnerung, dass dem Parlament nach dem Abbruch der Verhandlungen mit der EU im Mai 2021 über ein Institutionelles Abkommen noch nie die Möglichkeit geboten worden sei, sich zu den nächsten Schritten in der Europapolitik zu äussern.
Eine Kommissionsminderheit um Roger Köppel (svp, ZH) beantragte die Ablehnung der Motion.
Der Bundesrat lehnte das Anliegen ebenfalls ab. Er wies darauf hin, dass er den erwähnten Bericht den beiden APKs in Konsultation geben werde; ein einfacher Bundesbeschluss zu den Schlussfolgerungen sei jedoch nicht dienlich. Ein solcher berge vielmehr das Risiko, den Gesamtprozess mit der EU in die Länge zu ziehen.
Der Nationalrat beriet das Anliegen in der Frühjahrssession 2023. Kommissionssprecherin Christa Markwalder (fdp, BE) führte aus, dass sich die APK-NR inzwischen mit der Lagebeurteilung zu den Beziehungen Schweiz-EU habe auseinandersetzen können und auch verschiedene Anträge diskutiert habe. Dennoch vertrete die Kommission weiterhin die Ansicht, dass sich auch die beiden Räte vertieft mit dem Bericht auseinandersetzen und im Rahmen eines einfachen Bundesbeschlusses Stellung nehmen sollten. Minderheitensprecher Roger Köppel argumentierte, dass der Bundesrat mit diesem einfachen Bundesbeschluss unnötig unter Druck gesetzt werde. Wenn überhaupt müsse die Form des referendumspflichtigen Bundesbeschlusses gewählt werden, damit sich auch die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zum weiteren Vorgehen bezüglich der Zusammenarbeit mit der EU äussern könnten; mit dem einfachen Bundesbeschluss wolle die APK-NR hingegen einen Volksentscheid umgehen. Schliesslich rief der Zürcher SVP-Nationalrat dazu auf, die weitere Anbindung an die EU generell zu stoppen. In der anschliessenden Abstimmung nahm der Nationalrat die Motion seiner APK mit 96 zu 94 Stimmen bei 5 Enthaltungen knapp an. Nebst der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion stimmten auch Mehrheiten der Mitte- sowie der FDP-Fraktion gegen den Vorstoss.

Einfacher Bundesbeschluss zum Bericht des Bundesrates zu den Beziehungen Schweiz-EU (Mo. 22.3891)
Dossier: Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit der EU nach dem Scheitern des Rahmenabkommens

In der Frühjahressession 2023 nahm sich der Nationalrat den von seiner RK ausgearbeiteten Entwurf betreffende eine Beschleunigung des Verfahrens bei der Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarf vor. Bereits das Eintreten auf die Vorlage wurde kontrovers diskutiert. Eine Minderheit der RK, bestehend aus Politikerinnen und Politikern von SP und Grünen, beantragte dem Rat, nicht auf die Vorlage einzutreten. Christian Dandrès (sp, GE) und Baptiste Hurni (sp, NE) beklagten beide in ihren Voten, dass der vorliegende Entwurf Teil einer Salamitaktik sei, bei der es darum ginge, das Mietrecht schrittweise auszuhöhlen. Florence Brenzikofer (gp, BL) befürchtete, dass durch die Vorlage das Machtgefälle zwischen Vermietenden und Mietenden weiter vergrössert werde. Ausserdem sei die Vorlage unnötig, da Vermieterinnen und Vermieter bereits heute das Recht hätten, bei dringendem Eigenbedarf ihrer vermietenden Partei zu kündigen. Der Schutz der Mietenden solle nicht weiter geschwächt werden, da schon jetzt Eigenbedarf sehr oft nur vorgeschoben werde, um den Mieter oder die Mieterin loszuwerden und die Wohnung zu einem höheren Preis weiterzuvermieten. Mitglieder der Fraktionen von SVP, FDP und Mitte hielten dagegen. Vincent Maître (mitte, GE) war der Ansicht, dass es bei dieser Vorlage nur darum gehe, dass Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer wieder das Recht erhalten sollen, die von ihnen gekaufte Immobilie bewohnen zu können. Mit der bestehenden Regelung, dass für die Kündigung bei Eigenbedarf ein «dringender Eigenbedarf» geltend gemacht werden muss, sei dies oft unmöglich, da es schwierig sei, die Dringlichkeit zu beweisen und dies ein langes juristisches Verfahren nach sich ziehen könnte. Ähnlich äusserte sich Christa Markwalder (fdp, BE), die darüber hinaus ausführte, dass stattdessen neu eine Kündigung bereits bei einem «bei objektiver Beurteilung bedeutenden und aktuellen Eigenbedarf» möglich sein soll. Dies sei eine ausgewogene und moderate Lösung, mit der der Schutz der Interessen der Mieterinnen und Mieter weiterhin gewährleistet sei. Pirmin Schwander (svp, SZ) plädierte im Namen der SVP-Fraktion ebenfalls für Eintreten. Er sehe in dieser Frage eher ein Machtgefälle zugunsten der Mietenden und deshalb müsse der Eigenbedarf schneller und einfacher geltend gemacht werden können. Gespalten zeigte sich die GLP-Fraktion. Beat Flach (glp, AG) war zwar prinzipiell mit dem Anliegen des Vorstosses einverstanden. Er liess jedoch durchblicken, dass innerhalb der GLP-Fraktion auch einige der Meinung seien, dass generell die Balance zwischen den beiden Lagern im Moment zulasten der Mietenden gestört sei. Da es sich zudem nur um wenige Fälle handle, in denen es zu langen Verfahren gekommen sei, sei es fraglich, ob man nun in diese Richtung legiferieren solle. Als letztes äusserte sich noch Bundesrat Guy Parmelin. Dieser beantragte dem Nationalrat im Namen des Bundesrates, nicht auf die Vorlage einzutreten. Parmelin vertrat die Meinung, dass die aktuelle Regelung ausreichend sei, um die Interessen beider Parteien zu schützen. Ausserdem komme es in der Praxis nicht zu so vielen störenden Fällen, als dass sich eine legislative Intervention rechtfertigen liesse. Entgegen diesem Antrag stimmte schliesslich eine Mehrheit des Nationalrates für Eintreten auf die Vorlage (mit 108 zu 80 Stimmen, bei 1 Enthaltung). Zu den geschlossen stimmenden Fraktionen von SP und Grünen gesellten sich auch acht Mitglieder der GLP und drei Mitglieder der Mitte-Fraktion. In der Detailberatung galt es anschliessend noch, über verschiedene Anträge der Minderheit auf Verschärfung der Regelung zur Kündigung bei Eigenbedarf zu entscheiden. Diese wurden jedoch allesamt abgelehnt. Schliesslich nahm der Nationalrat das Geschäft in der Gesamtabstimmung mit 114 zu 79 Stimmen (bei 1 Enthaltung) an.

Verfahrensbeschleunigung bei Kündigung des Mietverhältnisses wegen dringendem Eigenbedarf (Pa.Iv. 18.475)

Im Nationalrat verlief die Beratung des Bundesgesetzes über die Digitalisierung im Notariat nicht annähernd so harmonisch wie zuvor in der Ständekammer. So hatte sich der Zweitrat in der Frühjahrssession 2023 zunächst mit einem Nichteintretensantrag einer Minderheit Addor (svp, VS) zu befassen. Wie der Minderheitssprecher ausführte, bestehe keine nachgewiesene praktische Notwendigkeit für ein solches Gesetz. Die Abwesenheit eines Bundesregisters für Urkunden schaffe aktuell keinerlei Schwierigkeiten und es bestehe kein Bedarf, ein solches zu schaffen. Zudem sei der Entwurf zu detailliert und gehe zu weit über die Frage der Digitalisierung hinaus, sodass er zu stark ins kantonale Notariatswesen eingreife. Nicht zuletzt bringe ein zentralisiertes Urkundenregister auch neue Datenschutzprobleme mit sich, gerade wenn der Zugang zu diesem Register wie im vorliegenden Entwurf unzureichend geregelt sei. Demgegenüber beantragte die Mehrheit der vorberatenden RK-NR Eintreten. Der digitale Geschäfts- und Amtsverkehr könne nur dann sinnvoll genutzt werden, wenn auch die entsprechenden Belege, bei denen es sich in vielen Fällen um öffentliche Urkunden handle, in elektronischer Form eingereicht werden können, hob Kommissionssprecher Beat Flach (glp, AG) den Zweck des Gesetzes hervor. Der Bund stelle nur das Urkundenregister zur Verfügung und greife ansonsten nicht in den notariellen Prozess ein. Die Kantone könnten das zentrale Register dann als Modul in ihre eigenen Softwarelösungen integrieren. Es sei aber «zentral, dass die Sicherheit und Langlebigkeit der Urkunden im ganzen Land einheitlich geregelt wird», erklärte der Berichterstatter. Im Gesetz seien nur die Grundsätze zu elektronischen öffentlichen Urkunden festgelegt, damit die detaillierten Ausführungsbestimmungen, die auf Verordnungsstufe geregelt werden sollen, einfacher den technischen Veränderungen angepasst werden können, so Flach weiter. Der Sensibilität der betreffenden Daten sei sich die Kommission durchaus bewusst, weshalb sie in diesem Bereich noch an der Vorlage nachgebessert habe. Nach ausführlicher Debatte trat der Nationalrat mit 134 zu 54 Stimmen bei einer Enthaltung auf den Entwurf ein. Für Nichteintreten votierten die geschlossene SVP-Fraktion sowie der Tessiner Mitte-Vertreter Marco Romano.
Die bereits erwähnten Präzisierungen zum Datenschutz, die die Kommissionsmehrheit vorschlug, wurden von einer Minderheit als unnötig erachtet, weil diese Fragen bereits im Datenschutzgesetz geregelt seien, so die Minderheitssprecherin Christa Markwalder (fdp, BE). Die Kommissionsmehrheit wollte im Gesetz explizit festschreiben, dass das Bundesamt für Justiz das zentrale Urkundenregister aufbaut und führt sowie dessen Betrieb, Weiterentwicklung und Sicherheit gewährleistet. Sowohl das BJ als auch die Stellen, die das System nutzen, sollen zudem ausdrücklich für die Gewährleistung des Datenschutzes und der Datensicherheit verantwortlich gemacht werden. Die Volkskammer hiess die vorgeschlagenen Ergänzungen mit 157 zu 38 Stimmen gegen den Widerstand aus den Fraktionen der GLP und der FDP gut. Eine Minderheit Kamerzin (mitte, VS), die noch weiter gehen wollte als die Kommissionsmehrheit und im Gesetz zusätzlich festschreiben wollte, dass sämtliche Zugriffe auf das Urkundenregister mit Angabe der Uhrzeit und der Identität der zugreifenden Person protokolliert werden müssen, scheiterte im Rat jedoch mit 113 zu 82 Stimmen. Sie wurde nur von den Fraktionen der SVP und der Mitte unterstützt. Kommissionssprecher Flach versicherte, die Zugriffsrechte würden auf dem Verordnungsweg geregelt und die Kommission werde «dann gewiss auch das Recht beanspruchen, diese Verordnungen anzuschauen». Alle übrigen Bestimmungen nahm der Nationalrat stillschweigend gemäss Antrag seiner Rechtskommission an. In der Gesamtabstimmung hiess er den Entwurf mit 142 zu 53 Stimmen gut. Abgelehnt wurde er von der geschlossenen SVP-Fraktion, die zu Beginn schon nicht darauf hatte eintreten wollen.

Notariatsdigitalisierungsgesetz (BRG 21.083)

Im Februar 2023 ereignete sich in der Grenzregion der Türkei und Syrien ein starkes Erdbeben, welches Zehntausende Tote und ca. 125'000 Verletzte forderte. Die offizielle Schweiz sprach mehrere Millionen Franken für Hilfsmassnahmen und engagierte sich mit der Rettungskette, welche auf die Ortung, Rettung und medizinische Erstversorgung von Verschütteten nach Erdbeben im Ausland spezialisiert ist. Auch viele Schweizer Hilfswerke, wie etwa Caritas oder Ärzte ohne Grenzen, setzten sich für die Opfer des Erdbebens ein, meistens indem sie mit lokalen Partnerorganisationen zusammenarbeiteten. Wie die Medien berichteten, sprachen auch kirchliche Kreise und einige Kantonsregierungen finanzielle Mittel. Das Hauptaugenmerk legten die Medien jedoch auf private Aktionen in der Schweiz, oftmals von kurdisch- oder türkischstämmigen Personen organisiert. Diese Personen sammelten Tausende von Kisten mit Kleidern, Decken, Zelten, Nahrungsmitteln, Medikamenten, Hygieneartikeln etc., die sie mit Lastwagen oder gar mit einem gecharterten Flugzeug in die betroffene Region zu bringen versuchten. Auch die in der Türkei geborene Nationalrätin Sibel Arslan (basta, BS) versuchte, den betroffenen Menschen zu helfen. Sie gab zu bedenken, dass vor allem finanzielle Mittel gebraucht würden, damit die Personen vor Ort das Nötigste kaufen können.
Auf der politischen Ebene entschied das SEM in Absprache mit dem EDA, dass Betroffene des Erdbebens von einem beschleunigten Visa-Verfahren profitieren können: Personen, die bei ihren Verwandten in der Schweiz unterkommen konnten, erhielten dafür ein 90 Tage gültiges Visum. Dieser Entscheid wurde von Mitte-Links befürwortet, wie der Blick berichtete. Die Bürgerlichen hingegen goutierten die Priorisierung der vom Erdbeben betroffenen Personen nicht. Damian Müller (fdp, LU) wurde im Blick dahingehend zitiert, dass eine unkontrollierte Migration die innere Sicherheit gefährde. Anfang Mai 2023 wurde dieses beschleunigte Visumsverfahren wieder eingestellt.

Erdbeben in der Grenzregion Türkei/Syrien – Hilfe der Schweiz

Mit Stichentscheid der Präsidentin Christa Markwalder (fdp, BE) – bei 12 zu 12 Stimmen und einer Enthaltung – gab die RK-NR der parlamentarischen Initiative Zopfi (gp, GL) im Januar 2023 ebenfalls Folge. Ihre Schwesterkommission erhielt damit den Auftrag, eine Vorlage zur Anpassung von Artikel 276 StGB und Artikel 98 MStG auszuarbeiten, sodass öffentliche Aufrufe zum Ungehorsam gegen militärische Befehle, zur Dienstverletzung, Dienstverweigerung oder zum Ausreissen künftig nicht mehr strafbar sind.

Anpassung von Artikel 276 StGB und Artikel98 MStG an die heutige Realität zur Stärkung der Meinungsäusserungsfreiheit (Pa.Iv. 21.464)

In Erfüllung zweier Postulate Arslan (basta, BS; Po. 17.4121) und Ruiz (sp, VD; Po. 17.4185) veröffentlichte der Bundesrat Ende 2022 den Bericht «Einführung eines dritten Geschlechts oder Verzicht auf den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister – Voraussetzungen und Auswirkungen auf die Rechtsordnung». Darin lehnte es die Regierung ab, ein drittes Geschlecht oder die Möglichkeit zum Verzicht auf den Geschlechtseintrag einzuführen. Eine solche Abkehr vom binären Geschlechtermodell bedinge die Anpassung zahlreicher Rechtserlasse – «von der Bundesverfassung bis auf Verordnungen der untersten Stufe». Von erheblichem Ausmass wären dem Bericht zufolge auch die praktischen Auswirkungen; insbesondere bei der Erhebung von Statistiken befürchtete der Bundesrat einen Informationsverlust. Nicht zuletzt, konstatierte die Regierung, sei die Binarität der Geschlechter «in der Bevölkerung nach wie vor fest verankert», sodass «die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung des Geschlechts oder die Einführung eines dritten Geschlechts heute nicht gegeben» seien.
Mit dieser Haltung stiess der Bundesrat bei Organisationen für die Rechte von non-binären und trans Personen auf wenig Verständnis. Das Transgender Network Switzerland bezeichnete den Bericht in der Presse als «Ohrfeige gegen nichtbinäre Menschen». Dass die Gesellschaft dafür nicht bereit sei, stimme nicht. Das Netzwerk berief sich auf eine 2021 durchgeführte Umfrage von Sotomo, in der sich 53 Prozent der Schweizer Bevölkerung für die Einführung eines dritten Geschlechts in offiziellen Dokumenten ausgesprochen hätten. Die Westschweizer Organisation Epicène kritisierte gegenüber «Le Temps», dass es die Regierung vorziehe, «ihre Komfortzone nicht zu verlassen». Enttäuscht zeigte sich gegenüber den Medien auch Postulantin Sibel Arslan: Der Bundesrat schiebe mit der gesellschaftlichen Verankerung eine Begründung vor; in Wahrheit scheue er sich vor der gesetzgeberischen Verantwortung.

Einführung einer dritten Geschlechtsidentität. Folgen für die Rechtsordnung und für Infostar (Po. 17.4185)

Nachdem die eidgenössischen Räte eine Umsetzung des Anliegens für einen Berufsgeheimnisschutz für Unternehmensjuristinnen und -juristen im Rahmen der ZPO-Revision gutgeheissen hatten, beantragte die RK-NR ihrem Rat, die entsprechende parlamentarische Initiative Markwalder (fdp, BE) abzuschreiben. Die Volkskammer folgte diesem Antrag in der Wintersession 2022 stillschweigend, womit das Geschäft erledigt ist.

Berufsgeheimnisschutz für Unternehmensjuristinnen und -juristen (Pa.Iv. 15.409)
Dossier: Revision der Zivilprozessordnung (2018–)

Der Nationalrat beugte sich in der Wintersession 2022 als Zweitrat über die Revision des Sexualstrafrechts. Wie bereits in der Ständekammer wurde das Ziel des Revisionsprojekts, das in die Jahre gekommene Sexualstrafrecht an die veränderten gesellschaftlichen Wertvorstellungen anzupassen, auch im Nationalrat allseits begrüsst. Eintreten war somit unbestritten.

Die Debatte um den umstrittensten Punkt der Vorlage, die Modellwahl zwischen «Nur Ja heisst Ja» und «Nein heisst Nein», fand in der grossen Kammer im Vergleich zum Ständerat unter umgekehrten Vorzeichen statt: Während sich in der Kantonskammer eine Minderheit der Kommission erfolglos für die Zustimmungslösung ausgesprochen hatte, beantragte im Nationalrat die Mehrheit der vorberatenden Rechtskommission die Verankerung des «Nur-Ja-heisst-Ja»-Prinzips im Strafgesetzbuch. Gemäss Kommissionssprecherin Patricia von Falkenstein (ldp, BS) wolle man damit klar zum Ausdruck bringen, «dass einvernehmliche sexuelle Handlungen im Grundsatz immer auf der Einwilligung der daran beteiligten Personen beruhen sollen» und «dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung als Vergewaltigung betrachtet wird». Mit der Zustimmungslösung solle bei der Aufklärung von Sexualdelikten zudem mehr das Verhalten des Täters oder der Täterin in den Fokus rücken, und nicht die Frage, ob und wie sich das Opfer gewehrt habe. Letzteres solle sich nicht schuldig fühlen, wenn es nicht in ausreichendem Mass Widerstand geleistet habe. Demgegenüber fordere die «Nein heisst Nein»-Lösung vom Opfer weiterhin einen zumutbaren Widerstand. Bundesrätin Karin Keller-Sutter argumentierte hingegen, dass das Widerspruchsprinzip klarer sei. Jemand könne auch aus Angst oder Unsicherheit Ja sagen, ohne dies tatsächlich zu wollen, wohingegen ein explizites oder stillschweigendes Nein – etwa eine ablehnende Geste oder Weinen – nicht als Zustimmung missverstanden werden könne. Über ein geäussertes Nein könne das Opfer im Strafverfahren allenfalls aussagen, über ein fehlendes Ja jedoch nicht, denn einen Negativbeweis gebe es nicht, ergänzte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS), der mit seiner Minderheit ebenfalls für «Nein heisst Nein» eintrat. Wie schon im Ständerat herrschte derweil auch im Nationalrat weitgehende Einigkeit, dass der Unterschied zwischen den beiden Varianten juristisch gesehen «verschwindend klein» sei, wie es Tamara Funiciello (sp, BE) ausdrückte, und es vor allem um Signale gehe. Während die Advokatinnen und Advokaten der Zustimmungslösung darin eine gesellschaftliche Haltung sahen, die die sexuelle Selbstbestimmung betone, erachteten die Befürworterinnen und Befürworter der Widerspruchslösung das Strafrecht nicht als den richtigen Ort für Symbolik – so fasste Christa Markwalder (fdp, BE) die Positionen in ihrer gespaltenen Fraktion zusammen. Als eine Art Mittelweg bewarb eine Minderheit Nidegger (svp, GE) unterdessen die im Ständerat gescheiterte Umformulierung des Widerspruchsprinzips. Diese wollte durch die explizite Nennung von verbaler und nonverbaler Ablehnung die Fälle von sogenanntem Freezing – wenn das Opfer in einen Schockzustand gerät und dadurch widerstandsunfähig ist – besser abdecken. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte indes, auch mit der Widerspruchslösung seien Freezing-Fälle abgedeckt und die Minderheit Nidegger bringe somit keinen Mehrwert. Die Minderheit Nidegger unterlag der «Nein-heisst-Nein»-Lösung wie vom Bundesrat vorgeschlagen denn auch deutlich mit 118 zu 64 Stimmen bei 8 Enthaltungen. Ebenso chancenlos blieb die Minderheit Reimann (svp, SG), die statt dem vorgesehenen Kaskadenprinzip in Art. 189 und 190 StGB – einer Definition des Grundtatbestands ohne Nötigung (Abs. 1), wobei Nötigung sowie Grausamkeit als zusätzliche Erschwernisse in den Absätzen 2 und 3 aufgeführt werden – einen eigenen Tatbestand für Verletzungen der sexuellen Integrität ohne Nötigung schaffen wollte, sodass das Nötigungselement in den Tatbeständen der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung erhalten bliebe. Dieses Konzept war allerdings bereits in der Vernehmlassung harsch kritisiert worden. «Nur Ja heisst Ja» setzte sich schliesslich mit 99 zu 88 Stimmen bei 3 Enthaltungen gegen «Nein heisst Nein» durch. Zum Durchbruch verhalfen der Zustimmungslösung neben den geschlossen dafür stimmenden Fraktionen der SP, der Grünen und der GLP Minderheiten aus der FDP- und der Mitte-Fraktion sowie SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz (svp, GE).

Neben der Modellwahl diskutierte die grosse Kammer auch die Strafrahmen ausführlich. Hier hielt sie sich mit einer Ausnahme überall an die Vorschläge ihrer Kommissionsmehrheit und lehnte zahlreiche Minderheitsanträge aus den Reihen der SVP- und der Mitte-Fraktion ab, die schärfere Strafen forderten. Härtere Sanktionen seien ursprünglich das Ziel der Strafrahmenharmonisierung gewesen, wovon auch die vorliegende Revision Teil sei, argumentierte Barbara Steinemann (svp, ZH). Solange «Belästiger mit symbolischen Strafen aus dem Gerichtssaal davonlaufen» könnten, sei auch die Zustimmungslösung nur ein «Ablenkungsmanöver», warf sie der Ratsmehrheit vor. Letztere wollte allerdings den Ermessensspielraum der Gerichte nicht einschränken. Es wurde befürchtet, dass die Gerichte sonst höhere Massstäbe an die Beweiswürdigung setzen könnten und es damit zu weniger Verurteilungen kommen könnte. Eine Mindeststrafe müsse immer «auch den denkbar leichtesten Fall abdecken», mahnte Justizministerin Keller-Sutter. Einzig bei der Vergewaltigung mit Nötigung – dem neuen Art. 190 Abs. 2, der im Grundsatz dem heutigen Vergewaltigungstatbestand entspricht – folgte der Nationalrat mit 95 zu 90 Stimmen bei 5 Enthaltungen der Minderheit Steinemann und übernahm die bereits vom Ständerat vorgenommene Verschärfung. Damit beträgt die Mindeststrafe für diesen Tatbestand neu zwei Jahre Freiheitsstrafe, Geldstrafen sowie bedingte Strafen sind demnach ausgeschlossen. Vergewaltigerinnen und Vergewaltiger müssen damit künftig zwingend ins Gefängnis. Bisher betrug die Mindeststrafe für Vergewaltigung ein Jahr Freiheitsstrafe, wobei diese auch (teil-)bedingt ausgesprochen werden konnte.

In einem zweiten Block beriet die Volkskammer noch diverse weitere Anliegen im Bereich des Sexualstrafrechts. Die Forderung einer Minderheit Funiciello, dass verurteilte Sexualstraftäterinnen und -täter obligatorisch ein Lernprogramm absolvieren müssen, wie dies bei häuslicher Gewalt oder Pädokriminalität bereits der Fall ist, wurde mit 104 zu 85 Stimmen abgelehnt. Da die Art des Delikts nicht berücksichtigt würde, handle es sich um eine «undifferenzierte Massnahme», so Kommissionssprecherin von Falkenstein. Mit 98 zu 84 Stimmen bei 7 Enthaltungen sprach sich der Nationalrat indessen dafür aus, die Altersgrenze für die Unverjährbarkeit von Sexualverbrechen auf 16 Jahre anzuheben. Bislang lag diese bei 12 Jahren, wie es bei der Umsetzung der Unverjährbarkeitsinitiative festgelegt worden war. Die Mehrheit argumentierte, so falle die Grenze für die Unverjährbarkeit mit dem Alter der sexuellen Mündigkeit zusammen. Den neuen Tatbestand der Rachepornografie hiess die grosse Kammer stillschweigend gut, verfrachtete ihn aber in einen anderen Artikel innerhalb des StGB. Anders als der Ständerat nahm der Nationalrat stillschweigend auch einen Tatbestand für Grooming ins Gesetz auf. In der Vernehmlassung sei dieser Vorschlag sehr positiv aufgenommen worden, erklärte die Kommissionssprecherin. Das Anliegen einer Minderheit von Falkenstein, sexuelle Belästigung nicht nur in Form von Wort, Schrift und Bild zu bestrafen, sondern auch andere sexuell konnotierte Verhaltensweisen – beispielsweise Gesten oder Pfiffe – unter Strafe zu stellen, scheiterte mit 96 zu 93 Stimmen knapp. Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnte vor einer «uferlosen Strafbarkeit», da mit der geforderten Ergänzung die Grenze zwischen strafbarem und straflosem Verhalten unklar wäre. Ebenfalls abgelehnt wurde ein Einzelantrag von Léonore Porchet (gp, VD), die ein Offizialdelikt für sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum einführen wollte. Die betroffene Person solle selbst entscheiden können, ob sie eine Strafverfolgung wünsche oder an ihrer Privatsphäre festhalten möchte, argumentierte Justizministerin Keller-Sutter dagegen.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat den Entwurf mit 127 zu 58 Stimmen bei 5 Enthaltungen an. Mit der Ausnahme von Céline Amaudruz stellte sich die SVP-Fraktion geschlossen dagegen. Sie wurde von einigen Stimmen aus der Mitte-Fraktion unterstützt, aus der auch die Enthaltungen stammten. Das Ergebnis war Ausdruck der Enttäuschung des rechtsbürgerlichen Lagers über die ablehnende Haltung des Rats gegenüber Strafverschärfungen. SVP-Vertreterin Steinemann hatte schon in der Eintretensdebatte angekündigt, dass ihre Fraktion die Vorlage ablehnen werde, «sofern nicht deutlich schärfere Sanktionen resultieren».

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Am Montag der dritten Herbstsessionswoche 2020 besetzten Klimaaktivistinnen und -aktivisten den Bundesplatz, obwohl dort Veranstaltungen während der Session verboten sind. Dies führte bei den Parlamentarierinnen und Parlamentariern zu einigem Ärger. So beschwerten sich gemäss verschiedener Medien insbesondere bürgerliche Parlamentsmitglieder, von den Klimaaktivistinnen und -aktivisten «angepöbelt» worden zu sein. Dabei stellten die Medien vor allem verschiedene verbale Entgleisungen ins Zentrum der Berichterstattung. So soll Roland Büchel (svp, SG) derart genervt gewesen sein, dass er die Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten vor laufender Kamera als «Arschlöcher» bezeichnete. Andreas Glarner (svp, AG) nannte die Demonstrierenden während eines Interviews «Kommunisten und Chaoten» und Sibel Arslan (basta, BS), die das Anliegen der Streikenden vertreten wollte, «Frau Arschlan» – was er später als Versprecher entschuldigte. Umgekehrt regten sich linke Parlamentsmitglieder über die falschen Prioritäten der Medien auf, so etwa Jacqueline Badran (sp, ZH), die in einem Radiointerview die Medien angriff, welche «den huere fucking Glarner, who cares, [...] statt die Forderungen der Jugendlichen» gefilmt hätten.

Die Debatten drehten sich in der Folge allerdings nicht nur um «Anstand» und verbale Entgleisungen, sondern auch darum, ob der Bundesplatz überhaupt besetzt werden darf – insbesondere während der Session. Während sich bürgerliche Parlamentarierinnen und Parlamentarier beschwerten, zeigten links-grüne Mitglieder der Bundesversammlung Verständnis für die Aktion. Die aktuelle Regelung im Kundgebungsreglement der Stadt Bern besagt, dass die Versammlungsfreiheit auf dem Bundesplatz während der Sessionen vor allem für grosse Manifestationen aufgehoben wird. Verantwortlich für die Einhaltung dieser Massnahme ist die Stadt Bern, weshalb sich die Kritik der Bürgerlichen in der Folge vor allem gegen den Berner Stadtpräsidenten Alec von Graffenried (gfl) richtete. Einige Medien – darunter etwa die NZZ – warfen der Stadt gar vor, «mit zweierlei Mass» zu messen und das Demonstrationsverbot «selektiv» umzusetzen.

Die Aktion auf dem Bundesplatz führte schliesslich auch zu einiger parlamentarischer Betriebsamkeit. Ein noch am gleichen Montag eingereichter Ordnungsantrag (20.9004/21364) von Thomas Aeschi (svp, ZG), der die Räumung des Platzes beantragte, wurde mit 109 zu 83 Stimmen (1 Enthaltung) im Nationalrat angenommen. Dagegen stimmten die geschlossenen Fraktionen von SP, GP und GLP sowie zwei Angehörige der Mitte-Fraktion. Der am nächsten Tag von Esther Friedli (svp, SG) eingereichte Ordnungsantrag (20.9004/21402), mit dem zusätzlich eine Anzeige gegen die Stadt Bern und die «Klimaextremisten und Linksradikalen» gefordert wurde, lehnte eine 90 zu 79-Stimmen-Mehrheit (bei 16 Enthaltungen) dann freilich ab. Hingegen richtete sich die VD mit einem von Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (fdp, VD) und Ständeratspräsident Hans Stöckli (sp, BE) unterzeichneten Schreiben an die Regierungen von Stadt und Kanton Bern und forderte diese auf, für die Einhaltung der Rechtsbestimmungen zu sorgen. Und schliesslich reichte Christian Imark (svp, SO) eine Motion ein, mit der er forderte, die Stadt Bern des Bundesplatzes zu enteignen. Dadurch könne der Bundesrat «künftig selber für Recht und Ordnung auf dem Bundesplatz» sorgen, weil «die linke Berner Stadtregierung [...] die Chaoten immer öfter gewähren» lasse.
Wohl auch weil die Polizei am Mittwoch nach zwei Ultimaten der Stadtregierung den Platz räumte, legte sich die Aufregung kurz darauf wieder. Der Bundesrat beantragte ein paar Wochen später die Ablehnung der Motion, weil eine Enteignung nicht verhältnismässig sei und die Zusammenarbeit mit der Stadt Bern bezüglich Nutzung des Bundesplatzes so funktioniere, dass die Interessen des Parlaments berücksichtigt würden. Die Motion Imark selber wurde dann zwei Jahre nach ihrer Einreichung wegen Nichtbehandlung abgeschrieben.

Wem gehört der Bundesplatz? (Mo. 20.4028)