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  • Marti, Min Li (sp/ps, ZH) NR/CN
  • Regazzi, Fabio (mitte/centre, TI) NR/CN

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In der Wintersession 2022 erledigte der Ständerat die Motion Regazzi (mitte, TI), die forderte, dass Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer ausgewiesen werden, unabhängig davon, ob diese als sicher gelten oder nicht. Die SPK-SR hatte ihrem Rat einstimmig beantragt, es dem Nationalrat gleichzutun und den Vorstoss abzuschreiben, was dieser stillschweigend tat. Im Ratsplenum dankte Kommissionssprecher Hans Stöckli (sp, BE) dem Bundesrat für die «sehr gute Botschaft», in der die Regierung dargelegt hatte, weshalb die Motion rechtlich nicht umsetzbar sei. Die Kommission teile die Meinung des Bundesrates vollumfänglich – sie hatte schon 2019 vergeblich für deren Ablehnung plädiert. Das Non-Refoulement-Gebot sei Teil des zwingenden Völkerrechts, von dessen Verpflichtungen sich die Schweiz nicht etwa durch Kündigung von Verträgen befreien könne. Damit sei der Widerspruch zum Anliegen der Motion «unüberbrückbar», erläuterte Stöckli.

Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht (Mo. 16.3982)

Im Rahmen der Wintersession 2022 beschäftigte sich der Nationalrat mit der Motion von Ständerat Erich Ettlin (mitte, OW), die den Bundesrat beauftragen wollte, allgemeinverbindlich erklärte GAV zu Mindestlöhnen oder Ferienansprüchen gegenüber kantonalen Regelungen als vorrangig zu erklären. Zuvor hatte die WAK-NR mit 11 zu 10 Stimmen beantragt, die Motion anzunehmen. Einen bundesrätlichen Vorschlag auf Änderung der Motion hatte sie mit demselben Stimmverhältnis abgelehnt. In insgesamt 34 Wortmeldungen tauschten sich die Nationalrätinnen und Nationalräte in der Folge zu dieser Frage aus. Kommissionssprecher Fabio Regazzi (mitte, TI) betonte in der Debatte, dass der geografische Geltungsbereich der GAV weiter gefasst sei als derjenige der kantonalen gesetzlichen Bestimmungen – Erstere gelten für die ganze Schweiz oder für mehrere Kantone. Deswegen sollen die GAV Vorrang gegenüber kantonalen Regelungen geniessen. Eine Minderheit Wermuth (sp, ZH) beantragte die Ablehnung der Motion. Der Minderheitensprecher argumentierte, dass die kantonalen Regelungen durch direktdemokratische Entscheidungen der kantonalen Stimmbevölkerung legitimiert seien und aus diesem Grund Vorrang gegenüber den Regelungen im GAV hätten, die einen Vertrag zwischen privaten Akteuren darstellten, wie Bundesrat Guy Parmelin ergänzte. Folglich verstosse ein Vorrang der allgemeinverbindlichen GAV gegenüber den kantonalen Regelungen gegen die den Kantonen durch die Verfassung übertragenen Kompetenzen. Trotz dieses Einwandes des Bundesrates nahm der Nationalrat die Motion mit 95 zu 93 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) knapp an. Unterstützt wurde sie von der SVP-, der FDP- und der Mitte-Fraktion.

Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen (Mo. 20.4738)
Dossier Mindestlohn: Vorrang Gesamtarbeitsverträge oder kantonale Bestimmungen

Die Diskussionen um das Thema «Frauen im Bundesrat» begannen bereits fünf Tage nach dem Rücktritt von Ueli Maurer und begleiteten die ganzen Bundesratswahlen 2022. Die NZZ titelte zu Beginn, dass die SVP «auffällig viele Bundesratskandidatinnen» habe und «plötzlich Frauenpartei» sei. Auch wenn Magdalena Martullo-Blocher (svp, GR) und Diana Gutjahr (svp, TG) bereits abgesagt hätten, hätten die Medien mit Esther Friedli (svp, SG), Natalie Rickli (svp, ZH), Monika Rüegger (svp, OW) und Cornelia Stamm Hurter (SH, svp) «für eine Partei ohne Frauenförderungsprogramm [...] erstaunlich viele valable Kandidatinnen» ausgemacht. Nachdem bis auf die Nidwalder Regierungsrätin Michèle Blöchliger (NW, svp) alle Kandidatinnen abgesagt hatten, drehte jedoch der Wind in der Berichterstattung: Der SVP mangle es an Frauen, titelte etwa 24Heures. Sie bleibe «le parti des hommes», schrieb Le Temps, wofür sie die lediglich knapp 20 Prozent gewählten SVP-Frauen im nationalen Parlament, aber auch das Verhalten der Männer in der Partei als Belege ins Feld führte. Ueli Maurer habe 2014 Frauen beispielsweise als «Gebrauchtgegenstände im Haushalt» bezeichnet. Entsprechend habe Michèle Blöchliger gegen die männlichen SVP-Schwergewichte auch keine Chance. Der Tages-Anzeiger erinnerte daran, dass die SVP in Geschlechterfragen bereits einmal weiter gewesen sei: Im Jahr 2000 habe sie Rita Fuhrer als Bundesratskandidatin vorgeschlagen, das Parlament habe damals jedoch Samuel Schmid gewählt. Die Sonntagszeitung sprach ob der vielen Absagen hingegen von einer «Partei der Feiglinginnen».
Zwar forderten nicht wenige Exponentinnen und Exponenten der SVP – etwa Toni Brunner (svp, SG), der der Findungskommission angehörte, Nationalrätin Céline Amaudruz (svp, GE) oder gar Christoph Blocher –, dass die Partei dem Parlament eine Kandidatin und einen Kandidaten zur Auswahl präsentiere. Letztlich war die einzige Frau unter den offiziell Kandidierenden allerdings chancenlos: In der Fraktion sprachen sich nur 4 (von 51) Mitgliedern für die Nidwaldner Kandidatin Blöchlinger aus.

Nicht nur die Gleichstellung von Frauen und Männern, auch die Genderdebatte erhielt im Zusammenhang mit den Wahlen einige mediale Aufmerksamkeit. So sorgte eine im Rahmen seiner Rücktrittsankündigung gemachte Aussage von Ueli Maurer für Kritik, wonach es keine Rolle spiele, ob eine Frau oder ein Mann seine Nachfolge übernehmen werde – «solange es kein ‹Es› ist, geht es ja noch». Das Transgender-Netzwerk forderte vom scheidenden Bundesrat eine Entschuldigung und Kim de l’Horizon, die genderfluide, nichtbinäre Person, die mit ihrem Debütroman 2022 mit dem Schweizer und dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden war, fragte in einem NZZ-Feuilletonbeitrag, was so schlimm am Körper von Kim de l'Horizon sei, dass ihn Ueli Maurer von politischer Führung ausschliessen wolle. Kim de l'Horizon lade den noch amtierenden Bundesrat auf ein Bier ein, damit dieser ein «Es» kennenlernen könne.

Diese Debatten waren jedoch in der Folge auch deshalb nur noch Randthema, weil die Gleichstellungsdiskussion kurz nach dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga auf die SP übersprangen, nachdem die Parteileitung bekannt gegeben hatte, dass die SP auf ein reines Frauenticket setzen werde. Es sei «logisch», dass die SP nur Frauen aufstelle, weil sie mit Alain Berset bereits einen Mann in der Regierung habe, war zwar zuerst der allgemeine mediale Tenor gewesen. Auch nachdem Daniel Jositsch (sp, ZH), der selber Ambitionen auf den Sitz in der Bundesregierung hegte, diese Entscheidung kritisiert und eine eigene Kandidatur in den Raum gestellt hatte, war im linken Lager unbestritten, dass nur eine Frau als Nachfolgerin von Simonetta Sommaruga in Frage kommen würde – auch wenn dieser Entscheid auch von einigen SP-Frauen kritisiert wurde. Einige Kritik wurde jedoch auch aus dem bürgerlichen Lager laut.

Für mehr mediale Aufmerksamkeit sorgte hingegen die von Tamara Funiciello (sp, ZH) lancierte Überlegung, dass es im Bundesrat mehr junge Mütter mit schulpflichtigen Kindern brauche, damit die Gleichstellung und die Diskussion um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Fortschritte machten. Im Sonntagsblick wurde vermutet, dass junge Mütter wohl bei einer Wahl stärker in der Kritik stehen und wahlweise als schlechte Mutter oder schlechte Bundesrätin gelten würden. Mit Elisabeth Kopp, Micheline Calmy-Rey und Eveline Widmer-Schlumpf seien zwar bereits Mütter in der Landesregierung gewesen, nur die Tochter von Elisabeth Kopp sei damals allerdings im schulpflichtigen Alter gewesen, berichtete der Tages-Anzeiger. Karin Keller-Sutter habe vor einigen Jahren gar gesagt, dass ihre politische Karriere mit Kindern nicht möglich gewesen wäre. In anderen Ländern sei es hingegen Realität, dass junge Frauen mit Kindern Regierungsverantwortung übernähmen. Natürlich sei es in der Schweiz unüblich, dass jemand zwischen 30 und 40 Bundesrätin werde, dennoch sei es nie jemandem in den Sinn gekommen, bei Alain Berset in der entsprechenden Situation nach Vereinbarkeit von Amt und Familie zu fragen, so der Tages-Anzeiger. Freilich habe es auch schon Männer gegeben, die aus familiären Gründen auf einen Bundesratsposten verzichtet hätten, aktuell etwa Marcel Dettling (svp, SZ) bei der Nachfolge von Ueli Maurer. Die NZZ meinte hingegen, dass die Frage nicht sei, ob die Schweiz dafür bereit sei, sondern ob junge Schweizer Mütter sich überhaupt zur Verfügung stellen würden.
Vor allem bei der Kandidatur von Evi Allemann (BE, sp) war das Thema «junge Mütter im Bundesrat» Gegenstand jedes Interviews mit der Bernerin. Es sei «vielleicht eine neue Selbstverständlichkeit», dass junge Frauen, die vor 20 Jahren gewählt worden seien, dank ihrer Erfahrung mehr Verantwortung übernehmen wollten, mutmasste Evi Allemann in einem dieser Interviews. Ihre Arbeit im Regierungsrat des Kantons Bern zeige, dass es sehr wohl möglich sei, Kinder zu haben und ein Regierungsamt zu bekleiden, gab sie dabei zu Protokoll.

Dass Politikerinnen auch medial anders beurteilt werden als Politiker, zeigte dann auch die Kandidatur von Eva Herzog (sp, BS). Nicht ihre Mutterschaft, sondern ihr Alter war häufig Gegenstand der Berichterstattung: «Es ist halt immer das Gleiche. Zuerst sind die Frauen zu jung und unerfahren, dann haben sie Kinder und es geht nicht, und am Schluss sind sie zu alt», kritisierte die Basler Ständerätin die entsprechenden Diskussionen. Beim SVP-Kandidaten Heinz Tännler (ZG, svp), der 62 Jahre alt sei, rede niemand über das Alter. Letztlich gehe es im Bundesrat aber weder um Geschlecht, Familie oder Alter, sondern um Dossierkenntnisse, so Eva Herzog.
Interessanterweise wurde das Thema Vereinbarkeit von Amt und Familie in der Deutschschweizer Presse wesentlich virulenter diskutiert als in der Westschweizer Presse. Als möglichen Grund erachtete Min Li Marti (sp, ZH) in einem Interview mit der NZZ, dass die Vorstellung, dass Familie Privatsache sei und eine Frau, die sich nicht den Kindern widme, eine Rabenmutter sei, in der Deutschschweiz viel stärker verbreitet sei als in der Romandie.

Als positiv wurde es hingegen vielfach erachtet, dass die Diskussion um Frauenvertretung im Bundesrat heute wesentlich wichtiger sei als noch vor ein paar Jahren. Dass die Vertretung von Frauen in der Politik heute viel stärker als Selbstverständlichkeit betrachtet werde, sei ein grosser Fortschritt, urteilte etwa der Tages-Anzeiger. Vielleicht würden künftig andere Kriterien wichtiger. In der Tat gab es im Vorfeld der Ersatzwahlen etwa auch Forderungen für eine bessere Repräsentation hinsichtlich Ausbildung und von «Nicht-Studierten» im Bundesrat. Im Zusammenhang mit möglichen Wahlkriterien wurde zudem oft darauf hingewiesen, dass die früher bedeutende Konfessionszugehörigkeit heute überhaupt keine Rolle mehr spiele.

Mehrfach Grund für Kritik lieferte schliesslich die mediale Berichterstattung zu den Wahlen selbst. So spielten bei der Analyse der Gründe für die Wahl Albert Röstis und Elisabeth Baume-Schneiders in den meisten Deutschschweizer Medien Geschlechterdiskussionen eine relevante Rolle. Hervorgehoben wurde vor allem die im Vergleich zu Eva Herzog sympathischere Art der Jurassierin. Die NZZ beispielsweise kritisierte, dass die «sich zugänglicher und mütterlicher» präsentierende Elisabeth Baume-Schneider die «pragmatisch, kompetent und maximal unabhängig» und «überdurchschnittlich starke Kandidatin» Eva Herzog habe übertrumpfen können. Dies habe einen «schale[n] Nachgeschmack». Bei den beiden SVP-Kandidaten waren solche Attribute kaum zu finden. Zwar wurde anders als noch bei früheren Bundesrätinnenwahlen kaum über Frisur oder Kleidung geschrieben, trotzdem war auffällig, dass nur bei den Frauen ein «sympathisches und mütterliches» Auftreten als möglicher Wahlgrund aufgeführt wurde, nicht aber bei den beiden Männern. Albert Rösti wurde weder als «väterlich» noch als «zugänglich» beschrieben. Er sei zwar «ein fröhlicher Mensch», so die NZZ, er habe aber eine «andere Eigenschaft, die ihn für den harten Job eines Bundesrats empfiehlt: Er ist zäh».

Umgekehrt wurde insbesondere von verschiedenen Frauen mehrfach kritisiert, dass einmal mehr, wie bereits bei der Wahl von Ruth Metzler 1999, nicht die kompetentere, sondern die «Frohnatur», wie es die NZZ ausdrückte, gewonnen habe. «Starke Frauen» hätten es demnach schwer, von den Männern gewählt zu werden, lautete die Kritik. Hingegen verwies die NZZ darauf, dass auch bei den Männern nicht selten der «Gmögigere» gewinne.

Gleichstellungsdiskussionen im Rahmen der Bundesratswahlen 2022

Die RK-NR hielt im Herbst 2022 mehrheitlich an ihrer Unterstützung der parlamentarischen Initiative Regazzi (mitte, TI) mit dem Ziel, Pädokriminalität im Internet wirksam zu bekämpfen, fest. Sie argumentierte, die Annahme der Initiative würde den Weg für weitergehende Abklärungen zum Thema ebnen, etwa bezüglich allfälliger Unvereinbarkeiten mit der Bundesverfassung oder der Notwendigkeit, weitere Rechtsbestimmungen neben der StPO zu ändern. Die starke Minderheit – der Entscheid fiel mit 11 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen – wollte dagegen nicht in die Zuständigkeit der Kantone eingreifen, die sich in diesem Bereich zwischenzeitlich Know-how und ein wertvolles Netzwerk angeeignet hätten. Mit 102 zu 90 Stimmen bei einer Enthaltung schloss sich der Nationalrat in der Wintersession 2022 der Kommissionsmehrheit an und gab der Initiative Folge. Während das Anliegen in den Fraktionen der Mitte, der GLP und der SVP auf Anklang stiess, stimmten die Fraktionen der Grünen und der SP (mit zwei Ausnahmen), die grosse Mehrheit der FDP-Fraktion sowie zwei SVP-Vertreter gegen die Initiative.

Pädokriminalität im Internet endlich wirksam bekämpfen (Pa.Iv. 19.486)

Im Oktober 2022 publizierte der Bundesrat den Grundlagenbericht «Digitaler Service public» in Erfüllung des Postulats von Min Li Marti (sp, ZH).
Der Bericht hielt fest, dass der Zugang zu einer effizienten und günstigen Hochbreitbandinfrastruktur die Grundlage für soziale und wirtschaftliche Teilhabe im digitalen Raum sei. Auf Anfang 2024 solle daher die Grundversorgung der Internetübertragungsgeschwindigkeit von 10 auf 80 Mbit/s erhöht werden; zudem sei eine Hochbreitbandstrategie für die Schweiz in Erarbeitung. Des Weiteren sei eine Weiterentwicklung des Service public im Hinblick auf die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft angezeigt. Der Bundesrat habe entsprechend im Sommer 2022 entschieden, die Weiterentwicklung der Grundversorgung bei Post- und Zahlungsverkehrsdiensten zu prüfen. Bezüglich Datenschutz habe der Bundesrat das EDA und das UVEK beauftragt, bis im Sommer 2023 einen freiwilligen Verhaltenskodex für den Umgang mit vertrauenswürdigen Daten zu erstellen. Zudem sei das UVEK verpflichtet worden, ebenfalls bis zum Sommer 2023 über den allfälligen Bedarf nach einer digitalen Grundversorgung zum besseren Schutz der Privatsphäre und der Datensicherheit zu berichten.
Schliesslich war auch die E-ID Thema des Berichts. Der Bundesrat beabsichtige, die Rechtsgrundlagen für die E-ID und die entsprechende Infrastruktur mit einem neuen E-ID-Gesetz zu schaffen, nachdem im Frühling 2021 ein erster Versuch für ein solches Gesetz an der Urne gescheitert war.

Offensive für einen digitalen Service public (Po. 19.3574)

Die WBK-NR forderte im Juni 2022 eine Analyse der Standards im Bereich der schulischen Sexualaufklärung und gab damit der Petition 21.2037 der Frauensession, die Zugang zu ganzheitlicher und professioneller sexueller Bildung für alle gefordert hatte, Folge. Der Bundesrat solle in Zusammenarbeit mit den Kantonen einen Bericht erarbeiten, in welchem dargelegt wird, wie die Sexualaufklärung in den Schweizer Schulen in der Praxis vonstattengeht und welche Massnahmen unternommen werden, um die Qualität des Unterrichts zu sichern. Der Bericht solle dabei unter anderem analysieren, welche finanziellen Mittel und welches pädagogische Material in den Schulen zur Verfügung steht und ob sich Letzteres auch dazu eignet, die Problematik der sexuellen Gewalt zu diskutieren, ob der Lehrplan21 zu einer Harmonisierung der Sexualaufklärung in den deutschsprachigen Schulen geführt hat und welche Rolle ausserschulische Leistungserbringende bei der Sexualaufklärung einnehmen. Die Kommission begründete ihr Postulat damit, dass eine ganzheitliche Sexualaufklärung zur Gesundheitsförderung, zur Prävention von sexuell übertragbaren Infektionen und zur Vermeidung ungewollter Schwangerschaften beitrage. Ausserdem werde dadurch Sexismus und sexueller Gewalt vorgebeugt. Die Sexualaufklärung leiste folglich einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Der Bundesrat solle den Expertenbericht zum Postulat Regazzi (mitte, TI; Po. 14.4115) als Ausgangslage nehmen, da dort bereits wichtige Vorarbeit geleistet worden sei.
Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats, da er im Bereich der obligatorischen Schule nicht über die erforderlichen Kompetenzen verfüge.
Der Vorstoss gelangte in der Herbstsession 2022 in die grosse Kammer. Dem Nationalrat lag dabei zwar kein Minderheitsantrag aus der Kommission, jedoch ein Einzelantrag Aeschi (svp, ZG) auf Ablehnung der Motion vor. Nachdem im Plenum keine neuen Argumente vorgebracht worden waren und Thomas Aeschi auf ein Votum verzichtet hatte, wurde der Vorstoss mit 101 zu 77 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen. Die Gegenstimmen stammten von der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion sowie von Mitgliedern der Mitte- und der FDP.Liberalen-Fraktionen.

Analyse der Standards im Bereich der schulischen Sexualaufklärung in der Schweiz (Po. 22.3877)

In der Sommersession 2022 reichte die WBK-NR in Erfüllung einer Petition (Pet. 21.2037) aus der Frauensession 2021 ein Postulat zur Analyse der Standards im Bereich der schulischen Sexualaufklärung in der Schweiz ein. Der geforderte Bericht sollte in Zusammenarbeit mit den Kantonen die effektive Umsetzung der Sexualaufklärung in der Schule untersuchen und beleuchten, inwiefern internationale Standards eingehalten werden und ob kantonsübergreifende Lehrpläne eine Vereinheitlichung vorangetrieben haben. Der Bericht solle sich am Expertenbericht zum Postulat Regazzi (mitte, TI; Po. 14.4115) orientieren und kantonale Unterschiede in der Umsetzung der dort vorgeschlagenen Massnahmen analysieren. Weiterhin bestünden bei der Sexualaufklärung in der obligatorischen Schule starke Unterschiede zwischen den Kantonen, argumentierte die Kommissionsmehrheit. Eine Minderheit Aeschi (svp, ZG) beantragte das Postulat zur Ablehnung. Der Bundesrat erachtete schulischen Sexualkundeunterricht zwar als wichtig, lehnte jedoch Empfehlungen durch den Bund ab, zumal die Kantone für die Primarschule verantwortlich seien.
In der Herbstsession 2022 begründeten Kommissionssprecherin Sandra Locher Benguerel (sp, GR) und Kommissionssprecher Philippe Nantermod (fdp, VS) den Antrag der Kommission und verwiesen dazu unter anderem auf die Wichtigkeit der Sexualaufklärung. Zudem gebe es bereits Projekte, etwa zu HIV, die vom Bund und nicht von den Kantonen durchgeführt würden. In der Folge konnte das Postulat auf die Unterstützung der geschlossen stimmenden Fraktionen der SP, Grünen und Grünliberalen zählen. Auch in den Fraktionen der Mitte und der FDP.Liberalen fand der Vorstoss einen gewissen Rückhalt, während sich die SVP-Fraktion geschlossen dagegen positionierte. Insgesamt wurde das Postulat mit 101 zu 77 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen, nachdem die Abstimmung aufgrund eines erfolgreichen Ordnungsantrags Cottier (fdp, NE) hatte wiederholt werden müssen.

Analyse der Standards im Bereich der schulischen Sexualaufklärung in der Schweiz (Po. 22.3877)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen

Im Herbst 2020 – inmitten der Covid-19-Pandemie – forderte Min Li Marti (sp, ZH) den Bundesrat dazu auf, geeignete Massnahmen zu ergreifen, um die existenzielle Sicherheit des Kultursektors und der kulturellen Vielfalt im Rahmen der Pandemie zu sichern. Konkret solle er einen Fonds bereitstellen, welcher den Sektor dabei unterstützt, Angebote in die digitale Welt zu übertragen. Der Bundesrat beantragte die Motion zur Ablehnung, da im Rahmen des Covid-19-Gesetzes bereits Hilfsmassnahmen für die Kultur eingerichtet worden seien.
Zwei Jahre später, in der Herbstsession 2022, zog die Motionärin ihren Vorstoss ohne Begründung zurück.

Sicherstellung der kulturellen Teilhabe und Vielfalt (Mo. 20.4098)

In der Herbstsession 2022 folgte der Nationalrat mit 103 zu 69 Stimmen bei 4 Enthaltungen dem Antrag des Bundesrates und stimmte der Abschreibung der Motion Regazzi (mitte, TI) für eine «Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht», zu. Die vorberatende SPK-NR hatte ihrem Rat mit 14 zu 9 Stimmen empfohlen, dem Antrag des Bundesrates stattzugeben. Neben der im bundesrätlichen Bericht ausführlich dargelegten rechtlichen Unmöglichkeit, die Motion umzusetzen, betonte die Kommissionsmehrheit, beim Grundrechtsschutz dürfe nicht mit zweierlei Mass gemessen werden: «Ein wahrer Rechtsstaat muss auch seine Feindinnen und Feinde rechtskonform und gemäss seinen Werten behandeln», schrieb sie in der Medienmitteilung. Im Ratsplenum erklärte Kommissionssprecher Kurt Fluri (fdp, SO), der Bundesrat habe sich darüber hinaus bereit erklärt, im Umgang mit verurteilten Terroristinnen und Terroristen, die aufgrund des Non-Refoulement-Gebots nicht ausgeschafft werden können, alle rechtlich zulässigen Mittel zur Wahrung der Sicherheit der Schweiz auszuschöpfen. Justizministerin Karin Keller-Sutter ergänzte, man prüfe im Einzelfall, ob vom Herkunftsstaat die diplomatische Zusicherung erlangt werden kann, dass die betroffene Person weder gefoltert noch unmenschlich behandelt wird, sodass eine völkerrechtskonforme Ausschaffung dennoch möglich ist. Zudem werde auch jeweils geprüft, ob die Person in einen anderen Staat als ihren Herkunftsstaat weggewiesen werden kann. Gleichzeitig betonte sie, die Schweiz habe in letzter Zeit mit dem Nachrichtendienstgesetz, den Strafbestimmungen gegen Terrorismus und den präventiv-polizeilichen Massnahmen ein besseres Instrumentarium erhalten, um «mit den Personen, die wir in der Schweiz behalten müssen, umgehen zu können». Momentan handle es sich um fünf Personen, die die Schweiz aufgrund des Non-Refoulement-Gebots nicht ausschaffen könne, so die Bundesrätin.
Eine Minderheit um SVP-Nationalrat Gregor Rutz (ZH) wollte die Motion trotzdem nicht abschreiben. Es könne nicht sein, dass verurteilte Terroristinnen und Terroristen in der Schweiz blieben, und er sei nicht zufrieden damit, «dass der Bundesrat uns sagt, das ginge nicht», so Rutz. Es sei «eine Frage des gesunden Menschenverstandes», dass «wir [...] doch nicht mit unserer Rechtsordnung Leute schützen [können], die diese Rechtsordnung missbrauchen, um sie zu zerstören». Der Bundesrat müsse «noch einmal über die Bücher», denn es gebe «Möglichkeiten, wie man dieses Anliegen umsetzen kann». Einen Vorschlag, wie eine solche Umsetzung aussehen könnte, lieferte der Minderheitsvertreter dem Ratsplenum jedoch nicht. Seine Ansicht teilten die geschlossen stimmende SVP-Fraktion, die grosse Mehrheit der Mitte-Fraktion sowie FDP-Vertreterin Jacqueline de Quattro (VD), was in der grossen Kammer aber nicht zu einer Mehrheit reichte.

Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht (Mo. 16.3982)

Pour la deuxième fois, la Commission des télécommunications et des transports du Conseil des États (CTT-CE) s'est prononcée en défaveur de l'initiative parlementaire Regazzi. Le Conseil national a adopté en juin cet objet qui vise à exempter les PME du paiement de la redevance radio-TV. Cette position n'a pas été partagée par 10 des 13 membres de la commission compétente de la chambre haute. Ceux-ci sont d'avis que diverses adaptations de la structure tarifaire de la redevance ont déjà permis de délester les entreprises au niveau financier. De plus, la limite fixée à 250 emplois plein-temps pour être exempté mènerait à des inégalités. Enfin, la commission souligne que l'initiative populaire «200 francs, ça suffit» permettra, si elle aboutit, au peuple de se prononcer sur la question du paiement de la redevance par les entreprises. Outre la réduction de la redevance à CHF 200 pour les ménages (contre CHF 335 actuellement), l'initiative souhaite également exonérer les entreprises de ce que les initiant.e.s considèrent comme une «taxation insensée».

«KMU von der Mediensteuer ausnehmen» (Pa.Iv. 19.482)
Dossier: Die geräteunabhängige Radio- und Fernsehabgabe für Unternehmen in der Kritik

Im Sommer 2022 wurde bekannt, dass die drei grossen Unternehmerinnen- und Unternehmerverbände Economiesuisse, Gewerbeverband und Arbeitgeberverband zusammen mit dem Bauernverband eine strategische Allianz eingegangen waren. Gemäss einem internen Papier, aus dem die «NZZ am Sonntag» zitierte, wollten die vier Verbände künftig «gemeinsam für eine wirtschafts- und agrarfreundliche Politik kämpfen» und etwa in Abstimmungskämpfen vermehrt zusammenspannen, um ihre Durchschlagskraft zu erhöhen. Auch im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen 2023 sei eine Zusammenarbeit geplant. Ziel sei die grundsätzliche Stärkung des bürgerlichen Lagers in der nationalen Politik. SGV-Präsident Fabio Regazzi (mitte, TI) liess verlauten, es gehe um «ein Gegengewicht zum rot-grünen Lager».
Das Bekenntnis zur verstärkten und langfristigen Zusammenarbeit erfolgte vor dem Hintergrund, dass die Wirtschaftsverbände bei Volksabstimmungen zuletzt immer wieder Schwierigkeiten gehabt hatten, eine Mehrheit der Stimmberechtigten von ihrer Position zu überzeugen. Nach einigen Reibereien zwischen dem SAV sowie Economiesuisse einerseits und dem SGV andererseits hatten sich diese drei Verbände schon Ende 2021 im Schulterschluss geübt. Mit dem SBV wurde diese Allianz nun noch erweitert.
Zum ersten Anwendungsfall der neuen Allianz wurde der Abstimmungskampf für den Urnengang vom 25. September 2022, bei dem eine Vorlage mit landwirtschaftlichem Fokus (Massentierhaltungsinitiative) und drei mit Wirtschaftsfokus (Verrechnungssteuerreform und AHV 21) zur Abstimmung kamen. Die vier Verbände demonstrierten an einer gemeinsamen Medienkonferenz Einigkeit, und der SBV forderte alle seine Mitglieder auf, auf ihren Feldern und Höfen nebst Plakaten gegen die Massentierhaltungsinitiative auch solche für die AHV 21 und für die Teilabschaffung der Verrechnungssteuer aufzuhängen. Die «NZZ am Sonntag» wertete diese «flächendeckende Präsenz» in der ländlichen Schweiz als «unbezahlbaren Vorteil im Abstimmungskampf».
Der Boden für die Partnerschaft war gemäss Recherchen der «NZZ am Sonntag» indessen schon länger gelegt worden, als Architekt habe der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser gewirkt. Er habe «den grossen Kuhhandel» von 2020 eingefädelt, als der SBV die Wirtschaftsverbände beim Kampf gegen die Konzernverantwortungsinitiative unterstützte und diese im Gegenzug mithalfen, dass das Parlament die Agrarpolitik 22+ sistierte. Auch im Abstimmungskampf gegen die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative im Sommer 2021 konnte der SBV wieder auf die Unterstützung der Wirtschaftsverbände zählen. All dies habe dafür gesorgt, dass das Verhältnis zwischen SBV und Wirtschaftsverbänden wieder enger geworden sei, nachdem es aufgrund von Differenzen in der Freihandels- und Agrarzollpolitik lange ramponiert gewesen war, berichtete die «NZZ am Sonntag». Politgeograf Michael Hermann äusserte die Vermutung, dass der gestiegene Druck ökologischer Kreise auf die Landwirtschaft etwa beim Trinkwasserschutz für den Schulterschluss verantwortlich sei: «Sie haben mit ihren Angriffen auf die Bauern übermarcht und sie in die Hände der Wirtschaft getrieben.»
Ökologische und linke Stimmen äusserten sich denn auch wenig erfreut über die neue Allianz. Die Grünliberale Kathrin Bertschy (glp, BE) bedauerte, dass Economiesuisse nun mit dem «agrarprotektionistischen Lager» zusammenspanne, statt sich wie früher für einen «Abbau der überdimensionierten Giesskannensubventionen» in der Landwirtschaft einzusetzen. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (sp, AG) seinerseits fand, mit dem Pakt würden «die Interessen der Bauern an die Wirtschaft verkauft»; die neue Allianz sei vor allem ein Zeichen dafür, wie nervös man bei den Wirtschaftsverbänden sei.

Allianz von Bauernverband und Wirtschaftsverbänden

Im Juli 2022 schickte die RK-NR ihren Entwurf zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative Regazzi (mitte, TI) für eine Anpassung des Verzugszinssatzes des Bundes an die Marktzinsen in die Vernehmlassung. Der Entwurf enthielt zwei Möglichkeiten zur Umsetzung dieser Anpassung: Entweder soll der aktuelle Zinssatz durch einen vom Bundesrat jährlich festgelegten, an den Saron gebundenen und nach oben und unten begrenzten variablen Zinssatz ersetzt werden (Saron + 2 Prozentpunkte, begrenzt zwischen 2% und 15%) oder alternativ soll erneut ein fester Zinssatz in der Höhe von 3 Prozent (bisher: 5%) festgelegt werden. Eine Kommissionsminderheit lehnte den Entwurf ab, da er sich ob der «aktuellen Wirtschaftsentwicklung erübrigt» habe, wie dem Kommissionsbericht zu entnehmen war.

Während der Vernehmlassung gingen 38 Stellungnahmen ein, wobei sich zahlenmässig am meisten Teilnehmende für den Status quo (15 Kantone, GLP, 6 Organisationen, darunter HEV und SGV), gefolgt vom Vorschlag eines variablen Zinssatzes (9 Kantone, Mitte, FDP, SP, SVP, SGB) aussprachen. Kaum Zuspruch erhielt der fixe Zinssatz von 3 Prozent (1 Kanton und SBV plus allenfalls 3 Kantone), da das Finanzumfeld eine solche Reduktion nicht mehr rechtfertige, wie mehrfach argumentiert wurde. Der variable Zinssatz werde somit «von den politischen Parteien unterstützt (4 von 5), von den Kantonen (15 von 25) und der Wirtschaft (6 von 8) jedoch grösstenteils abgelehnt», wurde im Vernehmlassungsbericht erläutert. Kritisiert wurde der variable Zinssatz vor allem wegen des administrativen Aufwands, der Verankerung des fixen Zinssatzes in der Schweizer Rechtstradition sowie der Kosten für die Wirtschaftsakteure. Befürwortet wurde er hingegen aufgrund seiner regelmässigen Anpassung an den Marktzinssatz.

Im April 2023 entschied sich die RK-NR, eine Änderung des bisherigen Zinssatzes weiterzuverfolgen und schlug dem Parlament die Schaffung eines variablen Zinssatzes in der Höhe des SARON plus zwei Prozentpunkten vor.

Verzugszinssatz des Bundes. Anpassung an Marktzinsen (Pa.Iv. 16.470)

Ende 2021 reichten sechs Nationalrätinnen verschiedenster Parteien sechs identische parlamentarische Initiativen ein, die forderten, dass Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts der Antirassismus-Strafnorm (Art. 261bis StGB) unterstellt werden. Die Initiantinnen – Min Li Marti (sp, ZH; Pa.Iv. 21.513), Marianne Binder-Keller (mitte, AG; Pa.Iv. 21.514), Jacqueline De Quattro (fdp, VD; Pa.Iv. 21.515), Sibel Arslan (basta, BS; Pa.Iv. 21.516), Lilian Studer (evp, AG; Pa.Iv. 21.522) und Kathrin Bertschy (glp, BE; Pa.Iv. 21.527) begründeten ihr Anliegen mit der weiten Verbreitung von Gewalt und Hass an Frauen, der mit einem klaren Signal – wie demjenigen der Unterstellung unter die Antirassismus-Strafnorm – Einhalt geboten werden könnte. Ob neben der sexuellen Orientierung auch Diskriminierungen und Hass aufgrund der Geschlechtsidentität in die Antirassismus-Strafnorm aufgenommen werden sollten, war auch bereits während der Beratungen zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative Reynard (sp, VS; Pa.Iv. 13.407) diskutiert worden, die im Februar 2020 an der Urne bestätigt worden war. Die erstberatende RK-NR, die sich Ende Juni 2022 über die sechs neuen parlamentarischen Initiativen beugte, gab diesen mit 16 zu 6 Stimmen Folge.

Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts sollen strafbar werden (Pa.Iv. 21.513, 21.514, 21.515, 21.516, 21.522, 21.527)

In der Sommersession 2022 folgte der Ständerat dem Nationalrat und nahm sechs gleichlautende Motionen für eine «vertrauenswürdige staatliche E-ID» an. Gerhard Andrey (gp, FR; Mo. 21.3124), Franz Grüter (svp, LU; Mo. 21.3125), Min Li Marti (sp, ZH; Mo. 21.3126), Jörg Mäder (glp, ZH; Mo. 21.3127), Simon Stadler (mitte, UR; Mo. 21.3128) sowie die FDP-Liberale-Fraktion (Mo. 21.3129) argumentierten übereinstimmend, dass die Volksabstimmung vom 7. März 2021 über die E-ID den Bedarf an einer staatlichen Lösung aufgezeigt habe. Auch die einstimmige RK-SR und der Bundesrat empfahlen die Motionen zur Annahme. Karin Keller-Sutter verwies überdies auf die schnelle Wiederaufnahme des Themas durch das EJPD nach dem Volks-Nein und stellte in Aussicht, dass noch im Sommer 2022 die Vernehmlassung zu einem neuen E-ID-Gesetz eröffnet werde. Ebenso sprach sich SGV-Präsident Hannes Germann (svp, SH) für eine staatliche Lösung aus, da es diese in Zusammenarbeit mit den Kantonen und Gemeinden ermögliche, die wichtigsten Behördendienstleistungen rund um die Uhr digital anzubieten. Medial äusserte sich beispielsweise auch Patrick Stähli, Präsident des Vereins Digitale Gesellschaft Schweiz, positiv und betonte, die Schweiz dürfe in diesem Bereich nicht abgehängt werden. Die Motionen wurden daraufhin stillschweigend überwiesen.

Vertrauenswürdige, staatliche E-ID (Mo. 21.3124, 21.3125, 21.3126, 21.3127, 21.3128 und 21.3129)
Dossier: Elektronische Identität

Im Juni 2022 nahm nach dem Ständerat auch der Nationalrat mit 99 zu 79 Stimmen bei 3 Enthaltungen eine Motion Wicki (fdp, NW) zur Wahrung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung im Kartellgesetz an. Wie Kommissionssprecher Regazzi (mitte, TI) erklärte, plädiere die Mehrheit der Kommission für die Annahme der Motion, da derzeit die Unschuldsvermutung und der Untersuchungsgrundsatz in Verfahren der WEKO zu wenig Anwendung fänden: Bei einem klassischen Gerichtsfall trage die Polizei Fakten zusammen und führe Ermittlungen durch. Während sich die Staatsanwaltschaft danach auf belastendes Material fokussiere, ziehe die Verteidigung das entlastende Material vor. Das Gericht könne dann auf Basis der Unschuldsvermutung entscheiden. Bei einem Kartellverfahren führe hingegen das Sekretariat der WEKO alleine die Ermittlungen durch und sammle auf Basis des Untersuchungsgrundsatzes sowohl belastendes als auch entlastendes Material, welches sie der WEKO dann für die Entscheidungsfindung zur Verfügung stelle. Das Problem sei, dass das Sekretariat des Öfteren nur belastendes Material suche und den involvierten Parteien das Vorbringen von entlastendem Material überlasse, was letzteren eine schwächere Stellung einbringe. Im Namen der Minderheit argumentierte Kathrin Bertschy (glp, BE) hingegen, dass bereits heute bei kartellrechtlichen Sanktionsverfahren die Unschuldsvermutung gelte und die Motion falsche Schlussfolgerungen suggeriere: Es gebe im Kartellverfahren keine Beweislastumkehr – bei der also die Beschuldigten ihre Unschuld beweisen müssten –, so habe die GLP-Fraktion keine Beispiele gefunden, in denen dies der Fall gewesen wäre. Man dürfe der WEKO nicht auf Basis von Behauptungen solche Unterstellungen machen, argumentierte die Bernerin weiter. Dem Votum von Bertschy schloss sich auch Wirtschaftsminister Guy Parmelin an, der die Unschuldsvermutung ebenfalls bereits gewahrt sah. In der Abstimmung votierten die Fraktionen der SVP, FDP.Liberalen und der Mitte für Annahme der Motion, die Fraktionen der SP, der Grünen und der GLP geschlossen dagegen. Das Kartellgesetz soll vom Bundesrat somit dahingehend angepasst werden, dass der Untersuchungsgrundsatz in dessen Wortlaut in zentraler Weise vorkommt.

Préserver le principe de l’instruction. Le fardeau de la preuve ne doit pas être renversé dans la loi sur les cartels (Mo. 21.4189)

In Form einer Motion forderte Fabio Regazzi (mitte, TI) den Bundesrat auf, die gesetzlichen Grundlagen – insbesondere das Asylgesetz (AsylG) und entsprechende Verordnungen – so zu ändern, dass Asylsuchende, welche einen negativen Asylentscheid erhalten, trotzdem einer Erwerbstätigkeit nachgehen können, solange die Wegweisung nicht vollzogen ist. Es gebe Fälle, wo Personen auch nach Ablehnung ihres Asylgesuches noch Jahre in der Schweiz blieben, beispielsweise wenn das Herkunftsland ein Risikogebiet und eine erzwungene Rückweisung daher nicht zulässig sei, so der Motionär. Die aktuelle Gesetzeslage erlaube es nicht, dass diese Menschen einer Arbeit nachgingen – dies obwohl sie oft während des Asylverfahrens eine vom SEM geförderte Berufsausbildung abgeschlossen und eine Arbeitsstelle angetreten hätten. Dies sei äusserst paradox und treibe diese Menschen unnötigerweise in die Sozialhilfe, so Regazzi weiter.
Bundesrätin Karin Keller-Sutter erklärte die Empfehlung des Bundesrates, die Motion abzulehnen, während der nationalrätlichen Beratung in der Sommersession 2022 unter anderem damit, dass diese Motion den Zielsetzungen der schweizerischen Asylpolitik entgegenlaufen würde. Sei der Vollzug auf Grund von technischen Gründen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht möglich, spreche das SEM diesen Personen eine vorläufige Aufnahme zu, mit derer schweizweit gearbeitet werden dürfe. Die Arbeitsbewilligung im Sinne der Motion generell zu verlängern, würde hingegen dazu führen, dass die Bereitschaft zur fristgerechten selbstständigen Ausreise sinke, insbesondere dann, wenn die zwangsweise Rückweisung vom Heimat- oder Herkunftsland nicht akzeptiert werde. Der Nationalrat war anderer Meinung als der Bundesrat und stimmte der Motion mit 102 zu 80 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) zu. Dabei sprachen sich die Fraktionen der SP, der GLP und der Grünen geschlossen sowie eine gute Zweidrittelmehrheit der Mitte für, jene der SVP und der FDP.Liberalen geschlossen gegen die Motion aus.

Ausübung einer Erwerbstätigkeit für Asylsuchende gestatten während Warten auf Wegweisung (Mo. 20.4119)

Da ein 2016 vorgelegter Bericht in Erfüllung eines Postulats Naef (sp, ZH; Po. 12.3543) ausgewiesen habe, dass es insbesondere für LGBTIQ+-Personen privatrechtliche Lücken im Diskriminierungsschutz gebe, verlangte Min Li Marti (sp, ZH) mittels Motion die Erstellung eines Aktionsplans zur Verbesserung des Diskriminierungsschutzes. Eine Motion der RK-NR mit ebendieser Stossrichtung war 2017 im Nationalrat mit Stichentscheid des damaligen Präsidenten Jürg Stahl (svp, ZH) ganz knapp abgelehnt worden (Mo. 16.3626). Deutlicher fiel die Ablehnung der Motion Marti in der Sommersession 2022 aus: Mit 105 zu 81 Stimmen stimmte der Nationalrat gegen den erneuten Versuch zur Erstellung eines entsprechenden Aktionsplans. Unterstützung fand das Anliegen bei den geschlossen stimmenden Fraktionen der SP, Grünen und GLP sowie bei jeweils einem Mitglied der Mitte- und der FDP.Liberalen-Fraktion.

Aktionsplan zur Verbesserung des Diskriminierungsschutzes (Mo. 20.4097)

Nationalrätin Margret Kiener Nellen (sp, BE) sah in den unterschiedlichen Höchstbeträgen der EO-Entschädigungen bei Militärdienst und Mutterschaft – derjenige bei Mutterschaft beläuft sich auf CHF 196 pro Tag, während der Höchstbetrag der Gesamtentschädigung bei Militärdienst CHF 245 betragen kann – eine «grobe und nicht zu rechtfertigende Ungleichheit» und somit eine Verletzung des Gleichstellungsartikels. 2019 hatte sich der Bundesrat gegen die Motion Kiener Nellen ausgesprochen, die diesen Umstand beheben wollte. Er hatte dabei auf andere laufende Gesetzgebungsvorhaben «zugunsten der Mütter und Familien» verwiesen, die bereits Mehrausgaben für die EO mit sich bringen würden – namentlich die Mutterschaftsentschädigung bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen (Pa.Iv. 18.092), die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung (BRG 19.027), den indirekten Gegenvorschlag zur Vaterschaftsurlaubs-Initiative (Pa.Iv. 18.441) sowie die Einführung eines Adoptionsurlaubs (Pa.Iv. 13.478). Zusätzliche Ausbauprojekte könnten den Erfolg dieser Vorhaben beeinträchtigen, so der Bundesrat. Entgegen der Meinung des Bundesrates hatte der Nationalrat der Motion in der Frühjahrssession 2021 mit deutlichen 132 zu 52 Stimmen bei sieben Enthaltungen unter Opposition der gesamten SVP-Fraktion diskussionslos zugestimmt.
Im März 2022 empfahl eine knappe Kommissionsmehrheit dem Ständerat ebenfalls, der Motion zuzustimmen. Sie erachtete die Ungleichbehandlung, die darauf beruht, dass die EO für Mütter im Unterschied zu Militärdienstleistenden keine Kinderzulage, keine Betreuungszulage sowie im Falle einer selbständigen Erwerbstätigkeit auch keine Betriebszulage vorsieht, als «nicht mehr zeitgemäss». Die Kommissionsminderheit brachte hingegen als Gründe für ihre ablehnende Empfehlung vor, dass Betreuungszulagen in diesem Falle nicht notwendig seien, da sich die Mütter während des Mutterschaftsurlaubs ja selber um die Kinder kümmern könnten, und dass Mutterschaft – im Gegensatz zum Militärdienst – nicht obligatorisch sei. Mit Stichentscheid des Präsidenten Thomas Hefti (fdp, GL) folgte der Ständerat in der Sommersession 2022 der Kommissionsminderheit und lehnte die Motion Kiener Nellen denkbar knapp ab. Hingegen befürwortete er gleichzeitig eine Motion Marti (sp, ZH; Mo. 19.4110), mit der eine Betriebszulage bei Mutterschaftsentschädigung von Selbstständigerwerbenden eingeführt werden soll. Diesen Willen hatte der Ständerat bereits in der Wintersession 2019 kundgetan, als er eine gleichlautende Motion Maury Pasquier (sp, GE; Mo.19.4270) befürwortet hatte.

EO-Entschädigungen. Militärdienst und Mutterschaft gleich entschädigen (Mo. 19.3373)

Mit einem im Dezember 2021 eingereichten Postulat forderte Min Li Marti (sp, ZH) vom Bundesrat die Ausarbeitung einer Auslegeordnung zur Terrorismus- und Extremismusbekämpfung. Die Postulantin begründete ihren Vorstoss damit, dass die Zuständigkeiten innerhalb der verschiedenen Massnahmen zur Terrorismus- und Extremismusbekämpfung nicht immer klar abgrenzbar seien. Die geforderte Auslegeordnung soll die Zuständigkeiten und rechtlichen Grundlagen für das Fedpol, den NDB und die kantonalen Polizeibehörden klar aufzeigen und so problematische Doppelspurigkeiten, Unklarheiten und Abspracheprobleme verhindern. Der Bundesrat zeigte Verständnis für das Anliegen und beantragte die Annahme des Postulats. Bekämpft wurde das Postulat indes von Andreas Glarner (svp, AG). Zwar stimmte er der Postulantin insofern zu, als allfälligen Lücken und Doppelspurigkeiten in der Terrorismus- und Extremismusbekämpfung entgegengewirkt werden müsse, er erachtete einen Bericht jedoch nicht als passende Massnahme. Der Nationalrat nahm das Postulat in der Sommersession 2022 mit 134 zu 54 Stimmen ohne Enthaltung an.

Auslegeordnung zur Terrorismus- und Extremismusbekämpfung (Po. 21.4598)

In der Sommersession 2022 stimmte der Ständerat stillschweigend einer Motion Marti (sp, ZH) zu, die eine Betriebszulage bei Mutterschaftsentschädigung von Selbständigerwerbenden einführen will. Durch die Betriebszulage für Selbständigerwerbende bei Mutterschaft analog der Betriebszulage bei Militärdienstleistenden soll eine Ungleichbehandlung der Geschlechter behoben werden, die gemäss Kommissionssprecherin Häberli-Koller (mitte, TG) das Resultat eines historischen Kompromisses ist, der nicht mehr zeitgemäss sei. Damit wird es auch selbständig erwerbstätigen Frauen in Zukunft möglich sein, einen Teil der laufenden Betriebskosten während des Mutterschaftsurlaubs zu decken. Seinen Willen zur Einführung einer solchen Betriebszulage hatte der Ständerat bereits im Jahr 2019 durch Annahme einer Motion Maury Pasquier (sp, GE; Mo. 19.4270) bekundet. Die Arbeiten zur Umsetzung dieses Anliegens seien übrigens bereits angelaufen, versicherte Kommissionsmitglied Hannes Germann (svp, SH) im Rat.

Zeitgleich lehnte der Ständerat mit Stichentscheid des Präsidenten eine Motion Kiener Nellen (sp, BE; Mo. 19.3373) ab, die den gleichen Höchstbetrag der EO-Gesamtentschädigung bei Mutterschaft und Militärdienst forderte. Somit blieb ein Teil des historischen Kompromisses, nämlich die Ungleichbehandlung von Dienstleistenden und Müttern bei den EO-Entschädigungen bestehen: Die Kinderzulage und die Kinderbetreuungszulage werden nach wie vor ausschliesslich an Militärdienstleistende entrichtet.

Betriebszulage bei Mutterschaftsentschädigung von Selbstständigerwerbenden

In der Sondersession vom Mai 2022 behandelte der Nationalrat die Änderung der Zivilprozessordnung zur Verbesserung der Praxistauglichkeit und der Rechtsdurchsetzung als Zweitrat. Wie Kommissionssprecher Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) berichtete, hatte sich die RK-NR in der Vorberatung mit 139 Anträgen zu beschäftigen. Wie schon in der Ständekammer verlief die Ratsdebatte angesichts des Umfangs der Vorlage wenig kontrovers, da es sich um viele technische Detailfragen handelte. Nach dem unbestrittenen Eintreten folgte auch die grosse Kammer in den allermeisten Punkten ohne grosse Diskussion ihrer Kommissionsmehrheit. Diese habe bei den vorgeschlagenen Anpassungen vor allem darauf geachtet, ein «laienfreundliches Gesetz» zu gestalten, so Berichterstatter Bregy.
Ausführlich diskutiert wurde – wie schon im Erstrat – die Sprachenfrage: Nachdem sich der Ständerat dagegen ausgesprochen hatte, dass die Kantone in Zivilverfahren neben ihren Amtssprachen auch andere Landessprachen und Englisch als Verfahrenssprache zulassen dürfen, wenn beide Parteien damit einverstanden sind, präsentierte die nationalrätliche Kommissionsmehrheit einen Kompromissvorschlag. Gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag sah sie zwei Einschränkungen vor: Erstens soll ein Verzicht auf die Amtssprache nicht vor Verfahrensbeginn erfolgen können – dies um zu verhindern, dass Unternehmen etwa in ihren AGB der Gegenpartei schweizweit ihre bevorzugte Sprache aufzwingen können – und zweitens soll ein Verfahren in Englisch nur bei handelsrechtlichen Streitigkeiten möglich sein. Zwei links-grüne Minderheiten wollten hingegen dem Ständerat folgen und auf die Möglichkeit zu anderen Sprachen – bzw. wenigstens auf die anderen Landessprachen – verzichten. Sie sorgten sich um den Stand der Minderheitensprachen, wenn auch in der Romandie und im Tessin auf Deutsch prozessiert werden könnte, und um die Qualität der Rechtsprechung, wenn der ganze Justizapparat plötzlich in mehreren Sprachen funktionieren müsste. Ein Verzicht auf die Möglichkeit zu Verfahren in englischer Sprache wäre aus Sicht von Bundesrätin Karin Keller-Sutter «sehr bedauerlich», weil dies eine zentrale Voraussetzung für die Schaffung internationaler Handelsgerichte sei und damit die Bestrebungen danach als gescheitert anzusehen wären. Gegen den Widerstand von Links-Grün folgte der Nationalrat in dieser Frage deutlich seiner Kommissionsmehrheit.
Ebenfalls erfolglos blieben sowohl das links-grüne Lager als auch die SVP-Fraktion mit verschiedenen Minderheitsanträgen für eine weitere Senkung der Prozesskosten. Sie wollten damit den Zugang zum Gericht erleichtern, da mit den aktuellen Kostenhürden «Prozessieren für den Mittelstand praktisch unerschwinglich» sei, wie es Sibel Arslan (basta, BS) formulierte. Da sie eine andere Vorstellung davon hatten, wie dies zu bewerkstelligen sei, unterstützten sich die beiden Lager jedoch nicht gegenseitig. Die obsiegende Mehrheit argumentierte, dass es – über die vom Bundesrat vorgeschlagenen Anpassungen hinaus – die Aufgabe der Kantone sei, die Tarife zu senken.
Für eine grössere Debatte sorgte auch das Mitwirkungsverweigerungsrecht für Unternehmensjuristinnen und -juristen. Damit sollen Schweizer Unternehmen im Ausland davor geschützt werden, mehr offenlegen zu müssen als die Konkurrenz aus Staaten, die einen solchen Berufsgeheimnisschutz für Unternehmensjuristinnen und -juristen kennen. Der Ständerat hatte hier gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag Einschränkungen vorgenommen, «die der Bundesrat nicht zwingend unterstützen möchte», wie Karin Keller-Sutter erklärte. Am liebsten hätte der Bundesrat an seiner eigenen Version festgehalten, die «das Ergebnis einer langen Diskussion und eines Reifeprozesses» sei und der parlamentarischen Initiative Markwalder (fdp, BE; Pa.Iv. 15.409) entspreche, so die Bundesrätin. Eine entsprechende Minderheit Markwalder blieb aber chancenlos. Die Mehrheit der RK-NR präsentierte indes eine Weiterentwicklung der ständerätlichen Lösung, die derjenigen des Bundesrates laut der Justizministerin inhaltlich «sehr nahe» stehe, weshalb die Regierung nach dem Motto «Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach» diesen Antrag unterstützte. Dieser wurde von der grossen Kammer sodann auch angenommen. Dagegen sprachen sich die SP- und die Grüne Fraktion aus, die nur ein weniger weitgehendes Mitwirkungsverweigerungsrecht akzeptiert hätten.
Dem Beschluss des Ständerates, wonach im Zivilverfahren elektronische Instrumente, wie zum Beispiel Videokonferenzen, eingesetzt werden können, stimmte im Grundsatz auch die Volkskammer zu. Sie präzisierte allerdings, dass dazu in jedem Fall die Zustimmung aller Parteien erforderlich ist.
Eine letzte lebhafte Debatte entzündete sich an den Voraussetzungen für provisorische Massnahmen gegen Medien, konkret an der Frage, wann die Veröffentlichung eines Medienberichts mittels superprovisorischer Verfügung vorläufig verhindert werden kann. Der Ständerat hatte beschlossen, dass dies möglich sein soll, wenn der Bericht – zusätzlich zu weiteren Kriterien – für die gesuchstellende Partei einen schweren Nachteil verursacht oder verursachen kann – im Unterschied zum «besonders schweren Nachteil», der nach geltendem Recht verlangt wird. Die Ratslinke sah darin einen Angriff auf die Pressefreiheit, der überdies klammheimlich in einer grossen Gesetzesrevision versteckt werde. Auch wenn über die praktischen Auswirkungen dieser Änderung Unklarheit herrschte, sei sie doch ein «schwieriges Signal», so Min Li Marti (sp, ZH). Ein Einzelantrag Dandrès (sp, GE) zur Auskopplung dieser Frage aus der ZPO-Revision durch Auslagerung in einen separaten Entwurf wurde von der bürgerlichen Ratsmehrheit ebenso abgelehnt wie der Minderheitsantrag, der bei der Fassung des Bundesrates bleiben und die Voraussetzungen inhaltlich unverändert lassen wollte. Mit 99 zu 81 Stimmen bei 7 Enthaltungen stimmte der Nationalrat dem Beschluss seiner Schwesterkammer zu und besiegelte damit die Streichung des Wortes «besonders». Dies sei kein Entscheid gegen die Medienfreiheit, sondern für den Schutz einzelner Menschen, erklärte Judith Bellaïche (glp, ZH). «Das Recht auf Medienfreiheit beinhaltet nicht pauschal das Recht, Existenzen zu zerstören», so die GLP-Vertreterin.
In der Gesamtabstimmung hiess die grosse Kammer den Entwurf mit 183 zu 1 Stimme (Lukas Reimann; svp, SG) bei 2 Enthaltungen (Christian Dandrès, Yvette Estermann; svp, LU) gut. Zudem stimmte sie der Abschreibung der Postulate Po. 13.3688 und Po. 14.3804 sowie der Motionen Mo. 14.4008 und Mo. 17.3868 stillschweigend zu.

Änderung der Zivilprozessordnung – Praxistauglichkeit und Rechtsdurchsetzung (BRG 20.026)
Dossier: Debatte über die Pressefreiheit in der Schweiz
Dossier: Revision der Zivilprozessordnung (2018–)

In seinem Bericht zur Abschreibung der Motion Regazzi (mitte, TI) «Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht» (Mo. 16.3982) vom Mai 2022 kam der Bundesrat zum Schluss, es sei rechtlich unmöglich, die Motion umzusetzen. Er beantragte daher, den im Frühjahr 2019 vom Parlament überwiesenen Vorstoss ohne weitere Massnahmen abzuschreiben. Die Forderung der Motion war, dass verurteilte ausländische Terroristinnen und Terroristen in jedem Fall in ihren Herkunftsstaat zurückgeschickt werden, selbst wenn ihnen dort Folter oder andere grausame und unmenschliche Behandlung oder Bestrafung droht. Der Bundesrat legte in seinem Bericht dar, dass eine solche Praxis nicht mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar sei. Das menschenrechtliche Non-Refoulement-Prinzip, d.h. das Verbot der Ausschaffung in einen Staat, in dem der betroffenen Person Folter oder andere grausame und unmenschliche Behandlung oder Bestrafung droht, sei nicht nur in der Bundesverfassung und im Völkervertragsrecht verankert, sondern Teil des gewohnheitsrechtlichen ius cogens: Als Völkergewohnheitsrecht mit zwingendem Charakter gelte es absolut; die Schweiz könne sich von der Verpflichtung zur Einhaltung des Non-Refoulement-Prinzips ergo nicht durch Vertragskündigungen oder die Änderung der Bundesverfassung befreien. Bei einer Umsetzung der Motion wäre die Schweiz der einzige Staat Europas, der die absolute Geltung des Non-Refoulement-Gebots nicht mehr anerkenne. Dies käme nicht nur einem «vollständigen Bruch mit der humanitären Tradition der Schweiz», sondern auch einer «Abkehr vom Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit im herkömmlichen Sinn» gleich, schlussfolgerte die Regierung.

Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht (Mo. 16.3982)

Anfang 2022 hatte die WAK-NR das Grenzgängerabkommen und das Protokoll zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Italien fast einstimmig zur Annahme beantragt, gleichzeitig aber auch beim SIF eine Roadmap zur Streichung der Schweiz von der Schwarzen Liste Italiens von 1999 und zur Gewährung des Zugangs der Schweizer Banken zum italienischen Markt in Auftrag gegeben.
Im Nationalrat entspann sich in der darauffolgenden Frühjahrssession eine lange Debatte unter den Tessiner Ratsmitgliedern verschiedener Parteien, die sich an der nicht vollständigen Umsetzung der Roadmap von 2015 und einem Sistierungsantrag der SVP entzündet hatte. Kommissionssprecher Beat Walti (fdp, ZH) erklärte, dass sich die Kommission einig gewesen sei, dass die neue Grenzgängerregelung eine Verbesserung bedeute. Es sei jedoch zu mehreren Sistierungsanträgen gekommen, weil andere Themen, die in der Roadmap erwähnt wurden, nach wie vor ungeklärt seien. Dieses Anliegen habe die Kommissionsmehrheit aber abgelehnt, weil man nicht mit dem Verzicht auf einen eigenen Vorteil Druck ausüben könne. Dennoch lag auch im Nationalrat ein Sistierungsantrag Marchesi (svp, TI) mit identischer Forderung vor, den Kommissionssprecher Walti konsequenterweise zur Ablehnung empfahl. Greta Gysin (gp, TI) sprach sich im Namen der grünen Fraktion für die Annahme des Abkommens aus und wunderte sich über den Widerstand der Tessiner SVP-Vertreter, die 2015 auf die Unterzeichnung des damaligen Abkommensentwurfs gedrängt hatten, obwohl dieser für die Schweiz weniger vorteilhaft gewesen wäre. Auch SP-Nationalrat Storni (sp, TI) begrüsste im Namen seiner Partei das Abkommen, welches zwar nicht die durch die Grenzgängerinnen und Grenzgänger ausgelösten Probleme des Tessiner Arbeitsmarkts lösen werde, aber zumindest den Vorteil der niedrigeren Steuerbelastung in Italien abschwäche. Die SP lehne den Sistierungsantrag ab, fordere den Bundesrat aber zugleich auf, den Druck zu erhöhen, um den Marktzugang zu verbessern und die Streichung von der Schwarzen Liste zu erreichen. Marco Romano (mitte, TI) kritisierte den Bundesrat scharf für den Ausgang der Verhandlungen, bei denen Italien alles bekommen habe, was es wollte, insbesondere die zehnjährige Übergangsfrist bis zur Anwendung des neuen Abkommens. Sollte Italien das Abkommen nicht bis Ende Jahr abschliessen, verlangte Romano, dass das bestehende Abkommen gekündigt wird und das neue Abkommen ohne Übergangsfrist in Kraft tritt. Der anwesende Bundesrat Maurer verteidigte die Übergangsfrist als Kompromiss, da Italien deutlich mehr gefordert habe. Er teilte dem Nationalrat mit, dass der Bundesrat den Abschluss des parlamentarischen Prozesses in Italien im März 2022 erwarte. Es gäbe keine Opposition oder andere Anzeichen für eine Verzögerung der Behandlung. Auch zu den beiden offenen Punkten der Roadmap bezog er Stellung. Die schwarze Liste bezeichnete Maurer als «Stück Papier» ohne Wirkung, wobei Italien positive Signale hinsichtlich einer Streichung aussende. Der Marktzugang für Schweizer Banken in Italien sei hingegen «der grosse Brocken», der noch übrig bleibe. Die Schweiz habe, mit Ausnahme von Deutschland, in keinem EU-Land einen solchen Marktzugang. Italien werde die Lösung dieses Problems aber wahrscheinlich nicht selbstständig, sondern im Rahmen der EU vornehmen. Angesichts der gegenwärtigen bilateralen Beziehungen zur EU sehe er diesbezüglich «kein Licht am Ende des Tunnels». Der Bundesrat lehne aus diesen Gründen die Sistierung des Abkommens ab, auch weil man den Kontakt mit Italien verlieren würde. Maurer mutmasste, dass Italien gar froh über einen Abbruch wäre, weil man der Schweiz im Abkommen weit entgegengekommen sei.
Der Nationalrat lehnte den Sistierungsantrag mit 136 zu 55 Stimmen klar ab. Nur die SVP-Fraktion sowie die beiden Tessiner Mitte-Nationalräte Regazzi (mitte, TI) und Romano stimmten dafür. Den Entwurf nahm die grosse Kammer in der Folge mit 186 zu 4 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) an.
In den Schlussabstimmungen nahm der Nationalrat das Geschäft mit 183 zu 5 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) an, der Ständerat tat dies einstimmig.

Abkommen mit Italien über die Besteuerung der Grenzgängerinnen und Grenzgänger
Dossier: Doppelbesteuerungsabkommen

Nach Einsicht des Vernehmlassungsentwurfs zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative Regazzi (mitte, TI) für eine Anbindung des Verzugszinssatzes an die allgemeine Entwicklung der Marktzinssätze beantragte die Mehrheit der RK-NR die Abschreibung der Initiative. Eine entsprechende Anbindung würde die Situation bei den Verzugszinsen nur verkomplizieren, begründete die Kommissionsmehrheit diesen Entscheid. Der Nationalrat folgte hingegen mit 98 zu 93 Stimmen einer Minderheit Kamerzin (mitte, VS), welche die Umsetzungsfrist der Initiative um zwei Jahre verlängern wollte, um die Vernehmlassungsresultate abzuwarten. Die SP-, FDP.Liberalen- und Mitte-Fraktionen sowie eine Minderheit der Grünen-Fraktion sprachen sich für die Fristverlängerung aus.

Verzugszinssatz des Bundes. Anpassung an Marktzinsen (Pa.Iv. 16.470)

Im März 2022 verlängerte der Nationalrat auf Antrag seiner RK-NR die Behandlungsfrist einer parlamentarischen Initiative Regazzi (mitte, TI) zur Aufnahme des Rechtsinstituts des Trusts in die schweizerische Gesetzgebung um weitere zwei Jahre bis zur Frühjahrssession 2024. Die Kommission hatte argumentiert, dass sie zuerst die Arbeiten des Bundesrats im Zusammenhang mit der angenommenen Motion der RK-SR (Mo. 18.3383) abwarten möchte.

Aufnahme des Rechtsinstituts des Trusts in die schweizerische Gesetzgebung (Pa.Iv. 16.488)
Dossier: Einführung des Trusts in die schweizerische Rechtsordnung